1 Spielregeln der Rhetorik für Juristen Prof. Dr. Markus Würdinger Juristen stehen an der vordersten rhetorischen Kampffront1: Sie müssen viel reden und sie sollten es gut tun. Reden lernt man durch Reden, sagte Cicero. Ein anderes traditionsreiches Bonmot lautet: Zum Dichter wird man geboren, zum Redner ausgebildet.2 Trägt die juristische Ausbildung dieser Tatsache hinreichend Rechnung? Was sind die gängigen Fehler so vieler Seminarvorträge? Wie sind diese zu beheben? „Allein der Vortrag macht des Redners Glück“3, bemerkt der Rhetorik beflissene wissenschaftliche Assistent des Hochschullehrers Dr. Faust in Goethes Glanzwerk. Was zeichnet einen solchen Vortrag aus? Der Beitrag versucht die gestellten Fragen zu beantworten und erläutert einige „Spielregeln“ der Rhetorik für Juristen. Zum Redner wird man ausgebildet Der Begriff „Rhetorik“ kommt vom Griechischen und heißt soviel wie Redekunst. Anders als bei anderen Künsten, ist diese erlernbar. Übung ist also erforderlich, sie macht den Meister. Die Palette von Fachbüchern zur Rhetorik ist breitflächig und bunt.4 Solche Bücher können in der Tat wertvolle Anregungen geben. Sie können aber nicht die eigene Arbeit an sich selbst ersetzen. Üben kann man passiv und aktiv, alleine und in der Gruppe. Was bedeutet das? Jeder Redner sollte sich Vorbilder suchen und überlegen, warum deren Vortrag so gut ist. Diesen „Protagonisten“ der Rede können „Antagonisten“ gegenübergestellt werden. Durch diese praktische Analysearbeit lässt sich das mit „Fleisch und Blut“ beleben, was in Rhetorikbüchern theoretisch erörtert wird. Unabdingbar ist die intensive Lektüre von Fachtexten. Es ist empfehlenswert, juristische Texte auch einmal laut zu lesen, zunächst das Gesetz und dann die Lehrbücher und Skripten. Die Quintessenz des Gelesenen kann man auch einmal laut und vielleicht auch einmal vor Der Beitrag ist in ähnlicher Fassung in JuS Magazin 5/07, 28-29 abgedruckt. So Hoeren, JuS Magzin 1/05, S. 6. 2 Poeta nascitur, orator fit. 3 Diesen Satz hat Johann Wolfgang v. Goethe im Faust I dem Famulus Wagner in Vers 546 in den Mund gelegt. Es handelt sich um eine Übersetzung aus Cicero, De Oratore, 213: „actio … in dicendo una dominatur“. Die vorangegangen Verse 522-527 in Faust I eröffnen eine der berühmtesten Diskussionen über die Rhetorik. 4 Statt vieler: Ueding/Steinbrink, Grundriss der Rhetorik, 3. Aufl., 1994. Zur juristischen Rhetorik: Gast, Juristische Rhetorik – Auslegung, Begründung, Subsumtion, 3. Aufl., 1997 dazu die Besprechung von Grasnick, Wozu Rechtsrhetorik? Versuch einer Aufklärung, GA 1990, 483 ff.; Gottwald/Haft, Verhandeln und Vergleichen als juristische Fertigkeiten, 2. Aufl., 1993; Grasnick, Rechtsrhetorik, SchlHA 1998, 5 ff.; Haft, Juristische Rhetorik, 6. Aufl., 1999. ∗ 1 2 dem Spiegel referieren. Hilfreich ist es, solche Texte auf Tonträger aufzunehmen: sie eignen sich als Lerngrundlage und verbessern die eigene Rhetorik. Da auch der Jurist nicht einsam, sondern gemeinsam mit anderen sein Leben meistern soll, sollten Studierende Arbeitsgemeinschaften mit Kommilitonen, die sie sowohl fachlich als auch menschlich schätzen, bilden. Dort tragen sie anderen einen Fall vor. Dort müssen sie das Kernproblem so auf den Punkt bringen, dass auch die Kollegen es verstehen. Dort diskutieren sie die Lösung gemeinsam. Aufbau und „Grundriss“ einer Rede Seit der Antike gilt: Jede Rede hat eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss. Die Einleitung soll die Aufmerksamkeit der Zuhörer wecken und in die Thematik einführen. Besonders geschickt ist der Einstieg mit einem Zitat, das am Ende erneut aufleuchtet und so den Hauptteil umrahmt. Am Schluss des Vortrags steht eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die auch in einen Ausblick einmünden kann. Nicht gelungen ist jedes Ende, das als solches vom Auditorium nicht wahrgenommen wird und nach einem kurzen Zögern mit einem „Das wars!“ kommentiert werden muss. Die Rede sollte klar strukturiert sein. Deren Grundriss sollte den Zuhörern nicht verborgen bleiben. Die logische Abfolge des Vortrags sollte erläutert werden. Es ist geschickt den Aufriss immer vor die Klammer zu ziehen. Beispiel: „Im Schrifttum wird die These vertreten, dass … Drei Argumente, die für diese Auffassung streiten, möchte ich in diesem Vortrag herausgreifen: 1. … 2. … 3. …“ Lampenfieber und andere „Krankheiten“ Lampenfieber gehört zu einer Rede wie die Flamme zum Licht. Es ist also keine Anomalie, wenn ein Redner ein solches Fieber verspürt. Schwierig wird es erst dann, wenn eintritt, was Marc Twain einmal so köstlich umschrieben hat: „Das menschliche Gehirn ist eine großartige Sache. Es funktioniert vom Augenblick der Geburt bis zu dem Zeitpunkt, wo Du aufstehst, um eine Rede zu halten.“ Der Referent hat zwei „Heilmittel“ gegen die Gefahr eines solchen „Filmrisses“. Zum einen muss er sich durch stetige Einübung5 des freien Sprechens und der richtigen Atemtechnik vor solchen Krankheiten „impfen“. Zum anderen muss er sich auf den Vortrag so gut und intensiv wie möglich vorbereiten. 5 Wie auch sonst im Leben gilt der Satz: „Zum Erfolg gibt es keinen Lift, man muss die Treppe benutzen.“ (Emil Oesch (1894-1974)). 3 Auch der Vortrag „krankt“ bei manchen Rednern, weil Sie keine Persönlichkeit ausstrahlen, immer ernst sind, nie lächeln, immer monoton bleiben, nie Ihr stimmliches Spektrum einsetzen. Mancher Vortrag wird so zu einer Qual für die Zuhörer, die das Ende ähnlich leidend herbeisehnen wie den Schluss eines schlechten Films oder die Verabschiedung bei einem missglückten Rendezvous. Der gute Redner verfügt über Charisma.6 Er versteht es, seinen subtilen Humor als Ohrenöffner einzusetzen. Und er genießt die Sprache, die er spricht. Eine Rede ist keine Schreibe Daher ist zu beherzigen, was Kurt Tucholsky bei seinen „Ratschlägen für einen guten Redner“ an die Spitze seiner Ausführungen stellt: „Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze.“7 Der Vortragende sollte ein klares und verständliches Deutsch sprechen.8 Mehrgliedrige Satzungeheuer mit Parenthesen und Semikola machen selbst gutmütige Zuhörer aggressiv. Monotonie sollte ein Fremdwort sein. Was heißt das für den Juristen konkret? Komplexe Sachverhalte müssen – sofern dies möglich ist – immer anhand von Beispielen und Fällen erläutert werden!9 Abstrakte Lehrbuchweisheiten im Dauerbeschuss töten den Nerv des Zuhörers. Ein guter juristischer Vortrag ist immer beispielgestützt. Er verbindet das Abstrakte mit dem Konkreten. Schlechte Referenten lesen die Seminararbeit ungekürzt vor und verkennen so den Sinn des Vortrags. Eine Rede wird frei gesprochen und das bedeutet entweder ganz auswendig oder unterstützt durch einen Stichwortzettel.10 Die Seminararbeit wird für den Professor geschrieben. Diese muss auch Details und darf auch Quisquilien enthalten. Anders das Referat: Der Vortrag wird auch für die Kommilitonen gehalten. Dieser Empfängerhorizont ist im Auge zu behalten. Konzentration auf das Wesentliche ist angesagt. Schwerpunkte sind zu setzen11, die auch ins Wort gehoben werden dürfen: Beispiel: „Dazu werden im Schrifttum fünf Argumente vorgetragen. Sie lauten: … Lassen Sie mich bei diesem Vortrag den ersten und wichtigsten Gesichtspunkt herausgreifen …“ 6 Wen man sympathisch findet, dem vertraut man eher. Vertrauen schaffen ist auch eine Kernkompetenz eines guten Rechtsanwalts. Charisma kann man freilich nicht lernen wie einen Text oder eine manuelle Fertigkeit. 7 Tucholsky, Gesammelte Werke, Band 8, 1993, S. 290 ff. Erstmals veröffentlicht in der „Vossischen Zeitung“ vom 16.11.1930. 8 Schopenhauer (1788–1860) hat einmal gesagt: „Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.“ 9 Die Kunst der Juristerei besteht darin, die Komplexität zu reduzieren. 10 Dazu Hoeren, JuS Magzin 1/05, S. 8. 11 Von Voltaire stammt der Satz: „Das Geheimnis zu langweilen besteht darin, alles zu sagen.“ 4 Reden heißt anschaulich machen Informationen, die ein Hörer nicht nur akustisch, sondern auch optisch aufnimmt, bleiben besser in Erinnerung. Powerpoint und Tageslichtprojektor gehören daher heute fast schon zum Standardrepertoire eines jeden Referats. Aber ein guter Vortrag ohne diese Hilfsmittel ist besser, als ein schlechtes Referat, das diese Technik einsetzt. Bei jedem Gebrauch von Powerpoint und anderen Hilfsmitteln ist zu bedenken: die Dosis entscheidet darüber, ob etwas als Heilmittel oder als Gift wirkt. Nur der gezielte und dosierte Einsatz von Hilfsmitteln führt zum Erfolg. Dies soll anhand einiger „Todsünden“ jedes Powerpointvortrags erläutert werden: Erster Fehler: Der Redner benützt zu viele Folien. Der Text ist oft ausformuliert und zu klein geschrieben. Zweiter Fehler: Der Redner liest diesen Text ab. Die Folien dienen mehr dem Referenten als dem Publikum. Dritter Fehler: Der Redner „klickt“ bei der Präsentation so schnell weiter, dass die Leser den Text nicht mehr mitverfolgen können. Vierter Fehler: Der Redner ist von seiner Powerpointpräsentation oder seiner Folie so begeistert, dass er nur noch in deren Richtung spricht und dem Auditorium den Rücken kehrt. Hör bald auf! Eine gute Rede ist eine kurze Rede. Von Marc Twains Feder floss das geflügelte Wort: „Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende und beide sollten möglichst dicht beieinander liegen.“ Und Martin Luther hat einmal gesagt: „Tritt fest auf, machs Maul auf, hör bald auf!“ „Hör bald auf!“ - das soll das Signal für den Schluss dieses Beitrags sein, der sich als eine Einführung in die Spielregeln der Rhetorik für Juristen versteht. Die Ausführung liegt nun bei Ihnen!
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