Analysis 3

Bálint Farkas
Analysis 3
Skript zur Vorlesung in WS2016/2017
20. Februar 2017
c by B. Farkas
compiled: 20-Feb-2017/11:01
Inhaltsverzeichnis
1
Einführung und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Volumina, Vitali-Menge, Banach-Tarski Paradox
2
σ-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Algebren und Ringe von Mengen, σ-Algebren, σ-Ringe, grundlegende Eigenschaften, Mengenoperationen, Erzeugung von σ-Algebren, Borel-Mengen,
Gδ - und Fσ -Mengen, Erzeugungssysteme für B(Rd ), Dynkin-Systeme.
3
Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Maße, Maßräume, Dirac-Maß, Zählmaß, endliche und σ-endliche Maße,
Lebesgue-Maß, Stetigkeit nach unten und nach oben, Vervollständigung
eines Maßraums, Borel-Regularität von Maßen.
4
Meßbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Messbare Funktionen, Borel-Messbarkeit, erweiterte reelle Zahlen, grundlegende Eigenschaften und Operationen, Grenzwert, Supremum und Infimum von Folgen messbarer Funktionen, Approximationssatz für einfache
Funktionen.
5
Integrierbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Integral positiver Funktionen, Satz von Beppo Levi, Integration positiver Reihen, Lemma von Fatou, Konvergenzsätze fast überall, Integral für
R- und C-wertige Funktionen, der Vektorraum integrierbarer Funktionen,
Satz von Lebesgue über dominierte Konvergenz, Vertauschen von Integral
und Summe, Differenzierbarkeit von Parameterintegralen.
6
L p Räume und Integralungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Hölder-, Young-, Minkowski-Ungleichung, L p -Funktionen, Jensen-Ungleichung,
die Ungleichungen von Clarkson, der Satz von Riesz–Fischer, punktweise Konvergenz in L p , der Raum L ∞ , allgemeinere Hölder-Ungleichung,
Interpolationsungleichung, Struktur von L p -Funktionen.
7
Konvergenz von Folgen messbarer Funktionen . . . . . . . . . . . . 54
Konvergenz fast überall, Konvergenz in Maß. L p -Konvergenz, der Satz von
Jegorow.
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INHALTSVERZEICHNIS
8
vii
Konstruktion von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Äußere Maße, relative Äußere Maße, Konstruktion von äusseren Maßen,
Sätze von Carathéodory und Hahn, Carathéodory-messbare Mengen, das
Fortsetzungstheorem, das Eindeutigkeitstheorem, metrische äußere Maße.
9
Der Lebesguesche Maßraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Das Lebesgue-Maß, Lebesgue-Nullmengen, Charakterisierung von LebesgueMengen, Translationsinvarianz, Regularität, der Satz von Lusin, nicht
Lebesgue-messbare Mengen, Charakterisierung des Lebesgueschen Maßraums, Riemann- vs. Lebesgue-Integral.
10 Produkte von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Das Produktmaß, Sätze von Fubini und Tonelli, geometrische Bedeutung
des Integrals, Cavalierisches Prinzip.
11 Transformation des Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Maßtreue Abbildungen, Transformationssatz, Polarkoordinaten, Kugelkoordinaten, d-dimensionale Kugelkoordinaten, Rotationssymmetrische Funktionen, Volumina von Kugeln, Integral von Gaußschen Funktionen.
12 Das Flächenintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Flächenintegral mit Hilfe regulärer Parametrisierung, metrische Fundamentalform, Untermannigfaltigkeiten in Rd , regulärer Punkt und Wert,
die d-Sphäre, Zerlegung der Eins, Flächenintegral, Flächeninhalt, Tangentialraum, Normalenraum, C1 -Rand, Normaleneinheitsfeld, Satz von Gauß,
die Green-Formel.
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
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Kapitel 1
Einführung und Motivation
1.1 Ziel
1. Beschreibung von Volumina, Inhalt, Oberflächeninhalt von Mengen in Rd ,
und auch viel allgemeiner.
2. Entwicklung vom Begriff “Integral”.
3. Anwendungen: Diese sind Grundbegriffe der modernen Mathematik und
tauchen auf in: Analysis, Stochastik, Algebra, Zahlentheorie, Kombinatorik, Mengenlehre, ... (fast) überall.
1.2 Inhalt in Rd
Bezeichne mit P(Rd ) die Potenzmenge von Rd , d.h., die Menge aller Teilmengen von Rd . Suche µ : P(Rd ) → [0, ∞) “Inhaltsfunktion” mit folgenden
Eigenschaften:
(i) µ(∅) = 0, µ(A) ≥ 0.
(ii) Für A, B ⊆ Rd mit A ∩ B = ∅ gilt
µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B).
Additvität auf disjunkten Mengen
(iii) Sind A und B kongruent, d.h., A entsteht aus B durch Translation,
Rotation oder Spiegelung, dann ist µ(A) = µ(B).
(iv) µ([0, 1)d ) = 1.
Normalisierung
Anmerkung 1.1. (ii) wollen wir auch manchmal ersetzen durch:
(ii’) Für A1 , A2 , . . . , Am , . . . eine endliche oder abzählbar unendliche Folge
von disjunkten Mengen gilt
1
2
1 Einführung und Motivation
[ X
µ
Aj =
µ(Aj ).
j
j
σ-Additvität. Hier steht “σ” wegen der abzählbaren Vereinigung.
1.3 Die Vitali-Menge
Theorem 1.2. Ein µ : P(Rd ) → R mit Eigenschaften (i), (ii’), (iii), (iv) gibt
es nicht!
Beweis. Wir beweisen die Aussage nur für d = 1, die übrige Fälle sind nicht
schwieriger und folgen sogar aus dem eindimensionalen Fall.
Wir definieren eine Äquivalenzrelation auf [0, 1) durch
x∼y
Def.
⇐⇒ x − y ∈ Q.
Sei A ⊆ [0, 1) diejenige Menge, welche genau einen Representanten jeder
Äquivalenzklasse enthält (Auswahlaxiom!). Wir setzen für p ∈ Q ∩ [0, 1)
Ap := x + p : x ∈ A ∩ [0, 1 − p)} ∪ {x + p − 1 : x ∈ A ∩ [1 − p, 1) .
Wir haben A = (A ∩ [0, 1 − p)) ∪ (A ∩ [1 − p, 1)), und so gilt wegen (ii’)
µ(A) = µ((A∩[0, 1−p))∪(A∩[1−p, 1))) = µ(A∩[0, 1−p))+µ(A∩[1−p, 1)).
Eigenschaft (iii) ergibt
µ(A) = µ(A ∩ [0, 1 − p)) + µ(A ∩ [1 − p, 1))
= µ((A + p) ∩ [p, 1)) + µ((A + p) ∩ [0, p)) = µ(Ap ).
Bemerke, dass Ap ∩ Aq = ∅ für p 6= q, p, q ∈ Q ∩ [0, 1). Denn ist z ∈ Ap ∩ Aq ,
so gilt z = x + p (oder z = x + p − 1) und z = y + q (oder z = y + q − 1) mit
x, y ∈ A. Daraus folgt x − y ∈ Q, also x ∼ y. Daher gilt x = y und p = q,
oder p − 1 = q, oder p = q − 1). Aber p, q ∈ [0, 1) und so gilt |p − q| < 1, d.h.,
p = q ist die einzige Möglichkeit. Wir haben also gezeigt, falls Ap ∩ Aq 6= ∅,
dann gilt Ap = Aq .
Ferner gilt
[0, 1) =
[
Ap .
p∈Q∩[0,1)
Denn sei x ∈ [0, 1), so gibt ein y ∈ A mit x ∼ y. D.h. p := x − y ∈ Q, also gilt
x = y + p. Sei q = 1 + p falls p < 0 und q = p sonst. Dann ist q ∈ Q ∩ [0, 1)
und gilt x ∈ Aq .
Nun verwendet man (ii’):
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1.4 Das Banach–Tarski Paradox
µ([0, 1)) = µ
3
Ap =
S
p∈Q∩[0,1)
=
µ(Ap )
p∈Q∩[0,1)
(
X
X
µ(A) =
p∈Q∩[0,1)
0, falls µ(A) = 0
∞, falls µ(A) > 0.
So erhält man einen Widerspruch zu (iv).
Die Menge A, die wir im obigen Beweis konstruiert haben, heißt VitaliMenge, und wie gezeigt kann kein natürliches Inhalt haben.
1.4 Das Banach–Tarski Paradox
Theorem 1.3 (Volumen-Verdopplung). Sei d ≥ 3. Seien A = B(0, 1)
und B = B(x, 1) zwei disjunkte Kugeln in Rd . Dann gibt es
A1 , A2 , . . . , AN ⊆ A
und
paarweise disjunkt
T1 , T2 , . . . , TN : Rd → Rd
Kongruenzen,
so dass
A1 ∪ A2 ∪ · · · ∪ AN = A
und
T1 (A1 ) ∪ T2 (A2 ) ∪ · · · ∪ TN (AN ) = A ∪ B.
Es ist also möglich eine Kugel in endlich vielen Teile zu zerlegen, aus denen
durch Kongruenzen sich zwei Kugeln von Größe des Originals zusammensetzen lassen.
Folgerung. Falls d ≥ 3 gibt es kein µ : P(Rd ) → R mit den Eigenschaften
(i), (ii), (iii), (iv).
Anmerkung 1.4. Für d = 1, 2 gibt es aber!
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Kapitel 2
σ-Algebren
2.1 Mengensysteme
Sei X 6= ∅ beliebige Menge und bezeichne mit P(X) die Potenzmenge von
X d.h.
P(X) := A | A ⊆ X .
Definition 2.1. a) Sei A ⊆ P(X), ein s.g. Mengensystem. A heißt eine
Algebra (über X), falls gilt:
(A1) ∅, X ∈ A ,
(A2) A, B ∈ A =⇒ A ∪ B, A ∩ B und A \ B ∈ A .
Dabei heißt X die Grundmenge für A . Man sagt, dass A ∩-stabil ist
falls für A, B ∈ A gilt A ∩ B ∈ A . Analog definiert man ∪-stabil und
\-stabil. Falls zusätzlich gilt:
(A3) An ∈ A für n ∈ N
=⇒
[
n∈N
An ∈ A ,
so heißt A eine σ-Algebra.
b) Fordert man statt (A1) nur
(A10 ) ∅ ∈ A ,
so heißt A mit Eigenschaften (A10 ) und (A2) ein Ring, und mit zusätzlicher Eigenschaft (A3) ein σ-Ring.
c) Ist A eine σ-Algebra über X, so heißt das Paar (X, A ) ein messbarer
Raum.
Beispiel 2.2. 1. {X, ∅} ist die kleinste σ-Algebra über X.
2. P(X) ist die größte σ-Algebra über X.
4
2.1 Mengensysteme
5
3. Sei X = {0, 1}, so ist A := {∅, {1}} ein Ring, aber keine Algebra über X
und B := {∅, {0}, {1}} ist kein Ring.
4. Sei X unendlich. Dann ist
A := A ⊆ X | A endlich
ein Ring, aber keine Algebra.
5. Sei X unendlich (z.B. X = N). Dann ist
A := A ⊆ X | A endlich oder Ac endlich
eine Algebra aber keine σ-Algebra. Hier und im Folgenden bezeichnet Ac
das Komplement X \ A von A.
6. Sei X beliebig (z.B. X := R). Dann ist
A := A ⊆ X | A abzählbar oder Ac abzählbar
eine σ-Algebra.
7. Bezeichne [a, b) das halb offene Intervall {x|a ≤ x < b}. Sei
N
o
n [
[aj , bj ), N ∈ N, aj , bj ∈ R .
R := A A =
j=1
Dann ist R ein Ring aber keine Algebra über R.
Satz 2.3. A ⊆ P(X) ist genau dann eine σ-Algebra, wenn es die folgenden
Eigenschaften hat:
(1) ∅ ∈ A ,
(2) A ∈ A =⇒ Ac := X \ A[
∈A,
(3) An ∈ A für n ∈ N =⇒
An ∈ A .
n∈N
Beweis. Sei A eine σ-Algebra. Dann ist ∅, X ∈ A und somit ist (1) klar. Sei
A ∈ A . Da X ∈ A , bekommen wir X \ A ∈ A , somit ist (2) bewiesen. (3)
ist trivial.
Sei jetzt A ein Mengensystem mit den Eigenschaften (1)–(3). Aus (1) und
(2) folgt, dass ∅, X ∈ A . (3) impliziert, dass A ∪-stabil ist, und wegen
[ c
\
An =
Acn ,
n
n
dass A ∩-stabil ist. Da A\B = A∩B c ist, gilt auch A\B ∈ A für A, B ∈ A .
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2 σ-Algebren
6
Satz 2.4 (Disjunktisierung). Sei A ⊆ P(X) ein Ring, und für n ∈ N
seien An ∈ A gegeben. Dann existieren Bn ∈ A mit Bn ⊆ An , Bi ∩ Bj = ∅
für alle i 6= j und
N
[
An =
n=1
Insbesondere gilt
N
[
Bn
n=1
∞
[
n=1
An =
für alle N ∈ N.
∞
[
Bn .
n=1
Beweis. Setze B1 := A1 . Falls B1 , . . . , Bn mit den gewünschten Eigenschaften
schon definiert sind, fahren wir rekursiv fort und setzen
Bn+1 := An+1 \ B1 ∪ · · · ∪ Bn = An+1 \ A1 ∪ · · · ∪ An .
Die Mengen Bn (n ∈ N) haben die gewünschten Eigenschaften.
Korollar 2.5. Sei A ⊆ P(X). Dann ist A genau dann eine σ-Algebra,
wenn A eine Algebra ist und zusätzlich gilt:
An ∈ A für alle n ∈ N, und Ai ∩ Aj = ∅ für i 6= j
=⇒
∞
[
n=1
An ∈ A .
2.2 Konstruktionen
Anmerkung 2.6. 1. Seien A , B σ-Algebren über demselben X. So ist
A ∩B = A|A∈A, A∈B
auch eine σ-Algebra über X.
2. Allgemeiner: Sei I eine nichtleere Menge (Indexmenge) und für α ∈ I seien
Aα alle σ-Algebren über demselben X. So ist
\
A :=
Aα = A ⊆ X | ∀α ∈ I gilt A ∈ Aα
α∈I
auch eine σ-Algebra.
Definition. Sei E ⊆ P(X). Dann heißt
σX (E ) := σ(E ) =
\
A
A σ-Alg.
E ⊆A
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2.3 Die Borel-Algebra
7
die von E erzeugte σ-Algebra über X.
Anmerkung. σ(E ) ist wegen der obigen Anmerkung 2 tatsächlich eine σAlgebra, die kleinste σ-Algebra über X, welche E enthält. D.h. für jede σAlgebra B ⊆ P(X) mit E ⊆ B gilt σ(E ) ⊆ B.
Beispiel. 1. E = ∅ =⇒ σ(E ) = {∅, X}.
2. E = {∅} =⇒ σ(E ) = {∅, X}.
3. E = {A} =⇒ σ(E ) = {∅, A, Ac , X}.
Satz 2.7. a) Ist E selbst eine σ-Algebra, so ist σ(E ) = E . Insbesondere gilt
σ(σ(E )) = σ(E ).
b) Gilt E ⊆ F , so gilt auch σ(E ) ⊆ σ(F ).
Beweis. ÜA.
Satz 2.8. Seien X, Y beliebige nichtleere Mengen und sei f : X → Y eine
Abbildung.
a) Ist A eine σ-Algebra über X, so ist
B := A ⊆ Y f −1 (A) ∈ A
eine σ-Algebra über Y .
b) Ist B eine σ-Algebra über Y , so ist
A := f −1 (A) A ∈ B
eine σ-Algebra über X.
Beweis. Für A, B ⊆ Y gelten
f −1 (A ∩ B) = f −1 (A) ∩ f −1 (B),
f −1 (A ∪ B) = f −1 (A) ∪ f −1 (B),
f −1 (A \ B) = f −1 (A) \ f −1 (B).
Diese Identitäten verwendet man für den eigentlichen Beweis.
2.3 Die Borel-Algebra
Definition 2.9. Sei (X, d) ein metrischer Raum (z.B. eine Teilmenge von
Rm ) und sei
G := G (X) := G | G ⊆ X offen ,
F := F (X) := F | F ⊆ X abgeschlossen .
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2 σ-Algebren
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Dann heißt
B(X) := σ(G ) die Borelsche σ-Algebra von X.
B ∈ B(X) heißt Borelsche Menge oder Borel-Menge (in X).
Satz 2.10. Die Borel-σ-Algebra wird auch von F = F (X) erzeugt, d.h.,
B(X) = σ(F ).
Beweis. Da G (X) ⊆ B(X), muss auch F ⊆ B(X) gelten, daraus folgt
σ(F ) ⊆ B(X). Es gilt aber auch G (X) ⊆ σ(F ) und daher B(X) ⊆ σ(F ).
Als Illustration möchten wir zunächst andere, einfache Erzeuger für B(Rm )
finden.
Notation 2.11. Für a, b ∈ Rm setze
(a, b) := (a1 , b1 ) × (a2 , b2 ) × · · · × (am , bm ),
[a, b] := [a1 , b1 ] × [a2 , b2 ] × · · · × [am , bm ],
[a, b) := [a1 , b1 ) × [a2 , b2 ) × · · · × [am , bm ),
(a, b] := (a1 , b1 ] × (a2 , b2 ] × · · · × (am , bm ]
(a, ∞) := (a1 , ∞) × (a2 , ∞) × · · · × (am , ∞)
usw...,
die so genannten Quader (oder Rechtecke). Die Relation a ≤ b bzw. a < b
versteht man hier koordinatenweise.
Theorem 2.12. B(Rm ) wird erzeugt von jedem der folgenden Mengensysteme:
(i) E1
(ii) E2
(iii) E3
(iv) E5
(v) E7
(vi) E9
= {(a, b) : a < b}
= {[a, b] : a < b}
= {(a, b] : a < b} oder E4 := {[a, b) : a < b}
= {(a, ∞) : a ∈ Rm } oder E6 := {(−∞, a) : a ∈ Rm }
= {[a, ∞) : a ∈ Rm } oder E8 := {(−∞, a] : a ∈ Rm }
= {(a, b) : a < b, a, b ∈ Qm }
Beweis. Wir behaupten, dass
E9 ⊆ σ(Ej ) für j = 1, . . . , 9.
Wir zeigen dies zum Beispiel für j = 2. Sei also (a, b) ∈ E9 . Dann gilt
[
(a, b) =
[a + n1 1, b − n1 1],
n∈N
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2.3 Die Borel-Algebra
9
wobei 1 = (1, . . . , 1)> ∈ Rm . Dies zeigt E9 ⊆ σ(E2 ). Die anderen Fälle kann
man mit ähnlichen Techniken beweisen.
Die Mengensysteme Ej , j = 1, . . . , 9 sind alle in B(Rm ) enthalten, denn für
j 6= 3, 4 sind die Mengen in Ej offen oder abgeschlossen. Ferner sind die
Mengen in E3 und E4 auch in B(Rm ) enthalten. Denn
(a, b] =
∞
\
(a, b + n1 1) und [a, b) =
∞
\
(a − n1 1, b).
n=1
n=1
Aus diesen Überlegungen folgt:
σ(E9 ) ⊆ σ(Ej ) ⊆ B(Rm ) für j = 1, . . . , 9.
Schließlich erinnern wir daran, dass jede offene Menge in Rm abzählbare
Vereinigung von offenen Quadern mit rationalen Eckpunkten ist. Denn ist
G ⊆ Rm offen, so gilt
[
G=
(p, q).
p,q∈Qm
(p,q)⊆G
Daraus folgt
G ⊆ σ(E9 ),
also B(R ) ⊆ σ(E9 ) ⊆ σ(σ(Ej )) = σ(Ej ) ⊆ B(Rm ), und somit ist der Beweis
beendet.
m
Definition 2.13. a) Sei E ⊆ P(X). Wir definieren
n
o
[
Eσ := A ⊆ X | A =
An , An ∈ E ,
n∈N
und
n
o
\
Eδ := A ⊆ X | A =
An , An ∈ E .
n∈N
b) A ∈ Gδ heißt eine Gδ -Menge in X. Für Gδ -Mengen gilt also
\
A=
Gj mit Gj ⊆ X offen.
j∈N
B ∈ Fσ heißt eine Fσ -Menge in X. Für Fσ -Mengen gilt also
[
B=
Fj mit Fj ⊆ X abgeschlossen.
j∈N
Induktiv erhält man Gδσ , Fσδ , Gδσδ , Fδσδ , usw. Mengen.
Beispiel. Q ist Fσ . Denn Q ist abzählbar und einelementige Mengen sind
abgeschlossen:
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2 σ-Algebren
10
Q=
[
{r}.
r∈Q
Q ist aber keine Gδ -Menge. Daraus folgt, dass R \ Q eine Gδ aber keine
Fσ -Menge ist.
Satz 2.14. a) Es gelten Fδ = F und Gσ = G .
b) Fσ und Gδ Mengen sind Borel. A ist genau dann Gδ , wenn Ac Fσ ist.
c) Jede offene und abgeschlossene Menge ist auch Fσ und Gδ . Insbesondere
G ∪ F ⊆ Fσ ∩ G δ .
d) Die Borel-σ-Algebra wird von Fσ und Gδ erzeugt, d.h.
B(X) = σ(Gδ ) = σ(Fσ ).
Beweis. a) Die Inklusionen F ⊆ Fδ und G ⊆ Gσ sind trivial. Die umgekehrten Inklusionen sind auch wahr, denn eine beliebige Vereinigung von offenen
Mengen ist offen, und ein beliebiger Durchschnitt von abgeschlossenen Mengen ist abgeschlossen.
b) Beide Aussagen sind klar aus den Definitionen.
c) Eine abgeschlossene Menge ist trivialerweise Fσ . Sei F abgeschlossen und
für n ∈ N setze
[
Gn :=
B(x, n1 ),
x∈F
wobei B(x, 1/n) = {y ∈ X | d(x, y) < n1 } die offene Kugel um x mit Radius
1/n bezeichnet. Dann gilt F ⊆ Gn , und die Mengen Gn sind alle offen. Wir
behaupten die Gleichheit
\
F =
Gn .
n∈N
Daraus
gesagt,
T folgt dann, dass F eine Gδ -Menge ist. Nun gilt, wie schon
1
F ⊆ n∈N Gn . Sei x 6∈ F . Dann gibt es ein m ∈ N mit B(x,Tm
) ∩ F = ∅.
D.h. x 6∈ Gm . Daraus folgt die behauptete Gleichheit F = n∈N Gn . Wir
haben also gesehen, dass eine abgeschlossene Menge Fσ und Gδ ist.
Sei G eine offene Menge, so ist F = Gc abgeschlossen und somit gleichzeitig
Gδ und Fσ . Dann ist aber auch G = F c eine Fσ und Gδ -Menge.
d) Wir wissen bereits
G ⊆ Fσ ⊆ B(X) und G ⊆ Gδ ⊆ B(X).
Daraus folgt
B(X) = σ(G ) ⊆ σ(Fσ ) ⊆ B(X)
und
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2.4 Dynkin-Systeme
11
B(X) = σ(G ) ⊆ σ(Gδ ) ⊆ B(X).
2.4 Dynkin-Systeme
Definition 2.15. Ein Mengensystem D ⊆ P(X) heißt Dynkin-System,
falls gilt:
(D1) X ∈ D,
(D2) A, B ∈ D, B ⊆ A =⇒ A \ B ∈ D, [
(D3) An ∈ D mit An ⊆ An+1 , n ∈ N =⇒
An ∈ D.
n∈N
Beispiel. Jede σ-Algebra ist ein Dynkin-System. Insbesondere ist D =
P(X) ein Dynkin-System.
Definition. Für E ⊆ P(X) heißt
\
D(E ) :=
D
D Dynkin-Syst.
E ⊆D
das von E erzeugte Dynkin-System. In der Tat ist D(E ) ein Dynkin-System,
und zwar das kleinste, welches E enthält.
Anmerkung. Für E ⊆ P(X) gilt D(E ) ⊆ σ(E ). Ist D ein Dynkin-System,
so ist D(D) = D.
Satz 2.16. Sei D ein Dynkin-System, das auch ∩-stabil ist, d.h. für alle
A, B ∈ D gilt A ∩ B ∈ D. Dann ist D eine σ-Algebra.
Beweis. Wir benutzen Satz 2.3. X ∈ D gilt per Definitionem. Aus (D2)
bekommt man ∅ = X \ X ∈ D. Mit A ∪ B = (Ac ∩ B c )c folgt, dass D auch
∪-stabil ist. Sei An ∈ D, n ∈ N beliebig, und setze
Bn :=
n
[
Ak ,
k=1
S
so
⊆ Bn+1 , und somit nach (iii) n∈N Bn ∈ D. Es gilt aber
S gilt Bn S
n∈N Bn =
n∈N An . Damit ist der Beweis beendet.
Theorem 2.17 (Dynkin-Theorem). Sei E ⊆ P(X) ∩-stabil, und sei D ⊆
P(X) ein Dynkin-System mit E ⊆ D. Dann gilt σ(E ) ⊆ D.
Beweis. Wenn wir wüssten, dass auch D(E ) ∩-stabil ist wären wir fertig.
Denn nach Satz 2.16 ist dann D(E ) eine σ-Algebra (welche E enthält) und
somit
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2 σ-Algebren
12
σ(E ) ⊆ D(E ) ⊆ D(D) = D.
Wir zeigen also, dass D(E ) ∩-stabil ist.
Schritt 1. Sei A ∈ D(E ) beliebig und setze
DA := B ⊆ X A ∩ B ∈ D(E ) .
Wir behaupten, dass DA ein Dynkin-System ist. Da A ∈ D(E ) ist, gilt X ∈
DA . Sind B, C ∈ DA , C ⊆ B, so gilt A ∩ B, A ∩ C ∈ D(E ), somit
(B \ C) ∩ A = (B ∩ A) \ (C ∩ A) ∈ D(E ),
d.h. B \ C ∈ DA . Sei Bn ∈ DA , Bn ⊆ Bn+1 (n ∈ N), dann gilt Bn ∩ A ∈ D(E )
und somit
[
[
A∩
Bn =
(Bn ∩ A) ∈ D(E ).
n∈N
n∈N
Schritt 2. Für A ∈ E und B ∈ D(E ) gilt A ∩ B ∈ D(E ). Denn: Für jedes
C ∈ E gilt A ∩ C ∈ E ⊆ D(E ), und somit C ∈ DA . D.h. E ⊆ DA . Da aber
DA ein Dynkin-System ist, folgt D(E ) ⊆ DA .
Schritt 3. Für A, B ∈ D(E ) gilt A ∩ B ∈ D(E ), d.h. D(E ) ist ∩-stabil.
Denn: DB , welches nach Schritt 2 ganz E enthält, ist ein Dynkin-System,
also D(E ) ⊆ DB .
Anmerkung (Das Dynkin-Argument). Wir wollen eine Eigenschaft ϕ
für die Elemente der σ-Algebra σ(E ) zeigen. Dies direkt zu machen kann
sehr aufwendig sein. Wir zeigen “stattdessen”: 1) Elemente von E haben diese
Eigenschaft (und E ist ∩-stabil), 2) das Mengensystem
D := A ⊆ X | A hat Eigenschaft ϕ
ist ein Dynkin-System. Diese Schritte 1) und 2) sind oft nicht schwierig zu
überprüfen. Dann folgt aus Dynkins Theorem, dass alle Elemente von σ(E )
die Eigenschaft ϕ haben. Später werden wir solche Argumentationen (z.B. in
Abschnitt 3.5) konkret sehen.
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Kapitel 3
Maße
3.1 Definition und Beispiele
Vorbemerkung. Wir vereinbaren die folgenden Regeln für a ∈ R
a + ∞ = ∞ + a = ∞,
∞ + ∞ = ∞,
∞ ≥ a.
Wir definieren
[0, ∞] := x x ≥ 0 ∪ ∞ .
Es sei X 6= ∅ und A ⊆ P(X) eine σ-Algebra, also (X, A ) ein messbarer
Raum.
Definition 3.1. a) Eine Abbildung µ : A → [0, ∞] heißt Maß (auf A ), falls
(M1) µ(∅) = 0,
(M2) Falls Aj ∈ A , j ∈ N, Aj ∩ Ak = ∅ für j 6= k (paarweise disjunkte
Mengen), so gilt
∞
∞
[
X
Aj =
µ(Aj ).
µ
j=1
j=1
(σ-Additivität)
Das Tripel (X, A , µ) heißt ein Maßraum.
b) Ist µ(X) < ∞, so heißt µ endlich und (X, A , µ) endlicher Maßraum. Ist µ(X) = 1, so heißt µ Wahrscheinlichkeitsmaß, und (X, A , µ)
Wahrscheinlichkeitsraum.
S
c) Falls eine Folge (Aj )j∈N ⊆ A mit X = j∈N Aj und µ(Aj ) < ∞ für alle
j ∈ N existiert, so heißt µ (und der Maßraum (X, A , µ)) σ-endlich.
13
14
3 Maße
Beispiel 3.2.
1. Das 0-Maß. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Wir setzen
ν(A) := 0 für alle A ∈ A .
2. Das ∞-Maß. Sei (X, A ) messbarer Raum. Wir setzen
(
∞ für alle A ∈ A , A 6= ∅,
ν(A) :=
0 A = ∅.
3. Das Dirac-Maß. Wir setzen
δx : P(X) → [0, ∞],
(
1,
δx (A) :=
0,
x ∈ A,
x 6∈ A.
δx heißt Dirac-Maß (oder Punktmaß) im Punkt x.
4. Das Zählmaß. Wir setzen
(
card(A), A endlich,
µ(A) :=
∞,
A unendlich.
Dann heißt µ : P(X) → [0, ∞] Zählmaß.
5. Sei X überabzählbar und
A := A ⊆ X A oder Ac abzählbar .
Wir setzen
µ : A → [0, ∞],
(
0,
µ(A) :=
∞,
A abzählbar,
A überabzählbar.
6. Das Lebesgue-Maß. Es gibt ein Maß λd : B(Rd ) → [0, ∞] mit
(L1) λd ([0, 1)d ) = 1,
(L2) λd (A + x0 ) = λd (A) für alle A ∈ B(Rd ), x0 ∈ Rd , wobei
A + x0 := a + x0 | a ∈ A .
(Translationsinvarianz)
Der Maßraum (Rd , B(Rd ), λd ) heißt Borel–Lebesgue-Maßraum.
Proposition.
Für a, b ∈ Rd mit a ≤ b gilt
λd ((a, b)) = λd ([a, b]) = λd ((a, b]) = λd ([a, b)) =
d
Y
(bj − aj ).
j=1
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3.2 Grundlegende Eigenschaften von Maßen
15
3.2 Grundlegende Eigenschaften von Maßen
Satz 3.3. Sei (X, A , µ) ein Maßraum. Dann gelten die folgenden Aussagen:
1. µ ist endlich additiv: Für A1 , . . . , An ∈ A paarweise disjunkt gilt
n
n
[
X
µ
Aj =
µ(Aj ).
j=1
j=1
Beweis. Für j > n wähle Aj = ∅ und verwende die σ-Additivität.
2. µ ist monoton: A ⊆ B =⇒ µ(A) ≤ µ(B).
Beweis. Für A ⊆ B gilt µ(B) = µ(A)+µ(B \A), und somit µ(B) ≥ µ(A).
3. µ(A) < ∞, A ⊆ B =⇒ µ(B \ A) = µ(B) − µ(A).
Beweis. Für A ⊆ B gilt µ(B) = µ(A) + µ(B \ A). Daher µ(B \ A) =
µ(B) − µ(A), falls µ(A) < ∞.
4. µ(A ∪ B) + µ(A ∩ B) = µ(A) + µ(B).
Beweis. Es gelten A ∪ B = A ∪ (B \ A) und B = (A ∩ B) ∪ (B \ A). Wegen
der Additivität folgt also:
µ(A ∪ B) = µ(A) + µ(B \ A) und µ(B) = µ(A ∩ B) + µ(B \ A).
Ist µ(B \ A) < ∞, so gilt µ(A ∩ B) = µ(B) − µ(B \ A), und damit
µ(A ∩ B) + µ(A ∪ B) = µ(B) − µ(B \ A) + µ(A) + µ(B \ A) = µ(A) + µ(B).
Ist µ(B \ A) = ∞, so ist µ(B) = µ(B ∪ A) = ∞ und 4. ist trivial.
5. (σ-Subadditivät): Für An ∈ A , n ∈ N gilt
∞
∞
[
X
µ
An ≤
µ(An ).
n=1
n=1
Sk−1
Beweis. Wir setzen B1 := A1 , Bk := Ak \ j=1 Aj für k > 1. Dann gilt
Sn
Sn
Bk ⊆ Ak und Bj ∩ Bk = ∅, j 6= k. Für n ∈ N gilt j=1 Aj = j=1 Bj .
Daher
∞
∞
∞
∞
[
[
X
X
µ
Aj = µ
Bj =
µ(Bj ) ≤
µ(Aj ).
j=1
j=1
j=1
j=1
6. Stetigkeit von unten. Für Aj ∈ A , A1 ⊆ A2 ⊆ A3 ⊆ . . . gilt
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16
3 Maße
∞
[
µ
Aj = lim µ(Aj ).
j→∞
j=1
Notation: An ↑ A bedeutet A =
S
n∈N
An und An ⊆ An+1 für n ∈ N.
Beweis. Setze A0S= ∅, Bk := Ak \ ASk−1 für k ≥
1. Dann Bj ∩ Bk = ∅,
S∞
m
∞
j 6= k und Am = k=1 Bk , somit ist k=1 Bk = m=1 Am . Also gilt
∞
∞
∞
m
[
[
X
X
µ
Ak = µ
Bk =
µ(Bk ) = lim
µ(Bk ) = lim µ(Am ).
k=1
k=1
m→∞
k=1
m→∞
k=1
7. Stetigkeit von oben. Für Aj ∈ A , j ∈ N, mit A1 ⊇ A2 ⊇ A3 ⊇ . . . und
mit µ(A1 ) < ∞ gilt
∞
\
µ
Aj = lim µ(Aj ).
j→∞
j=1
Notation: An ↓ A bedeutet A =
T
n∈N
An und An+1 ⊆ An für n ∈ N.
Beweis. Setze Bj := A1 \ Aj . So ist Bj ⊆ Bj+1 für jedes j ∈ N und damit
ist e) verwendbar:
∞
∞
∞
\
\
\
c Aj = µ A1 \
Aj = µ A1 ∩
Aj
µ(A1 ) − µ
j=1
j=1
j=1
∞
∞
[
[
Acj = µ
A1 ∩ Acj
= µ A1 ∩
j=1
j=1
∞
[
A1 \ Aj = lim µ(A1 \ An )
=µ
n→∞
j=1
= µ(A1 ) − lim µ(An ).
n→∞
3.3 Linearkombinationen von Maßen
Vorbemerkung. Wir vereinbaren die folgenden Regeln für a > 0
∞ · ∞ = ∞,
a · ∞ = ∞ · a = ∞,
0 · ∞ = ∞ · 0 = 0.
Satz 3.4. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Seien µ1 , µ2 , . . . , µN Maße auf
(X, A ) und seien c1 , . . . , cN ≥ 0. Dann definiert
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3.3 Linearkombinationen von Maßen
17
N
X
µ(A) :=
(A ∈ A )
cj µj (A)
j=1
ein Maß.
Beweis. ÜA.
Theorem 3.5 (“Baby” Fubini-Theorem). Für n, m ∈ N seien anm ∈
[0, ∞]. Dann gilt
∞ X
∞
X
N
X
anm = lim
N →∞
m=1 n=1
an m =
n,m=1
∞ X
∞
X
anm .
n=1 m=1
Beweis. Aus Symmetriegründen genügt es nur die erste Gleichheit zu beweisen. Wir benutzen ständig, dass anm ≥ 0.
Für N ∈ N gilt
N
X
anm =
n,m=1
N X
N
X
m=1 n=1
anm ≤
N X
∞
X
m=1 n=1
∞ X
∞
X
anm ≤
anm .
m=1 n=1
Somit gilt
lim
N →∞
N
X
n,m=1
anm ≤
∞ X
∞
X
anm ,
m=1 n=1
wobei der Grenzwert existiert, weil die Folge monoton steigend ist.
Nun zur umgekehrten Abschätzung: Falls für ein M ∈ N
∞
X
n=1
anM = ∞,
so gehen wir folgenderweise vor: Für jedes R > 0 gibt es N ∈ N, N ≥ M mit
N
X
n=1
anM ≥ R.
Dann gilt aber
∞ X
∞
X
m=1 n=1
N X
N
N X
M
X
X
anm ≥
anm ≥
anm ≥ R
n=1 m=1
n=1 m=1
Da R > 0 beliebig war, es folgt
lim
N →∞
N
X
n,m=1
anm = ∞ =
∞ X
∞
X
anm ,
m=1 n=1
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18
3 Maße
also ist die Behauptung in diesem Fall bewiesen.
Wir dürfen also annehmen, dass für alle m ∈ N
∞
X
n=1
anm < ∞
gilt. Für jedes m ∈ N gibt es dann Nm derart, dass
Nm
X
n=1
anm ≥
∞
X
n=1
anm −
ε
.
2m
Dann gilt für beliebiges M ∈ N und für N := max{M, N1 , . . . , NM } ∈ N:
N X
N
X
m=1 n=1
anm ≥
≥
Nm
M X
X
m=1 n=1
M X
∞
X
m=1 n=1
anm ≥
M X
∞
X
m=1 n=1
anm −
M
X
ε
2m
m=1
anm − ε.
Daraus folgt
N
X
lim
N →∞
n,m=1
anm ≥
M X
∞
X
m=1 n=1
anm − ε,
und dann mit M → ∞
N
X
lim
N →∞
m,m=1
anm ≥
∞ X
∞
X
m=1 n=1
anm − ε,
Da ε > 0 beliebig ist, bekommen wir
lim
N →∞
N
X
n,m=1
anm ≥
∞ X
∞
X
anm .
m=1 n=1
Korollar. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Seien für n ∈ N die Maße µn
auf (X, A ) sowie die Zahlen cn ≥ 0 gegeben. Dann definiert
µ(A) :=
∞
X
j=1
cj µj (A)
(A ∈ A )
ein Maß.
Beweis. Zu (M1):
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3.4 Nullmengen
19
µ(∅) =
∞
X
cj µj (∅) =
j=1
∞
X
j=1
cj · 0 = 0.
Zu (M2): Seien An ∈ A (n ∈ N) paarweise disjunkt. Dann gilt:
∞
∞
∞
∞
∞
∞ X
∞
[
X
[
X
X
X
µ
An =
cj µj
An =
cj
µj (An ) =
cj µj (An )
n=1
=
j=1
∞ X
∞
X
n=1
j=1
cj µj (An ) =
n=1 j=1
∞
X
n=1
j=1 n=1
µ(An ),
n=1
wobei wir das obige Theorem benutzt haben.
3.4 Nullmengen
Definition 3.6. Sei (X, A , µ) ein Maßraum.
a) N ⊆ X heißt eine µ-Nullmenge falls ein C ∈ A mit µ(C) = 0 und
N ⊆ C existiert. Setze
Nµ := N ⊆ X | N µ-Nullmenge .
b) (X, A , µ) heißt vollständig, falls alle µ-Nullmengen zu A gehören, d.h.,
falls Nµ ⊆ A .
Satz 3.7. Sei (X, A , µ) ein Maßraum. Für N ⊆ X sind die folgenden Aussagen äquivalent:
a) N ist eine µ-Nullmenge, d.h., N ∈ Nµ .
b) Für jedes ε > 0 gibt es C ∈ A mit µ(C) ≤ ε und N ⊆ C.
c) Für jedes ε > 0 gibt es An ∈ A (n ∈ N) mit
N⊆
∞
[
n=1
An
und
∞
X
n=1
µ(An ) ≤ ε.
Beweis. ÜA.
Beispiel 3.8. 1. Sei X = R, A = B(R) und λ1 das 1-dimensionale LebesgueMaß. Dann gilt
λ1 ({x}) ≤ λ1 ([x − 1/n, x + 1/n]) =
2
n
für jedes n, und somit λ1 ({x}) = 0. Dies impliziert, dass eine abzählbare
Menge N , z.B., N = Q, eine λ1 -Nullmenge ist.
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20
3 Maße
2. Setze C0 := [0, 1], C1 := 13 C0 ∪( 23 + 31 C0 ) = [0, 31 ]∪[ 23 , 1] und dann rekursiv
Cn+1 := 13 Cn ∪ ( 32 + 13 Cn ).
Es ist leicht zu sehen, dass Cn aus 2n abgeschlossenen, disjunkten Intervallen besteht, die jeweils Länge 31n haben. Weiterhin ist klar, dass Cn
abgeschlossen, sogar kompakt, ist und enthält Cn+1 für jedes n ∈ N. Wir
definieren die Cantor-Menge (genauer: die Cantor- 31 -Menge) durch
C :=
\
Cn .
n∈N
Dann ist C abgeschlossen, sogar kompakt. Man kann zeigen, dass C überabzählbar ist (C 6= ∅ folgt aus der Kompaktheit). Es gilt
λ1 (C) ≤ λ1 (Cn ) =
2n
,
3n
und somit λ1 (C) = 0.
3. Sei f : [0, 1] → R stetig, und setze
B := (x, f (x)) x ∈ [0, 1] .
So ist B abgeschlossen in R2 , somit eine Borel-Menge. Ferner gilt B ∈ Nλ2 ,
wobei λ2 das 2-dimensionale Lebesgue-Maß bezeichnet.
Satz 3.9. a) Sei A ∈ A und N ∈ A ∩ Nµ . Dann gilt
µ(A) = µ(A ∪ N ) = µ(A \ N ).
b) Nµ ist ein σ-Ring.
c) Für N ∈ Nµ und A ⊆ N , gilt A ∈ Nµ .
Beweis. ÜA.
Theorem 3.10 (Vervollständigung eines Maßraums). Sei (X, A , µ)
ein Maßraum. Dann existiert ein vollständiger Maßraum (X, A¯, µ̄) mit
(1) A ⊆ A¯,
(2) µ̄ A = µ, d.h., µ(A) = µ̄(A) für alle A ∈ A ,
(3) Für jeden vollständigen Maßraum (X, B, ν) mit (1) und (2) gilt A¯ ⊆ B.
Beweis. Setze
A¯ := A ∪ N | A ∈ A , N ∈ Nµ .
Dann ist A¯ eine σ-Algebra: ∅, X ∈ A¯ ist trivialerweise erfüllt. Ist A ∈ A¯,
so gibt es ein B ∈ A und N ∈ Nµ mit A = B ∪ N . Ferner gibt es ein
C ∈ A ∩ Nµ mit N ⊆ C. Daraus folgt
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3.5 Borel-Maße
21
Ac = (B ∪ N )c = B c ∩ N c = (B c ∩ C c ) ∪ (C ∩ N c )
| {z } | {z }
⊆C
∈A
und deswegen Ac ∈ A . Seien nun An ∈ A¯, n ∈ N, d.h., es existieren Bn ∈ A
und Nn ∈ Nµ mit An = Bn ∪ Nn . Somit gilt
[
[
[
[
Nn
An =
(Bn ∪ Nn ) =
Bn ∪
n∈N
n∈N
n∈N
n∈N
| {z }
| {z }
∈A
∈Nµ
S
und n∈N An ∈ A¯. Wir haben gezeigt, dass A¯ eine σ-Algebra ist. Die Inklusion A ⊆ A¯ ist klar.
Sei A ∈ A¯, d.h., A = B1 ∪ N1 mit B1 ∈ A und N1 ∈ Nµ . Wir behaupten,
dass µ(B1 ) nicht von dieser Darstellung abhängt. Falls A = B2 ∪ N2 eine
andere Darstellung ist, dann gibt es C1 , C2 ∈ Nµ ∩ A mit N1 ⊆ C1 und
N2 ⊆ C2 . Daher gilt
µ(B1 ) = µ(B1 ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(B1 ∪ N1 ∪ C1 ∪ C2 )
= µ(A ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(B2 ∪ C1 ∪ C2 ) = µ(B2 ).
Wegen dieser Unabhängigkeit ist die folgende Funktion µ̄ wohldefiniert. Sei
A ∈ A¯, A = B ∪ N mit A ∈ A , N ∈ Nµ , und setze
µ̄(A) := µ(B).
Ist A selbst in A , so gilt µ̄(A) = µ(A), denn A = A∪∅. Also ist µ̄|A = µ. Wir
zeigen, dass µ̄ ein Maß ist. Es ist wiederum klar, dass µ̄ positiv ist und dass
µ̄(∅) = 0 gilt. Seien An = Bn ∪ Nn paarweise disjunkte Mengen für n ∈ N
mit Bn ∈ A und Nn ∈ Nµ . Dann sind natürlich Bn auch disjunkt, und es
gilt
[
[
X
X
An = µ
Bn =
µ̄
µ(Bn ) =
µ̄(An ).
n∈N
n∈N
n∈N
n∈N
3.5 Borel-Maße
Satz 3.11. Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Sei E ⊆ A ∩-stabil mit σ(E ) =
A . Seien µ, ν zwei endliche Maße auf A . Dann sind äquivalent:
(i) µ(E) = ν(E) für alle E ∈ E und µ(X) = ν(X).
(ii) µ(A) = ν(A) für alle A ∈ A .
Beweis. Nur die Implikation (i)⇒(ii) ist zu beweisen. Nehmen wir also (i)
an. Setze
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22
3 Maße
D := A ∈ A | µ(A) = ν(A) .
Dann gilt nach Voraussetzung E ⊆ D. Wir zeigen, dass D ein Dynkin-System
ist. Nach Voraussetzung gilt X ∈ D, also folgt (D1). Ist A, B ∈ D, B ⊆ A,
so gilt
µ(A \ B) = µ(A) − µ(B) = ν(A) − ν(B) = ν(A \ B).
D.h. A \ B ∈ D. Sei An ∈ D und An % A. Zu zeigen ist A ∈ D. Es gilt
µ(A) = lim µ(An ) = lim ν(An ) = ν(A),
n→∞
n→∞
also A ∈ D.
Definition 3.12. Sei (X, d) metrischer Raum. Ein Maß auf (X, B(X)) heißt
Borel-Maß.
Proposition.
Sei (X, d) ein metrischer Raum und seien µ, ν endliche
Borel-Maße auf X. Falls gilt
µ(G) = ν(G)
für alle offenen Mengen G,
so gilt
µ(B) = ν(B)
für alle B ∈ B(X).
Theorem 3.13. Sei X ein metrischer Raum und sei µ ein endliches BorelMaß.
a) Für jedes B ∈ B(X) gelten
(1)
µ(B) = inf µ(G) | B ⊆ G, G offen ,
(2)
µ(B) = sup µ(F ) | F ⊆ B, F abgeschlossen .
b) Für jedes B ∈ B(X) gibt es eine Fσ -Menge A und eine Gδ -Menge C mit
A ⊆ B ⊆ C,
µ(A) = µ(B) = µ(C),
d.h. C \ B, B \ A sind Nullmengen.
Beweis. a) Wegen der Monotonie gilt “≤” in (1) und “≥” in (2). Setze
D := B ∈ B(X) | B erfüllt (1) und (2) .
Wir zeigen zunächst F ⊆ D. Ist F ∈ F , also abgeschlossen, so ist (2) trivial.
Da aber F ⊆ Gδ , finden wir offene Mengen Gn mit Gn & F . Da µ endlich
ist folgt
µ(F ) = lim µ(Gn )
n→∞
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3.5 Borel-Maße
23
und somit ist (1) auch erfüllt. Wir zeigen, dass D ein Dynkin-System ist.
Klar: X ∈ F . Seien A, B ∈ D mit B ⊆ A. Sei ε > 0, und seien F2 ⊆ F1
abgeschlossen, G2 ⊆ G1 offen mit
F1 ⊆ A ⊆ G1 ,
µ(G1 \ F1 ) ≤ ε,
und
F2 ⊆ B ⊆ G2
µ(G2 \ F2 ) ≤ ε.
Setze
G := G1 \ F2 ,
F := F1 \ G2 .
Dann gilt
F ⊆A\B ⊆G
und
µ(G \ (A \ B)) + µ((A \ B) \ F ) = µ(G \ F ) = µ(G1 \ F1 ) + µ(G2 \ F2 ) ≤ 2ε.
Daraus folgt A \ B ∈ D. Sei nun An % A, An ∈ D. Zu zeigen ist A ∈ D.
Sei ε > 0. Für jedes n ∈ N gibt es Fn abgeschlossen und Gn offen mit
Fn ⊆ An ⊆ Gn und
ε
µ(Gn \ Fn ) ≤ n .
2
Wir können ohneSBeschränkung der Allgemeinheit annehmen,
dass Fn ⊆
S
Fn+1 . Setze G := Gn . Dann ist G offen. Setze B = Fn . Da Fn % B, gilt
µ(Fn ) → µ(B), und für n0 ∈ N geeignet groß folgt
µ(B \ Fn0 ) ≤ ε.
Mit F := Fn0 gilt F ⊆ A ⊆ G und
[
Gn \ Fn + µ(B \ F )
µ(G \ F ) = µ(G \ B) + µ(B \ F ) ≤ µ
n∈N
≤
X
n∈N
µ(Gn \ Fn ) + µ(B \ F ) ≤ 2ε.
Somit gilt auch A ∈ D und D ist ein Dynkin-System. Da F ∩-stabil ist folgt
aus Dynkins Theorem 2.17, dass σ(F ) = B(X) ⊆ D ⊆ B(X).
b) Folgt aus a).
Anmerkung. Für nicht endliche Maße gelten die obigen Sätze im Allgemeinen nicht!
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24
3 Maße
3.6 Regularität des Lebesgue-Maßes
Vorbemerkung. Ist B ∈ B(Rd ) eine beschränkte Menge, dann gilt λd (B) <
∞. [Denn: ein solches B ist in einem Quader enthalten und Quader haben
endliches Lebesgue-Maß.] Insbesondere ist (Rd , B(Rd ), λd ) ein σ-endlicher
Maßraum, denn
∞
[
Rd =
B(0, n).
n=1
Theorem 3.14. Betrachte das Lebesgue-Maß auf B(Rd ). Für jedes B ∈
B(X) gelten
(OR)
λd (B) = inf λd (G) | B ⊆ G, G offen ,
(IR)
λd (B) = sup λd (K) | K ⊆ B, K kompakt .
Beweis. Siehe Theorem 9.8 später.
Korollar. Eine Menge N ⊆ Rd ist genau dann eine λd -Nullmenge, falls für
jedes ε > 0 Quader Qn (n ∈ N) existieren mit
N⊆
∞
[
n=1
Qn
und
∞
X
λd (Qn ) < ε.
n=1
Definition 3.15. Ein Borel-Maß heißt regulär, falls für jede Borel-Menge
B (OR) (“outer regular”) und (IR) (“inner regular”) gilt.
A C H T U N G: In der Litertur wird das Wort “Regularität” (eines Maßes)
oft mit leicht unterschiedlichen Bedeutungen verwendet.
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Kapitel 4
Meßbare Funktionen
4.1 Definition und Eigenschaften
Erinnerung:
1. Sei X eine nichtleere Menge, und A eine σ-Algebra über X. Dann heißt
(X, A ) ein messbarer Raum.
2. Sei f : X → Y , wobei X, Y beliebige nichtleere Mengen sind. Ist B eine
σ-Algebra auf Y , so ist
A := f −1 (A) A ∈ B
eine σ-Algebra auf X, siehe Satz 2.8.
Definition 4.1. Seien (X, A ) und (Y, B) messbare Räume. Eine Abbildung
f : X → Y heißt (A , B)-messbar, falls
f −1 (B) ∈ A
für alle B ∈ B
(oder kurz messbar, wenn aus der Situation klar ist, welche σ-Algebren eben
betrachtet werden). Für Funktionen f : X → K welche (A , B(K))-messbar
sind benutzen wir noch die Bezeichnung A -messbar (K = R oder C). Sind
X, Y metrische Räume und A , B die Borel-σ-Algebren auf X bzw. auf Y so
sagt man auch “f sei Borel-messbar”.
Lemma 4.2. Sei B = σ(E ) die von E ⊆ P(Y ) erzeugte σ-Algebra. Dann
gilt:
f :X→Y
ist (A , B)-messbar
⇐⇒
f −1 (E) ∈ A für alle E ∈ E.
Beweis. Setze C := {A ⊆ Y | f −1 (A) ∈ A }. Dann ist C eine σ-Algebra über
Y und E ⊆ C , und somit B = σ(E ) ⊆ C .
25
26
4 Meßbare Funktionen
Korollar 4.3. Sei f : Rn → Rm stetig (oder allgemeiner: f : X → Y , wobei
X, Y metrische Räume sind). Dann ist f (B(Rn ), B(Rm ))-messbar.
Beweis. Die Borel-σ-Algebra wird von den offenen Mengen G erzeugt:
B(Rm ) = σ(G ).
Ferner ist das Urbild f −1 (G) einer offenen Menge G ⊆ Rm offen, denn f ist
stetig. Daher beendet Lemma 4.2 den Beweis.
Satz 4.4. a) Seien (X, A ), (Y, B), (Z, C ) messbare Räume. Sind
f : X → Y,
g:Y →Z
messbar,
so ist g ◦ f : X → Z auch messbar.
b) Sei (X, A ) ein messbarer Raum und f = (f1 , . . . , fd )> : X → Kd (K = R
oder C). Dann gilt
f messbar
⇐⇒
fj messbar für j = 1, . . . , d.
Beweis. a) Überprüfe die Definition.
b) Die Projektion Pj : Kd → K ist stetig und fj = Pj ◦ f . Also ist f messbar,
dann nach Teil a) auch fj . Nehme an, dass f1 , . . . , fd alle messbar sind. Da
B(Rd ) durch die offenen “Rechtecke” G = (a1 , b1 ) × · · · × (ad , bd ) erzeugt ist
(siehe Theorem 2.12), genügt es f −1 (G) ∈ A für solche Mengen G zu zeigen.
Es gilt aber
f −1 (G) =
d
\
j=1
fj−1 ((aj , bj )) ∈ A .
Anmerkung 4.5. Wir betrachten R = [−∞, ∞] und definieren eine Metrik
d(x, y) := | arctan x − arctan y|
auf R. So ist also (R, d) ein metrischer Raum und eine Menge G ⊆ R ist
genau dann offen in R, wenn G ∩ R in R offen ist. Für die Borel-σ-Algebra
gilt also
B(R) = A ⊆ R : A ∩ R ∈ B(R) ,
vgl. Übung.
a) f : X → R ist messbar ⇐⇒ f −1 ({−∞}), f −1 ({∞}), f −1 (B) ∈ A für alle
B ∈ B(R).
b) B(R) wird durch die Mengen {−∞}, {∞}, (a, b), a, b ∈ R erzeugt.
c) Wir verabreden weiterhin die folgenden Konventionen für a ∈ R:
a + ∞ = ∞, a − ∞ = −∞, ∞ + ∞ = ∞, −∞ − ∞ = −∞
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4.1 Definition und Eigenschaften
27
0 · ∞ = 0, a · ∞ = ∞ für a > 0, a · ∞ = −∞ für a < 0,
∞ · ∞ = ∞, (−∞) · ∞ = −∞,
−∞ < a < ∞.
Wir ergänzen auch unsere Liste von Intervallen durch [−∞, ∞], [a, ∞]
usw...
A C H T U N G : ∞ − ∞ oder ∞/∞ ist nicht definiert!
d) Für f : X → R definieren wir f + := max{f, 0}, f − := max{−f, 0}. Es
gelten f = f + − f − , |f | = f + + f − , f = sign f · |f |.
Definition 4.6. Sei (X, A ) messbarer Raum. Für Y = R, Y = R =
[−∞, ∞], Y = C, Y = Rn , Y = Cn , versehen jeweils mit der Borel-σ-Algebra,
führen wir die folgende Notation ein:
L 0 (X, A ; Y ) := L 0 (X; Y ) := f : X → Y f messbar .
Wir kürzen diese Notation oft weiter zu L 0 (X) oder sogar zu L 0 ab.
Satz 4.7. Sei (X, A ) ein messbarer Raum.
a) Wenn f : X → K konstant ist, dann ist f auch messbar.
b) Für f ∈ L 0 (X; C) gilt Re f, Im f, |f |, f ∈ L 0 (X; R).
c) Für f, g ∈ L 0 (X; Cd ), α ∈ C gilt αf + g ∈ L 0 (X; Cd ) (Vektorraum)
d) Für f, g ∈ L 0 (X; C) gilt f g ∈ L 0 (X; C)
(Algebra)
e) Für f, g ∈ L 0 (X; R) gilt |f |, αf + g, f · g ∈ L 0 (X; R), falls die Summe
bzw. das Produkt definiert sind.
Beweis. Man verwende Satz 4.4. Zum Beispiel: c) Betrachte die stetige Funktion P : Cd × Cd → Cd , P (x, y) = x + y und die nach Satz 4.4.b) messbare
Funktion F : X → Cd × Cd , F (x) = (f (x), g(x)). So ist f + g = P ◦ F , und
die Messbarkeit folgt aus Satz 4.4 a).
Satz 4.8. Sei (X, A ) ein messbarer Raum und f : X → R. Dann sind äquivalent:
(i) f ist messbar, also f ∈ L 0 (X; R).
(ii) f −1 ((a, ∞]) ∈ A für alle a ∈ R.
(iii) f −1 ([a, ∞]) ∈ A für alle a ∈ R.
(iv) f −1 ([−∞, a]) ∈ A für alle a ∈ R.
(v) f −1 ([−∞, a)) ∈ A für alle a ∈ R.
Beweis. Folgt aus 2.12, 4.2 und 4.5.c).
Theorem 4.9. Seien fn ∈ L 0 (X; R) für n ∈ N. Dann liegen
a) sup fn
n∈N
b) inf fn
n∈N
c) lim sup fn
n→∞
d) lim inf fn
n→∞
auch in L 0 (X; R).
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28
4 Meßbare Funktionen
Beweis. a) Setze f = supn∈N fn . Nach Satz 4.8 ist f −1 ((a, ∞]) = {x | f (x) >
a} ∈ A für a ∈ R zu zeigen. Es gilt
[ x fn (x) > a .
x f (x)a = x ∃ n ∈ N mit fn (x) > a =
n∈N
Da nach Voraussetzung {x | fn (x) > a} ∈ A für n ∈ N ist, folgt die Behauptung sofort. Aussage b) geht analog.
c) und d) folgen aus a) und b):
lim sup fn = inf sup fk ,
n∈N k≥n
n→∞
lim inf fn = sup inf fk .
n→∞
n∈N k≥n
Theorem 4.10. Seien fn : X → R messbar für alle n ∈ N. Falls
f (x) := lim fn (x)
n→∞
für alle x ∈ X existiert, so ist f messbar.
Beweis. Folgt aus 4.9.
4.2 Einfache Funktionen
Wir betrachten nun für das Integral zu Grunde liegende Funktionen.
Definition 4.11. Sei X 6= ∅.
a) Die charakteristische Funktion (oder auch Indikatorfunktion) 1A von
A ist definiert durch
(
1, x ∈ A,
1A (x) :=
0, sonst.
b) Sei (X, A ) ein messbarer Raum. Eine Funktion f : X → K heißt einfach,
falls f messbar ist und f (X) endliche Teilmenge von K ist (hier und im
Folgenden bezeichnet K immer einen der beiden Körper R und C).
Anmerkung 4.12. Sei (X, A ) ein messbarer Raum.
1. 1A ist genau dann messbar, wenn A ∈ A .
2. f : X → K ist genau dann eine einfache Funktion, wenn
f=
N
X
j=1
aj 1Aj
mit aj ∈ K, Aj ∈ A ,
also endliche Linearkombination messbarer charakteristischer Funktionen
ist. Diese Darstellung ist dann eindeutig, wenn man fordert, dass die aj
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4.2 Einfache Funktionen
29
paarweise unterschiedlich und die Aj paarweise disjunkt sind. Letztere
heißt dann Standard-Darstellung und es gilt
f (X) = a1 , · · · aN
und Aj = f −1 ({aj }).
Theorem 4.13 (Approximationssatz). Sei (X, A ) ein messbarer Raum.
a) f : X → [0, ∞] ist messbar ⇐⇒ Es gibt eine Folge (fn ) von einfachen Funktionen mit 0 ≤ f1 ≤ f2 ≤ · · · ≤ f und fn % f punktweise
(d.h. fn (x) → f (x) für jedes x ∈ X). In diesem Fall kann fn so gewählt
werden, dass fn gleichmäßig auf jeder der Mengen {x | f (x) ≤ a}, a ≥ 0
gegen f konvergiert.
b) f : X → C ist messbar ⇐⇒ Es gibt eine Folge (fn ) von einfachen Funktionen mit 0 ≤ |f1 | ≤ |f2 | ≤ · · · ≤ |f | und fn → f punktweise.
Beweis. a) “⇐”: Folgt aus 4.10.
“⇒”: Für n ∈ N definiere
(
gn (t) :=
j
2n
n
n
für 2jn ≤ t < j+1
2n , j = 0, 1, 2, . . . , n2 − 1,
für n ≤ t ≤ ∞.
So sind gn : R → R einfache Funktionen. Nach Konstruktion gilt gn ≤ gn+1 .
Für alle t ∈ [0, ∞] gilt gn (t) ↑ t. Für t = ∞ ist dies klar: gn (∞) = n ↑ ∞.
Für t ∈ [0, ∞) haben wir
|gn (t) − t| ≤
1
2n
für t ∈ [0, n].
Dies zeigt, dass gn (t) → t sogar gleichmäßig konvergiert für t in kompakten
Intervallen [0, t0 ] (für alle festen t0 > 0). Setze fn := gn ◦ f , dann sind die fn
einfache Funktionen und haben die gewünschten Eigenschaften.
b) Sei f = g + ih. Wir wenden Teil a) auf g + , g − , h+ und h− an. So erhält
man ξn % g + , ψn % g − , ηn % h+ , ζn % h− . Setze fn := ξn −ψn +i(ηn −ζn ).
Dann gilt fn → f punktweise für n → ∞. Ferner gilt für x ∈ X
|fn (x)| ≤ |fn+1 (x)| ≤ |f (x)|.
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Kapitel 5
Integrierbare Funktionen
In diesem Abschnitt sei (X, A , µ) stets ein fester Maßraum. Ferner sei
L 0 := L 0 (X, A , µ; R) := {f : X → R | f messbar}.
Erinnerung: f ∈ L 0 einfach =⇒ f besitzt Standard-Darstellung
f=
N
X
aj 1Aj ,
j=1
wobei f (X) = {a1 , · · · aN } und Aj = f −1 ({aj }), ai 6= aj für i 6= j.
5.1 Integration einfacher Funktionen
Definition 5.1.
a) Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0 einfache Funktionen mit Standard-Darstellung
f=
N
X
aj 1Aj .
j=1
Wir setzen
Z
f dµ :=
X
N
X
aj µ(Aj )
j=1
und nennen diesen Ausdruck das (Lebesgue-)Integral von f bzgl. µ.
b) Für A ∈ A heißt
Z
Z
f dµ := f 1A dµ
A
X
30
5.1 Integration einfacher Funktionen
31
das (Lebesgue-)Integral von f über A bzgl. µ.
Anmerkung 5.2. Sei
M
X
f=
bk 1Bk
k=1
nicht unbedingt in Standard-Darstellung, aber mit bk ≥ 0, und Bk paarweise
disjunkt. Dann gilt
Z
M
X
f dµ =
bk µ(B ∩ Bk )
k=1
B
für alle B ∈ A .
Beweis. ...kommt noch...
Lemma 5.3. Seien f , g ∈ L 0 , f, g ≥ 0 einfache Funktionen.
a) Für A ∈ A gilt
Z
Z
1 dµ =
A
1A dµ = µ(A).
X
b) Für A, B ∈ A mit A ⊆ B und für g ≤ f gilt
Z
Z
g dµ ≤ f dµ.
A
B
R
R
c) RFür α ≥ 0 ist R αf dµ =Rα f dµ.
d) (f + g) dµ = f dµ + g dµ.
e) Die Abbildung
ϕ : A → [0, ∞],
Z
ϕ(A) :=
f dµ
A
ist ein Maß auf A .
Beweis. a), c) Trivial aus der Definition.
PN
PM
b) Seien f = j=1 aj 1Aj und g = k=1 bk 1Bk die Standard-Darstellungen.
Dann gilt
Z
f dµ =
N
X
j=1
A
≤
aj µ(Aj ∩ A) =
N X
M
X
j=1 k=1
N X
M
X
j=1 k=1
aj µ(Aj ∩ Bk ∩ A)
bk µ(Aj ∩ Bk ∩ B) =
M
X
k=1
bk µ(Bk ∩ B) =
Z
g dµ,
B
wobei aj = f (x) ≤ g(x) = bk für x ∈ Aj ∩ Bk und µ(Aj ∩ Bk ∩ A) ≤
µ(Aj ∩ Bk ∩ B) nach Voraussetzung gelten.
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32
5 Integrierbare Funktionen
PN
PM
d) Seien f =
j=1 aj 1Aj und g =
k=1 bk 1Bk Standard-Darstellungen,
d.h. insbesondere mit Aj bzw. Bk paarweise disjunkt. Dann gilt
Z
Z
f dµ +
X
g dµ =
N
X
aj µ(Aj ) +
j=1
X
=
bk µ(Bk )
k=1
N
X
aj
j=1
=
M
X
M
X
k=1
M X
N
X
k=1 j=1
µ(Aj ∩ Bk ) +
M
X
bk
N
X
j=1
k=1
(aj + bk )µ(Aj ∩ Bk ) =
µ(Aj ∩ Bk )
Z
f + g dµ,
X
wobei wir auch benutzt haben, dass
Aj =
M
[
k=1
e) Sei B =
S∞
n=1
(Aj ∩ Bk ) und Bk =
N
[
(Aj ∩ Bk ).
j=1
Bn , Bn ∈ A und Bj ∩ Bk = ∅, j 6= k. Zu zeigen ist
Z
f dµ =
∞ Z
X
f dµ.
n=1B
n
B
Dazu schreiben wir einfach die Definition hin:
∞ Z
X
f dµ =
n=1B
n
∞ X
N
X
n=1 j=1
=
N
X
j=1
aj µ(Bn ∩ Aj ) =
aj µ(B ∩ Aj ) =
N
X
aj
j=1
∞
X
n=1
µ(Bn ∩ Aj )
Z
f dµ.
B
5.2 Integration positiver Funktionen
Wir dehnen nun den Integralbegriff auf positive Elemente von L 0 aus.
Definition 5.4. Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0, B ∈ A . Dann heißt
Z
nZ
o
f dµ := sup
g dµ | g einfach und 0 ≤ g ≤ f
B
B
das (Lebesgue-)Integral von f über B bzgl. µ.
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5.2 Integration positiver Funktionen
33
Anmerkung 5.5. 1. Für f ∈ L 0 , f ≥ 0 einfache Funktion, stimmen die
Definitionen 5.1 und 5.4 überein.
2. Es gelten
Z
Z
f dµ = 0,
0 dµ = 0.
X
∅
3. Aus der Definition folgt, dass für f , g ∈ L 0 , f, g ≥ 0 und α ≥ 0 gilt
Z
Z
Z
Z
f ≤ g =⇒
f dµ ≤ g dµ und
αf dµ = α f dµ.
X
X
X
X
4. Für A ⊆ B, A, B ∈ A gilt
Z
A
f dµ ≤
Z
f dµ.
B
Das erste fundamentale Resultat ist der folgende Konvergenzsatz.
Theorem 5.6 (Beppo Levi-Theorem; Satz der monotonen Konvergenz). Es seien 0 ≤ f1 ≤ f2 ≤ · · · ≤ fn ≤ · · · messbar (fn ∈ L 0 ). Setze
f := lim fn .
n→∞
Dann ist f messbar, und es gilt
Z
Z
f dµ = lim
fn dµ.
n→∞
X
X
R
R
Beweis. Aus der Voraussetzung wissen
R wir X fn dµ ≤ X fn+1 dµ, somit existiert der Grenzwert limn→∞ X fn dµ ∈ [0, ∞].
Wegen R4.10 ist
R
f = limn→∞ fn messbar. Ferner gilt fn ≤ f und somit X fn dµ ≤ X f dµ.
Sei jetzt 0 ≤ g ≤ f eine einfache Funktion und 0 < α < 1. Definiere die
Mengen
An := x ∈ X fn (x) ≥ αg(x)
(n ∈ N).
S∞
Es gilt X = n=1 An , denn falls g(x) = 0, so folgt x ∈ An für alle n ∈ N. Falls
aber g(x) > 0, so gilt αg(x) < g(x) ≤ f (x) und deswegen fn (x) > αg(x) für
n genügend groß, d.h. x ∈ An . Offensichtlich gilt ARn ⊆ An+1 für n ∈ N (da
fn ≤ fn+1 ). Da nach Lemma 5.3.e) durch ϕ(A) := A f dµ ein Maß definiert
wird, und da An % X gilt, bekommen wir
Z
Z
Z
Z
α g dµ = lim
αg dµ ≤ lim sup fn dµ ≤ lim
fn dµ.
X
n→∞
An
n→∞
n→∞
An
X
Dies gilt für alle α ∈ (0, 1) und für alle einfachen Funktionen g mit 0 ≤ g ≤ f ,
also nach Definition
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34
5 Integrierbare Funktionen
Z
Z
f dµ ≤ lim
n→∞
X
fn dµ ≤
X
Z
f dµ.
X
R
Anmerkung 5.7. X f Rdµ ist definiert als sup über eine “riesige” Menge.
f dµ direkt zu berechnen. Theorem 5.6 besagt
X
RDaher ist es schwierig
R
f dµ = limn→∞ X fn dµ, wobei fn einfach mit fn % f . Der ApproxiX
mationssatz stellt sicher, dass solche Folgen (fn ) überhaupt existieren.
Eine Anwendung von 5.6 ist:
Theorem 5.8. Sei (fn ) eine Folge in L 0 mit fn ≥ 0, und seien R 3 αn ≥ 0.
Setze
∞
X
f :=
αn fn .
n=1
Dann gilt
Z
f dµ =
∞
X
Z
αn
n=1
X
fn dµ.
X
Beweis. Zunächst zeigen wir, dass das Integral endlich additiv ist. Seien fjn ≤
fj , j = 1 . . . , N , einfache Funktionen mit fjn % fj punktweise (siehe Theorem
4.13). Dann ergibt Lemma 5.3.b), dass
Z
Z
Z
Z
n
n
n
n
α1 f1 dµ+α2 f2 dµ+· · ·+αN fN dµ = α1 f1n +α2 f2n +· · ·+αN fN
dµ,
X
X
X
X
R
für jedes n ∈ N. Für n → ∞ konvergiert hier dieR rechte Seite gegenR X α1 f1 +
· · · + αN fN dµ und die linke Seite gegen α1 X f1 dµ + · · · + αN fN dµ
(verwende Theorem 5.6). Wir haben also die Gleichheit
Z X
N
αj fj dµ =
X j=1
N
X
j=1
Z
αj
fj dµ
X
gezeigt.
Pn
Nun definiere gn := j=1 αj fj , dann gilt gn ≤ gn+1 % f und Theorem 5.6
liefert
Z
Z
Z X
∞
gn dµ
αj fj dµ =
lim gn dµ = lim
X j=1
n→∞
n→∞
X
= lim
n→∞
X
n
X
j=1
Z
αj
fj dµ =
X
∞
X
j=1
Z
αj
fj dµ.
X
Korollar 5.9. Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0. So definiert
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5.2 Integration positiver Funktionen
35
Z
ν(A) :=
f dµ
A
ein Maß, und für alle g ∈ L 0 , g ≥ 0 gilt
Z
Z
g dν = gf dµ.
X
X
Beweis. Seien
P An ∈ A paarweise disjunkt. Setze A :=
1An f . Da n∈N fn = 1A f , so gilt nach Theorem 5.8
Z
ν(A) =
1A f dµ =
∞ Z
X
1An f dµ =
n=1 X
X
X
S
n∈N
An und fn :=
ν(An ).
n∈N
Sei g ≥ 0 eine einfache Funktion mit Standard-Darstellung g =
Dann
Z
g dν =
N
X
aj ν(Aj ) =
j=1
X
N
X
j=1
Z
aj
f dµ =
Z X
N
j=1
aj 1Aj .
Z
aj 1Aj f dµ =
X j=1
Aj
PN
gf dµ.
X
Für den allgemeinen Fall von g ∈ L 0 benutze den Approximationssatz 4.13
und das Theorem 5.6 von Beppo Levi.
Theorem 5.10 (Fatou-Lemma). Für fn ∈ L 0 mit fn ≥ 0 gilt
Z
Z
lim inf fn dµ ≤ lim inf fn dµ.
n→∞
n→∞
X
X
Beweis. Wir erinnern uns daran, dass
lim inf fn = lim inf fk = sup inf fk .
n→∞
n→∞ k≥n
n∈N k≥n
Sei gn := inf j≥n fj und g := lim inf n→∞ fn = limn→∞ gn . Dann gilt gn % g
und für j ≥ n gilt gn ≤ fj . Somit haben wir
Z
Z
gn dµ ≤ fj dµ.
R
R
Daraus folgt gn dµ ≤ inf j≥n fj dµ, und wegen Theorem 5.6 gilt
Z
Z
lim inf fn dµ =
lim gn dµ
n→∞
X
n→∞
X
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36
5 Integrierbare Funktionen
Z
= lim
n→∞
gn dµ ≤ lim inf
fj dµ = lim inf
n→∞ j≥n
X
Z
Z
fn dµ.
n→∞
X
X
Beispiel 5.11. Sei X = R, A = P(R) und sei µ das Zählmaß. Für fn :=
1[n,∞) gelten
Z
fn & 0 punktweise und
fn dµ = ∞.
R
Dies zeigt, dass
a) der Satz von Beppo Levi für fallende Folgen im Allgemeinen nicht gilt,
b) im Lemma von Fatou in der Tat “<” stehen kann.
5.3 Konvergenz und Gleichheit fast überall
Definition 5.12. a) Wir sagen, dass eine Eigenschaft ϕ von Punkten x ∈ X
µ-fast überall gilt, falls
x ∈ X x hat Eigenschaft ϕ NICHT
eine µ-Nullmenge ist. D.h. es gibt N ∈ A mit µ(N ) = 0 und, so dass
x die Eigenschaft ϕ für alle x ∈ X \ N hat.
Wir kürzen das als “f.ü.” ab.
Beispiele hierfür: Es seien f, fn und g messbar.
b) f = g fast überall, falls eine Menge N ∈ A existiert mit µ(N ) = 0 und
f (x) = g(x) für alle x ∈ N c .
c) fn → f fast überall, falls eine Menge N ∈ A existiert mit µ(N ) = 0 und
fn (x) → f (x) für alle x ∈ N c .
Beispiel 5.13. Für X = R, A = B(R) die Borel-σ-Algebra und λ1 das
Lebesgue-Maß gilt
1Q = 0 fast überall.
R
Theorem 5.14. Für f ∈ L 0 , f ≥ 0 gilt X f dµ = 0 genau dann, wenn
f = 0 µ-fast überall.
R
Pn
Beweis. Sei zunächst f einfach, f =
j=1 aj 1Aj . Dann gilt X f dµ = 0
genau dann, wenn aj = 0 oder µ(Aj ) = 0 für alle j = 1, . . . , n. Also folgt die
Behauptung in diesem speziellen Fall.
“⇐”: Sei f = 0 fast überall. Dann
0≤g≤f
R gilt für alle einfachen Funktionen
R
stets g = 0 fast überall, also X g dµ = 0 und somit auch X f dµ = 0.
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5.4 Integrierbare Funktionen
37
S∞
“⇒”: Sei An := {x ∈ X | f (x) ≥ n1 }. Dann
R gilt {x ∈1 X | f (x) > 0} = n=1 An .
Ist µ(An ) > 0 für ein n ∈ N, so folgt
f dµ ≥ n µ(An ) > 0, denn f 1An ≥
X
R
1
1
.
D.h.
unter
der
Bedingung
f
dµ
= 0 gilt µ(An ) = 0 für alle n ∈ N.
n An
S
Da {x ∈ X | f (x) > 0} = n∈N An können wir somit folgern, dass f = 0 fast
überall gilt.
Mit diesem neuen Konzept gelten die entsprechenden Modifikationen der Sätze von Beppo Levi und Fatou.
Korollar 5.15. Sei (fn ) ⊆ L 0 , f ∈ L 0 , f ≥ 0 und 0 ≤ f1 ≤ f2 ≤ f3 · · · ≤
fn ≤ · · · fast überall und fn → f fast überall. Dann gilt
Z
Z
f dµ = lim
fn dµ.
n→∞
X
X
Beweis. ÜA.
Korollar 5.16. Sei (fn ) ⊆ L 0 , f ∈ L 0 , fn , f ≥ 0 mit fn → f fast überall.
Dann gilt
Z
Z
f dµ ≤ lim inf fn dµ.
n→∞
X
X
Beweis. ÜA.
Theorem 5.17. Sei f ∈ L 0 , f ≥ 0 mit
fast überall.
R
X
f dµ < ∞. Dann gilt f (x) < ∞
Beweis. ...kommt noch...
5.4 Integrierbare Funktionen
Es sei (X, A , µ) ein Maßraum. Wir dehnen den Integralbegriff aus messbare
Funktionen f : X → K auf.
Wir erinnern uns daran, dass f : X → C genau dann messbar ist, wenn
Re f, Im f : X → R beide messbar sind, und f : X → R genau dann messbar
ist, wenn f + = max(f, 0) und f − = − min(f, 0) beide messbar sind. Im letzen
Fall gilt:
f = f + − f − und |f | = f + + f − .
R +
0
Definition
R − 5.18. a) Sei f ∈ L (X; R). Falls nicht beide Integrale f dµ
und f dµ gleich ∞ sind, definieren wir durch
Z
Z
Z
f dµ := f + dµ − f − dµ,
X
X
X
compiled: 20-Feb-2017/11:01
38
5 Integrierbare Funktionen
das Integral von f . Wir sagen, dass Integral von f existiert. Dieses Integral nennt man Lebesgue-Integral.
falls ihr Integral exib) Eine Funktion f ∈ L 0 (X; R) heißt integrierbar,
R
stiert und eine endliche Zahl ist, d.h. f dµ ∈ R.
c) Eine Funktion f ∈ L 0 (X; C) heißt integrierbar, falls Re f und Im f
beide integrierbar sind. In diesem Fall setzen wir
Z
Z
Z
f dµ := Re f dµ + i Im f dµ.
X
X
X
d) Analog definiert man Integrierbarkeit auf einer Menge B ∈ A .
e) Die Menge aller integrierbaren Funktionen f : X → K (K = R oder C),
wird mit
L 1 (µ) = L 1 (µ; K) = L 1 (X, µ; K) = L 1 (X, A , µ; K)
bezeichnet.
Anmerkung 5.19. Eine Funktion f : X → K ist genau dann integrierbar,
wenn |f | : X → R integrierbar ist. Denn für K = R gilt: |f | = f + + f − , und
für K = C gilt |f | ≤ | Re f | + | Im f | ≤ 2|f |.
Theorem 5.20. Die Menge L 1 (µ; K) versehen mit punktweisen Operationen ist ein Vektorraum. Es gilt ferner:
Z
Z
Z
f + αg dµ = f dµ + α g dµ.
X
X
X
Beweis. Seien f, g ∈ L 1 (µ; K), α ∈ K. Es gilt |f + αg| ≤ |f | + |α| · |g|, also
ist f + αg integrierbar wegen Bemerkung 5.19:
Z
Z
Z
|f + αg| dµ ≤ |f | dµ + |α| |g| dµ < ∞.
X
X
X
Wir können f und g in Real- und Imaginärteil zerlegen, also ohne Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, dass f und g R-wertig sind.
Für h := f + g gilt
h+ − h− = f + − f − + g + − g −
also h+ + f − + g − = h− + f + + g + . Satz 5.8 ergibt
Z
Z
Z
Z
Z
Z
h+ dµ + f − dµ + g − dµ = h− dµ + f + dµ + g + dµ
und daher
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5.4 Integrierbare Funktionen
Z
Z
39
Z
h+ dµ − h− dµ =
Z
Z
= f dµ + g dµ.
Z
h dµ =
f + dµ −
Z
f − dµ +
Z
g + dµ −
Z
g − dµ
Ist α ∈ R, so ist die Gleichheit
Z
Z
αf dµ = α f dµ
mit Vorzeichen-Analyse einfach zu beweisen (benutze auch Satz 5.8).
Ist α ∈ C, so schreibt man α = Re α + i Im α und verwendet den schon
bewiesenen reellen Fall.
Satz 5.21. Für f ∈ L 0 , f ≥ 0 betrachte das Maß
Z
ν(A) := f dµ.
A
Für alle g ∈ L 1 gilt
Z
Z
g dν =
X
gf dµ.
X
Beweis. Folgt aus Korollar 5.9 und aus der Definition des Integrals.
Theorem 5.22. Für f ∈ L 1 (µ; K) gilt
Z
Z
f dµ ≤ |f | dµ.
X
X
R
Beweis. Ist f dµ = 0, so ist die Behauptung trivial. Für reellwertiges f gilt
Z
Z
Z
Z
Z
Z
f dµ = f + dµ − f − dµ ≤ f + dµ + f − dµ = |f | dµ.
X
X
X
X
X
X
R
R
R
Sei f : X → C und f dµ 6= 0. Setze α = | f dµ|/ f dµ, dann gilt |α| = 1
und
Z
Z
Z
Z
f dµ = α f dµ = αf dµ = Re αf dµ
X
X
X
ZX
Z
Z
Z
= Re αf dµ ≤ | Re αf | dµ ≤ |αf | dµ = |f | dµ
X
X
X
X
Lemma 5.23. Seien f, g ∈ L 1 (µ; R), g ≤ f . Dann gelten:
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40
5 Integrierbare Funktionen
Z
a)
g dµ ≤
X
Z
f dµ.
X
b) Falls für A := {x | f (x) < g(x)} gilt µ(A) > 0, so gilt
Z
Z
f dµ < g dµ.
X
X
R
Beweis. a) Da f − g ≥ 0, wir haben f − g dµ ≥ 0. Somit gilt
Z
Z
Z
0 ≤ f − g dµ = f dµ − g dµ,
X
X
X
also folgt die Behauptung.
R
b) Ist f − g dµ = 0, so folgt
R f −g =
R 0 fast überall (denn f − g ≥ 0). Falls
also µ(A) > 0 gilt, so muss g dµ < f dµ sein.
Korollar 5.24. Für f, g ∈ L 1 (µ; K) sind die folgenden Aussagen äquivalent.
Z
Z
(i) f dµ = g dµ für alle A ∈ A .
A
Z
(ii)
A
|f − g| dµ = 0.
X
(iii) f = g fast überall.
Beweis. (i) ⇒ (iii): Wir zeigen z.B., dass Re f = Re gRgilt fast überall
R (Im f =
Im g geht genauso). Nach Voraussetzung haben wir A Re f dµ = A Re g dµ
für alle A ∈ A . Insbesondere gilt dies für A+ := {x ∈ X | Re f (x) > Re g(x)}
und A− := {x ∈ X | Re f (x) < Re g(x)}. So erhält man µ(A− ) = 0 und
µ(A+ ) = 0 und somit auch die Behauptung.
Die Äquivalenz (ii) ⇔ (iii) folgt aus Thoorem 5.14.
(ii) ⇒ (i): Wir haben
Z
Z
Z
Z
Z
f dµ − g dµ = f − g dµ ≤ |f − g| dµ ≤ |f − g| dµ = 0.
A
A
A
A
X
Theorem 5.25 (Lebesgue, Dominierte Konvergenz). Seien fn ∈ L 0 ,
n ∈ N, derart, dass
(i) eine messbare Funktion f existiert mit fn → f fast überall,
(ii) und ein g ∈ L 1 , g ≥ 0 existiert mit |fn | ≤ g fast überall für alle n ∈ N.
Dann gelten fn , f ∈ L 1 (µ; C) und
Z
Z
f dµ = lim
fn dµ.
n→∞
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5.4 Integrierbare Funktionen
41
1
RBeweis. Es gilt
R f ∈ L , denn |f | = limn→∞ |fn | ≤ g fast überall und somit
|f | dµ ≤ g dµ. Ausserdem gilt |fn − f | ≤ |fn | + |f | ≤ 2g und daher
hn := 2g − |fn − f | ≥ 0. Wende nun das Fatou-Lemma 5.10 auf hn an:
Z
Z
Z
Fatou
2g dµ = lim inf hn dµ ≤ lim inf 2g − |f − fn | dµ
n→∞
X
n→∞
X
X
Z
=
Z
2g dµ + lim inf
n→∞
X
Z
=
−|fn − f | dµ
X
Z
2g dµ − lim sup
n→∞
X
|fn − f | dµ.
X
R
R
Dies zeigt, dass lim supn→∞ |fn − f | dµ = 0, und somit limn→∞ |fn −
f | dµ = 0. Also
Z
Z
Z
Z
5.20 fn dµ − f dµ = fn − f dµ ≤ |fn − f | dµ → 0 (n → ∞).
X
X
X
X
Anmerkung 5.26. Die Existenz einer Majorante in Theorem 5.25 ist wesentlich. Beispiel: X = R, µ = λ1 , fn = n1(0, n1 ] . Dann fn → 0 punktweise
überall aber
Z
fn dλ1 = 1.
[0,1]
Eine wichtige Anwendung ist die gliederweise Integration von Reihen:
Theorem 5.27. Sei (fn ) eine Folge in L 1 (µ) mit
∞ Z
X
n=1
Dann konvergiert
P∞
n=1
X
|fn | dµ < ∞.
fn fast überall gegen ein f ∈ L 1 (µ) und
Z X
∞
X n=1
fn dµ =
∞ Z
X
n=1
fn dµ.
X
R
P∞
P∞ R
Beweis. Setze g := n=1 |fn |. Satz
P∞ 5.8 gibt X g dµ = n=1 X |fn | dµ <
∞. Theorem 5.17 liefert dann
∞ fast überall und somit
n=1 |fn (x)| <
PN
P∞
konvergiert n=1 fn (x) fast überall. Ferner gilt j=1 fj ≤ g für alle N ∈ N.
R P∞
P∞ R
Der Satz von Lebesgue 5.25 zeigt
n=1 fn =
n=1 X fn dµ.
Theorem 5.28 (Differenzierbarkeit von Parameterintegralen). Seien
a, b ∈ R, a < b, sei (X, A , µ) ein Maßraum und sei f : X × (a, b) → C. Es
gelte:
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42
5 Integrierbare Funktionen
(1) f (·, t) ∈ L 1 (µ; C) für alle t ∈ (a, b).
1
(2) ∂f
∂t existiert auf X × (a, b) und es existiert g ∈ L (µ; R) mit
∂f
(x, t) ≤ g(x)
∂t
für alle (x, t) ∈ X × (a, b).
Dann ist F : (a, b) → C definiert durch
Z
F (t) :=
f (x, t) dµ(x)
X
differenzierbar auf (a, b) und
dF
d
F (t) =
(t) =
dt
dt
0
Z
Z
f (x, t) dµ(x) =
X
X
∂
f (x, t) dµ(x).
∂t
f (x,tn )−f (x,t0 )
Beweis. Es gilt ∂f
(mit tn → t0 ), damit ist
∂t (x, t0 ) = limtn →t0
tn −t0
∂f
die Funktion x 7→ ∂t (x, t0 ) für alle t0 ∈ (a, b) messbar. Der Mittelwertsatz
und (2) liefern
f (x, t ) − f (x, t ) n
0 ≤ |f 0 (x, s)| ≤ g(x).
tn − t0
So folgt nach dem Satz von Lebesgue 5.25
Z
Z
∂
f (x, tn ) − f (x, t0 )
dµ(x) =
f (x, t0 ) dµ(x).
lim
tn →t0 X
tn − t0
X ∂t
Dies gilt für alle (tn )n∈N mit tn → t0 , und so folgt die Behauptung:
Z
∂
0
F (t0 ) =
f (x, t0 ) dµ(x).
∂t
X
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Kapitel 6
L p Räume und Integralungleichungen
L p -Räume verallgemeinern L 1 und spielen eine wichtige Rolle in der modernen Analysis. In diesem Abschnitt sei (X, A , µ) ein fester Maßraum.
6.1 Der Raum L p
Definition 6.1. Sei f ∈ L 0 (X, A , µ; K) und sei p ∈ (0, ∞).
a) Setze
kf kp :=
Z
1/p
|f |p dµ
.
X
kf kp heißt die p-Norm von f (genauer: p-Halbnorm oder p-Seminorm).
Wir werden sehen, dass es sich für p ≥ 1 dabei tatsächlich um eine s.g.
Halbnorm handelt.
b) Definiere
L p := L p (X, A , µ; K) := f f ∈ L 0 (x, A , µ; K), kf kp < ∞ .
f ∈ L p heißt eine p-integrierbare Funktion. Wir benutzen auch die
Notationen: L p (µ; K), L p (µ), usw.
Anmerkung 6.2. 1. Für f ∈ L 0 und p ∈ (0, ∞) gilt kf kp = 0 genau dann,
wenn f = 0 µ-fast überall gilt.
Denn es gelten die folgenden Äquivalenzen:
Z
kf kp = 0 ⇔
|f |p dµ = 0 ⇔ |f |p = 0 f.ü. ⇔ f = 0 f.ü.
X
2. Für α ∈ K gilt
kαf kp = |α| · kf kp .
43
6 L p Räume und Integralungleichungen
44
Wir brauchen die folgenden elementaren Ungleichungen aus der Analysis I.
Lemma 6.3. Seien a, b ≥ 0.
a) Youngsche Ungleichung. Für p, q ∈ [1, ∞) mit
ab ≤
ap
p
+
1
p
+
1
q
= 1 gilt
bq
q .
“=” gilt genau dann, wenn a = b.
b) Für p > 1 gilt
(a + b)p ≤ 2p−1 (ap + bp ).
“=” gilt genau dann, wenn a = b.
c) Für p ∈ (0, 1) gilt
(a + b)p ≤ ap + bp .
“=” gilt genau dann, wenn a = 0 oder b = 0.
Beweis. ...kommt noch...
Satz 6.4. Für p ∈ [0, ∞) ist L p (X, A , µ; K) ein Vektorraum.
Beweis. Die Fälle p = 0 oder p = 1 haben wir schon erledigt. Für p > 1 und
f, g ∈ L p können wir schreiben (benutze Lemma 6.3.b))
Z
Z
Z
Z
|f + g|p dµ ≤ (|f | + |g|)p dµ ≤ 2p−1 |f |p dµ + 2p−1 |g|p dµ < ∞,
X
X
X
X
d.h. f + g ∈ L p .
Für p < 1 und f, g ∈ L p gilt wegen Lemma 6.3.c)
Z
Z
Z
Z
|f + g|p dµ ≤ (|f | + |g|)p dµ ≤ |f |p dµ + |g|p dµ < ∞,
X
X
X
X
d.h. f + g ∈ L p .
Theorem 6.5 (Höldersche Ungleichung).
a) Es seien 0 < p, q, r < ∞ mit
1
1 1
+ = .
p q
r
Dann gilt für alle f, g ∈ L 0 die Ungleichung
kf gkr ≤ kf kp · kgkq .
b) Ist f ∈ L p , g ∈ L q mit p, q ∈ (1, ∞) und
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6.1 Der Raum L p
45
fg ∈ L 1
so gilt
1 1
+ = 1,
p q
und kf gk1 ≤ kf kp kgkq .
c) Für f, g ∈ L 2 gilt f g ∈ L 1 , und
kf gk1 ≤ kf k2 kgk2 .
Diese heißt die Cauchy–Schwarz-Ungleichung (oder: Bunjakowski–
Cauchy–Schwarz-Ungleichung).
Beweis. b) ist Spezialfall von a). Auch c) folgt aus b) mit p = q = 2.
a) Natürlich ist f g messbar, d.h. f g ∈ L 0 . Gilt kf kp = 0 oder kgkq = 0, so
gilt f g = 0 fast überall. Somit steht auf beiden Seiten die Zahl 0. Seien also
kf kp , kgkq > 0. Ist eines der beiden ∞, so ist die Ungleichung trivial. Seien
also kf kp , kgkq ∈ (0, ∞) und setze G := g/kgkq und F := f /kf kp . Anwenden
der Young-Ungleichung in jedem Punkt x ∈ X ergibt nach Integration
Z
Z
|f (x)g(x)|r
dµ = |F (x)G(x)|r dµ(x)
kf krp kgkrq
X
X
Z
Z
r
r
r
r
rp/r
|F (x)|
dµ(x) +
|G(x)|rq/r dµ(x) = + = 1,
≤
p
q
p q
X
X
und die Behauptung folgt.
Theorem 6.6 (Minkowskische Ungleichung). Sei 1 ≤ p < ∞ und f, g ∈
L p . Dann
kf + gkp ≤ kf kp + kgkp .
Beweis. Für p > 1 verwende die Höldersche Ungleichung:
Z
Z
p
p−1
kf + gkp ≤ |f | · |f + g|
dµ + |g| · |f + g|p−1 dµ
X
≤ kf kp · k(f + g)
X
p−1
kq + kgkp · k(f + g)p−1 kq
= (kf kp + kgkp ) · kf + gkp/q
p .
p/q
Da p − p/q = 1 folgt die Behauptung folgt per Dividieren durch kf + gkp
(wenn dies nicht 0 ist). Für p = 1 kann man einige Schritte aus dem obigen
Argument aussparen.
Korollar. Für p ≥ 1 ist k · kp : L p → [0, ∞) eine Halbnorm, d.h., k · kp hat
die folgenden Eigenschaften:
1. Für alle f ∈ L p und α ∈ K gilt kαf kp = |α|kf kp .
(Homogenität)
2. Für alle f, g ∈ L p gilt kf + gkp ≤ kf kp + kgkp .(Dreiecksungleichung)
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6 L p Räume und Integralungleichungen
46
Theorem 6.7. Sei p ∈ (0, 1) und f, g ∈ L p . Dann gilt
kf + gkpp ≤ kf kpp + kgkpp .
Beweis. Folgt aus Lemma 6.3.c) (siehe den Beweis vom Theorem 6.4).
Lemma 6.8. Sei g : R → R eine konvexe Funktion. Für jedes a, b ∈ R
definiere
`a,b : R → R, `a,b (x) := ax + b.
Für jedes x ∈ R gilt dann
g(x) = sup `a,b (x).
`a,b ≤g
Beweis. ...kommt noch...
Theorem 6.9 (Jensen-Ungleichung). Sei (X, A , µ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, d.h., µ(X) = 1. Sei f ∈ L 1 (X) und sei g : R → R konvex. Dann
gilt
Z
Z
g
f dµ ≤ g ◦ f dµ.
X
X
Beweis. Da g stetig ist (konvexe Funktionen g : R → R sind stetig, siehe
Analysis I) und f messbar ist, ist auch die Verkettung g ◦ f messbar. Sei
`a,b ≤ f . Es gilt wegen µ(X) = 1:
Z
Z
Z
Z
Z
`a,b
f dµ = a
f dµ + b = af + b dµ = `a,b ◦ f dµ ≤ g ◦ f dµ.
X
X
X
X
X
Betrachtet man das Supremum bzgl. `a,b ≤ f und verwendet man Lemma
6.8, so folgt die Behauptung.
Korollar. Sei µ ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf A . Für p ≥ 1 und f ∈
L p (µ) gilt
kf k1 ≤ kf kp .
Beweis. Die Funktion t 7→ tp ist konvex, und somit liefert die JensenUngleichung:
Z
p Z
kf kp1 =
|f | dµ ≤ |f |p dµ = kf kpp .
X
X
(Alternativ kann man auch die Hölder-Ungleichung verwenden, vgl. Satz
6.16.)
Theorem 6.10 (Clarkson-Ungleichungen). Sei (X, A , µ) ein Maßraum,
und seien f, g ∈ L 0 (X; C).
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6.1 Der Raum L p
47
a) Für p ≥ 2 gilt:
f + g p f − g p
1
+
≤ (kf kpp + kgkpp ).
2
2
2
p
p
b) Für p ∈ (1, 2) gilt
f + g q f − g q 1
q/p
1
kf kpp + kgkpp
,
+
≤
2
2
2
2
p
p
wobei
Lemma.
1
p
+
1
q
= 1.
Für a, b ≥ 0 und p ≥ 2 gilt
ap + bp ≤ (a2 + b2 )p/2 .
Beweis. Wir können OBdA annehmen, dass a2 +b2 = 1. In diesem Fall gelten
a ≤ 1, b ≤ 1 und somit ap ≤ a2 und bp ≤ b2 . Dies impliziert
ap + bp ≤ a2 + b2 = 1 = (a2 + b2 )p/2 .
Beweis (Theorem 6.10). b) ist ohne Beweis.
a) (Wir können f, g ∈ L p annehmen, sonst ist die Aussage trivial.) Wir
benutzen das vorige Lemma:
Z Z Z f + g p
f − g p
f + g 2 f − g 2 p/2
dµ
dµ + dµ ≤
+
2
2
2
2
X
X
X
Z 2
|f | + |g|2 + f g + f g + |f |2 + |g|2 − f g − f g p/2
=
dµ
4
X
Z
Z 2
|f |p + |g|p
|f | + |g|2 p/2
dµ ≤
dµ.
=
2
2
X
X
In dem letzten Schritt haben wir die Konvexität von t 7→ tp/2 benutzt.
Anmerkung 6.11. a) Für n ∈ N, m ∈ N seien an,m ∈ C gegeben. Wir
schreiben
an,m → 0 (n, m → ∞),
falls für jedes ε > 0 einen Grenzindex N ∈ N existiert mit
|an,m | ≤ ε für alle n, m ≥ N .
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6 L p Räume und Integralungleichungen
48
b) Sei (bn ) ∈ C eine Folge und b ∈ C. Setze an,m := bn − b. Dann
an,m → 0
(n, m → ∞)
⇐⇒
bn → b (n → ∞),
d.h., (bn ) ist konvergent mit Grenzwert b.
c) Sei (bn ) ∈ C eine Folge. Setze an,m := bn − bm . Dann
an,m → 0
(n, m → ∞)
⇐⇒
(bn ) ist eine Cauchy-Folge.
Theorem 6.12. Seien fn ∈ L p . Falls gilt kfn − fm kp → 0 für n, m → ∞,
dann existiert eine Teilfolge (fnk ) und eine Funktion f ∈ L p derart, dass
und
fnk (x) → f (x)
kfn − f kp → 0
für µ-fast alle x ∈ X,
für n → ∞.
Beweis. (Nur für p ≥ 1, der Fall p ∈ (0, 1) geht ähnlich.) Sei (fn ) eine
Cauchy-Folge in L p . Zu εk := 2−k wähle Nk ∈ N mit kfn − fm kp ≤ 2−k falls
n, m ≥ Nk . So findet man eine Teilfolge (fnk ) mit
1
2k
kfnk+1 − fnk kp ≤
Setze gk := fnk+1 − fnk , Gn :=
kGN kp ≤
N
X
j=1
PN
j=1
für alle k ∈ N.
|gj | und G :=
kgj kp ≤
∞
X
j=1
P∞
j=1
|gj |. Dann gilt
kgj kp ≤ 1 < ∞.
Da GpN % Gp gilt, liefert der Satz von der monotonen Konvergenz 5.6
Z
Z
p
G dµ = lim
GpN dµ ≤ 1 < ∞.
N →∞
X
X
Dass heißt G ∈ L p und somit (siehe Theorem 5.17)
G(x) =
∞
X
j=1
|gj (x)| < ∞
µ-fast überall.
Insbesondere konvergiert die Reihe
F (x) :=
∞
X
j=1
gj (x)
für fast alle x ∈ X.
Wir sehen auch, dass |F | ≤ G gilt und daher F ∈ L p . Weiterhin gilt
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6.2 Der Raum L ∞
49
k−1
k−1
X p
X p |F − fnk + fn1 |p = gj = F −
gj ≤ (2G)p ∈ L 1 ,
j=1
j=1
also nach dem Satz von Lebesgue 5.25
n
n
p
p Z X
X
kF − fnk + fn1 kpp = F −
fj dµ → 0
fj = F −
j=1
p
X
j=1
für k → ∞. So folgt die Behauptung mit f (x) := F (x) + fn1 (x).
Theorem (Riesz–Fischer). Sei p ∈ (0, ∞), und seien fn ∈ L p . Äquivalent
sind die folgenden Aussagen:
(i) kfn − fm kp → 0 für n, m → ∞ (d.h. (fn ) ist eine L p -Cauchy-Folge).
(ii) Es gibt f ∈ L p mit kfn − f kp → 0 für n → ∞.
Beweis. (Nur für p ≥ 1, der Fall p ∈ (0, 1) geht ähnlich.) (ii) ⇒ (i) ist die
triviale Implikation: Für ε > 0 gilt
kfn − fm kp ≤ kfn − f kp + kf − fm kp ≤ ε,
falls n, m ≥ N .
(i) ⇒ (ii): Sei (fn ) eine Cauchy-Folge. Nach Theorem 6.12 gibt es eine konvergente Teilfolge (fnk ) mit Grenzwert f ∈ L p . Für ε > 0 gilt dann
kfn − f kp ≤ kfn − fnk kp + kfnk − f kp ≤ ε,
falls n ≥ N (in einem Zwischenschritt wählt man nk groß).
6.2 Der Raum L ∞
Definition 6.13. a) Sei f : X → K messbar. Dann heißt f wesentlich
beschränkt, falls ein c ≥ 0 mit µ({x ∈ X | |f (x)| > c}) = 0 existiert,
d.h., falls gilt |f | ≤ c fast überall. In diesem Fall heißt c eine wesentliche
Schranke von f .
b) Setze
kf k∞ := inf{α ≥ 0 : µ({x ∈ X : |f (x)| > α}) = 0}.
Ist f nicht wesentlich beschränkt, so setzt man kf k∞ := ∞. kf k∞ heißt
das wesentliche Supremum von |f |.
c) Der Raum L ∞ ist definiert durch
L ∞ := L ∞ (X, A , µ; K) := f ∈ L 0 | kf k∞ < ∞ .
Theorem 6.14 (Eigenschaften von L ∞ ).
compiled: 20-Feb-2017/11:01
6 L p Räume und Integralungleichungen
50
a) |f | ≤ kf k∞ fast überall und es gilt:
|f | ≤ c fast überall
⇐⇒
kf k∞ ≤ c.
b) kf k∞ = 0 gilt genau dann, wenn f = 0 fast überall.
c) L ∞ ist ein Vektorraum und k · k∞ ist eine Seminorm darauf.
d) Für fn , gm ∈ L ∞ sind die folgenden Aussagen äquivalent:
(i) kfn − gm k∞ → 0 für n, m → ∞.
(ii) Es gibt eine µ-Nullmenge N ∈ A , so dass
sup |fn (x) − gm (x)| → 0
x∈N c
für n, m → ∞.
e) Für fn ∈ L ∞ sind die folgenden Aussagen äquivalent:
(i) kfn − fm k∞ → 0 für n, m → ∞.
(ii) Es gibt ein f ∈ L ∞ , so dass
kfn − f k∞ → 0
für n → ∞.
Beweis. a) Setze
A := x ∈ X |f (x)| > kf k∞ , An := x ∈ X |f (x)| > kf k∞ + n1 .
S∞
Dann gilt A = n=1 An und µ(An ) = 0. Somit gilt auch µ(A) = 0, d.h. |f | ≤
kf k∞ fast überall.
Nach Definition gilt kf k∞ ≤ c, falls |f | ≤ c fast überall. Da |f | ≤ kf k∞ gilt,
so ist die behauptete Äquivalenz bewiesen.
b) Folgt direkt aus a): kf k∞ = 0 gilt genau dann, wenn |f | ≤ 0 fast überall.
c) Seien f, g ∈ L ∞ . Dann gilt
|f + g| ≤ |f | + |g| ≤ kf k∞ + kgk∞ < ∞.
D.h. f + g ∈ L ∞ und es folgt sogar kf + gk∞ ≤ kf k∞ + kgk∞ . Sei α ∈ K,
α 6= 0. Dann gelten
|αf | = |α| · |f | ≤ |α| · kf k∞
kα
−1
αf k∞ ≤ |α
−1
| · kαf k∞
und daher
und daher
kαf k∞ ≤ |α|kf k∞ ,
|α|kf k∞ ≤ kαf k∞ .
Insgesamt folgt also kαf k∞ = |α|kf k∞ . Für α = 0 ist diese letzte Gleichheit
trivial, denn die beiden Seiten sind dann 0.
d) Für n, m ∈ N gilt
c
|fn (x) − gm (x)| ≤ kfn − gm k∞ für alle x ∈ Nn,m
, µ(Nn,m ) = 0.
S
Setze N := n,m∈N Nn,m . Dann gilt µ(N ) = 0 und
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6.3 Vergleich der L p Räume
51
|fn (x) − gm (x)| ≤ kfn − gm k∞
für alle x ∈ N c .
Also gilt für ε > 0
|fn (x) − gm (x)| ≤ kfn − gm k∞ ≤ ε für alle x ∈ N c
falls n, m ≥ n0 , und das war genau die Behauptung.
e) Die Implikation (i) ⇒ (ii) ist einfach (siehe Theorem 6.1).
(ii) ⇒ (i): Setze gm := fm und verwende Teil d) um eine Nullmenge zu finden
mit
|fn (x) − fm (x)| → 0 gleichmäßig auf N c für n, m → ∞.
Wir sehen dass (fn (x)) ⊆ K eine Cauchyfolge ist, also einen Grenzwert f (x)
(für jedes x ∈ N c ) hat. Auf N definiere f als 0, dann ist f auf jedem Fall
messbar (Grenzwert messbarer Funktionen ist auch messbar). Für ε > 0 gilt
|fn (x) − fm (x)| ≤ kfn − fm k∞ ≤ ε,
falls n, m ≥ n0 . Mit m → ∞ bekommen wir
|fn (x) − f (x)| ≤ ε für alle x ∈ N c ,
für n ≥ n0 , d.h. kf − fn k∞ → 0. Aus
|f | ≤ |f − fn0 | + |fn0 | ≤ ε + kfn0 k∞ < ∞,
folgt f ∈ L ∞ .
Nun ist der folgende Satz ein direktes Korollar (vgl. mit der Hölder-Ungleichung).
Satz 6.15. Für f ∈ L 1 und g ∈ L ∞ gilt
kf gk1 ≤ kf k1 · kgk∞ .
6.3 Vergleich der L p Räume
Im Allgemeinen gibt es für p < r keinen Zusammenhang zwischen L p und
L r , d.h.
L p 6⊆ L r und L p 6⊇ L r .
Trotzdem kann man einiges über den Vergleich von L p und L r sagen. Die
folgenden Resultaten beruhen sich auf der Hölderschen Ungleichung.
Theorem 6.16. Sei (X, A , µ) ein endlicher Maßraum, und seien 0 < p <
r ≤ ∞. So gilt
L r (X, A , µ) ⊆ L p (X, A , µ)
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6 L p Räume und Integralungleichungen
52
Im Allgemeinen steht hier “6=”.
Beweis. Sei f ∈ L r . Dann liefert die Anwendung der Hölder-Ungleichung
6.5 auf f und g = 1X das Folgende:
kf kp ≤ kf kr µ(X)1/q
mit
1
p
=
1
r
+ 1q .
Theorem 6.17. Sei (X, A , µ) ein endlicher Maßraum. Ist f ∈ L ∞ , so gilt
kf k∞ = lim kf kp .
p→∞
Beweis. Der Fall kf kp = 0 ist trivial. Insbesondere können wir µ(X) > 0 und
kf k∞ > 0 annehmen. Da f ∈ L ∞ , können wir schreiben
Z
|f |p dµ ≤ kf kp∞ µ(X).
X
Daraus folgt
lim sup kf kp ≤ kf k∞ lim µ(X)1/p = kf k∞ .
p→∞
p→∞
Anderseits gilt für alle 0 < α < kf k∞
Z
|f |p dµ ≥ αp µ({x | |f (x)| > α}),
X
und somit
lim inf kf kp ≥ α.
p→∞
Dies beendet den Beweis.
Theorem 6.18 (Interpolationsungleichung). Seien p0 , p1 ∈ (0, ∞], θ ∈
(0, 1) und
1
θ
1−θ
pθ := p0 + p1 .
Falls f ∈ L p0 ∩ L p1 , so gilt auch f ∈ L pθ mit
θ
kf kpθ ≤ kf k1−θ
p0 kf kp1 .
Beweis. Setze g := |f |(1−θ)pθ und h := |f |θpθ . Dann gilt
gh = |f |(1−θ)pθ +θpθ = |f |pθ .
Ferner gelten
g∈L
sowie
kf kppθθ
p0
(1−θ)pθ
(X, µ) und h ∈ L
p1
θpθ
(X, µ),
(1−θ)pθ
θ
p0
p1 = kf k
= kghk1 ≤ kgk (1−θ)p
· khk θp
· kf kθp
p0
p1
θ
θ
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6.3 Vergleich der L p Räume
53
mit der Verwendung der Hölderschen Ungleichung.
Theorem 6.19. Für p ∈ [1, ∞) gilt
L p (X, A , µ) ⊆ L 1 (X, A , µ) + L ∞ (X, A , µ),
d.h. jedes f ∈ L p läßt sich als f = g + h zerlegen, mit g ∈ L 1 und h ∈ L ∞ .
Beweis. Der Fall p = ∞ ist trivial, also sei p < ∞. Sei f ∈ L p (X, µ). Setze
A := {x ∈ X | |f | ≥ 1} und h := 1A f , g := 1X\A f . Dann g ∈ L ∞ (X, µ) und
h ∈ L 1 (X, µ), denn
Z
Z
Z
Z
|h| dµ = |f | dµ ≤ |f |p dµ ≤ |f |p dµ.
X
A
A
X
Es ist üblich für L p (N, P(N), µ; C), µ das Zählmaß, die Abkürzung `p einzuführen. Mit dieser Notation haben wir die Folgenden: Für x : N → C,
p ∈ (0, ∞) gilt
kxkp =
∞
X
n=1
|xn |p
1/p
,
kxk∞ = sup |xn |.
n∈N
Satz 6.20. Für 0 < r < p ≤ ∞ gilt `r ⊆ `p , und für x = (xn ) ∈ `r gilt
k(xn )kp ≤ k(xn )kr .
Beweis. ...kommt noch...
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Kapitel 7
Konvergenz von Folgen messbarer
Funktionen
Siehe Vorlesungsmitschrift.
54
Kapitel 8
Konstruktion von Maßen
Ziel dieses Paragraphen ist es Techniken zu entwickeln um Maße zu konstruieren.
8.1 Äussere Maße
Definition 8.1. Sei X 6= ∅, E ⊆ P(X) mit ∅ ∈ E . Eine Funktion ϕ : E →
[0, ∞] heißt relativSäusseres Maß über X, falls ϕ(∅) = 0 und für alle
A, An ∈ E mit A ⊆ n∈N An gilt
ϕ(A) ≤
∞
X
ϕ(An ).
n=1
Ist darüber hinaus E = P(X), so heißt ϕ äusseres Maß.
Anmerkung 8.2. a) Jedes Maß ist ein relativ äusseres Maß.
b) Ein relativ äusseres Maß ist monoton, d.h. A ⊆ B impliziert ϕ(A) ≤Sϕ(B).
c) Ein relativ äusseres Maß ist σ-subadditiv: Falls A, Aj ∈ E mit A = j Aj ,
so gilt
X
ϕ(A) ≤
ϕ(Aj ).
j
Theorem 8.3 (Hahn). Es sei E ⊆ P(X) mit ∅ ∈ E , und α : E → [0, ∞]
mit α(∅) = 0. Für A ⊆ X definiere
∞
[
falls 6 ∃(An ) ⊆ E mit A ⊆
An ,
n=1
ϕα (A) :=
nP
o
∞
∞

S

inf
α(An ) An ∈ E und A ⊆
An .



∞
n=1
n=1
Dann gelten die folgenden Aussagen.
55
56
8 Konstruktion von Maßen
a) ϕα ist ein äußeres Maß auf X.
b) Ist ϕ ein relativ äußeres Maß definiert mindestens auf E mit ϕ ≤ α, dann
gilt ϕ ≤ ϕα .
c) Es gilt ϕα |E = α genau dann, wenn α selbst ein relativ äußeres Maß ist.
Beweis. a) ϕα (∅) = 0 ist klar.
S
Sei A ⊆ n An . Falls ϕα (An ) = ∞ für ein n ∈ N, so ist die gewünschte
Ungleichung trivialerweise wahr. Also können wir annehmen, dass ϕα (An ) <
∞. Sei ε > 0 und für jedes n ∈ N wähle Bnk ∈ E (k ∈ N) mit
An ⊆
∞
[
Bnk
und
k=1
∞
X
k=1
α(Bnk ) ≤ ϕα (An ) +
ε
.
2n
Dann gilt
A⊆
∞
[
n=1
An ⊆
∞ [
∞
[
Bnk ,
n=1 k=1
und somit
ϕα (A) ≤ ϕα
≤
∞
[
n=1
∞ X
∞ X
∞
X
An ≤
α(Bnk )
n=1 k=1
ϕα (An ) +
n=1
∞
ε X
ϕα (An ) + ε,
=
2n
n=1
denn ϕα ist trivialerweise monoton. Da hier ε > 0 beliebig ist, erhält man
die Behauptung.
b) Sei A ⊆ X derart, dass ϕ(A) definiert ist, d.h., sei A im Definitionsbereich
von ϕ. Wenn ϕα (A) = ∞ gilt, dann ist ϕ(A) ≤ ϕα (A) trivial. Sei also A ⊆
S
n∈N An mit An ∈ E . Dann gilt
ϕ(A) ≤
X
n∈N
ϕ(An ) ≤
X
α(An ).
n∈N
Dies liefert ϕ(A) ≤ ϕα (A).
c) Ist α ein relativ äußeres Maß, so gilt α ≤ ϕα auf E wegen b). Aber ϕα ≤ α
ist ohne weiteres immer wahr, also ϕα = α auf E .
8.2 Carathéodory-Messbarkeit
Definition 8.4. Sei ϕ äußeres Maß auf X. Dann heißt eine Menge A ⊆ X
ϕ-messbar, falls gilt
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8.2 Carathéodory-Messbarkeit
57
ϕ(H) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H \ A) für alle H ⊆ X.
Wir führen noch die folgende Notation ein:
Mϕ := A A ⊆ X ϕ-messbar .
Anmerkung 8.5. a) H = (H ∩A)∪(H \A) =⇒ ϕ(H) ≤ ϕ(H ∩A)+ϕ(H \A),
d.h., A ist ϕ-messbar ⇐⇒ ϕ(H) ≥ ϕ(H ∩ A) + ϕ(H \ A) für alle H ⊆ X.
b) A ist ϕ-messbar ⇐⇒ Ac ϕ-messbar.
Theorem 8.6 (Carathéodory). Es sei ϕ äußeres Maß auf X. Dann ist
Mϕ eine σ-Algebra und (X, Mϕ , ϕ|Mϕ ) ist ein vollständiger Maßraum. Für
jedes H ⊆ X definiert µH (A) := ϕ(A ∩ H) ein Maß auf der σ-Algebra
Mϕ |H := A ∩ H A ∈ Mϕ .
Zum Beweis benötigen wir eine Vorbemerkung: Eine Algebra ist genau dann
eine σ-Algebra, wenn sie unter abzählbaren disjunkten Vereinigungen stabil
ist. Dies kann man leicht mithilfe der Disjunktisierungstechnik einsehen (siehe
Korollar 2.5).
Beweis. Klar ist ∅ ∈ Mϕ . Die obige Bemerkung b) liefert, dass Ac ∈ Mϕ ,
falls A ∈ Mϕ .
Zunächst zeigen wir, dass Mϕ eine Algebra ist. Seien also A, B ∈ Mϕ und es
sei H ⊆ X beliebig. Es gilt
ϕ(H) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H \ A)
= ϕ(H ∩ A ∩ B) + ϕ(H ∩ A ∩ B c ) + ϕ(H(\A) ∩ B) + ϕ((H \ A) ∩ B c )
≥ ϕ(H ∩ (A ∪ B)) + ϕ(H ∩ (A ∪ B)c ).
Damit folgt aus Bemerkung a), dass A∪B ∈ Mϕ gilt. Laut unserer Vorbemerkung bleibt zu zeigen, dass Mϕ unter abzählbaren, disjunkten Vereinigungen
stabil ist. Bemerke, dass für A, B ∈ Mϕ mit A ∩ B = ∅ gilt
ϕ(H ∩ (A ∪ B)) = ϕ(H ∩ A) + ϕ(H ∩ B).
In der Tat haben wir für solche A und B
ϕ(H ∩ (A ∪ B)) = ϕ(H ∩ (A ∪ B) ∩ A) + ϕ((H ∩ (A ∪ B)) \ A)
= ϕ(H ∩ A) + ϕ(H ∩ B).
Dies impliziert per Induktion, dass µH endlich additiv ist.
Nun seien An ∈ Mϕ , n ∈ N, paarweise disjunkt. Zu zeigen ist
Für H ⊆ X beliebig gilt
S∞
n=1
An ∈ M ϕ .
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58
8 Konstruktion von Maßen
∞
n
n
X
[
[
ϕ H∩
Aj ≥ ϕ H ∩
Aj =
ϕ(H ∩ Aj ).
j=1
j=1
j=1
Dies gilt für alle n ∈ N und somit bekommen wir
∞
∞
X
[
ϕ H∩
Aj ≥
ϕ(H ∩ Aj ).
j=1
j=1
Da die Ungleichung “≤” wegen σ-Subadditivität erfüllt ist, bekommen wir,
dass µH σ-additiv ist.
Da Mϕ eine Algebra ist, es gilt
n
n
n
∞
X
[
[
[
ϕ(H) = ϕ H ∩
Aj + ϕ H \
Aj ≥
ϕ(H ∩ Aj ) + ϕ H \
Aj .
j=1
j=1
j=1
j=1
Daraus bekommen wir mit n → ∞
ϕ(H) ≥
∞
X
j=1
∞
∞
∞
[
[
[
ϕ(H ∩ Aj ) + ϕ H \
Aj = ϕ H ∩
Aj + ϕ H \
Aj .
j=1
j=1
j=1
S∞
Dies zeigt j=1 Aj ∈ Mϕ . Schließlich ist also Mϕ , und somit auch Mϕ |H
eine σ-Algebra.
Zur Vollständigkeit: Sei N ⊆ X mit N ⊆ C ∈ Mϕ , ϕ(C) = 0. Für alle H ⊆ X
gilt dann
ϕ(H) ≤ ϕ(H ∩ N ) + ϕ(H \ N ) ≤ ϕ(N ) + ϕ(H) ≤ ϕ(C) + ϕ(H) = 0 + ϕ(H).
Es gilt hier also überall “=”, und somit ist N ∈ Mϕ .
8.3 Das Fortsetzungstheorem
Theorem 8.7 (Fortsetzungstheorem). Es sei X =
6 ∅, E ⊆ P(X) ein
\-stabiles Mengensystem mit ∅ ∈ E . Ferner sei α : E → [0, ∞] ein relativ
äußeres Maß und additiv auf E . Dann gilt E ⊆ Mϕα und ϕα |E = α, d.h. ϕα
ist eine Fortsetzung von α.
Bemerke zunächst, dass A ∩ B = A \ (A \ B), also ist E ∩-stabil. Ferner, ist
E nicht leer und \-stabil, so folgt automatisch ∅ ∈ E .
Beweis. Aus Theorem 8.3.c) folgt, dass ϕα |E = α gilt. Es bleibt also die
Inklusion E ⊆ Mϕα zu zeigen. Sei A ∈ E und H ⊆ X beliebig. Falls ϕα (H) =
∞, dann gilt
ϕα (H) ≥ ϕα (H ∩ A) + ϕα (H \ A).
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8.3 Das Fortsetzungstheorem
59
Sei also ϕα (H) < ∞, und seien An ∈ E mit H ⊆
H ∩A⊆
[
n
(An ∩ A),
H \A⊆
S
n
[
n
An . Da
(An \ A)
gelten, bekommen wir die folgende Abschätzung
X
X
ϕα (H ∩ A) + ϕα (H \ A) ≤
ϕα (An ∩ A) +
ϕα (An \ A)
n
=
n
X
n
α(An ∩ A) +
X
n
α(An \ A) =
X
α(An ),
n
wobei wir auch benutzt haben, dass α additiv ist und dass ϕα |E = α gilt.
Wegen der Definiton von ϕα implizert die obige Ungleichung
ϕα (H ∩ A) + ϕα (H \ A) ≤ ϕα (H),
d.h. A ∈ Mϕα .
Anmerkung 8.8. Sei (X, A , µ) ein Maßraum und sei ϕµ die Hahn-Erweiterung
von µ auch P(X). Dann sind für A ⊆ X die folgenden Aussagen äquivalent:
(i) A ist eine µ-Nullmenge.
(ii) ϕµ (A) = 0.
Dies folgt aus Satz 3.7 und aus der Definition von ϕµ .
Theorem 8.9 (Eindeutigkeitstheorem I). Es sei X 6= ∅, E ⊆ P(X) ein
\-stabiles Mengensystem mit ∅ ∈ E . Ferner sei α : E → [0, ∞] ein relativ
äußeres Maß und additiv auf E . Sei A eine σ-Algebra mit E ⊆ A ⊆ Mϕα
und µ ein Maß auf A , das α fortsetzt. Gilt zusätzlich ϕα (X) < ∞, so gilt
ϕα |A = µ,
d.h. ϕα ist die eindeutige Fortsetzung von α.
Beweis. Sei µ eine weitere Fortsetzung von α auf A . Dann ist insbesondere
µ ein relativ äußeres Maß und es gilt µ ≤ α. Wegen Theorem 8.3 b) gilt
µ ≤ ϕα . Da ϕα (X) < ∞ gilt, definiert ν := ϕα − µ ein Maß auf A . Aber
für AS∈ E gilt nach Voraussetzung ν(A) = 0, somit auch ν(X) = 0, denn
X ⊆ n∈N An für geeignete An ∈ E . Das heißt µ = ϕα auf A .
Der obige Eindeutigkeitssatz gilt unter schwächeren Bedingungen, nämlich
wenn X σ-endlich bzgl. E ist. Die Idee dabei ist, dass
S wir X durch paarweise
disjunkte Elemente von E überdecken, d.h. X ⊆ n∈N Cn , α(Cn ) < ∞, und
den obigen Eindeutigkeitssatz separat für jedes Cn verwenden. Wir brauchen
zum Beweis das folgende Lemma.
compiled: 20-Feb-2017/11:01
60
8 Konstruktion von Maßen
Lemma 8.10. Sei E ⊆ P(X) \-stabil mit ∅ ∈ E und sei α monoton (z.B.
ein relativ äußeres Maß) auf E . Für C ∈ E setze γ := α|E |C (wobei E |C :=
{A ∩ C | A ∈ E }). Betrachte das äußere Maß ϕγ auf P(C). Dann gilt
Mϕα |C ⊆ Mϕγ ,
und ϕα |P(C) = ϕγ . Falls C ∈ Mϕα , so gilt auch die Gleichheit
Mϕα |C = Mϕγ .
Beweis. Bemerke zunächst, dass E |C auch \-stabil ist. Für H ⊆ C gilt
ϕα (H) ≤ ϕγ (H),
denn bei der Definition von
S ϕα wird das Infimum über einer größeren Menge
betrachtet. Sei nun H ⊆ n An mit An ∈ E . Dann gilt
ϕγ (H) ≤
X
n
γ(An ∩ C) =
X
n
α(An ∩ C) ≤
X
α(An ),
n
also ϕγ (H) ≤ ϕα (H) und eigentlich sogar ϕγ (H) = ϕα (H).
Sei A ∈ Mϕα und sei H ⊆ C. Dann gilt
ϕγ (H) = ϕα (H) = ϕα (H ∩ (A ∩ C)) + ϕα (H \ (A ∩ C))
= ϕγ (H ∩ (A ∩ C)) + ϕγ (H \ (A ∩ C))
und daher A ∩ C ∈ Mϕγ .
Sei nun C ∈ Mϕα , und A ∈ Mϕγ (also insbesondere A ⊆ C) Für H ⊆ X gilt
ϕα (H) = ϕα (H \ C) + ϕα (H ∩ C) = ϕα (H \ C) + ϕγ (H ∩ C)
= ϕα (H \ C) + ϕγ (H ∩ C ∩ A) + ϕγ ((H ∩ C) \ A)
= ϕα (H \ C) + ϕα (H ∩ C ∩ A) + ϕα ((H ∩ C) \ A)
≥ ϕα (H \ A) + ϕα (H ∩ A),
also A ∈ Mϕα .
Theorem 8.11 (Eindeutigkeitstheorem II). Es sei X 6= ∅, E ⊆ P(X)
ein \-stabiles Mengensystem mit ∅ ∈ E . Ferner sei α : E → [0, ∞] ein relativ
äußeres Maß und additiv auf E . Sei A eine σ-Algebra mit
S E ⊆ A ⊆ Mϕα
und µ ein Maß auf A , das α fortsetzt. Gilt zusätzlich X = n An mit An ∈ E
und α(An ) < ∞, so gilt
ϕα |A = µ,
d.h. ϕα ist die eindeutige Fortsetzung von α.
Beweis. Statt A1 , A2 , . . . , An . . . , können wir A1 , A2 \A1 , A3 , \A2 \A1 , . . . betrachten (E ist \-stabil), die aber paarweise disjunkt sind und immer noch X
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8.4 Metrische äussere Maße
61
überdecken. Also nehmen wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass
die An paarweise disjunkt sind. Sei µ ein Maß auf A und eine Fortsetzung
von α. Für γn := α|E |An gilt nach dem obigen Lemma
Mϕγn = Mϕα |An
und ϕγn (A) = ϕα (A) für A ⊆ An .
Wir können Theorem 8.9 auf µ|A |An verwenden, denn
E |An ⊆ A |An ⊆ Mϕα |An = Mϕγn .
Dies ergibt
und somit
µ(A ∩ An ) = ϕγn (A ∩ An ) = ϕα (A ∩ An )
X
X
µ(A) =
µ(A ∩ An ) =
ϕα (A ∩ An ) = ϕα (A).
n
n
8.4 Metrische äussere Maße
Es sei (X, d) ein metrischer Raum, und es seien A, B ⊆ X. Wir setzen
dist(A, B) :=
inf
a∈A, b∈B
d(a, b),
diam(A) := sup d(x, y),
x,y∈A
der Abstand der Mengen A und B, bzw. der Durchmesser von A.
Definition 8.12. Sei ϕ ein äußeres Maß auf X. Dann heißt ϕ metrisch, falls
ϕ(A ∪ B) = ϕ(A) + ϕ(B)
für alle A, B ⊆ X mit dist(A, B) > 0.
Theorem 8.13. Sei ϕ ein äußeres Maß auf X. Dann gilt
B(X) ⊆ Mϕ
⇐⇒
ϕ ist metrisch.
Beweis. “⇐”: Es seien A, B ⊆ X mit dist(A, B) > 0. Dann A ∩ B = ∅ und
nach Voraussetzung gilt A ∈ Mϕ . D.h.
ϕ(A ∪ B) = ϕ((A ∪ B) ∩ A) + ϕ((A ∪ B) ∩ \A) = ϕ(A) + ϕ(B).
“⇒”: Wir zeigen, dass G ∈ Mϕ gilt, wenn G offen ist. Setze
n
1o
Gk := x ∈ G dist(x, X \ G) ≥
.
k
Sei ferner Uk := Gk \ Gk−1 . Für alle H ⊆ X und m ∈ N gilt
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62
8 Konstruktion von Maßen
H ∩ G = H ∩ Gm ∪
∞
[
k=m+1
H ∩ Uk .
Setze ak := ϕ(H ∩ Uk ). So erhält man
ϕ(H ∩ G)∩ ≤ ϕ(H ∩ Gm ) +
Falls
P
k
∞
X
ak .
k=m+1
ak < ∞, dann gilt
ϕ(H ∩ G) ≤ lim ϕ(H ∩ Gm ).
m→∞
P∞
P∞
P∞
Falls k=1 ak = ∞, dann gilt Pk=1 a2k = ∞ oder k=1 a2k+1 = ∞. Aus
∞
Symmetriegründen können wir
k=1 a2k = ∞ annehmen. Bemerke, dass
dist(U2k , U2l ) > 0 falls k 6= l. Nach Voraussetzung ist ϕ metrisch, also gilt
N
X
a2k =
k=1
N
X
k=1
N
[
ϕ(H ∩ U2k ) = ϕ
H ∩ U2k ≤ ϕ(H ∩ G2N ).
k=1
So folgt limN →∞ ϕ(H ∩ G2N ) = ∞ und damit
ϕ(H ∩ G) ≤ lim ϕ(H ∩ Gm ).
m→∞
Wir haben gezeigt, dass in den beiden obigen Fällen gilt
ϕ(H ∩ G) ≤ lim ϕ(H ∩ Gm ).
m→∞
Daraus folgt:
ϕ(H) ≥ ϕ((H ∩ Gm ) ∪ (H \ G)) = ϕ(H ∩ Gm ) + ϕ(H \ G).
Für m → ∞ erhält man
ϕ(H) ≥ lim ϕ(H ∩ Gm ) + ϕ(H \ G) ≥ ϕ(H ∩ G) + ϕ(H \ G)
m→∞
und damit die Behauptung.
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Kapitel 9
Der Lebesguesche Maßraum
9.1 Konstruktion des Lebesgue-Maßes
Vorbereitungen.
1. Für a, b ∈ Rd mit a ≤ b (d.h. aj ≤ bj für j = 1, . . . , d) setze
[a, b) := [a1 , b1 ) × [a2 , b2 ) × · · · × [ad , bd ).
Analog definieren wir [a, b] und (a, b). Alle diese Mengen nennen wir Intervall (oder Rechteck, oder Quader). Wir benutzen aber nur Intervalle
vom Typ [a, b). So führen wir weiterhin die Notation
E0 := [a, b) a, b ∈ Rd , a ≤ b
ein.
2. Für ein Intervall I = [a, b) setzen wir
vold (I) :=
d
Y
(bj − aj ),
j=1
das Volumen von I.
3. Wir setzen
E :=
N
n[
k=1
o
Ik Ik ∈ E0 , k = 1, . . . , N, N ∈ N .
Lemma 9.1. a) E ist ein Ring, insbesondere gilt ∅ ∈ E und E ist \-stabil.
b) Jedes A ∈ E kann als disjunkte Vereinigung
A=
N
[
j=1
Ij
mit
I j ∈ E0
63
64
9 Der Lebesguesche Maßraum
dargestellt werden. Die Funktion α definiert man mit Hilfe solcher disjunkter Darstellungen als
N
X
α(A) :=
vold (Ij ).
j=1
α ist wohldefiniert, additiv und ein relativ äusseres Maß auf E . Für I ∈ E0
gilt
α(I) = vold (I).
Beweis. a) Offensichtlich ist E0 ∩-stabil, und somit ist E auch ∩-stabil und
trivialerweise ∪-stabil. Da für A, B ∈ E0 stets A \ B ∈ E gilt, bekommen wir,
dass E auch \-stabil ist, insgesamt also ein Ring. Am besten überzeugt man
sich von der Gültigkeit dieser Aussagen durch Zeichnen von Bildern (vgl.
Übung).
SM
b) Sei A = k=1 Ak mit A ∈ E , Ak ∈ E0 . Für jedes i = 1, . . . , d betrachten
wir die i-ten Koordinaten der Eckpunkten von allen Ak . Dadurch wird ein
Gitter in Rd erzeugt. Wir bezeichnen mit Ij , j = 1, . . . , N die Quader, welche
in A enthalten sind. So gelangen wir zur disjunkten Vereinigung
A=
N
[
Ij ,
j=1
und die erste Aussage ist bewiesen.
Falls gelten für A ∈ E0
A=
N
[
Rj
und A =
j=1
M
[
Sk
k=1
mit Rj ∈ E0 paarweise disjunkt und Sk ∈ E0 paarweise disjunkt, so gilt auch
A=
N [
M
[
j=1 k=1
(Sk ∩ Rj )
mit Sk ∩ Rj ∈ E0 . Daraus bekommt man die Wohldefiniertheit von α leicht
und danach ist die Additivität von α auch leicht zu zeigen.
SM
Sei nun A ⊆ k=1 Ak mit A, Ak ∈ E . Wir betrachten, wie oben, das Gitter
erzeugt durch die Eckpunkte von Intervallen welche in der Darstellung von
A bzw. von Ak auftauchen, und bezeichnen mit Ij , j = 1, . . . , N die Quader,
SM
welche in k=1 Ak enthalten sind. Dann gilt
M
[
k=1
Ak =
N
[
j=1
Ij
und A =
[
Ij
j∈J
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9.1 Konstruktion des Lebesgue-Maßes
65
für geeignetes J ⊆ {1, . . . , N }. Aus der Additivität von α folgt dann
α(A) =
X
j∈J
α(Ij ) ≤
N
X
α(Ij ) = α
j=1
M
[
k=1
M
X
Ak ≤
α(Ak ).
k=1
S∞
Nun sei A ⊆ k=1 Ak eine abzählbare Überdeckung mit A, Ak ∈ E . Bezeichne
die Intervalle die in der Darstellung irgendeiner Ak auftauchen mit Ij , j ∈ N
(wir können annehmen, dass die Ij , welche zum selben Ak gehören, paarweise
disjunkt sind). Vergrössere jedes Ij um den Mittelpunkt mit dem Faktor 1+δ,
◦
◦
um die Intervalle Ijδ zu erhalten. Somit gilt I j ⊆ Ijδ (Ijδ bezeichnet das Innere
von Ijδ ). Da A eine endliche Vereinigung von Intervallen ist, ist A kompakt.
Somit wird A durch endlich viele Ijδ , j = 1, . . . , K überdeckt. Nach dem, was
wir schon bewiesen haben, gilt
α(A) ≤
K
X
α(Ijδ )
d
= (1+δ)
j=1
K
X
j=1
α(Ij ) ≤ (1+δ)
d
∞
X
j=1
α(Ij ) ≤ (1+δ)
d
∞
X
α(Ak ).
k=1
Da dies für jedes δ > 0 gilt, erhalten wir
α(A) ≤
∞
X
α(Ak ),
k=1
d.h., α ist ein relativ äusseres Maß.
Definition 9.2. Betrachte α, E wie oben, und das zugehörige äusseres Maß
ϕα , siehe Kapitel 8.
a) λd? := ϕα heißt das d-dimensionale äußere Lebesgue-Maß.
b) Die σ-Algebra Mϕα der λd? -messbaren Mengen wird mit L (Rd ) bezeichnet (siehe das Theorem von Carathéodory 8.6). Die Mengen A ∈
L (Rd ) heißen Lebesgue-Mengen oder Lebesgue-messbare Mengen.
Das Lebesgue-Maß ist λd := λd? |L (Rd ) . Der Lebesguesche Maßraum
ist
(Rd , L (Rd ), λd ).
Theorem 9.3. a) λd? ist ein metrisches äußeres Maß.
b) Die Borel-Mengen sind Lebesgue-messbar, d.h. B(Rd ) ⊆ L (Rd ).
c) Der Lebesguesche Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ) ist vollständig.
d) Für A ∈ E gilt
λd (A) = α(A).
Insbesondere gilt
λd (I) = vold (I)
für Intervalle I = [a, b).
e) Für K ⊆ Rd kompakt gilt
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66
9 Der Lebesguesche Maßraum
λd (K) < ∞.
f) Der Lebesguesche Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ) ist σ-endlich. Es gilt sogar
[
Kn
X=
n∈N
mit Kn kompakt.
g) Für a ≤ b gilt
λd ([a, b)) = λd ([a, b]) = λd ((a, b)).
h) Ist A eine σ-Algebra mit E ⊆ A ⊆ L (Rd ) und ist µ ein Maß auf A mit
µ|E = α so gilt
λd |A = µ.
Beweis. a) beweisen wir separat am Ende dieses Abschnitts.
b) Folgt aus a) und Theorem 8.13. Wir geben aber einen anderen Beweis,
der auf dem Gebrauch von a) verzichtet. Wegen des Fortsetzungstheorems
8.7 gilt E ⊆ L (Rd ). Da aber E0 ⊆ E ⊆ B(Rd ), und E0 die Borel-σ-Algebra
erzeugt (siehe Theorem 2.12), bekommen wir
B(Rd ) = σ(E0 ) ⊆ σ(E ) ⊆ L (Rd ).
c) Folgt aus Konstruktion: mit der Anwendung des Theorems von Carathéodory bekommt man immer vollständige Maßräume.
d) λd? setzt α und somit vold fort (wegen Satz 8.7 und Lemma 9.1).
e) Den Fall [a, b) wissen wir aus d) schon. Die andere Behauptungen folgen
daraus, denn gelten:
(a, b) =
∞
[
[a + n1 1, b),
[a, b] =
∞
\
[a, b + n1 1),
n=1
n=1
wobei 1 den Vektor (1, 1, . . . , 1) ∈ Rd bezeichnet. So kann man die Stetigkeit
des Maßes λd verwenden (siehe 3.2.6–7).
f) Da eine kompakte Menge K ⊆ Rd beschränkt ist, gibt es ein Intervall
I ∈ E0 mit K ⊆ I. Somit gilt
λd (K) ≤ λd (I) = vold (I) < ∞.
g) Es gilt
Rd =
∞
[
B(0, n),
n=1
und B(0, n) ist kompakt.
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9.1 Konstruktion des Lebesgue-Maßes
67
h) Das ist genau die Aussage des Eindeutigkeitstheorems 8.11 für diesen
speziellen Fall (beachte, dass wir die nötige σ-Endlichkeit haben).
Anmerkung 9.4. 1. Statt E und α kann man
E2 :=
N
n[
k=1
o
Ik Ik = [ak , bk ) ∈ E0 , ak , bk ∈ Qd , N ∈ N ,
und α2 := α|E2 betrachten und dieselbe Konstruktion durchführen. So
bekommt man den gleichen Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ).
2. Dasselbe gilt für
E3 := A ⊆ Rd A Jordan-messbar
und α3 =Jordan-Maß.
Theorem 9.5. Für jedes A ⊆ Rd und a ∈ Rd gilt
λ?d (a + A) = λ?d (A),
d.h. das äußere Lebesgue-Maß ist translationsinvariant.
a) A ∈ L (Rd ) ⇐⇒ a + A ∈ L (Rd ),
b) A ∈ B(Rd ) ⇐⇒ a + A ∈ B(Rd ).
D.h. das Lebesgue-Maß ist translationsinvariant (auch nach Einschränkung
auf B(Rd )).
c) Für r ≥ 0
λ?d (rA) = rd λ?d (A),
wobei
rA := ra a ∈ A .
Beweis. Es ist klar, dass vold translationsinvariant ist und daher ist auch λd?
translationsinvariant. Die Äquivalenz unter a) folgt auch sofort.
Für a ∈ Rd setze τa : Rd → Rd , τa (x) := x − a. Ist G offen, so ist a + G =
τa−1 (G) auch offen. Sei ferner
A := A ⊆ Rd τa−1 (A) ∈ B(Rd ) .
Dann ist A eine σ-Algebra und enthält alle offene Mengen. Daher B(Rd ) ⊆
A . Somit ist die Äquivalenz unter b) bewiesen.
c) Klar aus der Definition von λ?d , denn vold (rI) = rd vold (I).
Korollar 9.6. Das Lebesgue-Maß λd ist das einzige translationsinvariante
Maß auf B(Rd ) (oder auf L (Rd )) mit λd ([0, 1)d ) = 1.
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68
9 Der Lebesguesche Maßraum
Beweis. Sei µ ein translationsinvariantes Maß definiert auf allen Intervallen
und normiert per µ([0, 1)d ) = 1. Sei a, b ∈ Qd mit a ≤ b. Translationsinvarianz
ergibt
µ([a, b)) = µ([0, b − a) + a) = µ([0, b − a)).
Da b − a ∈ Qd gilt, folgt
md
1 m2
b − a = (m
m , m ,..., m )
für geeignete mj , m ∈ Z. D.h. [0, b − a) ist darstellbar als paarweise disjunkte
1 d
) durch TranslaVereinigung von m1 m2 · · · md Intervallen, welche aus [0, m
tion entstehen. Wegen der Translationsinvarianz erhalten wir
1 d
) ).
µ([0, b − a)) = m1 m2 · · · md µ([0, m
1 d
Aus Theorem 9.5.c) folgt, dass µ([0, m
) )=
µ([a, b)) = µ([0, b − a)) =
1
.
md
Dies liefert dann
m1 m2 · · · md
= λd ([0, b − a)) = λd ([a, b)).
md
Wir haben also gezeigt, dass µ = vold = λd auf Quadern mit rationalen
Eckpunkten. Dann gilt dieser Gleichung aber auch auf der Menge E2 aus
Bemerkung 9.4. Schließlich zeigt Theorem 9.3.g) die Gleichheit λd = µ auf
A = B(Rd ) (oder A = L (Rd )).
Das äußere Lebesgue-Maß ist metrisch
Wir beweisen jetzt Theorem 9.3.a).
Theorem 9.7. Das d-dimensionale äußere Lebesguesche Maß ist ein metrisches äußeres Maß.
d
Beweis. Es seien
B) > 0. Sei jetzt 0 < δ <
√ A, B ⊆ R mit dist(A,
dist(A, B)/2/ d. Betrachte das Gitter δZd mit Seitenlänge δ.
Wähle die abgeschlossenen Würfel Ij , j ∈ N bzw. Ji , i ∈ N in diesem Gitter
mit Ij ∩ A √
6= ∅ und Ji ∩ B 6= ∅. Dann gilt Ij ∩ Ji = ∅ (denn diam(Ij ) =
diam(Ji ) = dδ < dist(A, B)/2). Somit gilt
A⊆
und
∞
[
j=1
∞
X
Ij ,
B⊆
vold (Ij ) +
j=1
∞
[
i=1
∞
X
i=1
Ji ,
A∪B ⊆
∞
[
j=1
Ij ∪
∞
[
Ji ,
i=1
vold (Ji ) ≥ λd? (A) + λd? (B).
Daher erhält man λd? (A ∪ B) ≥ λd? (A) + λd? (B). Dies zusammen mit der
Subadditivität liefert die Behauptung.
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9.2 Regularität
69
δ
A
dist(A, B)
B
δ
9.2 Regularität
Theorem 9.8. Für A ∈ L (Rd ) und für ε > 0 existieren F ⊆ Rd abgeschlossen und G ⊆ Rd offen mit
F ⊆A⊆G
und
λd (G \ F ) ≤ ε.
F kann sogar als abzählbare Vereinigung von kompakten Mengen gewählt werden.
Beweis. Sei zunächst A beschränkt undSsomit λd (A) < ∞. Für ε > 0 gibt es
nach Definition eine Überdeckung A ⊆ j∈N Ij durch Intervalle Ij mit
X
j∈N
vold (Ij ) ≤ λd (A) + 4ε .
Sei Ijδ die Vergrößerung des Intervalls Ij um den Mittelpunkt mit Faktor 1+δ,
◦
◦
so dass I j ⊆ Ijδ (Ijδ bezeichnet das Innere von Ijδ ). Dadurch wird das Maß
◦
S
um den Faktor (1 + δ)d vergrößert. Setze G := j∈N Ijδ . Dann ist G ⊆ Rd
offen und wegen der σ-Subadditivität gilt
X
X
λd (G) ≤
λd (Ijδ ) = (1 + δ)d
λd (Ij ) ≤ (1 + δ)d (λd (A) + 4ε ) ≤ λd (A) + 2ε ,
j∈N
j∈N
falls δ > 0 klein genug ist. Da A beschränkt ist, gilt A ⊆ B(0, R) für ein
R > 0. Nach dem was wir schon bewiesen haben gibt es eine offene Menge
G0 so dass
B(0, R) \ A ⊆ G0
und λd (G0 ) ≤ λd (B(0, R) \ A) + 2ε .
Setze F := B(0, R) \ G0 . Dann ist F abgeschlossen mit F ⊆ A und es gilt
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70
9 Der Lebesguesche Maßraum
λd (F ) = λd (B(0, R) \ G0 ) ≥ λd (B(0, R)) − λd (G0 )
≥ λd (B(0, R)) − λd (B(0, R)) + λd (A) −
ε
2
= λd (A) − 2ε .
Also haben wir die gewünschten Mengen F und G gefunden: Es gilt
λd (G \ F ) = λd (G \ A) + λd (A \ F ) ≤ ε.
Natürlich ist F kompakt.
Sei jetzt A unbeschränkt. Setze A1 := B(0, 1) und Aj := A ∩ (B(0, j) \
B(0, jS− 1)) für j ≥ 2. Die Aj sind natürlich disjunkt und beschränkt. Es gilt
A = j Aj . Nach dem ersten Teil existieren für ε > 0 und j ∈ N die Mengen
Fj ⊆ Aj ⊆ Gj mit λd (Gj \ Fj ) ≤ ε/2j . Wir setzen
[
[
G :=
Gj und F :=
Fj .
j∈N
j∈N
So ist G offen (klar) und F abgeschlossen (denn jede kompakte Menge schneidet nur endlich viele von den Mengen Fj ). Schließlich gilt
λd (G \ F ) ≤
∞
X
j=1
λd (Gj \ Fj ) =
∞
X
ε
= ε,
j
2
j=1
was den Beweis beendet.
Theorem 9.9. a) Der Lebesguesche Maßraum (Rd , L (Rd ), λd ) ist die Vervollständigung von (Rd , B(Rd ), λd ).
b) Sei A ∈ L (Rd ). Dann existiert eine Fσ -Menge F und eine Gδ -Menge G
derart, dass
F ⊆A⊆G
und
λd (F ) = λd (A) = λd (G).
c) Für A ∈ L (Rd ) gilt
λd (A) = inf λd (G) G ⊆ Rd offen, A ⊆ G
= sup λd (K) K ⊆ Rd kompakt, K ⊆ A .
Beweis. a) Folgt direkt aus b).
b) Folgt direkt aus Theorem 9.8. Denn für jedes n ∈ N seien Gn , Fn offen
bzw. abgeschlossen mit
Fn ⊆ Fn+1 ⊆ A ⊆ Gn+1 ⊆ Gn
Die Mengen G :=
T
n∈N
Gn und F :=
S
und λd (Gn \ Fn ) ≤
n∈N
1
.
n
Fn sind so wie gewünscht.
c) Folgt direkt aus Theorem 9.8.
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9.2 Regularität
71
Theorem 9.10. Eine Menge A ⊆ Rd ist genau dann Lebesgue-messbar,
wenn sie als
A=S∪N
dargestellt werden kann, mit N eine Lebesgue-Nullmenge und S die abzählbare
Vereinigung von kompakten Mengen.
Beweis. Seien S und N wie in der Aussage, so gilt S ∈ B(Rd ) ⊆ L (Rd ) und
daher S ∪ N ∈ L (Rd ).
S
Umgekehrt: λd ist σ-endlich: A = j∈N Aj mit λd (Aj ) < ∞. Für alle j ∈
N existiert Sj ⊆ Aj , Sj abzählbare Vereinigung kompakten Mengen und
λd (Sj )S= λd (Aj ). Setze Nj := Aj \Sj . Dann gilt λd (Nj ) = λd (ASj \Sj ) = 0 und
N
Nj ist auch eine Lebesgue-Nullmenge.
Es gilt A = j∈N Nj ∪Sj =
S := j∈N S
S
N
∪
S
=
N
∪
S
mit
S
=
S
.
Hier
ist S auch abzählbare
j
j
j
j∈N
j∈N
j∈N
Vereinigung von kompakten Mengen. Also folgt die Behauptung.
Theorem 9.11 (Lusin). Es sei f : Rd → R Lebesgue-messbar, genauer
(L (Rd ), B(R))-messbar, und H ⊆ Rd Lebesgue-messbar mit λd (H) < ∞.
Dann existiert für jedes ε > 0 eine abgeschlossene Menge F ⊆ H mit
λd (H \ F ) < ε
und
f :F →R
stetig.
Beweis. Wir behandeln zunächst den Fall, wenn f eine einfache Funktion ist,
mit Standard-Darstellung
N
X
aj 1Aj .
f=
j=1
Mit Theorem 9.9 finden wir zu jedem Aj eine abgeschlossene Menge Fj ⊆ Aj
SN
mit λd (Aj \ Fj ) ≤ ε/N . Die Menge F := j=1 Fj ist wie gewünscht und
f : F → R ist stetig, denn f ist konstant auf der disjunkten abgeschlossenen
Mengen Fj .
Sei jetzt f eine beliebige messbare Funktion. Wir können annehmen, dass f
beschränkt ist. Denn mit Hn := {x ∈ X | |f (x)| ≤ n} gilt
Hn % H
und somit
λd (Hn ) → λd (H).
Da λd (H) < ∞, gilt λd (H \ Hn ) → 0 auch. Für ein n ∈ N gilt also λd (H \
Hn ) < ε/2. Mit einem Verlust vom Maß ε/2 können wir also statt H die
Menge Hn betrachten, und auf Hn ist aber f beschränkt.
Nun, da f beschränkt ist, können wir f gleichmäßig durch einfache Funktionen fn approximieren (siehe Theorem 4.13), d.h. |f − fn | ≤ n1 gilt für
alle n ∈ N. Für jedes n ∈ N wenden wir den schon bewiesenen Teil auf fn
an. Genauer: sei F1 ⊆ H abgeschlossen, so dass f1 : F1 → R stetig ist und
λd (H \ F1 ) ≤ ε/2. Ist Fn abgeschlossen und schon definiert, so geht man
rekursiv vor und wählt Fn+1 ⊆ Fn mit λ(Fn+1 \ Fn ) ≤ ε/2n+1 und sogar
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72
9 Der Lebesguesche Maßraum
T
derart, dass fn+1 : Fn+1 → R stetig ist. Wir setzen F := n∈N Fn . Somit
ist F abgeschlossen und erfüllt λd (H \ F ) ≤ ε. Nun muss man sich daran erinnern, dass ein gleichmäßiger Grenzwert von stetigen Funktionen stetig ist
und bemerken, dass fn → f gleichmäßig auf F gilt, und dass alle fn : F → R
stetig sind.
Lebesgue-Nullmengen
Theorem 9.12. Eine Menge N ⊆ Rd ist genau dann eine Lebesgue-Nullmenge, wenn für alle ε > 0 eine Folge von Intervallen (Ij ) mit
N⊆
∞
[
j=1
Ij und
∞
X
vold (Ij ) < ε
j=1
existiert. In diesem Fall kann man sogar offene Intervalle Ij wählen.
Beweis. Dass N eine Lebesgue-Nullmenge ist, bedeutet λd? (N ) = λd (N ) = 0.
Die Behauptung folgt also aus der Definition von λd? (siehe 8.3).
Korollar 9.13. Ist A ⊆ Rd abzählbar so ist A eine Lebesgue-Nullmenge.
Beweis. Wir zeigen, dass für x ∈ Rd gilt λd ({x}) = 0. In der Tat: {x} ⊆
(x−ε1, x+ε1), und λd ((x−ε1, x+ε1)) = (2ε)d . Also ist λd ({x}) = 0, und die
Behauptung folgt aus der σ-Additivität von λd . (Hier ist 1 = (1, 1, . . . , 1) ∈
Rd .)
Sei X ⊆ Rd . f : X → Rd2 heißt Lipschitz-stetig, falls L ≥ 0 existiert mit
|f (x) − f (y)| ≤ L|x − y| für alle x, y ∈ X. Die Funktion f : Rd → Rd2 heißt
lokal Lipschitz-stetig, falls sie auf jeder kompakten Menge Lipschitz stetig
ist.
Theorem 9.14. Sei N ⊆ Rd eine Lebesgue-Nullmenge und f : Rd → Rd2
Lipschitz-stetig mit d2 ≥ d. Dann ist f (N ) auch eine Lebesgue-Nullmenge.
Beweis. Sei Nn := B(0, n) ∩ N . Wir betrachten auf Rd die ∞-Norm:
kxk∞ := max{|x1 |, |x2 |, . . . , |xn |}
(auf Rd sind alle Normen äquivalent). Nach Voraussetzung gibt es ein L ≥ 0
mit
für alle x, y ∈ B(0, n).
S∞
Da
P Nn eine Nullmenge ist, existiert eine Überdeckung Nn ⊆ j=1 Ij mit
j∈N vold (Ij ) < ε. OBdA können wir annehmen, dass die Ij jeweils Würfel mit Kantenlänge `j < 1 sind. Wegen (9.1) existiert ein Würfel Wj mit
Kantenlänge L · `j so dass f (Nn ∩ Ij ) ⊆ Wj . Dann gilt
(9.1)
kf (x) − f (y)k∞ ≤ Lkx − yk∞
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9.3 Nicht Lebesgue-messbare Mengen
f (Nn ) = f (
[
j∈N
und
X
j∈N
vold2 (Wj ) ≤
X
j∈N
N ∩ Ij ) =
73
[
j∈N
Ld2 `dj 2 ≤ Ld2
f (N ∩ Ij ) ⊆
X
`dj = Ld2
j∈N
[
Wj ,
j∈N
X
vold (Ij ) < Ld2 ε.
j∈N
Hier ist ε > 0 beliebig, und somit ist f (Nn ) und auch f (N ) eine LebesgueNullmenge.
Theorem 9.15. Sei f : Rd → Rd2 lokal Lipschitz-stetig mit d2 ≥ d (z.B. stetig differenzierbar). Ist A ⊆ Rd Lebesgue-messbar, so ist auch f (A) ⊆ Rd2
Lebesgue-messbar.
Beweis. Nach Satz 9.10 läßt A sich als A = SS
∪ N mit S σ-kompakt und N
Lebesgue-Nullmenge zu schreiben.
So
ist
S
=
j∈N Kj mit Kj kompakt und
S
f (A) = f (S) ∪ f (N ) = j∈N f (Kj ) ∪ f (N ). Hier ist f (Kj ) kompakt (denn
f ist stetig) und f (N ) Lebesgue-Nullmenge (verwende Satz 9.14). Dies zeigt
f (A) ∈ L (Rd2 ).
9.3 Nicht Lebesgue-messbare Mengen
Die Vitali-Menge aus Kapitel 1 ist nicht Lebesgue-messbar, d.h. es gibt nicht
Lebesgue-messbare Mengen. Viel mehr ist aber wahr:
Theorem 9.16. Für H ⊆ Rd gilt P(H) ⊆ L (Rd ) genau dann, wenn
λd (H) = 0.
Beweis. Da der Lebesgue-Maßraum vollständig ist, ist jede λd -Nullmenge
Lebesgue-messbar.
Um die andere Implikation zu sehen definieren wir eine Äquivalenzrelation auf
Rd : x ∼ y falls x−y ∈ Q. Sei A eine Menge, welche aus jeder Äquivalenzklasse
genau ein Element enthält. Dann ergeben
[
[
Rd =
(A + p) und H =
(H ∩ (A + p))
p∈Qd
p∈Qd
jeweils eine Partition von Rd bzw. H. Sei p ∈ Qd fest und sei K ⊆ H ∩
(A + p) eine kompakte Menge. Dann gilt K ⊆ B(0, R) für ein R > 0. Für
unterschiedliche q ∈ Qd sind K + q disjunkt, denn es gilt K ⊆ A + p. Dies
impliziert
S
X
X
λd (B(0, R + 1)) ≥ λd
(K + q) =
λd (K + q) =
λd (K).
q ∈ Qd
|q| < 1
q ∈ Qd
|q| < 1
q ∈ Qd
|q| < 1
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74
9 Der Lebesguesche Maßraum
Da λd (B(0, R + 1)) < ∞, sehen wir λd (K) = 0. Nach Theorem 9.9 gilt dann
λd (H ∩ (A + p)) = 0 und somit λd (H) = 0.
Anmerkung 9.17. Wenn man die Mächtigkeiten von B(Rd ) und L (Rd )
miteinander vergleicht, sieht man, dass nicht alle Lebesgue-messbare Mengen
Borel sind. Man kann Mengen die nicht Borel- aber Lebesgue-messbar sind
auch “explizit” angeben.
9.4 Das Riemann-Integral
Wir wollen die zwei Integralbegriffe, den von Riemann und den von Lebesgue
miteinander vergleichen. Zunächst erinnern wir uns an die Definition des
Riemman-Integrals einer beschränkten Funktion f : [a, b] → R.
Sei t0 = a < t1 < · · · < tn = b eine Partition P von [a, b], und setze
S(f, P ) :=
n
X
j=1
wobei
Mj :=
Mj (tj − tj−1 ),
sup
f (x),
s(f, P ) :=
und
n
X
j=1
mj :=
x∈[tj−1 ,tj ]
mj (tj − tj−1 ),
inf
x∈[tj−1 ,tj ]
f (x).
Dann heißt
Zb
f (x) dx := inf S(f, P ) das obere Integral von f
P
a
Zb
f (x) dx := sup s(f, P ) das untere Integral von f .
P
a
Stimmen diese beide Werte miteinander überein, so heißt f Riemannintegrierbar
Zb
f (x) dx := inf S(f, P ) = sup s(f, P )
P
P
a
heißt das Riemann-Integral von f . (Das ganze Prozedere kann man in Rd
fast ohne Änderungen durchführen und somit zum Riemann–Jordan-Integral
gelangen, siehe Analysis 2.)
Theorem 9.18. Eine Funktion f : [a, b] → R ist genau dann Riemannintegrierbar, wenn sie beschränkt ist und λ1 ([a, b]\Cf ) = 0 gilt (Cf bezeichnet
die Menge der Stetigkeitstellen von f ). In diesem Fall gilt die Gleichheit
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9.4 Das Riemann-Integral
75
Zb
Z
f dλ1 .
f (x) dx =
a
[a,b]
Um dieses Theorem beweisen zu können, brauchen wir einige Vorbereitungen.
Definition 9.19. Seien H ⊆ Rd und f : H → R beliebig. Wir setzen
f (x) := lim sup f (y) : y ∈ B(x, r) ∩ H ,
r↓0
f (x) := lim inf f (y) : y ∈ B(x, r) ∩ H .
und
r↓0
f und f heißen die obere bzw. die untere Einhüllende von f . Ist f (x0 ) =
f (x0 ) (oder f (x0 ) = f (x0 )) so heißt f halbstetig von oben (bzw. von
unten) an der Stelle x0 . Die Terminologien unterhalbstetig und oberhalbstetig sind auch gängig.
Lemma 9.20. Für H ⊆ Rd und f : H → R beliebig gelten die folgenden
Aussagen:
a) f ≤ f ≤ f .
b) Gelte g ≤ f , so gelten auch g ≤ f und g ≤ f .
c) f ist halbstetig von oben, f ist halbstetig von unten.
d) Ist g halbstetig von unten [oder von oben] und g ≤ f so gilt, g ≤ f [oder
g ≤ f ].
e) f ist genau dann halbstetig von unten [oder von oben], wenn {x : f (x) > α}
für jedes α ∈ R offen (in H) [oder wenn {x : f (x) > α} für jedes α ∈ R
abgeschlossen] ist. Insbesondere sind f und f Borel-messbar.
f) f ist genau dann stetig an der Stelle x0 ∈ H, wenn f (x0 ) = f (x0 ).
Beweis. ...kommt noch...
Lemma 9.21. Für a, b ∈ R und f : [a, b] → R beschränkt gelten
Zb
Z
f (x) dx =
a
f dλ
1
Zb
Z
f (x) dx =
und
[a,b]
f dλ1 .
[a,b]
a
Beweis. Kommt noch.
Beweis (vom Theorem 9.18). Sei f Riemann-integrierbar, dann muss natürlich f beschränkt sein. Nach Lemma 9.21 gilt
Z
1
Zb
f dλ =
[a,b]
Zb
f (x) dx =
a
Z
f (x) dx =
a
f dλ1 .
[a,b]
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76
9 Der Lebesguesche Maßraum
D.h.
Z
f − f dλ1 = 0,
[a,b]
d.h., aber f − f = 0 fast überall (denn f − f ≥ 0). Lemma 9.20.f) zeigt dann,
dass f für fast alle x0 ∈ [a, b] an der Stelle x0 stetig ist.
Gilt λ([a, b] \ Cf ) = 0 und ist f beschränkt, so gilt f − f = 0 fast überall
(wegen Lemma 9.20.f)) und somit nach Lemma 9.21 gilt
Zb
Zb
f (x) dx =
f (x) dx.
a
a
Daher ist f Riemann-integrierbar. Die behauptete Gleichheit folgt auch.
Beispiel 9.22. Sei Q := Q ∩ [0, 1]. Dann 1Q ist nicht Riemann-integrierbar
(da überall unstetig),
aber 1Q = 0 fast überall, also ist 1Q auch LebesgueR
Integrierbar mit 1Q dλ = 0.
Man kann mit der selben Methode das Folgende zeigen:
Theorem 9.23. Sei H ⊆ Rd eine Jordan-messbare Menge, und sei f : H →
R ein eFunktion. Bezeichne mit Cf die Menge der Stetigkeitstellen von f .
Die Funktion f ist genau dann Jordan-integrierbar, wenn sie beschränkt ist
und λd (H \ Cf ) = 0. In diesem Fall gilt die Gleichheit
Z
Z
f (x) dx = f dλd .
H
H
Vereinbarung + Notationen. Wir benutzen die Notationen: x ∈ Rd1 ,
y ∈ Rd2 , z = (x, y) ∈ Rd1 × Rd2 = Rd1 +d2 . Wir schreiben weiterhin
Z
Z
f (x, y) dx :=
f (x, y) dλd1 (x),
R d1
R d1
Z
Z
f (x, y) dλd2 (y),
f (x, y) dy :=
R d2
R d2
Z
Z
f (z) dz :=
Rd1 +d2
f dλd1 +d2 .
Rd1 +d2
Diese Vereinbarung ist mit der Notation des Riemann-Integrals konsistent.
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Kapitel 10
Produkte von Maßen
Gegeben seien die Maßräume (X, A , µ), (Y, B, ν). Das Ziel in diesem Kapitel
ist ein Maß ϕ auf dem direkten Produkt Z = X × Y zu finden für das gilt
ϕ(A × B) = µ(A)ν(B) für alle A ∈ A , B ∈ B.
Unsere Forderung über ϕ beinhaltet, dass ϕ auf eine σ-Algebra C definiert
ist, welche die sogenannten messbaren Rechtecke A × B enthält. Außerdem
möchten wir Bedingungen über f : X × Y → R finden, welche implizieren:
Z Z
Z
f (x, y) dν(y) dµ(x) =
f dϕ.
X
Y
X×Y
10.1 Das Produktmaß
Vorbereitungen.
Es seien (X, A , µ) und (Y, B, ν) Maßräume. Wir setzen
E0 := A × B A ∈ A , B ∈ B
und nennen die Elemente von E0 (messbare) Rechtecke. Weiterhin definieren
wir
nS
o
N
E :=
Ij Ij ∈ E0 , j = 1, . . . , N, N ∈ N .
j=1
Lemma 10.1. a) E ist eine Algebra über Z := X × Y (insbesondere ist E
\-stabil und enthält ∅).
b) Die Abbildung
β : E0 → [0, ∞],
β(A × B) := µ(A)ν(B),
77
78
10 Produkte von Maßen
ist σ-additiv auf E0 .
c) Jedes C ∈ E kann als disjunkte Vereinigung von Elementen aus E0 geschrieben werden:
N
[
C=
Ij ∈ E0 , Ij ∩ Ik = ∅ für j 6= k.
Ij ,
j=1
d) Somit definiert man α : E → [0, ∞] durch
α(A) :=
N
X
β(Ij ).
j=1
Die Abbildung α ist wohldefiniert (d.h. sie hängt nicht von der Darstellung
durch die Ij ab), σ-additiv und ein relativ äußeres Maß auf E .
Beweis. a) Trivialerweise gilt X × Y, ∅ ∈ E . Da E0 ∩-stabil ist, so ist auch
E0 , das auch offensichtlich ∪-stabil ist. Da für A, B ∈ E0 gilt A \ B ∈ E , folgt
die \-Stabilität von E auch sofort (vgl. mit dem Beweis von Lemma 9.1 für
das Lebesgue-Maß).
b) Seien A × B, Ak × Bk ∈ E0 derart, dass
A×B =
∞
[
k=1
Ak × B k
mit Ak × Bk paarweise disjunkt.
Wir haben
1A (x)1B (y) = 1A×B (x, y) =
∞
X
1Ak ×Bk (x, y) =
k=1
∞
X
1Ak (x)1Bk (y).
k=1
Gliederweise Integration bezüglich µ und dann bezüglich ν liefert
Z Z
1A (x)1B (y) dµ(x) dν(y)
β(A × B) = µ(A)ν(B) =
Y
=
∞ Z Z
X
k=1 Y
=
∞
X
X
1Ak (x)1Bk (y) dµ(x) dν(y)
X
µ(Ak )ν(Bk ) =
k=1
∞
X
k=1
β(Ak × Bk ).
c) Sei
A×B =
M
[
k=1
Ak × B k
mit Ak × Bk ∈ E0 .
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10.1 Das Produktmaß
79
Disjunktisiere die Mengen Ak und die Mengen Bk , um die paarweise Mengen
A0k und Bk0 zu erhalten (siehe Satz 2.4). Dann gilt
A×B =
M
[
j,k=1
A0 ×B 0 ⊆A×B
j
k
A0k × Bj0 .
d) folgt aus b).
Definition 10.2. Betrachte α und E von oben und das zugehörige äussere
Maß ϕα (siehe Theorem 8.3). Setze A × B = Mϕα die σ-Algebra der ϕα messbaren Mengen, µ ⊗ ν = ϕα |A ⊗B
(siehe den Satz von Carathéodory 8.6).
¯
¯ und dass
Aus Kapitel 8 wissen wir, dass E ⊆ A ⊗B
ϕ(A × B) = µ(A)ν(B) für alle A ∈ A , B ∈ B gilt.
a) Das vollständige Produkt der Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν) ist
¯
¯
¯
(X, A , µ)⊗(Y,
A ⊗B,
ν) := (X × Y, A ⊗B,
µ ⊗ ν).
Das Maß µ ⊗ ν heißt Produktmaß.
b) Die σ-Algebra A ⊗ B := σ(E0 ) = σ(E ) heißt die Produkt-σ-Algebra.
Der Maßraum
¯
(X, A , µ) ⊗ (Y, A ⊗B,
ν) := (X × Y, A ⊗ B, µ ⊗ ν)
heißt das Produkt der Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν).
¯
Anmerkung. Es gilt A ⊗ B ⊆ A ⊗B,
denn laut Konstruktion gilt E0 ⊆
¯
A ⊗B.
Aus dem Eindeutigkeitssatz bekommen wir sofort das Folgende:
Theorem 10.3. Falls die Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν) Maßräume σ¯ (oder auf A ⊗ B) das Produktmaß µ ⊗ ν das
endlich sind, so ist auf A ⊗B
einzige Maß mit
(µ ⊗ ν)(A × B) = µ(A)ν(B)
für A ∈ A , B ∈ B.
Die folgenden Eigenschaften lassen sich leicht aus der Konstruktion ablesen.
¯
Anmerkung 10.4. 1. Der Maßraum (X × Y, A ⊗B,
µ ⊗ ν) ist immer vollständig, auch wenn die ursprüngliche Faktoren (X, A , µ) und (Y, B, ν)
nicht vollständig waren.
2. Für die Lebesgue-Maßräume haben wir das Folgende:
¯ d2 , L (Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , L (Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ),
(Rd1 , L (Rd1 ), λd1 )⊗(R
wenn man die übliche Identifizierung Rd1 +d2 = Rd1 × Rd2 macht.
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80
10 Produkte von Maßen
3. Wenn man zunächst die Maßräume (X, A , µ) und (Y, B, ν) vervollständigt (siehe Theorem 3.10) und dann ihr Produkt konstruiert, erhält man
dennoch den Produktraum der nicht vervollständigten Räume:
¯
(X × Y, A ⊗B,
µ ⊗ ν).
4. Für die Borel–Lebesgue-Maßräumen haben wir das Folgende:
¯ d2 , B(Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , L (Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ),
(Rd1 , B(Rd1 ), λd1 )⊗(R
also ergibt das vollständige Produkt die Lebesgue-Mengen. Für die BorelAlgebren gilt
(Rd1 , B(Rd1 ), λd1 ) ⊗ (Rd2 , B(Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , B(Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ),
d.h. die Produkt-σ-Algebra beinhaltet nur Borel-Mengen. Die letztere Aussage sprechen wir später im Abschnitt 10.5 an.
5. Rekursiv (oder analog) kann man das Produkt von endlich vielen Maßräumen definieren. Dieses wird mit
N
O
(Xj , Aj , µj )
j=1
bezeichnet.
10.2 Das Fubini-Theorem
In diesem Abschnitt sind (X, A , µ) und (Y, B, ν) stets vollständige und σendliche Maßräume.
Definition 10.5. a) Für M ⊆ X × Y und x ∈ X definiere
Mx := y ∈ Y (x, y) ∈ M ,
den Schnitt von M an x, und analog
M y := x ∈ X (x, y) ∈ M .
¯
A C H T U N G : Selbst wenn M ∈ A ⊗B
muss Mx (bzw. M y ) nicht
unbedingt messbar (also ein Element von A bzw. B) sein. Anders ist die
Situation falls M ∈ A ⊗ B, siehe Abschnitt 10.5.
b) Sei f : X × Y → Z. Wir setzen
fx (y) := f (x, y) und f y (x) = f (x, y).
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10.2 Das Fubini-Theorem
81
Dann sind fx : Y → Z und f y : X → Z Funktionen.
Theorem 10.6 (Fubini). Seien (X, A , µ) und (Y, B, ν) vollständige und
¯
derart, dass
σ-endliche Maßräume. Sei f : X × Y → R A ⊗B-messbar
Z
f dµ ⊗ ν
X×Y
existiert. Dann gelten die folgenden Aussagen:
a) Für µ-fast alle x ∈ X ist fx : Y → R messbar und es existiert
Z
Z
(10.1)
g(x) = fx dν = f (x, y) dν(y).
Y
Y
b) Wir setzen g(x) = 0, falls das Integral in (10.1) nicht existiert. Das Integral von g bzgl. µ existiert und es gilt
Z Z
Z
Z
f (x, y) dν(y) dµ(x) = g(x) dµ(x) =
f dµ ⊗ ν.
X
Y
X
X×Y
Wir beweisen dieses Theorem später, und zeigen zunächst einige Korollare.
Das erste wird eigentlich schon im Beweis des Fubini-Theorems gezeigt (vgl.
Abschnitt 10.4).
¯
Korollar 10.7. Sei M ∈ A ⊗B.
Dann ist der Schnitt Mx für µ-fast alle
x ∈ X messbar, d.h., Mx ∈ B.
¯
Beweis. Sei M ∈ A ⊗B.
Dann existiert das Integral von 1M . Wir können
also das Theorem von Fubini verwenden, d.h. insbesondere, dass für µ-fast
alle x ∈ X die Funktion
y 7→ 1M (x, y) = 1Mx (y)
B-messbar ist.
¯ und f ∈ L 1 (M, µ⊗ν), d.h.,
Theorem
10.8 (Fubini). Es seien M ∈ A ⊗B
R
|f | dµ ⊗ ν < ∞. Dann gelten:
M
a) Für µ-fast alle x ∈ RX ist die Funktion fx B-messbar.
b) Die Funktion x 7→ Y f (x, y) dy ist A -messbar (auf einer Nullmenge ist
die Funktion nicht definiert, dort setzt man sie als 0 fort), und es gilt
Z
Z Z
f dµ ⊗ ν =
f (x, y) dν(y) dµ(x).
M
X
Mx
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10 Produkte von Maßen
Beweis. Wir können seperat Re f und Im f betrachten, also OBdA annehmen, dass f reellwertig ist. Für fast alle x ∈ X ist Mx messbar wegen des
vorigen Korollars. Die Aussage folgt dann aus Theorem 10.6, denn
Z
Z Z
Z
f dµ ⊗ ν =
f 1M dµ ⊗ ν =
f (x, y)1M (x, y) dν(y) dx
M
X×Y
X Y
Z Z
=
f (x, y) dν(y) dµ(x).
X Mx
¯
Theorem 10.9 (Tonelli). Es seien M ∈ A ⊗B
und f : X × Y → [0, ∞]
¯
A ⊗B-messbar.
Dann gelten:
a) Für µ-fast alle x ∈ X
R ist die Funktion fx B-messbar und integrierbar.
b) Die Funktion x 7→ Y f (x, y) dy ist A -messbar und integrierbar, und es
gilt
Z
Z Z
f dµ ⊗ ν =
f (x, y) dν(y) dµ(x).
M
X
Mx
Beweis. Geht genauso wie der Beweis von Theorem 10.8.
Wenn man die beiden obigen Aussagen kombiniert erhält man die folgende
nützliche Form:
¯
Korollar 10.10 (Fubini–Tonelli). Sei M ∈ A ⊗B,
f : M → K messbar
und f˜ die triviale Fortsetzung (durch 0) von f auf X × Y . Ist eines der drei
Integrale
Z Z
Z Z
Z
˜
˜
|f (x, y)| dν(y) dµ(x),
|f (x, y)| dµ(x) dν(y),
|f˜| dµ ⊗ ν
X Y
Y X
X×Y
endlich, so sind alle endlich, einander gleich und es gelten die Aussagen a)
und b) in Theorem 10.8.
10.3 Anwendungen
Satz 10.11. Seien f : X → R und g : Y → R A - bzw. B-messbar. Setze
h(x, y) := (f (x), g(y)).
¯
Dann ist h : X × Y → R2 messbar bzgl. A ⊗B
(sogar bzgl. der kleineren
σ-Algebra A ⊗ B).
Beweis. Seien G1 , G2 ⊆ R offen. Dann gilt
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10.3 Anwendungen
83
¯
h−1 (G1 × G2 ) = f −1 (G1 ) × g −1 (G2 ) ∈ A ⊗B.
Die Mengen G1 × G2 mit G1 , G2 ⊆ R offen erzeugen aber B(R2 ), somit folgt
die Behauptung.
Korollar 10.12. Sei f : X → R messbar. So sind die Mengen
Graph(f ) := (x, t) ∈ X × R f (x) = t ,
und
Subgraph(f ) := (x, t) ∈ X × R t ≤ f (x)
¯
beide messbar, d.h. Elemente von A ⊗B(R).
Beweis. Setze h(x, t) = t − f (x). So gilt
Graph f = h−1 ({0}) und
Subgraph(f ) = h−1 ((−∞, 0]).
Verwende den vorigen Satz.
1. Geometrische Interpretation des Integrals
Sei M ∈ A und f : M → [0, ∞) messbar. Dann gilt
Z
f (x) dµ(x) = µ ⊗ λ1 {(x, t) ∈ X × R | 0 ≤ t ≤ f (x), x ∈ M })
{z
}
|
M
=:A
= “Maß der Punktmenge unter dem Graphen”.
Beweis. Wegen Korollar 10.12 ist die Menge A überhaupt messbar. Wende
Tonelli auf f = 1A an:
Z
µ ⊗ λ1 (A) =
1A (x, t) dµ ⊗ λ1 (x, t)
X×R
Z Z
1A (x, t) dt dµ(x)
Tonelli
=
X
Ax
Z Z
=
Z
1[0,f (x)] (t) dt dµ(x) =
M R
f (x) dµ(x).
M
2. Cavalierisches Prinzip
Sei M ⊆ Rd+1 Lebesgue-messbar. Dann gilt
Z
λd+1 (M ) = λd (Mt ) dt
R
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10 Produkte von Maßen
mit
Mt = x ∈ Rd (x, t) ∈ M
Beweis. Die Anwendung des Satzes von Tonelli auf 1M liefert:
Z
λd+1 (M ) =
1M dλd+1
Rd+1
Z Z
Tonelli
=
1M (x, t) dx dt
R
Rd
Z Z
=
Z
1Mt (x) dx dt =
R Rd
λd (Mt ) dt.
R
3. Volumen der Einheitskugel in Rd
Für x0 ∈ Rd und r > 0 setze
Bd (x0 , r) := x x ∈ Rd , |x − x0 | < r ,
und Bd := Bd (0, 1).
Satz 10.13. Für r ≥ 0 gilt
λd (Bd (x0 , r)) = rd ωd ,
wobei
ωd = λd (Bd )
ω2k =
und
πk
,
k!
ω2k+1 =
2k+1
πk .
1 · 3 · 5 · · · (2k + 1)
Beweis. Wegen der Translationsinvarianz können wir x0 = 0 annehmen. Wir
beweisen die Aussage per Induktion für die Dimension d, wobei der Fall d = 1
ziemlich trivial ist. Es gilt (wegen λd = λd−1 ⊗ λ1 )
d
ωd := λ (B)
Z1
Cavalieri
=
λd−1 (Bdt ) dt mit Bdt = Bd−1 (0,
−1
p
1 − t2 ).
√
Hier gilt λd−1 (Bdt ) = ( 1 − t2 )d−1 λd−1 (Bd−1 ) (Induktionsvoraussetzung),
|
{z
}
=ωd−1
und daher
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10.3 Anwendungen
85
Z1
ωd = ωd−1
(?)
−1
(1 − t2 )
d−1
2
dt
{z
|
}
=:bd
So haben wir eine Rekursion für ωd gefunden. Wir berechnen bd via Substitution t := − cos x ( dt = sin x dx).
Zπ
bd =
π
sind x dx = 2
Z2
sind x dx = 2Id .
0
0
Hierbei bezeichnet Id das letztere, sogennante Wallis’sche Integral, dessen
Wert aus Analysis I/II bekannt ist:
I2k =
k
π Y 2l − 1
,
2
2l
I2k+1 =
l=1
Daraus folgt bd bd−1 =
2π
d .
k
Y
l=1
2l
.
2l + 1
Die Identität (?) liefert
ωd = bd bd−1 ωd−2 ,
und somit
ωd =
2π
ωd−2 .
d
Nun muss man nur ω1 und ω2 bestimmen, und dann kann auch ωd rekursiv
bestimmt werden. Wir haben
ω1 = λ1 ((−1, 1)) = 2
ω2 = b2 ω1 = 2b2 = π.
Daraus bekommen wir
ω2k =
πk
,
k!
ω2k+1 =
2k+1
πk .
1 · 3 · 5 · · · (2k + 1)
Wir werden für diese Formel in Kapitel 11 noch einen weiteren Beweis angeben.
4. Volumina von Zylindern
Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar und sei a ∈ Rd+1 . Die Menge
Z := (x, 0) + ta ∈ Rd+1 x ∈ M, t ∈ [0, 1]
heißt “Zylinder mit Basis M und Kante a”.
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10 Produkte von Maßen
Setze T : Rd+1 → Rd+1 , T (x, t) := (x, 0) + ta. Dann ist T : Rd+1 → Rd+1
eine lineare Abbildung für die gilt Z = T (M × [0, 1]). Eine lineare Abbildung
ist Lipschitz-stetig (siehe Analysis 2 aber auch Bemerkung 11.4), so gilt Z ∈
L (Rd+1 ) nach Theorem 9.15. Wir setzen nun voraus, dass ad+1 > 0. Das
Cavalierische Prinzip liefert
Z
Z
d+1
d
λ (Z) = λ (Zt ) dt =
λd (M ) dt = ad+1 λd (M ).
[0,ad+1 ]
R
Ist ad+1 < 0, so können wir statt Z die Menge −Z betrachten, und somit
λd+1 (Z) = λd+1 (−Z) = −ad+1 λd (−M ) = |ad+1 |λd (M )
bekommen (beachte, dass λm (A) = λm (−A) für jedes A ∈ L (Rm ) gilt).
Zusammenfassend gilt also
λd+1 (Z) = |ad+1 |λd (M ) = “Höhe × Fläche der Basis”.
5. Volumina von Kegeln
Vorbemerkung: Es ist leicht einzusehen, dass unter Skalierung das Lebesgue-Maß sich folgenderweise ändert:
λd (rA) = |r|d λd (A)
für alle r ∈ R. In der Tat ist es so für Intervalle A (!), und dann muss man
nur beachten wie das Lebesgue-Maßkonstruiert wurde. Später in Abschnitt
11.2 werden wir ein viel allgemeineres Resultat beweisen.
Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar, und sei a ∈ Rd+1 . Definiere
K := (1 − t)(x, 0) + ta ∈ Rd+1 x ∈ M, t ∈ [0, 1]
“Kegel mit Basis M und Kante a”. Sei f (x, t) = (1 − t)(x, 0) + ta, dann
ist f lokal Lipschitz-stetig, und es gilt K = f (M × [0, 1]). Somit gilt K ∈
L (Rd ). Da λd+1 unter Spiegelungen und Translationen invariant ist, können
wir a = (0, α), α > 0 annehmen. Das Cavalierische Prinzip liefert dann
λ
d+1
Z
(K) =
R
(
∅,
λ (Kt ) dt mit Kt = 1 − αt M,
Z
=
d
λd
1−
t
α
t 6∈ [0, α],
t ∈ [0, α].
M dt
[0,α]
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10.4 Beweis des Fubini-Theorems
Z
=
1−
87
t d d
α λ (M )
dt
[0,α]
= λd (M ) ·
α
1
=
λd (Z),
d+1
d+1
wobei Z der Zylinder mit Basis M und Kante a ist.
10.4 Beweis des Fubini-Theorems
¯
Wir bezeichnen mit Φ die Menge aller A ⊗B-messbaren
Funktionen f : X ×
Y → R für die gilt:
R
(1) Das Integral X×Y f dµ ⊗ ν existiert.
(2) Für µ-fast alle x ∈ X ist fx : Y → R messbar und
Z
g(x) = fx dν
Y
existiert.
(3) Es gilt
Z
X×Y
f dµ ⊗ ν =
Z Z
X
f (x, y) dν(y) dµ(x).
Y
So kann Theorem 10.6 folgenderweise umformuliert werden
R
Theorem (Fubini). ∃ X×Y f dµ ⊗ ν =⇒ f ∈ Φ.
Der Beweis besteht aus einigen Schritten:
Schritt 1: Für A ∈ A , B ∈ B gilt 1A×B ∈ Φ.
Schritt 2: Für f ∈ Φ und c ∈ R gilt cf ∈ Φ.
Schritt 3: Seien f1 , f2 ∈ Φ derart, dass die Summe
R
f dµ ⊗ ν existiert. Dann gilt f1 + f2 ∈ Φ.
X×Y 2
R
X×Y
f1 dµ ⊗ ν +
Schritt 4: Seien 0 ≤ fk ∈ Φ mit fk % f . Dann gilt f ∈ Φ.
R
Schritt 5: Seien 0 ≤ f1 ≤ f2 mit f2 ∈ Φ und X×Y f2 dµ ⊗ ν = 0. Dann ist
f1 ∈ Φ.
S
Schritt 6: Sei C ∈ E0σ , d.h., C = k∈N Ck mit Ck ∈ E0 . Dann gilt 1C ∈ Φ.
T∞
Schritt 7: Sei C = j=1 Cj mit Cj ∈ E0σ und µ ⊗ ν(C1 ) < ∞. Dann ist
1C ∈ Φ.
Schritt 8: Sei C eine µ ⊗ ν-Nullmenge. Dann gelten
a) 1C ∈ Φ
b) ν(Cx ) = 0
für µ-fast alle x ∈ X.
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88
10 Produkte von Maßen
¯ mit µ ⊗ ν(C) < ∞. Dann ist 1C ∈ Φ.
Schritt 9: Sei C ∈ A ⊗B
¯ gilt 1C ∈ Φ.
Schritt 10: Für C ∈ A ⊗B
Schritt 11: Eine positive einfache Funktion f gehört zu Φ.
Schritt 12: Sei f ≥ 0 messbare Funktion. Dann gilt f ∈ Φ.
Schritt 13 [Beweis des Theorems]: Zerlege f = f + − f − , und wende Schritt
12 auf f + und f − separat an. Benutze schließlich Schritt 3.
10.5 Die Produkt-σ-Algebra
Gegeben seien die Maßräume (X, A , µ), (Y, B, ν). Die Produkt-σ-Algebra ist
A ⊗ B := σ({A × B | A ∈ A , B ∈ B}).
Vorteile des Produktes gegenüber dem vollständigen Produkt werden aus dem
nächsten Satz klar.
Satz 10.14. a) Sei M ∈ A ⊗ B. Dann gilt Mx ∈ B für alle x ∈ X und
M y ∈ A für alle y ∈ Y .
b) Sei (Z, C ) messbarer Raum. Sei f : X × Y → Z (A ⊗ B, C )-messbar.
Dann sind fx bzw. f y für alle x und alle y messbar.
Beweis. a) Wir setzen
M := M ⊆ X × Y Mx ∈ B, M y ∈ A für alle x ∈ X und y ∈ Y .
Dann ist M eine σ-Algebra, wie man das leicht einsehen kann. Da (A×B)x =
B falls x ∈ A und (A × B)x = ∅ falls x 6∈ A (und analog für (A × B)y ), sehen
wir, dass A × B ∈ M für A ∈ A , B ∈ B gilt. Dies impliziert A ⊗ B =
σ(E0 ) ⊆ σ(M ) = M .
b) Sei x ∈ X fest und sei C ∈ C . Es gilt
fx−1 (C) = y ∈ Y fx (y) ∈ C = y ∈ Y f (x, y) ∈ C
= y ∈ Y (x, y) ∈ f −1 (C) = f −1 (C) x .
Da aber f −1 (C) ∈ A ⊗ B, folgt f −1 (C) x ∈ B aus Teil a).
Satz 10.15. Seien X, Y metrische Räume mit den jeweiligen Borel-σ-Algebren.
Dann gilt
B(X) ⊗ B(Y ) = B(X × Y ).
Beweis. ... kommt noch ...
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10.6 Vorsicht beim Vertauschen von Integralen
89
Anmerkung 10.16. 1. Für das Produkt von Borel–Lebesgue-Maßräumen
haben wir also:
(Rd1 , B(Rd1 ), λd1 ) ⊗ (Rd2 , B(Rd2 ), λd2 ) = (Rd1 +d2 , B(Rd1 +d2 ), λd1 +d2 ).
¯
2. Die Theoreme von Fubini und Tonelli bleiben auch wahr wenn man A ⊗B
durch A ⊗B ersetzt. Wegen Satz 10.14 ist dann fx für alle x ∈ X messbar.
3. Sei A ⊆ R eine nicht Lebesgue-messbare Menge (vgl. Abschnitt 9.3), dann
ist B := {0}×A ⊆ R2 eine λ2 -Nullmene (siehe Abschnitt 9.2), insbesondere
gilt B ∈ L (R2 ). Da wir für den Schnitt B0 = A 6∈ L (R) haben, sehen
wir B 6∈ L (R) ⊗ L (R). Dies zeigt die Vorteile des vollständigen Produkts
gegenüber dem “normalen” Produkt.
10.6 Vorsicht beim Vertauschen von Integralen
A C H T U N G : Die Voraussetzungen in den Theoremen von Fubini und
Tonelli sind wesentlich wie das folgende Beispiel zeigt: Setze
f (x, y) =
x2 − y 2
(x2 + y 2 )2
für x, y ∈ (0, 1).
Dann ist f : (0, 1) × (0, 1) → R stetig (also Borel-messbar) und es gelten:
Z
Z Z
1
1
π
und
f (x, y) dy = 2
f (x, y) dy dx = arctan = .
x +1
4
0
(0,1)
(0,1) (0,1)
Aus Symmetriegründen gilt also
Z
(0,1)
−1
f (x, y) dx = 2
y +1
Z
Z
und
f (x, y) dx dy = −
π
4
(0,1) (0,1)
Die doppelten Integrale in unterschiedlicher Reihenfolge ergeben also unterschiedliche Werte.
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Kapitel 11
Transformation des Integrals
11.1 Maßtreue Abbildungen
Definition 11.1. Es seien (X, A , µ) und (Y, B, ν) Maßräume, und h : X →
Y messbar.
a) Das Bildmaß h∗ µ von µ unter h ist definiert durch
h∗ µ(B) := µ(h−1 (B)) für B ∈ B.
b) h heißt maßtreu (oder maßerhaltend), falls ν = h∗ µ, d.h. falls gilt
ν(B) = µ(h−1 (B)) für jedes B ∈ B.
Beispiel 11.2. 1. Für X = Y = Rd , A = B = L (Rd ), µ = ν = λd , a ∈ Rd
ist die Translation τa : Rd → Rd , definiert durch
τa (x) = x − a,
eine maßtreue Abbildung.
2. Betrachte [0, 1]2 mit der Lebesgue-σ-Algebra. Die Abbildung
(
2x
x ∈ [0, 1/2)
2
2
h : [0, 1) → [0, 1) , h(x, y) :=
2x − 1 x ∈ [1/2, 1),
ist maßtreu.
Theorem
11.3. Es sei h : X → Y maßtreu, und sei f : Y → K derart, dass
R
f
dν
existiert.
Dann gilt
Y
Z
Z
f ◦ h dµ = f dν.
X
Y
90
11.2 Lineare Transformation des Lebesgue-Maßes
91
Außerdem gilt
Z
Z
f dν =
f ◦ h dµ
h−1 (B)
B
für jedes B ∈ B.
Beweis. Wir können K = C annehmen, sonst betrachten wir Re f und Im f
separat.
Wir beweisen die Aussage zunächst für positive einfache Funktionen. Sei also
f=
N
X
bj 1Bj
in Standarddarstellung.
j=1
Wir setzen Aj := h−1 (Bj ). So können wir schreiben:
Z
f dν =
N
X
j=1
X
bj ν(Bj ) =
N
X
−1
bj µ(h
(Bj )) =
j=1
N
X
Z
bj µ(Aj ) =
j=1
f ◦ h dµ.
X
Bei der letzten Gleichheit haben wir benutzt, dass
f ◦h=
N
X
bj 1Aj
gilt.
j=1
Ist f ≥ 0 messbar, so können wir f durch eine Folge von einfachen Funktionen
monoton approximieren: fn % f (siehe Theorem 4.13). Wegen des Beppo
Levi-Theorems 5.6 gilt dann
Z
Z
Z
Z
f ◦ h dµ = lim
fn ◦ h dµ = lim
fn dν = f dν,
n→∞
X
n→∞
X
Y
Y
wobei wir benutzt haben, dass die Aussage für einfache Funktionen schon
bekannt ist.
Für beliebige messbare Funktionen geht der Beweis durch Zerlegung f :=
f + − f − , mit der Bemerkung, dass (f ◦ h)+ = f + ◦ h und (f ◦ h)− = f − ◦ h
gelten.
11.2 Lineare Transformation des Lebesgue-Maßes
Anmerkung 11.4. Eine lineare Abbildung T : Rd → Rm ist Lipschitzstetig. Es gilt nämlich:
kT x − T yk ≤ kT k · kx − yk,
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92
11 Transformation des Integrals
mit
kT k := sup kT xk x ∈ Rd mit kxk ≤ 1 .
Theorem 11.5. Sei T : Rd → Rd linear und A ∈ L (Rd ). Dann ist T (A) ∈
L (Rd ) und es gelten:
a) λd (T (A)) = | det T | · λd (A).
b) Ist det T 6= 0 (also T invertierbar), so ist
T∗ λd =
λd
| det T |
das Bildmaß von λd unter T .
Beweis. Die erste Aussage ist ein direktes Korollar vom Theorem 9.14, da
wie oben schon erwähnt, eine lineare Abbildung Lipschitz-stetig ist.
b) Folgt aus a):
λd (B) = λd (T (T −1 (B))) = | det T |λd (T −1 (B)).
a) Sei erst det(T ) 6= 0. D.h. T : Rd → Rd ist invertierbar und sogar ein Homöomorphismus. So ist auf jeden Fall T (und auch T −1 ) eine lokal Lipschitz
stetige Abbildung. Es gilt B ∈ L (Rd ) genau dann, wenn T (B) ∈ L (Rd ).
Setze
µ(B) := λd (T (B)) für alle B ∈ L (Rd ).
Dann ist µ ein Maß auf L (Rd ). Natürlich ist µ auch translationsinvariant:
µ(A + x0 ) = λd (T (A + x0 )) = λd (T (A) + T (x0 )) = λd (T (A)) = µ(A).
Im Folgenden berechnen wir µ([0, 1)d ) = λd (T ([0, 1)d )).
Nun bestimmen wir µ([0, 1)), zunächst in speziellen Fällen (1 = (1, 1, . . . , 1)> ∈
Rd ). Betrachte Matrizen der folgenden Form:




1 1 0 ··· 0
a 0 0 ··· 0
0 1 0 · · · 0
0 1 0 · · · 0






0 0 1 · · · 0
α) Permutationsmatrix, β) 
 , oder γ) 0 0 1 · · · 0
 .. .. .. . . .. 
 .. .. .. . . .. 
. . . . .
. . . . .
0 0 0 ··· 1
0 0 0 ··· 1
Sei erst T der Form α). Dann ist T ([0, 1)) = [0, 1), und somit µ([0, 1)) =
λd ([0, 1)) = 1 = det(T ).
Sei jetzt T der Form β) mit a 6= 0. Dann ist
(
[0, a) × [0, 1) × · · · × [0, 1) für a > 0,
T ([0, 1)) =
(a, 0] × [0, 1) × · · · × [0, 1) für a < 0.
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11.3 Der Transformationssatz
93
D.h. es gilt µ([0, 1)) = λd (T ([0, 1))) = |a| = | det(T )|.
Sei T der Form γ). Wir schreiben [0, 1) = [0, 1)2 × [0, 1)d−2 , und somit
T ([0, 1)) = B × [0, 1)d−2 mit
B = (x1 , x2 ) 0 ≤ x2 < 1, x2 ≤ x1 < x2 + 1 .
Da B ein Zylinder mit Basis [0, 1) und Höhe 1 ist, gilt λ2 (B) = 1 = λ2 ([0, 1)2 )
(siehe Seite 85).
So haben wir gesehen, dass für solche Matrizen T gilt µ([0, 1)) = | det(T )|,
µ
d
und somit ist | det
T | ein translationsinvariantes Maß auf L (R ) mit der zuµ
sätzlichen Eigenschaft | det T | ([0, 1)d ) = 1. Nach Korollar 9.6 gilt also
µ
= λd ,
| det T |
d.h., die Behauptung ist bewiesen für Matrizen vom Typ α), β) oder γ).
Wir erinnern(?!) uns an das folgende Resultat der Linearen Algebra: Jede
Matrix läßt sich als Produkt T = T1 T2 · · · Tk von Matrizen Tj der Form α),
β) oder γ) schreiben. Damit gilt
µ(A) = λd (T (A)) = λd (T1 T2 · · · Tk (A)) = | det(T1 )|λd (T2 · · · Tk (A))
= | det(T1 )|| det(T2 )|λd (T3 · · · Tk (A))
= · · · = | det(T1 )|| det(T2 )| · · · | det(Tk )|λd (A) = | det(T )| · λd (A).
Es bleibt also nur den Fall det(T ) = 0 zu erledigen. In diesem Fall ist T nicht
surjektiv, also T (A) liegt in einem Unterraum V ( Rd . Damit ist λd (T (A)) ≤
λd (V ). Wir zeigen nun, dass λd (V ) = 0 für alle Unterräume V ⊆ Rd mit
d2 := dim V < d gilt, und daraus folgt die Behauptung. Man betrachte eine
orthogonale Transformation O mit O(V ) = Rd2 × {0}. Dann ist λd (O(V )) =
| det O|λd (V ) = λd (V ). Es ist einfach λd (O(V )) = λd (Rd2 × {0}) = 0 zu
zeigen (z.B. mit Fubini).
11.3 Der Transformationssatz
Satz 11.6 (Transformationssatz für affine Abbildungen). Sei h : Rd →
Rd eine affine Abbildung, d.h., h(x) = T x + x0 für eine lineare Abbildung
T : Rd → Rd und für ein x0 ∈ Rd . Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar, und sei
f ∈ L 1 (x0 + T (M )). Dann gilt
Z
Z
(f ◦ h)(y)| det g 0 (y)| dy =
f (x) dx
M
h(M )
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94
11 Transformation des Integrals
für f ∈ L 1 (h(M )).
Beweis. Ist det(T ) = 0, so steht auf der rechten Seite 0, aber auch auf der
linken Seite, denn T (M ) dann eine Nullmenge ist (siehe Theorem 11.5). Sei
also det(T ) 6= 0, d.h. T invertierbar. Die Behauptung folgt aber, dann aus
Theorem 11.3 und Theorem 11.5.b).
Definition 11.7. Seien U, V ⊆ Rd offen und h : U → V eine Funktion. h
heißt C 1 -Diffeomorphismus, falls h bijektiv ist, und h als auch h−1 stetig
differenzierbar sind. Die Ableitung von h wird stets durch h0 bezeichnet.
Theorem 11.8 (Transformationssatz). Seien U, V ⊆ Rd offen und sei h :
U → V ein C 1 -Diffeomorphismus. Dann gilt f ∈ L 1 (V ) ⇐⇒ (f ◦h)| det h0 | ∈
L 1 (U ). Ferner gilt in diesem Fall:
Z
Z
f (y) dy = (f ◦ h)(x)| det h0 (x)| dx.
V
U
Der Ausdruck det h0 heißt die Jacobi-Determinante der Integraltransformation.
Den Beweis präsentieren wir am Ende des Kapitels.
11.4 Beispiele und Anwendungen
1. Ebene Polarkoordinaten
Sei (x, y) ∈ R2 \ {(0, 0)}. Dann existieren eindeutig bestimmte r > 0 und
ϕ ∈ [−π, π) mit
x =r cos ϕ
y =r sin ϕ.
Definiere h : R2 → R2 durch
h(r, ϕ) = (r cos ϕ, r sin ϕ),
und setze
U := (0, ∞) × (−π, π), V := R2 \ ((−∞, 0] × {0}) = geschlitzte Ebene.
Dann ist h : U → V bijektiv mit Umkehrabbildung h−1 (x, y) = (r, ϕ)
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11.4 Beispiele und Anwendungen
r := (x2 + y 2 )1/2 ,
95

arctan xy ,



π,
ϕ := 2 π

− ,


 2
sign(y) π2 − arctan xy ,
falls
falls
falls
falls
x > 0,
x = 0, y > 0,
x = 0, y < 0,
x < 0.
Die Abbildung h ist differenzierbar mit Jacobi-Matrix
cos ϕ −r sin ϕ
h0 (r, ϕ) =
.
sin ϕ r cos ϕ
(x, y)
r
ϕ
Daraus folgt det h0 (r, ϕ) = r > 0 für alle (r, ϕ) ∈ U . Somit ist h : U → V ein
C 1 -Diffeomorphismus. Da R2 \ V und U \ U Nullmengen in R2 sind, gilt:
Korollar 11.9. Eine Funktion f : R2 → R ist genau dann Lebesgue-integrierbar (d.h., f ∈ L 1 (R2 )), wenn
(r, ϕ) 7→ rf (r cos ϕ, r sin ϕ) ∈ L 1 ([0, ∞) × [−π, π]) gilt.
Es gilt in diesem Fall
Z
Z
f (x, y) dx dy =
R2
Z
f (r cos ϕ, r sin ϕ)r dr dϕ.
[−π,π] [0,∞)
Man kann durch geeignete Festlegung eines Zweigs der arctan-Funktion, beliebige Intervalle der Form [a, a + 2π] für den “ϕ-Bereich” wählen.
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96
11 Transformation des Integrals
2. Gausßsche Funktionen
Theorem 11.10. Für a > 0 gilt
Z
π d2
2
.
e−a|x| dx =
a
Rd
Beweis. Satz von Fubini liefert:
Z
Z
Z
2
2
−a|x|2
Id,a := e
dx = · · · e−a(x1 +···+xd ) dx1 · · · dxd
Rd
R
Z
=
e
−ax21
dx1 · · ·
R
Z
R
2
d
e−axd dxd = Id,a
.
R
Nun bestimmen wir I2,a . Es gilt
Z
I2,a =
e
−a|x|2
dx
Polar.Koord
Z2πZ∞
=
re
0
R2
d/2
d
Daher gilt Id,a = I1,a
= I2,a =
−ar 2
−e−ar
dr dϕ = 2π
2a
0
2
∞
π
= .
a
r=0
π d/2
.
a
3. Kugelkoordinaten
Definiere h : R3 → R3 durch
h(r, ϕ, ϑ) = (r cos ϕ cos ϑ, r sin ϕ cos ϑ, r sin ϑ)> ∈ R3 ,
und setze
U : = (0, ∞) × (−π, π) × (− π2 , π2 )
V : = R3 \ ((−∞, 0] × {0} × R)
Dann ist h|U ein C 1 -Diffeomorphismus von U auf V mit


cos ϕ cos ϑ −r sin ϕ cos ϑ −r cos ϕ sin ϑ
h0 (r, ϕ, ϑ) =  sin ϕ cos ϑ r cos ϕ cos ϑ −r sin ϕ sin ϑ 
sin ϑ
0
r cos ϑ
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11.4 Beispiele und Anwendungen
97
(x, y, z)
r
ϑ
ϕ
Für die Jacobi-Determinante ergibt sich:
det h0 (r, ϕ, ϑ) = sin ϑ [r2 sin2 ϕ sin ϑ cos ϑ + r2 cos2 sin ϑ cos ϑ]
+r2 cos ϑ [cos2 ϕ cos2 ϑ + sin2 ϕ sin2 ϑ]
= · · · = r2 cos ϑ > 0
Wie im Fall von ebenen Polarkooridnaten erhalten wir das folgende Korollar:
Korollar 11.11. Eine Funktion f : R3 → R ist Lebesgue-integrierbar
⇐⇒ die Funktion (r, ϕ, ϑ) 7→ f (r cos ϕ cos ϑ, r sin ϕ cos ϑ)r2 cos ϑ ∈ L1 ([0, ∞)×
[−π, π] × [− π2 , π2 ]). Es gilt dann
Z
f (z) dz
R3
Z
Z
Z
=
f (r cos ϕ cos ϑ, r sin ϕ cos ϑ, r sin ϑ)r2 cos ϑ dϑ dϕ dr.
π
[0,∞) [−π,π] [− π
2,2]
Beweis. Verwende den Transformationssatz 11.8, den Satz von Fubini 10.6
und ähnliche Argumente wie für die Polarkooordinatentransformation.
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98
11 Transformation des Integrals
4. d-dimensionale Kugelkoordinaten
Analog zu Kugelkoordinaten führen wir die folgende Transformation ein. h :
Rd → Rd ist gegeben durch
h(r, ϕ1 , ϕ2 , . . . ϕd−1 ) = (x1 , x2 , . . . , xd ) mit
xd = r sin ϕd−1 ,
xd−1 = r cos ϕd−1 sin ϕd−2 ,
xd−2 = r cos ϕd−1 cos ϕd−2 sin ϕd−3 ,
..
.
x2 = r cos ϕd−1 cos ϕd−2 cos ϕd−3 · · · cos ϕ2 sin ϕ1 ,
x1 = r cos ϕd−1 cos ϕd−2 cos ϕd−3 · · · cos ϕ2 cos ϕ1 .
Dann ist
h : (0, ∞) × (−π, π) × ( π2 , π2 ) × ( π2 , π2 ) × · · · ( π2 , π2 ) → Rd
{z
}
|
d−2
ein C 1 -Diffeomorphismus. Die Jacobi-Determinante det h0 (r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) ist
cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 cos ϕ1
cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 sin ϕ1
.
..
cos ϕ
d−1 sin ϕd−2
sin ϕ
d−1
−r cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 sin ϕ1
r cos ϕd−1 · · · cos ϕ2 cos ϕ1
..
.
0
0
. . . −r sin ϕd−1 · · · cos ϕ2 cos ϕ1
. . . −r sin ϕd−1 · · · cos ϕ2 sin ϕ1
..
.
. . . −r sin ϕd−1 sin ϕd−2
. . . r cos ϕd−1
.
Daher erhält man
det h0 (r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) = rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 )
mit
Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) = det h0 (1, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ).
Man kann Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) durch Entwicklung der Determinante nach der
letzten Zeile genau bestimmen. So erhält man nach kurzer Rechnung:
det h0 (r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) = rd−1 (cos ϕd−1 )d−2 (cos ϕd−2 )d−3 · · · cos ϕ2 .
Im Folgenden werden wir aber den genauen Wert der Jacobi-Determinante
nicht verwenden.
Korollar 11.12. Eine Funktion f : Rd → K ist Lebesgue-integrierbar
⇐⇒ die Funktion
g(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) := f (h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ))rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 )
liegt in L 1 ([0, ∞) × [−π, π] × [ π2 , π2 ] × · · · [ π2 , π2 ]). Es gilt dann
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11.4 Beispiele und Anwendungen
99
Z
f (z) dz
Rd
Z
Z
Z
Z
···
=
f (h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ))rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 dr.
[0,∞) [−π,π] [− π
, π ] [− π
,π]
2 2
2 2
5. Rotationssymmetrische Funktionen
Eine Funktion f : Rd → C, d ≥ 2 heißt rotationssymmetrisch, falls ein
fe : [0, ∞) → C existiert mit f (x) = fe(|x|) für alle x ∈ Rd . Es ist leicht
zu sehen, dass fe messbar ist, falls f eine messbare rotationssymmetrische
Funktion ist.
Satz 11.13. Für eine messbare, rotationssymmetrische Funktion f gilt:
f ∈ L 1 (Rd ) ⇐⇒ [r 7→ rd−1 fe(r)] ∈ L 1 ([0, ∞)). In diesem Fall gilt
Z
Z
f (x) dx = σd−1
fe(r)rd−1 dr,
Rd
[0,∞)
wobei σd−1 > 0 nur von d und nicht von f abhängt.
Beweis. Sei f rotationssymmetrisch und fe wie in der Definition. Wir substituieren d-dimensionale Kugelkoordinaten und bemerken zuerst, dass
|h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 )| = r.
So erhalten wir
Z
Z
Z
Z
···
f (h(r, ϕ1 , . . . , ϕd−1 ))rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 )dϕd−1 . . .dϕ1dr
[0,∞) [−π,π] [− π
, π ] [− π
,π]
2 2
2 2
Z
Z
Z
Z
fe(r)rd−1 Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 dr
···
=
[0,∞) [−π,π] [− π
, π ] [− π
,π]
2 2
2 2
Z
fe(r)rd−1
=
Z
Z
Z
···
Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 dr
[−π,π] [− π
, π ] [− π
,π]
2 2
2 2
[0,∞)
Z
= σd−1
fe(r)rd−1dr,
[0,∞)
wobei
Def.
σd−1 :=
Z
Z
···
Z
Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 ) dϕd−1 . . . dϕ1 .
π
π π
[−π,π] [− π
2 , 2 ] [− 2 , 2 ]
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100
11 Transformation des Integrals
Um σd−1 zu bestimmen, könnten wir direkt die Form von Ad (ϕ1 , . . . , ϕd−1 )
verwenden, aber wir geben einen anderen, einfacheren, Zugang:
6. Berechnung von σd−1
d
Theorem 11.14. Für d ≥ 2 gilt σd−1 =
Γ weiter unten definiert ist.
2π 2
,
Γ(d
2)
wobei die Gamma-Funktion
2
Beweis. Sei a = 1 und betrachte Id,1 aus 11.4.2. Da e−|x| rotationssymmetrisch ist, gilt nach Satz 11.13
Z∞
Id,1 = σd−1
2
rd−1 e−r dr.
0
Nach Definition der Gamma-Funktion Γ (siehe unten) erhalten wir
Z∞
d
2
π = Id,1 = σd−1
r
d−1 −r 2
e
dr
s = r2
=
Z∞
σd−1
0
=
σd−1
2
s
d−1
2
1
e−s √ ds
2 s
0
Z∞
Def!
d
s 2 −1 e−s ds =
σd−1 d
Γ ( 2 ).
2
0
7. Die Gamma-Funktion
Für x > 0 ist das uneigentliche Riemann-Integral
Z∞
Γ (x) :=
sx−1 e−s ds
0
absolut konvergent und definiert die sogenannte Gamma-Funktion.
Anmerkung 11.15. 1. Γ (1) = 1.
2. Für x > 0 gilt Γ (x + 1) = xΓ (x).
3. Für n ∈ N, n ≥ 1 gilt Γ (n) = (n − 1)!.
8. Volumen der Einheitskugel
Für die Einheitskugel B := Bd (0, 1) gilt
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11.4 Beispiele und Anwendungen
101
ωd := λd (B) =
Z
1 dλd = σd−1
B
=
Z
rd−1 dr
[0,1]
d
2
d
2
2π
π
σd−1
=
=
,
d
dΓ ( d2 )
Γ ( d2 + 1)
da Γ (x + 1) = x Γ (x).
Korollar. Es gilt Γ ( 12 ) =
√
π.
Beweis. Bekannt ist ω3 = 43 π. Anderseits haben wir gerade die Identität
3
2π 2
ω3 =
3Γ ( 32 )
gesehen. Daraus folgt 12 Γ ( 12 ) = Γ ( 32 ) =
√
π
2 .
9. Volumina von Zylindern
Sei M ⊆ Rd Lebesgue-messbar und sei a ∈ Rd+1 . Betrachte den Zylinder
Z := (x, 0) + ta ∈ Rd+1 x ∈ M, t ∈ [0, 1]
mit Basis M und Kante a (vgl. Seite 10.3). Setze T : Rd+1 → Rd+1 , T (x, t) :=
(x, 0) + ta. Dann ist T : Rd+1 → Rd+1 eine lineare Abbildung für die gilt
Z = T (M × [0, 1]). Aus Theorem 11.5 folgern wir
λd+1 (Z)=| det T | · λd+1 (M × [0, 1]) = | det T | · λd (M ).
Für die Determinante von T hat man:
1 0 · · · 0 a1 ..
0 .
a2 .. = a .
..
det T = ...
d+1
.
. .
..
1 ad 0 · · · · · · 0 ad+1 Es gilt also
λd+1 (Z) = |ad+1 |λd (M ) = “Höhe × Fläche der Basis”
vgl. Seite 85.
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102
11 Transformation des Integrals
11.5 Beweis des Transformationssatzes
Lemma 11.16. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V eine C 1 -Abbildung. Dann
gilt:
a) h is lokal Lipschitz-stetig.
b) A ∈ L (Rd ) =⇒ h(A) ∈ L (Rd )
Beweis. ...kommt noch...
Lemma 11.17. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus,
W ⊆ U ein kompakter Würfel (d.h., ein Quader mit gleichen Kantenlängen).
Dann gilt
λd (h(W )) ≤ max | det h0 (x)| · λd (W ).
x∈W
Beweis. ...kommt noch...
Lemma 11.18. Seien U, V ⊂ fleqRd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus,
B ∈ L (Rd ) eine beschränkte Menge mit B ⊆ U . Dann gilt
min | det h0 (x)| · λd (B) ≤ λd (h(B)) ≤ max | det h0 (x)| · λd (B).
x∈B
x∈B
Beweis. ...kommt noch...
Lemma 11.19. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus.
Sei K ⊆ V kompakt. Dann gilt
Z
Z
Z
1K (y) dy =
| det h0 (x)| dx = (1K ◦ h)(x)| det h0 (x)| dx.
h−1 (K)
V
U
Beweis. ...kommt noch...
Lemma 11.20. Seien U, V ⊆ Rd offen, h : U → V ein C 1 -Diffeomorphismus.
Sei f ≥ 0 eine einfache Funktion.
Z
Z
f (y) dy = f ◦ h(x)| det h0 (x)| dx.
V
U
Beweis. ...kommt noch...
Beweis (des Transformationssatzes). Sei f ∈ L 1 (V ) und seien fn einfache
Funktionen mit fn → f und |fn | ↑ |f | punktweise (siehe Theorem 4.13). Nach
dem Satz von Beppo Levi, Theorem 5.6 und nach Lemma 11.20 gilt
Z
Z
|f (y)| dy = lim
|fn (y)| dy
n→∞
V
V
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11.5 Beweis des Transformationssatzes
Z
= lim
n→∞
103
|fn (h(x))| · | det h0 (x)| dx =
U
Z
|f (h(x))| · | det h0 (x)| dx.
U
Daher ist f ◦ h · | det h0 | ∈ L 1 (U ), und diese Funktion ist eine integrierbare
Majorante zu der Folge fn ◦h·| det h0 |. Da aber fn ◦h·| det h0 | → f ◦h·| det h0 |
punktweise konvergiert, folgt aus dem Theorem 5.25 von Lebesgue
Z
Z
f (y) dy = lim
fn (y) dy
n→∞
V
V
Z
= lim
n→∞
0
fn (h(x)) · | det h (x)| dx =
U
Z
f (h(x)) · | det h0 (x)| dx.
U
Umgekehrt nehmen wir an, dass f ◦ h · | det h0 | ∈ L 1 (U ). Da h−1 : V → U
ein C 1 -Diffeomorphismus ist, können wir schließen, dass
0
f ◦ h ◦ h−1 · | det h0 ◦ h−1 | · | det h−1 | ∈ L 1 (V ).
Laut Kettenregel gilt aber
0
f ◦ h ◦ h−1 · | det h0 ◦ h−1 | · | det h−1 | = f,
was den Beweis beendet.
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Kapitel 12
Das Flächenintegral
Ziel: Flächeninhalt gekrümmter Flächen; Integral auf gekrümmten Flächen.
12.1 Flächeninhalt eines Parallelotops
Definition 12.1 (Parallelotop). Es seien a1 , a2 , . . . , am ∈ Rd , m ≤ d. Das
von a1 , a2 , . . . , am erzeugte Parallelotop ist
P (a1 , a2 , . . . , am ) :=
m
nX
j=1
o
αj aj αj ∈ [0, 1], j = 1, . . . m .
Die Dimension des Parallelotops ist Rang(A), wobei A = (a1 , a2 , . . . , am ),
die Matrix mit Spalten a1 , . . . , am . (Kann also kleiner als m sein, wenn die
Vektoren a1 , . . . , am linear abhängig sind.)
Wir suchen eine Funktion
volm,d : Rm → [0, ∞),
welche die m-dimensionale Oberfläche von Parallelotopen P (a1 , . . . , am ) angibt.
Ist P = P (a1 , . . . , am ) ⊆ Rm × {0} ' Rm so können wir das m-dimensionale
Lebesgue-Maß von P in Rm bestimmen. Wir möchten, dass λm (P ) =
volm,d (P ) gilt. Ergänzen wir die Vektoren a1 , . . . am mit em+1 , . . . ed (die kanonischen Basisvektoren), so dass diese ej alle senkrecht zu Rm stehen. Dann
ist das Volumen (d-dimensionales Lebesgue-Maß) von
Q = P (a1 , . . . , am , em+1 . . . , ed )
gleich | det(B)|, wobei B die Matrix mit Spalten a1 , . . . , am , em+1 , . . . , ed ist
(vgl. Satz 11.5). Es gilt natürlich
104
12.2 Integral auf Flächenstücke
105
Q = P × [0, 1]d−m
und
det(B) = λd (Q) = λm (P )λd−m ([0, 1]d−m ) = λm (P ).
Sei C die Matrix mit Spalten em+1 , . . . , ed , so hat B die Blockmatrixform
B = (A C). Nun rechnen wir det(B) aus
>
>
A
A A
A> C
2
>
A C = det
det(B) = det(B B) = det
C>
C > A I(d−m)×(d−m)
>
A A
0
= det
= det(A> A),
0 I(d−m)×(d−m)
p
d.h. det(B) = det(A> A).
Sei nun P = P (a1 , . . . , am ) ⊆ Rd ganz allgemein, so bringen wir es durch eine
orthogonale Transformation O auf Rm ×{0}. Durch solche starre Bewegungen
soll der Flächeninhalt nicht geändert werden, also es muss
volm,d (P ) = volm,d (OP ) = volm,d (P (Oa1 , Oa2 , . . . , Oam ))
q
q
= det(A> O> OA) = det(A> A)
gelten. Somit haben wir den folgenden Satz motiviert.
Satz 12.2. Es gibt eine eindeutige Funktion volm,d : Rm → [0, ∞) mit Eigenschaften:
1. volm,d (a1 , a2 , . . . , λai , . . . am ) = |λ| · volm,d (a1 , a2 , . . . , ai , . . . , am ) für i =
1, . . . , m und λ ∈ R.
2. volm,d (a1 , a2 , . . . , ai + aj , . . . am ) = volm,d (a1 , a2 , . . . , ai , . . . am ) für i, j ∈
{1, . . . , m} mit i 6= j.
3. Für a1 , a2 , . . . , am ∈ Rd orthogonale Einheitsvektoren gilt
volm,d (a1 , a2 , . . . , am ) = 1.
Diese Funktion ist gegeben durch
volm,d (a1 , a2 , . . . , am ) =
q
det(A> A)
(hier ist A die d × m-Matrix mit Spalten a1 , a2 , . . . , am ∈ Rd ).
12.2 Integral auf Flächenstücke
Definition 12.3. a) Sei Ω ⊆ Rm offen. Dann heißt γ ∈ C1 (Ω; Rd ) eine Immersion oder eine reguläre Parameterdarstellung, falls für alle x ∈ Ω
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106
12 Das Flächenintegral
γ 0 (x) : Rm → Rd
injektiv ist (d.h. falls der Rang γ 0 (x) = m für alle x ∈ Ω). Dabei heißt
γ(Ω) ein Flächenstück.
b) Eine Immersion γ : Ω → Rn ist eine Einbettung, wenn γ : Ω → U :=
γ(Ω) ein Homöomorphismus (d.h. stetig und stetig invertierbar) ist.
Definition 12.4 (Maßtensor einer Immersion).
a) Sei A : Rm → Rd linear. Definiere eine quadratische Form q auf Rm durch
q(x) := qA> A (x) := hAx, Axi = x> A> Ax,
x ∈ Rm .
Falls A injektiv ist, so ist q positiv definit. [Denn x 6= 0 =⇒ Ax 6= 0 =⇒
q(x) > 0.] Die Matrix A> A heißt der durch h·, ·i (Skalarprodukt auf Rd )
induzierte Maßtensor von A oder auch Gramsche Matrix von A.
b) Sei speziell A := γ 0 (x) und γ Immersion, x ∈ Ω. Dann heißt die induzierte quadratische Form q auf Rd metrische Fundamentalform mit
Matrixdarstellung γ 0 (x)> γ 0 (x). Diese d × d-Matrix heißt Gramsche Matrix oder auch Maßtensor. Die quadratische Form q ist positiv definit, da
γ 0 nach Voraussetzung injektiv ist. Wir setzen
gγ (x) = det(γ 0 (x)> γ 0 (x)),
die s.g. Grammsche Determinante. (Übrigens ist gγ (x) ≥ 0, und beschreibt die lokale Verzerrung des Flächeninhalts.)
Definition 12.5. Sei γ : Ω → U eine Einbettung. Eine Funktion f : U → C
heißt integrierbar über U , wenn die Funktion
(f ◦ γ) ·
Der Ausdruck
√
gγ
über Ω integrierbar ist.
Z
Z
f dσ :=
U
f (γ(x)) ·
q
gγ (x) dx
Ω
heißt (m-dimensionales) Flächenintegral von f auf U . Ist die Funktion 1
über U integrierbar, so heißt
Z
Z q
σ m (U ) := 1 dσ =
gγ (x) dx
U
Ω
der Flächeninhalt oder das m-dimensionale (Oberflächen-)Maß von
U . (Manchmal schreibt man nur σ bzw. nur dσ, wenn die Dimension aus
dem Kontext klar ist.)
Anmerkung 12.6. Es seien γi : Ωi → U Einbettungen für i = 1, 2. Es gilt
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12.3 Beispiele
Z
107
f (γ1 (x)) ·
q
Z
gγ1 (x) dx =
Ω1
f (γ2 (x)) ·
q
gγ2 (x) dx.
Ω2
Damit ist die obige Definition von der Parametrisierung unabhängig.
Beweis. Sei Φ : γ1−1 ◦ γ2 : Ω2 → Ω1 . Man zeigt, dass Φ ein C1 -Diffeomorphismus ist (also sind Φ und Φ−1 C1 -Abbildungen). Dann gilt γ1 ◦φ = γ2 , und so
folgt γ20 = (γ10 ◦ Φ)Φ0 aus der Kettenregel. Daher gilt gγ2 = det(Φ0> ((γ10> γ10 ) ◦
Φ) · Φ0 ) = (det Φ0 )2 gγ1 ◦ Φ. Der Transformationssatz 11.8 liefert
Z
Z
q
q
f (γ1 (x)) · gγ1 (x) dx = f (γ1 (Φ(x))) gγ1 (Φ(x))det Φ0 (x) dx
Ω2
Ω1
Z
q
f (γ2 (x)) gγ1 (Φ(x))det Φ0 (x) dx
=
Ω2
Z
q
f (γ2 (x)) gγ2 (x) dx.
=
Ω2
12.3 Beispiele
1. Bogenlänge, Kurveintegral.
Sei γ : I → Rd eine Einbettung, I = (a, b), U = γ(I). Dann heißt U reguläre
>
Kurve. Es gilt γ 0 · γ 0 = |γ 0 |2 , also
Zb
Z
f dσ =
U
f (γ(t))|γ 0 (t)| dt,
a
das s.g. Kurvenintegral.
2. Zweidimensionale Flächen in R3 .
Sei Ω ⊆ R2 , γ : Ω → R3 eine Einbettung. Dann gilt


γ1 (x, y)
γ(x, y) = γ2 (x, y) .
γ3 (x, y)
mit Koordinatenfunktionen γ1 , γ2 , γ3 . Daraus bekommt man
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108
12 Das Flächenintegral


∂x γ1 ∂y γ1
γ 0 = ∂x γ2 ∂y γ2 
∂x γ3 ∂y γ3
und somit

2 2 2
∂x γ1 + ∂x γ2 + ∂x γ3

∂
γ
∂
γ
+
∂
γ
∂
γ
+
∂
γ
∂
γ
x
1
y
1
x
2
y
2
x
3
y
3
>
.
γ0 γ0 = 
2 2 2
∂x γ1 ∂y γ1 + ∂x γ2 ∂y γ2 + ∂x γ3 ∂y γ3
∂y γ1 + ∂y γ2 + ∂y γ3
So erhält man durch etwas Rechnen
2
>
gγ = det(γ 0 γ 0 ) = ∂x γ × ∂y γ (Kreuzprodukt).
3. Fundamentaltensor von Graphen.
Sei Ω ⊆ Rd−1 offen und f ∈ C1 (Ω; R). Wir definieren dadurch eine Einbettung
x
, x ∈ Ω.
γ : Ω → Rd γ(x) = f (x)
p
p
1 + |f 0 (x)|2 . Um dies zu zeigen brauchen wir den
Dann gilt gγ (x) =
folgenden Begriff.
Definition 12.7 (Äusseres Produkt). Es seien a1 , a2 , . . . , ad−1 ∈ Rd . Betrachte die d × (d − 1)-Matrix A mit Spalten a1 , a2 , . . . , ad−1 , und deren
(d − 1) × (d − 1) Teilmatrizen Aj , welche aus A durch Weglassen der j-ten
Zeile entstehen. Setze αj := (−1)j+1 det(Aj ). So definiert man das äussere
Produkt a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 der Vektoren a1 , a2 , . . . , ad−1 durch
a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 := (α1 , α2 , . . . , αd )> ∈ Rd .
Lemma 12.8. Sei b ∈ Rd und betrachte die Matrix Bb mit Spalten b,
a1 , . . . , ad−1 .
a) Es gilt det(Bb ) = hb, a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 i.
b) Für j = 1, . . . , d − 1 steht aj senkrecht zu a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 , d.h.
haj , a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 i = 0.
c) Sei A die (d − 1) × d-matrix mit Spalten a1 , . . . , ad−1 . Dann gilt
2
det(A> A) = a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 .
Beweis. a) Man entwickelt det(Bb ) nach der ersten Spalte:
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12.3 Beispiele
(12.1)
109
det(Bb ) =
d
X
(−1)j+1 bj det(Aj ) = hb, a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 i.
j=1
b) Für b = aj (j = 1, . . . , d − 1) hat Bb zwei gleiche Spalten, somit gilt
det(Bb ) = 0 nach Teil a).
c) Wählt man nun b := a1 ∧a2 ∧· · ·∧ad−1 , so erhält man für Bb das Folgende:
>
>
b
b b 0
b
A
B>B =
=
.
A>
0 A> A
Somit gilt
(det(B))2 = det(B > B) = |b|2 det(A> A).
Aus (12.1) wissen wir |b|2 = det(B) und daher folgt |b|2 det(A> A) = |b|4 .
Daraus folgt die Behauptung, falls |b| 6= 0. Ist b = 0, so sind det(Aj ) in der
Definition von a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 alle gleich 0. D.h. Rang(A) < m und somit
folgt Rang(A> A) < m und det(A> A) = 0.
x
Nun zurück zu unserem ursprünglichen Problem. Für γ(x) = f (x)
gilt

1
0
0
..
.
0
1
0
..
.
0 ···
0 ···
1 ···
..
.
0
0
0
..
.









0
γ =
.




 0 0 0 ···
1 
∂1 f ∂2 f ∂3 f . . . ∂d−1 f
Sei nun A := γ 0 (x), und bezeichne die Spalten von A mit a1 , a2 , . . . , ad−1 .
Mit Hilfe vom Lemma 12.8 ist es leicht zu zeigen, dass


∂1 f (x)
 ∂2 f (x) 



..
d
a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 = (−1) 
 gilt.
.


∂d−1 f (x)
−1
Aus den obigen Überlegungen folgt dann
q
p
√
gγ = det(A> A) = |a1 ∧ a2 ∧ · · · ∧ ad−1 | = 1 + |f 0 (x)|2 ,
d.h. die Behauptung.
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110
12 Das Flächenintegral
4. Integration über (geschlitze) Sphäre.
Betrachte die Sphäre
Sr2 := x ∈ R3 |x|2 = r
und die Menge A := (x, 0, z) ∈ Sr2 x ≤ 0 .
Die längs A geschlitzte Sphäre Sr2 \ A hat die reguläre Parameterdarstellung


cos θ cos ϕ
γ(ϕ, θ) = r  cos θ sin ϕ  ∈ R3 , (ϕ, θ) ∈ Ω := (−π, π) × (− π2 , π2 ).
sin θ
So gilt
0
> 0
2
cos2 θ 0
0 1
γ (ϕ, θ) γ (ϕ, θ) = r
q
gγ (ϕ, θ) = r2 cos θ.
und somit
Für f : Sr2 \ A → C gilt also
π
Z
f dσ = r2
Sr2 \A
Z
f (γ(ϕ, θ)) cos θ d(ϕ, θ) = r2
Zπ Z2
−π
Ω
f (γ(ϕ, θ)) cos θ dθ dϕ.
−π
2
Für f = 1 ergibt sich
π
σ2 (Sr2 \ A) = r2
Z2 Zπ
cos θ dϕ dθ = 4πr2 ,
−π
−π
2
die Oberfläche der (geschlitzen) Sphäre.
5. Oberfläche der d-Sphäre.
Für d ≥ 1 setze
d
S d := x ∈ Rd+1 |x| = 1
und S+
:= x ∈ S d xd+1 > 0 .
d
Dann heißt S d die d-dimensionale Sphäre (d-Sphäre). Die Menge S+
ist darp
2
stellbar als Graph von f : Ω → R, f (x) = 1 − |x| ,
Ω := x ∈ Rd |x| < 1 = Bd (0, 1).
Es gilt
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12.3 Beispiele
111
f 0 (x) = √−x1
1−|x|2
1−|x|2
Damit gilt für die Einbettung γ(x) =
r
q
gγ (x) = 1 +
|x1 |2
1−|x|2
, . . . , √−xd
, √−x2
+
1−|x|2
.
x
f (x)
|x2 |2
1−|x|2
+ ··· +
|xd |2
1−|x|2
=
q
1
1−|x|2 .
Wegen Rotationssymmetrie gilt nach 11.4
σ
d
d
(S+
)
Z q
Z1
rd−1
√
dσ =
gγ (x) dx = σd−1
dr.
1 − r2
Z
=
0
Ω
d−1
S+
Ferner gelten
Z1
(12.2)
0
Z1
(12.3)
0
rd+1
√
dr
1 − r2
Part.Int.
=
Z1
d
rd−1
p
1 − r2 dr,
0
rd+1
√
dr =
1 − r2
Z1
0
Z1
=
0
r2 rd−1
√
dr =
1 − r2
rd−1
√
dr −
1 − r2
Z1
0
Z1
rd−1
(1 − r2 )rd−1
√
− √
dr
1 − r2
1 − r2
rd−1
p
1 − r2 dr.
0
So erhalten wir aus (12.2) und (12.3)
1
Z1
(d + 1)
r
d−1
Z
p
rd−1
√
1 − r2 dr =
dr.
1 − r2
0
0
Aber wieder wegen Rotationssymmetrie gilt
Z1
σd−1
rd−1
0
Z p
p
1 − r2 dr =
1 − |x|2 dx = 21 λd+1 (Bd+1 (0, 1)) = 12 ωd+1 .
Ω
So erhält man (siehe auch 11.4)
d+1
d
σ d (S+
)=
d+1
d+1
π 2
d+1
ωd+1 =
=
d+1
2
2 Γ ( 2 + 1)
2
d+1
d+1
π 2
π 2
=
.
d+1
d+1
Γ ( d+1
2 Γ( 2 )
2 )
d
) gilt (nur anschaulich klar, σ d (S d ) haben wir noch nicht
Da σ d (S d ) = 2σ d (S+
definiert!), erhalten wir
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112
12 Das Flächenintegral
d+1
π 2
σ (S ) = 2 d+1 = σd ,
Γ( 2 )
d
d
siehe Abschnitt 11.4.6.
12.4 Untermannigfaltigkeiten des Rd
Definition 12.9. a) Sei ∅ =
6 M ⊆ Rd . M heißt m-dimensionale (C1 -) Untermannigfaltigkeit von Rd , falls für alle a ∈ M eine offene Umgebung
U ⊆ Rd von a existiert, sowie ein C1 -Diffeomorphismus ϕ : U → V auf
eine offene Teilmenge des Rd mit
ϕ(M ∩ U ) = V ∩ (Rm × {0}).
(Ist m = d so interpretiert man Rm × {0} als Rd . D.h. d-dimensionale
Untermannigfaltigkeiten des Rd sind einfach die offenen Teilmengen von
Rd .)
b) Ein solcher Diffeomorphismus ϕ heißt Karte für M , und M ∩ U heißt
deren Kartengebiet.
c) (d − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeiten des Rd heißen Hyperflächen.
U
Rd−m
U ∩M
V
ϕ
−→
V ∩ (Rm × {0})
Rm
M
Satz 12.10. Sei f : Ω → Rn eine C1 -Abbildung wobei Ω ⊆ Rm offen ist.
Dann ist
Graph f = (x, f (x)) x ∈ Ω ⊆ Rm+n
eine m-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rm+n .
Beweis. Sei U := Ω×Rn , und ϕ : U → Rm ×Rn , ϕ(x, y) = (x, y−f (x)). Dann
ist ϕ ein Diffeomorphismus mit ϕ(U ) ⊆ U und ϕ(U ∩ Graph f ) = Ω × {0}.
Definition 12.11. Sei U ⊆ Rd und f : U → Rn differenzierbar. Dann heißt
x ∈ U regulärer Punkt von f , falls f 0 (x) : Rd → Rn surjektiv ist, sonst
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12.4 Untermannigfaltigkeiten des Rd
113
heißt x singulärer (oder kritischer) Punkt. Weiterhin heißt c ∈ Rn regulärer Wert von f , falls alle Elemente von f −1 ({c}) reguläre Punkte sind
(sonst heißt c singulärer (oder kritischer) Wert).
Anmerkung 12.12. 1. Ist d < n, so kann die lineare Abbildung f 0 (x) :
Rd → Rn nicht surjektiv sein. Also sind alle Punkte x ∈ Rd singulär.
2. Ist y ∈ Rn ein regulärer Wert von f , so hat f 0 (x) in allen Punkten x ∈
f −1 ({y}) den Rang n.
3. Der Satz von Morse–Sard besagt, dass singuläre Werte von Ck -Abbildungen in Rn eine λn -Nullmenge bilden (für k ≥ max{d − n + 1, 1}).
Theorem 12.13 (Implizite Funktion). Sei W ⊆ Rm × Rn offen und f :
W → Rn stetig differenzierbar. Ferner sei (x0 , y0 ) = z0 ∈ W eine Nullstelle
von f , d.h., f (x0 , y0 ) = 0. Sei ∂yf (x0 , y0 ) : Rn → Rn invertierbar. Dann gibt
es offene Mengen U ⊆ Rm , V ⊆ Rn mit (x0 , y0 ) ∈ U ×V ⊆ W und eine stetig
differenzierbare Abbildung g : U → V derart, dass für alle (x, y) ∈ U × V gilt
f (x, y) = 0 ⇐⇒ y = g(x).
Theorem 12.14 (Satz vom regulären Wert). Sei U ⊆ Rd offen, f ∈
C1 (U ; Rn ), c ∈ Rn sei regulärer Wert von f , so dass f −1 ({c}) 6= ∅. Dann ist
M = f −1 ({c}) eine Untermannigfaltigkeit des Rd der Dimension m = d − n.
Beweis. Verwende den Satz über implizite Funktionen 12.13.
Beispiel 12.15. Wir betrachten die
Funktion f : R×R → R definiert durch
f (x, y) = (x2 + y 2 )2 − 8xy.
Es ist leicht zu zeigen, dass (0, 0),
(1, 1) und (−1, −1) die einzige regulären Punkte von f sind und, dass
c = 0 und c = −4 die singuläre
Werte von f sind. Für c < −4 gilt
f −1 ({c}) = ∅. Für c = −4 hat die Gleichung f (x, y) = c genau zwei Lösungen (die zwei globale Minimalstellen
von f ). Diese sind (−1, −1) und (1, 1).
Für c ∈ (−4, 0) ∪ (0, ∞) ist die Niveaumenge f −1 ({c}) eine 1-dimensionale
Untermannigfaltigkeit des R2 .
Die Niveaumengen f −1 ({c}) sind auf der rechten Seite für unterschiedliche
Werte von c gezeichnet. Für c = 0 bekommt man die Kurve mit einer “Kreuzung” im (0, 0), diese Niveaumenge ist also keine Untermannigfaltigkeit. Für
c ∈ (−4, 0) ist die Untermannigfaltigkeit f −1 ({c}) unzusammenhängend (die
zwei Komponente sind zum Ursprung zentralsymmetrisch).
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114
12 Das Flächenintegral
Korollar 12.16. a) Sei n = 1 in Theorem 12.14 und f 0 (x) 6= 0 für alle x ∈
f −1 ({c}). Dann ist f −1 ({c}) eine Hyperebene des Rd (falls f −1 ({c}) 6= ∅).
b) Die d-Sphäre
S d := {x ∈ Rd+1 | |x| = 1}
ist eine Hyperfläche (d-dimensionale Untermannigfaltigkeit) des Rd+1 .
Beweis. a) ist klar.
b) Betrachte die C1 -Abbildung f : Rd+1 → R, f (x) = |x|2 . Es gilt
S d = f −1 ({1}).
Da f 0 (x) = 2x 6= 0 für alle x ∈ f −1 ({1}), ist 1 ein regulärer Wert von f und
12.14 liefert die Behauptung.
Satz 12.17. Sei M eine d-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rd . Dann
ist jedes Kartengebiet U ⊆ M das Bild einer offenen Menge Ω ⊆ Rd unter
einer Einbettung γ : Ω → Rd .
Beweis. Sei ϕ : G → V eine Karte und U = G∩M , G ⊆ Rd offen. Sei Ω ⊆ Rd
derart, dass Ω × {0} = V ∩ (Rd × {0}). Setze γ(x) := ϕ−1 (x, 0). Dann ist
γ : Ω → Rd eine Einbettung mit U = γ(Ω) (der Rang von γ 0 (x) ist gleich d
für alle x ∈ Ω).
12.5 Integration auf Untermannigfaltigkeiten
Theorem 12.18 (Zerlegung der Eins). Sei M eine Untermannigfaltigkeit
des Rd und
∞
[
M=
Uj
j=1
eine offene Überdeckung mit Kartengebieten Uj (solche Überdeckungen heißen
Atlas). Zusätzlich nehmen wir an, dass die Überdeckung lokal finit (oder:
lokal endlich) ist, d.h., für alle x ∈ M existiert eine Umgebung Vx , die
nur endlich viele der Mengen Uj , j = 1, 2, . . . schneidet. Dann existieren
Funktionen ψj : M → R, j ∈ N mit den Eigenschaften:
(1) 0 ≤ ψj ≤ 1,
(2) supp ψj ⊆ Uj , d.h., existiert eine Vj ⊆ Uj offen mit V j ⊆ Uj und ψj (x) =
0 für alle x ∈ M \ V j ,
(3) Für alle x ∈ M gilt
∞
X
ψj (x) = 1.
j=1
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12.5 Integration auf Untermannigfaltigkeiten
115
(4) ψj : Uj → R ist differenzierbar, d.h., ψj ◦ γi : Ωi → R ist für i, j ∈ N
differenzierbar (wobei γi : Ωi → Ui eine Einbettung ist, welche nach Satz
12.17 existiert).
Anmerkung 12.19. a) Man kann zeigen, dass Überdeckungen mit den im
Satz stehenden Eigenschaften immer existieren.
b) Das System (ϕj )j∈N heißt der Überdeckung untergeordnete Zerlegung der Eins zu M .
c) Ist M kompakt, so kann man aus der abzählbaren Überdeckung eine endliche auswählen.
Definition 12.20 (Integral auf Untermannigfaltigkeiten). Sei M eine
Untermannigfaltigkeit des Rd und f : M → R (oder C) eine Funktion. Betrachte eine Überdeckung (Uj )j∈N von M und eine zu dieser Überdeckung
untergeordnete Zerlegung der Eins (ϕj )j∈N aus Theorem 12.18. Betrachte
ferner die Einbettungen γj : Ωj → Uj aus Satz 12.17.
a) Ist f ≥ 0 so setzt man
Z
f dσ :=
∞ Z
X
j=1U
M
f ϕj dσ =
∞ Z
X
f (γj (x))ϕj (γj (x))
q
gγj (x) dx.
j=1Ω
j
j
b) Die Funktion heißt integrierbar auf M , falls die Funktionen f ·ϕj : Uj →
C, j ∈ N, alle integrierbar sind, und falls
∞ Z
X
j=1U
j
|f |ϕj dσ =
∞ Z
X
j=1Ω
j
|f (γj (x))|ϕj (γj (x))
q
gγj (x) dx < ∞ gilt.
In diesem Falls definiert man das Flächenintegral von f auf M durch
Z
f dσ :=
M
∞ Z
X
f ϕj dσ.
j=1U
j
c) Für A ⊆ M Borel-Menge (A ∈ B(M )) definieren wir
Z
σM (A) := 1A dσ,
M
das Oberflächenmaß von A.
Anmerkung 12.21. 1. Es ist möglich zu zeigen, dass der Begriff “f ist integrierbar” und “das Integral von f über M ” beide von der Wahl der Überdeckung und der Zerlegung der Eins unabhängig sind.
2. σM : B(M ) → R ist ein Maß auf M , und für positive Borel-messbare
Funktionen gilt
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116
12 Das Flächenintegral
Z
Z
f dσM =
M
f dσ
M
(auf der linken Seite steht also Integral bzgl. des Maßes σM , auf der rechten
Seite das Flächenintegral auf M ).
3. Es gilt
L 1 (M, B(M ), σM ; C)
= f ist Borel-messbar und integrierbar im Sinne des Flächenintegrals ,
und für f ∈ L 1 (M, B(M ), σM ; C) gilt
Z
Z
f dσM = f dσ.
M
M
4. Die Sätze von Lebesgue, Fatou und Beppo Levi, usw. gelten für das Flächenintegral.
12.6 Der Satz von Gauß
Definition 12.22. Sei M ⊆ Rd Untermannigfaltigkeit des Rd und x0 ∈ M .
Wir nennen a ∈ Rd Tangentialvektor an M in x0 , falls eine C1 -Kurve
γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = x0 und γ 0 (0) = a existiert. Die Menge
Tx0 M := a ∈ Rd a ist Tangentialvektor an M in x0
heißt Tangentialraum von M im Punkt x0 .
Lemma 12.23. Sei M eine m-dimensionale Untermannigfaltigkeit des Rd ,
und sei x0 ∈ M . Dann gelten die folgenden Aussagen:
a) Tx0 M ist ein m-dimensionaler Untervektorraum des Rd .
b) Ist U ⊆ Rd offen, f ∈ C1 (U ; Rn ), c ∈ Rn regulärer Wert von f und
∅=
6 M = f −1 ({c}), so gilt
Tx0 M = ker f 0 (x0 ) = a ∈ Rd f 0 (x0 )a = 0 .
c) Sei Nx0 M := (Tx0 M )⊥ (das Orthogonalkomplement von Tx0 M ). Dann ist
Nx0 M ein Untervektorraum von Rd der Dimension n = d − m, und heißt
der Normalenraum in x0 .
d) Unter den Bedingungen in b) bilden f10 (x0 )> , · · · , fn0 (x0 )> eine Basis im
Nx0 M . (Hier ist f : Rd → Rn , f = (f1 , . . . , fn )> ).
Beweis. ...kommt noch...
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12.6 Der Satz von Gauß
117
Definition 12.24. Sei K ⊆ Rd kompakt. Wir sagen, dass K glatten Rand
(genauer: C1 -Rand) hat, falls für alle x0 ∈ ∂K eine offene Umgebung U ⊆ Rd
von x0 und ϕ ∈ C1 (U ; R) existiert mit:
K ∩ U = x ∈ U ϕ(x) ≤ 0 und ϕ0 (x) 6= 0 für alle x ∈ U .
Anmerkung 12.25. Sei K ⊆ Rd kompakt mit glattem Rand.
1. Es gilt
∂K ∩ U = x ∈ U ϕ(x) = 0 .
2. Die Menge ∂K ⊆ Rd ist kompakt und eine Untermannigfaltigkeit des Rd ,
d.h. eine kompakte Hyperfläche. Für jedes x0 ∈ ∂K existiert genau ein
Vektor ν(x0 ) ∈ Rd mit den folgenden Eigenschaften:
(1) ν(x0 ) ∈ Nx0 ∂K,
(2) |ν(x0 )| = 1,
(3) es existiert ε > 0, so dass x0 + tν(x0 ) 6∈
K für alle t ∈ (0, ε).
Außerdem ist die Abbildung
ν : ∂K → R
∂K
K
d
x0
ν(x0 )
stetig, sie heißt Normaleneinheitsfeld.
Der Vektor ν(x0 ) nennen wir den Normaleneinheitsvektor an x0 .
Notationen
a) Die Ableitung einer Funktion f : Rd → Rn an der Stelle x ist eine lineare
Abbildung
f 0 (x) : Rd → Rn ,
also eine n × d-Matrix. Der Gradient von f an der Stelle x ist
grad(f ) = ∇f (x) = f 0 (x)> : Rn → Rd .
Für den Gradienten gilt also
f 0 (x)y = hy, ∇(x)i.
b) Die Divergenz von f : Rd → Rd (f = (f1 , f2 , . . . , fd )> ) ist definiert
durch
div f := ∂1 f1 + ∂2 f2 + · · · + ∂d fd .
Rein formal gilt “div f = h∇, f i”.
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118
12 Das Flächenintegral
c) Der Laplace-Operator ∆ ist definiert durch
∆f := ∂12 f + ∂22 f + · · · + ∂d2 f,
also ∆f = div ∇f .
Theorem 12.26 (Satz von Gauß). Sei K ⊆ Rd kompakt mit glattem Rand,
ν : ∂K → Rd äußeres Normaleneinheitsfeld. Ferner sei K ⊆ U ⊆ Rd , U offen
und F ∈ C1 (U ; Rd ). Dann gilt
Z
Z
d
div F dλ = hF, νi dσ.
K
∂K
Korollar 12.27 (Partielle Integration in Rd ). Seien K, U ⊆ Rd wie im
Satz 12.26. Ferner seien g ∈ C1 (U ; R) und F ∈ C1 (U ; Rd ). Dann gilt
Z
Z
Z
d
g div F dλ =
ghF, νi dσ − hgrad g, F i dλd .
K
K
∂K
Beweis. Verwende den Satz von Gauß 12.26 für das Vektorfeld gF , und bemerke div(gF ) = g div F + hgrad g, F i.
Korollar 12.28 (Die Green-Formeln). Seien K, U ⊆ Rd wie im Satz
12.26. Ferner seien f, g ∈ C2 (U ; R). Dann gilt
Z
Z
Z
hgrad f, grad gi dλd =
I.
g∂ν f dσ − g∆f dλd ,
K
∂K
Z
II.
K
d
(f ∆g − g∆f ) dλ =
Z
K
(f ∂ν g − g∂ν f ) dσ,
∂K
wobei ∂ν g(x) = hgrad f (x), ν(x)i die Ableitung in Normalenrichtung bezeichnet.
Beweis. Die erste Formel folgt aus Korollar 12.27 mit der Wahl F = grad(f ) .
Die zweite Formel erhält man indem man die erste Formel für f und g bzw. g
und f aufschreibt und die so entstandenen Gleichungen subtrahiert.
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Sachverzeichnis
Fσ -Menge, 9
Gδ -Menge, 9
∩, ∪, \-stabil, 4
∞-Norm, 71
µ-fast überall, 36
σ-Algebra, 4
σ-Ring, 4
σ-Subadditivität, 15
σ-additiv, 13
σ-endlicher Maßraum, 13
ϕ-messbar, 56
d-dimensionale Kugelkoordinaten, 97
äußeres Lebesgue-Maß, 64
Satz der monotonen Konvergenz, 33
Volumen der Einheitskugel, 83
Algebra (von Mengen), 4
Approximationssatz, 29
Borel-σ-Algebra, 8
Borel–Lebesgue-Maßraum, 14
Borel-Maß, 22
Borel-Menge, 8
Cantor-Menge, 20
Carathéodory-messbar, 56
Cauchy–Bunjakowski–SchwarzUngleichung, 44
Cauchy–Schwarz-Ungleichung, 44
Cavalierisches Prinzip, 82
charakteristische Funktion, 28
Clarkson-Ungleichungen, 45
Diffeomorphismus, 93
Dirac-Maß, 14
Disjunktisierung, 6
dominierte Konvergenz, 40
einfache Funktion, 28
endlich additiv, 15
endlicher Maßraum, 13
endliches Maß, 13
erzeugte σ-Algebra, 7
fast überall, 36
Fatou-Lemma, 35
Gauß-Funktion, 95
Grammsche Determinante, 105
Grundmenge, 4
Halbstetigkeit, 74
Indikatorfunktion, 28
Integral, 30
Integral messbarer Funktionen, 37
integrierbare Funktion, 37
Intervall, 62
Jensen-Ungleichung, 45
Kugelkoordinaten, 95
Kurvenintegral, 106
Lebesgue-Integral, 30, 37
Lebesgue-Maß, 14, 64
Lebesgue-Maßraum, 64
Lebesgue-Menge, 64
Lebesgue-messbare Menge, 64
Lipschitz-stetig, 71
lokal Lipschitz-stetig, 71
maßerhaltend, 89
119
120
maßtreu, 89
Maßraum, 13
messbare Abbildung, 25
messbare Funktion, 25
messbarer Raum, 4, 25
messbares Rechteck, 76
Minkowski-Ungleichung, 44
monoton, 15
Nullmenge, 19
obere/untere Einhüllende, 74
oberhalbstetig, 74
Parallelotop, 103
Polarkoordinaten, 93
Potenzmenge, 4
Produkt von Maßräumen, 78
Produkt-σ-Algebra, 78
Produktmaß, 78
Punktmaß, 14
Quader, 62
Rechteck, 62
reguläres Maß, 24
Riemann-Integral, 73
Ring (von Mengen), 4
rotationssymmetrische Funktion, 98
Satz von Beppo Levi, 33
Sachverzeichnis
Schnitt einer Menge, 79
Standard-Darstellung, 29
Stetigkeit von oben, 16
Stetigkeit von unten, 15
Theorem von Carathéodory, 56
Theorem von Fubini, 79
Theorem von Fubini–Tonelli, 81
Theorem von Hahn, 54
Theorem von Lebesgue, 40
Theorem von Tonelli, 80
Transformationssatz, 93
Translationsinvarianz, 14, 66
unterhalbstetig, 74
Vitali-Menge, 3
vollständiger Maßraum, 19
vollständiges Produkt von Maßräumen, 78
Volumen eines Kegels, 85
Volumen eines Quaders, 62
Volumen eines Zylinders, 84
Volumen von Kugel, 99
Volumen von Zylinder, 100
Wahrscheinlichkeitsmaß, 13
Wahrscheinlichkeitsraum, 13
Young-Ungleichung, 43
Zählmaß, 14
compiled: 20-Feb-2017/11:01