Bálint Farkas Analysis 3 Skript zur Vorlesung in WS2016/2017 20. Februar 2017 c by B. Farkas compiled: 20-Feb-2017/11:01 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Volumina, Vitali-Menge, Banach-Tarski Paradox 2 σ-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Algebren und Ringe von Mengen, σ-Algebren, σ-Ringe, grundlegende Eigenschaften, Mengenoperationen, Erzeugung von σ-Algebren, Borel-Mengen, Gδ - und Fσ -Mengen, Erzeugungssysteme für B(Rd ), Dynkin-Systeme. 3 Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Maße, Maßräume, Dirac-Maß, Zählmaß, endliche und σ-endliche Maße, Lebesgue-Maß, Stetigkeit nach unten und nach oben, Vervollständigung eines Maßraums, Borel-Regularität von Maßen. 4 Meßbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Messbare Funktionen, Borel-Messbarkeit, erweiterte reelle Zahlen, grundlegende Eigenschaften und Operationen, Grenzwert, Supremum und Infimum von Folgen messbarer Funktionen, Approximationssatz für einfache Funktionen. 5 Integrierbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Integral positiver Funktionen, Satz von Beppo Levi, Integration positiver Reihen, Lemma von Fatou, Konvergenzsätze fast überall, Integral für R- und C-wertige Funktionen, der Vektorraum integrierbarer Funktionen, Satz von Lebesgue über dominierte Konvergenz, Vertauschen von Integral und Summe, Differenzierbarkeit von Parameterintegralen. 6 L p Räume und Integralungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Hölder-, Young-, Minkowski-Ungleichung, L p -Funktionen, Jensen-Ungleichung, die Ungleichungen von Clarkson, der Satz von Riesz–Fischer, punktweise Konvergenz in L p , der Raum L ∞ , allgemeinere Hölder-Ungleichung, Interpolationsungleichung, Struktur von L p -Funktionen. 7 Konvergenz von Folgen messbarer Funktionen . . . . . . . . . . . . 54 Konvergenz fast überall, Konvergenz in Maß. L p -Konvergenz, der Satz von Jegorow. compiled: 20-Feb-2017/11:01 INHALTSVERZEICHNIS 8 vii Konstruktion von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Äußere Maße, relative Äußere Maße, Konstruktion von äusseren Maßen, Sätze von Carathéodory und Hahn, Carathéodory-messbare Mengen, das Fortsetzungstheorem, das Eindeutigkeitstheorem, metrische äußere Maße. 9 Der Lebesguesche Maßraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Das Lebesgue-Maß, Lebesgue-Nullmengen, Charakterisierung von LebesgueMengen, Translationsinvarianz, Regularität, der Satz von Lusin, nicht Lebesgue-messbare Mengen, Charakterisierung des Lebesgueschen Maßraums, Riemann- vs. Lebesgue-Integral. 10 Produkte von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Das Produktmaß, Sätze von Fubini und Tonelli, geometrische Bedeutung des Integrals, Cavalierisches Prinzip. 11 Transformation des Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Maßtreue Abbildungen, Transformationssatz, Polarkoordinaten, Kugelkoordinaten, d-dimensionale Kugelkoordinaten, Rotationssymmetrische Funktionen, Volumina von Kugeln, Integral von Gaußschen Funktionen. 12 Das Flächenintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Flächenintegral mit Hilfe regulärer Parametrisierung, metrische Fundamentalform, Untermannigfaltigkeiten in Rd , regulärer Punkt und Wert, die d-Sphäre, Zerlegung der Eins, Flächenintegral, Flächeninhalt, Tangentialraum, Normalenraum, C1 -Rand, Normaleneinheitsfeld, Satz von Gauß, die Green-Formel. Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 compiled: 20-Feb-2017/11:01 compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 1 Einführung und Motivation 1.1 Ziel 1. Beschreibung von Volumina, Inhalt, Oberflächeninhalt von Mengen in Rd , und auch viel allgemeiner. 2. Entwicklung vom Begriff “Integral”. 3. Anwendungen: Diese sind Grundbegriffe der modernen Mathematik und tauchen auf in: Analysis, Stochastik, Algebra, Zahlentheorie, Kombinatorik, Mengenlehre, ... (fast) überall. 1.2 Inhalt in Rd Bezeichne mit P(Rd ) die Potenzmenge von Rd , d.h., die Menge aller Teilmengen von Rd . Suche µ : P(Rd ) → [0, ∞) “Inhaltsfunktion” mit folgenden Eigenschaften: (i) µ(∅) = 0, µ(A) ≥ 0. (ii) Für A, B ⊆ Rd mit A ∩ B = ∅ gilt µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B). Additvität auf disjunkten Mengen (iii) Sind A und B kongruent, d.h., A entsteht aus B durch Translation, Rotation oder Spiegelung, dann ist µ(A) = µ(B). (iv) µ([0, 1)d ) = 1. Normalisierung Anmerkung 1.1. (ii) wollen wir auch manchmal ersetzen durch: (ii’) Für A1 , A2 , . . . , Am , . . . eine endliche oder abzählbar unendliche Folge von disjunkten Mengen gilt 1 2 1 Einführung und Motivation [ X µ Aj = µ(Aj ). j j σ-Additvität. Hier steht “σ” wegen der abzählbaren Vereinigung. 1.3 Die Vitali-Menge Theorem 1.2. Ein µ : P(Rd ) → R mit Eigenschaften (i), (ii’), (iii), (iv) gibt es nicht! Beweis. Wir beweisen die Aussage nur für d = 1, die übrige Fälle sind nicht schwieriger und folgen sogar aus dem eindimensionalen Fall. Wir definieren eine Äquivalenzrelation auf [0, 1) durch x∼y Def. ⇐⇒ x − y ∈ Q. Sei A ⊆ [0, 1) diejenige Menge, welche genau einen Representanten jeder Äquivalenzklasse enthält (Auswahlaxiom!). Wir setzen für p ∈ Q ∩ [0, 1) Ap := x + p : x ∈ A ∩ [0, 1 − p)} ∪ {x + p − 1 : x ∈ A ∩ [1 − p, 1) . Wir haben A = (A ∩ [0, 1 − p)) ∪ (A ∩ [1 − p, 1)), und so gilt wegen (ii’) µ(A) = µ((A∩[0, 1−p))∪(A∩[1−p, 1))) = µ(A∩[0, 1−p))+µ(A∩[1−p, 1)). Eigenschaft (iii) ergibt µ(A) = µ(A ∩ [0, 1 − p)) + µ(A ∩ [1 − p, 1)) = µ((A + p) ∩ [p, 1)) + µ((A + p) ∩ [0, p)) = µ(Ap ). Bemerke, dass Ap ∩ Aq = ∅ für p 6= q, p, q ∈ Q ∩ [0, 1). Denn ist z ∈ Ap ∩ Aq , so gilt z = x + p (oder z = x + p − 1) und z = y + q (oder z = y + q − 1) mit x, y ∈ A. Daraus folgt x − y ∈ Q, also x ∼ y. Daher gilt x = y und p = q, oder p − 1 = q, oder p = q − 1). Aber p, q ∈ [0, 1) und so gilt |p − q| < 1, d.h., p = q ist die einzige Möglichkeit. Wir haben also gezeigt, falls Ap ∩ Aq 6= ∅, dann gilt Ap = Aq . Ferner gilt [0, 1) = [ Ap . p∈Q∩[0,1) Denn sei x ∈ [0, 1), so gibt ein y ∈ A mit x ∼ y. D.h. p := x − y ∈ Q, also gilt x = y + p. Sei q = 1 + p falls p < 0 und q = p sonst. Dann ist q ∈ Q ∩ [0, 1) und gilt x ∈ Aq . Nun verwendet man (ii’): compiled: 20-Feb-2017/11:01 1.4 Das Banach–Tarski Paradox µ([0, 1)) = µ 3 Ap = S p∈Q∩[0,1) = µ(Ap ) p∈Q∩[0,1) ( X X µ(A) = p∈Q∩[0,1) 0, falls µ(A) = 0 ∞, falls µ(A) > 0. So erhält man einen Widerspruch zu (iv). Die Menge A, die wir im obigen Beweis konstruiert haben, heißt VitaliMenge, und wie gezeigt kann kein natürliches Inhalt haben. 1.4 Das Banach–Tarski Paradox Theorem 1.3 (Volumen-Verdopplung). Sei d ≥ 3. Seien A = B(0, 1) und B = B(x, 1) zwei disjunkte Kugeln in Rd . Dann gibt es A1 , A2 , . . . , AN ⊆ A und paarweise disjunkt T1 , T2 , . . . , TN : Rd → Rd Kongruenzen, so dass A1 ∪ A2 ∪ · · · ∪ AN = A und T1 (A1 ) ∪ T2 (A2 ) ∪ · · · ∪ TN (AN ) = A ∪ B. Es ist also möglich eine Kugel in endlich vielen Teile zu zerlegen, aus denen durch Kongruenzen sich zwei Kugeln von Größe des Originals zusammensetzen lassen. Folgerung. Falls d ≥ 3 gibt es kein µ : P(Rd ) → R mit den Eigenschaften (i), (ii), (iii), (iv). Anmerkung 1.4. Für d = 1, 2 gibt es aber! compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 2 σ-Algebren 2.1 Mengensysteme Sei X 6= ∅ beliebige Menge und bezeichne mit P(X) die Potenzmenge von X d.h. P(X) := A | A ⊆ X . Definition 2.1. a) Sei A ⊆ P(X), ein s.g. Mengensystem. A heißt eine Algebra (über X), falls gilt: (A1) ∅, X ∈ A , (A2) A, B ∈ A =⇒ A ∪ B, A ∩ B und A \ B ∈ A . Dabei heißt X die Grundmenge für A . Man sagt, dass A ∩-stabil ist falls für A, B ∈ A gilt A ∩ B ∈ A . Analog definiert man ∪-stabil und \-stabil. Falls zusätzlich gilt: (A3) An ∈ A für n ∈ N =⇒ [ n∈N An ∈ A , so heißt A eine σ-Algebra. b) Fordert man statt (A1) nur (A10 ) ∅ ∈ A , so heißt A mit Eigenschaften (A10 ) und (A2) ein Ring, und mit zusätzlicher Eigenschaft (A3) ein σ-Ring. c) Ist A eine σ-Algebra über X, so heißt das Paar (X, A ) ein messbarer Raum. Beispiel 2.2. 1. {X, ∅} ist die kleinste σ-Algebra über X. 2. P(X) ist die größte σ-Algebra über X. 4 2.1 Mengensysteme 5 3. Sei X = {0, 1}, so ist A := {∅, {1}} ein Ring, aber keine Algebra über X und B := {∅, {0}, {1}} ist kein Ring. 4. Sei X unendlich. Dann ist A := A ⊆ X | A endlich ein Ring, aber keine Algebra. 5. Sei X unendlich (z.B. X = N). Dann ist A := A ⊆ X | A endlich oder Ac endlich eine Algebra aber keine σ-Algebra. Hier und im Folgenden bezeichnet Ac das Komplement X \ A von A. 6. Sei X beliebig (z.B. X := R). Dann ist A := A ⊆ X | A abzählbar oder Ac abzählbar eine σ-Algebra. 7. Bezeichne [a, b) das halb offene Intervall {x|a ≤ x < b}. Sei N o n [ [aj , bj ), N ∈ N, aj , bj ∈ R . R := A A = j=1 Dann ist R ein Ring aber keine Algebra über R. Satz 2.3. A ⊆ P(X) ist genau dann eine σ-Algebra, wenn es die folgenden Eigenschaften hat: (1) ∅ ∈ A , (2) A ∈ A =⇒ Ac := X \ A[ ∈A, (3) An ∈ A für n ∈ N =⇒ An ∈ A . n∈N Beweis. Sei A eine σ-Algebra. Dann ist ∅, X ∈ A und somit ist (1) klar. Sei A ∈ A . Da X ∈ A , bekommen wir X \ A ∈ A , somit ist (2) bewiesen. (3) ist trivial. Sei jetzt A ein Mengensystem mit den Eigenschaften (1)–(3). Aus (1) und (2) folgt, dass ∅, X ∈ A . (3) impliziert, dass A ∪-stabil ist, und wegen [ c \ An = Acn , n n dass A ∩-stabil ist. Da A\B = A∩B c ist, gilt auch A\B ∈ A für A, B ∈ A . compiled: 20-Feb-2017/11:01 2 σ-Algebren 6 Satz 2.4 (Disjunktisierung). Sei A ⊆ P(X) ein Ring, und für n ∈ N seien An ∈ A gegeben. Dann existieren Bn ∈ A mit Bn ⊆ An , Bi ∩ Bj = ∅ für alle i 6= j und N [ An = n=1 Insbesondere gilt N [ Bn n=1 ∞ [ n=1 An = für alle N ∈ N. ∞ [ Bn . n=1 Beweis. Setze B1 := A1 . Falls B1 , . . . , Bn mit den gewünschten Eigenschaften schon definiert sind, fahren wir rekursiv fort und setzen Bn+1 := An+1 \ B1 ∪ · · · ∪ Bn = An+1 \ A1 ∪ · · · ∪ An . Die Mengen Bn (n ∈ N) haben die gewünschten Eigenschaften. Korollar 2.5. Sei A ⊆ P(X). Dann ist A genau dann eine σ-Algebra, wenn A eine Algebra ist und zusätzlich gilt: An ∈ A für alle n ∈ N, und Ai ∩ Aj = ∅ für i 6= j =⇒ ∞ [ n=1 An ∈ A . 2.2 Konstruktionen Anmerkung 2.6. 1. Seien A , B σ-Algebren über demselben X. So ist A ∩B = A|A∈A, A∈B auch eine σ-Algebra über X. 2. Allgemeiner: Sei I eine nichtleere Menge (Indexmenge) und für α ∈ I seien Aα alle σ-Algebren über demselben X. So ist \ A := Aα = A ⊆ X | ∀α ∈ I gilt A ∈ Aα α∈I auch eine σ-Algebra. Definition. Sei E ⊆ P(X). Dann heißt σX (E ) := σ(E ) = \ A A σ-Alg. E ⊆A compiled: 20-Feb-2017/11:01 2.3 Die Borel-Algebra 7 die von E erzeugte σ-Algebra über X. Anmerkung. σ(E ) ist wegen der obigen Anmerkung 2 tatsächlich eine σAlgebra, die kleinste σ-Algebra über X, welche E enthält. D.h. für jede σAlgebra B ⊆ P(X) mit E ⊆ B gilt σ(E ) ⊆ B. Beispiel. 1. E = ∅ =⇒ σ(E ) = {∅, X}. 2. E = {∅} =⇒ σ(E ) = {∅, X}. 3. E = {A} =⇒ σ(E ) = {∅, A, Ac , X}. Satz 2.7. a) Ist E selbst eine σ-Algebra, so ist σ(E ) = E . Insbesondere gilt σ(σ(E )) = σ(E ). b) Gilt E ⊆ F , so gilt auch σ(E ) ⊆ σ(F ). Beweis. ÜA. Satz 2.8. Seien X, Y beliebige nichtleere Mengen und sei f : X → Y eine Abbildung. a) Ist A eine σ-Algebra über X, so ist B := A ⊆ Y f −1 (A) ∈ A eine σ-Algebra über Y . b) Ist B eine σ-Algebra über Y , so ist A := f −1 (A) A ∈ B eine σ-Algebra über X. Beweis. Für A, B ⊆ Y gelten f −1 (A ∩ B) = f −1 (A) ∩ f −1 (B), f −1 (A ∪ B) = f −1 (A) ∪ f −1 (B), f −1 (A \ B) = f −1 (A) \ f −1 (B). Diese Identitäten verwendet man für den eigentlichen Beweis. 2.3 Die Borel-Algebra Definition 2.9. Sei (X, d) ein metrischer Raum (z.B. eine Teilmenge von Rm ) und sei G := G (X) := G | G ⊆ X offen , F := F (X) := F | F ⊆ X abgeschlossen . compiled: 20-Feb-2017/11:01 2 σ-Algebren 8 Dann heißt B(X) := σ(G ) die Borelsche σ-Algebra von X. B ∈ B(X) heißt Borelsche Menge oder Borel-Menge (in X). Satz 2.10. Die Borel-σ-Algebra wird auch von F = F (X) erzeugt, d.h., B(X) = σ(F ). Beweis. Da G (X) ⊆ B(X), muss auch F ⊆ B(X) gelten, daraus folgt σ(F ) ⊆ B(X). Es gilt aber auch G (X) ⊆ σ(F ) und daher B(X) ⊆ σ(F ). Als Illustration möchten wir zunächst andere, einfache Erzeuger für B(Rm ) finden. Notation 2.11. Für a, b ∈ Rm setze (a, b) := (a1 , b1 ) × (a2 , b2 ) × · · · × (am , bm ), [a, b] := [a1 , b1 ] × [a2 , b2 ] × · · · × [am , bm ], [a, b) := [a1 , b1 ) × [a2 , b2 ) × · · · × [am , bm ), (a, b] := (a1 , b1 ] × (a2 , b2 ] × · · · × (am , bm ] (a, ∞) := (a1 , ∞) × (a2 , ∞) × · · · × (am , ∞) usw..., die so genannten Quader (oder Rechtecke). Die Relation a ≤ b bzw. a < b versteht man hier koordinatenweise. Theorem 2.12. B(Rm ) wird erzeugt von jedem der folgenden Mengensysteme: (i) E1 (ii) E2 (iii) E3 (iv) E5 (v) E7 (vi) E9 = {(a, b) : a < b} = {[a, b] : a < b} = {(a, b] : a < b} oder E4 := {[a, b) : a < b} = {(a, ∞) : a ∈ Rm } oder E6 := {(−∞, a) : a ∈ Rm } = {[a, ∞) : a ∈ Rm } oder E8 := {(−∞, a] : a ∈ Rm } = {(a, b) : a < b, a, b ∈ Qm } Beweis. Wir behaupten, dass E9 ⊆ σ(Ej ) für j = 1, . . . , 9. Wir zeigen dies zum Beispiel für j = 2. Sei also (a, b) ∈ E9 . Dann gilt [ (a, b) = [a + n1 1, b − n1 1], n∈N compiled: 20-Feb-2017/11:01 2.3 Die Borel-Algebra 9 wobei 1 = (1, . . . , 1)> ∈ Rm . Dies zeigt E9 ⊆ σ(E2 ). Die anderen Fälle kann man mit ähnlichen Techniken beweisen. Die Mengensysteme Ej , j = 1, . . . , 9 sind alle in B(Rm ) enthalten, denn für j 6= 3, 4 sind die Mengen in Ej offen oder abgeschlossen. Ferner sind die Mengen in E3 und E4 auch in B(Rm ) enthalten. Denn (a, b] = ∞ \ (a, b + n1 1) und [a, b) = ∞ \ (a − n1 1, b). n=1 n=1 Aus diesen Überlegungen folgt: σ(E9 ) ⊆ σ(Ej ) ⊆ B(Rm ) für j = 1, . . . , 9. Schließlich erinnern wir daran, dass jede offene Menge in Rm abzählbare Vereinigung von offenen Quadern mit rationalen Eckpunkten ist. Denn ist G ⊆ Rm offen, so gilt [ G= (p, q). p,q∈Qm (p,q)⊆G Daraus folgt G ⊆ σ(E9 ), also B(R ) ⊆ σ(E9 ) ⊆ σ(σ(Ej )) = σ(Ej ) ⊆ B(Rm ), und somit ist der Beweis beendet. m Definition 2.13. a) Sei E ⊆ P(X). Wir definieren n o [ Eσ := A ⊆ X | A = An , An ∈ E , n∈N und n o \ Eδ := A ⊆ X | A = An , An ∈ E . n∈N b) A ∈ Gδ heißt eine Gδ -Menge in X. Für Gδ -Mengen gilt also \ A= Gj mit Gj ⊆ X offen. j∈N B ∈ Fσ heißt eine Fσ -Menge in X. Für Fσ -Mengen gilt also [ B= Fj mit Fj ⊆ X abgeschlossen. j∈N Induktiv erhält man Gδσ , Fσδ , Gδσδ , Fδσδ , usw. Mengen. Beispiel. Q ist Fσ . Denn Q ist abzählbar und einelementige Mengen sind abgeschlossen: compiled: 20-Feb-2017/11:01 2 σ-Algebren 10 Q= [ {r}. r∈Q Q ist aber keine Gδ -Menge. Daraus folgt, dass R \ Q eine Gδ aber keine Fσ -Menge ist. Satz 2.14. a) Es gelten Fδ = F und Gσ = G . b) Fσ und Gδ Mengen sind Borel. A ist genau dann Gδ , wenn Ac Fσ ist. c) Jede offene und abgeschlossene Menge ist auch Fσ und Gδ . Insbesondere G ∪ F ⊆ Fσ ∩ G δ . d) Die Borel-σ-Algebra wird von Fσ und Gδ erzeugt, d.h. B(X) = σ(Gδ ) = σ(Fσ ). Beweis. a) Die Inklusionen F ⊆ Fδ und G ⊆ Gσ sind trivial. Die umgekehrten Inklusionen sind auch wahr, denn eine beliebige Vereinigung von offenen Mengen ist offen, und ein beliebiger Durchschnitt von abgeschlossenen Mengen ist abgeschlossen. b) Beide Aussagen sind klar aus den Definitionen. c) Eine abgeschlossene Menge ist trivialerweise Fσ . Sei F abgeschlossen und für n ∈ N setze [ Gn := B(x, n1 ), x∈F wobei B(x, 1/n) = {y ∈ X | d(x, y) < n1 } die offene Kugel um x mit Radius 1/n bezeichnet. Dann gilt F ⊆ Gn , und die Mengen Gn sind alle offen. Wir behaupten die Gleichheit \ F = Gn . n∈N Daraus gesagt, T folgt dann, dass F eine Gδ -Menge ist. Nun gilt, wie schon 1 F ⊆ n∈N Gn . Sei x 6∈ F . Dann gibt es ein m ∈ N mit B(x,Tm ) ∩ F = ∅. D.h. x 6∈ Gm . Daraus folgt die behauptete Gleichheit F = n∈N Gn . Wir haben also gesehen, dass eine abgeschlossene Menge Fσ und Gδ ist. Sei G eine offene Menge, so ist F = Gc abgeschlossen und somit gleichzeitig Gδ und Fσ . Dann ist aber auch G = F c eine Fσ und Gδ -Menge. d) Wir wissen bereits G ⊆ Fσ ⊆ B(X) und G ⊆ Gδ ⊆ B(X). Daraus folgt B(X) = σ(G ) ⊆ σ(Fσ ) ⊆ B(X) und compiled: 20-Feb-2017/11:01 2.4 Dynkin-Systeme 11 B(X) = σ(G ) ⊆ σ(Gδ ) ⊆ B(X). 2.4 Dynkin-Systeme Definition 2.15. Ein Mengensystem D ⊆ P(X) heißt Dynkin-System, falls gilt: (D1) X ∈ D, (D2) A, B ∈ D, B ⊆ A =⇒ A \ B ∈ D, [ (D3) An ∈ D mit An ⊆ An+1 , n ∈ N =⇒ An ∈ D. n∈N Beispiel. Jede σ-Algebra ist ein Dynkin-System. Insbesondere ist D = P(X) ein Dynkin-System. Definition. Für E ⊆ P(X) heißt \ D(E ) := D D Dynkin-Syst. E ⊆D das von E erzeugte Dynkin-System. In der Tat ist D(E ) ein Dynkin-System, und zwar das kleinste, welches E enthält. Anmerkung. Für E ⊆ P(X) gilt D(E ) ⊆ σ(E ). Ist D ein Dynkin-System, so ist D(D) = D. Satz 2.16. Sei D ein Dynkin-System, das auch ∩-stabil ist, d.h. für alle A, B ∈ D gilt A ∩ B ∈ D. Dann ist D eine σ-Algebra. Beweis. Wir benutzen Satz 2.3. X ∈ D gilt per Definitionem. Aus (D2) bekommt man ∅ = X \ X ∈ D. Mit A ∪ B = (Ac ∩ B c )c folgt, dass D auch ∪-stabil ist. Sei An ∈ D, n ∈ N beliebig, und setze Bn := n [ Ak , k=1 S so ⊆ Bn+1 , und somit nach (iii) n∈N Bn ∈ D. Es gilt aber S gilt Bn S n∈N Bn = n∈N An . Damit ist der Beweis beendet. Theorem 2.17 (Dynkin-Theorem). Sei E ⊆ P(X) ∩-stabil, und sei D ⊆ P(X) ein Dynkin-System mit E ⊆ D. Dann gilt σ(E ) ⊆ D. Beweis. Wenn wir wüssten, dass auch D(E ) ∩-stabil ist wären wir fertig. Denn nach Satz 2.16 ist dann D(E ) eine σ-Algebra (welche E enthält) und somit compiled: 20-Feb-2017/11:01 2 σ-Algebren 12 σ(E ) ⊆ D(E ) ⊆ D(D) = D. Wir zeigen also, dass D(E ) ∩-stabil ist. Schritt 1. Sei A ∈ D(E ) beliebig und setze DA := B ⊆ X A ∩ B ∈ D(E ) . Wir behaupten, dass DA ein Dynkin-System ist. Da A ∈ D(E ) ist, gilt X ∈ DA . Sind B, C ∈ DA , C ⊆ B, so gilt A ∩ B, A ∩ C ∈ D(E ), somit (B \ C) ∩ A = (B ∩ A) \ (C ∩ A) ∈ D(E ), d.h. B \ C ∈ DA . Sei Bn ∈ DA , Bn ⊆ Bn+1 (n ∈ N), dann gilt Bn ∩ A ∈ D(E ) und somit [ [ A∩ Bn = (Bn ∩ A) ∈ D(E ). n∈N n∈N Schritt 2. Für A ∈ E und B ∈ D(E ) gilt A ∩ B ∈ D(E ). Denn: Für jedes C ∈ E gilt A ∩ C ∈ E ⊆ D(E ), und somit C ∈ DA . D.h. E ⊆ DA . Da aber DA ein Dynkin-System ist, folgt D(E ) ⊆ DA . Schritt 3. Für A, B ∈ D(E ) gilt A ∩ B ∈ D(E ), d.h. D(E ) ist ∩-stabil. Denn: DB , welches nach Schritt 2 ganz E enthält, ist ein Dynkin-System, also D(E ) ⊆ DB . Anmerkung (Das Dynkin-Argument). Wir wollen eine Eigenschaft ϕ für die Elemente der σ-Algebra σ(E ) zeigen. Dies direkt zu machen kann sehr aufwendig sein. Wir zeigen “stattdessen”: 1) Elemente von E haben diese Eigenschaft (und E ist ∩-stabil), 2) das Mengensystem D := A ⊆ X | A hat Eigenschaft ϕ ist ein Dynkin-System. Diese Schritte 1) und 2) sind oft nicht schwierig zu überprüfen. Dann folgt aus Dynkins Theorem, dass alle Elemente von σ(E ) die Eigenschaft ϕ haben. Später werden wir solche Argumentationen (z.B. in Abschnitt 3.5) konkret sehen. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 3 Maße 3.1 Definition und Beispiele Vorbemerkung. Wir vereinbaren die folgenden Regeln für a ∈ R a + ∞ = ∞ + a = ∞, ∞ + ∞ = ∞, ∞ ≥ a. Wir definieren [0, ∞] := x x ≥ 0 ∪ ∞ . Es sei X 6= ∅ und A ⊆ P(X) eine σ-Algebra, also (X, A ) ein messbarer Raum. Definition 3.1. a) Eine Abbildung µ : A → [0, ∞] heißt Maß (auf A ), falls (M1) µ(∅) = 0, (M2) Falls Aj ∈ A , j ∈ N, Aj ∩ Ak = ∅ für j 6= k (paarweise disjunkte Mengen), so gilt ∞ ∞ [ X Aj = µ(Aj ). µ j=1 j=1 (σ-Additivität) Das Tripel (X, A , µ) heißt ein Maßraum. b) Ist µ(X) < ∞, so heißt µ endlich und (X, A , µ) endlicher Maßraum. Ist µ(X) = 1, so heißt µ Wahrscheinlichkeitsmaß, und (X, A , µ) Wahrscheinlichkeitsraum. S c) Falls eine Folge (Aj )j∈N ⊆ A mit X = j∈N Aj und µ(Aj ) < ∞ für alle j ∈ N existiert, so heißt µ (und der Maßraum (X, A , µ)) σ-endlich. 13 14 3 Maße Beispiel 3.2. 1. Das 0-Maß. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Wir setzen ν(A) := 0 für alle A ∈ A . 2. Das ∞-Maß. Sei (X, A ) messbarer Raum. Wir setzen ( ∞ für alle A ∈ A , A 6= ∅, ν(A) := 0 A = ∅. 3. Das Dirac-Maß. Wir setzen δx : P(X) → [0, ∞], ( 1, δx (A) := 0, x ∈ A, x 6∈ A. δx heißt Dirac-Maß (oder Punktmaß) im Punkt x. 4. Das Zählmaß. Wir setzen ( card(A), A endlich, µ(A) := ∞, A unendlich. Dann heißt µ : P(X) → [0, ∞] Zählmaß. 5. Sei X überabzählbar und A := A ⊆ X A oder Ac abzählbar . Wir setzen µ : A → [0, ∞], ( 0, µ(A) := ∞, A abzählbar, A überabzählbar. 6. Das Lebesgue-Maß. Es gibt ein Maß λd : B(Rd ) → [0, ∞] mit (L1) λd ([0, 1)d ) = 1, (L2) λd (A + x0 ) = λd (A) für alle A ∈ B(Rd ), x0 ∈ Rd , wobei A + x0 := a + x0 | a ∈ A . (Translationsinvarianz) Der Maßraum (Rd , B(Rd ), λd ) heißt Borel–Lebesgue-Maßraum. Proposition. Für a, b ∈ Rd mit a ≤ b gilt λd ((a, b)) = λd ([a, b]) = λd ((a, b]) = λd ([a, b)) = d Y (bj − aj ). j=1 compiled: 20-Feb-2017/11:01 3.2 Grundlegende Eigenschaften von Maßen 15 3.2 Grundlegende Eigenschaften von Maßen Satz 3.3. Sei (X, A , µ) ein Maßraum. Dann gelten die folgenden Aussagen: 1. µ ist endlich additiv: Für A1 , . . . , An ∈ A paarweise disjunkt gilt n n [ X µ Aj = µ(Aj ). j=1 j=1 Beweis. Für j > n wähle Aj = ∅ und verwende die σ-Additivität. 2. µ ist monoton: A ⊆ B =⇒ µ(A) ≤ µ(B). Beweis. Für A ⊆ B gilt µ(B) = µ(A)+µ(B \A), und somit µ(B) ≥ µ(A). 3. µ(A) < ∞, A ⊆ B =⇒ µ(B \ A) = µ(B) − µ(A). Beweis. Für A ⊆ B gilt µ(B) = µ(A) + µ(B \ A). Daher µ(B \ A) = µ(B) − µ(A), falls µ(A) < ∞. 4. µ(A ∪ B) + µ(A ∩ B) = µ(A) + µ(B). Beweis. Es gelten A ∪ B = A ∪ (B \ A) und B = (A ∩ B) ∪ (B \ A). Wegen der Additivität folgt also: µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B \ A) und µ(B) = µ(A ∩ B) + µ(B \ A). Ist µ(B \ A) < ∞, so gilt µ(A ∩ B) = µ(B) − µ(B \ A), und damit µ(A ∩ B) + µ(A ∪ B) = µ(B) − µ(B \ A) + µ(A) + µ(B \ A) = µ(A) + µ(B). Ist µ(B \ A) = ∞, so ist µ(B) = µ(B ∪ A) = ∞ und 4. ist trivial. 5. (σ-Subadditivät): Für An ∈ A , n ∈ N gilt ∞ ∞ [ X µ An ≤ µ(An ). n=1 n=1 Sk−1 Beweis. Wir setzen B1 := A1 , Bk := Ak \ j=1 Aj für k > 1. Dann gilt Sn Sn Bk ⊆ Ak und Bj ∩ Bk = ∅, j 6= k. Für n ∈ N gilt j=1 Aj = j=1 Bj . Daher ∞ ∞ ∞ ∞ [ [ X X µ Aj = µ Bj = µ(Bj ) ≤ µ(Aj ). j=1 j=1 j=1 j=1 6. Stetigkeit von unten. Für Aj ∈ A , A1 ⊆ A2 ⊆ A3 ⊆ . . . gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 16 3 Maße ∞ [ µ Aj = lim µ(Aj ). j→∞ j=1 Notation: An ↑ A bedeutet A = S n∈N An und An ⊆ An+1 für n ∈ N. Beweis. Setze A0S= ∅, Bk := Ak \ ASk−1 für k ≥ 1. Dann Bj ∩ Bk = ∅, S∞ m ∞ j 6= k und Am = k=1 Bk , somit ist k=1 Bk = m=1 Am . Also gilt ∞ ∞ ∞ m [ [ X X µ Ak = µ Bk = µ(Bk ) = lim µ(Bk ) = lim µ(Am ). k=1 k=1 m→∞ k=1 m→∞ k=1 7. Stetigkeit von oben. Für Aj ∈ A , j ∈ N, mit A1 ⊇ A2 ⊇ A3 ⊇ . . . und mit µ(A1 ) < ∞ gilt ∞ \ µ Aj = lim µ(Aj ). j→∞ j=1 Notation: An ↓ A bedeutet A = T n∈N An und An+1 ⊆ An für n ∈ N. Beweis. Setze Bj := A1 \ Aj . So ist Bj ⊆ Bj+1 für jedes j ∈ N und damit ist e) verwendbar: ∞ ∞ ∞ \ \ \ c Aj = µ A1 \ Aj = µ A1 ∩ Aj µ(A1 ) − µ j=1 j=1 j=1 ∞ ∞ [ [ Acj = µ A1 ∩ Acj = µ A1 ∩ j=1 j=1 ∞ [ A1 \ Aj = lim µ(A1 \ An ) =µ n→∞ j=1 = µ(A1 ) − lim µ(An ). n→∞ 3.3 Linearkombinationen von Maßen Vorbemerkung. Wir vereinbaren die folgenden Regeln für a > 0 ∞ · ∞ = ∞, a · ∞ = ∞ · a = ∞, 0 · ∞ = ∞ · 0 = 0. Satz 3.4. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Seien µ1 , µ2 , . . . , µN Maße auf (X, A ) und seien c1 , . . . , cN ≥ 0. Dann definiert compiled: 20-Feb-2017/11:01 3.3 Linearkombinationen von Maßen 17 N X µ(A) := (A ∈ A ) cj µj (A) j=1 ein Maß. Beweis. ÜA. Theorem 3.5 (“Baby” Fubini-Theorem). Für n, m ∈ N seien anm ∈ [0, ∞]. Dann gilt ∞ X ∞ X N X anm = lim N →∞ m=1 n=1 an m = n,m=1 ∞ X ∞ X anm . n=1 m=1 Beweis. Aus Symmetriegründen genügt es nur die erste Gleichheit zu beweisen. Wir benutzen ständig, dass anm ≥ 0. Für N ∈ N gilt N X anm = n,m=1 N X N X m=1 n=1 anm ≤ N X ∞ X m=1 n=1 ∞ X ∞ X anm ≤ anm . m=1 n=1 Somit gilt lim N →∞ N X n,m=1 anm ≤ ∞ X ∞ X anm , m=1 n=1 wobei der Grenzwert existiert, weil die Folge monoton steigend ist. Nun zur umgekehrten Abschätzung: Falls für ein M ∈ N ∞ X n=1 anM = ∞, so gehen wir folgenderweise vor: Für jedes R > 0 gibt es N ∈ N, N ≥ M mit N X n=1 anM ≥ R. Dann gilt aber ∞ X ∞ X m=1 n=1 N X N N X M X X anm ≥ anm ≥ anm ≥ R n=1 m=1 n=1 m=1 Da R > 0 beliebig war, es folgt lim N →∞ N X n,m=1 anm = ∞ = ∞ X ∞ X anm , m=1 n=1 compiled: 20-Feb-2017/11:01 18 3 Maße also ist die Behauptung in diesem Fall bewiesen. Wir dürfen also annehmen, dass für alle m ∈ N ∞ X n=1 anm < ∞ gilt. Für jedes m ∈ N gibt es dann Nm derart, dass Nm X n=1 anm ≥ ∞ X n=1 anm − ε . 2m Dann gilt für beliebiges M ∈ N und für N := max{M, N1 , . . . , NM } ∈ N: N X N X m=1 n=1 anm ≥ ≥ Nm M X X m=1 n=1 M X ∞ X m=1 n=1 anm ≥ M X ∞ X m=1 n=1 anm − M X ε 2m m=1 anm − ε. Daraus folgt N X lim N →∞ n,m=1 anm ≥ M X ∞ X m=1 n=1 anm − ε, und dann mit M → ∞ N X lim N →∞ m,m=1 anm ≥ ∞ X ∞ X m=1 n=1 anm − ε, Da ε > 0 beliebig ist, bekommen wir lim N →∞ N X n,m=1 anm ≥ ∞ X ∞ X anm . m=1 n=1 Korollar. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Seien für n ∈ N die Maße µn auf (X, A ) sowie die Zahlen cn ≥ 0 gegeben. Dann definiert µ(A) := ∞ X j=1 cj µj (A) (A ∈ A ) ein Maß. Beweis. Zu (M1): compiled: 20-Feb-2017/11:01 3.4 Nullmengen 19 µ(∅) = ∞ X cj µj (∅) = j=1 ∞ X j=1 cj · 0 = 0. Zu (M2): Seien An ∈ A (n ∈ N) paarweise disjunkt. Dann gilt: ∞ ∞ ∞ ∞ ∞ ∞ X ∞ [ X [ X X X µ An = cj µj An = cj µj (An ) = cj µj (An ) n=1 = j=1 ∞ X ∞ X n=1 j=1 cj µj (An ) = n=1 j=1 ∞ X n=1 j=1 n=1 µ(An ), n=1 wobei wir das obige Theorem benutzt haben. 3.4 Nullmengen Definition 3.6. Sei (X, A , µ) ein Maßraum. a) N ⊆ X heißt eine µ-Nullmenge falls ein C ∈ A mit µ(C) = 0 und N ⊆ C existiert. Setze Nµ := N ⊆ X | N µ-Nullmenge . b) (X, A , µ) heißt vollständig, falls alle µ-Nullmengen zu A gehören, d.h., falls Nµ ⊆ A . Satz 3.7. Sei (X, A , µ) ein Maßraum. Für N ⊆ X sind die folgenden Aussagen äquivalent: a) N ist eine µ-Nullmenge, d.h., N ∈ Nµ . b) Für jedes ε > 0 gibt es C ∈ A mit µ(C) ≤ ε und N ⊆ C. c) Für jedes ε > 0 gibt es An ∈ A (n ∈ N) mit N⊆ ∞ [ n=1 An und ∞ X n=1 µ(An ) ≤ ε. Beweis. ÜA. Beispiel 3.8. 1. Sei X = R, A = B(R) und λ1 das 1-dimensionale LebesgueMaß. Dann gilt λ1 ({x}) ≤ λ1 ([x − 1/n, x + 1/n]) = 2 n für jedes n, und somit λ1 ({x}) = 0. Dies impliziert, dass eine abzählbare Menge N , z.B., N = Q, eine λ1 -Nullmenge ist. compiled: 20-Feb-2017/11:01 20 3 Maße 2. Setze C0 := [0, 1], C1 := 13 C0 ∪( 23 + 31 C0 ) = [0, 31 ]∪[ 23 , 1] und dann rekursiv Cn+1 := 13 Cn ∪ ( 32 + 13 Cn ). Es ist leicht zu sehen, dass Cn aus 2n abgeschlossenen, disjunkten Intervallen besteht, die jeweils Länge 31n haben. Weiterhin ist klar, dass Cn abgeschlossen, sogar kompakt, ist und enthält Cn+1 für jedes n ∈ N. Wir definieren die Cantor-Menge (genauer: die Cantor- 31 -Menge) durch C := \ Cn . n∈N Dann ist C abgeschlossen, sogar kompakt. Man kann zeigen, dass C überabzählbar ist (C 6= ∅ folgt aus der Kompaktheit). Es gilt λ1 (C) ≤ λ1 (Cn ) = 2n , 3n und somit λ1 (C) = 0. 3. Sei f : [0, 1] → R stetig, und setze B := (x, f (x)) x ∈ [0, 1] . So ist B abgeschlossen in R2 , somit eine Borel-Menge. Ferner gilt B ∈ Nλ2 , wobei λ2 das 2-dimensionale Lebesgue-Maß bezeichnet. Satz 3.9. a) Sei A ∈ A und N ∈ A ∩ Nµ . Dann gilt µ(A) = µ(A ∪ N ) = µ(A \ N ). b) Nµ ist ein σ-Ring. c) Für N ∈ Nµ und A ⊆ N , gilt A ∈ Nµ . Beweis. ÜA. Theorem 3.10 (Vervollständigung eines Maßraums). Sei (X, A , µ) ein Maßraum. Dann existiert ein vollständiger Maßraum (X, A¯, µ̄) mit (1) A ⊆ A¯, (2) µ̄ A = µ, d.h., µ(A) = µ̄(A) für alle A ∈ A , (3) Für jeden vollständigen Maßraum (X, B, ν) mit (1) und (2) gilt A¯ ⊆ B. Beweis. Setze A¯ := A ∪ N | A ∈ A , N ∈ Nµ . Dann ist A¯ eine σ-Algebra: ∅, X ∈ A¯ ist trivialerweise erfüllt. Ist A ∈ A¯, so gibt es ein B ∈ A und N ∈ Nµ mit A = B ∪ N . Ferner gibt es ein C ∈ A ∩ Nµ mit N ⊆ C. Daraus folgt compiled: 20-Feb-2017/11:01 3.5 Borel-Maße 21 Ac = (B ∪ N )c = B c ∩ N c = (B c ∩ C c ) ∪ (C ∩ N c ) | {z } | {z } ⊆C ∈A und deswegen Ac ∈ A . Seien nun An ∈ A¯, n ∈ N, d.h., es existieren Bn ∈ A und Nn ∈ Nµ mit An = Bn ∪ Nn . Somit gilt [ [ [ [ Nn An = (Bn ∪ Nn ) = Bn ∪ n∈N n∈N n∈N n∈N | {z } | {z } ∈A ∈Nµ S und n∈N An ∈ A¯. Wir haben gezeigt, dass A¯ eine σ-Algebra ist. Die Inklusion A ⊆ A¯ ist klar. Sei A ∈ A¯, d.h., A = B1 ∪ N1 mit B1 ∈ A und N1 ∈ Nµ . Wir behaupten, dass µ(B1 ) nicht von dieser Darstellung abhängt. Falls A = B2 ∪ N2 eine andere Darstellung ist, dann gibt es C1 , C2 ∈ Nµ ∩ A mit N1 ⊆ C1 und N2 ⊆ C2 . Daher gilt µ(B1 ) = µ(B1 ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(B1 ∪ N1 ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(A ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(B2 ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(B2 ). Wegen dieser Unabhängigkeit ist die folgende Funktion µ̄ wohldefiniert. Sei A ∈ A¯, A = B ∪ N mit A ∈ A , N ∈ Nµ , und setze µ̄(A) := µ(B). Ist A selbst in A , so gilt µ̄(A) = µ(A), denn A = A∪∅. Also ist µ̄|A = µ. Wir zeigen, dass µ̄ ein Maß ist. Es ist wiederum klar, dass µ̄ positiv ist und dass µ̄(∅) = 0 gilt. Seien An = Bn ∪ Nn paarweise disjunkte Mengen für n ∈ N mit Bn ∈ A und Nn ∈ Nµ . Dann sind natürlich Bn auch disjunkt, und es gilt [ [ X X An = µ Bn = µ̄ µ(Bn ) = µ̄(An ). n∈N n∈N n∈N n∈N 3.5 Borel-Maße Satz 3.11. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Sei E ⊆ A ∩-stabil mit σ(E ) = A . Seien µ, ν zwei endliche Maße auf A . Dann sind äquivalent: (i) µ(E) = ν(E) für alle E ∈ E und µ(X) = ν(X). (ii) µ(A) = ν(A) für alle A ∈ A . Beweis. Nur die Implikation (i)⇒(ii) ist zu beweisen. Nehmen wir also (i) an. Setze compiled: 20-Feb-2017/11:01 22 3 Maße D := A ∈ A | µ(A) = ν(A) . Dann gilt nach Voraussetzung E ⊆ D. Wir zeigen, dass D ein Dynkin-System ist. Nach Voraussetzung gilt X ∈ D, also folgt (D1). Ist A, B ∈ D, B ⊆ A, so gilt µ(A \ B) = µ(A) − µ(B) = ν(A) − ν(B) = ν(A \ B). D.h. A \ B ∈ D. Sei An ∈ D und An % A. Zu zeigen ist A ∈ D. Es gilt µ(A) = lim µ(An ) = lim ν(An ) = ν(A), n→∞ n→∞ also A ∈ D. Definition 3.12. Sei (X, d) metrischer Raum. Ein Maß auf (X, B(X)) heißt Borel-Maß. Proposition. Sei (X, d) ein metrischer Raum und seien µ, ν endliche Borel-Maße auf X. Falls gilt µ(G) = ν(G) für alle offenen Mengen G, so gilt µ(B) = ν(B) für alle B ∈ B(X). Theorem 3.13. Sei X ein metrischer Raum und sei µ ein endliches BorelMaß. a) Für jedes B ∈ B(X) gelten (1) µ(B) = inf µ(G) | B ⊆ G, G offen , (2) µ(B) = sup µ(F ) | F ⊆ B, F abgeschlossen . b) Für jedes B ∈ B(X) gibt es eine Fσ -Menge A und eine Gδ -Menge C mit A ⊆ B ⊆ C, µ(A) = µ(B) = µ(C), d.h. C \ B, B \ A sind Nullmengen. Beweis. a) Wegen der Monotonie gilt “≤” in (1) und “≥” in (2). Setze D := B ∈ B(X) | B erfüllt (1) und (2) . Wir zeigen zunächst F ⊆ D. Ist F ∈ F , also abgeschlossen, so ist (2) trivial. Da aber F ⊆ Gδ , finden wir offene Mengen Gn mit Gn & F . Da µ endlich ist folgt µ(F ) = lim µ(Gn ) n→∞ compiled: 20-Feb-2017/11:01 3.5 Borel-Maße 23 und somit ist (1) auch erfüllt. Wir zeigen, dass D ein Dynkin-System ist. Klar: X ∈ F . Seien A, B ∈ D mit B ⊆ A. Sei ε > 0, und seien F2 ⊆ F1 abgeschlossen, G2 ⊆ G1 offen mit F1 ⊆ A ⊆ G1 , µ(G1 \ F1 ) ≤ ε, und F2 ⊆ B ⊆ G2 µ(G2 \ F2 ) ≤ ε. Setze G := G1 \ F2 , F := F1 \ G2 . Dann gilt F ⊆A\B ⊆G und µ(G \ (A \ B)) + µ((A \ B) \ F ) = µ(G \ F ) = µ(G1 \ F1 ) + µ(G2 \ F2 ) ≤ 2ε. Daraus folgt A \ B ∈ D. Sei nun An % A, An ∈ D. Zu zeigen ist A ∈ D. Sei ε > 0. Für jedes n ∈ N gibt es Fn abgeschlossen und Gn offen mit Fn ⊆ An ⊆ Gn und ε µ(Gn \ Fn ) ≤ n . 2 Wir können ohneSBeschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass Fn ⊆ S Fn+1 . Setze G := Gn . Dann ist G offen. Setze B = Fn . Da Fn % B, gilt µ(Fn ) → µ(B), und für n0 ∈ N geeignet groß folgt µ(B \ Fn0 ) ≤ ε. Mit F := Fn0 gilt F ⊆ A ⊆ G und [ Gn \ Fn + µ(B \ F ) µ(G \ F ) = µ(G \ B) + µ(B \ F ) ≤ µ n∈N ≤ X n∈N µ(Gn \ Fn ) + µ(B \ F ) ≤ 2ε. Somit gilt auch A ∈ D und D ist ein Dynkin-System. Da F ∩-stabil ist folgt aus Dynkins Theorem 2.17, dass σ(F ) = B(X) ⊆ D ⊆ B(X). b) Folgt aus a). Anmerkung. Für nicht endliche Maße gelten die obigen Sätze im Allgemeinen nicht! compiled: 20-Feb-2017/11:01 24 3 Maße 3.6 Regularität des Lebesgue-Maßes Vorbemerkung. Ist B ∈ B(Rd ) eine beschränkte Menge, dann gilt λd (B) < ∞. [Denn: ein solches B ist in einem Quader enthalten und Quader haben endliches Lebesgue-Maß.] Insbesondere ist (Rd , B(Rd ), λd ) ein σ-endlicher Maßraum, denn ∞ [ Rd = B(0, n). n=1 Theorem 3.14. Betrachte das Lebesgue-Maß auf B(Rd ). Für jedes B ∈ B(X) gelten (OR) λd (B) = inf λd (G) | B ⊆ G, G offen , (IR) λd (B) = sup λd (K) | K ⊆ B, K kompakt . Beweis. Siehe Theorem 9.8 später. Korollar. Eine Menge N ⊆ Rd ist genau dann eine λd -Nullmenge, falls für jedes ε > 0 Quader Qn (n ∈ N) existieren mit N⊆ ∞ [ n=1 Qn und ∞ X λd (Qn ) < ε. n=1 Definition 3.15. Ein Borel-Maß heißt regulär, falls für jede Borel-Menge B (OR) (“outer regular”) und (IR) (“inner regular”) gilt. A C H T U N G: In der Litertur wird das Wort “Regularität” (eines Maßes) oft mit leicht unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 4 Meßbare Funktionen 4.1 Definition und Eigenschaften Erinnerung: 1. Sei X eine nichtleere Menge, und A eine σ-Algebra über X. Dann heißt (X, A ) ein messbarer Raum. 2. Sei f : X → Y , wobei X, Y beliebige nichtleere Mengen sind. Ist B eine σ-Algebra auf Y , so ist A := f −1 (A) A ∈ B eine σ-Algebra auf X, siehe Satz 2.8. Definition 4.1. Seien (X, A ) und (Y, B) messbare Räume. Eine Abbildung f : X → Y heißt (A , B)-messbar, falls f −1 (B) ∈ A für alle B ∈ B (oder kurz messbar, wenn aus der Situation klar ist, welche σ-Algebren eben betrachtet werden). Für Funktionen f : X → K welche (A , B(K))-messbar sind benutzen wir noch die Bezeichnung A -messbar (K = R oder C). Sind X, Y metrische Räume und A , B die Borel-σ-Algebren auf X bzw. auf Y so sagt man auch “f sei Borel-messbar”. Lemma 4.2. Sei B = σ(E ) die von E ⊆ P(Y ) erzeugte σ-Algebra. Dann gilt: f :X→Y ist (A , B)-messbar ⇐⇒ f −1 (E) ∈ A für alle E ∈ E. Beweis. Setze C := {A ⊆ Y | f −1 (A) ∈ A }. Dann ist C eine σ-Algebra über Y und E ⊆ C , und somit B = σ(E ) ⊆ C . 25 26 4 Meßbare Funktionen Korollar 4.3. Sei f : Rn → Rm stetig (oder allgemeiner: f : X → Y , wobei X, Y metrische Räume sind). Dann ist f (B(Rn ), B(Rm ))-messbar. Beweis. Die Borel-σ-Algebra wird von den offenen Mengen G erzeugt: B(Rm ) = σ(G ). Ferner ist das Urbild f −1 (G) einer offenen Menge G ⊆ Rm offen, denn f ist stetig. Daher beendet Lemma 4.2 den Beweis. Satz 4.4. a) Seien (X, A ), (Y, B), (Z, C ) messbare Räume. Sind f : X → Y, g:Y →Z messbar, so ist g ◦ f : X → Z auch messbar. b) Sei (X, A ) ein messbarer Raum und f = (f1 , . . . , fd )> : X → Kd (K = R oder C). Dann gilt f messbar ⇐⇒ fj messbar für j = 1, . . . , d. Beweis. a) Überprüfe die Definition. b) Die Projektion Pj : Kd → K ist stetig und fj = Pj ◦ f . Also ist f messbar, dann nach Teil a) auch fj . Nehme an, dass f1 , . . . , fd alle messbar sind. Da B(Rd ) durch die offenen “Rechtecke” G = (a1 , b1 ) × · · · × (ad , bd ) erzeugt ist (siehe Theorem 2.12), genügt es f −1 (G) ∈ A für solche Mengen G zu zeigen. Es gilt aber f −1 (G) = d \ j=1 fj−1 ((aj , bj )) ∈ A . Anmerkung 4.5. Wir betrachten R = [−∞, ∞] und definieren eine Metrik d(x, y) := | arctan x − arctan y| auf R. So ist also (R, d) ein metrischer Raum und eine Menge G ⊆ R ist genau dann offen in R, wenn G ∩ R in R offen ist. Für die Borel-σ-Algebra gilt also B(R) = A ⊆ R : A ∩ R ∈ B(R) , vgl. Übung. a) f : X → R ist messbar ⇐⇒ f −1 ({−∞}), f −1 ({∞}), f −1 (B) ∈ A für alle B ∈ B(R). b) B(R) wird durch die Mengen {−∞}, {∞}, (a, b), a, b ∈ R erzeugt. c) Wir verabreden weiterhin die folgenden Konventionen für a ∈ R: a + ∞ = ∞, a − ∞ = −∞, ∞ + ∞ = ∞, −∞ − ∞ = −∞ compiled: 20-Feb-2017/11:01 4.1 Definition und Eigenschaften 27 0 · ∞ = 0, a · ∞ = ∞ für a > 0, a · ∞ = −∞ für a < 0, ∞ · ∞ = ∞, (−∞) · ∞ = −∞, −∞ < a < ∞. Wir ergänzen auch unsere Liste von Intervallen durch [−∞, ∞], [a, ∞] usw... A C H T U N G : ∞ − ∞ oder ∞/∞ ist nicht definiert! d) Für f : X → R definieren wir f + := max{f, 0}, f − := max{−f, 0}. Es gelten f = f + − f − , |f | = f + + f − , f = sign f · |f |. Definition 4.6. Sei (X, A ) messbarer Raum. Für Y = R, Y = R = [−∞, ∞], Y = C, Y = Rn , Y = Cn , versehen jeweils mit der Borel-σ-Algebra, führen wir die folgende Notation ein: L 0 (X, A ; Y ) := L 0 (X; Y ) := f : X → Y f messbar . Wir kürzen diese Notation oft weiter zu L 0 (X) oder sogar zu L 0 ab. Satz 4.7. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. a) Wenn f : X → K konstant ist, dann ist f auch messbar. b) Für f ∈ L 0 (X; C) gilt Re f, Im f, |f |, f ∈ L 0 (X; R). c) Für f, g ∈ L 0 (X; Cd ), α ∈ C gilt αf + g ∈ L 0 (X; Cd ) (Vektorraum) d) Für f, g ∈ L 0 (X; C) gilt f g ∈ L 0 (X; C) (Algebra) e) Für f, g ∈ L 0 (X; R) gilt |f |, αf + g, f · g ∈ L 0 (X; R), falls die Summe bzw. das Produkt definiert sind. Beweis. Man verwende Satz 4.4. Zum Beispiel: c) Betrachte die stetige Funktion P : Cd × Cd → Cd , P (x, y) = x + y und die nach Satz 4.4.b) messbare Funktion F : X → Cd × Cd , F (x) = (f (x), g(x)). So ist f + g = P ◦ F , und die Messbarkeit folgt aus Satz 4.4 a). Satz 4.8. Sei (X, A ) ein messbarer Raum und f : X → R. Dann sind äquivalent: (i) f ist messbar, also f ∈ L 0 (X; R). (ii) f −1 ((a, ∞]) ∈ A für alle a ∈ R. (iii) f −1 ([a, ∞]) ∈ A für alle a ∈ R. (iv) f −1 ([−∞, a]) ∈ A für alle a ∈ R. (v) f −1 ([−∞, a)) ∈ A für alle a ∈ R. Beweis. Folgt aus 2.12, 4.2 und 4.5.c). Theorem 4.9. Seien fn ∈ L 0 (X; R) für n ∈ N. Dann liegen a) sup fn n∈N b) inf fn n∈N c) lim sup fn n→∞ d) lim inf fn n→∞ auch in L 0 (X; R). compiled: 20-Feb-2017/11:01 28 4 Meßbare Funktionen Beweis. a) Setze f = supn∈N fn . Nach Satz 4.8 ist f −1 ((a, ∞]) = {x | f (x) > a} ∈ A für a ∈ R zu zeigen. Es gilt [ x fn (x) > a . x f (x)a = x ∃ n ∈ N mit fn (x) > a = n∈N Da nach Voraussetzung {x | fn (x) > a} ∈ A für n ∈ N ist, folgt die Behauptung sofort. Aussage b) geht analog. c) und d) folgen aus a) und b): lim sup fn = inf sup fk , n∈N k≥n n→∞ lim inf fn = sup inf fk . n→∞ n∈N k≥n Theorem 4.10. Seien fn : X → R messbar für alle n ∈ N. Falls f (x) := lim fn (x) n→∞ für alle x ∈ X existiert, so ist f messbar. Beweis. Folgt aus 4.9. 4.2 Einfache Funktionen Wir betrachten nun für das Integral zu Grunde liegende Funktionen. Definition 4.11. Sei X 6= ∅. a) Die charakteristische Funktion (oder auch Indikatorfunktion) 1A von A ist definiert durch ( 1, x ∈ A, 1A (x) := 0, sonst. b) Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Eine Funktion f : X → K heißt einfach, falls f messbar ist und f (X) endliche Teilmenge von K ist (hier und im Folgenden bezeichnet K immer einen der beiden Körper R und C). Anmerkung 4.12. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. 1. 1A ist genau dann messbar, wenn A ∈ A . 2. f : X → K ist genau dann eine einfache Funktion, wenn f= N X j=1 aj 1Aj mit aj ∈ K, Aj ∈ A , also endliche Linearkombination messbarer charakteristischer Funktionen ist. Diese Darstellung ist dann eindeutig, wenn man fordert, dass die aj compiled: 20-Feb-2017/11:01 4.2 Einfache Funktionen 29 paarweise unterschiedlich und die Aj paarweise disjunkt sind. Letztere heißt dann Standard-Darstellung und es gilt f (X) = a1 , · · · aN und Aj = f −1 ({aj }). Theorem 4.13 (Approximationssatz). Sei (X, A ) ein messbarer Raum. a) f : X → [0, ∞] ist messbar ⇐⇒ Es gibt eine Folge (fn ) von einfachen Funktionen mit 0 ≤ f1 ≤ f2 ≤ · · · ≤ f und fn % f punktweise (d.h. fn (x) → f (x) für jedes x ∈ X). In diesem Fall kann fn so gewählt werden, dass fn gleichmäßig auf jeder der Mengen {x | f (x) ≤ a}, a ≥ 0 gegen f konvergiert. b) f : X → C ist messbar ⇐⇒ Es gibt eine Folge (fn ) von einfachen Funktionen mit 0 ≤ |f1 | ≤ |f2 | ≤ · · · ≤ |f | und fn → f punktweise. Beweis. a) “⇐”: Folgt aus 4.10. “⇒”: Für n ∈ N definiere ( gn (t) := j 2n n n für 2jn ≤ t < j+1 2n , j = 0, 1, 2, . . . , n2 − 1, für n ≤ t ≤ ∞. So sind gn : R → R einfache Funktionen. Nach Konstruktion gilt gn ≤ gn+1 . Für alle t ∈ [0, ∞] gilt gn (t) ↑ t. Für t = ∞ ist dies klar: gn (∞) = n ↑ ∞. Für t ∈ [0, ∞) haben wir |gn (t) − t| ≤ 1 2n für t ∈ [0, n]. Dies zeigt, dass gn (t) → t sogar gleichmäßig konvergiert für t in kompakten Intervallen [0, t0 ] (für alle festen t0 > 0). Setze fn := gn ◦ f , dann sind die fn einfache Funktionen und haben die gewünschten Eigenschaften. b) Sei f = g + ih. Wir wenden Teil a) auf g + , g − , h+ und h− an. So erhält man ξn % g + , ψn % g − , ηn % h+ , ζn % h− . Setze fn := ξn −ψn +i(ηn −ζn ). Dann gilt fn → f punktweise für n → ∞. Ferner gilt für x ∈ X |fn (x)| ≤ |fn+1 (x)| ≤ |f (x)|. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 5 Integrierbare Funktionen In diesem Abschnitt sei (X, A , µ) stets ein fester Maßraum. Ferner sei L 0 := L 0 (X, A , µ; R) := {f : X → R | f messbar}. Erinnerung: f ∈ L 0 einfach =⇒ f besitzt Standard-Darstellung f= N X aj 1Aj , j=1 wobei f (X) = {a1 , · · · aN } und Aj = f −1 ({aj }), ai 6= aj für i 6= j. 5.1 Integration einfacher Funktionen Definition 5.1. a) Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0 einfache Funktionen mit Standard-Darstellung f= N X aj 1Aj . j=1 Wir setzen Z f dµ := X N X aj µ(Aj ) j=1 und nennen diesen Ausdruck das (Lebesgue-)Integral von f bzgl. µ. b) Für A ∈ A heißt Z Z f dµ := f 1A dµ A X 30 5.1 Integration einfacher Funktionen 31 das (Lebesgue-)Integral von f über A bzgl. µ. Anmerkung 5.2. Sei M X f= bk 1Bk k=1 nicht unbedingt in Standard-Darstellung, aber mit bk ≥ 0, und Bk paarweise disjunkt. Dann gilt Z M X f dµ = bk µ(B ∩ Bk ) k=1 B für alle B ∈ A . Beweis. ...kommt noch... Lemma 5.3. Seien f , g ∈ L 0 , f, g ≥ 0 einfache Funktionen. a) Für A ∈ A gilt Z Z 1 dµ = A 1A dµ = µ(A). X b) Für A, B ∈ A mit A ⊆ B und für g ≤ f gilt Z Z g dµ ≤ f dµ. A B R R c) RFür α ≥ 0 ist R αf dµ =Rα f dµ. d) (f + g) dµ = f dµ + g dµ. e) Die Abbildung ϕ : A → [0, ∞], Z ϕ(A) := f dµ A ist ein Maß auf A . Beweis. a), c) Trivial aus der Definition. PN PM b) Seien f = j=1 aj 1Aj und g = k=1 bk 1Bk die Standard-Darstellungen. Dann gilt Z f dµ = N X j=1 A ≤ aj µ(Aj ∩ A) = N X M X j=1 k=1 N X M X j=1 k=1 aj µ(Aj ∩ Bk ∩ A) bk µ(Aj ∩ Bk ∩ B) = M X k=1 bk µ(Bk ∩ B) = Z g dµ, B wobei aj = f (x) ≤ g(x) = bk für x ∈ Aj ∩ Bk und µ(Aj ∩ Bk ∩ A) ≤ µ(Aj ∩ Bk ∩ B) nach Voraussetzung gelten. compiled: 20-Feb-2017/11:01 32 5 Integrierbare Funktionen PN PM d) Seien f = j=1 aj 1Aj und g = k=1 bk 1Bk Standard-Darstellungen, d.h. insbesondere mit Aj bzw. Bk paarweise disjunkt. Dann gilt Z Z f dµ + X g dµ = N X aj µ(Aj ) + j=1 X = bk µ(Bk ) k=1 N X aj j=1 = M X M X k=1 M X N X k=1 j=1 µ(Aj ∩ Bk ) + M X bk N X j=1 k=1 (aj + bk )µ(Aj ∩ Bk ) = µ(Aj ∩ Bk ) Z f + g dµ, X wobei wir auch benutzt haben, dass Aj = M [ k=1 e) Sei B = S∞ n=1 (Aj ∩ Bk ) und Bk = N [ (Aj ∩ Bk ). j=1 Bn , Bn ∈ A und Bj ∩ Bk = ∅, j 6= k. Zu zeigen ist Z f dµ = ∞ Z X f dµ. n=1B n B Dazu schreiben wir einfach die Definition hin: ∞ Z X f dµ = n=1B n ∞ X N X n=1 j=1 = N X j=1 aj µ(Bn ∩ Aj ) = aj µ(B ∩ Aj ) = N X aj j=1 ∞ X n=1 µ(Bn ∩ Aj ) Z f dµ. B 5.2 Integration positiver Funktionen Wir dehnen nun den Integralbegriff auf positive Elemente von L 0 aus. Definition 5.4. Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0, B ∈ A . Dann heißt Z nZ o f dµ := sup g dµ | g einfach und 0 ≤ g ≤ f B B das (Lebesgue-)Integral von f über B bzgl. µ. compiled: 20-Feb-2017/11:01 5.2 Integration positiver Funktionen 33 Anmerkung 5.5. 1. Für f ∈ L 0 , f ≥ 0 einfache Funktion, stimmen die Definitionen 5.1 und 5.4 überein. 2. Es gelten Z Z f dµ = 0, 0 dµ = 0. X ∅ 3. Aus der Definition folgt, dass für f , g ∈ L 0 , f, g ≥ 0 und α ≥ 0 gilt Z Z Z Z f ≤ g =⇒ f dµ ≤ g dµ und αf dµ = α f dµ. X X X X 4. Für A ⊆ B, A, B ∈ A gilt Z A f dµ ≤ Z f dµ. B Das erste fundamentale Resultat ist der folgende Konvergenzsatz. Theorem 5.6 (Beppo Levi-Theorem; Satz der monotonen Konvergenz). Es seien 0 ≤ f1 ≤ f2 ≤ · · · ≤ fn ≤ · · · messbar (fn ∈ L 0 ). Setze f := lim fn . n→∞ Dann ist f messbar, und es gilt Z Z f dµ = lim fn dµ. n→∞ X X R R Beweis. Aus der Voraussetzung wissen R wir X fn dµ ≤ X fn+1 dµ, somit existiert der Grenzwert limn→∞ X fn dµ ∈ [0, ∞]. Wegen R4.10 ist R f = limn→∞ fn messbar. Ferner gilt fn ≤ f und somit X fn dµ ≤ X f dµ. Sei jetzt 0 ≤ g ≤ f eine einfache Funktion und 0 < α < 1. Definiere die Mengen An := x ∈ X fn (x) ≥ αg(x) (n ∈ N). S∞ Es gilt X = n=1 An , denn falls g(x) = 0, so folgt x ∈ An für alle n ∈ N. Falls aber g(x) > 0, so gilt αg(x) < g(x) ≤ f (x) und deswegen fn (x) > αg(x) für n genügend groß, d.h. x ∈ An . Offensichtlich gilt ARn ⊆ An+1 für n ∈ N (da fn ≤ fn+1 ). Da nach Lemma 5.3.e) durch ϕ(A) := A f dµ ein Maß definiert wird, und da An % X gilt, bekommen wir Z Z Z Z α g dµ = lim αg dµ ≤ lim sup fn dµ ≤ lim fn dµ. X n→∞ An n→∞ n→∞ An X Dies gilt für alle α ∈ (0, 1) und für alle einfachen Funktionen g mit 0 ≤ g ≤ f , also nach Definition compiled: 20-Feb-2017/11:01 34 5 Integrierbare Funktionen Z Z f dµ ≤ lim n→∞ X fn dµ ≤ X Z f dµ. X R Anmerkung 5.7. X f Rdµ ist definiert als sup über eine “riesige” Menge. f dµ direkt zu berechnen. Theorem 5.6 besagt X RDaher ist es schwierig R f dµ = limn→∞ X fn dµ, wobei fn einfach mit fn % f . Der ApproxiX mationssatz stellt sicher, dass solche Folgen (fn ) überhaupt existieren. Eine Anwendung von 5.6 ist: Theorem 5.8. Sei (fn ) eine Folge in L 0 mit fn ≥ 0, und seien R 3 αn ≥ 0. Setze ∞ X f := αn fn . n=1 Dann gilt Z f dµ = ∞ X Z αn n=1 X fn dµ. X Beweis. Zunächst zeigen wir, dass das Integral endlich additiv ist. Seien fjn ≤ fj , j = 1 . . . , N , einfache Funktionen mit fjn % fj punktweise (siehe Theorem 4.13). Dann ergibt Lemma 5.3.b), dass Z Z Z Z n n n n α1 f1 dµ+α2 f2 dµ+· · ·+αN fN dµ = α1 f1n +α2 f2n +· · ·+αN fN dµ, X X X X R für jedes n ∈ N. Für n → ∞ konvergiert hier dieR rechte Seite gegenR X α1 f1 + · · · + αN fN dµ und die linke Seite gegen α1 X f1 dµ + · · · + αN fN dµ (verwende Theorem 5.6). Wir haben also die Gleichheit Z X N αj fj dµ = X j=1 N X j=1 Z αj fj dµ X gezeigt. Pn Nun definiere gn := j=1 αj fj , dann gilt gn ≤ gn+1 % f und Theorem 5.6 liefert Z Z Z X ∞ gn dµ αj fj dµ = lim gn dµ = lim X j=1 n→∞ n→∞ X = lim n→∞ X n X j=1 Z αj fj dµ = X ∞ X j=1 Z αj fj dµ. X Korollar 5.9. Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0. So definiert compiled: 20-Feb-2017/11:01 5.2 Integration positiver Funktionen 35 Z ν(A) := f dµ A ein Maß, und für alle g ∈ L 0 , g ≥ 0 gilt Z Z g dν = gf dµ. X X Beweis. Seien P An ∈ A paarweise disjunkt. Setze A := 1An f . Da n∈N fn = 1A f , so gilt nach Theorem 5.8 Z ν(A) = 1A f dµ = ∞ Z X 1An f dµ = n=1 X X X S n∈N An und fn := ν(An ). n∈N Sei g ≥ 0 eine einfache Funktion mit Standard-Darstellung g = Dann Z g dν = N X aj ν(Aj ) = j=1 X N X j=1 Z aj f dµ = Z X N j=1 aj 1Aj . Z aj 1Aj f dµ = X j=1 Aj PN gf dµ. X Für den allgemeinen Fall von g ∈ L 0 benutze den Approximationssatz 4.13 und das Theorem 5.6 von Beppo Levi. Theorem 5.10 (Fatou-Lemma). Für fn ∈ L 0 mit fn ≥ 0 gilt Z Z lim inf fn dµ ≤ lim inf fn dµ. n→∞ n→∞ X X Beweis. Wir erinnern uns daran, dass lim inf fn = lim inf fk = sup inf fk . n→∞ n→∞ k≥n n∈N k≥n Sei gn := inf j≥n fj und g := lim inf n→∞ fn = limn→∞ gn . Dann gilt gn % g und für j ≥ n gilt gn ≤ fj . Somit haben wir Z Z gn dµ ≤ fj dµ. R R Daraus folgt gn dµ ≤ inf j≥n fj dµ, und wegen Theorem 5.6 gilt Z Z lim inf fn dµ = lim gn dµ n→∞ X n→∞ X compiled: 20-Feb-2017/11:01 36 5 Integrierbare Funktionen Z = lim n→∞ gn dµ ≤ lim inf fj dµ = lim inf n→∞ j≥n X Z Z fn dµ. n→∞ X X Beispiel 5.11. Sei X = R, A = P(R) und sei µ das Zählmaß. Für fn := 1[n,∞) gelten Z fn & 0 punktweise und fn dµ = ∞. R Dies zeigt, dass a) der Satz von Beppo Levi für fallende Folgen im Allgemeinen nicht gilt, b) im Lemma von Fatou in der Tat “<” stehen kann. 5.3 Konvergenz und Gleichheit fast überall Definition 5.12. a) Wir sagen, dass eine Eigenschaft ϕ von Punkten x ∈ X µ-fast überall gilt, falls x ∈ X x hat Eigenschaft ϕ NICHT eine µ-Nullmenge ist. D.h. es gibt N ∈ A mit µ(N ) = 0 und, so dass x die Eigenschaft ϕ für alle x ∈ X \ N hat. Wir kürzen das als “f.ü.” ab. Beispiele hierfür: Es seien f, fn und g messbar. b) f = g fast überall, falls eine Menge N ∈ A existiert mit µ(N ) = 0 und f (x) = g(x) für alle x ∈ N c . c) fn → f fast überall, falls eine Menge N ∈ A existiert mit µ(N ) = 0 und fn (x) → f (x) für alle x ∈ N c . Beispiel 5.13. Für X = R, A = B(R) die Borel-σ-Algebra und λ1 das Lebesgue-Maß gilt 1Q = 0 fast überall. R Theorem 5.14. Für f ∈ L 0 , f ≥ 0 gilt X f dµ = 0 genau dann, wenn f = 0 µ-fast überall. R Pn Beweis. Sei zunächst f einfach, f = j=1 aj 1Aj . Dann gilt X f dµ = 0 genau dann, wenn aj = 0 oder µ(Aj ) = 0 für alle j = 1, . . . , n. Also folgt die Behauptung in diesem speziellen Fall. “⇐”: Sei f = 0 fast überall. Dann 0≤g≤f R gilt für alle einfachen Funktionen R stets g = 0 fast überall, also X g dµ = 0 und somit auch X f dµ = 0. compiled: 20-Feb-2017/11:01 5.4 Integrierbare Funktionen 37 S∞ “⇒”: Sei An := {x ∈ X | f (x) ≥ n1 }. Dann R gilt {x ∈1 X | f (x) > 0} = n=1 An . Ist µ(An ) > 0 für ein n ∈ N, so folgt f dµ ≥ n µ(An ) > 0, denn f 1An ≥ X R 1 1 . D.h. unter der Bedingung f dµ = 0 gilt µ(An ) = 0 für alle n ∈ N. n An S Da {x ∈ X | f (x) > 0} = n∈N An können wir somit folgern, dass f = 0 fast überall gilt. Mit diesem neuen Konzept gelten die entsprechenden Modifikationen der Sätze von Beppo Levi und Fatou. Korollar 5.15. Sei (fn ) ⊆ L 0 , f ∈ L 0 , f ≥ 0 und 0 ≤ f1 ≤ f2 ≤ f3 · · · ≤ fn ≤ · · · fast überall und fn → f fast überall. Dann gilt Z Z f dµ = lim fn dµ. n→∞ X X Beweis. ÜA. Korollar 5.16. Sei (fn ) ⊆ L 0 , f ∈ L 0 , fn , f ≥ 0 mit fn → f fast überall. Dann gilt Z Z f dµ ≤ lim inf fn dµ. n→∞ X X Beweis. ÜA. Theorem 5.17. Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0 mit fast überall. R X f dµ < ∞. Dann gilt f (x) < ∞ Beweis. ...kommt noch... 5.4 Integrierbare Funktionen Es sei (X, A , µ) ein Maßraum. Wir dehnen den Integralbegriff aus messbare Funktionen f : X → K auf. Wir erinnern uns daran, dass f : X → C genau dann messbar ist, wenn Re f, Im f : X → R beide messbar sind, und f : X → R genau dann messbar ist, wenn f + = max(f, 0) und f − = − min(f, 0) beide messbar sind. Im letzen Fall gilt: f = f + − f − und |f | = f + + f − . R + 0 Definition R − 5.18. a) Sei f ∈ L (X; R). Falls nicht beide Integrale f dµ und f dµ gleich ∞ sind, definieren wir durch Z Z Z f dµ := f + dµ − f − dµ, X X X compiled: 20-Feb-2017/11:01 38 5 Integrierbare Funktionen das Integral von f . Wir sagen, dass Integral von f existiert. Dieses Integral nennt man Lebesgue-Integral. falls ihr Integral exib) Eine Funktion f ∈ L 0 (X; R) heißt integrierbar, R stiert und eine endliche Zahl ist, d.h. f dµ ∈ R. c) Eine Funktion f ∈ L 0 (X; C) heißt integrierbar, falls Re f und Im f beide integrierbar sind. In diesem Fall setzen wir Z Z Z f dµ := Re f dµ + i Im f dµ. X X X d) Analog definiert man Integrierbarkeit auf einer Menge B ∈ A . e) Die Menge aller integrierbaren Funktionen f : X → K (K = R oder C), wird mit L 1 (µ) = L 1 (µ; K) = L 1 (X, µ; K) = L 1 (X, A , µ; K) bezeichnet. Anmerkung 5.19. Eine Funktion f : X → K ist genau dann integrierbar, wenn |f | : X → R integrierbar ist. Denn für K = R gilt: |f | = f + + f − , und für K = C gilt |f | ≤ | Re f | + | Im f | ≤ 2|f |. Theorem 5.20. Die Menge L 1 (µ; K) versehen mit punktweisen Operationen ist ein Vektorraum. Es gilt ferner: Z Z Z f + αg dµ = f dµ + α g dµ. X X X Beweis. Seien f, g ∈ L 1 (µ; K), α ∈ K. Es gilt |f + αg| ≤ |f | + |α| · |g|, also ist f + αg integrierbar wegen Bemerkung 5.19: Z Z Z |f + αg| dµ ≤ |f | dµ + |α| |g| dµ < ∞. X X X Wir können f und g in Real- und Imaginärteil zerlegen, also ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass f und g R-wertig sind. Für h := f + g gilt h+ − h− = f + − f − + g + − g − also h+ + f − + g − = h− + f + + g + . Satz 5.8 ergibt Z Z Z Z Z Z h+ dµ + f − dµ + g − dµ = h− dµ + f + dµ + g + dµ und daher compiled: 20-Feb-2017/11:01 5.4 Integrierbare Funktionen Z Z 39 Z h+ dµ − h− dµ = Z Z = f dµ + g dµ. Z h dµ = f + dµ − Z f − dµ + Z g + dµ − Z g − dµ Ist α ∈ R, so ist die Gleichheit Z Z αf dµ = α f dµ mit Vorzeichen-Analyse einfach zu beweisen (benutze auch Satz 5.8). Ist α ∈ C, so schreibt man α = Re α + i Im α und verwendet den schon bewiesenen reellen Fall. Satz 5.21. Für f ∈ L 0 , f ≥ 0 betrachte das Maß Z ν(A) := f dµ. A Für alle g ∈ L 1 gilt Z Z g dν = X gf dµ. X Beweis. Folgt aus Korollar 5.9 und aus der Definition des Integrals. Theorem 5.22. Für f ∈ L 1 (µ; K) gilt Z Z f dµ ≤ |f | dµ. X X R Beweis. Ist f dµ = 0, so ist die Behauptung trivial. Für reellwertiges f gilt Z Z Z Z Z Z f dµ = f + dµ − f − dµ ≤ f + dµ + f − dµ = |f | dµ. X X X X X X R R R Sei f : X → C und f dµ 6= 0. Setze α = | f dµ|/ f dµ, dann gilt |α| = 1 und Z Z Z Z f dµ = α f dµ = αf dµ = Re αf dµ X X X ZX Z Z Z = Re αf dµ ≤ | Re αf | dµ ≤ |αf | dµ = |f | dµ X X X X Lemma 5.23. Seien f, g ∈ L 1 (µ; R), g ≤ f . Dann gelten: compiled: 20-Feb-2017/11:01 40 5 Integrierbare Funktionen Z a) g dµ ≤ X Z f dµ. X b) Falls für A := {x | f (x) < g(x)} gilt µ(A) > 0, so gilt Z Z f dµ < g dµ. X X R Beweis. a) Da f − g ≥ 0, wir haben f − g dµ ≥ 0. Somit gilt Z Z Z 0 ≤ f − g dµ = f dµ − g dµ, X X X also folgt die Behauptung. R b) Ist f − g dµ = 0, so folgt R f −g = R 0 fast überall (denn f − g ≥ 0). Falls also µ(A) > 0 gilt, so muss g dµ < f dµ sein. Korollar 5.24. Für f, g ∈ L 1 (µ; K) sind die folgenden Aussagen äquivalent. Z Z (i) f dµ = g dµ für alle A ∈ A . A Z (ii) A |f − g| dµ = 0. X (iii) f = g fast überall. Beweis. (i) ⇒ (iii): Wir zeigen z.B., dass Re f = Re gRgilt fast überall R (Im f = Im g geht genauso). Nach Voraussetzung haben wir A Re f dµ = A Re g dµ für alle A ∈ A . Insbesondere gilt dies für A+ := {x ∈ X | Re f (x) > Re g(x)} und A− := {x ∈ X | Re f (x) < Re g(x)}. So erhält man µ(A− ) = 0 und µ(A+ ) = 0 und somit auch die Behauptung. Die Äquivalenz (ii) ⇔ (iii) folgt aus Thoorem 5.14. (ii) ⇒ (i): Wir haben Z Z Z Z Z f dµ − g dµ = f − g dµ ≤ |f − g| dµ ≤ |f − g| dµ = 0. A A A A X Theorem 5.25 (Lebesgue, Dominierte Konvergenz). Seien fn ∈ L 0 , n ∈ N, derart, dass (i) eine messbare Funktion f existiert mit fn → f fast überall, (ii) und ein g ∈ L 1 , g ≥ 0 existiert mit |fn | ≤ g fast überall für alle n ∈ N. Dann gelten fn , f ∈ L 1 (µ; C) und Z Z f dµ = lim fn dµ. n→∞ compiled: 20-Feb-2017/11:01 5.4 Integrierbare Funktionen 41 1 RBeweis. Es gilt R f ∈ L , denn |f | = limn→∞ |fn | ≤ g fast überall und somit |f | dµ ≤ g dµ. Ausserdem gilt |fn − f | ≤ |fn | + |f | ≤ 2g und daher hn := 2g − |fn − f | ≥ 0. Wende nun das Fatou-Lemma 5.10 auf hn an: Z Z Z Fatou 2g dµ = lim inf hn dµ ≤ lim inf 2g − |f − fn | dµ n→∞ X n→∞ X X Z = Z 2g dµ + lim inf n→∞ X Z = −|fn − f | dµ X Z 2g dµ − lim sup n→∞ X |fn − f | dµ. X R R Dies zeigt, dass lim supn→∞ |fn − f | dµ = 0, und somit limn→∞ |fn − f | dµ = 0. Also Z Z Z Z 5.20 fn dµ − f dµ = fn − f dµ ≤ |fn − f | dµ → 0 (n → ∞). X X X X Anmerkung 5.26. Die Existenz einer Majorante in Theorem 5.25 ist wesentlich. Beispiel: X = R, µ = λ1 , fn = n1(0, n1 ] . Dann fn → 0 punktweise überall aber Z fn dλ1 = 1. [0,1] Eine wichtige Anwendung ist die gliederweise Integration von Reihen: Theorem 5.27. Sei (fn ) eine Folge in L 1 (µ) mit ∞ Z X n=1 Dann konvergiert P∞ n=1 X |fn | dµ < ∞. fn fast überall gegen ein f ∈ L 1 (µ) und Z X ∞ X n=1 fn dµ = ∞ Z X n=1 fn dµ. X R P∞ P∞ R Beweis. Setze g := n=1 |fn |. Satz P∞ 5.8 gibt X g dµ = n=1 X |fn | dµ < ∞. Theorem 5.17 liefert dann ∞ fast überall und somit n=1 |fn (x)| < PN P∞ konvergiert n=1 fn (x) fast überall. Ferner gilt j=1 fj ≤ g für alle N ∈ N. R P∞ P∞ R Der Satz von Lebesgue 5.25 zeigt n=1 fn = n=1 X fn dµ. Theorem 5.28 (Differenzierbarkeit von Parameterintegralen). Seien a, b ∈ R, a < b, sei (X, A , µ) ein Maßraum und sei f : X × (a, b) → C. Es gelte: compiled: 20-Feb-2017/11:01 42 5 Integrierbare Funktionen (1) f (·, t) ∈ L 1 (µ; C) für alle t ∈ (a, b). 1 (2) ∂f ∂t existiert auf X × (a, b) und es existiert g ∈ L (µ; R) mit ∂f (x, t) ≤ g(x) ∂t für alle (x, t) ∈ X × (a, b). Dann ist F : (a, b) → C definiert durch Z F (t) := f (x, t) dµ(x) X differenzierbar auf (a, b) und dF d F (t) = (t) = dt dt 0 Z Z f (x, t) dµ(x) = X X ∂ f (x, t) dµ(x). ∂t f (x,tn )−f (x,t0 ) Beweis. Es gilt ∂f (mit tn → t0 ), damit ist ∂t (x, t0 ) = limtn →t0 tn −t0 ∂f die Funktion x 7→ ∂t (x, t0 ) für alle t0 ∈ (a, b) messbar. Der Mittelwertsatz und (2) liefern f (x, t ) − f (x, t ) n 0 ≤ |f 0 (x, s)| ≤ g(x). tn − t0 So folgt nach dem Satz von Lebesgue 5.25 Z Z ∂ f (x, tn ) − f (x, t0 ) dµ(x) = f (x, t0 ) dµ(x). lim tn →t0 X tn − t0 X ∂t Dies gilt für alle (tn )n∈N mit tn → t0 , und so folgt die Behauptung: Z ∂ 0 F (t0 ) = f (x, t0 ) dµ(x). ∂t X compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 6 L p Räume und Integralungleichungen L p -Räume verallgemeinern L 1 und spielen eine wichtige Rolle in der modernen Analysis. In diesem Abschnitt sei (X, A , µ) ein fester Maßraum. 6.1 Der Raum L p Definition 6.1. Sei f ∈ L 0 (X, A , µ; K) und sei p ∈ (0, ∞). a) Setze kf kp := Z 1/p |f |p dµ . X kf kp heißt die p-Norm von f (genauer: p-Halbnorm oder p-Seminorm). Wir werden sehen, dass es sich für p ≥ 1 dabei tatsächlich um eine s.g. Halbnorm handelt. b) Definiere L p := L p (X, A , µ; K) := f f ∈ L 0 (x, A , µ; K), kf kp < ∞ . f ∈ L p heißt eine p-integrierbare Funktion. Wir benutzen auch die Notationen: L p (µ; K), L p (µ), usw. Anmerkung 6.2. 1. Für f ∈ L 0 und p ∈ (0, ∞) gilt kf kp = 0 genau dann, wenn f = 0 µ-fast überall gilt. Denn es gelten die folgenden Äquivalenzen: Z kf kp = 0 ⇔ |f |p dµ = 0 ⇔ |f |p = 0 f.ü. ⇔ f = 0 f.ü. X 2. Für α ∈ K gilt kαf kp = |α| · kf kp . 43 6 L p Räume und Integralungleichungen 44 Wir brauchen die folgenden elementaren Ungleichungen aus der Analysis I. Lemma 6.3. Seien a, b ≥ 0. a) Youngsche Ungleichung. Für p, q ∈ [1, ∞) mit ab ≤ ap p + 1 p + 1 q = 1 gilt bq q . “=” gilt genau dann, wenn a = b. b) Für p > 1 gilt (a + b)p ≤ 2p−1 (ap + bp ). “=” gilt genau dann, wenn a = b. c) Für p ∈ (0, 1) gilt (a + b)p ≤ ap + bp . “=” gilt genau dann, wenn a = 0 oder b = 0. Beweis. ...kommt noch... Satz 6.4. Für p ∈ [0, ∞) ist L p (X, A , µ; K) ein Vektorraum. Beweis. Die Fälle p = 0 oder p = 1 haben wir schon erledigt. Für p > 1 und f, g ∈ L p können wir schreiben (benutze Lemma 6.3.b)) Z Z Z Z |f + g|p dµ ≤ (|f | + |g|)p dµ ≤ 2p−1 |f |p dµ + 2p−1 |g|p dµ < ∞, X X X X d.h. f + g ∈ L p . Für p < 1 und f, g ∈ L p gilt wegen Lemma 6.3.c) Z Z Z Z |f + g|p dµ ≤ (|f | + |g|)p dµ ≤ |f |p dµ + |g|p dµ < ∞, X X X X d.h. f + g ∈ L p . Theorem 6.5 (Höldersche Ungleichung). a) Es seien 0 < p, q, r < ∞ mit 1 1 1 + = . p q r Dann gilt für alle f, g ∈ L 0 die Ungleichung kf gkr ≤ kf kp · kgkq . b) Ist f ∈ L p , g ∈ L q mit p, q ∈ (1, ∞) und compiled: 20-Feb-2017/11:01 6.1 Der Raum L p 45 fg ∈ L 1 so gilt 1 1 + = 1, p q und kf gk1 ≤ kf kp kgkq . c) Für f, g ∈ L 2 gilt f g ∈ L 1 , und kf gk1 ≤ kf k2 kgk2 . Diese heißt die Cauchy–Schwarz-Ungleichung (oder: Bunjakowski– Cauchy–Schwarz-Ungleichung). Beweis. b) ist Spezialfall von a). Auch c) folgt aus b) mit p = q = 2. a) Natürlich ist f g messbar, d.h. f g ∈ L 0 . Gilt kf kp = 0 oder kgkq = 0, so gilt f g = 0 fast überall. Somit steht auf beiden Seiten die Zahl 0. Seien also kf kp , kgkq > 0. Ist eines der beiden ∞, so ist die Ungleichung trivial. Seien also kf kp , kgkq ∈ (0, ∞) und setze G := g/kgkq und F := f /kf kp . Anwenden der Young-Ungleichung in jedem Punkt x ∈ X ergibt nach Integration Z Z |f (x)g(x)|r dµ = |F (x)G(x)|r dµ(x) kf krp kgkrq X X Z Z r r r r rp/r |F (x)| dµ(x) + |G(x)|rq/r dµ(x) = + = 1, ≤ p q p q X X und die Behauptung folgt. Theorem 6.6 (Minkowskische Ungleichung). Sei 1 ≤ p < ∞ und f, g ∈ L p . Dann kf + gkp ≤ kf kp + kgkp . Beweis. Für p > 1 verwende die Höldersche Ungleichung: Z Z p p−1 kf + gkp ≤ |f | · |f + g| dµ + |g| · |f + g|p−1 dµ X ≤ kf kp · k(f + g) X p−1 kq + kgkp · k(f + g)p−1 kq = (kf kp + kgkp ) · kf + gkp/q p . p/q Da p − p/q = 1 folgt die Behauptung folgt per Dividieren durch kf + gkp (wenn dies nicht 0 ist). Für p = 1 kann man einige Schritte aus dem obigen Argument aussparen. Korollar. Für p ≥ 1 ist k · kp : L p → [0, ∞) eine Halbnorm, d.h., k · kp hat die folgenden Eigenschaften: 1. Für alle f ∈ L p und α ∈ K gilt kαf kp = |α|kf kp . (Homogenität) 2. Für alle f, g ∈ L p gilt kf + gkp ≤ kf kp + kgkp .(Dreiecksungleichung) compiled: 20-Feb-2017/11:01 6 L p Räume und Integralungleichungen 46 Theorem 6.7. Sei p ∈ (0, 1) und f, g ∈ L p . Dann gilt kf + gkpp ≤ kf kpp + kgkpp . Beweis. Folgt aus Lemma 6.3.c) (siehe den Beweis vom Theorem 6.4). Lemma 6.8. Sei g : R → R eine konvexe Funktion. Für jedes a, b ∈ R definiere `a,b : R → R, `a,b (x) := ax + b. Für jedes x ∈ R gilt dann g(x) = sup `a,b (x). `a,b ≤g Beweis. ...kommt noch... Theorem 6.9 (Jensen-Ungleichung). Sei (X, A , µ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, d.h., µ(X) = 1. Sei f ∈ L 1 (X) und sei g : R → R konvex. Dann gilt Z Z g f dµ ≤ g ◦ f dµ. X X Beweis. Da g stetig ist (konvexe Funktionen g : R → R sind stetig, siehe Analysis I) und f messbar ist, ist auch die Verkettung g ◦ f messbar. Sei `a,b ≤ f . Es gilt wegen µ(X) = 1: Z Z Z Z Z `a,b f dµ = a f dµ + b = af + b dµ = `a,b ◦ f dµ ≤ g ◦ f dµ. X X X X X Betrachtet man das Supremum bzgl. `a,b ≤ f und verwendet man Lemma 6.8, so folgt die Behauptung. Korollar. Sei µ ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf A . Für p ≥ 1 und f ∈ L p (µ) gilt kf k1 ≤ kf kp . Beweis. Die Funktion t 7→ tp ist konvex, und somit liefert die JensenUngleichung: Z p Z kf kp1 = |f | dµ ≤ |f |p dµ = kf kpp . X X (Alternativ kann man auch die Hölder-Ungleichung verwenden, vgl. Satz 6.16.) Theorem 6.10 (Clarkson-Ungleichungen). Sei (X, A , µ) ein Maßraum, und seien f, g ∈ L 0 (X; C). compiled: 20-Feb-2017/11:01 6.1 Der Raum L p 47 a) Für p ≥ 2 gilt: f + g p f − g p 1 + ≤ (kf kpp + kgkpp ). 2 2 2 p p b) Für p ∈ (1, 2) gilt f + g q f − g q 1 q/p 1 kf kpp + kgkpp , + ≤ 2 2 2 2 p p wobei Lemma. 1 p + 1 q = 1. Für a, b ≥ 0 und p ≥ 2 gilt ap + bp ≤ (a2 + b2 )p/2 . Beweis. Wir können OBdA annehmen, dass a2 +b2 = 1. In diesem Fall gelten a ≤ 1, b ≤ 1 und somit ap ≤ a2 und bp ≤ b2 . Dies impliziert ap + bp ≤ a2 + b2 = 1 = (a2 + b2 )p/2 . Beweis (Theorem 6.10). b) ist ohne Beweis. a) (Wir können f, g ∈ L p annehmen, sonst ist die Aussage trivial.) Wir benutzen das vorige Lemma: Z Z Z f + g p f − g p f + g 2 f − g 2 p/2 dµ dµ + dµ ≤ + 2 2 2 2 X X X Z 2 |f | + |g|2 + f g + f g + |f |2 + |g|2 − f g − f g p/2 = dµ 4 X Z Z 2 |f |p + |g|p |f | + |g|2 p/2 dµ ≤ dµ. = 2 2 X X In dem letzten Schritt haben wir die Konvexität von t 7→ tp/2 benutzt. Anmerkung 6.11. a) Für n ∈ N, m ∈ N seien an,m ∈ C gegeben. Wir schreiben an,m → 0 (n, m → ∞), falls für jedes ε > 0 einen Grenzindex N ∈ N existiert mit |an,m | ≤ ε für alle n, m ≥ N . compiled: 20-Feb-2017/11:01 6 L p Räume und Integralungleichungen 48 b) Sei (bn ) ∈ C eine Folge und b ∈ C. Setze an,m := bn − b. Dann an,m → 0 (n, m → ∞) ⇐⇒ bn → b (n → ∞), d.h., (bn ) ist konvergent mit Grenzwert b. c) Sei (bn ) ∈ C eine Folge. Setze an,m := bn − bm . Dann an,m → 0 (n, m → ∞) ⇐⇒ (bn ) ist eine Cauchy-Folge. Theorem 6.12. Seien fn ∈ L p . Falls gilt kfn − fm kp → 0 für n, m → ∞, dann existiert eine Teilfolge (fnk ) und eine Funktion f ∈ L p derart, dass und fnk (x) → f (x) kfn − f kp → 0 für µ-fast alle x ∈ X, für n → ∞. Beweis. (Nur für p ≥ 1, der Fall p ∈ (0, 1) geht ähnlich.) Sei (fn ) eine Cauchy-Folge in L p . Zu εk := 2−k wähle Nk ∈ N mit kfn − fm kp ≤ 2−k falls n, m ≥ Nk . So findet man eine Teilfolge (fnk ) mit 1 2k kfnk+1 − fnk kp ≤ Setze gk := fnk+1 − fnk , Gn := kGN kp ≤ N X j=1 PN j=1 für alle k ∈ N. |gj | und G := kgj kp ≤ ∞ X j=1 P∞ j=1 |gj |. Dann gilt kgj kp ≤ 1 < ∞. Da GpN % Gp gilt, liefert der Satz von der monotonen Konvergenz 5.6 Z Z p G dµ = lim GpN dµ ≤ 1 < ∞. N →∞ X X Dass heißt G ∈ L p und somit (siehe Theorem 5.17) G(x) = ∞ X j=1 |gj (x)| < ∞ µ-fast überall. Insbesondere konvergiert die Reihe F (x) := ∞ X j=1 gj (x) für fast alle x ∈ X. Wir sehen auch, dass |F | ≤ G gilt und daher F ∈ L p . Weiterhin gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 6.2 Der Raum L ∞ 49 k−1 k−1 X p X p |F − fnk + fn1 |p = gj = F − gj ≤ (2G)p ∈ L 1 , j=1 j=1 also nach dem Satz von Lebesgue 5.25 n n p p Z X X kF − fnk + fn1 kpp = F − fj dµ → 0 fj = F − j=1 p X j=1 für k → ∞. So folgt die Behauptung mit f (x) := F (x) + fn1 (x). Theorem (Riesz–Fischer). Sei p ∈ (0, ∞), und seien fn ∈ L p . Äquivalent sind die folgenden Aussagen: (i) kfn − fm kp → 0 für n, m → ∞ (d.h. (fn ) ist eine L p -Cauchy-Folge). (ii) Es gibt f ∈ L p mit kfn − f kp → 0 für n → ∞. Beweis. (Nur für p ≥ 1, der Fall p ∈ (0, 1) geht ähnlich.) (ii) ⇒ (i) ist die triviale Implikation: Für ε > 0 gilt kfn − fm kp ≤ kfn − f kp + kf − fm kp ≤ ε, falls n, m ≥ N . (i) ⇒ (ii): Sei (fn ) eine Cauchy-Folge. Nach Theorem 6.12 gibt es eine konvergente Teilfolge (fnk ) mit Grenzwert f ∈ L p . Für ε > 0 gilt dann kfn − f kp ≤ kfn − fnk kp + kfnk − f kp ≤ ε, falls n ≥ N (in einem Zwischenschritt wählt man nk groß). 6.2 Der Raum L ∞ Definition 6.13. a) Sei f : X → K messbar. Dann heißt f wesentlich beschränkt, falls ein c ≥ 0 mit µ({x ∈ X | |f (x)| > c}) = 0 existiert, d.h., falls gilt |f | ≤ c fast überall. In diesem Fall heißt c eine wesentliche Schranke von f . b) Setze kf k∞ := inf{α ≥ 0 : µ({x ∈ X : |f (x)| > α}) = 0}. Ist f nicht wesentlich beschränkt, so setzt man kf k∞ := ∞. kf k∞ heißt das wesentliche Supremum von |f |. c) Der Raum L ∞ ist definiert durch L ∞ := L ∞ (X, A , µ; K) := f ∈ L 0 | kf k∞ < ∞ . Theorem 6.14 (Eigenschaften von L ∞ ). compiled: 20-Feb-2017/11:01 6 L p Räume und Integralungleichungen 50 a) |f | ≤ kf k∞ fast überall und es gilt: |f | ≤ c fast überall ⇐⇒ kf k∞ ≤ c. b) kf k∞ = 0 gilt genau dann, wenn f = 0 fast überall. c) L ∞ ist ein Vektorraum und k · k∞ ist eine Seminorm darauf. d) Für fn , gm ∈ L ∞ sind die folgenden Aussagen äquivalent: (i) kfn − gm k∞ → 0 für n, m → ∞. (ii) Es gibt eine µ-Nullmenge N ∈ A , so dass sup |fn (x) − gm (x)| → 0 x∈N c für n, m → ∞. e) Für fn ∈ L ∞ sind die folgenden Aussagen äquivalent: (i) kfn − fm k∞ → 0 für n, m → ∞. (ii) Es gibt ein f ∈ L ∞ , so dass kfn − f k∞ → 0 für n → ∞. Beweis. a) Setze A := x ∈ X |f (x)| > kf k∞ , An := x ∈ X |f (x)| > kf k∞ + n1 . S∞ Dann gilt A = n=1 An und µ(An ) = 0. Somit gilt auch µ(A) = 0, d.h. |f | ≤ kf k∞ fast überall. Nach Definition gilt kf k∞ ≤ c, falls |f | ≤ c fast überall. Da |f | ≤ kf k∞ gilt, so ist die behauptete Äquivalenz bewiesen. b) Folgt direkt aus a): kf k∞ = 0 gilt genau dann, wenn |f | ≤ 0 fast überall. c) Seien f, g ∈ L ∞ . Dann gilt |f + g| ≤ |f | + |g| ≤ kf k∞ + kgk∞ < ∞. D.h. f + g ∈ L ∞ und es folgt sogar kf + gk∞ ≤ kf k∞ + kgk∞ . Sei α ∈ K, α 6= 0. Dann gelten |αf | = |α| · |f | ≤ |α| · kf k∞ kα −1 αf k∞ ≤ |α −1 | · kαf k∞ und daher und daher kαf k∞ ≤ |α|kf k∞ , |α|kf k∞ ≤ kαf k∞ . Insgesamt folgt also kαf k∞ = |α|kf k∞ . Für α = 0 ist diese letzte Gleichheit trivial, denn die beiden Seiten sind dann 0. d) Für n, m ∈ N gilt c |fn (x) − gm (x)| ≤ kfn − gm k∞ für alle x ∈ Nn,m , µ(Nn,m ) = 0. S Setze N := n,m∈N Nn,m . Dann gilt µ(N ) = 0 und compiled: 20-Feb-2017/11:01 6.3 Vergleich der L p Räume 51 |fn (x) − gm (x)| ≤ kfn − gm k∞ für alle x ∈ N c . Also gilt für ε > 0 |fn (x) − gm (x)| ≤ kfn − gm k∞ ≤ ε für alle x ∈ N c falls n, m ≥ n0 , und das war genau die Behauptung. e) Die Implikation (i) ⇒ (ii) ist einfach (siehe Theorem 6.1). (ii) ⇒ (i): Setze gm := fm und verwende Teil d) um eine Nullmenge zu finden mit |fn (x) − fm (x)| → 0 gleichmäßig auf N c für n, m → ∞. Wir sehen dass (fn (x)) ⊆ K eine Cauchyfolge ist, also einen Grenzwert f (x) (für jedes x ∈ N c ) hat. Auf N definiere f als 0, dann ist f auf jedem Fall messbar (Grenzwert messbarer Funktionen ist auch messbar). Für ε > 0 gilt |fn (x) − fm (x)| ≤ kfn − fm k∞ ≤ ε, falls n, m ≥ n0 . Mit m → ∞ bekommen wir |fn (x) − f (x)| ≤ ε für alle x ∈ N c , für n ≥ n0 , d.h. kf − fn k∞ → 0. Aus |f | ≤ |f − fn0 | + |fn0 | ≤ ε + kfn0 k∞ < ∞, folgt f ∈ L ∞ . Nun ist der folgende Satz ein direktes Korollar (vgl. mit der Hölder-Ungleichung). Satz 6.15. Für f ∈ L 1 und g ∈ L ∞ gilt kf gk1 ≤ kf k1 · kgk∞ . 6.3 Vergleich der L p Räume Im Allgemeinen gibt es für p < r keinen Zusammenhang zwischen L p und L r , d.h. L p 6⊆ L r und L p 6⊇ L r . Trotzdem kann man einiges über den Vergleich von L p und L r sagen. Die folgenden Resultaten beruhen sich auf der Hölderschen Ungleichung. Theorem 6.16. Sei (X, A , µ) ein endlicher Maßraum, und seien 0 < p < r ≤ ∞. So gilt L r (X, A , µ) ⊆ L p (X, A , µ) compiled: 20-Feb-2017/11:01 6 L p Räume und Integralungleichungen 52 Im Allgemeinen steht hier “6=”. Beweis. Sei f ∈ L r . Dann liefert die Anwendung der Hölder-Ungleichung 6.5 auf f und g = 1X das Folgende: kf kp ≤ kf kr µ(X)1/q mit 1 p = 1 r + 1q . Theorem 6.17. Sei (X, A , µ) ein endlicher Maßraum. Ist f ∈ L ∞ , so gilt kf k∞ = lim kf kp . p→∞ Beweis. Der Fall kf kp = 0 ist trivial. Insbesondere können wir µ(X) > 0 und kf k∞ > 0 annehmen. Da f ∈ L ∞ , können wir schreiben Z |f |p dµ ≤ kf kp∞ µ(X). X Daraus folgt lim sup kf kp ≤ kf k∞ lim µ(X)1/p = kf k∞ . p→∞ p→∞ Anderseits gilt für alle 0 < α < kf k∞ Z |f |p dµ ≥ αp µ({x | |f (x)| > α}), X und somit lim inf kf kp ≥ α. p→∞ Dies beendet den Beweis. Theorem 6.18 (Interpolationsungleichung). Seien p0 , p1 ∈ (0, ∞], θ ∈ (0, 1) und 1 θ 1−θ pθ := p0 + p1 . Falls f ∈ L p0 ∩ L p1 , so gilt auch f ∈ L pθ mit θ kf kpθ ≤ kf k1−θ p0 kf kp1 . Beweis. Setze g := |f |(1−θ)pθ und h := |f |θpθ . Dann gilt gh = |f |(1−θ)pθ +θpθ = |f |pθ . Ferner gelten g∈L sowie kf kppθθ p0 (1−θ)pθ (X, µ) und h ∈ L p1 θpθ (X, µ), (1−θ)pθ θ p0 p1 = kf k = kghk1 ≤ kgk (1−θ)p · khk θp · kf kθp p0 p1 θ θ compiled: 20-Feb-2017/11:01 6.3 Vergleich der L p Räume 53 mit der Verwendung der Hölderschen Ungleichung. Theorem 6.19. Für p ∈ [1, ∞) gilt L p (X, A , µ) ⊆ L 1 (X, A , µ) + L ∞ (X, A , µ), d.h. jedes f ∈ L p läßt sich als f = g + h zerlegen, mit g ∈ L 1 und h ∈ L ∞ . Beweis. Der Fall p = ∞ ist trivial, also sei p < ∞. Sei f ∈ L p (X, µ). Setze A := {x ∈ X | |f | ≥ 1} und h := 1A f , g := 1X\A f . Dann g ∈ L ∞ (X, µ) und h ∈ L 1 (X, µ), denn Z Z Z Z |h| dµ = |f | dµ ≤ |f |p dµ ≤ |f |p dµ. X A A X Es ist üblich für L p (N, P(N), µ; C), µ das Zählmaß, die Abkürzung `p einzuführen. Mit dieser Notation haben wir die Folgenden: Für x : N → C, p ∈ (0, ∞) gilt kxkp = ∞ X n=1 |xn |p 1/p , kxk∞ = sup |xn |. n∈N Satz 6.20. Für 0 < r < p ≤ ∞ gilt `r ⊆ `p , und für x = (xn ) ∈ `r gilt k(xn )kp ≤ k(xn )kr . Beweis. ...kommt noch... compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 7 Konvergenz von Folgen messbarer Funktionen Siehe Vorlesungsmitschrift. 54 Kapitel 8 Konstruktion von Maßen Ziel dieses Paragraphen ist es Techniken zu entwickeln um Maße zu konstruieren. 8.1 Äussere Maße Definition 8.1. Sei X 6= ∅, E ⊆ P(X) mit ∅ ∈ E . Eine Funktion ϕ : E → [0, ∞] heißt relativSäusseres Maß über X, falls ϕ(∅) = 0 und für alle A, An ∈ E mit A ⊆ n∈N An gilt ϕ(A) ≤ ∞ X ϕ(An ). n=1 Ist darüber hinaus E = P(X), so heißt ϕ äusseres Maß. Anmerkung 8.2. a) Jedes Maß ist ein relativ äusseres Maß. b) Ein relativ äusseres Maß ist monoton, d.h. A ⊆ B impliziert ϕ(A) ≤Sϕ(B). c) Ein relativ äusseres Maß ist σ-subadditiv: Falls A, Aj ∈ E mit A = j Aj , so gilt X ϕ(A) ≤ ϕ(Aj ). j Theorem 8.3 (Hahn). Es sei E ⊆ P(X) mit ∅ ∈ E , und α : E → [0, ∞] mit α(∅) = 0. Für A ⊆ X definiere ∞ [ falls 6 ∃(An ) ⊆ E mit A ⊆ An , n=1 ϕα (A) := nP o ∞ ∞ S inf α(An ) An ∈ E und A ⊆ An . ∞ n=1 n=1 Dann gelten die folgenden Aussagen. 55 56 8 Konstruktion von Maßen a) ϕα ist ein äußeres Maß auf X. b) Ist ϕ ein relativ äußeres Maß definiert mindestens auf E mit ϕ ≤ α, dann gilt ϕ ≤ ϕα . c) Es gilt ϕα |E = α genau dann, wenn α selbst ein relativ äußeres Maß ist. Beweis. a) ϕα (∅) = 0 ist klar. S Sei A ⊆ n An . Falls ϕα (An ) = ∞ für ein n ∈ N, so ist die gewünschte Ungleichung trivialerweise wahr. Also können wir annehmen, dass ϕα (An ) < ∞. Sei ε > 0 und für jedes n ∈ N wähle Bnk ∈ E (k ∈ N) mit An ⊆ ∞ [ Bnk und k=1 ∞ X k=1 α(Bnk ) ≤ ϕα (An ) + ε . 2n Dann gilt A⊆ ∞ [ n=1 An ⊆ ∞ [ ∞ [ Bnk , n=1 k=1 und somit ϕα (A) ≤ ϕα ≤ ∞ [ n=1 ∞ X ∞ X ∞ X An ≤ α(Bnk ) n=1 k=1 ϕα (An ) + n=1 ∞ ε X ϕα (An ) + ε, = 2n n=1 denn ϕα ist trivialerweise monoton. Da hier ε > 0 beliebig ist, erhält man die Behauptung. b) Sei A ⊆ X derart, dass ϕ(A) definiert ist, d.h., sei A im Definitionsbereich von ϕ. Wenn ϕα (A) = ∞ gilt, dann ist ϕ(A) ≤ ϕα (A) trivial. Sei also A ⊆ S n∈N An mit An ∈ E . Dann gilt ϕ(A) ≤ X n∈N ϕ(An ) ≤ X α(An ). n∈N Dies liefert ϕ(A) ≤ ϕα (A). c) Ist α ein relativ äußeres Maß, so gilt α ≤ ϕα auf E wegen b). Aber ϕα ≤ α ist ohne weiteres immer wahr, also ϕα = α auf E . 8.2 Carathéodory-Messbarkeit Definition 8.4. Sei ϕ äußeres Maß auf X. Dann heißt eine Menge A ⊆ X ϕ-messbar, falls gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 8.2 Carathéodory-Messbarkeit 57 ϕ(H) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H \ A) für alle H ⊆ X. Wir führen noch die folgende Notation ein: Mϕ := A A ⊆ X ϕ-messbar . Anmerkung 8.5. a) H = (H ∩A)∪(H \A) =⇒ ϕ(H) ≤ ϕ(H ∩A)+ϕ(H \A), d.h., A ist ϕ-messbar ⇐⇒ ϕ(H) ≥ ϕ(H ∩ A) + ϕ(H \ A) für alle H ⊆ X. b) A ist ϕ-messbar ⇐⇒ Ac ϕ-messbar. Theorem 8.6 (Carathéodory). Es sei ϕ äußeres Maß auf X. Dann ist Mϕ eine σ-Algebra und (X, Mϕ , ϕ|Mϕ ) ist ein vollständiger Maßraum. Für jedes H ⊆ X definiert µH (A) := ϕ(A ∩ H) ein Maß auf der σ-Algebra Mϕ |H := A ∩ H A ∈ Mϕ . Zum Beweis benötigen wir eine Vorbemerkung: Eine Algebra ist genau dann eine σ-Algebra, wenn sie unter abzählbaren disjunkten Vereinigungen stabil ist. Dies kann man leicht mithilfe der Disjunktisierungstechnik einsehen (siehe Korollar 2.5). Beweis. Klar ist ∅ ∈ Mϕ . Die obige Bemerkung b) liefert, dass Ac ∈ Mϕ , falls A ∈ Mϕ . Zunächst zeigen wir, dass Mϕ eine Algebra ist. Seien also A, B ∈ Mϕ und es sei H ⊆ X beliebig. Es gilt ϕ(H) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H \ A) = ϕ(H ∩ A ∩ B) + ϕ(H ∩ A ∩ B c ) + ϕ(H(\A) ∩ B) + ϕ((H \ A) ∩ B c ) ≥ ϕ(H ∩ (A ∪ B)) + ϕ(H ∩ (A ∪ B)c ). Damit folgt aus Bemerkung a), dass A∪B ∈ Mϕ gilt. Laut unserer Vorbemerkung bleibt zu zeigen, dass Mϕ unter abzählbaren, disjunkten Vereinigungen stabil ist. Bemerke, dass für A, B ∈ Mϕ mit A ∩ B = ∅ gilt ϕ(H ∩ (A ∪ B)) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H ∩ B). In der Tat haben wir für solche A und B ϕ(H ∩ (A ∪ B)) = ϕ(H ∩ (A ∪ B) ∩ A) + ϕ((H ∩ (A ∪ B)) \ A) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H ∩ B). Dies impliziert per Induktion, dass µH endlich additiv ist. Nun seien An ∈ Mϕ , n ∈ N, paarweise disjunkt. Zu zeigen ist Für H ⊆ X beliebig gilt S∞ n=1 An ∈ M ϕ . compiled: 20-Feb-2017/11:01 58 8 Konstruktion von Maßen ∞ n n X [ [ ϕ H∩ Aj ≥ ϕ H ∩ Aj = ϕ(H ∩ Aj ). j=1 j=1 j=1 Dies gilt für alle n ∈ N und somit bekommen wir ∞ ∞ X [ ϕ H∩ Aj ≥ ϕ(H ∩ Aj ). j=1 j=1 Da die Ungleichung “≤” wegen σ-Subadditivität erfüllt ist, bekommen wir, dass µH σ-additiv ist. Da Mϕ eine Algebra ist, es gilt n n n ∞ X [ [ [ ϕ(H) = ϕ H ∩ Aj + ϕ H \ Aj ≥ ϕ(H ∩ Aj ) + ϕ H \ Aj . j=1 j=1 j=1 j=1 Daraus bekommen wir mit n → ∞ ϕ(H) ≥ ∞ X j=1 ∞ ∞ ∞ [ [ [ ϕ(H ∩ Aj ) + ϕ H \ Aj = ϕ H ∩ Aj + ϕ H \ Aj . j=1 j=1 j=1 S∞ Dies zeigt j=1 Aj ∈ Mϕ . Schließlich ist also Mϕ , und somit auch Mϕ |H eine σ-Algebra. Zur Vollständigkeit: Sei N ⊆ X mit N ⊆ C ∈ Mϕ , ϕ(C) = 0. Für alle H ⊆ X gilt dann ϕ(H) ≤ ϕ(H ∩ N ) + ϕ(H \ N ) ≤ ϕ(N ) + ϕ(H) ≤ ϕ(C) + ϕ(H) = 0 + ϕ(H). Es gilt hier also überall “=”, und somit ist N ∈ Mϕ . 8.3 Das Fortsetzungstheorem Theorem 8.7 (Fortsetzungstheorem). Es sei X = 6 ∅, E ⊆ P(X) ein \-stabiles Mengensystem mit ∅ ∈ E . Ferner sei α : E → [0, ∞] ein relativ äußeres Maß und additiv auf E . Dann gilt E ⊆ Mϕα und ϕα |E = α, d.h. ϕα ist eine Fortsetzung von α. Bemerke zunächst, dass A ∩ B = A \ (A \ B), also ist E ∩-stabil. Ferner, ist E nicht leer und \-stabil, so folgt automatisch ∅ ∈ E . Beweis. Aus Theorem 8.3.c) folgt, dass ϕα |E = α gilt. Es bleibt also die Inklusion E ⊆ Mϕα zu zeigen. Sei A ∈ E und H ⊆ X beliebig. Falls ϕα (H) = ∞, dann gilt ϕα (H) ≥ ϕα (H ∩ A) + ϕα (H \ A). compiled: 20-Feb-2017/11:01 8.3 Das Fortsetzungstheorem 59 Sei also ϕα (H) < ∞, und seien An ∈ E mit H ⊆ H ∩A⊆ [ n (An ∩ A), H \A⊆ S n [ n An . Da (An \ A) gelten, bekommen wir die folgende Abschätzung X X ϕα (H ∩ A) + ϕα (H \ A) ≤ ϕα (An ∩ A) + ϕα (An \ A) n = n X n α(An ∩ A) + X n α(An \ A) = X α(An ), n wobei wir auch benutzt haben, dass α additiv ist und dass ϕα |E = α gilt. Wegen der Definiton von ϕα implizert die obige Ungleichung ϕα (H ∩ A) + ϕα (H \ A) ≤ ϕα (H), d.h. A ∈ Mϕα . Anmerkung 8.8. Sei (X, A , µ) ein Maßraum und sei ϕµ die Hahn-Erweiterung von µ auch P(X). Dann sind für A ⊆ X die folgenden Aussagen äquivalent: (i) A ist eine µ-Nullmenge. (ii) ϕµ (A) = 0. Dies folgt aus Satz 3.7 und aus der Definition von ϕµ . Theorem 8.9 (Eindeutigkeitstheorem I). Es sei X 6= ∅, E ⊆ P(X) ein \-stabiles Mengensystem mit ∅ ∈ E . Ferner sei α : E → [0, ∞] ein relativ äußeres Maß und additiv auf E . Sei A eine σ-Algebra mit E ⊆ A ⊆ Mϕα und µ ein Maß auf A , das α fortsetzt. Gilt zusätzlich ϕα (X) < ∞, so gilt ϕα |A = µ, d.h. ϕα ist die eindeutige Fortsetzung von α. Beweis. Sei µ eine weitere Fortsetzung von α auf A . Dann ist insbesondere µ ein relativ äußeres Maß und es gilt µ ≤ α. Wegen Theorem 8.3 b) gilt µ ≤ ϕα . Da ϕα (X) < ∞ gilt, definiert ν := ϕα − µ ein Maß auf A . Aber für AS∈ E gilt nach Voraussetzung ν(A) = 0, somit auch ν(X) = 0, denn X ⊆ n∈N An für geeignete An ∈ E . Das heißt µ = ϕα auf A . Der obige Eindeutigkeitssatz gilt unter schwächeren Bedingungen, nämlich wenn X σ-endlich bzgl. E ist. Die Idee dabei ist, dass S wir X durch paarweise disjunkte Elemente von E überdecken, d.h. X ⊆ n∈N Cn , α(Cn ) < ∞, und den obigen Eindeutigkeitssatz separat für jedes Cn verwenden. Wir brauchen zum Beweis das folgende Lemma. compiled: 20-Feb-2017/11:01 60 8 Konstruktion von Maßen Lemma 8.10. Sei E ⊆ P(X) \-stabil mit ∅ ∈ E und sei α monoton (z.B. ein relativ äußeres Maß) auf E . Für C ∈ E setze γ := α|E |C (wobei E |C := {A ∩ C | A ∈ E }). Betrachte das äußere Maß ϕγ auf P(C). Dann gilt Mϕα |C ⊆ Mϕγ , und ϕα |P(C) = ϕγ . Falls C ∈ Mϕα , so gilt auch die Gleichheit Mϕα |C = Mϕγ . Beweis. Bemerke zunächst, dass E |C auch \-stabil ist. Für H ⊆ C gilt ϕα (H) ≤ ϕγ (H), denn bei der Definition von S ϕα wird das Infimum über einer größeren Menge betrachtet. Sei nun H ⊆ n An mit An ∈ E . Dann gilt ϕγ (H) ≤ X n γ(An ∩ C) = X n α(An ∩ C) ≤ X α(An ), n also ϕγ (H) ≤ ϕα (H) und eigentlich sogar ϕγ (H) = ϕα (H). Sei A ∈ Mϕα und sei H ⊆ C. Dann gilt ϕγ (H) = ϕα (H) = ϕα (H ∩ (A ∩ C)) + ϕα (H \ (A ∩ C)) = ϕγ (H ∩ (A ∩ C)) + ϕγ (H \ (A ∩ C)) und daher A ∩ C ∈ Mϕγ . Sei nun C ∈ Mϕα , und A ∈ Mϕγ (also insbesondere A ⊆ C) Für H ⊆ X gilt ϕα (H) = ϕα (H \ C) + ϕα (H ∩ C) = ϕα (H \ C) + ϕγ (H ∩ C) = ϕα (H \ C) + ϕγ (H ∩ C ∩ A) + ϕγ ((H ∩ C) \ A) = ϕα (H \ C) + ϕα (H ∩ C ∩ A) + ϕα ((H ∩ C) \ A) ≥ ϕα (H \ A) + ϕα (H ∩ A), also A ∈ Mϕα . Theorem 8.11 (Eindeutigkeitstheorem II). Es sei X 6= ∅, E ⊆ P(X) ein \-stabiles Mengensystem mit ∅ ∈ E . Ferner sei α : E → [0, ∞] ein relativ äußeres Maß und additiv auf E . Sei A eine σ-Algebra mit S E ⊆ A ⊆ Mϕα und µ ein Maß auf A , das α fortsetzt. Gilt zusätzlich X = n An mit An ∈ E und α(An ) < ∞, so gilt ϕα |A = µ, d.h. ϕα ist die eindeutige Fortsetzung von α. Beweis. Statt A1 , A2 , . . . , An . . . , können wir A1 , A2 \A1 , A3 , \A2 \A1 , . . . betrachten (E ist \-stabil), die aber paarweise disjunkt sind und immer noch X compiled: 20-Feb-2017/11:01 8.4 Metrische äussere Maße 61 überdecken. Also nehmen wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass die An paarweise disjunkt sind. Sei µ ein Maß auf A und eine Fortsetzung von α. Für γn := α|E |An gilt nach dem obigen Lemma Mϕγn = Mϕα |An und ϕγn (A) = ϕα (A) für A ⊆ An . Wir können Theorem 8.9 auf µ|A |An verwenden, denn E |An ⊆ A |An ⊆ Mϕα |An = Mϕγn . Dies ergibt und somit µ(A ∩ An ) = ϕγn (A ∩ An ) = ϕα (A ∩ An ) X X µ(A) = µ(A ∩ An ) = ϕα (A ∩ An ) = ϕα (A). n n 8.4 Metrische äussere Maße Es sei (X, d) ein metrischer Raum, und es seien A, B ⊆ X. Wir setzen dist(A, B) := inf a∈A, b∈B d(a, b), diam(A) := sup d(x, y), x,y∈A der Abstand der Mengen A und B, bzw. der Durchmesser von A. Definition 8.12. Sei ϕ ein äußeres Maß auf X. Dann heißt ϕ metrisch, falls ϕ(A ∪ B) = ϕ(A) + ϕ(B) für alle A, B ⊆ X mit dist(A, B) > 0. Theorem 8.13. Sei ϕ ein äußeres Maß auf X. Dann gilt B(X) ⊆ Mϕ ⇐⇒ ϕ ist metrisch. Beweis. “⇐”: Es seien A, B ⊆ X mit dist(A, B) > 0. Dann A ∩ B = ∅ und nach Voraussetzung gilt A ∈ Mϕ . D.h. ϕ(A ∪ B) = ϕ((A ∪ B) ∩ A) + ϕ((A ∪ B) ∩ \A) = ϕ(A) + ϕ(B). “⇒”: Wir zeigen, dass G ∈ Mϕ gilt, wenn G offen ist. Setze n 1o Gk := x ∈ G dist(x, X \ G) ≥ . k Sei ferner Uk := Gk \ Gk−1 . Für alle H ⊆ X und m ∈ N gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 62 8 Konstruktion von Maßen H ∩ G = H ∩ Gm ∪ ∞ [ k=m+1 H ∩ Uk . Setze ak := ϕ(H ∩ Uk ). So erhält man ϕ(H ∩ G)∩ ≤ ϕ(H ∩ Gm ) + Falls P k ∞ X ak . k=m+1 ak < ∞, dann gilt ϕ(H ∩ G) ≤ lim ϕ(H ∩ Gm ). m→∞ P∞ P∞ P∞ Falls k=1 ak = ∞, dann gilt Pk=1 a2k = ∞ oder k=1 a2k+1 = ∞. Aus ∞ Symmetriegründen können wir k=1 a2k = ∞ annehmen. Bemerke, dass dist(U2k , U2l ) > 0 falls k 6= l. Nach Voraussetzung ist ϕ metrisch, also gilt N X a2k = k=1 N X k=1 N [ ϕ(H ∩ U2k ) = ϕ H ∩ U2k ≤ ϕ(H ∩ G2N ). k=1 So folgt limN →∞ ϕ(H ∩ G2N ) = ∞ und damit ϕ(H ∩ G) ≤ lim ϕ(H ∩ Gm ). m→∞ Wir haben gezeigt, dass in den beiden obigen Fällen gilt ϕ(H ∩ G) ≤ lim ϕ(H ∩ Gm ). m→∞ Daraus folgt: ϕ(H) ≥ ϕ((H ∩ Gm ) ∪ (H \ G)) = ϕ(H ∩ Gm ) + ϕ(H \ G). Für m → ∞ erhält man ϕ(H) ≥ lim ϕ(H ∩ Gm ) + ϕ(H \ G) ≥ ϕ(H ∩ G) + ϕ(H \ G) m→∞ und damit die Behauptung. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 9 Der Lebesguesche Maßraum 9.1 Konstruktion des Lebesgue-Maßes Vorbereitungen. 1. Für a, b ∈ Rd mit a ≤ b (d.h. aj ≤ bj für j = 1, . . . , d) setze [a, b) := [a1 , b1 ) × [a2 , b2 ) × · · · × [ad , bd ). Analog definieren wir [a, b] und (a, b). Alle diese Mengen nennen wir Intervall (oder Rechteck, oder Quader). Wir benutzen aber nur Intervalle vom Typ [a, b). So führen wir weiterhin die Notation E0 := [a, b) a, b ∈ Rd , a ≤ b ein. 2. Für ein Intervall I = [a, b) setzen wir vold (I) := d Y (bj − aj ), j=1 das Volumen von I. 3. Wir setzen E := N n[ k=1 o Ik Ik ∈ E0 , k = 1, . . . , N, N ∈ N . Lemma 9.1. a) E ist ein Ring, insbesondere gilt ∅ ∈ E und E ist \-stabil. b) Jedes A ∈ E kann als disjunkte Vereinigung A= N [ j=1 Ij mit I j ∈ E0 63 64 9 Der Lebesguesche Maßraum dargestellt werden. Die Funktion α definiert man mit Hilfe solcher disjunkter Darstellungen als N X α(A) := vold (Ij ). j=1 α ist wohldefiniert, additiv und ein relativ äusseres Maß auf E . Für I ∈ E0 gilt α(I) = vold (I). Beweis. a) Offensichtlich ist E0 ∩-stabil, und somit ist E auch ∩-stabil und trivialerweise ∪-stabil. Da für A, B ∈ E0 stets A \ B ∈ E gilt, bekommen wir, dass E auch \-stabil ist, insgesamt also ein Ring. Am besten überzeugt man sich von der Gültigkeit dieser Aussagen durch Zeichnen von Bildern (vgl. Übung). SM b) Sei A = k=1 Ak mit A ∈ E , Ak ∈ E0 . Für jedes i = 1, . . . , d betrachten wir die i-ten Koordinaten der Eckpunkten von allen Ak . Dadurch wird ein Gitter in Rd erzeugt. Wir bezeichnen mit Ij , j = 1, . . . , N die Quader, welche in A enthalten sind. So gelangen wir zur disjunkten Vereinigung A= N [ Ij , j=1 und die erste Aussage ist bewiesen. Falls gelten für A ∈ E0 A= N [ Rj und A = j=1 M [ Sk k=1 mit Rj ∈ E0 paarweise disjunkt und Sk ∈ E0 paarweise disjunkt, so gilt auch A= N [ M [ j=1 k=1 (Sk ∩ Rj ) mit Sk ∩ Rj ∈ E0 . Daraus bekommt man die Wohldefiniertheit von α leicht und danach ist die Additivität von α auch leicht zu zeigen. SM Sei nun A ⊆ k=1 Ak mit A, Ak ∈ E . Wir betrachten, wie oben, das Gitter erzeugt durch die Eckpunkte von Intervallen welche in der Darstellung von A bzw. von Ak auftauchen, und bezeichnen mit Ij , j = 1, . . . , N die Quader, SM welche in k=1 Ak enthalten sind. Dann gilt M [ k=1 Ak = N [ j=1 Ij und A = [ Ij j∈J compiled: 20-Feb-2017/11:01 9.1 Konstruktion des Lebesgue-Maßes 65 für geeignetes J ⊆ {1, . . . , N }. Aus der Additivität von α folgt dann α(A) = X j∈J α(Ij ) ≤ N X α(Ij ) = α j=1 M [ k=1 M X Ak ≤ α(Ak ). k=1 S∞ Nun sei A ⊆ k=1 Ak eine abzählbare Überdeckung mit A, Ak ∈ E . Bezeichne die Intervalle die in der Darstellung irgendeiner Ak auftauchen mit Ij , j ∈ N (wir können annehmen, dass die Ij , welche zum selben Ak gehören, paarweise disjunkt sind). Vergrössere jedes Ij um den Mittelpunkt mit dem Faktor 1+δ, ◦ ◦ um die Intervalle Ijδ zu erhalten. Somit gilt I j ⊆ Ijδ (Ijδ bezeichnet das Innere von Ijδ ). Da A eine endliche Vereinigung von Intervallen ist, ist A kompakt. Somit wird A durch endlich viele Ijδ , j = 1, . . . , K überdeckt. Nach dem, was wir schon bewiesen haben, gilt α(A) ≤ K X α(Ijδ ) d = (1+δ) j=1 K X j=1 α(Ij ) ≤ (1+δ) d ∞ X j=1 α(Ij ) ≤ (1+δ) d ∞ X α(Ak ). k=1 Da dies für jedes δ > 0 gilt, erhalten wir α(A) ≤ ∞ X α(Ak ), k=1 d.h., α ist ein relativ äusseres Maß. Definition 9.2. Betrachte α, E wie oben, und das zugehörige äusseres Maß ϕα , siehe Kapitel 8. a) λd? := ϕα heißt das d-dimensionale äußere Lebesgue-Maß. b) Die σ-Algebra Mϕα der λd? -messbaren Mengen wird mit L (Rd ) bezeichnet (siehe das Theorem von Carathéodory 8.6). Die Mengen A ∈ L (Rd ) heißen Lebesgue-Mengen oder Lebesgue-messbare Mengen. Das Lebesgue-Maß ist λd := λd? |L (Rd ) . Der Lebesguesche Maßraum ist (Rd , L (Rd ), λd ). Theorem 9.3. a) λd? ist ein metrisches äußeres Maß. b) Die Borel-Mengen sind Lebesgue-messbar, d.h. B(Rd ) ⊆ L (Rd ). c) Der Lebesguesche Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ) ist vollständig. d) Für A ∈ E gilt λd (A) = α(A). Insbesondere gilt λd (I) = vold (I) für Intervalle I = [a, b). e) Für K ⊆ Rd kompakt gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 66 9 Der Lebesguesche Maßraum λd (K) < ∞. f) Der Lebesguesche Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ) ist σ-endlich. Es gilt sogar [ Kn X= n∈N mit Kn kompakt. g) Für a ≤ b gilt λd ([a, b)) = λd ([a, b]) = λd ((a, b)). h) Ist A eine σ-Algebra mit E ⊆ A ⊆ L (Rd ) und ist µ ein Maß auf A mit µ|E = α so gilt λd |A = µ. Beweis. a) beweisen wir separat am Ende dieses Abschnitts. b) Folgt aus a) und Theorem 8.13. Wir geben aber einen anderen Beweis, der auf dem Gebrauch von a) verzichtet. Wegen des Fortsetzungstheorems 8.7 gilt E ⊆ L (Rd ). Da aber E0 ⊆ E ⊆ B(Rd ), und E0 die Borel-σ-Algebra erzeugt (siehe Theorem 2.12), bekommen wir B(Rd ) = σ(E0 ) ⊆ σ(E ) ⊆ L (Rd ). c) Folgt aus Konstruktion: mit der Anwendung des Theorems von Carathéodory bekommt man immer vollständige Maßräume. d) λd? setzt α und somit vold fort (wegen Satz 8.7 und Lemma 9.1). e) Den Fall [a, b) wissen wir aus d) schon. Die andere Behauptungen folgen daraus, denn gelten: (a, b) = ∞ [ [a + n1 1, b), [a, b] = ∞ \ [a, b + n1 1), n=1 n=1 wobei 1 den Vektor (1, 1, . . . , 1) ∈ Rd bezeichnet. So kann man die Stetigkeit des Maßes λd verwenden (siehe 3.2.6–7). f) Da eine kompakte Menge K ⊆ Rd beschränkt ist, gibt es ein Intervall I ∈ E0 mit K ⊆ I. Somit gilt λd (K) ≤ λd (I) = vold (I) < ∞. g) Es gilt Rd = ∞ [ B(0, n), n=1 und B(0, n) ist kompakt. compiled: 20-Feb-2017/11:01 9.1 Konstruktion des Lebesgue-Maßes 67 h) Das ist genau die Aussage des Eindeutigkeitstheorems 8.11 für diesen speziellen Fall (beachte, dass wir die nötige σ-Endlichkeit haben). Anmerkung 9.4. 1. Statt E und α kann man E2 := N n[ k=1 o Ik Ik = [ak , bk ) ∈ E0 , ak , bk ∈ Qd , N ∈ N , und α2 := α|E2 betrachten und dieselbe Konstruktion durchführen. So bekommt man den gleichen Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ). 2. Dasselbe gilt für E3 := A ⊆ Rd A Jordan-messbar und α3 =Jordan-Maß. Theorem 9.5. Für jedes A ⊆ Rd und a ∈ Rd gilt λ?d (a + A) = λ?d (A), d.h. das äußere Lebesgue-Maß ist translationsinvariant. a) A ∈ L (Rd ) ⇐⇒ a + A ∈ L (Rd ), b) A ∈ B(Rd ) ⇐⇒ a + A ∈ B(Rd ). D.h. das Lebesgue-Maß ist translationsinvariant (auch nach Einschränkung auf B(Rd )). c) Für r ≥ 0 λ?d (rA) = rd λ?d (A), wobei rA := ra a ∈ A . Beweis. Es ist klar, dass vold translationsinvariant ist und daher ist auch λd? translationsinvariant. Die Äquivalenz unter a) folgt auch sofort. Für a ∈ Rd setze τa : Rd → Rd , τa (x) := x − a. Ist G offen, so ist a + G = τa−1 (G) auch offen. Sei ferner A := A ⊆ Rd τa−1 (A) ∈ B(Rd ) . Dann ist A eine σ-Algebra und enthält alle offene Mengen. Daher B(Rd ) ⊆ A . Somit ist die Äquivalenz unter b) bewiesen. c) Klar aus der Definition von λ?d , denn vold (rI) = rd vold (I). Korollar 9.6. Das Lebesgue-Maß λd ist das einzige translationsinvariante Maß auf B(Rd ) (oder auf L (Rd )) mit λd ([0, 1)d ) = 1. compiled: 20-Feb-2017/11:01 68 9 Der Lebesguesche Maßraum Beweis. Sei µ ein translationsinvariantes Maß definiert auf allen Intervallen und normiert per µ([0, 1)d ) = 1. Sei a, b ∈ Qd mit a ≤ b. Translationsinvarianz ergibt µ([a, b)) = µ([0, b − a) + a) = µ([0, b − a)). Da b − a ∈ Qd gilt, folgt md 1 m2 b − a = (m m , m ,..., m ) für geeignete mj , m ∈ Z. D.h. [0, b − a) ist darstellbar als paarweise disjunkte 1 d ) durch TranslaVereinigung von m1 m2 · · · md Intervallen, welche aus [0, m tion entstehen. Wegen der Translationsinvarianz erhalten wir 1 d ) ). µ([0, b − a)) = m1 m2 · · · md µ([0, m 1 d Aus Theorem 9.5.c) folgt, dass µ([0, m ) )= µ([a, b)) = µ([0, b − a)) = 1 . md Dies liefert dann m1 m2 · · · md = λd ([0, b − a)) = λd ([a, b)). md Wir haben also gezeigt, dass µ = vold = λd auf Quadern mit rationalen Eckpunkten. Dann gilt dieser Gleichung aber auch auf der Menge E2 aus Bemerkung 9.4. Schließlich zeigt Theorem 9.3.g) die Gleichheit λd = µ auf A = B(Rd ) (oder A = L (Rd )). Das äußere Lebesgue-Maß ist metrisch Wir beweisen jetzt Theorem 9.3.a). Theorem 9.7. Das d-dimensionale äußere Lebesguesche Maß ist ein metrisches äußeres Maß. d Beweis. Es seien B) > 0. Sei jetzt 0 < δ < √ A, B ⊆ R mit dist(A, dist(A, B)/2/ d. Betrachte das Gitter δZd mit Seitenlänge δ. Wähle die abgeschlossenen Würfel Ij , j ∈ N bzw. Ji , i ∈ N in diesem Gitter mit Ij ∩ A √ 6= ∅ und Ji ∩ B 6= ∅. Dann gilt Ij ∩ Ji = ∅ (denn diam(Ij ) = diam(Ji ) = dδ < dist(A, B)/2). Somit gilt A⊆ und ∞ [ j=1 ∞ X Ij , B⊆ vold (Ij ) + j=1 ∞ [ i=1 ∞ X i=1 Ji , A∪B ⊆ ∞ [ j=1 Ij ∪ ∞ [ Ji , i=1 vold (Ji ) ≥ λd? (A) + λd? (B). Daher erhält man λd? (A ∪ B) ≥ λd? (A) + λd? (B). Dies zusammen mit der Subadditivität liefert die Behauptung. compiled: 20-Feb-2017/11:01 9.2 Regularität 69 δ A dist(A, B) B δ 9.2 Regularität Theorem 9.8. Für A ∈ L (Rd ) und für ε > 0 existieren F ⊆ Rd abgeschlossen und G ⊆ Rd offen mit F ⊆A⊆G und λd (G \ F ) ≤ ε. F kann sogar als abzählbare Vereinigung von kompakten Mengen gewählt werden. Beweis. Sei zunächst A beschränkt undSsomit λd (A) < ∞. Für ε > 0 gibt es nach Definition eine Überdeckung A ⊆ j∈N Ij durch Intervalle Ij mit X j∈N vold (Ij ) ≤ λd (A) + 4ε . Sei Ijδ die Vergrößerung des Intervalls Ij um den Mittelpunkt mit Faktor 1+δ, ◦ ◦ so dass I j ⊆ Ijδ (Ijδ bezeichnet das Innere von Ijδ ). Dadurch wird das Maß ◦ S um den Faktor (1 + δ)d vergrößert. Setze G := j∈N Ijδ . Dann ist G ⊆ Rd offen und wegen der σ-Subadditivität gilt X X λd (G) ≤ λd (Ijδ ) = (1 + δ)d λd (Ij ) ≤ (1 + δ)d (λd (A) + 4ε ) ≤ λd (A) + 2ε , j∈N j∈N falls δ > 0 klein genug ist. Da A beschränkt ist, gilt A ⊆ B(0, R) für ein R > 0. Nach dem was wir schon bewiesen haben gibt es eine offene Menge G0 so dass B(0, R) \ A ⊆ G0 und λd (G0 ) ≤ λd (B(0, R) \ A) + 2ε . Setze F := B(0, R) \ G0 . Dann ist F abgeschlossen mit F ⊆ A und es gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 70 9 Der Lebesguesche Maßraum λd (F ) = λd (B(0, R) \ G0 ) ≥ λd (B(0, R)) − λd (G0 ) ≥ λd (B(0, R)) − λd (B(0, R)) + λd (A) − ε 2 = λd (A) − 2ε . Also haben wir die gewünschten Mengen F und G gefunden: Es gilt λd (G \ F ) = λd (G \ A) + λd (A \ F ) ≤ ε. Natürlich ist F kompakt. Sei jetzt A unbeschränkt. Setze A1 := B(0, 1) und Aj := A ∩ (B(0, j) \ B(0, jS− 1)) für j ≥ 2. Die Aj sind natürlich disjunkt und beschränkt. Es gilt A = j Aj . Nach dem ersten Teil existieren für ε > 0 und j ∈ N die Mengen Fj ⊆ Aj ⊆ Gj mit λd (Gj \ Fj ) ≤ ε/2j . Wir setzen [ [ G := Gj und F := Fj . j∈N j∈N So ist G offen (klar) und F abgeschlossen (denn jede kompakte Menge schneidet nur endlich viele von den Mengen Fj ). Schließlich gilt λd (G \ F ) ≤ ∞ X j=1 λd (Gj \ Fj ) = ∞ X ε = ε, j 2 j=1 was den Beweis beendet. Theorem 9.9. a) Der Lebesguesche Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ) ist die Vervollständigung von (Rd , B(Rd ), λd ). b) Sei A ∈ L (Rd ). Dann existiert eine Fσ -Menge F und eine Gδ -Menge G derart, dass F ⊆A⊆G und λd (F ) = λd (A) = λd (G). c) Für A ∈ L (Rd ) gilt λd (A) = inf λd (G) G ⊆ Rd offen, A ⊆ G = sup λd (K) K ⊆ Rd kompakt, K ⊆ A . Beweis. a) Folgt direkt aus b). b) Folgt direkt aus Theorem 9.8. Denn für jedes n ∈ N seien Gn , Fn offen bzw. abgeschlossen mit Fn ⊆ Fn+1 ⊆ A ⊆ Gn+1 ⊆ Gn Die Mengen G := T n∈N Gn und F := S und λd (Gn \ Fn ) ≤ n∈N 1 . n Fn sind so wie gewünscht. c) Folgt direkt aus Theorem 9.8. compiled: 20-Feb-2017/11:01 9.2 Regularität 71 Theorem 9.10. Eine Menge A ⊆ Rd ist genau dann Lebesgue-messbar, wenn sie als A=S∪N dargestellt werden kann, mit N eine Lebesgue-Nullmenge und S die abzählbare Vereinigung von kompakten Mengen. Beweis. Seien S und N wie in der Aussage, so gilt S ∈ B(Rd ) ⊆ L (Rd ) und daher S ∪ N ∈ L (Rd ). S Umgekehrt: λd ist σ-endlich: A = j∈N Aj mit λd (Aj ) < ∞. Für alle j ∈ N existiert Sj ⊆ Aj , Sj abzählbare Vereinigung kompakten Mengen und λd (Sj )S= λd (Aj ). Setze Nj := Aj \Sj . Dann gilt λd (Nj ) = λd (ASj \Sj ) = 0 und N Nj ist auch eine Lebesgue-Nullmenge. Es gilt A = j∈N Nj ∪Sj = S := j∈N S S N ∪ S = N ∪ S mit S = S . Hier ist S auch abzählbare j j j j∈N j∈N j∈N Vereinigung von kompakten Mengen. Also folgt die Behauptung. Theorem 9.11 (Lusin). Es sei f : Rd → R Lebesgue-messbar, genauer (L (Rd ), B(R))-messbar, und H ⊆ Rd Lebesgue-messbar mit λd (H) < ∞. Dann existiert für jedes ε > 0 eine abgeschlossene Menge F ⊆ H mit λd (H \ F ) < ε und f :F →R stetig. Beweis. Wir behandeln zunächst den Fall, wenn f eine einfache Funktion ist, mit Standard-Darstellung N X aj 1Aj . f= j=1 Mit Theorem 9.9 finden wir zu jedem Aj eine abgeschlossene Menge Fj ⊆ Aj SN mit λd (Aj \ Fj ) ≤ ε/N . Die Menge F := j=1 Fj ist wie gewünscht und f : F → R ist stetig, denn f ist konstant auf der disjunkten abgeschlossenen Mengen Fj . Sei jetzt f eine beliebige messbare Funktion. Wir können annehmen, dass f beschränkt ist. Denn mit Hn := {x ∈ X | |f (x)| ≤ n} gilt Hn % H und somit λd (Hn ) → λd (H). Da λd (H) < ∞, gilt λd (H \ Hn ) → 0 auch. Für ein n ∈ N gilt also λd (H \ Hn ) < ε/2. Mit einem Verlust vom Maß ε/2 können wir also statt H die Menge Hn betrachten, und auf Hn ist aber f beschränkt. Nun, da f beschränkt ist, können wir f gleichmäßig durch einfache Funktionen fn approximieren (siehe Theorem 4.13), d.h. |f − fn | ≤ n1 gilt für alle n ∈ N. Für jedes n ∈ N wenden wir den schon bewiesenen Teil auf fn an. Genauer: sei F1 ⊆ H abgeschlossen, so dass f1 : F1 → R stetig ist und λd (H \ F1 ) ≤ ε/2. Ist Fn abgeschlossen und schon definiert, so geht man rekursiv vor und wählt Fn+1 ⊆ Fn mit λ(Fn+1 \ Fn ) ≤ ε/2n+1 und sogar compiled: 20-Feb-2017/11:01 72 9 Der Lebesguesche Maßraum T derart, dass fn+1 : Fn+1 → R stetig ist. Wir setzen F := n∈N Fn . Somit ist F abgeschlossen und erfüllt λd (H \ F ) ≤ ε. Nun muss man sich daran erinnern, dass ein gleichmäßiger Grenzwert von stetigen Funktionen stetig ist und bemerken, dass fn → f gleichmäßig auf F gilt, und dass alle fn : F → R stetig sind. Lebesgue-Nullmengen Theorem 9.12. Eine Menge N ⊆ Rd ist genau dann eine Lebesgue-Nullmenge, wenn für alle ε > 0 eine Folge von Intervallen (Ij ) mit N⊆ ∞ [ j=1 Ij und ∞ X vold (Ij ) < ε j=1 existiert. In diesem Fall kann man sogar offene Intervalle Ij wählen. Beweis. Dass N eine Lebesgue-Nullmenge ist, bedeutet λd? (N ) = λd (N ) = 0. Die Behauptung folgt also aus der Definition von λd? (siehe 8.3). Korollar 9.13. Ist A ⊆ Rd abzählbar so ist A eine Lebesgue-Nullmenge. Beweis. Wir zeigen, dass für x ∈ Rd gilt λd ({x}) = 0. In der Tat: {x} ⊆ (x−ε1, x+ε1), und λd ((x−ε1, x+ε1)) = (2ε)d . Also ist λd ({x}) = 0, und die Behauptung folgt aus der σ-Additivität von λd . (Hier ist 1 = (1, 1, . . . , 1) ∈ Rd .) Sei X ⊆ Rd . f : X → Rd2 heißt Lipschitz-stetig, falls L ≥ 0 existiert mit |f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| für alle x, y ∈ X. Die Funktion f : Rd → Rd2 heißt lokal Lipschitz-stetig, falls sie auf jeder kompakten Menge Lipschitz stetig ist. Theorem 9.14. Sei N ⊆ Rd eine Lebesgue-Nullmenge und f : Rd → Rd2 Lipschitz-stetig mit d2 ≥ d. Dann ist f (N ) auch eine Lebesgue-Nullmenge. Beweis. Sei Nn := B(0, n) ∩ N . Wir betrachten auf Rd die ∞-Norm: kxk∞ := max{|x1 |, |x2 |, . . . , |xn |} (auf Rd sind alle Normen äquivalent). Nach Voraussetzung gibt es ein L ≥ 0 mit für alle x, y ∈ B(0, n). S∞ Da P Nn eine Nullmenge ist, existiert eine Überdeckung Nn ⊆ j=1 Ij mit j∈N vold (Ij ) < ε. OBdA können wir annehmen, dass die Ij jeweils Würfel mit Kantenlänge `j < 1 sind. Wegen (9.1) existiert ein Würfel Wj mit Kantenlänge L · `j so dass f (Nn ∩ Ij ) ⊆ Wj . Dann gilt (9.1) kf (x) − f (y)k∞ ≤ Lkx − yk∞ compiled: 20-Feb-2017/11:01 9.3 Nicht Lebesgue-messbare Mengen f (Nn ) = f ( [ j∈N und X j∈N vold2 (Wj ) ≤ X j∈N N ∩ Ij ) = 73 [ j∈N Ld2 `dj 2 ≤ Ld2 f (N ∩ Ij ) ⊆ X `dj = Ld2 j∈N [ Wj , j∈N X vold (Ij ) < Ld2 ε. j∈N Hier ist ε > 0 beliebig, und somit ist f (Nn ) und auch f (N ) eine LebesgueNullmenge. Theorem 9.15. Sei f : Rd → Rd2 lokal Lipschitz-stetig mit d2 ≥ d (z.B. stetig differenzierbar). Ist A ⊆ Rd Lebesgue-messbar, so ist auch f (A) ⊆ Rd2 Lebesgue-messbar. Beweis. Nach Satz 9.10 läßt A sich als A = SS ∪ N mit S σ-kompakt und N Lebesgue-Nullmenge zu schreiben. So ist S = j∈N Kj mit Kj kompakt und S f (A) = f (S) ∪ f (N ) = j∈N f (Kj ) ∪ f (N ). Hier ist f (Kj ) kompakt (denn f ist stetig) und f (N ) Lebesgue-Nullmenge (verwende Satz 9.14). Dies zeigt f (A) ∈ L (Rd2 ). 9.3 Nicht Lebesgue-messbare Mengen Die Vitali-Menge aus Kapitel 1 ist nicht Lebesgue-messbar, d.h. es gibt nicht Lebesgue-messbare Mengen. Viel mehr ist aber wahr: Theorem 9.16. Für H ⊆ Rd gilt P(H) ⊆ L (Rd ) genau dann, wenn λd (H) = 0. Beweis. Da der Lebesgue-Maßraum vollständig ist, ist jede λd -Nullmenge Lebesgue-messbar. Um die andere Implikation zu sehen definieren wir eine Äquivalenzrelation auf Rd : x ∼ y falls x−y ∈ Q. Sei A eine Menge, welche aus jeder Äquivalenzklasse genau ein Element enthält. Dann ergeben [ [ Rd = (A + p) und H = (H ∩ (A + p)) p∈Qd p∈Qd jeweils eine Partition von Rd bzw. H. Sei p ∈ Qd fest und sei K ⊆ H ∩ (A + p) eine kompakte Menge. Dann gilt K ⊆ B(0, R) für ein R > 0. Für unterschiedliche q ∈ Qd sind K + q disjunkt, denn es gilt K ⊆ A + p. Dies impliziert S X X λd (B(0, R + 1)) ≥ λd (K + q) = λd (K + q) = λd (K). q ∈ Qd |q| < 1 q ∈ Qd |q| < 1 q ∈ Qd |q| < 1 compiled: 20-Feb-2017/11:01 74 9 Der Lebesguesche Maßraum Da λd (B(0, R + 1)) < ∞, sehen wir λd (K) = 0. Nach Theorem 9.9 gilt dann λd (H ∩ (A + p)) = 0 und somit λd (H) = 0. Anmerkung 9.17. Wenn man die Mächtigkeiten von B(Rd ) und L (Rd ) miteinander vergleicht, sieht man, dass nicht alle Lebesgue-messbare Mengen Borel sind. Man kann Mengen die nicht Borel- aber Lebesgue-messbar sind auch “explizit” angeben. 9.4 Das Riemann-Integral Wir wollen die zwei Integralbegriffe, den von Riemann und den von Lebesgue miteinander vergleichen. Zunächst erinnern wir uns an die Definition des Riemman-Integrals einer beschränkten Funktion f : [a, b] → R. Sei t0 = a < t1 < · · · < tn = b eine Partition P von [a, b], und setze S(f, P ) := n X j=1 wobei Mj := Mj (tj − tj−1 ), sup f (x), s(f, P ) := und n X j=1 mj := x∈[tj−1 ,tj ] mj (tj − tj−1 ), inf x∈[tj−1 ,tj ] f (x). Dann heißt Zb f (x) dx := inf S(f, P ) das obere Integral von f P a Zb f (x) dx := sup s(f, P ) das untere Integral von f . P a Stimmen diese beide Werte miteinander überein, so heißt f Riemannintegrierbar Zb f (x) dx := inf S(f, P ) = sup s(f, P ) P P a heißt das Riemann-Integral von f . (Das ganze Prozedere kann man in Rd fast ohne Änderungen durchführen und somit zum Riemann–Jordan-Integral gelangen, siehe Analysis 2.) Theorem 9.18. Eine Funktion f : [a, b] → R ist genau dann Riemannintegrierbar, wenn sie beschränkt ist und λ1 ([a, b]\Cf ) = 0 gilt (Cf bezeichnet die Menge der Stetigkeitstellen von f ). In diesem Fall gilt die Gleichheit compiled: 20-Feb-2017/11:01 9.4 Das Riemann-Integral 75 Zb Z f dλ1 . f (x) dx = a [a,b] Um dieses Theorem beweisen zu können, brauchen wir einige Vorbereitungen. Definition 9.19. Seien H ⊆ Rd und f : H → R beliebig. Wir setzen f (x) := lim sup f (y) : y ∈ B(x, r) ∩ H , r↓0 f (x) := lim inf f (y) : y ∈ B(x, r) ∩ H . und r↓0 f und f heißen die obere bzw. die untere Einhüllende von f . Ist f (x0 ) = f (x0 ) (oder f (x0 ) = f (x0 )) so heißt f halbstetig von oben (bzw. von unten) an der Stelle x0 . Die Terminologien unterhalbstetig und oberhalbstetig sind auch gängig. Lemma 9.20. Für H ⊆ Rd und f : H → R beliebig gelten die folgenden Aussagen: a) f ≤ f ≤ f . b) Gelte g ≤ f , so gelten auch g ≤ f und g ≤ f . c) f ist halbstetig von oben, f ist halbstetig von unten. d) Ist g halbstetig von unten [oder von oben] und g ≤ f so gilt, g ≤ f [oder g ≤ f ]. e) f ist genau dann halbstetig von unten [oder von oben], wenn {x : f (x) > α} für jedes α ∈ R offen (in H) [oder wenn {x : f (x) > α} für jedes α ∈ R abgeschlossen] ist. Insbesondere sind f und f Borel-messbar. f) f ist genau dann stetig an der Stelle x0 ∈ H, wenn f (x0 ) = f (x0 ). Beweis. ...kommt noch... Lemma 9.21. Für a, b ∈ R und f : [a, b] → R beschränkt gelten Zb Z f (x) dx = a f dλ 1 Zb Z f (x) dx = und [a,b] f dλ1 . [a,b] a Beweis. Kommt noch. Beweis (vom Theorem 9.18). Sei f Riemann-integrierbar, dann muss natürlich f beschränkt sein. Nach Lemma 9.21 gilt Z 1 Zb f dλ = [a,b] Zb f (x) dx = a Z f (x) dx = a f dλ1 . [a,b] compiled: 20-Feb-2017/11:01 76 9 Der Lebesguesche Maßraum D.h. Z f − f dλ1 = 0, [a,b] d.h., aber f − f = 0 fast überall (denn f − f ≥ 0). Lemma 9.20.f) zeigt dann, dass f für fast alle x0 ∈ [a, b] an der Stelle x0 stetig ist. Gilt λ([a, b] \ Cf ) = 0 und ist f beschränkt, so gilt f − f = 0 fast überall (wegen Lemma 9.20.f)) und somit nach Lemma 9.21 gilt Zb Zb f (x) dx = f (x) dx. a a Daher ist f Riemann-integrierbar. Die behauptete Gleichheit folgt auch. Beispiel 9.22. Sei Q := Q ∩ [0, 1]. Dann 1Q ist nicht Riemann-integrierbar (da überall unstetig), aber 1Q = 0 fast überall, also ist 1Q auch LebesgueR Integrierbar mit 1Q dλ = 0. Man kann mit der selben Methode das Folgende zeigen: Theorem 9.23. Sei H ⊆ Rd eine Jordan-messbare Menge, und sei f : H → R ein eFunktion. Bezeichne mit Cf die Menge der Stetigkeitstellen von f . Die Funktion f ist genau dann Jordan-integrierbar, wenn sie beschränkt ist und λd (H \ Cf ) = 0. In diesem Fall gilt die Gleichheit Z Z f (x) dx = f dλd . H H Vereinbarung + Notationen. Wir benutzen die Notationen: x ∈ Rd1 , y ∈ Rd2 , z = (x, y) ∈ Rd1 × Rd2 = Rd1 +d2 . Wir schreiben weiterhin Z Z f (x, y) dx := f (x, y) dλd1 (x), R d1 R d1 Z Z f (x, y) dλd2 (y), f (x, y) dy := R d2 R d2 Z Z f (z) dz := Rd1 +d2 f dλd1 +d2 . Rd1 +d2 Diese Vereinbarung ist mit der Notation des Riemann-Integrals konsistent. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 10 Produkte von Maßen Gegeben seien die Maßräume (X, A , µ), (Y, B, ν). Das Ziel in diesem Kapitel ist ein Maß ϕ auf dem direkten Produkt Z = X × Y zu finden für das gilt ϕ(A × B) = µ(A)ν(B) für alle A ∈ A , B ∈ B. Unsere Forderung über ϕ beinhaltet, dass ϕ auf eine σ-Algebra C definiert ist, welche die sogenannten messbaren Rechtecke A × B enthält. Außerdem möchten wir Bedingungen über f : X × Y → R finden, welche implizieren: Z Z Z f (x, y) dν(y) dµ(x) = f dϕ. X Y X×Y 10.1 Das Produktmaß Vorbereitungen. Es seien (X, A , µ) und (Y, B, ν) Maßräume. Wir setzen E0 := A × B A ∈ A , B ∈ B und nennen die Elemente von E0 (messbare) Rechtecke. Weiterhin definieren wir nS o N E := Ij Ij ∈ E0 , j = 1, . . . , N, N ∈ N . j=1 Lemma 10.1. a) E ist eine Algebra über Z := X × Y (insbesondere ist E \-stabil und enthält ∅). b) Die Abbildung β : E0 → [0, ∞], β(A × B) := µ(A)ν(B), 77 78 10 Produkte von Maßen ist σ-additiv auf E0 . c) Jedes C ∈ E kann als disjunkte Vereinigung von Elementen aus E0 geschrieben werden: N [ C= Ij ∈ E0 , Ij ∩ Ik = ∅ für j 6= k. Ij , j=1 d) Somit definiert man α : E → [0, ∞] durch α(A) := N X β(Ij ). j=1 Die Abbildung α ist wohldefiniert (d.h. sie hängt nicht von der Darstellung durch die Ij ab), σ-additiv und ein relativ äußeres Maß auf E . Beweis. a) Trivialerweise gilt X × Y, ∅ ∈ E . Da E0 ∩-stabil ist, so ist auch E0 , das auch offensichtlich ∪-stabil ist. Da für A, B ∈ E0 gilt A \ B ∈ E , folgt die \-Stabilität von E auch sofort (vgl. mit dem Beweis von Lemma 9.1 für das Lebesgue-Maß). b) Seien A × B, Ak × Bk ∈ E0 derart, dass A×B = ∞ [ k=1 Ak × B k mit Ak × Bk paarweise disjunkt. Wir haben 1A (x)1B (y) = 1A×B (x, y) = ∞ X 1Ak ×Bk (x, y) = k=1 ∞ X 1Ak (x)1Bk (y). k=1 Gliederweise Integration bezüglich µ und dann bezüglich ν liefert Z Z 1A (x)1B (y) dµ(x) dν(y) β(A × B) = µ(A)ν(B) = Y = ∞ Z Z X k=1 Y = ∞ X X 1Ak (x)1Bk (y) dµ(x) dν(y) X µ(Ak )ν(Bk ) = k=1 ∞ X k=1 β(Ak × Bk ). c) Sei A×B = M [ k=1 Ak × B k mit Ak × Bk ∈ E0 . compiled: 20-Feb-2017/11:01 10.1 Das Produktmaß 79 Disjunktisiere die Mengen Ak und die Mengen Bk , um die paarweise Mengen A0k und Bk0 zu erhalten (siehe Satz 2.4). Dann gilt A×B = M [ j,k=1 A0 ×B 0 ⊆A×B j k A0k × Bj0 . d) folgt aus b). Definition 10.2. Betrachte α und E von oben und das zugehörige äussere Maß ϕα (siehe Theorem 8.3). Setze A × B = Mϕα die σ-Algebra der ϕα messbaren Mengen, µ ⊗ ν = ϕα |A ⊗B (siehe den Satz von Carathéodory 8.6). ¯ ¯ und dass Aus Kapitel 8 wissen wir, dass E ⊆ A ⊗B ϕ(A × B) = µ(A)ν(B) für alle A ∈ A , B ∈ B gilt. a) Das vollständige Produkt der Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν) ist ¯ ¯ ¯ (X, A , µ)⊗(Y, A ⊗B, ν) := (X × Y, A ⊗B, µ ⊗ ν). Das Maß µ ⊗ ν heißt Produktmaß. b) Die σ-Algebra A ⊗ B := σ(E0 ) = σ(E ) heißt die Produkt-σ-Algebra. Der Maßraum ¯ (X, A , µ) ⊗ (Y, A ⊗B, ν) := (X × Y, A ⊗ B, µ ⊗ ν) heißt das Produkt der Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν). ¯ Anmerkung. Es gilt A ⊗ B ⊆ A ⊗B, denn laut Konstruktion gilt E0 ⊆ ¯ A ⊗B. Aus dem Eindeutigkeitssatz bekommen wir sofort das Folgende: Theorem 10.3. Falls die Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν) Maßräume σ¯ (oder auf A ⊗ B) das Produktmaß µ ⊗ ν das endlich sind, so ist auf A ⊗B einzige Maß mit (µ ⊗ ν)(A × B) = µ(A)ν(B) für A ∈ A , B ∈ B. Die folgenden Eigenschaften lassen sich leicht aus der Konstruktion ablesen. ¯ Anmerkung 10.4. 1. Der Maßraum (X × Y, A ⊗B, µ ⊗ ν) ist immer vollständig, auch wenn die ursprüngliche Faktoren (X, A , µ) und (Y, B, ν) nicht vollständig waren. 2. Für die Lebesgue-Maßräume haben wir das Folgende: ¯ d2 , L (Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , L (Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ), (Rd1 , L (Rd1 ), λd1 )⊗(R wenn man die übliche Identifizierung Rd1 +d2 = Rd1 × Rd2 macht. compiled: 20-Feb-2017/11:01 80 10 Produkte von Maßen 3. Wenn man zunächst die Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν) vervollständigt (siehe Theorem 3.10) und dann ihr Produkt konstruiert, erhält man dennoch den Produktraum der nicht vervollständigten Räume: ¯ (X × Y, A ⊗B, µ ⊗ ν). 4. Für die Borel–Lebesgue-Maßräumen haben wir das Folgende: ¯ d2 , B(Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , L (Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ), (Rd1 , B(Rd1 ), λd1 )⊗(R also ergibt das vollständige Produkt die Lebesgue-Mengen. Für die BorelAlgebren gilt (Rd1 , B(Rd1 ), λd1 ) ⊗ (Rd2 , B(Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , B(Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ), d.h. die Produkt-σ-Algebra beinhaltet nur Borel-Mengen. Die letztere Aussage sprechen wir später im Abschnitt 10.5 an. 5. Rekursiv (oder analog) kann man das Produkt von endlich vielen Maßräumen definieren. Dieses wird mit N O (Xj , Aj , µj ) j=1 bezeichnet. 10.2 Das Fubini-Theorem In diesem Abschnitt sind (X, A , µ) und (Y, B, ν) stets vollständige und σendliche Maßräume. Definition 10.5. a) Für M ⊆ X × Y und x ∈ X definiere Mx := y ∈ Y (x, y) ∈ M , den Schnitt von M an x, und analog M y := x ∈ X (x, y) ∈ M . ¯ A C H T U N G : Selbst wenn M ∈ A ⊗B muss Mx (bzw. M y ) nicht unbedingt messbar (also ein Element von A bzw. B) sein. Anders ist die Situation falls M ∈ A ⊗ B, siehe Abschnitt 10.5. b) Sei f : X × Y → Z. Wir setzen fx (y) := f (x, y) und f y (x) = f (x, y). compiled: 20-Feb-2017/11:01 10.2 Das Fubini-Theorem 81 Dann sind fx : Y → Z und f y : X → Z Funktionen. Theorem 10.6 (Fubini). Seien (X, A , µ) und (Y, B, ν) vollständige und ¯ derart, dass σ-endliche Maßräume. Sei f : X × Y → R A ⊗B-messbar Z f dµ ⊗ ν X×Y existiert. Dann gelten die folgenden Aussagen: a) Für µ-fast alle x ∈ X ist fx : Y → R messbar und es existiert Z Z (10.1) g(x) = fx dν = f (x, y) dν(y). Y Y b) Wir setzen g(x) = 0, falls das Integral in (10.1) nicht existiert. Das Integral von g bzgl. µ existiert und es gilt Z Z Z Z f (x, y) dν(y) dµ(x) = g(x) dµ(x) = f dµ ⊗ ν. X Y X X×Y Wir beweisen dieses Theorem später, und zeigen zunächst einige Korollare. Das erste wird eigentlich schon im Beweis des Fubini-Theorems gezeigt (vgl. Abschnitt 10.4). ¯ Korollar 10.7. Sei M ∈ A ⊗B. Dann ist der Schnitt Mx für µ-fast alle x ∈ X messbar, d.h., Mx ∈ B. ¯ Beweis. Sei M ∈ A ⊗B. Dann existiert das Integral von 1M . Wir können also das Theorem von Fubini verwenden, d.h. insbesondere, dass für µ-fast alle x ∈ X die Funktion y 7→ 1M (x, y) = 1Mx (y) B-messbar ist. ¯ und f ∈ L 1 (M, µ⊗ν), d.h., Theorem 10.8 (Fubini). Es seien M ∈ A ⊗B R |f | dµ ⊗ ν < ∞. Dann gelten: M a) Für µ-fast alle x ∈ RX ist die Funktion fx B-messbar. b) Die Funktion x 7→ Y f (x, y) dy ist A -messbar (auf einer Nullmenge ist die Funktion nicht definiert, dort setzt man sie als 0 fort), und es gilt Z Z Z f dµ ⊗ ν = f (x, y) dν(y) dµ(x). M X Mx compiled: 20-Feb-2017/11:01 82 10 Produkte von Maßen Beweis. Wir können seperat Re f und Im f betrachten, also OBdA annehmen, dass f reellwertig ist. Für fast alle x ∈ X ist Mx messbar wegen des vorigen Korollars. Die Aussage folgt dann aus Theorem 10.6, denn Z Z Z Z f dµ ⊗ ν = f 1M dµ ⊗ ν = f (x, y)1M (x, y) dν(y) dx M X×Y X Y Z Z = f (x, y) dν(y) dµ(x). X Mx ¯ Theorem 10.9 (Tonelli). Es seien M ∈ A ⊗B und f : X × Y → [0, ∞] ¯ A ⊗B-messbar. Dann gelten: a) Für µ-fast alle x ∈ X R ist die Funktion fx B-messbar und integrierbar. b) Die Funktion x 7→ Y f (x, y) dy ist A -messbar und integrierbar, und es gilt Z Z Z f dµ ⊗ ν = f (x, y) dν(y) dµ(x). M X Mx Beweis. Geht genauso wie der Beweis von Theorem 10.8. Wenn man die beiden obigen Aussagen kombiniert erhält man die folgende nützliche Form: ¯ Korollar 10.10 (Fubini–Tonelli). Sei M ∈ A ⊗B, f : M → K messbar und f˜ die triviale Fortsetzung (durch 0) von f auf X × Y . Ist eines der drei Integrale Z Z Z Z Z ˜ ˜ |f (x, y)| dν(y) dµ(x), |f (x, y)| dµ(x) dν(y), |f˜| dµ ⊗ ν X Y Y X X×Y endlich, so sind alle endlich, einander gleich und es gelten die Aussagen a) und b) in Theorem 10.8. 10.3 Anwendungen Satz 10.11. Seien f : X → R und g : Y → R A - bzw. B-messbar. Setze h(x, y) := (f (x), g(y)). ¯ Dann ist h : X × Y → R2 messbar bzgl. A ⊗B (sogar bzgl. der kleineren σ-Algebra A ⊗ B). Beweis. Seien G1 , G2 ⊆ R offen. Dann gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 10.3 Anwendungen 83 ¯ h−1 (G1 × G2 ) = f −1 (G1 ) × g −1 (G2 ) ∈ A ⊗B. Die Mengen G1 × G2 mit G1 , G2 ⊆ R offen erzeugen aber B(R2 ), somit folgt die Behauptung. Korollar 10.12. Sei f : X → R messbar. So sind die Mengen Graph(f ) := (x, t) ∈ X × R f (x) = t , und Subgraph(f ) := (x, t) ∈ X × R t ≤ f (x) ¯ beide messbar, d.h. Elemente von A ⊗B(R). Beweis. Setze h(x, t) = t − f (x). So gilt Graph f = h−1 ({0}) und Subgraph(f ) = h−1 ((−∞, 0]). Verwende den vorigen Satz. 1. Geometrische Interpretation des Integrals Sei M ∈ A und f : M → [0, ∞) messbar. Dann gilt Z f (x) dµ(x) = µ ⊗ λ1 {(x, t) ∈ X × R | 0 ≤ t ≤ f (x), x ∈ M }) {z } | M =:A = “Maß der Punktmenge unter dem Graphen”. Beweis. Wegen Korollar 10.12 ist die Menge A überhaupt messbar. Wende Tonelli auf f = 1A an: Z µ ⊗ λ1 (A) = 1A (x, t) dµ ⊗ λ1 (x, t) X×R Z Z 1A (x, t) dt dµ(x) Tonelli = X Ax Z Z = Z 1[0,f (x)] (t) dt dµ(x) = M R f (x) dµ(x). M 2. Cavalierisches Prinzip Sei M ⊆ Rd+1 Lebesgue-messbar. Dann gilt Z λd+1 (M ) = λd (Mt ) dt R compiled: 20-Feb-2017/11:01 84 10 Produkte von Maßen mit Mt = x ∈ Rd (x, t) ∈ M Beweis. Die Anwendung des Satzes von Tonelli auf 1M liefert: Z λd+1 (M ) = 1M dλd+1 Rd+1 Z Z Tonelli = 1M (x, t) dx dt R Rd Z Z = Z 1Mt (x) dx dt = R Rd λd (Mt ) dt. R 3. Volumen der Einheitskugel in Rd Für x0 ∈ Rd und r > 0 setze Bd (x0 , r) := x x ∈ Rd , |x − x0 | < r , und Bd := Bd (0, 1). Satz 10.13. Für r ≥ 0 gilt λd (Bd (x0 , r)) = rd ωd , wobei ωd = λd (Bd ) ω2k = und πk , k! ω2k+1 = 2k+1 πk . 1 · 3 · 5 · · · (2k + 1) Beweis. Wegen der Translationsinvarianz können wir x0 = 0 annehmen. Wir beweisen die Aussage per Induktion für die Dimension d, wobei der Fall d = 1 ziemlich trivial ist. Es gilt (wegen λd = λd−1 ⊗ λ1 ) d ωd := λ (B) Z1 Cavalieri = λd−1 (Bdt ) dt mit Bdt = Bd−1 (0, −1 p 1 − t2 ). √ Hier gilt λd−1 (Bdt ) = ( 1 − t2 )d−1 λd−1 (Bd−1 ) (Induktionsvoraussetzung), | {z } =ωd−1 und daher compiled: 20-Feb-2017/11:01 10.3 Anwendungen 85 Z1 ωd = ωd−1 (?) −1 (1 − t2 ) d−1 2 dt {z | } =:bd So haben wir eine Rekursion für ωd gefunden. Wir berechnen bd via Substitution t := − cos x ( dt = sin x dx). Zπ bd = π sind x dx = 2 Z2 sind x dx = 2Id . 0 0 Hierbei bezeichnet Id das letztere, sogennante Wallis’sche Integral, dessen Wert aus Analysis I/II bekannt ist: I2k = k π Y 2l − 1 , 2 2l I2k+1 = l=1 Daraus folgt bd bd−1 = 2π d . k Y l=1 2l . 2l + 1 Die Identität (?) liefert ωd = bd bd−1 ωd−2 , und somit ωd = 2π ωd−2 . d Nun muss man nur ω1 und ω2 bestimmen, und dann kann auch ωd rekursiv bestimmt werden. Wir haben ω1 = λ1 ((−1, 1)) = 2 ω2 = b2 ω1 = 2b2 = π. Daraus bekommen wir ω2k = πk , k! ω2k+1 = 2k+1 πk . 1 · 3 · 5 · · · (2k + 1) Wir werden für diese Formel in Kapitel 11 noch einen weiteren Beweis angeben. 4. Volumina von Zylindern Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar und sei a ∈ Rd+1 . Die Menge Z := (x, 0) + ta ∈ Rd+1 x ∈ M, t ∈ [0, 1] heißt “Zylinder mit Basis M und Kante a”. compiled: 20-Feb-2017/11:01 86 10 Produkte von Maßen Setze T : Rd+1 → Rd+1 , T (x, t) := (x, 0) + ta. Dann ist T : Rd+1 → Rd+1 eine lineare Abbildung für die gilt Z = T (M × [0, 1]). Eine lineare Abbildung ist Lipschitz-stetig (siehe Analysis 2 aber auch Bemerkung 11.4), so gilt Z ∈ L (Rd+1 ) nach Theorem 9.15. Wir setzen nun voraus, dass ad+1 > 0. Das Cavalierische Prinzip liefert Z Z d+1 d λ (Z) = λ (Zt ) dt = λd (M ) dt = ad+1 λd (M ). [0,ad+1 ] R Ist ad+1 < 0, so können wir statt Z die Menge −Z betrachten, und somit λd+1 (Z) = λd+1 (−Z) = −ad+1 λd (−M ) = |ad+1 |λd (M ) bekommen (beachte, dass λm (A) = λm (−A) für jedes A ∈ L (Rm ) gilt). Zusammenfassend gilt also λd+1 (Z) = |ad+1 |λd (M ) = “Höhe × Fläche der Basis”. 5. Volumina von Kegeln Vorbemerkung: Es ist leicht einzusehen, dass unter Skalierung das Lebesgue-Maß sich folgenderweise ändert: λd (rA) = |r|d λd (A) für alle r ∈ R. In der Tat ist es so für Intervalle A (!), und dann muss man nur beachten wie das Lebesgue-Maßkonstruiert wurde. Später in Abschnitt 11.2 werden wir ein viel allgemeineres Resultat beweisen. Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar, und sei a ∈ Rd+1 . Definiere K := (1 − t)(x, 0) + ta ∈ Rd+1 x ∈ M, t ∈ [0, 1] “Kegel mit Basis M und Kante a”. Sei f (x, t) = (1 − t)(x, 0) + ta, dann ist f lokal Lipschitz-stetig, und es gilt K = f (M × [0, 1]). Somit gilt K ∈ L (Rd ). Da λd+1 unter Spiegelungen und Translationen invariant ist, können wir a = (0, α), α > 0 annehmen. Das Cavalierische Prinzip liefert dann λ d+1 Z (K) = R ( ∅, λ (Kt ) dt mit Kt = 1 − αt M, Z = d λd 1− t α t 6∈ [0, α], t ∈ [0, α]. M dt [0,α] compiled: 20-Feb-2017/11:01 10.4 Beweis des Fubini-Theorems Z = 1− 87 t d d α λ (M ) dt [0,α] = λd (M ) · α 1 = λd (Z), d+1 d+1 wobei Z der Zylinder mit Basis M und Kante a ist. 10.4 Beweis des Fubini-Theorems ¯ Wir bezeichnen mit Φ die Menge aller A ⊗B-messbaren Funktionen f : X × Y → R für die gilt: R (1) Das Integral X×Y f dµ ⊗ ν existiert. (2) Für µ-fast alle x ∈ X ist fx : Y → R messbar und Z g(x) = fx dν Y existiert. (3) Es gilt Z X×Y f dµ ⊗ ν = Z Z X f (x, y) dν(y) dµ(x). Y So kann Theorem 10.6 folgenderweise umformuliert werden R Theorem (Fubini). ∃ X×Y f dµ ⊗ ν =⇒ f ∈ Φ. Der Beweis besteht aus einigen Schritten: Schritt 1: Für A ∈ A , B ∈ B gilt 1A×B ∈ Φ. Schritt 2: Für f ∈ Φ und c ∈ R gilt cf ∈ Φ. Schritt 3: Seien f1 , f2 ∈ Φ derart, dass die Summe R f dµ ⊗ ν existiert. Dann gilt f1 + f2 ∈ Φ. X×Y 2 R X×Y f1 dµ ⊗ ν + Schritt 4: Seien 0 ≤ fk ∈ Φ mit fk % f . Dann gilt f ∈ Φ. R Schritt 5: Seien 0 ≤ f1 ≤ f2 mit f2 ∈ Φ und X×Y f2 dµ ⊗ ν = 0. Dann ist f1 ∈ Φ. S Schritt 6: Sei C ∈ E0σ , d.h., C = k∈N Ck mit Ck ∈ E0 . Dann gilt 1C ∈ Φ. T∞ Schritt 7: Sei C = j=1 Cj mit Cj ∈ E0σ und µ ⊗ ν(C1 ) < ∞. Dann ist 1C ∈ Φ. Schritt 8: Sei C eine µ ⊗ ν-Nullmenge. Dann gelten a) 1C ∈ Φ b) ν(Cx ) = 0 für µ-fast alle x ∈ X. compiled: 20-Feb-2017/11:01 88 10 Produkte von Maßen ¯ mit µ ⊗ ν(C) < ∞. Dann ist 1C ∈ Φ. Schritt 9: Sei C ∈ A ⊗B ¯ gilt 1C ∈ Φ. Schritt 10: Für C ∈ A ⊗B Schritt 11: Eine positive einfache Funktion f gehört zu Φ. Schritt 12: Sei f ≥ 0 messbare Funktion. Dann gilt f ∈ Φ. Schritt 13 [Beweis des Theorems]: Zerlege f = f + − f − , und wende Schritt 12 auf f + und f − separat an. Benutze schließlich Schritt 3. 10.5 Die Produkt-σ-Algebra Gegeben seien die Maßräume (X, A , µ), (Y, B, ν). Die Produkt-σ-Algebra ist A ⊗ B := σ({A × B | A ∈ A , B ∈ B}). Vorteile des Produktes gegenüber dem vollständigen Produkt werden aus dem nächsten Satz klar. Satz 10.14. a) Sei M ∈ A ⊗ B. Dann gilt Mx ∈ B für alle x ∈ X und M y ∈ A für alle y ∈ Y . b) Sei (Z, C ) messbarer Raum. Sei f : X × Y → Z (A ⊗ B, C )-messbar. Dann sind fx bzw. f y für alle x und alle y messbar. Beweis. a) Wir setzen M := M ⊆ X × Y Mx ∈ B, M y ∈ A für alle x ∈ X und y ∈ Y . Dann ist M eine σ-Algebra, wie man das leicht einsehen kann. Da (A×B)x = B falls x ∈ A und (A × B)x = ∅ falls x 6∈ A (und analog für (A × B)y ), sehen wir, dass A × B ∈ M für A ∈ A , B ∈ B gilt. Dies impliziert A ⊗ B = σ(E0 ) ⊆ σ(M ) = M . b) Sei x ∈ X fest und sei C ∈ C . Es gilt fx−1 (C) = y ∈ Y fx (y) ∈ C = y ∈ Y f (x, y) ∈ C = y ∈ Y (x, y) ∈ f −1 (C) = f −1 (C) x . Da aber f −1 (C) ∈ A ⊗ B, folgt f −1 (C) x ∈ B aus Teil a). Satz 10.15. Seien X, Y metrische Räume mit den jeweiligen Borel-σ-Algebren. Dann gilt B(X) ⊗ B(Y ) = B(X × Y ). Beweis. ... kommt noch ... compiled: 20-Feb-2017/11:01 10.6 Vorsicht beim Vertauschen von Integralen 89 Anmerkung 10.16. 1. Für das Produkt von Borel–Lebesgue-Maßräumen haben wir also: (Rd1 , B(Rd1 ), λd1 ) ⊗ (Rd2 , B(Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , B(Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ). ¯ 2. Die Theoreme von Fubini und Tonelli bleiben auch wahr wenn man A ⊗B durch A ⊗B ersetzt. Wegen Satz 10.14 ist dann fx für alle x ∈ X messbar. 3. Sei A ⊆ R eine nicht Lebesgue-messbare Menge (vgl. Abschnitt 9.3), dann ist B := {0}×A ⊆ R2 eine λ2 -Nullmene (siehe Abschnitt 9.2), insbesondere gilt B ∈ L (R2 ). Da wir für den Schnitt B0 = A 6∈ L (R) haben, sehen wir B 6∈ L (R) ⊗ L (R). Dies zeigt die Vorteile des vollständigen Produkts gegenüber dem “normalen” Produkt. 10.6 Vorsicht beim Vertauschen von Integralen A C H T U N G : Die Voraussetzungen in den Theoremen von Fubini und Tonelli sind wesentlich wie das folgende Beispiel zeigt: Setze f (x, y) = x2 − y 2 (x2 + y 2 )2 für x, y ∈ (0, 1). Dann ist f : (0, 1) × (0, 1) → R stetig (also Borel-messbar) und es gelten: Z Z Z 1 1 π und f (x, y) dy = 2 f (x, y) dy dx = arctan = . x +1 4 0 (0,1) (0,1) (0,1) Aus Symmetriegründen gilt also Z (0,1) −1 f (x, y) dx = 2 y +1 Z Z und f (x, y) dx dy = − π 4 (0,1) (0,1) Die doppelten Integrale in unterschiedlicher Reihenfolge ergeben also unterschiedliche Werte. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 11 Transformation des Integrals 11.1 Maßtreue Abbildungen Definition 11.1. Es seien (X, A , µ) und (Y, B, ν) Maßräume, und h : X → Y messbar. a) Das Bildmaß h∗ µ von µ unter h ist definiert durch h∗ µ(B) := µ(h−1 (B)) für B ∈ B. b) h heißt maßtreu (oder maßerhaltend), falls ν = h∗ µ, d.h. falls gilt ν(B) = µ(h−1 (B)) für jedes B ∈ B. Beispiel 11.2. 1. Für X = Y = Rd , A = B = L (Rd ), µ = ν = λd , a ∈ Rd ist die Translation τa : Rd → Rd , definiert durch τa (x) = x − a, eine maßtreue Abbildung. 2. Betrachte [0, 1]2 mit der Lebesgue-σ-Algebra. Die Abbildung ( 2x x ∈ [0, 1/2) 2 2 h : [0, 1) → [0, 1) , h(x, y) := 2x − 1 x ∈ [1/2, 1), ist maßtreu. Theorem 11.3. Es sei h : X → Y maßtreu, und sei f : Y → K derart, dass R f dν existiert. Dann gilt Y Z Z f ◦ h dµ = f dν. X Y 90 11.2 Lineare Transformation des Lebesgue-Maßes 91 Außerdem gilt Z Z f dν = f ◦ h dµ h−1 (B) B für jedes B ∈ B. Beweis. Wir können K = C annehmen, sonst betrachten wir Re f und Im f separat. Wir beweisen die Aussage zunächst für positive einfache Funktionen. Sei also f= N X bj 1Bj in Standarddarstellung. j=1 Wir setzen Aj := h−1 (Bj ). So können wir schreiben: Z f dν = N X j=1 X bj ν(Bj ) = N X −1 bj µ(h (Bj )) = j=1 N X Z bj µ(Aj ) = j=1 f ◦ h dµ. X Bei der letzten Gleichheit haben wir benutzt, dass f ◦h= N X bj 1Aj gilt. j=1 Ist f ≥ 0 messbar, so können wir f durch eine Folge von einfachen Funktionen monoton approximieren: fn % f (siehe Theorem 4.13). Wegen des Beppo Levi-Theorems 5.6 gilt dann Z Z Z Z f ◦ h dµ = lim fn ◦ h dµ = lim fn dν = f dν, n→∞ X n→∞ X Y Y wobei wir benutzt haben, dass die Aussage für einfache Funktionen schon bekannt ist. Für beliebige messbare Funktionen geht der Beweis durch Zerlegung f := f + − f − , mit der Bemerkung, dass (f ◦ h)+ = f + ◦ h und (f ◦ h)− = f − ◦ h gelten. 11.2 Lineare Transformation des Lebesgue-Maßes Anmerkung 11.4. Eine lineare Abbildung T : Rd → Rm ist Lipschitzstetig. Es gilt nämlich: kT x − T yk ≤ kT k · kx − yk, compiled: 20-Feb-2017/11:01 92 11 Transformation des Integrals mit kT k := sup kT xk x ∈ Rd mit kxk ≤ 1 . Theorem 11.5. Sei T : Rd → Rd linear und A ∈ L (Rd ). Dann ist T (A) ∈ L (Rd ) und es gelten: a) λd (T (A)) = | det T | · λd (A). b) Ist det T 6= 0 (also T invertierbar), so ist T∗ λd = λd | det T | das Bildmaß von λd unter T . Beweis. Die erste Aussage ist ein direktes Korollar vom Theorem 9.14, da wie oben schon erwähnt, eine lineare Abbildung Lipschitz-stetig ist. b) Folgt aus a): λd (B) = λd (T (T −1 (B))) = | det T |λd (T −1 (B)). a) Sei erst det(T ) 6= 0. D.h. T : Rd → Rd ist invertierbar und sogar ein Homöomorphismus. So ist auf jeden Fall T (und auch T −1 ) eine lokal Lipschitz stetige Abbildung. Es gilt B ∈ L (Rd ) genau dann, wenn T (B) ∈ L (Rd ). Setze µ(B) := λd (T (B)) für alle B ∈ L (Rd ). Dann ist µ ein Maß auf L (Rd ). Natürlich ist µ auch translationsinvariant: µ(A + x0 ) = λd (T (A + x0 )) = λd (T (A) + T (x0 )) = λd (T (A)) = µ(A). Im Folgenden berechnen wir µ([0, 1)d ) = λd (T ([0, 1)d )). Nun bestimmen wir µ([0, 1)), zunächst in speziellen Fällen (1 = (1, 1, . . . , 1)> ∈ Rd ). Betrachte Matrizen der folgenden Form: 1 1 0 ··· 0 a 0 0 ··· 0 0 1 0 · · · 0 0 1 0 · · · 0 0 0 1 · · · 0 α) Permutationsmatrix, β) , oder γ) 0 0 1 · · · 0 .. .. .. . . .. .. .. .. . . .. . . . . . . . . . . 0 0 0 ··· 1 0 0 0 ··· 1 Sei erst T der Form α). Dann ist T ([0, 1)) = [0, 1), und somit µ([0, 1)) = λd ([0, 1)) = 1 = det(T ). Sei jetzt T der Form β) mit a 6= 0. Dann ist ( [0, a) × [0, 1) × · · · × [0, 1) für a > 0, T ([0, 1)) = (a, 0] × [0, 1) × · · · × [0, 1) für a < 0. compiled: 20-Feb-2017/11:01 11.3 Der Transformationssatz 93 D.h. es gilt µ([0, 1)) = λd (T ([0, 1))) = |a| = | det(T )|. Sei T der Form γ). Wir schreiben [0, 1) = [0, 1)2 × [0, 1)d−2 , und somit T ([0, 1)) = B × [0, 1)d−2 mit B = (x1 , x2 ) 0 ≤ x2 < 1, x2 ≤ x1 < x2 + 1 . Da B ein Zylinder mit Basis [0, 1) und Höhe 1 ist, gilt λ2 (B) = 1 = λ2 ([0, 1)2 ) (siehe Seite 85). So haben wir gesehen, dass für solche Matrizen T gilt µ([0, 1)) = | det(T )|, µ d und somit ist | det T | ein translationsinvariantes Maß auf L (R ) mit der zuµ sätzlichen Eigenschaft | det T | ([0, 1)d ) = 1. Nach Korollar 9.6 gilt also µ = λd , | det T | d.h., die Behauptung ist bewiesen für Matrizen vom Typ α), β) oder γ). Wir erinnern(?!) uns an das folgende Resultat der Linearen Algebra: Jede Matrix läßt sich als Produkt T = T1 T2 · · · Tk von Matrizen Tj der Form α), β) oder γ) schreiben. Damit gilt µ(A) = λd (T (A)) = λd (T1 T2 · · · Tk (A)) = | det(T1 )|λd (T2 · · · Tk (A)) = | det(T1 )|| det(T2 )|λd (T3 · · · Tk (A)) = · · · = | det(T1 )|| det(T2 )| · · · | det(Tk )|λd (A) = | det(T )| · λd (A). Es bleibt also nur den Fall det(T ) = 0 zu erledigen. In diesem Fall ist T nicht surjektiv, also T (A) liegt in einem Unterraum V ( Rd . Damit ist λd (T (A)) ≤ λd (V ). Wir zeigen nun, dass λd (V ) = 0 für alle Unterräume V ⊆ Rd mit d2 := dim V < d gilt, und daraus folgt die Behauptung. Man betrachte eine orthogonale Transformation O mit O(V ) = Rd2 × {0}. Dann ist λd (O(V )) = | det O|λd (V ) = λd (V ). Es ist einfach λd (O(V )) = λd (Rd2 × {0}) = 0 zu zeigen (z.B. mit Fubini). 11.3 Der Transformationssatz Satz 11.6 (Transformationssatz für affine Abbildungen). Sei h : Rd → Rd eine affine Abbildung, d.h., h(x) = T x + x0 für eine lineare Abbildung T : Rd → Rd und für ein x0 ∈ Rd . Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar, und sei f ∈ L 1 (x0 + T (M )). Dann gilt Z Z (f ◦ h)(y)| det g 0 (y)| dy = f (x) dx M h(M ) compiled: 20-Feb-2017/11:01 94 11 Transformation des Integrals für f ∈ L 1 (h(M )). Beweis. Ist det(T ) = 0, so steht auf der rechten Seite 0, aber auch auf der linken Seite, denn T (M ) dann eine Nullmenge ist (siehe Theorem 11.5). Sei also det(T ) 6= 0, d.h. T invertierbar. Die Behauptung folgt aber, dann aus Theorem 11.3 und Theorem 11.5.b). Definition 11.7. Seien U, V ⊆ Rd offen und h : U → V eine Funktion. h heißt C 1 -Diffeomorphismus, falls h bijektiv ist, und h als auch h−1 stetig differenzierbar sind. Die Ableitung von h wird stets durch h0 bezeichnet. Theorem 11.8 (Transformationssatz). Seien U, V ⊆ Rd offen und sei h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus. Dann gilt f ∈ L 1 (V ) ⇐⇒ (f ◦h)| det h0 | ∈ L 1 (U ). Ferner gilt in diesem Fall: Z Z f (y) dy = (f ◦ h)(x)| det h0 (x)| dx. V U Der Ausdruck det h0 heißt die Jacobi-Determinante der Integraltransformation. Den Beweis präsentieren wir am Ende des Kapitels. 11.4 Beispiele und Anwendungen 1. Ebene Polarkoordinaten Sei (x, y) ∈ R2 \ {(0, 0)}. Dann existieren eindeutig bestimmte r > 0 und ϕ ∈ [−π, π) mit x =r cos ϕ y =r sin ϕ. Definiere h : R2 → R2 durch h(r, ϕ) = (r cos ϕ, r sin ϕ), und setze U := (0, ∞) × (−π, π), V := R2 \ ((−∞, 0] × {0}) = geschlitzte Ebene. Dann ist h : U → V bijektiv mit Umkehrabbildung h−1 (x, y) = (r, ϕ) compiled: 20-Feb-2017/11:01 11.4 Beispiele und Anwendungen r := (x2 + y 2 )1/2 , 95 arctan xy , π, ϕ := 2 π − , 2 sign(y) π2 − arctan xy , falls falls falls falls x > 0, x = 0, y > 0, x = 0, y < 0, x < 0. Die Abbildung h ist differenzierbar mit Jacobi-Matrix cos ϕ −r sin ϕ h0 (r, ϕ) = . sin ϕ r cos ϕ (x, y) r ϕ Daraus folgt det h0 (r, ϕ) = r > 0 für alle (r, ϕ) ∈ U . Somit ist h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus. Da R2 \ V und U \ U Nullmengen in R2 sind, gilt: Korollar 11.9. Eine Funktion f : R2 → R ist genau dann Lebesgue-integrierbar (d.h., f ∈ L 1 (R2 )), wenn (r, ϕ) 7→ rf (r cos ϕ, r sin ϕ) ∈ L 1 ([0, ∞) × [−π, π]) gilt. Es gilt in diesem Fall Z Z f (x, y) dx dy = R2 Z f (r cos ϕ, r sin ϕ)r dr dϕ. [−π,π] [0,∞) Man kann durch geeignete Festlegung eines Zweigs der arctan-Funktion, beliebige Intervalle der Form [a, a + 2π] für den “ϕ-Bereich” wählen. compiled: 20-Feb-2017/11:01 96 11 Transformation des Integrals 2. Gausßsche Funktionen Theorem 11.10. Für a > 0 gilt Z π d2 2 . e−a|x| dx = a Rd Beweis. Satz von Fubini liefert: Z Z Z 2 2 −a|x|2 Id,a := e dx = · · · e−a(x1 +···+xd ) dx1 · · · dxd Rd R Z = e −ax21 dx1 · · · R Z R 2 d e−axd dxd = Id,a . R Nun bestimmen wir I2,a . Es gilt Z I2,a = e −a|x|2 dx Polar.Koord Z2πZ∞ = re 0 R2 d/2 d Daher gilt Id,a = I1,a = I2,a = −ar 2 −e−ar dr dϕ = 2π 2a 0 2 ∞ π = . a r=0 π d/2 . a 3. Kugelkoordinaten Definiere h : R3 → R3 durch h(r, ϕ, ϑ) = (r cos ϕ cos ϑ, r sin ϕ cos ϑ, r sin ϑ)> ∈ R3 , und setze U : = (0, ∞) × (−π, π) × (− π2 , π2 ) V : = R3 \ ((−∞, 0] × {0} × R) Dann ist h|U ein C 1 -Diffeomorphismus von U auf V mit cos ϕ cos ϑ −r sin ϕ cos ϑ −r cos ϕ sin ϑ h0 (r, ϕ, ϑ) = sin ϕ cos ϑ r cos ϕ cos ϑ −r sin ϕ sin ϑ sin ϑ 0 r cos ϑ compiled: 20-Feb-2017/11:01 11.4 Beispiele und Anwendungen 97 (x, y, z) r ϑ ϕ Für die Jacobi-Determinante ergibt sich: det h0 (r, ϕ, ϑ) = sin ϑ [r2 sin2 ϕ sin ϑ cos ϑ + r2 cos2 sin ϑ cos ϑ] +r2 cos ϑ [cos2 ϕ cos2 ϑ + sin2 ϕ sin2 ϑ] = · · · = r2 cos ϑ > 0 Wie im Fall von ebenen Polarkooridnaten erhalten wir das folgende Korollar: Korollar 11.11. Eine Funktion f : R3 → R ist Lebesgue-integrierbar ⇐⇒ die Funktion (r, ϕ, ϑ) 7→ f (r cos ϕ cos ϑ, r sin ϕ cos ϑ)r2 cos ϑ ∈ L1 ([0, ∞)× [−π, π] × [− π2 , π2 ]). Es gilt dann Z f (z) dz R3 Z Z Z = f (r cos ϕ cos ϑ, r sin ϕ cos ϑ, r sin ϑ)r2 cos ϑ dϑ dϕ dr. π [0,∞) [−π,π] [− π 2,2] Beweis. Verwende den Transformationssatz 11.8, den Satz von Fubini 10.6 und ähnliche Argumente wie für die Polarkooordinatentransformation. compiled: 20-Feb-2017/11:01 98 11 Transformation des Integrals 4. d-dimensionale Kugelkoordinaten Analog zu Kugelkoordinaten führen wir die folgende Transformation ein. h : Rd → Rd ist gegeben durch h(r, ϕ1 , ϕ2 , . . . ϕd−1 ) = (x1 , x2 , . . . , xd ) mit xd = r sin ϕd−1 , xd−1 = r cos ϕd−1 sin ϕd−2 , xd−2 = r cos ϕd−1 cos ϕd−2 sin ϕd−3 , .. . x2 = r cos ϕd−1 cos ϕd−2 cos ϕd−3 · · · cos ϕ2 sin ϕ1 , x1 = r cos ϕd−1 cos ϕd−2 cos ϕd−3 · · · cos ϕ2 cos ϕ1 . Dann ist h : (0, ∞) × (−π, π) × ( π2 , π2 ) × ( π2 , π2 ) × · · · ( π2 , π2 ) → Rd {z } | d−2 ein C 1 -Diffeomorphismus. Die Jacobi-Determinante det h0 (r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) ist cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 cos ϕ1 cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 sin ϕ1 . .. cos ϕ d−1 sin ϕd−2 sin ϕ d−1 −r cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 sin ϕ1 r cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 cos ϕ1 .. . 0 0 . . . −r sin ϕd−1 · · · cos ϕ2 cos ϕ1 . . . −r sin ϕd−1 · · · cos ϕ2 sin ϕ1 .. . . . . −r sin ϕd−1 sin ϕd−2 . . . r cos ϕd−1 . Daher erhält man det h0 (r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) = rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) mit Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) = det h0 (1, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ). Man kann Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) durch Entwicklung der Determinante nach der letzten Zeile genau bestimmen. So erhält man nach kurzer Rechnung: det h0 (r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) = rd−1 (cos ϕd−1 )d−2 (cos ϕd−2 )d−3 · · · cos ϕ2 . Im Folgenden werden wir aber den genauen Wert der Jacobi-Determinante nicht verwenden. Korollar 11.12. Eine Funktion f : Rd → K ist Lebesgue-integrierbar ⇐⇒ die Funktion g(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) := f (h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ))rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) liegt in L 1 ([0, ∞) × [−π, π] × [ π2 , π2 ] × · · · [ π2 , π2 ]). Es gilt dann compiled: 20-Feb-2017/11:01 11.4 Beispiele und Anwendungen 99 Z f (z) dz Rd Z Z Z Z ··· = f (h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ))rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 dr. [0,∞) [−π,π] [− π , π ] [− π ,π] 2 2 2 2 5. Rotationssymmetrische Funktionen Eine Funktion f : Rd → C, d ≥ 2 heißt rotationssymmetrisch, falls ein fe : [0, ∞) → C existiert mit f (x) = fe(|x|) für alle x ∈ Rd . Es ist leicht zu sehen, dass fe messbar ist, falls f eine messbare rotationssymmetrische Funktion ist. Satz 11.13. Für eine messbare, rotationssymmetrische Funktion f gilt: f ∈ L 1 (Rd ) ⇐⇒ [r 7→ rd−1 fe(r)] ∈ L 1 ([0, ∞)). In diesem Fall gilt Z Z f (x) dx = σd−1 fe(r)rd−1 dr, Rd [0,∞) wobei σd−1 > 0 nur von d und nicht von f abhängt. Beweis. Sei f rotationssymmetrisch und fe wie in der Definition. Wir substituieren d-dimensionale Kugelkoordinaten und bemerken zuerst, dass |h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 )| = r. So erhalten wir Z Z Z Z ··· f (h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ))rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 )dϕd−1 . . .dϕ1dr [0,∞) [−π,π] [− π , π ] [− π ,π] 2 2 2 2 Z Z Z Z fe(r)rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 dr ··· = [0,∞) [−π,π] [− π , π ] [− π ,π] 2 2 2 2 Z fe(r)rd−1 = Z Z Z ··· Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 dr [−π,π] [− π , π ] [− π ,π] 2 2 2 2 [0,∞) Z = σd−1 fe(r)rd−1dr, [0,∞) wobei Def. σd−1 := Z Z ··· Z Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 . π π π [−π,π] [− π 2 , 2 ] [− 2 , 2 ] compiled: 20-Feb-2017/11:01 100 11 Transformation des Integrals Um σd−1 zu bestimmen, könnten wir direkt die Form von Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) verwenden, aber wir geben einen anderen, einfacheren, Zugang: 6. Berechnung von σd−1 d Theorem 11.14. Für d ≥ 2 gilt σd−1 = Γ weiter unten definiert ist. 2π 2 , Γ(d 2) wobei die Gamma-Funktion 2 Beweis. Sei a = 1 und betrachte Id,1 aus 11.4.2. Da e−|x| rotationssymmetrisch ist, gilt nach Satz 11.13 Z∞ Id,1 = σd−1 2 rd−1 e−r dr. 0 Nach Definition der Gamma-Funktion Γ (siehe unten) erhalten wir Z∞ d 2 π = Id,1 = σd−1 r d−1 −r 2 e dr s = r2 = Z∞ σd−1 0 = σd−1 2 s d−1 2 1 e−s √ ds 2 s 0 Z∞ Def! d s 2 −1 e−s ds = σd−1 d Γ ( 2 ). 2 0 7. Die Gamma-Funktion Für x > 0 ist das uneigentliche Riemann-Integral Z∞ Γ (x) := sx−1 e−s ds 0 absolut konvergent und definiert die sogenannte Gamma-Funktion. Anmerkung 11.15. 1. Γ (1) = 1. 2. Für x > 0 gilt Γ (x + 1) = xΓ (x). 3. Für n ∈ N, n ≥ 1 gilt Γ (n) = (n − 1)!. 8. Volumen der Einheitskugel Für die Einheitskugel B := Bd (0, 1) gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 11.4 Beispiele und Anwendungen 101 ωd := λd (B) = Z 1 dλd = σd−1 B = Z rd−1 dr [0,1] d 2 d 2 2π π σd−1 = = , d dΓ ( d2 ) Γ ( d2 + 1) da Γ (x + 1) = x Γ (x). Korollar. Es gilt Γ ( 12 ) = √ π. Beweis. Bekannt ist ω3 = 43 π. Anderseits haben wir gerade die Identität 3 2π 2 ω3 = 3Γ ( 32 ) gesehen. Daraus folgt 12 Γ ( 12 ) = Γ ( 32 ) = √ π 2 . 9. Volumina von Zylindern Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar und sei a ∈ Rd+1 . Betrachte den Zylinder Z := (x, 0) + ta ∈ Rd+1 x ∈ M, t ∈ [0, 1] mit Basis M und Kante a (vgl. Seite 10.3). Setze T : Rd+1 → Rd+1 , T (x, t) := (x, 0) + ta. Dann ist T : Rd+1 → Rd+1 eine lineare Abbildung für die gilt Z = T (M × [0, 1]). Aus Theorem 11.5 folgern wir λd+1 (Z)=| det T | · λd+1 (M × [0, 1]) = | det T | · λd (M ). Für die Determinante von T hat man: 1 0 · · · 0 a1 .. 0 . a2 .. = a . .. det T = ... d+1 . . . .. 1 ad 0 · · · · · · 0 ad+1 Es gilt also λd+1 (Z) = |ad+1 |λd (M ) = “Höhe × Fläche der Basis” vgl. Seite 85. compiled: 20-Feb-2017/11:01 102 11 Transformation des Integrals 11.5 Beweis des Transformationssatzes Lemma 11.16. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V eine C 1 -Abbildung. Dann gilt: a) h is lokal Lipschitz-stetig. b) A ∈ L (Rd ) =⇒ h(A) ∈ L (Rd ) Beweis. ...kommt noch... Lemma 11.17. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus, W ⊆ U ein kompakter Würfel (d.h., ein Quader mit gleichen Kantenlängen). Dann gilt λd (h(W )) ≤ max | det h0 (x)| · λd (W ). x∈W Beweis. ...kommt noch... Lemma 11.18. Seien U, V ⊂ fleqRd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus, B ∈ L (Rd ) eine beschränkte Menge mit B ⊆ U . Dann gilt min | det h0 (x)| · λd (B) ≤ λd (h(B)) ≤ max | det h0 (x)| · λd (B). x∈B x∈B Beweis. ...kommt noch... Lemma 11.19. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus. Sei K ⊆ V kompakt. Dann gilt Z Z Z 1K (y) dy = | det h0 (x)| dx = (1K ◦ h)(x)| det h0 (x)| dx. h−1 (K) V U Beweis. ...kommt noch... Lemma 11.20. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus. Sei f ≥ 0 eine einfache Funktion. Z Z f (y) dy = f ◦ h(x)| det h0 (x)| dx. V U Beweis. ...kommt noch... Beweis (des Transformationssatzes). Sei f ∈ L 1 (V ) und seien fn einfache Funktionen mit fn → f und |fn | ↑ |f | punktweise (siehe Theorem 4.13). Nach dem Satz von Beppo Levi, Theorem 5.6 und nach Lemma 11.20 gilt Z Z |f (y)| dy = lim |fn (y)| dy n→∞ V V compiled: 20-Feb-2017/11:01 11.5 Beweis des Transformationssatzes Z = lim n→∞ 103 |fn (h(x))| · | det h0 (x)| dx = U Z |f (h(x))| · | det h0 (x)| dx. U Daher ist f ◦ h · | det h0 | ∈ L 1 (U ), und diese Funktion ist eine integrierbare Majorante zu der Folge fn ◦h·| det h0 |. Da aber fn ◦h·| det h0 | → f ◦h·| det h0 | punktweise konvergiert, folgt aus dem Theorem 5.25 von Lebesgue Z Z f (y) dy = lim fn (y) dy n→∞ V V Z = lim n→∞ 0 fn (h(x)) · | det h (x)| dx = U Z f (h(x)) · | det h0 (x)| dx. U Umgekehrt nehmen wir an, dass f ◦ h · | det h0 | ∈ L 1 (U ). Da h−1 : V → U ein C 1 -Diffeomorphismus ist, können wir schließen, dass 0 f ◦ h ◦ h−1 · | det h0 ◦ h−1 | · | det h−1 | ∈ L 1 (V ). Laut Kettenregel gilt aber 0 f ◦ h ◦ h−1 · | det h0 ◦ h−1 | · | det h−1 | = f, was den Beweis beendet. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Kapitel 12 Das Flächenintegral Ziel: Flächeninhalt gekrümmter Flächen; Integral auf gekrümmten Flächen. 12.1 Flächeninhalt eines Parallelotops Definition 12.1 (Parallelotop). Es seien a1 , a2 , . . . , am ∈ Rd , m ≤ d. Das von a1 , a2 , . . . , am erzeugte Parallelotop ist P (a1 , a2 , . . . , am ) := m nX j=1 o αj aj αj ∈ [0, 1], j = 1, . . . m . Die Dimension des Parallelotops ist Rang(A), wobei A = (a1 , a2 , . . . , am ), die Matrix mit Spalten a1 , . . . , am . (Kann also kleiner als m sein, wenn die Vektoren a1 , . . . , am linear abhängig sind.) Wir suchen eine Funktion volm,d : Rm → [0, ∞), welche die m-dimensionale Oberfläche von Parallelotopen P (a1 , . . . , am ) angibt. Ist P = P (a1 , . . . , am ) ⊆ Rm × {0} ' Rm so können wir das m-dimensionale Lebesgue-Maß von P in Rm bestimmen. Wir möchten, dass λm (P ) = volm,d (P ) gilt. Ergänzen wir die Vektoren a1 , . . . am mit em+1 , . . . ed (die kanonischen Basisvektoren), so dass diese ej alle senkrecht zu Rm stehen. Dann ist das Volumen (d-dimensionales Lebesgue-Maß) von Q = P (a1 , . . . , am , em+1 . . . , ed ) gleich | det(B)|, wobei B die Matrix mit Spalten a1 , . . . , am , em+1 , . . . , ed ist (vgl. Satz 11.5). Es gilt natürlich 104 12.2 Integral auf Flächenstücke 105 Q = P × [0, 1]d−m und det(B) = λd (Q) = λm (P )λd−m ([0, 1]d−m ) = λm (P ). Sei C die Matrix mit Spalten em+1 , . . . , ed , so hat B die Blockmatrixform B = (A C). Nun rechnen wir det(B) aus > > A A A A> C 2 > A C = det det(B) = det(B B) = det C> C > A I(d−m)×(d−m) > A A 0 = det = det(A> A), 0 I(d−m)×(d−m) p d.h. det(B) = det(A> A). Sei nun P = P (a1 , . . . , am ) ⊆ Rd ganz allgemein, so bringen wir es durch eine orthogonale Transformation O auf Rm ×{0}. Durch solche starre Bewegungen soll der Flächeninhalt nicht geändert werden, also es muss volm,d (P ) = volm,d (OP ) = volm,d (P (Oa1 , Oa2 , . . . , Oam )) q q = det(A> O> OA) = det(A> A) gelten. Somit haben wir den folgenden Satz motiviert. Satz 12.2. Es gibt eine eindeutige Funktion volm,d : Rm → [0, ∞) mit Eigenschaften: 1. volm,d (a1 , a2 , . . . , λai , . . . am ) = |λ| · volm,d (a1 , a2 , . . . , ai , . . . , am ) für i = 1, . . . , m und λ ∈ R. 2. volm,d (a1 , a2 , . . . , ai + aj , . . . am ) = volm,d (a1 , a2 , . . . , ai , . . . am ) für i, j ∈ {1, . . . , m} mit i 6= j. 3. Für a1 , a2 , . . . , am ∈ Rd orthogonale Einheitsvektoren gilt volm,d (a1 , a2 , . . . , am ) = 1. Diese Funktion ist gegeben durch volm,d (a1 , a2 , . . . , am ) = q det(A> A) (hier ist A die d × m-Matrix mit Spalten a1 , a2 , . . . , am ∈ Rd ). 12.2 Integral auf Flächenstücke Definition 12.3. a) Sei Ω ⊆ Rm offen. Dann heißt γ ∈ C1 (Ω; Rd ) eine Immersion oder eine reguläre Parameterdarstellung, falls für alle x ∈ Ω compiled: 20-Feb-2017/11:01 106 12 Das Flächenintegral γ 0 (x) : Rm → Rd injektiv ist (d.h. falls der Rang γ 0 (x) = m für alle x ∈ Ω). Dabei heißt γ(Ω) ein Flächenstück. b) Eine Immersion γ : Ω → Rn ist eine Einbettung, wenn γ : Ω → U := γ(Ω) ein Homöomorphismus (d.h. stetig und stetig invertierbar) ist. Definition 12.4 (Maßtensor einer Immersion). a) Sei A : Rm → Rd linear. Definiere eine quadratische Form q auf Rm durch q(x) := qA> A (x) := hAx, Axi = x> A> Ax, x ∈ Rm . Falls A injektiv ist, so ist q positiv definit. [Denn x 6= 0 =⇒ Ax 6= 0 =⇒ q(x) > 0.] Die Matrix A> A heißt der durch h·, ·i (Skalarprodukt auf Rd ) induzierte Maßtensor von A oder auch Gramsche Matrix von A. b) Sei speziell A := γ 0 (x) und γ Immersion, x ∈ Ω. Dann heißt die induzierte quadratische Form q auf Rd metrische Fundamentalform mit Matrixdarstellung γ 0 (x)> γ 0 (x). Diese d × d-Matrix heißt Gramsche Matrix oder auch Maßtensor. Die quadratische Form q ist positiv definit, da γ 0 nach Voraussetzung injektiv ist. Wir setzen gγ (x) = det(γ 0 (x)> γ 0 (x)), die s.g. Grammsche Determinante. (Übrigens ist gγ (x) ≥ 0, und beschreibt die lokale Verzerrung des Flächeninhalts.) Definition 12.5. Sei γ : Ω → U eine Einbettung. Eine Funktion f : U → C heißt integrierbar über U , wenn die Funktion (f ◦ γ) · Der Ausdruck √ gγ über Ω integrierbar ist. Z Z f dσ := U f (γ(x)) · q gγ (x) dx Ω heißt (m-dimensionales) Flächenintegral von f auf U . Ist die Funktion 1 über U integrierbar, so heißt Z Z q σ m (U ) := 1 dσ = gγ (x) dx U Ω der Flächeninhalt oder das m-dimensionale (Oberflächen-)Maß von U . (Manchmal schreibt man nur σ bzw. nur dσ, wenn die Dimension aus dem Kontext klar ist.) Anmerkung 12.6. Es seien γi : Ωi → U Einbettungen für i = 1, 2. Es gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 12.3 Beispiele Z 107 f (γ1 (x)) · q Z gγ1 (x) dx = Ω1 f (γ2 (x)) · q gγ2 (x) dx. Ω2 Damit ist die obige Definition von der Parametrisierung unabhängig. Beweis. Sei Φ : γ1−1 ◦ γ2 : Ω2 → Ω1 . Man zeigt, dass Φ ein C1 -Diffeomorphismus ist (also sind Φ und Φ−1 C1 -Abbildungen). Dann gilt γ1 ◦φ = γ2 , und so folgt γ20 = (γ10 ◦ Φ)Φ0 aus der Kettenregel. Daher gilt gγ2 = det(Φ0> ((γ10> γ10 ) ◦ Φ) · Φ0 ) = (det Φ0 )2 gγ1 ◦ Φ. Der Transformationssatz 11.8 liefert Z Z q q f (γ1 (x)) · gγ1 (x) dx = f (γ1 (Φ(x))) gγ1 (Φ(x))det Φ0 (x) dx Ω2 Ω1 Z q f (γ2 (x)) gγ1 (Φ(x))det Φ0 (x) dx = Ω2 Z q f (γ2 (x)) gγ2 (x) dx. = Ω2 12.3 Beispiele 1. Bogenlänge, Kurveintegral. Sei γ : I → Rd eine Einbettung, I = (a, b), U = γ(I). Dann heißt U reguläre > Kurve. Es gilt γ 0 · γ 0 = |γ 0 |2 , also Zb Z f dσ = U f (γ(t))|γ 0 (t)| dt, a das s.g. Kurvenintegral. 2. Zweidimensionale Flächen in R3 . Sei Ω ⊆ R2 , γ : Ω → R3 eine Einbettung. Dann gilt γ1 (x, y) γ(x, y) = γ2 (x, y) . γ3 (x, y) mit Koordinatenfunktionen γ1 , γ2 , γ3 . Daraus bekommt man compiled: 20-Feb-2017/11:01 108 12 Das Flächenintegral ∂x γ1 ∂y γ1 γ 0 = ∂x γ2 ∂y γ2 ∂x γ3 ∂y γ3 und somit 2 2 2 ∂x γ1 + ∂x γ2 + ∂x γ3 ∂ γ ∂ γ + ∂ γ ∂ γ + ∂ γ ∂ γ x 1 y 1 x 2 y 2 x 3 y 3 > . γ0 γ0 = 2 2 2 ∂x γ1 ∂y γ1 + ∂x γ2 ∂y γ2 + ∂x γ3 ∂y γ3 ∂y γ1 + ∂y γ2 + ∂y γ3 So erhält man durch etwas Rechnen 2 > gγ = det(γ 0 γ 0 ) = ∂x γ × ∂y γ (Kreuzprodukt). 3. Fundamentaltensor von Graphen. Sei Ω ⊆ Rd−1 offen und f ∈ C1 (Ω; R). Wir definieren dadurch eine Einbettung x , x ∈ Ω. γ : Ω → Rd γ(x) = f (x) p p 1 + |f 0 (x)|2 . Um dies zu zeigen brauchen wir den Dann gilt gγ (x) = folgenden Begriff. Definition 12.7 (Äusseres Produkt). Es seien a1 , a2 , . . . , ad−1 ∈ Rd . Betrachte die d × (d − 1)-Matrix A mit Spalten a1 , a2 , . . . , ad−1 , und deren (d − 1) × (d − 1) Teilmatrizen Aj , welche aus A durch Weglassen der j-ten Zeile entstehen. Setze αj := (−1)j+1 det(Aj ). So definiert man das äussere Produkt a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 der Vektoren a1 , a2 , . . . , ad−1 durch a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 := (α1 , α2 , . . . , αd )> ∈ Rd . Lemma 12.8. Sei b ∈ Rd und betrachte die Matrix Bb mit Spalten b, a1 , . . . , ad−1 . a) Es gilt det(Bb ) = hb, a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 i. b) Für j = 1, . . . , d − 1 steht aj senkrecht zu a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 , d.h. haj , a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 i = 0. c) Sei A die (d − 1) × d-matrix mit Spalten a1 , . . . , ad−1 . Dann gilt 2 det(A> A) = a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 . Beweis. a) Man entwickelt det(Bb ) nach der ersten Spalte: compiled: 20-Feb-2017/11:01 12.3 Beispiele (12.1) 109 det(Bb ) = d X (−1)j+1 bj det(Aj ) = hb, a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 i. j=1 b) Für b = aj (j = 1, . . . , d − 1) hat Bb zwei gleiche Spalten, somit gilt det(Bb ) = 0 nach Teil a). c) Wählt man nun b := a1 ∧a2 ∧· · ·∧ad−1 , so erhält man für Bb das Folgende: > > b b b 0 b A B>B = = . A> 0 A> A Somit gilt (det(B))2 = det(B > B) = |b|2 det(A> A). Aus (12.1) wissen wir |b|2 = det(B) und daher folgt |b|2 det(A> A) = |b|4 . Daraus folgt die Behauptung, falls |b| 6= 0. Ist b = 0, so sind det(Aj ) in der Definition von a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 alle gleich 0. D.h. Rang(A) < m und somit folgt Rang(A> A) < m und det(A> A) = 0. x Nun zurück zu unserem ursprünglichen Problem. Für γ(x) = f (x) gilt 1 0 0 .. . 0 1 0 .. . 0 ··· 0 ··· 1 ··· .. . 0 0 0 .. . 0 γ = . 0 0 0 ··· 1 ∂1 f ∂2 f ∂3 f . . . ∂d−1 f Sei nun A := γ 0 (x), und bezeichne die Spalten von A mit a1 , a2 , . . . , ad−1 . Mit Hilfe vom Lemma 12.8 ist es leicht zu zeigen, dass ∂1 f (x) ∂2 f (x) .. d a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 = (−1) gilt. . ∂d−1 f (x) −1 Aus den obigen Überlegungen folgt dann q p √ gγ = det(A> A) = |a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 | = 1 + |f 0 (x)|2 , d.h. die Behauptung. compiled: 20-Feb-2017/11:01 110 12 Das Flächenintegral 4. Integration über (geschlitze) Sphäre. Betrachte die Sphäre Sr2 := x ∈ R3 |x|2 = r und die Menge A := (x, 0, z) ∈ Sr2 x ≤ 0 . Die längs A geschlitzte Sphäre Sr2 \ A hat die reguläre Parameterdarstellung cos θ cos ϕ γ(ϕ, θ) = r cos θ sin ϕ ∈ R3 , (ϕ, θ) ∈ Ω := (−π, π) × (− π2 , π2 ). sin θ So gilt 0 > 0 2 cos2 θ 0 0 1 γ (ϕ, θ) γ (ϕ, θ) = r q gγ (ϕ, θ) = r2 cos θ. und somit Für f : Sr2 \ A → C gilt also π Z f dσ = r2 Sr2 \A Z f (γ(ϕ, θ)) cos θ d(ϕ, θ) = r2 Zπ Z2 −π Ω f (γ(ϕ, θ)) cos θ dθ dϕ. −π 2 Für f = 1 ergibt sich π σ2 (Sr2 \ A) = r2 Z2 Zπ cos θ dϕ dθ = 4πr2 , −π −π 2 die Oberfläche der (geschlitzen) Sphäre. 5. Oberfläche der d-Sphäre. Für d ≥ 1 setze d S d := x ∈ Rd+1 |x| = 1 und S+ := x ∈ S d xd+1 > 0 . d Dann heißt S d die d-dimensionale Sphäre (d-Sphäre). Die Menge S+ ist darp 2 stellbar als Graph von f : Ω → R, f (x) = 1 − |x| , Ω := x ∈ Rd |x| < 1 = Bd (0, 1). Es gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 12.3 Beispiele 111 f 0 (x) = √−x1 1−|x|2 1−|x|2 Damit gilt für die Einbettung γ(x) = r q gγ (x) = 1 + |x1 |2 1−|x|2 , . . . , √−xd , √−x2 + 1−|x|2 . x f (x) |x2 |2 1−|x|2 + ··· + |xd |2 1−|x|2 = q 1 1−|x|2 . Wegen Rotationssymmetrie gilt nach 11.4 σ d d (S+ ) Z q Z1 rd−1 √ dσ = gγ (x) dx = σd−1 dr. 1 − r2 Z = 0 Ω d−1 S+ Ferner gelten Z1 (12.2) 0 Z1 (12.3) 0 rd+1 √ dr 1 − r2 Part.Int. = Z1 d rd−1 p 1 − r2 dr, 0 rd+1 √ dr = 1 − r2 Z1 0 Z1 = 0 r2 rd−1 √ dr = 1 − r2 rd−1 √ dr − 1 − r2 Z1 0 Z1 rd−1 (1 − r2 )rd−1 √ − √ dr 1 − r2 1 − r2 rd−1 p 1 − r2 dr. 0 So erhalten wir aus (12.2) und (12.3) 1 Z1 (d + 1) r d−1 Z p rd−1 √ 1 − r2 dr = dr. 1 − r2 0 0 Aber wieder wegen Rotationssymmetrie gilt Z1 σd−1 rd−1 0 Z p p 1 − r2 dr = 1 − |x|2 dx = 21 λd+1 (Bd+1 (0, 1)) = 12 ωd+1 . Ω So erhält man (siehe auch 11.4) d+1 d σ d (S+ )= d+1 d+1 π 2 d+1 ωd+1 = = d+1 2 2 Γ ( 2 + 1) 2 d+1 d+1 π 2 π 2 = . d+1 d+1 Γ ( d+1 2 Γ( 2 ) 2 ) d ) gilt (nur anschaulich klar, σ d (S d ) haben wir noch nicht Da σ d (S d ) = 2σ d (S+ definiert!), erhalten wir compiled: 20-Feb-2017/11:01 112 12 Das Flächenintegral d+1 π 2 σ (S ) = 2 d+1 = σd , Γ( 2 ) d d siehe Abschnitt 11.4.6. 12.4 Untermannigfaltigkeiten des Rd Definition 12.9. a) Sei ∅ = 6 M ⊆ Rd . M heißt m-dimensionale (C1 -) Untermannigfaltigkeit von Rd , falls für alle a ∈ M eine offene Umgebung U ⊆ Rd von a existiert, sowie ein C1 -Diffeomorphismus ϕ : U → V auf eine offene Teilmenge des Rd mit ϕ(M ∩ U ) = V ∩ (Rm × {0}). (Ist m = d so interpretiert man Rm × {0} als Rd . D.h. d-dimensionale Untermannigfaltigkeiten des Rd sind einfach die offenen Teilmengen von Rd .) b) Ein solcher Diffeomorphismus ϕ heißt Karte für M , und M ∩ U heißt deren Kartengebiet. c) (d − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeiten des Rd heißen Hyperflächen. U Rd−m U ∩M V ϕ −→ V ∩ (Rm × {0}) Rm M Satz 12.10. Sei f : Ω → Rn eine C1 -Abbildung wobei Ω ⊆ Rm offen ist. Dann ist Graph f = (x, f (x)) x ∈ Ω ⊆ Rm+n eine m-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rm+n . Beweis. Sei U := Ω×Rn , und ϕ : U → Rm ×Rn , ϕ(x, y) = (x, y−f (x)). Dann ist ϕ ein Diffeomorphismus mit ϕ(U ) ⊆ U und ϕ(U ∩ Graph f ) = Ω × {0}. Definition 12.11. Sei U ⊆ Rd und f : U → Rn differenzierbar. Dann heißt x ∈ U regulärer Punkt von f , falls f 0 (x) : Rd → Rn surjektiv ist, sonst compiled: 20-Feb-2017/11:01 12.4 Untermannigfaltigkeiten des Rd 113 heißt x singulärer (oder kritischer) Punkt. Weiterhin heißt c ∈ Rn regulärer Wert von f , falls alle Elemente von f −1 ({c}) reguläre Punkte sind (sonst heißt c singulärer (oder kritischer) Wert). Anmerkung 12.12. 1. Ist d < n, so kann die lineare Abbildung f 0 (x) : Rd → Rn nicht surjektiv sein. Also sind alle Punkte x ∈ Rd singulär. 2. Ist y ∈ Rn ein regulärer Wert von f , so hat f 0 (x) in allen Punkten x ∈ f −1 ({y}) den Rang n. 3. Der Satz von Morse–Sard besagt, dass singuläre Werte von Ck -Abbildungen in Rn eine λn -Nullmenge bilden (für k ≥ max{d − n + 1, 1}). Theorem 12.13 (Implizite Funktion). Sei W ⊆ Rm × Rn offen und f : W → Rn stetig differenzierbar. Ferner sei (x0 , y0 ) = z0 ∈ W eine Nullstelle von f , d.h., f (x0 , y0 ) = 0. Sei ∂yf (x0 , y0 ) : Rn → Rn invertierbar. Dann gibt es offene Mengen U ⊆ Rm , V ⊆ Rn mit (x0 , y0 ) ∈ U ×V ⊆ W und eine stetig differenzierbare Abbildung g : U → V derart, dass für alle (x, y) ∈ U × V gilt f (x, y) = 0 ⇐⇒ y = g(x). Theorem 12.14 (Satz vom regulären Wert). Sei U ⊆ Rd offen, f ∈ C1 (U ; Rn ), c ∈ Rn sei regulärer Wert von f , so dass f −1 ({c}) 6= ∅. Dann ist M = f −1 ({c}) eine Untermannigfaltigkeit des Rd der Dimension m = d − n. Beweis. Verwende den Satz über implizite Funktionen 12.13. Beispiel 12.15. Wir betrachten die Funktion f : R×R → R definiert durch f (x, y) = (x2 + y 2 )2 − 8xy. Es ist leicht zu zeigen, dass (0, 0), (1, 1) und (−1, −1) die einzige regulären Punkte von f sind und, dass c = 0 und c = −4 die singuläre Werte von f sind. Für c < −4 gilt f −1 ({c}) = ∅. Für c = −4 hat die Gleichung f (x, y) = c genau zwei Lösungen (die zwei globale Minimalstellen von f ). Diese sind (−1, −1) und (1, 1). Für c ∈ (−4, 0) ∪ (0, ∞) ist die Niveaumenge f −1 ({c}) eine 1-dimensionale Untermannigfaltigkeit des R2 . Die Niveaumengen f −1 ({c}) sind auf der rechten Seite für unterschiedliche Werte von c gezeichnet. Für c = 0 bekommt man die Kurve mit einer “Kreuzung” im (0, 0), diese Niveaumenge ist also keine Untermannigfaltigkeit. Für c ∈ (−4, 0) ist die Untermannigfaltigkeit f −1 ({c}) unzusammenhängend (die zwei Komponente sind zum Ursprung zentralsymmetrisch). compiled: 20-Feb-2017/11:01 114 12 Das Flächenintegral Korollar 12.16. a) Sei n = 1 in Theorem 12.14 und f 0 (x) 6= 0 für alle x ∈ f −1 ({c}). Dann ist f −1 ({c}) eine Hyperebene des Rd (falls f −1 ({c}) 6= ∅). b) Die d-Sphäre S d := {x ∈ Rd+1 | |x| = 1} ist eine Hyperfläche (d-dimensionale Untermannigfaltigkeit) des Rd+1 . Beweis. a) ist klar. b) Betrachte die C1 -Abbildung f : Rd+1 → R, f (x) = |x|2 . Es gilt S d = f −1 ({1}). Da f 0 (x) = 2x 6= 0 für alle x ∈ f −1 ({1}), ist 1 ein regulärer Wert von f und 12.14 liefert die Behauptung. Satz 12.17. Sei M eine d-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rd . Dann ist jedes Kartengebiet U ⊆ M das Bild einer offenen Menge Ω ⊆ Rd unter einer Einbettung γ : Ω → Rd . Beweis. Sei ϕ : G → V eine Karte und U = G∩M , G ⊆ Rd offen. Sei Ω ⊆ Rd derart, dass Ω × {0} = V ∩ (Rd × {0}). Setze γ(x) := ϕ−1 (x, 0). Dann ist γ : Ω → Rd eine Einbettung mit U = γ(Ω) (der Rang von γ 0 (x) ist gleich d für alle x ∈ Ω). 12.5 Integration auf Untermannigfaltigkeiten Theorem 12.18 (Zerlegung der Eins). Sei M eine Untermannigfaltigkeit des Rd und ∞ [ M= Uj j=1 eine offene Überdeckung mit Kartengebieten Uj (solche Überdeckungen heißen Atlas). Zusätzlich nehmen wir an, dass die Überdeckung lokal finit (oder: lokal endlich) ist, d.h., für alle x ∈ M existiert eine Umgebung Vx , die nur endlich viele der Mengen Uj , j = 1, 2, . . . schneidet. Dann existieren Funktionen ψj : M → R, j ∈ N mit den Eigenschaften: (1) 0 ≤ ψj ≤ 1, (2) supp ψj ⊆ Uj , d.h., existiert eine Vj ⊆ Uj offen mit V j ⊆ Uj und ψj (x) = 0 für alle x ∈ M \ V j , (3) Für alle x ∈ M gilt ∞ X ψj (x) = 1. j=1 compiled: 20-Feb-2017/11:01 12.5 Integration auf Untermannigfaltigkeiten 115 (4) ψj : Uj → R ist differenzierbar, d.h., ψj ◦ γi : Ωi → R ist für i, j ∈ N differenzierbar (wobei γi : Ωi → Ui eine Einbettung ist, welche nach Satz 12.17 existiert). Anmerkung 12.19. a) Man kann zeigen, dass Überdeckungen mit den im Satz stehenden Eigenschaften immer existieren. b) Das System (ϕj )j∈N heißt der Überdeckung untergeordnete Zerlegung der Eins zu M . c) Ist M kompakt, so kann man aus der abzählbaren Überdeckung eine endliche auswählen. Definition 12.20 (Integral auf Untermannigfaltigkeiten). Sei M eine Untermannigfaltigkeit des Rd und f : M → R (oder C) eine Funktion. Betrachte eine Überdeckung (Uj )j∈N von M und eine zu dieser Überdeckung untergeordnete Zerlegung der Eins (ϕj )j∈N aus Theorem 12.18. Betrachte ferner die Einbettungen γj : Ωj → Uj aus Satz 12.17. a) Ist f ≥ 0 so setzt man Z f dσ := ∞ Z X j=1U M f ϕj dσ = ∞ Z X f (γj (x))ϕj (γj (x)) q gγj (x) dx. j=1Ω j j b) Die Funktion heißt integrierbar auf M , falls die Funktionen f ·ϕj : Uj → C, j ∈ N, alle integrierbar sind, und falls ∞ Z X j=1U j |f |ϕj dσ = ∞ Z X j=1Ω j |f (γj (x))|ϕj (γj (x)) q gγj (x) dx < ∞ gilt. In diesem Falls definiert man das Flächenintegral von f auf M durch Z f dσ := M ∞ Z X f ϕj dσ. j=1U j c) Für A ⊆ M Borel-Menge (A ∈ B(M )) definieren wir Z σM (A) := 1A dσ, M das Oberflächenmaß von A. Anmerkung 12.21. 1. Es ist möglich zu zeigen, dass der Begriff “f ist integrierbar” und “das Integral von f über M ” beide von der Wahl der Überdeckung und der Zerlegung der Eins unabhängig sind. 2. σM : B(M ) → R ist ein Maß auf M , und für positive Borel-messbare Funktionen gilt compiled: 20-Feb-2017/11:01 116 12 Das Flächenintegral Z Z f dσM = M f dσ M (auf der linken Seite steht also Integral bzgl. des Maßes σM , auf der rechten Seite das Flächenintegral auf M ). 3. Es gilt L 1 (M, B(M ), σM ; C) = f ist Borel-messbar und integrierbar im Sinne des Flächenintegrals , und für f ∈ L 1 (M, B(M ), σM ; C) gilt Z Z f dσM = f dσ. M M 4. Die Sätze von Lebesgue, Fatou und Beppo Levi, usw. gelten für das Flächenintegral. 12.6 Der Satz von Gauß Definition 12.22. Sei M ⊆ Rd Untermannigfaltigkeit des Rd und x0 ∈ M . Wir nennen a ∈ Rd Tangentialvektor an M in x0 , falls eine C1 -Kurve γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = x0 und γ 0 (0) = a existiert. Die Menge Tx0 M := a ∈ Rd a ist Tangentialvektor an M in x0 heißt Tangentialraum von M im Punkt x0 . Lemma 12.23. Sei M eine m-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rd , und sei x0 ∈ M . Dann gelten die folgenden Aussagen: a) Tx0 M ist ein m-dimensionaler Untervektorraum des Rd . b) Ist U ⊆ Rd offen, f ∈ C1 (U ; Rn ), c ∈ Rn regulärer Wert von f und ∅= 6 M = f −1 ({c}), so gilt Tx0 M = ker f 0 (x0 ) = a ∈ Rd f 0 (x0 )a = 0 . c) Sei Nx0 M := (Tx0 M )⊥ (das Orthogonalkomplement von Tx0 M ). Dann ist Nx0 M ein Untervektorraum von Rd der Dimension n = d − m, und heißt der Normalenraum in x0 . d) Unter den Bedingungen in b) bilden f10 (x0 )> , · · · , fn0 (x0 )> eine Basis im Nx0 M . (Hier ist f : Rd → Rn , f = (f1 , . . . , fn )> ). Beweis. ...kommt noch... compiled: 20-Feb-2017/11:01 12.6 Der Satz von Gauß 117 Definition 12.24. Sei K ⊆ Rd kompakt. Wir sagen, dass K glatten Rand (genauer: C1 -Rand) hat, falls für alle x0 ∈ ∂K eine offene Umgebung U ⊆ Rd von x0 und ϕ ∈ C1 (U ; R) existiert mit: K ∩ U = x ∈ U ϕ(x) ≤ 0 und ϕ0 (x) 6= 0 für alle x ∈ U . Anmerkung 12.25. Sei K ⊆ Rd kompakt mit glattem Rand. 1. Es gilt ∂K ∩ U = x ∈ U ϕ(x) = 0 . 2. Die Menge ∂K ⊆ Rd ist kompakt und eine Untermannigfaltigkeit des Rd , d.h. eine kompakte Hyperfläche. Für jedes x0 ∈ ∂K existiert genau ein Vektor ν(x0 ) ∈ Rd mit den folgenden Eigenschaften: (1) ν(x0 ) ∈ Nx0 ∂K, (2) |ν(x0 )| = 1, (3) es existiert ε > 0, so dass x0 + tν(x0 ) 6∈ K für alle t ∈ (0, ε). Außerdem ist die Abbildung ν : ∂K → R ∂K K d x0 ν(x0 ) stetig, sie heißt Normaleneinheitsfeld. Der Vektor ν(x0 ) nennen wir den Normaleneinheitsvektor an x0 . Notationen a) Die Ableitung einer Funktion f : Rd → Rn an der Stelle x ist eine lineare Abbildung f 0 (x) : Rd → Rn , also eine n × d-Matrix. Der Gradient von f an der Stelle x ist grad(f ) = ∇f (x) = f 0 (x)> : Rn → Rd . Für den Gradienten gilt also f 0 (x)y = hy, ∇(x)i. b) Die Divergenz von f : Rd → Rd (f = (f1 , f2 , . . . , fd )> ) ist definiert durch div f := ∂1 f1 + ∂2 f2 + · · · + ∂d fd . Rein formal gilt “div f = h∇, f i”. compiled: 20-Feb-2017/11:01 118 12 Das Flächenintegral c) Der Laplace-Operator ∆ ist definiert durch ∆f := ∂12 f + ∂22 f + · · · + ∂d2 f, also ∆f = div ∇f . Theorem 12.26 (Satz von Gauß). Sei K ⊆ Rd kompakt mit glattem Rand, ν : ∂K → Rd äußeres Normaleneinheitsfeld. Ferner sei K ⊆ U ⊆ Rd , U offen und F ∈ C1 (U ; Rd ). Dann gilt Z Z d div F dλ = hF, νi dσ. K ∂K Korollar 12.27 (Partielle Integration in Rd ). Seien K, U ⊆ Rd wie im Satz 12.26. Ferner seien g ∈ C1 (U ; R) und F ∈ C1 (U ; Rd ). Dann gilt Z Z Z d g div F dλ = ghF, νi dσ − hgrad g, F i dλd . K K ∂K Beweis. Verwende den Satz von Gauß 12.26 für das Vektorfeld gF , und bemerke div(gF ) = g div F + hgrad g, F i. Korollar 12.28 (Die Green-Formeln). Seien K, U ⊆ Rd wie im Satz 12.26. Ferner seien f, g ∈ C2 (U ; R). Dann gilt Z Z Z hgrad f, grad gi dλd = I. g∂ν f dσ − g∆f dλd , K ∂K Z II. K d (f ∆g − g∆f ) dλ = Z K (f ∂ν g − g∂ν f ) dσ, ∂K wobei ∂ν g(x) = hgrad f (x), ν(x)i die Ableitung in Normalenrichtung bezeichnet. Beweis. Die erste Formel folgt aus Korollar 12.27 mit der Wahl F = grad(f ) . Die zweite Formel erhält man indem man die erste Formel für f und g bzw. g und f aufschreibt und die so entstandenen Gleichungen subtrahiert. compiled: 20-Feb-2017/11:01 Sachverzeichnis Fσ -Menge, 9 Gδ -Menge, 9 ∩, ∪, \-stabil, 4 ∞-Norm, 71 µ-fast überall, 36 σ-Algebra, 4 σ-Ring, 4 σ-Subadditivität, 15 σ-additiv, 13 σ-endlicher Maßraum, 13 ϕ-messbar, 56 d-dimensionale Kugelkoordinaten, 97 äußeres Lebesgue-Maß, 64 Satz der monotonen Konvergenz, 33 Volumen der Einheitskugel, 83 Algebra (von Mengen), 4 Approximationssatz, 29 Borel-σ-Algebra, 8 Borel–Lebesgue-Maßraum, 14 Borel-Maß, 22 Borel-Menge, 8 Cantor-Menge, 20 Carathéodory-messbar, 56 Cauchy–Bunjakowski–SchwarzUngleichung, 44 Cauchy–Schwarz-Ungleichung, 44 Cavalierisches Prinzip, 82 charakteristische Funktion, 28 Clarkson-Ungleichungen, 45 Diffeomorphismus, 93 Dirac-Maß, 14 Disjunktisierung, 6 dominierte Konvergenz, 40 einfache Funktion, 28 endlich additiv, 15 endlicher Maßraum, 13 endliches Maß, 13 erzeugte σ-Algebra, 7 fast überall, 36 Fatou-Lemma, 35 Gauß-Funktion, 95 Grammsche Determinante, 105 Grundmenge, 4 Halbstetigkeit, 74 Indikatorfunktion, 28 Integral, 30 Integral messbarer Funktionen, 37 integrierbare Funktion, 37 Intervall, 62 Jensen-Ungleichung, 45 Kugelkoordinaten, 95 Kurvenintegral, 106 Lebesgue-Integral, 30, 37 Lebesgue-Maß, 14, 64 Lebesgue-Maßraum, 64 Lebesgue-Menge, 64 Lebesgue-messbare Menge, 64 Lipschitz-stetig, 71 lokal Lipschitz-stetig, 71 maßerhaltend, 89 119 120 maßtreu, 89 Maßraum, 13 messbare Abbildung, 25 messbare Funktion, 25 messbarer Raum, 4, 25 messbares Rechteck, 76 Minkowski-Ungleichung, 44 monoton, 15 Nullmenge, 19 obere/untere Einhüllende, 74 oberhalbstetig, 74 Parallelotop, 103 Polarkoordinaten, 93 Potenzmenge, 4 Produkt von Maßräumen, 78 Produkt-σ-Algebra, 78 Produktmaß, 78 Punktmaß, 14 Quader, 62 Rechteck, 62 reguläres Maß, 24 Riemann-Integral, 73 Ring (von Mengen), 4 rotationssymmetrische Funktion, 98 Satz von Beppo Levi, 33 Sachverzeichnis Schnitt einer Menge, 79 Standard-Darstellung, 29 Stetigkeit von oben, 16 Stetigkeit von unten, 15 Theorem von Carathéodory, 56 Theorem von Fubini, 79 Theorem von Fubini–Tonelli, 81 Theorem von Hahn, 54 Theorem von Lebesgue, 40 Theorem von Tonelli, 80 Transformationssatz, 93 Translationsinvarianz, 14, 66 unterhalbstetig, 74 Vitali-Menge, 3 vollständiger Maßraum, 19 vollständiges Produkt von Maßräumen, 78 Volumen eines Kegels, 85 Volumen eines Quaders, 62 Volumen eines Zylinders, 84 Volumen von Kugel, 99 Volumen von Zylinder, 100 Wahrscheinlichkeitsmaß, 13 Wahrscheinlichkeitsraum, 13 Young-Ungleichung, 43 Zählmaß, 14 compiled: 20-Feb-2017/11:01
© Copyright 2025 ExpyDoc