PDF-Download - Schweizerische Alzheimervereinigung

1.2015
Bulletin für die Gönnerinnen
und Gönner der Schweizerischen
Alzheimervereinigung
Februar 2015
Zu Hause gut betreut
Lilly Geiger lebt seit über 50 Jahren in ihrem
Haus am Bodensee. Dank einer engmaschigen
Betreuung kann sie trotz Demenz in der
­gewohnten Umgebung bleiben.
”
Was morgen sein
wird, wissen wir
nicht. Doch damit
können wir gut
leben.
Markus Geiger
Aus dem Inhalt
Lilly Geiger begrüsst uns an der Türe
ihres Hauses. Sie ist sorgfältig frisiert
und trägt einen schönen roten Pullover. Freundlich und etwas zurückhaltend reicht sie den Besuchern die
Hand. Die Pflegerin von der Privatspitex ist auch da. Wir setzen uns an den
Tisch im Wohnzimmer des stilvollen,
schön dekorierten Hauses.
«Hier findet sich meine Mutter
noch gut zurecht», erklärt uns ihr Sohn
Markus, als er uns in seinem Auto zu
ihr chauffiert. «An einem neuen Ort
hingegen kann sie sich nur noch
schwer orientieren.» Lilly Geiger ist
86 Jahre alt. Sie ist an Demenz erkrankt. Damit sie so lange wie möglich in ihrem Haus bleiben kann, in
dem sie die Kinder grossgezogen hat,
schaut ihr Sohn zusammen mit seinen zwei Schwestern zu ihr.
Lilly Geiger besucht zweimal in der
Woche das Tagesangebot der MemoryKlinik. «Dort helfe ich beim Kochen»,
erzählt sie, «und danach singen wir.»
Früher konnte sie selbständig hingehen. Seit sie einmal nicht dort eingetroffen ist, bringt der Rotkreuz-Fahrdienst sie hin.
Soziales Netz
Damit Frau Geiger in der gewohnten Umgebung bleiben kann, haben
ihre Kinder einen engmaschigen Betreuungsplan aufgestellt: Am Morgen
kommt jeweils eine Pflegerin der Privatspitex und bleibt an den Tagen, an
denen Lilly Geiger nicht in die Memory-Klinik geht, bis nach dem Mittagessen. Am Nachmittag ist Frau Geiger alleine. Am Abend schaut jeweils eines
ihrer Kinder vorbei. Auch die Wochen-
Tagungsbericht:
Alleine leben mit Demenz
Im Akutspital:
Ein Pilotprojekt in Uri/Schwyz
enden teilen sich die Geschwister auf.
Ein detaillierter und stets aktualisierter
Plan führt alle Termine auf.
Lilly Geiger geht nur noch selten
alleine aus dem Haus. Und wenn,
dann ruft auch mal ein Nachbar an
und lässt Markus Geiger wissen, dass
er seine Mutter angetroffen habe. Die
Solidarität im Dorf spielt. Mit Hilfe aufmerksamer Nachbarn konnten auch
schon Trickbetrüger in die Flucht geschlagen werden. Zudem trägt Lilly
Geiger eine Uhr mit einem GPS.
«Das wurde nötig, da wir sie schon
zweimal von der Polizei suchen lassen
mussten», erklärt Markus Geiger. Den
Kompromiss haben die Geschwister
mit ihrer Mutter ausgehandelt.
Markus Geiger war im Ausland, in
Tansania bei einem Entwicklungshilfeeinsatz, als klar wurde, dass etwas mit
seiner Mutter nicht stimmte. «Aber so
richtig bewusst wurde es mir erst nach
meiner Rückkehr. Ich lebte damals für
ein paar Monate bei ihr, und sie stellte
mir jeden Morgen dieselben Fragen.»
Eine Abklärung in der Memory-Klinik
brachte die Gewissheit: Sie hatte eine
Demenz im Frühstadium. Es war ein
Schock für die Familie.
Die Geschwister entschieden sich,
die Sache strategisch anzugehen. «Das
Zusammentragen der Informationen
war sehr mühsam. Ein Kurs für Angehörige war eine grosse Hilfe», sagt Markus
Geiger. Die Schwestern hatten früher
viel zur Mutter geschaut. Jetzt entschied
sich der Sohn, der Manager des Ganzen
zu werden. Er nahm die Organisation in
die Hand. Ganz Betreuungsprofi sorgt
er dafür, dass die Geschwister zweimal
im Jahr alle zusammen wegfahren. So
haben sie Zeit, Dinge zu besprechen,
die im Alltag untergehen.
ein Ökozentrum und eine Beiz geführt,
dann der Einsatz in Afrika. Heute arbeitet er in einem kleinen Pensum mit
Asylbewerbern.
«Was morgen sein wird, wissen wir
nicht», sagt er. Was heute noch funktioniere, könne schon bald nicht mehr
klappen. Und: Neben dem Netz an
Hilfeleistungen brauche es auch Flexibilität von den Partnern. «Meine Frau
hat zum Glück Verständnis, wenn ich
eine Verabredung nicht einhalten
Ungewisse Zukunft
kann, weil etwas mit meiner Mutter
Flexibilität fällt Markus Geiger ist», sagt Markus Geiger.
glücklicherweise nicht schwer. Der geDass Auszeit wichtig ist, um Kräfte
lernte Kaufmann und Forstwart hat in zu schöpfen, weiss Markus Geiger. Beseinem Leben schon vieles gemacht: wusst plant er Ferien. «Dann geht un-
Das Haus ist sorgfältig
geschmückt, so auch
mit einem Fuchs aus
Mosaiksteinen, den
Lilly Geiger vor Jahren
angefertigt hat.
Die Geschwister freuen sich
über die Auszeichnung mit dem
Fokus-Preis der Alzheimer­
vereinigung.
sere Mutter für zwei Wochen in ein
Pflegeheim.» Ausgleich findet er auch
in seinem Hobby, dem Alphornspielen. Und er schwimmt jeden Tag im
See, fast das ganze Jahr über.
Preisgekröntes Engagement
Später führt Lilly Geiger ihre Besucher in den Garten. Beim Hauseingang
blickt ein Fuchs aus Mosaiksteinen die
Besucher an. «Den habe ich gemacht.
Und mir dabei oft beim Steineklopfen
auf die Finger gehauen», erzählt Lilly
Geiger lachend. Am Hang hinter dem
Haus zeigt sie uns die Schafe: «Unsere
Rasenmäher», stellt sie sie schmunzelnd vor. Sie pflegen den Sommer
über einen Teil des grossen Umschwungs ums Haus. Der Garten ist
Lilly Geigers Reich.
Für ihren Einsatz hat die Familie
vor kurzem den Fokus-preis der Alzheimervereinigung Thurgau bekommen. Das Arrangement funktioniert
gut. Wie lange es noch so weitergeht,
weiss niemand. «Doch damit können
wir leben», sagt Markus Geiger.
Tagung der Schweizerischen Alzheimervereinigung
Alleine leben mit Demenz
In der Schweiz gibt es immer
mehr allein lebende Menschen
mit Demenz. Eine gut besuchte
Tagung der Schweizerischen
Alzheimervereinigung in
Lausanne und Olten widmete
sich dem Thema.
© Michael Uhlmann
Wie viele Menschen mit einer Demenz
alleine leben, könne nur vermutet
­werden, erklärte Nicole Gadient von
der Schweizerischen Alzheimervereinigung an der Tagung. Aufgrund des
Trends zu Single-Haushalten und der
Alterung der Gesellschaft werde aber
die Zahl der allein lebenden Menschen
mit Demenz weiter zunehmen. Besonders oft treffe es Frauen in städtischen
Gebieten.
Alleine leben mit Demenz
ist möglich und wird immer
häufiger. Doch es braucht
Betreuungsangebote.
Hausbesuche der Stadt
So war es naheliegend, dass eine
grosse Stadt ihr Betreuungsangebot vorstellt: Die Zürcher Stadtärztin Gabriela
Bieri-Brüning und die Leiterin von
Hausbesuche SiL, sozialmedizinische
individuelle Lösungen, Stadt Zürich,
Barbara Arnold Reichlin, berichteten
von ihren Erfahrungen mit der aufsuchenden Beratung. Besteht der Verdacht, dass eine allein lebende Person
Hilfe braucht, erfolgt ein Hausbesuch.
«Häufig komme ich unangemeldet»,
sagt Barbara Arnold, «eine telefonische Anmeldung verwirrt meistens
nur.» Die Beraterin macht eine erste
Erhebung: Wie sieht die Wohnung aus?
Wie ist die Person gekleidet? Was ist im
Kühlschrank? Wenn möglich macht sie
einen kognitiven Test. Wieder zurück
im Team wird der Fall besprochen. Danach gilt es, zusammen mit dem Umfeld, dem Hausarzt und weiteren betreuenden Personen die Massnahmen
einzuleiten. «Wir gehen sehr individuell auf die Menschen zu», sagt Barbara
Arnold. «Wenn dann eine Person die
Hilfe annehmen kann und damit gut
zu Hause lebt, dann ist unsere Arbeit
erfolgreich.»
Samuel Vögeli von der Alzheimervereinigung Aargau rückte in seinem
Referat die Bedürfnisse von Menschen
mit Demenz in den Vordergrund. «Niemand streitet mehr mit mir» – diese paradoxe Aussage eines Betroffenen zeige
eindrücklich, dass Menschen mit Demenz dieselben Bedürfnisse wie alle
hätten. Dazu gehört auch, Konflikte
auszutragen. Wichtig bei der Betreuung
sei es, nicht nur die Defizite aufzuzeigen, sondern auch auf den Ressourcen
aufzubauen. So sei eine gute Lebensqualität auch mit Demenz möglich.
erkrankt – meistert. Maya Fricker kümmert sich intensiv um eine demenzkranke Bekannte, die alleine lebt. Die
abschliessende Podiumsdiskussion und
zahlreiche Fragen aus dem Publikum
zeigten, dass der Bedarf an Informa­
tion und Diskussion dieses Themas
nach wie vor gross ist.
Rechtliches und Fälle aus der Praxis
Frauen häufiger betroffen
Die Juristin Marianne Wolfensberger sprach über die rechtlichen Fragestellungen: Wie kann ich mich absichern für den Fall, dass ich nicht mehr
urteilsfähig sein sollte? Was tun, wenn
eine Person mit Demenz das Finanzielle nicht mehr im Griff hat? Ebenso
sprach sie das schwierige Thema der
freiheitseinschränkenden Massnahmen und der fürsorgerischen Unterbringung an.
Zum Schluss waren noch Stimmen
von zwei pflegenden Nahestehenden
zu hören. Marianne Muster schilderte
eindrücklich, wie sie ihr Leben mit
gleich zwei Betroffenen – ihre Mutter
und ihre Schwester sind an Demenz
In der Schweiz leben immer mehr
­Menschen mit Demenz. Heute sind es
116 000 Menschen; im Jahr 2050 rechnet man mit 310 000 Demenzkranken. Hauptgrund für die Zunahme ist
die Alterung der Bevölkerung. Heute ist
jede 5. Person über 65 Jahre alt. Im
Jahr 2060 wird beinahe jede 3. Person
über 65 sein. Frauen über 65 trifft Demenz aufgrund der höheren Lebens­
erwartung häufiger als Männer (9 versus
7 Prozent) und sie leben öfter alleine
(42 versus 17 Prozent). Es ist daher davon auszugehen, dass deutlich mehr
Frauen als Männer mit einer Demenz allein leben.
Betreuung von Menschen mit Demenz
Uri/Schwyz: Im Akutspital
Seit Mai 2014 betreut die erfahrene
­ erontologin Carmen G. Tresoldi, IniG
tiantin des Projekts und ehemalige CoPräsidentin der Alzheimervereinigung
Uri/Schwyz, Demenzkranke im Kantonsspital Uri. Sie begleitet Patientinnen und Patienten während der Mahlzeiten, beschäftigt sie auf Spaziergängen oder bei anderen Alltagsaktivitäten. zwei Tagen pro Woche im Spital ihre
Tätigkeit, zuerst in der Akutabteilung,
Viel Anklang und gute Resultate
dann auch in der Geriatrieabteilung.
Nötig ist das Programm, weil ver- Sie kümmert sich seither regelmässig
wirrte Personen oder Menschen mit um Personen mit Demenz, die eine ereiner Demenz sich im Spital schnell gänzende Betreuung brauchen.
verloren fühlen. «Wir wollten rasch
«Es zeigte sich sehr schnell, dass
handeln», erklärt Peter Raab, Ge- die Anwesenheit von Frau Tresoldi eischäftsführer der Alzheimervereini- nen positiven Effekt auf Personen mit
gung Uri/Schwyz. «Dass der Bedarf da einer Demenzerkrankung hat», freut
ist, war offensichtlich.» Das von der sich Silvia Rosery, Leiterin PflegeAlzheimervereinigung Uri/Schwyz ini- dienst am Kantonsspital Uri. «Die Patitiierte Projekt fand dann auch sehr entinnen und Patienten sind ausgeglischnell Anklang beim Kantonsspital chener und ruhiger.» Das bedeutet
Uri. Nach wenigen Planungssitzungen auch, dass weniger Medikamente einstartete Carmen Tresoldi jeweils an gesetzt werden müssen.
© Kantonsspital Uri
Die Betreuung von Menschen mit
Demenz in der Akutpflege verbessern – dieses Ziel haben sich
die Alzheimervereinigung Uri/
Schwyz und das Kantonsspital
Uri gesetzt. Das gemeinsam
­lancierte Projekt zeigt nun erste
Resultate und Erfolge.
Carmen Tresoldi nimmt sich
Zeit für Patienten mit einer
Demenzerkrankung.
Finanzierung noch nicht gelöst
Damit das Projekt unbürokratisch
gestartet werden konnte und Patienten
möglichst rasch profitieren, hat die
Alzheimervereinigung Uri/Schwyz die
Pilotphase aus eigenen finanziellen
Mitteln bezahlt. Bis März 2015 ist das
Projekt noch finanziert. Woher danach
das Geld kommen soll, ist noch offen.
«Wir hoffen natürlich, dass sich ein
Geldgeber finden lässt und wir dieses
Angebot weiterführen können», so Peter Raab. Denn nötig ist es.
NEWS
Neu gegründete Selbsthilfegruppe
für junge Kranke
Der Aufruf ist geglückt: Rita Schwager
hat in der letzten Ausgabe des «memo»
ihre Geschichte erzählt. Die 54-Jährige
ist an Demenz erkrankt und suchte
Gleichgesinnte, um eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Auf ihren Aufruf
hin hat sie zahlreiche Reaktionen erhalten. Ebenfalls ist es gelungen, eine
kompetente Gruppenleiterin zu finden.
Wir wünschen der jungen Selbsthilfegruppe alles Gute!
Schweizerische Alzheimervereinigung
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©
Demenz: Diagnose, Behandlung
und Betreuung
Alles rund um Demenz: 70 Experten
haben gemeinsam Empfehlungen rund
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