«Ich wollte zu mir selber stehen» KIRCHE Michael G. ist Seelsorger, er liebt seinen Beruf von Herzen. Was in seinem erzkatholischen Wirkungsgebiet allerdings keiner weiss: Er führt ein Doppelleben. ANDREAS FAESSLER [email protected] Alle paar Meter wird er freundlich gegrüsst, wenn Michael G.* durch die Strassen geht, man nickt, winkt ihm zu. Der 39-jährige Diakon wird in der erzkatholisch geprägten Stadt als engagierter Seelsorger geschätzt, der sich aufopfernd um die Anliegen der Menschen kümmert. Er ist ein sympathischer, weltoffener Mensch mit viel Humor und einem einnehmenden Lächeln. Eines aber weiss niemand über ihn: Der Geistliche ist homosexuell. Er hält dies geheim, erst recht, da sein Wirkungsgebiet hauptsächlich in kleinen, besonders konservativen katholischen Landgemeinden ausserhalb der Stadt liegt. «Viele hätten ein Problem damit» Seine Neigung hatte schon immer in ihm geschlummert, aber so richtig wahrgenommen und sich auch eingestanden hatte er es erst im vergangenen Jahr nach einer besonderen Begegnung, über die er sich zum Zeitpunkt lieber ausschweigt. «Ich wollte von da an zu mir selber stehen», sagt G. «Denn für seine gottgegebene Person kann niemand was. Und dazu gehört auch die sexuelle Orientierung», ist er überzeugt. Der Diakon hat sich entschieden, seine Sexualität zu leben – mit der nötigen Diskretion. Sich irgendwann zu outen, zieht er nicht in Erwägung; weder bei der Bevölkerung noch innerhalb der Kirche. Warum? «In dieser erzkatholischen Region denken die Leute mehrheitlich sehr konservativ. Für viele würde es ein Problem darstellen, wenn sie wüssten, dass der für sie zuständige Seelsorger homosexuell ist. Sie sind da vorurteilsbehaftet», weiss Michael G. aus Erfahrung, die er im Rahmen seiner Tätigkeit mit Menschen gemacht hat. Und diese Gesinnung prangert er an: «Solche Vorurteile sind wie ein Fingerzeig auf andere Menschen. Und wer mit dem Finger auf andere zeigt, handelt wie jene Pharisäer, welche die Ehebrecherin steinigen wollten.» Michael G. wünscht sich, dass die Steine niedergelegt und Brücken gebaut würden. Er hält aber fest, dass sein «Versteckspiel» für ihn bislang keine Belastung darstelle. Wichtig sei ihm einzig, dass er mit sich Diakon Michael G. sieht eine Veranlagung als gottgegeben. Symbolbild Stefan Kaiser Vorbehalte, ohne Vorurteile und mit unendlicher Wertschätzung. Nur so könnten dereinst auch die vielen homosexuellen Kleriker zu ihrer Veranlagung stehen, ohne ein angsterfülltes Verstecken spielen zu müssen. Eine Distanzierung von der Kirche kommt für Michael G. nicht in Frage. «Ich liebe meinen Beruf», sagt er. «Mit meiner Weihe zum Diakon ist in mir etwas Grossartiges geschehen. Es war eine ungeheure Stärkung, die bis heute anhält.» Einem Diakon ist es freigestellt, ob er zölibatär leben will oder nicht. Der 39-Jährige hat sich für das Zölibat entschieden – «im Sinne der Ehelosigkeit», präzisiert er. Er schliesst aber nicht aus, eines Tages seine grosse Liebe zu treffen. «Dann würde ich einen Weg suchen, es mit meinem Beruf zu vereinbaren.» Seine Aufgabe erfüllt Michael G. mit grösster Freude. Als Seelsorger könne er vor allem junge Menschen, die sein «Los» teilen, tatkräftig unterstützen, wie er sagt. Vor seinem Amt als Diakon war Michael G. mehrere Jahre als pädagogischer Mitarbeiter in einem Jugendheim tätig. Mehrere Jugendliche haben sich ihm anvertraut und über ihre Homosexualität gesprochen, auch über die Probleme, die ihre gläubigen Eltern damit hätten. «Ich mache diesen Jugendlichen Mut, zu sich und zu ihrer Sexualität zu stehen. Sie sollen wissen, dass mit ihnen alles in Ordnung ist.» Franziskus als Hoffnungsträger selbst im Reinen ist. «Denn wie sagt Jesus? Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und das geht nur, wenn man sich so akzeptiert, wie man ist.» Die Regeln der «Firmenleitung» Für Michael G. ist klar: Die Homosexualität ist genauso wie die Heterosexualität Teil der Schöpfung. Das ändern für ihn auch die wenigen Bibelstellen nicht, die sie zur Sünde machen wollen. «Als aufgeschlossener und vernünftig denkender Mensch sollte man begreifen, dass die Sexualität etwas Natürliches ist, ob hetero oder homo», sagt Michael G. mit Nachdruck. «Und alles Natürliche ist vom Herrgott gewollt.» Also versündigt sich der Geistliche nicht, wenn er seine Homosexualität lebt? «Nein», antwortet er bestimmt. «Sünde besteht einzig in der bewussten Abwendung von Gott.» Dass die römisch-katholische Kirche sich mit Sexualität – vor allem unter ihren Würdenträgern – allgemein sehr schwertut, ist wohl bekannt. Und wenn es um gleichgeschlechtliche Liebe geht, dann bezieht die Kirche erst recht klar Stellung: Homosexualität ist unmoralisch, schwer sündhaft und ein «Verstoss gegen das Gesetz Gottes», sagt sie. Erst vor wenigen Tagen wurde uns diese Haltung wieder deutlich vor Augen geführt: Der Pfarrer von Bürglen UR soll seinen Posten räumen, weil er einem sich liebenden lesbischen Pärchen den Segen erteilt hat. Das führt unweigerlich zur Gretchenfrage: Wie kann Michael G. seine sexuelle Orientierung mit den Regeln seiner Arbeitgeberin, der Kirche, vereinbaren? Er sagt, dass seine Neigung und sein Amt aus seiner Sicht in keinerlei Widerspruch stünden. «Ja, als Institution ist meine Arbeitgeberin im Grunde gegen mich. Aber sie selbst ist es, die diese Regeln gemacht hat. Und mit denen ist meine Veranlagung tatsächlich nicht konform», führt der 39-Jährige aus. «Die Philosophie des ‹Ideenstifters› der Kirche hingegen, unseres Herrn Jesus Christus, kennt weder Vorurteile noch Unterdrückung! Somit kann ich meine Veranlagung mit dem eigentlichen, wahren Credo der Kirche absolut vereinbaren.» Michael G. veranschaulicht es mit einer Firma, deren Geschäftsleitung Vorschriften erlässt, die nicht im Sinne des Firmengründers sind. Deshalb wünscht er sich von der Kirche, dass sie sich auf ihre eigentliche Aufgabe zurückbesinnt: für den Menschen da zu sein, ohne Grosse Hoffnung steckt Michael G. in Papst Franziskus. Obschon der Heilige Vater neuerlich wieder konservativere Töne als zuvor angeschlagen hat bezüglich Familie, Ehe und Sexualität, erkennt Michael G. dennoch einen deutlichen Impuls aus Rom. Allem voran in Franziskus’ verheissungsvoller Aussage: «Wenn eine Person homosexuell ist und Gott sucht – wer bin ich, um über sie zu richten?» Diese Botschaft sei ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. «Die Geistlichen dieser Welt müssen das auffassen», findet der Diakon. «Unser Papst könnte eine Änderung einläuten – wenn die Menschen bereit sind, auf ihn zu hören. Mit seiner Aussage spricht er mir als Diakon aus dem Herzen. Ich will dazu beitragen, seine Impulse umzusetzen», sagt Michael G. und sieht sich in seiner Mission gestärkt, weil unter anderen auch der einflussreiche Kirchenfürst Kardinal Reinhard Marx erst vor kurzem die Stossrichtung des Papstes übernommen hat. Trotz dieser Zeichen aber ist sich der Diakon sicher: «Es liegt noch ein langer Weg vor uns, bis die Kirche so weit ist.» Welt auf dem Kopf Andreas Baumann J esus war ein Fasnächtler! Warum denn nicht? Schliesslich richtet sich ja der Termin der Fasnacht nach seinem Leiden und seiner Auferstehung, der Fastenzeit und dem Osterfest. Natürlich sind die meisten Bräuche, auch christliche, sogenannt heidnischen Ursprungs. Sucht man nach den Wurzeln der Fasnacht, so stösst man unter an- MEIN THEMA derem auf das römische Saturnalienfest, an dem für einen Tag lang die Rollen getauscht wurden und die Herren die Sklaven bedienten. Welt auf dem Kopf also. Auch Jesus stellte die Welt auf den Kopf. Das begann schon mit seiner Geburt, als der mächtige Gott als ohnmächtiges Bébé zur Welt kam, nicht in einem Palast, sondern einem Stall. Er pries die Armen selig, die Reichen standen vor dem Himmel wie das Kamel vor dem Nadelöhr. Von ihm stammt das heute geflügelte Wort: Die Ersten werden die Letzten sein. Er rügte seine Jünger, sich nicht zu einem Machtkampf hinreissen zu lassen: «Wer unter euch der Erste sein will, sei der Knecht aller» (Markus 10, 44). Schliesslich wusch er seinen Jüngern die Füsse (Johannes 13). Paulus deutete später sein Kreuz als der «Welt Ärgernis und Torheit, für die Berufenen aber Gottes Kraft und Weisheit» (1. Korinther 1, 24). Ist doch auch ein bisschen «Fasnacht», verkehrte Welt, oder? Ob Fasnacht oder Evangelium, dahinter verbergen sich wohl – wenn auch in unterschiedlicher Weise – die Sehnsucht nach Lebendigkeit sowie die Hoffnung auf eine andere, gerechtere Welt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne Fasnacht. Andreas Baumann, reformierter Pfarrer Emmen-Rothenburg * Name von der Redaktion geändert Die Kirche mit eigenwilligem Turm verbindet Alt und Neu WILLISAU Die Willisauer sind stolz auf ihre Kirche mit dem besterhaltenen romanischen Kirchturm im Kanton Luzern. Lange umstritten war aber der zweite, neue Turm. Sie gilt in ihren Ausmassen als grösste Kirche auf der Luzerner Landschaft. Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Willisau – 56 Meter lang und 25,5 Meter breit – ist ein äusserst bemerkenswertes kirchliches Bauwerk. Sie steht auf einer kleinen Anhöhe vor dem Schlossrain. Besonders augenfällig sind die beiden Kirchtürme, die beide ganz unterschiedliche Episoden in der Geschichte der Kirche erzählen. Die Willisauerin Evelyne Huber kennt die Vergangenheit der Kirche genau. Die 55-Jährige ist Kirchenratspräsidentin der katholischen Kirche Willisau und bietet seit vielen Jahren Führungen durch die Kirche an. Dementsprechend gross ist auch ihr Wissen über die Kirche, die 1804 bis 1810 gebaut wurde. Einer der beiden Kirchtürme ist allerdings viel älter als das restliche Gebäude, er stammt aus dem 13. Jahrhundert. «Er ist der am besten erhaltene romanische Kirchturm des Kantons Luzern», sagt Evelyne Huber. Anstelle der heutigen Pfarrkirche gab es mehrere kleinere Vorgängerkirchen. Die ältesten bei Grabungen freigelegten Fundamente gehören zu einer geräumigen Saalkirche, die zur Zeit um die Willisauer Stadtgründung von 1302/03 gebaut wurde. Während der folgenden Jahrhunderte erlebte diese Kirche mehrere Ausund Umbauten. Ein Drama ereignete sich 1647, als ein Blitzschlag die Frau und den Sohn des Sigristen beim Läuten der Wetterglocke erschlug. Durch den Blitzschlag brannte die obere Partie des romanischen Kirchturmes aus. Der damalige Glockenturm wurde erhöht und erhielt anstelle des bisherigen Spitzhelms eine sogenannte Welsche Haube. Wegen dieser wurde der Turm im Volksmund lange Zeit auch Heidenturm genannt. Die pauschale Bezeichnung «Heiden» galt allen Nichtchristen, Andersfarbigen und allen Fremdartigen. Bald schon bot die Kirche für die Willisauer nicht mehr genügend Platz. Die Kirchgenossen von Willisau beschlossen 1803, eine neue, geräumigere Kirche anstelle der alten zu bauen. Der Bau der heutigen Kirche wurde möglich durch viele Gönner und Spenden. Pfarrer wollte neuen Turm abreissen Von der Vorgängerkirche blieb der an der Westseite vorgelagerte romanische Kirchturm. Bis 1928 wies die Kirche zudem am östlichen Ende des Dachfirstes einen kleinen und schmalen, zweigeschossigen Dachreiter auf. «Heute steht Kanton stellte den Glockenturm unter Heimatschutz. Aber wie kam Willisau überhaupt zu einem solchen Turm? Architektonische Pionierleistung Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Willisau. Bild Philipp Schmidli an dessen Stelle unser Elefant, auch unsere Kupferwarze genannt», sagt Evelyne Huber. Gemeint ist der eigenwillige monumentale Glockenturm des Architekten Adolf Gaudi aus Rorschach. «Der Turm war zu Beginn für viele Willisauer ein regelrechter Schock», er- zählt Evelyne Huber. «Der damalige Pfarrer Eisele war ein hefiger Gegner des neuen Turms, den er als Kupferwarze bezeichnete. Er sammelte sogar Geld, um ihn wieder abreissen zu lassen», schmunzelt Huber. Doch damit kam der Pfarrer nicht durch, denn der Die Willisauer wollten ein stärkeres Geläut, denn der Glockenklang strahlte nur beschränkt in die Landschaft hinaus. Weil der romanische Kirchturm zu zierlich und zu schwach für ein grösseres Geläut war, musste ein neuer Turm her. Die Kirchgemeindeversammlung beschloss, die Turmfrage den Fachleuten zu überlassen. Mit dem Resultat waren dann aber zahlreiche Willisauer unglücklich. Nichtsdestotrotz: «Heute ist er ein Unikat und gilt als architektonische Pionierleistung im Eisenbetonbereich», sagt Evelyne Huber. Das Geläut besteht aus sechs Glocken. Einzelne Glocken erklingen in Willisau noch traditionell zum Betläuten um 6, 12 und 19 Uhr. «Die Wetterglocke läutet, wenn es vom Napf her schwarz und gelb kommt. Die Glocke soll den Hagel zerreissen können», sagt Huber. Neben dem sechsteiligen Geläut hängt auch noch die Taufglocke im Turm. «Sie geht auf das Jahr 1400 zurück und wird noch heute regelmässig bei Taufen geläutet.» SUSANNE BALLI Hinweis Quelle: Alois Häfliger: Pfarrkirche St. Peter und Paul, Willisau, Separatdruck aus «Heimatkunde des Wiggertals», 1997.
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