China redet über Reformen Oskar gegen Martin Das Kino der Zukunft In Peking tagt der Nationale Volkskongress bis Mitte März. Seite 3 Der Saarländer Lafontaine lässt kein gutes Haar am SPD-Mann. Seite 6 Neue Science-Fiction-Filme und alte Leiern. Seite 13 Foto: dpa/Daniel Karma Foto: Paramount Freitag, 3. März 2017 STANDPUNKT Kairo – der stabile Partner 72. Jahrgang/Nr. 53 UNTEN LINKS Ob Martin Schulz manchmal ein bisschen angst und bange wird? Oder ist der Ex-Europapolitiker tatsächlich überzeugt, das Kanzleramt im September erobern zu können? Erfahrung genug hat der 62-Jährige eigentlich, um die Geheimnisse politischer Paternosterfahrten zu kennen. Erst sah es so aus, als habe ihn sein Nochparteichef vors Loch geschoben, weil die Aussichten für die seit Jahren siechende SPD alles andere als rosig waren. Doch nun wird Schulz von den Basisgenossen wie ein Messias gefeiert, die Umfragewerte schnellen nach oben und seinetwegen sind in fünf Wochen 10 000 Menschen in die SPD eingetreten. Eine einzige und noch dazu ziemlich schwurbelige Bemerkung zur etwaigen Milderung der Agenda-Folgen reichte, dem sozialdemokratischen K-Kandidaten die Herzen vieler Wähler zu öffnen – und den politischen Gegner wie die mächtige Wirtschaft drohend auf den Plan zu rufen. Ob Martin Schulz manchmal nicht doch ein bisschen angst und bange wird? oer ISSN 0323-3375 www.neues-deutschland.de Macron droht mit Sozialreformen Fast 13 Millionen gelten als arm Aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat will »kompletten Umbau« Frankreichs Verbände stellen Armutsbericht vor Zahl der Stromsperren hoch Roland Etzel zum Besuch der Kanzlerin in Ägypten Kanzlerin Merkels Wunschthemen für ihre Ägypten-Reise – jedenfalls jene, die veröffentlicht wurden – wären eine »mission impossible« gewesen. Aber so wörtlich hatten das wohl beide Seiten nicht verstehen wollen. Was immer man sich am Donnerstag salbungsvoll an Problemverständnis und Kooperationsbereitschaft bescheinigte: Am Ende wird Ägypten keine Auffanglager in der von Deutschland gewünschten Größenordnung einrichten, um Migranten von der Überfahrt via Libyen übers Mittelmeer abzuhalten. Schon gar nicht werden diese »Lager« die von Merkel blauäugig verlangten humanitären Standards haben. So genau wird man das in Berlin auch gar nicht überprüfen wollen. Darauf wird im Zweifelsfall schon die in beachtlicher Stärke nach Kairo mitgereiste Wirtschaftslobby achtgeben. Deren Klientel möchte am Nil gewinnbringend investieren. Zwar ist der ägyptische Staat auch und erst recht unter Sisi notorisch pleite, aber wie das Beispiel des in Rekordzeit gebauten zweiten Suezkanals zeigt, kann der Präsidentengeneral für seine hochfliegenden Pläne jederzeit mit Dollarmilliarden von den arabischen Monarchien rechnen. Tunnel, Tourismuszonen, gar eine neue Hauptstadt – da möchten deutsche Großunternehmen – im Idealfall bequem mit HermesKrediten abgesichert – einen fetten Happen abbekommen. Diktatur hin oder her: Hier zählt zuerst Stabilität. Über Demokratie und Menschenrechte kann man ja ein andermal wieder reden. Bundesausgabe 1,70 € Berlin. Die Zahl der Armen in Deutschland ist nach Erkenntnissen von Sozialverbänden auf einem neuen Höchststand. 2015 habe die sogenannte Armutsquote auf 15,7 Prozent zugelegt, heißt es in dem am Donnerstag vom Paritätischen und anderen Organisationen vorgelegten Armutsbericht. Demnach gelten 12,9 Millionen Deutsche als arm. »Das markiert einen neuen Höchststand im vereinten Deutschland«, heißt es. Der Paritätische forderte ein Einschreiten des Staates. Erforderlich seien eine andere Steuer- und Finanzpolitik, Maßnahmen beim Wohnungsbau, in der Arbeitsmarktpolitik und beim Ausbau sozialer Dienste. LINKEN-Chefin Katja Kipping forderte eine »radikale Umverteilung von oben nach unten«. Der Sozialverband VdK verlangte »gezielte Investitionen für die ärmere Hälfte der Bevölkerung«. Das Ausmaß der Armut zeigen auch andere Zahlen: Demnach wurde 2015 über 330 000 Haushalten der Strom abgestellt. Betroffen sind oft Hartz-IV-Bezieher. Agenturen/nd Seiten 4 und 5 Wahlkampf auf Eis gelegt Gaggenau und Köln verhindern Auftritte türkischer Minister Kampagne zur Wahlbeteiligung: Ein französischer Gastwirt posiert mit seiner Stimmkarte. Berlin. Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hat im Fall eines Wahlsiegs einen »kompletten Umbau« des Landes versprochen. Der aussichtsreiche Mitte-Kandidat stellte am Donnerstag in Paris sein sozialliberales Wahlprogramm vor, das unter anderem Reformen der Arbeitslosenversicherung und des Rentensystems vorsieht. »Wir versöhnen in diesem Projekt Freiheit und Schutz, das war von Anfang an der rote Faden«, sagte der 39-Jährige. Der Ex-Wirtschaftsminister gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahl: Laut Umfragen würde er es nach jetzigem Stand in die Stichwahl vom 7. Mai schaffen und dort die rechtsextreme FrontNational-Chefin Marine Le Pen schlagen. Politische Gegner werfen Macron aber bislang vor, nur sehr vage Vorschläge zu machen. Macron will jetzt die Staatsausgaben um 60 Milliarden Euro senken. Er will rund 120 000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen, zugleich sollen aber 10 000 Polizisten und 4000 bis 5000 Lehrer neu eingestellt werden. Derweil hat das EU-Parlament die Immunität der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen wegen der Verbreitung dschihadistischer Gräuelfotos aufgehoben. Die Abgeordneten gaben am Donnerstag einem Antrag der fran- Foto: AFP/Philippe Huguen zösischen Justiz statt. Damit ist der Weg frei für ein mögliches Ermittlungsverfahren gegen die Europaabgeordnete und Vorsitzende der Front National. Le Pen sprach von »politisch« motivierten Ermittlungen gegen sie. Frank Baasner vom Deutsch-Französischen Institut Ludwigsburg glaubt nicht, dass Le Pen Präsidentin wird. Zwar habe die FN-Chefin ein stabiles Wählerpotenzial von etwa sieben Millionen, so Baasner gegenüber »nd«. Die Mehrheit der Franzosen wisse jedoch, dass viele Aussagen und Vorhaben Le Pens Frankreich schaden und das Land isolieren würden. Agenturen/nd Seite 2 Berlin wünscht sich Sammellager in Ägypten Flüchtlinge im Mittelpunkt von Merkels Ägypten-Besuch / Opposition protestiert / Wirtschaft wiegelt ab Bundeskanzlerin Merkel war am Donnerstag in Kairo Gast des ägyptischen Präsidenten. Es ging um Flüchtlinge und Wirtschaftskooperation. Die Opposition dürfte enttäuscht sein. Von Roland Etzel Das deutsch-ägyptische Verhältnis ist belastet. Der Kairoer Staatspräsident Abdel Fattah alSisi hat vor vier Jahren als Chef des ägyptischen Militärrates das einzige frei gewählte Staatsoberhaupt der ägyptischen Geschichte weggeputscht und zum Tode verurteilt. Vorhaltungen, gar Proteste aus Berlin hat es deshalb nicht gegeben. Dennoch hatten deutsche Organisationen Repressionen zu erleiden – selbst die CDUnahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Diese soll nun wieder zugelassen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel ging es nach eigener Aussage aber um Wichtigeres. Ägypten sollte dafür gewonnen werden, Flüchtlinge aus anderen Staaten auf seinem Territorium von der Überfahrt übers Mittelmeer abzuhalten und sie nach Möglichkeit in Sammellagern zu konzentrieren. Aus dem Umfeld Merkels wurde mitgeteilt, es gehe auch um die Rückführung von Flüchtlingen, Finanzhilfen für deren bessere Lebensbedingungen in Ägypten, den Kampf gegen Schleuser, die Unterstützung für den Aufbau eines eigenen Asylsystems und Zusammenarbeit beim Grenzschutz. Im Wesentlichen sind diese deutschen Vorstellungen ähnlich denen, die im Flüchtlings-Deal mit der Türkei gelten. Für besonders realistisch werden sie nicht erachtet, selbst wenn ihnen von ägyptischer Seite nicht direkt widersprochen wurde. Vor allem die deutsche Wirtschaft, die in der Delegation nach Kairo gut vertreten war, möchte jedoch bei der Verteilung ägyptischer Großaufträge nicht zu kurz kommen und macht sich für jegliche Art von »Kooperation« in der Flüchtlingsfrage stark. Man scheut sich auch nicht vor überschwänglichem Lob. Sisi wolle sein Land wirtschaftlich voranbringen und unterstütze Investoren, wirbt der Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, gegenüber dpa für eine Politik, jegliche Kritik an der ägyptischen Führung zu unterlassen. Sisi stehe für Stabilität in dem großen Chaos in der Region von Libyen bis Syrien, so Steiger. Das sieht die deutsche Opposition gänzlich anders. Die vermeintliche Stabilität des Landes gründet sich nach Einschätzung der Grünen-Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner auf die Unterdrückung der Bürger durch die Regierung. Sisi könne nicht der Partner sein für ein Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge. Heike Hänsel (LINKE), Mitglied der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe, spricht sich dagegen aus, den »Erdogan- Deal« als Blaupause für weitere Flüchtlingsabkommen nun in Ägypten anzuwenden. Dagegen steht, dass die EUKommission am Donnerstag in Brüssel mehr und schnellere Abschiebungen von den Mitgliedstaaten der EU verlangte. Der griechische Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos stellte einen Aktionsplan vor, »um die Rückkehrquoten wesentlich zu erhöhen«. Seite 7 } Lesen Sie morgen im wochen-nd IT-Kaderschmiede: Start-ups in Sibirien Kämpfendes »Ich«: Ingeborg Bachmann Unheimlich strahlend: Tödliche Sonnenstürme Gaggenau. Nach dem Streit um die Inhaftierung des »Welt«-Korrespondeten Deniz Yücel in der Türkei wird dem Wahlkampf türkischer Minister in Deutschland nun ein Stoppsignal gesetzt. Die Städte Köln und Gaggenau haben geplante Auftritte türkischer Minister unterbunden. Die Stadtverwaltung von Gaggenau (Baden-Württemberg) sagte eine für Donnerstagabend geplante Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdağ wegen Sicherheitsbedenken ab. Daraufhin quittierte Bozdağ ein am gleichen Abend geplantes Treffen mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). In Köln erteilte die Stadt den Organisatoren eines Auftritts des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci eine Absage. Der Minister wollte am Sonntag im Kölner Bezirksrathaus Porz sprechen. Beide Veranstaltungen hatte die Union Europäisch-Türkischer Demokraten geplant. Dabei sollte für das bevorstehende Referendum in der Türkei über die Einführung eines Präsidialsystems geworben werden. Agenturen/nd Seite 5 Schweden wieder mit Wehrpflicht Größere Bedrohung durch Russland als Begründung genannt Stockholm. Schweden führt in diesem Sommer die Wehrpflicht wieder ein. Als übergeordneter Grund wird die russische Aufrüstung im Ostseeraum genannt, die Schwedens Sicherheitslage verschlechtert habe. Mit der Erneuerung der Wehrpflicht soll genug Personal für die Streitkräfte zur Verfügung stehen, sagte der schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist am Donnerstag dem schwedischen Radio. »Wir haben Schwierigkeiten gehabt, die Kampfeinheiten auf freiwilliger Basis zu bemannen.« Die Wehrpflicht war 2010 ausgesetzt worden. Wie Finnland reklamiert auch Schweden aktuell eine größere Bedrohung durch Russland. Schweden ist nicht Mitglied der NATO, arbeitet aber eng mit dem Verteidigungsbündnis zusammen. Vom 1. Juli an sollten 13 000 Schweden, die 1999 oder später geboren wurden, einberufen werden, um in den nächsten zwei Jahren jeweils rund 4000 Stellen zu besetzen. Konservative und Liberale begrüßten die Entscheidung der Regierung. dpa/nd
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