Die neue BLAU. Diesen Samstag in Ihrer WELT. E I N KU N S T M A G A Z I N DIENSTAG, 25. APRIL 2017 KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 ** D 2,50 EURO B Nr. 96 Z Zippert zappt S AFP/OSCAR DEL POZO THEMEN SPORT Lionel Messi und seine magische Nacht Seite 18 WIRTSCHAFT 100 Tage im Amt: Eine erste Bilanz der Politik von Donald Trump Seite 10 WISSEN Wie gefährlich sind Viren? Seite 20 FEUILLETON Was Asterix-Comics mit dem alten Rom zu tun haben MACRONS Titanenaufgabe Erstmals in der Geschichte der Fünften Republik kommt kein Kandidat der beiden bisher bestimmenden Parteien in die zweite Wahlrunde. In Frankreich beginnt etwas Neues LAIF eehofer opfert sich noch einmal für sein Land auf und macht für weitere fünf Jahre den Horst. Das ist eine gute Nachricht. Deutschland braucht Bayern, und Bayern braucht Seehofer, und Seehofer brauchte sich das eigentlich nicht unbedingt anzutun. Aber aus Verantwortung sich selbst und Markus Söder gegenüber lässt sich der 67Jährige noch einmal wählen, auch um Angela Merkel eine Freude zu machen. Der Ministerpräsident des Freistaats Bayern hat sich diesen Schritt reiflich überlegt. Eigentlich müsste er sich mal wieder um seine Modelleisenbahn kümmern, aber er darf die Augen auch nicht vor den Tatsachen verschließen: Söder braucht einfach noch ein paar Jahre, um zu reifen, und Seehofer braucht noch ein paar Jahre, damit der Drang zur Selbstdarstellung ein wenig nachlässt. Notfalls müsste er eben noch eine Amtszeit dranhängen, dann wäre der Söder aber bestimmt wählbar. Oder irgendeiner von den anderen, die da im Präsidium herumhängen. Andererseits könnte Seehofer auch mit 77 noch mal antreten. Falls der Söder noch etwas Zeit benötigt. Emmanuel Macron ist der große Gewinner der ersten Abstimmungsrunde und Favorit für die Stichwahl ums Präsidentenamt in knapp zwei Wochen E ine gespenstische Ahnung ging um in Europa in den vergangenen Tagen, vor dem ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahl: die Furcht, die Kandidatin des Front National werde womöglich deutlich besser abschneiden, als in Umfragen vorausgesagt wurde. Würde es Marine Le Pen gelingen, über ihre bisherige Klientel hinaus, deren sie sich gewiss sein konnte, weit ins Bürgertum vorzudringen? Gärt etwas im Untergrund der europäischen Gesellschaften, das den Blicken der Gesellschaftserforschung entgangen ist? Wird das Mutterland des kontinentaleuropäischen Republikanismus stramm nach rechts außen wandern? VON THOMAS SCHMID Dazu ist es nicht gekommen. Le Pen hat zwar beträchtlich mehr Stimmen erhalten als bei der Wahl 2012. Aber sie wird, wenn bis zum zweiten Wahlgang nichts Außergewöhnliches geschieht, wohl nicht Präsidentin der Republik. Alles spricht für einen Sieg Emmanuel Macrons. Das wäre für Frankreich eine Sensation. Erstmals in der Geschichte der Fünften Republik kommt kein Kandidat der beiden bisher bestimmenden Parteien, der Sozialisten und der Konservativen (früher UMP, heute Republikaner), in die entscheidende zweite Runde. Man kann darin einen unglücklichen Zufall sehen: hier die traurige Amtsführung des scheidenden sozialistischen Präsidenten François Hollande, dort eine peinliche Affäre familiärer Patronage, die François Fillons Image des korrekten Saubermanns zerschmettert hat. Aber es waren keine Zufälle, es hatte System. An diesem Sonntag ist in Wahrheit das alte französische Parteiensystem abgewählt worden. Etwas Neues beginnt. Man kann nur hoffen, dass diese Chance genutzt wird. Das Ergebnis der ersten Wahlrunde schafft eine Atempause, eine glückliche Atempause. Mehr aber nicht. Es zeugt von einer überraschenden Vitalität der französischen Demokratie, dass in Gestalt von Macron ein Mann die Poleposition erobern konn- te, der keine Partei und keinen nennenswerten Apparat hinter sich hat und von dem vor einem Jahr niemand geglaubt hätte, dass er auch nur die geringste Chance haben würde, Präsident der Republik zu werden. Angesichts der versäulten, versteinerten politischen Landschaft Frankreichs kommt das einem Wunder gleich. Viele trauen sich, einem Mann, der sich politisch bis heute nicht wirklich erklärt hat, carte blanche zu geben. Wenn das kein A Aufbruch ist. Das zeigt aber auch, wie verzweifelt sich die politische Lage in Frankreich darstellt. Mehrheitsfähige Devise war offensichtlich: Alles, nur nicht die Alten! Mehr als 40 Prozent derer, die ihre Stimme abgaben, haben für Kandidaten votiert, die eine rechtsradikale oder linksradikale Abrechnung mit dem „System“ wollen: für Le Pen und Jean-Luc Mélenchon. Und Macron konnte den ersten Platz auch nicht deswegen erobern, weil er ein überzeugendes Rezept gegen die französische Misere präsentiert hätte, sondern weil es ihm – Musterschüler des alten Elitenregiments – gelang, sich als Außenseiter und Neuling, als Revolutionär, als Hoffnungsjünger, als ein Mann von unten in Szene zu setzen. Zwei Drittel der Franzosen haben der politischen Klasse Frankreichs – und hier handelt es sich wirklich um eine Klasse – das Vertrauen entzogen. Macron hat mit einer Methode reüssiert, die auch Barack Obama zum Erfolg führte. Mit der Begeisterung, die er entfachen konnte, mit dem Wind des Wandels, den er zu erzeugen vermochte. Vom Beispiel Obama könnte er lernen, dass es klug wäre, von Anfang an die mögliche Fallhöhe zwischen Wort und Tat im Auge zu haben. Wirklich etwas Neues beginnen und nicht in den alten Schlendrian zu verfallen. Es wird für Frankreich sehr viel davon abhängen, ob es Macron gelingt, auch personell eine Politik auf den Weg zu bringen, die sich nicht nur proklamatorisch öffnet, die die geschlossenen Kanäle der bisherigen Nomenklatura verlässt. Denn er muss, will er politisch überleben, binnen 14 Tagen und danach fünf Jahre lang versuchen, auch jene zu überzeugen und vom Nein wegzuholen, die jetzt rechts- und linksradikal gewählt haben. Konstruktion und Geschichte der Französischen Republik werden ihm das nicht leicht machen. Denn Frankreich ist eine eigenartige Demokratie: so etwas wie eine republikanische Wahlmonarchie. Das hat einiges mit Charles de Gaulle, dem Gründer der Fünfte Republik, zu tun, der die Rolle des Präsidenten als strenger, ein wenig aber auch gütiger Vater der Nation modellierte. Und der damit dem Präsidenten eine übergroße, man könnte auch sagen: übermenschliche Statur gab. Doch das Problem reicht viel weiter zurück, bis zur Französischen Revolution. Wenn in Frankreich das Wort Republique erklingt, ist stets sofort dieser gewaltige Umbruch präsent, der die französische Nation einst konstituierte. Die Nation, die da vor den Augen der Welt entstand, sollte keine Nation unter anderen, sondern die Nation der Nationen sein. Ihr anzugehören war eine Auszeichnung, jeder Bürger, allein weil er Bürger war, konnte sich herausgehoben fühlen. Und deswegen aber auch so bleiben, wie er war. Nationaler Stolz und provinzielle Selbstgenügsamkeit gingen seither in Frankreich Hand in Hand. Dazu passt das Bedürfnis nach kraftvoller Führung. Es war kein Zufall, dass auf den Aufbruch der Revolution die straffe Hand Napoleons folgte. Bis heute soll der IN DIESER AUSGABE Wie Macron Frankreich und Europa transformiert: Seite 2. Interview mit Macrons Vordenker Erik Orsenna: Seite 2. Wer wurde wo gewählt: Seite 3. Der Niedergang der Sozialdemokratie in Europa: Seite 4. Wie die deutsche Politik auf den Favoriten der Stichwahl im Nachbarland blickt: Seite 5. An den Börsen herrscht Begeisterung: Seite 13. Präsident der Republik qua Person und Amt die Kraft haben, die Dinge zu richten. An dieser Überhöhung des Amtes sind der bisherige Staatspräsident Frankreichs und sein Vorgänger gescheitert. Hollande war schwach und linkisch, Sarkozy war unbeständig und ein Großmaul. Das mag man ihnen vorwerfen. Im Rückblick ist aber auch zu erkennen, dass deren Vorgänger Jacques Chirac und auch François Mitterrand eher Verwalter als Gestalter des Präsidentenmythos waren. Ein französischer Präsident soll der höchste Repräsentant eines demokratischen Gemeinwesens sein und zugleich der König der Republik. Das überfordert jeden Amtsinhaber. Die Verbindung, die in Frankreich Demokratie und Alleinherrschaft eingegangen sind, passt nicht in unsere Zeit. Dass das „tiefe Frankreich“ (la France profonde) so veränderungsunwillig ist, hat auch mit der liebevoll gepflegten Illusion zu tun, ein guter Präsident könne seine Bürger von den Stürmen der Welt abschirmen. Ein Präsident Macron wird dieses Amt neu erfinden müssen. Bei seinem ersten Auftritt am Wahlabend sah man ihm förmlich an, wie ihn diese Verantwortung, die nun wohl auf ihn zukommt, auch erbleichen lässt. Das spricht für ihn. Im Wahlkampf hat er sich als Rebell gegeben. Er verlöre, wenn er nach seiner Wahl zum Präsidenten wie seine Vorgänger in die Rolle des Übervaters der Nation schlüpft. Oder die Probleme so liegen ließe, wie es der unglückselige Sarkozy mit der Misere der Banlieues tat: große Worte und dann nichts. Er müsste gewissermaßen die Redimensionierung des Präsidentenamts betreiben. Zugleich aber auch eine transparente Politik einleiten, eine Politik des Wir haben verstanden. Um diese Titanenaufgabe, die er sich zutraut, ist er nicht zu beneiden. Er weiß vermutlich aber: Wenn ihm das nicht gelingt und er als ein weiterer in der Reihe der Präsidenten endet, die Großes versprochen, aber nur Kleines getan haben – dann hätte auch er dazu beigetragen, das herkömmliche politische System weiter zu diskreditieren. Und damit den Front National noch stärker zu machen, als er heute schon ist. Le Pen zu verhindern ist wichtig. Es ist aber kein Wert an sich. Wie Marine LE PEN die Wahl noch gewinnen kann Seite 22 DAX Im Plus Seite 15 Dax Schluss Euro EZB-Kurs Dow Jones ��.�� Uhr ��.���,�� �,���� ��.���,�� Punkte US-$ Punkte +�,��% ↗ +�,��% ↗ +�,��% ↗ ANZEIGE SPACE�TECH Die Umfragen sehen Emmanuel Macron als klaren Favoriten. Doch die Front-National-Chefin hat einen Plan M arine Le Pen hat am Montagvormittag gleich gezeigt, wie sie Emmanuel Macron in den kommenden zwei Wochen attackieren will: als Handlanger der Finanzwelt und pures Produkt der alten Eliten. Die Chefin des Front National besuchte am Montag einen Markt in Rouvroy im Departement Pas-de-Calais. „Das ist etwas anderes als die ‚Rotonde‘“, lächelte sie maliziös in die Kamera. RAUMANZÜGE VON SASCHA LEHNARTZ HEUTE UM 22.05 UHR Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Geräten – unter edition.welt.de, auf Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle. In der Pariser Brasserie „La Rotonde“ am Boulevard Montparnasse hatte Macron mit Vertrauten, Unterstützern und einigen Prominenten seinen Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gefeiert. Und damit einen Fehler begangen. Front-National-Anhänger nutzten umgehend die Gelegenheit, um Macron in den sozialen Medien Abgehobenheit vorzuwerfen. Was für Sarkozy das „Fouquet’s“ war, soll für Macron die „Rotonde“ werden. Sarkozy hatte am Abend seines Wahlsieges 2007 in dem Lokal auf den Champs-Élysées mit Unternehmern gefeiert. Das „Fouquet’s“ wurde in den folgenden fünf Jahren zum Synonym für Sarkozys Neigung zum Geprotze. Mit der „Rotonde“ dürfte das schwieriger werden, denn die Brasserie am Boulevard Montparnasse steht weniger in dem Ruf, ein überteuertes Angeberlokal zu sein, als das „Fouquet’s“. Es zehrt von seiner Fama als Künstlertreff in den 20erJahren. Dennoch wird die Millionärstochter Marine Le Pen die Feier nutzen, um ihre angebliche Bodenständigkeit zu betonen und sich als Gegenentwurf zum einstigen Rothschild-Banker Macron zu inszenieren. „Ich bin die Kandidatin des Volkes“, behauptete sie in Rouvray mal wieder. Momentan sehen die Umfragen Macron bei 62 bis 65 Prozent, Le Pen kommt nicht über 35 Prozent. Um diesen Rückstand aufzuholen, muss sie sowohl rechte Fillon-Wähler wie linke Mélenchon-Wähler gewinnen. Jean-Luc Mélenchon, der linkspopulistische Anführer der Bewegung La France Insoumise, der auf 19,5 Prozent kam, hat Le Pen einen Spalt weit die Tür geöffnet. Er gab keine Wahlempfehlung ab, will seine Anhänger im Internet abstimmen lassen. Die extreme Linke hält Macron für eine ultraliberale Satansbrut. „Wir haben jetzt die Wahl zwischen dem Hass und der Finanzwelt“, formulierte ein enttäuschter Mélenchon-Aktivist das Dilemma. Das Wirtschaftsprogramm Le Pens bietet mit seinen protektionistischen und antieuropäischen Versatzstücken durchaus Verlockendes für Mélenchon-Wähler. Doch es ist schwer verdaulich für enttäuschte Fillonisten. Letztere wird Le Pen umgarnen, indem sie ihre Schlager Sicherheit, Zuwanderung, Islam und nationale Größe auflegt. Ein Risiko liegt für Macron in der zu großen Siegesgewissheit seines Lagers. Je mehr Leute DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon 030 / 25 91 0 Fax 030 / 25 91 71 606 E-Mail [email protected] Anzeigen 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon 0800 / 93 58 537 Fax 0800 / 93 58 737 E-Mail [email protected] A 3,40 & / B 3,40 & / CH 5,00 CHF / CZ 96 CZK / CY 3,40 & / DK 26 DKR / E 3,40 & / I.C. 3,40 & / F 3,40 & / GB 3,20 GBP / GR 3,50 & / I 3,40 & / IRL 3,20 & / L 3,40 & / MLT 3,20 & / NL 3,40 & / P 3,40 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,40 € © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung DIE WELT BERLIN-2017-04-25-swonl-86 72e805695b530f1a62c3ec80b5b6535c glauben, Macron habe schon gewonnen, und je niedriger die Wahlbeteiligung, desto größer die Chancen für Le Pen. Vorbehaltlich einer Beeinflussung von interessierter Seite aus Osteuropa, eines Tritts in einen sehr großen Gänseschmalznapf (wie Macron ihn sich etwa mit seinen Kommentaren zum Algerienkrieg vor einigen Wochen leistete), eines sittlichen Skandals von strauss-kahnschen Dimensionen oder des plötzlichen Auftauchens eines Millionenkontos in der Schweiz hat der 39 Jahre alte ENAAbsolvent gute Aussichten, in zwei Wochen in den Élysée-Palast einzuziehen. Das heißt aber: Es ist alles offen, denn in französischen Wahlkämpfen passieren die unglaublichsten Dinge. ISSN 0173-8437 96-17 ZKZ 7109
© Copyright 2024 ExpyDoc