Trump lässt räumen

Revolution
JACKY NAEGELEN/REUTERS
Mit Blick auf das 20. Jahrhundert
erscheinen die meisten gesellschaft­
lichen Umwälzungen als gescheitert.
Aber ihre Ursache, die Klassen­
gesellschaft, ist noch längst nicht
verschwunden. Vorabdruck.
Von Beate Landefeld
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GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 24. FEBRUAR 2017 · NR. 47 · 1,60 EURO (DE), 1,80 EURO (AT), 2,30 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Überdüngt
Desaströs
Schamlos
Rückständig
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Durch die Landwirtschaft gelangen zu
viele Nährstoffe ins Meer – ein
Problem für die Nordsee
Der Bestand an Sozialwohnungen hat
sich seit 1990 mehr als halbiert.
Nun wird das Wahlkampfthema
Frankreich: Rechte Politiker und
Faschisten griffen dreist in die
Staatskasse. Justiz ermittelt
International abgeschlagen: OECD
moniert geringe Erwerbsbeteiligung von Frauen in der BRD
Petzen für den
Sultan
MARIANA BAZO / REUTERS
Stichwahl in Ecuador
am 2. April
NRW: Türkische Konsulate
­fordern zum Spitzeln in Schulen
auf. Präsident Erdogan plant
Propagandashow. Von Nick Brauns
REUTERS/UMIT BEKTAS
D
er türkische Präsident Recep
Tayyip Erdogan will im März
nach Nordrhein-Westfalen
kommen, um unter türkischen Landsleuten für deren Zustimmung zur
Präsidialdiktatur zu werben. Das will
Bild aus diplomatischen Kreisen in
Ankara am Mittwoch erfahren haben.
Während eine offizielle Bestätigung
aus Ankara noch nicht vorliegt, appellierte NRW-Innenminister Ralf Jäger
(SPD) an die Bundesregierung, einen
Erdogan-Auftritt zu verhindern. »Die
Freiheit der Meinungsäußerung hier
darf nicht missbraucht werden, um für
eine Verfassungsänderung in der Türkei zu werben, mit der Grundrechte
eingeschränkt und die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollen«, erklärte
Jäger gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger vom Donnerstag. 1,4 Millionen
türkische Staatsbürger in der Bundesrepublik sind bei dem Referendum am
16. April abstimmungsberechtigt.
Geht es nach der türkischen Regierung, sollen sich die Deutschtürken
auch als Spitzel betätigen. Die Mitglieder von Eltern- und Lehrervereinen seien Ende Januar bei Informationsveranstaltungen in türkischen Konsulaten in
Düsseldorf, Essen, Köln und Münster
dazu angehalten worden, jede Kritik
an der türkischen Regierung, die sie in
Ein offenes Ohr für die Kleinen, vor allem wenn sie von Gegnern der türkischen Regierung an deutschen
Schulen berichten: Präsident Recep Tayyip Erdogan
deutschen Schulen beobachten, zu melden. Dies berichtete die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW)
jetzt gegenüber der Funke-Mediengruppe. »Schüler sollen sogar ihre Lehrer
filmen und die Aufnahmen an türkische Behörden weiterleiten«, erklärte
der GEW-Landesvorsitzende Sebastian
Krebs. Zumindest in Düsseldorf hätten
sich die türkischen Lehrer geweigert,
ihre Kollegen auszuspionieren.
Mit einem gemeinsamen Appell bekundeten unterdessen sechs führende
bürgerliche Tageszeitungen aus Spanien, Frankreich, Italien, Belgien und der
Schweiz am Donnerstag ihre Solidarität
mit dem seit zehn Tagen in Istanbul in
Polizeigewahrsam sitzenden Türkeikorrespondenten der Welt, Deniz Yücel.
Dem Journalisten wird Mitgliedschaft
in einer terroristischen Organisation
vorgeworfen, weil er über die von einer
kommunistischen Gruppe gehackten
E-Mails von Energieminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak
berichtet hatte.
Mitarbeiter des Recherchezentrums
Correctiv in Berlin beklagen derweil
massive Morddrohungen durch türkische Nationalisten über sogenannte
Soziale Medien. In den Redaktionsräumen wird die zweisprachige OnlineZeitung Özgürüz (Wir sind frei) des bekannten regimekritischen Journalisten
Can Dündar produziert. Die Redaktion
stehe inzwischen unter Objektschutz,
doch mehrere Journalisten hätten aufgrund der Drohungen ihre Arbeit für
Özgürüz eingestellt, berichtete die Wochenzeitung Die Zeit.
Mit Demonstrationen in mehreren
deutschen Städten machen in diesen
Tagen Kurden auf Kriegsverbrechen im
Südosten der Türkei aufmerksam. Die
türkische Armee hält seit zwei Wochen
das Dorf Kuruköy (Xerabê Bava) in der
Provinz Mardin besetzt. Dutzende Einwohner seien gefangengenommen und
gefoltert worden, berichten Abgeordnete der links-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), die von
der Armee seit dem Wochenende am
Betreten des Ortes gehindert werden.
Seit Mittwoch wurde die Ausgangssperre auf zwei Nachbarorte ausgeweitet
und Wohnhäuser mit Artillerie beschossen, meldete die Nachrichtenagentur
Firat. Nach Angaben des Gouverneurs
von Mardin richten sich die Operationen gegen Rückzugsräume der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Mehrere
»Terroristen« seien »neutralisiert« worden. Offenbar von Soldaten im Internet
veröffentlichte Bilder zeigen Leichen
mit Folterspuren. Es soll sich um Bilder
aus Kuruköy handeln.
Trump lässt räumen
Armee und Polizei machen den Weg für Pipelinebau in North Dakota frei
D
as Dekret von US-Präsident
Donald Trump zum Weiterbau der »Dakota Access
Pipeline« (DAPL) wird seit Mittwoch
14 Uhr (Ortszeit) durch die Vertreibung der Pipelinegegner durchgesetzt.
Zu diesem Ultimatum hatte North
Dakotas Gouverneur Doug Burgum
die Räumung der Protestcamps angekündigt. Rund um das Gebiet, in
dem zeitweise bis zu zehntausend Demonstranten das Bauvorhaben verhindert hatten, wurden schon seit Tagen
Kräfte von Polizei und Nationalgarde
zusammengezogen. Wie die US-Wo-
chenzeitung Workers World meldete,
ist dies »die größte Polizeiarmee seit
Beginn der Proteste« im vergangenen
Jahr. Der Stamm der Standing Rock
Sioux wehrt sich dagegen, dass die
Rohölpipeline über das Gebiet seines
Reservats und unter dem Missouri
River hindurchgeführt werden soll.
Im Falle einer Havarie befürchten die
Sioux die Verseuchung des Trinkwassers der gesamten Region.
Nach Ablauf des Ultimatums verließen etwa hundert Aktivisten des Oceti
Sakowin Camps zusammen singend
und trommelnd das Gelände, während
sich Hunderte DAPL-Gegner dort laut
dem Sender CNN »verschanzten, um
ihre Vertragsrechte zu verteidigen«,
die sie durch den Bau der Pipeline
gebrochen sehen. Einige Stammesangehörige setzten ihre Tipis und Hütten in Brand. Monatelang hatten sie
darin dem harten Winter getrotzt und
wollten diese Phase ihres Kampfes
nun in einer traditionellen Zeremonie abschließen, indem sie die Asche
an »Großmutter Erde« übergeben und
sich der Zukunft zuwenden. Die Polizei nahm am Rande des Camps mehrere Dutzend Aktivisten fest.
Gouverneur Burgum kündigte an,
wer freiwillig gehe, könne »unbehelligt abziehen«. Wer sich jedoch ab
Donnerstag noch in den Camps aufhalte, behindere die »Aufräumarbeiten«,
mache sich damit strafbar und werde
verhaftet. Die juristische Auseinandersetzung um den Bau des letzten Teilstücks der Pipeline wird am 28. Februar vor Gericht weiter ausgetragen. Für
den 10. März ruft das breite Bündnis
der »Standing-Rock-Bewegung« zu einem Sternmarsch auf die US-Hauptstadt Washington auf.
Jürgen Heiser
Siehe auch Seite 14
Quito. Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Ecuador wird
am 2. April stattfinden. Das teilte
die staatliche Wahlbehörde am
Mittwoch (Ortszeit) in Quito mit.
Die Stichwahl wird zwischen dem
linken Kandidaten Lenín Moreno
(Foto) und dem rechten Politiker
Guillermo Lasso entschieden.
Nach der Auszählung von
99,18 Prozent der Stimmen kommt
Moreno auf 39,35 Prozent der
Stimmen. Auf Lasso entfielen
demnach 28,11 Prozent. Damit hat
Moreno den Sieg in der ersten Runde knapp verpasst. Mit 40 Prozent
der Stimmen und einem Vorsprung
von zehn Prozentpunkten auf den
Zweitplazierten wäre er direkt in
den Präsidentenpalast eingezogen.
Moreno strebt die Fortsetzung des
linken Programms der von Präsident Rafael Correa ausgerufenen
»Bürgerrevolution« an. (dpa/jW)
Hohe Überschüsse
in der Staatskasse
Berlin. Mit fast 24 Milliarden Euro
hat der deutsche Staat im vorigen
Jahr den höchsten Überschuss seit
1990 verbucht. Bund, Länder, Sozialversicherungen und Kommunen
hätten 23,7 Milliarden Euro mehr
eingenommen als ausgegeben,
teilte das Statistische Bundesamt
am Donnerstag in Wiesbaden unter
Verweis auf aktualisierte Zahlen
mit. Alle vier Ebenen erwirtschafteten dabei auch jeweils für sich
ein Plus. Am stärksten verbesserte
sich die Finanzlage der Sozialkassen, die einen Überschuss von
8,2 Milliarden Euro vermeldeten.
An zweiter Stelle folgte der Bund
mit 7,7 Milliarden Euro. Anlässlich
der gefüllten Kassen forderte der
Kochef der Partei Die Linke, Bernd
Riexinger, ein Programm für die
Verbesserung der öffentlichen
Infrastruktur: »Oberste Priorität
muss der soziale Wohnungsbau
haben.« (AFP/jW)
Siehe Seite 9
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