Eine wirklich schöne Bescherung - LabourNet Germany

Winfried Wolf // StrikeBlog13 // 21. Dezember 2014
Eine wirklich schöne Bescherung
Oder: Der GDL-Erfolg in der Zwischenetappe zeigt, dass sich ein offensiv
geführter Kampf lohnt
Im Arbeitskampf bei der Bahn hat die GDL am 17. Dezember einen wichtigen Teilerfolg –
man kann es auch als einen ersten Durchbruch bezeichnen – erzielt. Da dies so ist, erstaunt
es wenig, dass die bürgerlichen Medien darüber höchst verhalten, eher verfälschend oder
auch schlicht nicht – berichten. Es verwundert allerdings, dass auch Linke das kaum zur
Kenntnis nehmen. Bitte HIER weiterlesen.
Die Berichterstattung zu den Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft GDL und der
Deutschen Bahn AG vom 17. Dezember nennt in der Regel zwei Ergebnisse: die (recht
beträchtliche) Einmalzahlung von 510 Euro für alle Beschäftigten des Fahrpersonals und die
Vereinbarung, dass es bis Ende Januar 2015 keine neuen Streiks, sondern stattdessen zwei
neue Verhandlungsrunden geben werde. Das Neue, das sich in den jüngsten Verhandlungen
zwischen Deutscher Bahn AG und GDL ergab, wurde in diesen Berichten jedoch teilweise
bewusst übersehen, teilweise bewusst falsch dargestellt und teilweise gezielt verschwurbelt
hingenuschelt.
BEWUSST ÜBERSEHEN: Die EVG tut so, als habe sich gar nichts geändert. „Der Grundkonflikt
besteht weiter“, so der EVG-Sprecher Uwe Reitz. Im übrigen, sei „eine Einmalzahlung in der
vorliegenden Form nicht ausreichend“. Bei dieser müssten auch der Dienstleistungsbereich
und Nachwuchskräfte, Azubis, einbezogen werden. So eine karge Mitteilung auf der EVGWebsite. Gegen Letzteres wird niemand etwas haben – am wenigsten die GDL. Das mit dem
Grundkonflikt ist grundfalsch.
BEWUSST FALSCH DARGESTELLT: In der Tageszeitung/taz schrieb Pascal Beucker am 19.12.:
„Nicht anerkannt hat sie [die Bahn], mit der Lokführergewerkschaft eigenständige
Tarifverträge abzuschließen, die von denen der konkurrierenden Eisenbahn- und
Verkehrsgewerkschaft (EVG) abweichen. Die Bahn hat also keineswegs die Tarifeinheit
aufgegeben.“ Drei Möglichkeiten: (A) Der Mann ist faul (B) Er kann nicht lesen (C) Er will das
nicht lesen, was nicht in seine Denke passt.
GEZIELT HINGENUSCHELT: In der Süddeutschen Zeitung fand sich am 18.12. auf Seite 1 ein
ziemlich kurzer Einspalter, bei dem am Ende auf Seite 6 verwiesen wurde. Dort fand sich ein
ziemlich mittelkurzer Einspalter. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden kurzen
Meldungen bestand darin, dass auf den jeweiligen Seiten die eine rechts oben und die
andere rechts unten versteckt wurde. Man erfährt, dass Weselsky von „Durchbruch“ spricht,
die DB AG jedoch nur von „wichtigen Zwischenergebnissen“. Der geneigte Leser winkt müde
ab und denkt: Da steht mal wieder Aussage gegen Aussage. Zur entscheidenden Frage bei
diesem Arbeitskampf formuliert die Autorin mit Kürzel DKU, also Daniela Kuhr: „Bislang
dreht sich der Streit […] hauptsächlich darum, für welche Berufsgruppen die GDL künftig
Tarifverträge abschließt. Die Lokführergewerkschaft will auch für Zugbegleiter und anderes
Personal verhandeln, das bislang von der konkurrierenden Eisenbahn- und
Verkehrsgewerkschaft vertreten wird. Die Bahn hat sich dazu bereit erklärt. Allerdings will
sie verhindern, dass am Ende für eine Berufsgruppe zwei verschiedene Tarifverträge gelten.“
Hinter den sieben Worten in dieser Meldung „Die Bahn hat sich dazu bereit erklärt“, die sich
im Gesamtkontext nicht hervorheben, verbirgt sich die eigentliche Wende. Wobei das „…
hat sich bereit erklärt“, dann doch eine massive Untertreibung ist.1
Tatsächlich hat die Deutsche Bahn AG am 17. Dezember eine 5-Punkte-Erklärung
unterschrieben, in der sie sich zum Folgenden verpflichtet: Die Tarifeinheit als
Vorbedingung wird aufgegeben. Sie hat dabei in der entscheidenden Frage, um die es seit
Sommer 2014 geht, die GDL-Forderung anerkannt und ihren monatelangen Widerstand
gegen diese Forderung aufgegeben.
Die GDL verhandelt ab sofort für das gesamte Fahrpersonal. Und sie kann für dieses
Tarifverträge abschließen. Formal für alle GDL-Mitglieder bei diesen Berufsgruppen. Oder
für alle Beschäftigte in diesen Berufsgruppen, die sagen, sie wollten nach einem
entsprechenden GDL-Tarifvertrag entlohnt werden. Punkt.
All das wurde schriftlich in der erwähnten 5-Punkte-Erklärung, unterschrieben von Werner
Bayreuther für den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und
Verkehrsdienstleister e.V., den Agv MoVE (der von der Deutschen Bahn dominiert und der
der offizielle Tarifpartner der GDL ist) festgehalten. In diesem Papier heißt es gleich zur
Eröffnung, gewissermaßen um jedes Missverständnis auszuschließen: „Der Agv MoVE
erkennt das Recht der GDL an, Tarifverträge für alle im Forderungsschreiben vom 23. Juni
2014 aufgeführten Arbeitnehmergruppen zu fordern und abzuschließen.“ Gemeint ist damit:
Tarifverträge für das gesamte Zugpersonal, außer für die Streckenlokführer, auch für die
Rangierlokführer, auch für die Zugbegleiter, auch für die Bordgastronomen, und auch für die
Instruktoren/Trainer und die Disponenten. Eben für alle Gruppen, die in dem GDL-Schreiben
1
Es wäre sinnvoll genauer zu überprüfen, wer welche Artikel in welchem Blatt oder Medium und mit welchem
Tenor verfasst bzw. vorträgt und ob es insbesondere im Fall des GDL-Arbeitskampfs Gründe für eine
ausgesprochene Tendenz-Berichterstattung gibt. So fällt auf, dass die Journalistin Daniela Kuhr inzwischen
systematisch parteiisch pro Deutsche Bahn AG schreibt und sich fast sklavisch an den Positionen von Herrn
Grube orientiert. In Nr. 1 der Streikzeitung wurde über einen Artikel in der SZ vom 24.10., berichtet, in dem
diese SZ-Journalistin aus einem Brief eines anonymen Lokführers, gerichtet an Weselksy, der noch nicht einmal
abgeschickt wurde, zitierte, um dann auf dieser Basis Stimmung gegen die GDL zu machen. Einige Tage zuvor,
am 19.10., konnte man in einem Beitrag von Frau Kuhr die folgende Passage lesen, die sich wie ein Credo für
jede weitere Berichterstattung dieser Premium-Journalistin zu diesem Thema liest: „Es geht bei diesem Streik
[…] nicht um Verbesserungen für die Lokführer, sondern um die Macht eines Einzelnen, die des
Gewerkschaftschefs Weselsky. Sein größter Trumpf scheint zu sein, dass die Lokomotivführer das noch nicht
gemerkt haben.“ Solche Äußerungen und Positionen sind eigentlich typisch für Boulevard-Kampf-Blätter oder
für Leute, die für eine derartige Tendenzberichterstattung ein gesondertes Salär von demjenigen erhalten, zu
dessen Gunsten sie die Wahrheit zurechtbiegen.
vom 23. Juli 2014 genannt sind und bei denen es – mit Ausnahme der
Streckenlokomotivführer – immer hieß, die seien ausschließlich im Kirchner-Beritt.
Weiter heißt es dort gleich als Punkt 2: „Der Agv MoVE ist bereit, ohne Vorbedingungen
Verhandlungen über Tarifverträge für diese Arbeitnehmergruppen zu führen.“
Im letzten Punkt dieser „Klarstellung der Verhandlungsposition“ wird der Zusammenhang
zum legitimen Ziel der Arbeitgeber und der legitimen Forderung der GDL, dieses Ziel zwar
anzuerkennen, es aber nicht als Vorbedingung zu akzeptieren, wie folgt festgehalten: „Der
Agv MoVE hat das legitime Interesse, Tarifverhandlungen so zu führen, dass konkurrierende
Tarifabschlüsse vermieden werden. Damit verbindet er jedoch keine Vorbedingung oder
inhaltliche Beschränkung hinsichtlich der materiellen Bedingungen und schafft auch keine
Abhängigkeit vom Verlauf anderer Tarifverhandlungen.“ 2
Das kann man tatsächlich als einen „Durchbruch“ bezeichnen. Die Deutsche Bahn AG hat
unzweideutig anerkannt, dass die GDL für das gesamte Fahrpersonal verhandeln und einen
Tarifvertrag abschließen kann – und dass es dafür keine Vorbedingung mehr gibt. Genau
gesagt: Die GDL kann für alle GDL-Mitglieder in diesen Bereichen verhandeln und
abschließen.
So nebenbei gestand damit die Deutsche Bahn AG ein und zu, dass die GDL sich weg bewegt
von einer Gewerkschaft, die nur die Interessen einer sehr spezifischen Berufsgruppe, die der
Lokführer, vertritt. Es handelt sich hier um eine Entwicklung, die man ja gerade in der
traditionellen Gewerkschaftsbewegung, im DGB, hocherfreut begrüßen müsste. Doch hier
gibt es die höchst widersprüchliche Kritik an der GDL. Entweder heißt es: Die GDL kämpfe
„nur“ für Lokführer, sie sei damit eine „ständische Gewerkschaft“ oder „ArbeitnehmerLobby“; da betreibe eine „Funktions-Elite“ „Rosinenpickerei“. Kämpft diese GDL auch für die
Zugbegleiter und für die Bordgastronomen, also auch für die Schwächsten unter den
Bahnbeschäftigten, dann heißt es, sie wildere in Bereichen, die ihr nicht zuständen. Wobei
die Tatsache, dass die Fahrpersonal-Beschäftigten oft mit den Füßen abstimmen und sich
zunehmend der GDL zuwenden, großzügig ignoriert wird.
Bleibt die Frage: Lagen wir falsch mit der u.a. in STREIKZEITUNG Nr. 3 geäußerten
Auffassung, dass die Deutsche Bahn AG am 21. November ein provokatives Angebot vorlegte
und dass fast alles für einen neuen Arbeitskampf vor Weihnachten oder für einen solchen
direkt nach dem 12. Januar sprach?
Ich glaube nicht. Es gab damals sehr gute Gründe, diese Situation so einzuschätzen. Bis zu
diesem Zeitpunkt hatten sich die DB AG und insbesondere die Bundesregierung Hoffnungen
gemacht, dass die GDL isoliert sei – in der Gesellschaft – oder isolieren werden könnte im
eigenen Verband, im Deutschen Beamtenverband dbb.
2
Der Wortlaut der Vereinbarung findet sich im LabourNet Germany unter
http://www.labournet.de/wpcontent/uploads/2014/12/move_adgdl.pdf. Alle Hervorhebungen vom
StrikeBlog-Autor W.W.
Die veränderte Haltung der Bundesregierung und damit diejenige der Bahn-Spitze dürften
durch zwei Aspekte herbeigeführt worden sein. Zum einen erwies sich, dass die GDL in der
Bevölkerung nicht isoliert ist. Dazu trugen die kluge Dosierung der Streiks und die
Zurückhaltung bei neuen Streikandrohungen bei. Einen kleinen Betrag in diese Richtung
leistete auch diese STREIKZEITUNG, mit der aufgezeigt wurde, dass es in den DGBGewerkschaften eine breite Solidarität mit dem GDL-Arbeitskampf gibt.
Sodann stellte sich heraus, dass die GDL von ihrem Dachverband voll gestützt wird. Wenige
Tage vor der jüngsten Verhandlungsrunde DB AG / GDL erschien in der Süddeutschen Zeitung
ein Interview mit Willi Russ, dem Zweiten Vorsitzenden des dbb, in dem dieser sagte: „Die
Ruhe ist trügerisch. […] Der DBB ist aber hochbesorgt, dass die Stimmung Anfang Januar
brutal umkippen wird. Im Vergleich zu dem, was uns dann bei der Bahn bevorstehen wird,
war alles Bisherige Kinderkram.“ Russ stellte im Folgenden den Arbeitskampf der GDL in den
Zusammenhang des Kampfes gegen das Tarifeinheitsgesetz. Er deutete sogar daraufhin, dass
der Streik auch einen politischen Charakter hat, auch wenn hierzulande ein politischer Streik
als juristische Folge des Druckerstreiks im Jahr 1952 verboten ist. Die entsprechende Passage
lautet: „Frage SZ: Werden Sie eigentlich gegen die Bahn streiken oder gegen den
Gesetzgeber?“ Antwort Russ: „Natürlich gegen die Bahn. Wir werden doch nicht zu einem
politischen Streik aufrufen. Aber ob die Bahn überhaupt Herrin über ihre eigene Position ist,
das müssen Sie mal den Bundesverkehrsminister fragen.“ Die letzte Frage von Detlef
Esslinger in diesem SZ-Interview zielte darauf ab, dass die Streikkasse des DBB einen
wochenlangen GDL-Streik nicht finanzieren könne. Antwort Russ: „Am Geld, das sag ich
Ihnen ganz klar, wird dieser Streik nicht scheitern. Es geht hier um eine existenzielle Frage.
Das schweißt alle Gewerkschaften im Beamtenbund zusammen. Da wackelt keiner einen
Millimeter.“
Und ziemlich genau nachdem dies im Bahntower und im Kanzleramt zur Kenntnis
genommen wurde, wackelte die Position der DB AG, sprich diejenige der Bundesregierung.
Und zwar um mehr als einen Millimeter.
Es bleibt festzuhalten: Der Kampf hat sich bisher gelohnt – das Einknicken des
Arbeitgebers Deutsche Bahn AG ist eine wirklich schöne Bescherung in diesen Tagen.
Wir gratulieren der GDL.
Ende Januar 2015 könnte es durchaus wieder spannend werden.
Wir werden diesen Arbeitskampf dann weiter kritisch und solidarisch begleiten. Zumal es
jetzt um das Inhaltliche, nicht zuletzt zum ersten Mal seit eineinhalb Jahrzehnten um einen
Kampf für Arbeitszeitverkürzung geht.
Winfried Wolf / verantwortlicher Redakteur STREIKZEITUNG // StrikeBlog13 // 21. Dezember 2014