19.2.2021 Maria und Marta: Was gerade dran ist … Predigt im Rahmen der Predigtreihe: Geschwister in der Bibel zu Lk 10, 38-42, von Pfr. Eckhard Schlatter Ich verdanke Anregungen zu dieser Predigt von einer Predigt von Michael Thein, Evang.-Luth. Pfarramt Auferstehungskirche, Bayreuth und von Matthias Maier, Steinheim. Lk 10, 38-42 Luther Übersetzung: 38. A1s sie aber weiterzogen, kam Jesus in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41. Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden Liebe Gemeinde, in unserem Sprachgebrauch haben wir Namen entwickelt, die bestimmte Menschentypen bezeichnen: Lieschen Müller, die biedere Hausfrau; Hans-guck-in-die Luft, ein Träumer; Hans Dampf in allen Gassen, ein Macher, oder auch Otto Normalverbraucher, der ohne Ecken und Kanten ist, ohne besondere Ansprüche. Und wer biblisch geprägt ist, verbindet mit den Namen biblischer Personen auch bestimmte Eigenschaften: Eva oder Batseba, Abraham oder Saulus, Thomas oder Judas. Biblische Namen stehen deshalb oft auch für einen ganz bestimmten Menschentypus. Und genauso verhält es sich mit den beiden Namen, die die weiblichen Hauptpersonen unserer heutigen Erzählung sind: Marta und Maria – die beiden unterschiedlichen Schwestern. Marta und Maria über die ich im Rahmen unserer diesjährigen Predigtreihe „Geschwister in der Bibel“ heute mit ihnen nachdenken darf: Marta und Maria. Beide sind in der christlichen Tradition zu Symbolen für zwei mögliche Haltungen dem Leben gegenüber geworden Zunächst zur Klärung um welche Maria es hier geht: Es gibt ja verschiedene Marias bzw. Marien in der Bibel. ° Zunächst Maria, die Mutter von Jesus, ° dann die Maria aus Magdala, ° und dann eben auch die Maria aus Bethanien, die Schwester von Martha und Lazarus. Und um eben diese Maria geht es heute. Die Geschichte der beiden Schwestern Maria und Marta aus Bethanien – und ihrer unterschiedlichen Verhaltensweisen beim Besuch Jesu. Die eine, Marta, hat einen Namen, der zugleich auch Programm ist: „Marta“ hat in etwa die Bedeutung von: die Hausmutter, die Vorsteherin des Hauses“, die „Hausfrau“. Sie tut das, was nach dem damaligen Gastrecht im Orient bei einem angekündigten oder unvorhergesehenen Besuch verlangt war, denn das Gastrecht war und ist bis heute dort ein hohes Gut: und wird auch noch heute von einer guten Hausfrau erwartet. Sie versorgt ihren Besuch mit dem zum Leben nötigen: Diakonia steht hier im griechischen Urtext, diese ganz praktische, dienende und fürsorgende Liebe, die Jesus ja auch fordert. Und Jesus, der Lehrer und Rabbi, der mit seinen Anhängern durch die Dörfer zog, war ja auch durchaus auf diese Versorgung und Unterbringung angewiesen: Und sicher galt auch für ihn, was zu Beginn des Kapitels von der Aussendung der Jünger zu lesen ist: „Die Füchse haben Gruben, die Vögel haben Nester. Doch der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ (Lk 9,58) „Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht: Friede sei diesem Hause! In demselben Haus aber bleibt, esst und trinkt, was man euch vorsetzt.“ (Lk 10,4-8). So war also auch Jesus, der Rabbi und Lehrer auf Wanderschaft, ebenso wie seine Anhänger darauf angewiesen, dass Menschen ihnen Herberge und Verpflegung gewährten – und ebendies tat Marta wie selbstverständlich und sehr gewissenhaft: und gerade darin wurde sie in der Tradition oft zum Prototyp der fleißigen und zuverlässigen schwäbischen Hausfrau stilisiert. Das alles wird in der Erzählung nicht problematisiert – ja, es ist geradezu vorbildhaft, wie gastfreundlich Marta sich hier verhält. Deshalb schwingt zunächst kein Tadel, sondern vielmehr auch Anerkennung in den Worten Jesu mit: „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.“ Jesus schaut also auch anerkennend, vielleicht sogar seelsorgerlich auf Marta an ihm tut und erkennt ihr Tun an. Und nahezu beiläufig wird erzählt, wie Maria, die Schwester Martas, zu Jesu Füßen sitzt und Jesus zuhört: Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Vielleicht hätte die Geschichte so neutral enden können: die eine der Schwestern hört Jesus zu, die andere versorgt und bewirtet ihn – zwei Möglichkeiten, auf den Besuch Jesu zu reagieren. Aber es ist eben Marta, die Jesus zu einer Stellungnahme und Wertung provoziert, dass er die ihrer Meinung nach untätige Maria doch maßregeln solle: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sie beklagt sich öffentlich über ihre Schwester, die ihr bei der Arbeit zusieht, und will Jesus für sich und ihr Verhalten einnehmen. ° Vielleicht liegt darin ein Anzeichen eines klassischen Geschwisterkonflikts: der eine muss sich seine Anerkennung mühsam erarbeiten, und der andere ist nur da und hört zu, und wird wahrgenommen und wertgeschätzt. ° der eine rackert sich ein Leben lang ab durch zuverlässige und kontinuierliche Leistung um sich die Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern zu verdienen: Und der andere ist einfach nur da, tut keinen Handschlag, sitzt nur hin und hört nett zu, und bekommt die Aufmerksamkeit, die er braucht. Doch die Erzählung gibt keine Antwort darauf, kein Hinweis, dass Jesus die Maria lieber gehabt hätte als die Marta – nein, das Spannende meiner Meinung nach ist der Umstand, dass Jesus sich gerade nicht zu einer Wertung hinreisen lässt. Seine Antwort ist eben keine Bevorzugung der Maria gegenüber der Marta, sondern die Feststellung, dass Maria eine Entscheidung getroffen hat, die auch Marta so hätte treffen können. Nämlich für das gute Teil, das gerade dran ist: Maria hat das gute Teil gewählt, und das soll ihr nicht weggenommen werden“. Jesus verurteilt nicht die Marta, sondern er verteidigt die Maria. Und so lag die Tradition daneben, die Marta und Maria zu zwei unterschiedlichen Prototypen stilisierte, im Sinne von: ° Marta, die derbe Schafferin mit dem Sinn allein für das Grobe; ° und Maria, die zartfühlende und Feinsinnige, die Schöngeistige mit dem Sinn für das Schöne und Gute. Ebenso wenig dürfen wir die christliche Tugenden auseinanderdividieren im Sinne von: „die dienende Liebe und Erfüllung der Gastgeberpflicht sei das zweitrangige“ – „und das Hören auf die Worte Jesu und das kontemplative Leben als das erstrangige“. In der Übersetzung der Guten Nachricht wird dieses Missverständnis sogar noch verschlimmert, wo es heißt: „Maria hat „das bessere Teil“ erwählt. Im Griechischen heißt es: tän agathän – Maria hat das gute Teil erwählt. Noch einmal: Jesus tadelt nicht die tätige Marta, sondern er verteidigt die hörende Maria. Und so bleibt die Frage: Was ist es, das Jesus hier als „das Gute“ bezeichnet? Ich denke, das Gute ist das, was gerade wichtig ist. Was die Situation erfordert. Was gerade dran ist. Und so ist es vielleicht die Besonderheit der Situation, die erklärt, warum gerade zu diesem Zeitpunkt gut und wichtig ist, was Maria tut: Gut und richtig ist, sich gerade jetzt in diesem besonderen Augenblick Zeit für Jesus und seine Worte zu nehmen Denn Jesus ist ja nicht auf irgendeinem Weg, sondern ist er ist auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem, in das bevorstehende Leiden und Sterben. Ein Kapitel weiter vorne im Lukasevangelium steht : „Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, da wandte Jesus sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern.“ (Lk 9,51) Und Angesichts dieses besonderen Zeitpunkts ist es schön und gut, Jesus und seine Weggefährten zu bewirten, aber angesichts der vielleicht letztmöglichen Begegnung mit ihm, der vielleicht letzten Möglichkeit, zu seinen Füßen zu sitzen und ihm zuzuhören, ist letzteres genau das Richtige. Das „gute Teil“, das Maria erwählt hat, ist das, was in dieser Situation und diesem Moment gerade dran ist. Ich möchte es pointiert so formulieren: Die Besonderheit des Momentes und der Situation entscheidet darüber, was gerade das Richtige ist. Was gerade dran ist: Wenn eine Begegnung die letzte ist So will uns diese Erzählung auch den Blick dafür schärfen, was in unserem Glauben gerade dran ist. Hüten wir uns also davor, das eine gegen das andere auszuspielen: das tätige Zupacken, die tätige Liebe: diakonein aus dem Glauben heraus, gegen das stille und konzentrierte Hinhören auf Gott. Beides ist im Glauben nötig und das eine kann nicht ohne das andere sein. Doch es kommt in unserem Leben darauf an, was in einer ganz bestimmten Situation gerade dran ist. Das hat Maria offenbar begriffen. Es gibt im Leben, es gibt bei der Begegnung mit Gott Gelegenheiten, die man beim Schopf packen muss, weil sie nicht wiederkehren. Jesus ist auf dem Weg ins Leiden. Den Weg, den er jetzt geht, wird er kein zweites Mal gehen. Jede Begegnung mit ihm ist letzte Begegnung, jede Begegnung ist auch schon Abschied. Jedes Wort ist vielleicht ein letztes Wort. Was jetzt versäumt wird, kann man nicht wieder zurückholen. Maria und Marta – und wo ist mein Platz in dieser Geschichte? Liebe Gemeinde, sie merken also, dass ich ganz bewusst nicht in die klassische Typologie: Marta, die Frau für`s Grobe, Maria, die Frau für`s Feinsinnige und Schöngeistige verfallen will. Denn in jedem Menschen, in jeder Persönlichkeit, sind ja auch beide Seiten der beschriebenen Verhaltensweisen veranlagt: ° es gibt keinen Menschen, der nur praktisch veranlagt oder grob gestrickt ist, dass ihm der Sinn für das Geistliche und Feinsinnige fehlen würde. ° und es gibt keinen Menschen, der allein in der passiven Haltung des hörenden bleiben könnte und wollte. Und damit sind wir schon mitten im Nachdenken darüber, wo wir in dieser Geschichte von Maria und Marta unseren Platz haben könnten. Wir alle, denn es gibt auch männliche Martas und Marias. Geschichten laden ein, sich hineinzuversetzen. Geschichten laden ein, wie man mit einem Fremdwort sagt, sich mit den Personen zu identifizieren. Und so wird dem einen die Maria näher, und dem anderen die Marta sympathischer sein. So wird einer eher das Verhalten der Maria verstehen können und der andere das der Marta. Und gestatten sie mir, dass ich jetzt eben doch ein wenig schablonenhaft skizziere: So verhalten sich die einen von uns mehr wie Marta: Sie wissen etwas mit ihren Händen anzufangen. Sie sind aktiv. Sie sehen die Arbeit, was es auch sei. Sie packen gerne zu und denken nicht erst lange nach. Und die anderen verhalten sich mehr wie Maria: Sie hören gerne zu, ziehen sich vielleicht auch gerne zurück, können auch mal eine Arbeit liegenlassen – weil sie das, was da gelehrt wird mehr interessiert. Schauen wir auf die Gaben und Begabungen in unserer Kirchengemeinde: Die einen sind die vielleicht Aktiven, die, die gerne zupacken und mit anpacken. Sie tun es gerne. Und sie jammern nicht über ihre Arbeit. Und die anderen sehen ihren Platz im Verborgenen. Vielleicht im Zuhören, im Mittragen im Gebet, im Hören in den Gottesdiensten. Wenn Jesus nicht die tätige Marta tadelt, sondern die hörende Maria verteidigt, dann schließe ich daraus: beides hat seinen Platz und seine Berechtigung. Aber stopfen wir Menschen und uns selbst nicht in Schubladen, sondern behalten wir den Blick offen für das, was gerade dran ist. Lernen wir von der Erzählung von Marta und Maria, worauf es vielleicht gerade in unserem Leben ankommt. Bleiben wir immer dran an der Frage und im Gebet: Herr, was ist gerade dran in meinem Leben? In meinem Glauben. In unserer Gemeinde. Herr, was willst Du, dass ich tun soll? Was ist gerade zu diesem Zeitpunkt richtig und wichtig? Maria und Marta in uns selbst Was könnten wir daraus lernen, wenn wir uns heimlich in Maria oder Marta wiederentdecken? So wie beide an ihnen aufgezeigten Verhaltensweisen, ihre Stärken haben so stehen sie manchmal in der Gefahr, einseitig zu werden: Nur aktiv sein, ohne sich Zeit für Gottes Wort zu nehmen. Oder nur auf Gottes Wort hören, ihn Anbeten, ohne dass es zur konkreten Tat wird? Das eine kann nicht ohne das andere sein: Denn ur aus dem Hören auf Jesu Wort heraus bekommt unser Glaube und unser Tun seine Tiefe und Ausrichtung. Nur aus dem Hören auf Jesu Wort bekommen wir den Blick dafür, worauf es gerade ankommt: Einmal muss und soll ich mit anpacken, ohne lange nachzudenken und hin und her abzuwägen. Das andere Mal muss ich wieder alles stehen und liegen lassen und still sein und hören, um meinetwillen und um Gottes willen. So will uns die Erzählung von Marta und Maria auf keinen Fall in Schubladen stopfen, sondern sie will uns Mut machen, uns zu verändern. Den Blick für`s Wesentliche im Leben zu behalten und daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Es gibt sie nicht, die Frauen, die nur putzen und schuften und kochen mögen. Und wenn jemand vielleicht die Schwerpunkte in seinem Leben einseitig oder falsch gewählt hat, soll er oder sie nicht auch die Chance bekommen, sich zu ändern? Gibt es die Männer, die immer nur arbeiten wollen, die ihren Beruf und Erfolg immer über alles stellen, wirklich? Oder schlummert da in ihrem Herzen und ihrer Seele nicht ein Wunsch nach einem erfüllten Leben? Ich denke jeder Mensch kommt früher oder später in seinem Leben an den Punkt, wo er bereit sein muss, etwas zu verändern. Wieder neu auf Gottes Wort zu hören, und daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Und nun zum Schluss noch eine Überraschung: Es gibt im Neuen Testament noch eine andere Stelle von Marta nämlich im 11. Kapitel des Johannesevangeliums bei der Jesus den gestorbenen Bruder von Maria und Marta, den Lazarus, von den Toten auferweckt. Da spricht nicht Maria, sondern da spricht Marta zu Jesus: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist“. Marta hat es begriffen. Marta hat es für sich erkannt. Und sie zeigt mit diesem Bekenntnis, dass sie Gottes Reich in ihrem eigenen Leben durchaus erfahren hat, dass ihre Seele sehr wohl offen und empfänglich ist für die göttliche Lebenskraft. Die Marta-Seele hat auch ihre Sehnsucht, und ihren Wunsch nach Erkenntnis über alle rein praktischen Tätigkeiten hinaus: die Sehnsucht nach dem, was auch Maria einfach tut. Sich hinsetzen. Zuhören. Die Sehnsucht nach Glauben. Die Sehnsucht nach Sinn. Auf ein Leben –im Hören auf Gottes Wort. Amen.
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