Daniel Seefeld Fantasien Euphorions Wandlung …………………1 Subversion im Himmel ………………. 15 Stoffwechsel ………………………….. 29 Euphorions Wandlung Ich bin Arbeiter in den Fohrkoppssümpfen. Fohrkopps, (das "o" ist offen, wie in "Forke") Fohrkopps, das ist unser Grundnahrungsmittel, eine nahrhafte aber recht fade schmeckende Wurzel, die nur in sumpfiger Erde gedeiht. Ursprünglich war unser Landstrich ein idyllisches sanftes Hügelland mit Seen in den Niederungen. Die Hügel trugen Obstbäume, zwischen denen Rinder weideten. Doch nach und nach hatten auf Geheiß der Händler Generationen von Bauern die Hügel abtragen und damit die Seen auffüllen müssen, um weitere Anbauflächen für Fohrkopps zu schaffen. So entstand diese sumpfige Ebene, die sich von Horizont zu Horizont hinzieht. Es gibt keine Hügel mehr, außer denen, auf denen die Schlösser der Händler stehen, und keine Seen, außer in den ausgedehnten Schloßparks, die aber für uns unzugänglich sind und durch hohe Mauern den Blicken entzogen. Im Süden der Ebene ist der Horizont verstellt durch den Urwald. Kaum jemand wagt sich da hinein. Dort gibt es Schwertechsen, flinke Reptilien, die an jeder Klaue eine schwertartige Kralle besitzen. Oder Mumpfkrappse: mannsgroße hirnlose Riesenweichtiere, die wie ein Gummi aus getarnten Erdhöhlen hervorschnellen, ihr Opfer blitzschnell mit schleimigen Lappen umwickeln und sofort verdauen. Man hat versucht, Wald zu roden, zwar ist der Boden zu trocken und zu felsig, um Fohrkopps anzubauen, aber man wollte das Holz verkaufen. Doch kaum waren die Bäume weg, schoß der 1 Seuchzergerich ins Kraut: ein gegen alles immunes Unkraut, das die Anbauflächen sofort mit Unmengen von Samen überzog und die Ernte eines Jahres fast ganz vernichtete. Im Gegensatz zu den Sümpfen, in denen es nur sehr oberflächlich wurzeln kann, wurzelt es im Waldboden so tief, dort ist ihm nicht beizukommen, nur die Bäume halten es klein, sie entziehen ihm die Nahrung. Hastig wurde die gerodete Stelle wieder aufgeforstet, und seitdem rührt man den Wald nicht mehr an. Fast alle Einwohner der Ebene sind Fohrkoppsbauer. Nur im Umkreis der Schlösser gibt es noch ein paar Beamte, Bewaffnete und Bediente. Wie die meisten, arbeite ich für einen Hungerlohn auf den Feldern, die alle den Händlern gehören. Tagaus- tagein, teilweise über 14 Stunden, stehen wir barfuß im Dreck und beseitigen Dreppelweben, das sind pflanzenfressende Wurzelgeflechte, die den ganzen Sumpf netzartig durchziehen, schnell nachwachsen und sich von Fohrkopps ernähren. Das Wurzelziehen ist ein öder, langweiliger Job, bei dem man zwar alt werden kann, bei dem man aber auch blöd wird. Der Lohn reicht gerade, um die Hütten, die Kleidung und den Hausrat in Stand zu halten. Zu essen gibt es fast nur Fohrkopps. Viehhaltung ist verboten, denn dafür müßte ein Stück Sumpf trockengelegt werden, auf dem dann kein Fohrkopps mehr wachsen kann. Unsere Gegend hat Glück, sich so nahe am Urwald zu befinden. Da verirrt sich manchmal ein Urwaldtier in den Sumpf, das wir heimlich jagen und schlachten. Eigentlich müssten wir es den Händlern abgeben, denn sie betrachten alles, was auf ihre Felder gerät, als ihr Eigentum, denn es sind ja ihre Felder. Aber es ist ein Fest, einmal Fleisch zu essen zu bekommen. Es gibt viele Kinder hier, denn Verhütung und Abtreibung sind verboten und werden streng bestraft. Die Händler fürchten, daß Arbeitskraft zu wertvoll wird, wenn es weniger Arbeiter gibt, und dadurch die Arbeiter zu mächtig. Außerdem brauchen sie die überzähligen Jungen für ihre Kriege, mit denen sie weitere Fohrkopps-Anbauflächen erobern wollen. Die überzähligen Mädchen werden als Dienstboten in die Städte vermietet und bringen den Händlern zusätzliche Profite. - Die Kinder müssen mithelfen beim Reinigen und Konservieren der Fohrkoppswurzeln. Da die Händler sich für zivilisiert halten, brauchen die Kinder aber nur 6 Stunden am Tag zu arbeiten. Den Erwachsenen ist das ganz recht, denn sie haben kaum Zeit für ihre Kinder. Und außer den traditionellen Heimlichkeiten sind sie duckmäuserisch und trauen sich nicht, den Weisungen der Händler und ihrer Büttel etwas entgegenzusetzen. - Mein Vater war ein besonderer Schleimer. Er arbeitete mehr als gefordert und verriet uns, wenn wir Heimlichkeiten hatten. - Meine Mutter machte einen ständig frustrierten Eindruck, vermutlich, weil sie wenig von ihrem Mann hatte, der entweder arbeitete oder erschöpft war oder schimpfte. So wird sie sich als junge Frau ihr Ehe- und Familienleben nicht vorgestellt haben. 2 2 Das Schlimmste ist die Öde, der Stumpfsinn, die Langeweile. Ich war kaum 13, da kam mir unser Leben vor, wie vergeudet, ungelebt, sinnlos, und keiner Mühe wert. Ein Jahr später hielt ich die Aussicht, das ganze Leben so geduckt, ausgebeutet und einförmig zu verbringen, nicht mehr aus. Die Furcht vor dem Urwald verblasste vor seinen Verheißungen: Was war schon eine Schwertechse gegen die Schätze der sagenhaften Goldenen Höhle? Und was ein Mumpfkrapps gegen die Heilsteine aus dem Schwarzen See, von denen es hieß, daß sie in der Hand, die sie vom Boden des Sees holte, alle Krankheiten heilen, alle Schmerzen tilgen und den Körper jugendlich bis ins hohe Alter halten konnten? Allerdings hieß es auch, er sei so tief, daß man ein halbes Leben lang tauchen üben müsse, um seinen Grund zu erreichen. - Mit meinen Eltern brauchte ich über meinen Abscheu vor der Öde erst gar nicht zu reden. Sie hätten das nur als "Flausen" abgetan und mich aufgefordert, "auf den Boden der Tatsachen" zurück zu kommen. - "Der Boden der Tatsachen": daß ich nicht lache! Das ist bei uns ein Sumpf! - Auch die andern Erwachsenen hatten kein Ohr für das, was mich bewegte: Immer wurde mir aufgezählt, wer schon alles im Urwald umgekommen sei und wie armselig, angstvoll und hungrig die waren, die es schafften, dort länger zu überleben; wie sie ständig wie Flüchtlinge vor den Raubtieren auf der Hut sein mussten und sich fast nur von wilden Beeren, Gräsern und Wurzeln ernähren konnten; wie furchtbar die Winter seien und wie viele nach einiger Zeit als Krüppel zurückgekommen und ihres Lebens nicht mehr froh geworden waren zumal sie sich auf Jahrzehnte verschuldet hatten, weil die Händler den Arbeitsausfall vom Lohn abzogen und eine hohe Geldstrafe auferlegten. Denn in den Urwald zu gehen, war verboten – und es ist immer noch verboten. Seine Gefahren erscheinen den Händlern nicht abschreckend genug. Sie fürchten, daß zu viele Arbeiter ihr Glück im Urwald versuchen könnten und nicht zurück kämen. Deshalb verbreiten sie nach wie vor auch die Behauptung, die, die im Wald lebten, seien Hexer, denn ohne Zauberkräfte sei es nicht möglich, auch nur einen Tag und eine Nacht im Wald zu überleben. Und die Hexer seien böse, denn ein guter Mensch müsse nicht in den Urwald flüchten. In der Tat: der Hunger treibt die Hexer oft aus dem Wald, um Fohrkopps von den Feldern zu stehlen. Deshalb darf man sie auch straflos totschlagen. Unter uns Arbeitern gilt das jedoch als Verbrechen, denn die Hexer sind welche von uns, die das harte Leben auf einem Urwaldflecken der Knechtung durch die Händler vorziehen. Die Hexer leben nur im Randbereich des Waldes, wo es noch nicht so viele, und kaum unbekannte Gefahren gibt. Tiefer im Wald können nur die Heiler überleben, die Meister des Waldes. Sie gelten als heilige Eremiten, die es schon länger gebe als die Fohrkoppsfelder. Einige Heiler sind berühmt, weil sie öfter aus dem Urwald kommen und viele Kranke heilen, manche nur Arbeiter, manche nur Händler, manche machen keinen Unterschied. Im Gegensatz zu den Hexern sind sie 3 waldkundig, denn sie sind schon im Wald bei Heilern aufgewachsen. Auf ihren Wanderungen durch unsere Ebene suchen die Heiler sich nämlich unter unseren Kindern 5 bis 7 jährigen Jungen und Mädchen als Schüler und Nachfolger. Die Händler dulden das und die meisten Eltern freuen sich, wenn eines ihrer Kinder erwählt wird. - Die Heiler kennen weit mehr Gefahren des Waldes als alle anderen, und wissen mit ihnen fertig zu werden. Sie kennen auch weit mehr Kräuter, Früchte und Wurzeln, und es heißt, sie würden heilige Orte kennen, an denen es keine Gefahr gebe. Außer in den Wald hätte ich natürlich auch in die Städte gehen können. Aber als ich mich umhörte, hieß es, Männer würden dort wie Sklaven in dunklen Hallen voll ohrenbetäubenden Getöses und staubiger Luft für einen Hungerlohn Maschinen bedienen, eine Arbeit, noch eintöniger als Dreppelweben ziehen. Und man lebe zu Dutzenden zusammengepfercht in engen, feuchten, finsteren Mietskasernen, der Blick eingekerkert in Mauern, die ein endloses Gewirr von Höfen und Straßen bildeten, so daß man vom Himmel immer nur einen Fleck oder einen Streifen sehen könne. - In der Tat waren fast alle jungen Männer, die es versucht hatten, zurückgekommen, und von denen, die nicht zurückgekommen waren, wurde gesagt, sie seien tot oder säßen im Kerker. 3 Mit 14 riß ich das erste Mal aus. Ich wollte lieber die Nahrung einer Schwertechse sein, als Händlersklave. Doch ich wurde von einem Hexer zurückgebracht. Seitdem glaubte auch ich, daß Hexer böse seien. - Ich riß öfter aus, auch wenn ich dafür jedes Mal ein paar Tage in den Karzer gesperrt wurde, ein finsteres Loch, in dem einen die Dunkelheit und die Langeweile fast umbrachten. - Meine Fluchtversuche in den Wald beendete ich nach dem ersten Mal immer selber. Die Angst um mein Leben trieb mich hinaus - doch nach einiger Zeit auch wieder hinein. War ich im Wald, erfüllte mich das Gewirr von Geräuschen und Tierstimmen mit Furcht, denn ich konnte es nicht deuten, und mehrmals glaubte ich schon, einer Echse oder einem Krapps ausgeliefert zu sein, und merkte, was mir mein Leben wert war. Aber wenn ich wieder ein paar Monate in den Sümpfen verbracht hatte, war die Angst vor dem Dschungel verblasst, die Angst, mein Leben zu verpassen aber wieder bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Mit 16 wurde ich vernünftiger und versuchte, mich mit einem Leben in den Fohrkoppssümpfen abzufinden. Doch mehr und mehr quälte mich ein Unbehagen, dem ich zunächst nicht soviel Bedeutung beigemessen hatte: Die einseitige Ernährung hat Auswirkungen auf unser Wachstum. Frauen bekommen dadurch Tendenzen zu kurzen Beinen, breiten Becken und hängenden Brüsten, Männer zu schmalen Schultern und dicken Bäuchen mit langen Armen und runden Gesichtern. Wie anders sehen die Töchter und Söhne der Händler aus! Die Mädchen gazellenschlank mit langen Beinen, hübschen 4 kleinen Pos und festen kleinen Brüsten, die Jungs hochgewachsen, breitschultrig und mit markanten Gesichtern. Hat man einmal eine jener Händlerprinzessinnen gesehen, ist es schwer, sich in eines unserer Mädchen zu verlieben. Zumal die schöneren unserer Schönen meist versuchen, nach oben zu heiraten: mindestens einen Bedienten, aber besser noch einen Beamten oder gar einen Händlersohn. Doch gilt das unter uns als Verrat. - Tja, unsere Mädchen ließen mich fast alle kalt. Und die, die mich nicht kalt ließen, waren Gegenstand der bittersten Konkurrenzkämpfe unter uns Jungs, und dafür hatte ich leider nicht die beste Ausstattung. Ich war zäh und hartnäckig, aber weder schnell noch stark, noch einer jener Neunmalklugen, die eine Chance hatten, nicht als Fohrkoppsbauern zu versauern. Mein Entschluß, wieder in den Urwald zu gehen, und diesmal richtig, hing natürlich mit einem Mädchen zusammen: mit Marva. Marva war einfach Klasse! Sie war herzensgut und sah total süß aus, trotz aller Merkmale der Fohrkoppsesser. Denn diese Merkmale waren bei ihr nur schwach ausgeprägt und wurden nicht nur durch ihr Wesen geadelt - wie ja oft etwas Unschönes, wie z.B. eine zu große Nase, bei Manchen schön erscheint, weil sie ihm Charakter geben - nein, bei Marva war alles auch viel proportionierter als bei den anderen unserer Mädchen, so daß sie selbst gegenüber den Prinzesschen in manchen Aspekten vorteilhafter wirkte, z.B. wegen des weiblicheren Schoßes und den üppigeren Brüsten. Und ihre Schönheit wirkte um so liebenswürdiger, weil sie davon überrascht worden war: Sie hatte nie als besonders hübsches Kind gegolten, sie war also von klein an davon ausgegangen, nicht hübscher zu werden als die andern Mädchen und hatte andere Lebensziele entwickeln können, als das, schön zu sein. - Doch dann wurde sie auf einmal immer schöner, und wir Kerls fingen an, immer heftiger um sie zu konkurrieren. Das mochte sie gar nicht, ja sie fand es abstoßend. Aber - wer könnte es ihr verdenken - heimlich auch faszinierend. Ich sagte ja schon: ich hatte nicht die besten Voraussetzungen zum Balzen. Es gab Stärkere, Tüchtigere, Flinkere und Klügere als ich. Dennoch war ich unter Marvas Favoriten. Das lag daran, daß ich entschiedener war, manche sagten auch: unverschämter. Während andere z.B. noch überlegten, ob sie wirklich angreifen sollten, griff ich schon an. Ich riskierte einfach, hinterher als jemand dazustehen, der nicht angemessen reagiert hatte. Auch nutzte ich fiese Tricks, aber instinktiv sehr wählerisch und gemessen. So trat ich z.B. nie jemanden zwischen die Beine, das hätte einfach bloß als feige gegolten, als unredlich und heimtückisch. Und bei den anderen, weniger absoluten Tabus, überschritt ich nur ein wenig die Grenze, nur so viel, daß meine Zurückhaltung bei der Verletzung des Tabus zeigte, daß ich es im Prinzip respektierte, und die klammheimliche Bewunderung meines Mutes, so gewagt damit umzugehen, größer war, als die Empörung. - Keine Ahnung, woher ich die Begabung habe, instinktiv genau zu wissen, wie weit man zu weit gehen darf. Jedenfalls galt ich dadurch als jemand mit Schneid und eigenem Kopf, und ich hatte schon so 5 manchen Stärkeren und Flinkeren aufs Kreuz gelegt. - Außerdem kam meinem Ruf zu statten, daß ich mehrmals in den Urwald abgehauen und dafür mit Karzer bestraft worden war. Ich rechnete mir also Chancen aus bei Marva. - Aber obwohl sie nie unfreundlich war, schien sie immer angewiderter von unserem Gerangel und ging schließlich einfach weg. Sie ließ sich von den Händlern als Dienerin anheuern in den großen Städten, und es war klar, daß wir sie nie wieder sehen würden, es sei denn als Besuch. - Wenn sie wenigsten ihre Chance genutzt hätte, einen ihrer vielen Verehrer unter den Händlersöhnen zu erwählen! Materiell wäre sie auf diesem Wege viel schneller viel besser gestellt gewesen. Denn als Dienerin in den großen Städten, das war ein hartes Los. - Gnädiger wäre gewesen, Verräterin zu werden, dann hätte sie nicht so vielen Kerls das Herz gebrochen. Und mir auch nicht. Nach Marva hielt mich nichts mehr in Sümpfen. Es schien mir nicht viel verloren, sollte ich im Urwald umkommen, aber alles gewonnen, sollte ich dort mein Glück machen. - Die Gefahren im Wald sind groß und unberechenbar. Auf den Feldern geschieht einem erwachsenen Mann vielleicht alle 10 Jahre mal ein nennenswerter Unfall. Im Urwald kann jeden Tag etwas geschehen, das mit so einem Unfall vergleichbar ist, und jedes fünfte Geschehnis ist tödlich. Und diese Rechnung gilt nur für erfahrene, fähige Urwaldgeher, wie die Hexer, die Gefahren rechtzeitig erkennen und sich dagegen zu wehren wissen. Aber selbst für die ist das Überleben Glücksspiel. Die Mumpfkrappse z.B.: Zwar gibt es glücklicherweise von denen nur wenige. Im Innern des Urwaldes trifft man nur etwa einmal pro Woche auf einen, und nur etwa jeder zweite hat gerade Hunger. Ungeübte können von 10 Mumpfkrappsen vielleicht zwei rechtzeitig erkennen, Hexer fünf, und selbst Heiler nicht immer alle. - Ich hatte das Interesse am Wald nie verloren und wo immer ein Hexer in die Sümpfe gekommen war, hatte ich mit ihm gesprochen. So bildete ich mir ein, etwas besser als die anderen den Gefahren gewachsen zu sein, und vielleicht keine 5 aber 3-4 Mumpfkrappse von zehnen zu erkennen. Und mit jedem einmal erkannten würde meine Fähigkeit wachsen, auch andere zu erkennen... Auch Schwertechsen sind selten, auch Nachtvulper, auch Schnappschweinrudel und die gefürchteten Tschirpelschwärme, kleine fleischfressende Singvögel, bei denen es selbst für das gefährlichste Wesen kein Entrinnen gibt. Dazu kommen die Fleischfressenden Pflanzen: die Schlinghaspeln, die Saugrosen, die Ätzgrätzen, allesamt heimtückische Gewächse, die zwischen Gebüsch oder im Astwerk von Bäumen auf Beute lauern, auf Geruch oder Vibration ansprechen und absolut tödlich sind. Jede einzelne dieser Gefahren ist selten. Aber zusammen genommen machen sie den Wald zu einer unberechenbaren, lebensgefährlichen Angelegenheit - zumal es sich hier nur um die bekannteren Gefahren handelt, die es auch in den Randbereichen des Waldes gibt. Je tiefer man in den Wald geht, desto häufiger werden sie und desto mehr weitere laueren, die unbekannt sind, weil noch nie jemand sie überlebt hat... 6 Trotz allem stand mein Entschluß fest. Und so übernachtete ich eines Sommers am Rand des Urwaldes, um mit der ersten Tageshelle hinein zu wandern. 4 Es wurde ein herrlicher Sommertag. Im Wald war es angenehm feucht und kühl, und es duftete nach üppigem Leben. Das alles milderte die Angst. - Die Hexer trauten sich nur eine halbe Tagesreise weit in den Wald, um bei Anbruch der Nacht wieder am äußeren Rand sein zu können. Als Randbereich galt also etwa ein halber Tagesmarsch. Die ersten Stunden war ich daher relativ wohlgemut, obwohl ich mehrmals beim Anblick ungewöhnlicher Farben oder Formen oder bei ungewöhnlichen Geräuschen zusammenzuckte. Doch meine Schreckhaftigkeit beruhigte mich, denn ich wußte von einem alten Hexer, daß man ohne sie ganz schnell verloren war. Schreckhaftigkeit ist Voraussetzung dafür, im Urwald zu überleben. Nur Ängstliche dürfen es wagen, sich weit in den Wald zu trauen. Nach dem Mittag war ich schon weiter in den Wald vorgedrungen, als die meisten Hexer. Da wurde mir richtig mulmig. Ich war mehrmals drauf und dran, umzukehren. Aber ich hatte mich offenbar all die Jahre genügend mit meinem Dasein in den Sümpfen beschäftigt. Ich gebe zwar zu, daß ich mehrere Male umdrehte, aber jedesmal nur wenige Schritte, dann ging mir wieder die ganze Trostlosigkeit des Lebens der Fohrkoppsbauern auf, und ich sah Marva vor mir, und ein Los ohne eine Gefährtin, die so viel zu bieten hatte, schien mir unannehmbar. Als die Dämmerung hereinbrach, suchte ich mir einen jener Bäume, die ihre Gäste über Nacht nicht verspeisen, und kletterte in sein Gezweig. Nicht zu hoch, um nicht zur Beute von Nachtvulpern zu werden, nicht zu niedrig, um keine Wimmelarlen anzulocken, gierige nachtaktive Nager, die unter der Erde ihre Nester haben. Ich band mich an einem Ast fest. Hier oben war ich sicher. Wenigstens war noch nie berichtet worden, daß jemand im mittleren Gezweig eines gastfreundlichen Baumes des Nachts zur Beute geworden war. Ausgeschlossen war das natürlich nicht, zumal eine Tagesreise weit im Wald. Und wer weiß, womit ich rechnen mußte, wenn ich noch weiter in den Wald vordrang. Genau darüber hatte ich nun, bis zum Einschlafen, Zeit nachzusinnen: auf was ich mich da einlassen wollte. Zunächst spürte ich ein gewisses Triumphgefühl: Ich war schon tiefer im Wald, als viele Hexer es je gewesen, und es war auszuschließen, daß je ein Bauer sich so tief in den Wald getraut hatte! - Ich spürte aber auch eine gewisse Enttäuschung: Ich war keiner einzigen Gefahr begegnet! Ich hatte gedacht, wenigstens einem Mumpfkrapps ein Schnippchen geschlagen zu haben oder einer Schwertechse auf einen Baum entkommen zu sein, oder wenigstens eine Saugrose von weitem entdeckt zu haben oder jenes Buschwerk, in dem Ätzgrätzen lauerten. Aber nichts da! Ich hatte einfach bloß Glück gehabt und hatte nichts 7 dazugelernt. Dabei wäre es so wichtig gewesen, hier, im leichteren Teil des Waldes, Erfahrungen gemacht zu haben, z.B. aus sicherer Entfernung die Tarnung eines erkannten Mumpfkrappses genau zu studieren. Die Gefahren wurden für Anfänger wie mich mit jedem Schritt tiefer in der Wald so unberechenbar, der Tod so wahrscheinlich, daß es selbstmörderisch war, hier weiter zu gehen. Und eine selbstmörderische Haltung gilt bei uns nicht als verwegen sondern als feige: Selbstmörder kuschen vor den Anforderungen des Lebens. - Als Anfänger einfach blödsinnig immer tiefer in den Wald reinzulaufen um den Unbilden des Bauernlebens zu entfliehen: damit hätte ich bei meinen Leuten bloß als Verlierer gegolten, wie ein Krieger, der beim Anblick des Feindes die Flucht ergreift. - Doch so erbärmlich wie die Hexer wollte ich auch nicht leben: Es ist doch sehr fraglich, ob die wirklich freier waren! Ständig auf der Hut vor Gefahren, ständig auf der Suche nach Eßbarem, nur selten mal ohne vom Hunger getrieben zu sein. - Es war zum Verzweifeln: keine Möglichkeit war überzeugend! Bauer sein: Nein! Hungerkünstler: Nein! Selbstmörder: Nein! Daher schien mir das Beste, mich erstmal den Hexern anzuschließen. Mit mehr Erfahrung wäre es weit weniger selbstmörderisch, tiefer in den Wald einzudringen. Je länger ich meine Möglichkeiten erwog, desto stärker leuchtete mir das ein. So entschloß ich mich, am andern Morgen eine halbe Tagesreise zurück zu kehren und bei den Hexern das Leben im Wald zu lernen. Dieser Gedanke war enttäuschend aber doch stimmig. Das beruhigte mich und ich schlief ein. 5 Am nächsten Morgen trank ich den Tau aus den Blüten, er schmeckte fruchtig, bitter und süßlich, durch das Aroma das er von den Blüten angenommen hatte. Ich merkte, wie mich das stärkte und ermutigte. Ich wäre am liebsten doch tiefer in den Wald aufgebrochen, rief mir aber die Gedanken des gestrigen Abends zurück und sagte mir: Sei kein Narr, tiefer im Wald ist Überleben für jemanden wie dich reines Glücksspiel! - Also wandte ich mich schweren Herzens wieder der Richtung zu, aus der ich gekommen war. Meine Spuren waren bereits zugewuchert, und da tief unten im Wald nur ein dämmeriges Streulicht herrschte, konnte ich die Richtung nur erahnen. Nach ein paar Stunden Wegs stand ich plötzlich an einem felsigen Steilhang und blickte weit über den Wald hinweg. So steil der Hang auch abfiel, war er doch kinderleicht herunter zu kraxeln: die Felsen war so gestuft und von armdicken freiliegenden Wurzeln niedriger Bäume durchzogen, daß man Leitern und Treppen im Überfluß hatte. Beim Abstieg verlor ich dennoch einmal den Tritt, aber ohne großen Schreck, denn ich konnte nicht weit rutschen. Doch fiel ich in eine Felsspalte und stauchte mir schockartig schmerzhaft den Fuß, obwohl die Spalte nicht sehr tief war, vielleicht knapp zwei Meter. Als ich meinen Fuß untersuchte, wollte ich es zuerst nicht wahrhaben: er war gebrochen. Ich schrie, 8 weniger vor Schmerz als vor fassungsloser Wut: Meine Wanderung war gelaufen. Ich mußte zurück in die Sümpfe. Ich würde zwar eine gute Heilbehandlung bekommen, aber wahrscheinlich viele Jahre ohne Lohn arbeiten müssen, zur Strafe für meine Flucht, meine Arbeitsversäumnisse und um mir die Heilbehandlung zu verdienen. Außerdem würde ich in einen Sumpf weit weg vom Urwald verbracht werden, mit der Auflage, mich täglich bei einem Beamten zu melden. Eine Flucht war unter solchen Bedingungen so gut wie unmöglich. - Die Wut ließ mir zunächst gar keine Möglichkeit zur Sorge. Erst nach den ersten, nicht sehr bemühten Versuchen, aus der Spalte zu klettern, hielt ich inne und machte mir Gedanken über meine Situation hier und jetzt. Es wurde mir bewußt, wie besorgniserregend sie war: Mit diesem Fuß wäre es kaum möglich, vor Einbruch der Nacht wieder aus dem Urwald heraus zu sein, und es wäre mühsam und gefährlich - aber noch gefährlicher wäre es, die Nacht auf dem Boden verbringen zu müssen, denn nur mit einem Bein war es mir nicht möglich, die Bäume zu erklimmen. - Je weniger Zeit ich verlor, desto besser. Ich suchte nach der günstigsten Stelle und nahm all meine Kraft zusammen, um aus der Spalte zu klimmen. Aber es mißlang wieder. - Ebenso der nächste Versuch. - So schwer hatte ich mir das nicht vorgestellt! Ich sah jetzt, daß die Ränder alle sehr bröckelig und darunter glatt und abschüssig waren. Hätte ich den Fuß zur Verfügung gehabt, wäre ich längst frei gewesen. - Erst fand ich die Schwierigkeit bloß lästig. Die Spalte war nicht tief, und es konnte kein großes Problem sein, heraus zu kriechen. Doch als Versuch auf Versuch scheiterte, und ich immer mehr Erfahrung mit den abgeschrägten Randflächen machte, begriff ich allmählich, daß ich nur mit zwei Händen und einem Fuß hier nicht herauskäme. Mein Herz schlug panisch wild, ich bäumte mich mit aller Kraft auf und sprang und klammerte, obwohl meine Hände bereits wund waren - doch alles vergeblich. - Ich muß gestehen: ich begann zu heulen und zu schreien, vor Schmerz, vor Wut, vor Empörung: ich fühlte mich ungerecht behandelt vom Schicksal. - Als ich mich beruhigte, kam ich zu dem Schluß, daß es nicht wahr sein konnte, daß ich hier nicht rauskam, daß ich wahrscheinlich noch nicht alles probiert hatte. Ich versuchte es weiter, immer wieder - doch ohne Erfolg. - So sehr ich mich auch dagegen aufbäumte, schließlich war es Gewißheit: alleine kam ich hier nicht mehr raus. Ich war mehr wütend als traurig und schlug mit den Faustkanten auf die Felswände ein, bis ich vor Schmerz davon abließ. - Meine Lage war aussichtslos: ich war fast eine halbe Tagesreise über den Randbereich des Waldes hinaus, selbst im Randbereich wäre es äußerst unwahrscheinlich gewesen, daß einer der seltenen Hexer innerhalb von drei Tagen in Rufweite käme. Hier, weit tiefer im Urwald, bestand nicht die geringste Hoffnung. Als Hoffnung blieb nur: in der Nacht von einem Vulper gefressen zu werden, das wär ein schneller Tod. Im Urwald nicht den Heldentod im Kampf mit einem Untier zu sterben, sondern mit gebrochenem Fuß in einer unter normalen Umständen kinderleicht überwindbaren Felsspalte zu 9 verschmachten: das war ja wohl der aller blödeste und schmachvollste Ausgang einer Flucht aus der Abhängigkeit der Händler! Ich malte mir aus, wie vielleicht irgendwann ein Hexer meine sterblichen Überreste finden und meine Sachen ins Dorf bringen und das ganze Dorf davon erfahren würde. Wie blöd! Dann durchzuckte es mich siedendheiß: irgendwann würde auch Marva von meinem Mißgeschick erfahren! Vor ihr als ausgemachter Pechvogel dastehen! Als Verlierer! Das ging gar nicht! Die Wut flammte erneut auf, bis mich Schreien, Schlagen und der Schmerz in den Fäusten beruhigten. Ich saß eine Zeit still da, mit völlig leerem Kopf. - Plötzlich schöpfte ich neue Hoffnung und dachte: verflixt nochmal, das kann doch gar nicht sein, daß ich hier nicht rauskomme! Erneut arbeitete ich mich zuversichtlich an den Felswänden ab, immer wieder, immer verbissener und verbohrter, ja, um so heftiger, je mehr mir klar wurde, daß es zwecklos war - bis ich völlig erschöpft auf den Boden sank. Da konnte ich nur noch weinen. Nach und nach kam mir alles in den Sinn, von dem ich mich jetzt für immer verabschieden mußte! Merkwürdigerweise war das zunächst unsere Kaffeekanne! Wenn sie morgens auf dem Feuer schmauchte, und alles nach Kaffee zu duften begann und Oma, Mutter und die Geschwister sich nach und nach am Frühstückstisch versammelten! Das war trotz aller Öde des Lebens in den Fohrkoppsfeldern immer eine Freude gewesen! Auch viele andere kleine Freuden kamen mir jetzt in den Sinn und ich wunderte mich, wie schwer es war, sich davon zu verabschieden! - Das zerbrochene Spielzeug auf meinem Schrank, das ich immer noch gerne ansah, weil es mich an unbeschwerte Stunden der Kindheit erinnerte und ihm in seiner Unbeholfenheit ihr Zauber noch anhaftete - und gerade weil es zerbrochen war, war ich mit ihm verbunden, wie mit einem Stück abgelegter Haut. - Dann: Das kleine Wasserbecken in der Kuhle des Findlings in unserem Garten! Wie die Sonne darin spielte! Und seine Kälte im Herbst, wenn man die heißen Finger hineintunkte! - Und auch die komisch-ernste Miene, mit der der alte Truppeltock immer grüßte, der einsiedlerisch unter uns lebte und als geistig etwas minderbemittelt galt - merkwürdigerweise war auch sein Gruß immer eine kleine Freude! - Selbst mein Vater schien mir auf einmal viele liebenswerte Züge zu haben, von denen es schwer war, sich zu verabschieden. - Da durchzuckte es mich, und ich wurde mir bewußt, was es für ihn, für Mutter, für Oma und die Geschwister bedeuten würde, wenn ich nicht mehr da wär! Das brach mir fast das Herz! - Der Abschied von all dem tat so überraschend weh, wie ich es noch nie erlebt hatte. Und im Schmerz staunte ich, weil ich gedacht hatte, mich von all dem längst verabschiedet zu haben, als ich die Entscheidung erwogen hatte, in den Wald zu gehen und vielleicht nie wieder zurück zu kehren. Doch jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Egal an welchem Ort der Welt: solange ich am Leben wäre, würde das Spielzeug immer noch liegen und die Kanne immer noch schmauchen - aber bald würde das alles unwiederbringlich weg sein, für immer. Nie wieder! - Nie wieder auch die stimmungsvollen Momente: die Art, wie die 10 Morgensonne im Spätherbst auf den von Raureif verzauberten Feldern gleißt - der Nachtduft des Frühlings - die mondhellen warmen Sommernächte... - Und mir fiel plötzlich auf, daß all diese Stimmungen Verheißungen einer wundervollen Zukunft enthalten hatten: Hoffnungen, all dies einmal zusammen mit einer Gefährtin zu erleben, so schön wie Marva, und in einer freieren Zeit... Ich begriff auf einmal das ganze Ausmaß des ungelebten Lebens, und die Vorstellung, daß es ungelebt bleiben würde, machte mich fassungslos. Ich schluchzte immer herzzerreißender. Nach einiger Zeit hatte ich mich soweit beruhigte, daß ich fähig wurde für den nächsten Schock: Schlagartig wurde mir klar, was das bedeutet: zu sterben. Ich würde selbst mich selbst verlieren! Und das war ich selber schuld! Ich erkannte plötzlich das ganze Ausmaß der Verantwortung für mein Leben, und was es bedeutet, ihr zuwider gehandelt zu haben! Ich war gerade mal 19! Ich hatte ein ganzes Menschenleben, mein Eigenes! kaputt gemacht! Alles, was ich noch hätte erleben und werden können, alles was ich noch an Gutem und Sinnvollen hätte leisten können: das alles hatte ich den andern und mir selbst genommen! Ich fühlte mich wie jemand, der einen Schatz anvertraut bekommt, um damit einem bedrängten Volk zu helfen, und dann ausbüchst und ihn in ein paar Tagen mit Huren durchbringt. Was hatte ich gemacht! - Auch jetzt, obwohl mir das Schuldgefühl fast den Atem benahm, staunte ich: Gestern abend hatte ich gedacht, daß ich wüßte, was es bedeute zu sterben. Wie wünschte ich mir jetzt den Schleier zurück, der mir noch vor einigen Stunden den Blick auf den Tod verborgen hatte! - auf den Zug, den man nicht zurückmachen kann, auf die erbarmungslose Unkorrigierbarkeit - auf das Nichts und die Schuld. Sonne, Erschöpfung und Durst verflüchtigten die Klarheit der Gedanken zu einer untergründigen würgenden Beklommenheit. - Ob ich wollte oder nicht: ich blickte nur noch auf das endlos langsame Kriechen des Schattens an der Wand der Felsspalte, und konnte nur noch daran denken, wie erleichternd es sein würde, wenn er mich endlich erreicht haben würde. Das lenkte mich von Schmerz und Schuld ab, die aber gleich wieder deutlicher wurden, als die Sonne nicht mehr brannte. Doch immer seltener und kürzer glommen die Gedanken auf, denn die Kälte der Nacht, der Schlafentzug, die Schmerzen und der Durst ließen das immer weniger zu. Am nächsten Tag brannte die Sonne wieder auf mich herab. - Weniger, weil ich damit irgendeine Hoffnung verband, als aus Erleichterung und weil ich nichts unversucht lassen wollte, rief ich immer wieder mal um Hilfe. Am Ende des Tages war ich heiser. Am nächsten Tag brachte auch das Rufen keine Erleichtung mehr, nur noch Mühsal. Doch setzte ich es fort, so hoffnungslos es auch war, es war das einzige, was ich tun konnte, und ich wollte nichts unterlassen. Als ich nicht mehr rufen konnte, kam ich auf die Idee, die Steine, die in der Spalte lagen, rauszuwerfen: unmittelbar hinter der Spalte fiel der Hang steil ab, und selbst ein kleiner Stein löste in dem Geröll immer eine kleine Lawine aus. Damit es nicht für Zufall gehalten 11 werden konnte, versuchte ich das möglichst regelmäßig zu tun, und zählte bis zum nächsten Wurf pro Finger bis 20. Die Konzentration darauf erleichterte mir die Qualen. Mir war klar, daß ich das Fünkchen Rettungschance, das damit verbunden war, nur benutzte, um diese erleichternde, aber eigentlich unsinnige Handlungsweise zu rechtfertigen, ohne die Möglichkeit einer Rechtfertigung wär es einfach nur albern gewesen und ich hätte es bald gelassen. Als am dritten Tag sich irgendetwas über den Rand der Spalte beugte, wußte ich weder, ob es gut war oder böse, Wirklichkeit oder Wahn. Aber es gab mir schluckweise zu trinken, das Wasser war sogar noch kühl. - Nie wieder habe ich eine solche Labsal erlebt! Vor Erleichterung fiel ich in Ohnmacht. Es war ein alter zerlumpter Mann, der mich rettete. Er hatte nicht viel Kraft und es war mühsam genug, mit vereinten Mitteln mich aus der Spalte zu bringen. - Er verstand sich auf Heilkünste und versorgte meinen Fuß. Mehrere Tage verbrachte ich im Delirium auf einem Lager in seiner Höhle, bis ich wieder bei klarem Verstand war. 6 Wie ich erfuhr, war meine Rettung gar nicht so unwahrscheinlich gewesen, obwohl ich in die falsche Richtung gegangen und nur noch tiefer in den Wald geraten war. Der sich kilometerweit erstreckende Felshang war Heimstatt mehrerer Waldbewohner, weil das Gelände hier, im Gegensatz zum Urwald, relativ überschaubar und weit weniger gefahrvoll war. Weder mein Rufen noch meine Lawinen wären nötig gewesen: Die Bewohner durchstreiften das ganze Areal regelmäßig auf der Suche nach Nahrung, und die Felsspalte war eine bekannte natürliche Falle für kleinere Tiere. Ich hatte viel zu fragen und erfuhr vieles über den Urwald, was die Bauern nicht wußten. So gab es z.B. gar keinen Unterschied zwischen Hexern und Heilern! Es gab nur unterschiedlich wald- und heilkundige Waldleute. - Und es gab Gefahren, von denen wir noch nie gehört hatten: "Du denkst, du bekommst einen würdigen Feind, wie ein Schnappschwein oder eine Schwertechse, mit denen man Kraft, List und Geschicklichkeit messen kann. Aber du hast es weit häufiger mit ebenso miesen wie tückischen Lebensformen zu tun, Lebensformen, die du selbst nicht als Gefahr erkennst, die mit völlig anderen Kräften ausgestattet sind als du dir vorstellen kannst, und auf die du nicht vorbereitet bist. Die Mämmermaden z.B.: Mit Fäden, so fein, daß kaum ein Auge sie erkennt, aber reißfest und so klebrig, daß man sich das Fleisch ausreißt, wenn man sie entfernen will, damit lauern sie ihrer Beute auf, weben das Opfer ein, hängen es in einem Baum auf, injizieren ihm mit ihren Stacheln eine vorverdaute pflanzliche Nährflüssigkeit, so daß es nicht stirbt, und legen ihre Eier hinein. Ihre Brut braucht Blut und Fleisch. Sie saugt dir nur so viel Blut ab, wie dich nicht umbringt und fressen nur soviel von deinem Fleisch, wie nachwächst. - Es wurden Waldleute aus solchen Kokons befreit, die mehr als 20 Jahre als vermißt gegolten hatten. 12 Sie lebten noch, aber keiner von ihnen kam wieder zu Verstand. - Und es gibt Wunden, die nicht heilen, und Parasiten, die du nicht mehr los wirst. Ich selbst leide an so einem. Als Kind trat ich mir einen Parpeldorn in den Fuß. Parpeldorne kriegst du nicht mehr raus. Sie wandern und wuchern in dir und du hast nur die Möglichkeit, deine Muskeln so stark zu machen, daß du ihr Wandern und Wuchern unterdrücken kannst. Aber immer wenn sie sich bewegen, spüre ich starke Schmerzen, und immer wenn sie zu wuchern versuchen, wird mir so kotzübel, daß ich glaube, ich kotze mir die Gedärme aus dem Leib, und immer bin ich ganz erschöpft davon, sie klein zu halten. Deshalb konnte ich kein großer Meister des Waldes werden, jemand, der alle je erkannten Gefahren und Heilmittel und ihre Wirkmechanismen kennt. Ich weiß nur - und bilde mir manchmal ein, daß ich das besser kann, als manche großen Meister - ich weiß nur, wie man neue, noch unbekannte Gefahren erkennt. - Es ist sehr schade, daß der Dorn mich so beeinträchtigt! - Doch andere kriegen einen Zortz, einen der gemeinsten Parasiten, wollen es aber nicht wahrhaben. Und schließlich wird der Zortz ihr Hirn okkupieren, doch das spüren sie nicht, sondern sie verhalten sich, wie der Zortz es will, und spüren nur noch, was er spüren will - aber sie glauben, was sie tun und spüren, ist genau das, was sie tun und spüren wollen. - Der Wald wird dich nicht unbedingt umbringen, obwohl er viele umbringt, aber du wirst kaum ohne eine Verletzung hinauskommen, die dich für den Rest deines Lebens zeichnet oder beeinträchtigt. Natürlich kann man damit leben lernen. Aber ich wünsche es niemandem. Es ist ein sinnloses Leiden. Du wirst nicht einmal unbedingt weiser dadurch. Weisheit kannst du überall lernen, dafür ist kein Abenteuer notwendig, nur Aufmerksamkeit. Oder um es mal so auszudrücken: die Weisheit, die du durch die Gefahren des Urwalds erlangst, ist unnötig. Alles im Leben ist erreichbar ohne sie. Wir brauchen sie nicht. Sie ist ihren Preis nicht wert." So sprach der Alte. Er hatte nichts dagegen, daß ich bei ihm blieb. Er schien sich sogar darüber zu freuen. Ich glaube aber, daß ihm diese Freude gleichgültig war, weil er sie nicht brauchte. Er hatte seine Aufgabe: weite, monatelange Expeditionen in den Wald zu unternehmen, um Opfer von Mämmermaden zu befreien. Er wechselte sich da mit den andern Heilern ab, denn solche Wanderungen waren für ihn sehr zehrend, danach brauchte er Monate, bis er sich ganz wiederhergestellt hatte. - Ich dachte, ich könnte ihm helfen, aber ich fürchte, daß ich ihm mehr Last als Hilfe war, weil er ständig meine Sicherheit im Auge behalten mußte. Doch im Laufe der Jahre lernte ich fast alles, was er wußte und konnte. In den Tiefen des Waldes trafen wir Heiler, die noch viel tiefer im Wald lebten. Einige behaupteten, die Goldene Höhle und den Schwarzen See gebe es nicht, andere behaupteten, es gebe sie, aber sie hätten noch niemanden getroffen, der wüßte wo. Und wieder andere behaupteten, sie wüßten wo, hätten aber keine Lust, den Weg zu beschreiben, weil es sowieso egal sei. 13 Als der Alte gestorben war, schleppte ich ihn in die Krone eines Baumes, denn er wollte, daß die Nachtvulpern seinen Leichnam fräßen. - Dann kehrte ich zu seiner Höhle in den Felsen zurück. Ich fühlte mich nicht berufen, seine Tätigkeit fortzusetzen, zumal ich mich längst nicht so gut wie er darauf verstand, unbekannte Gefahren zu erkennen. - Ich blieb den Sommer über noch in den Felsen. Im Herbst machte ich mich auf den Heimweg zurück in die Fohrkoppssümpfe. 7 Ich machte mich darauf gefaßt, für Jahre ohne Lohn arbeiten zu müssen. Doch in der Zwischenzeit war ein neues Gesetz erlassen worden: Alle Hexer, die mindestens einen Winter im Wald verbracht hatten wurden nicht bestraft. - Es war mir recht gleichgültig. Abgesehen davon, daß ich mir mit meinen Heilkünsten ein wenig dazuverdienen konnte, war mir jetzt etwas anderes wichtig: Darauf hinzuwirken, daß Händler und Bauern sich versöhnen. Das galt als naiv. Aber es hatte immer schon Bauern gegeben, denen das egal war... Solange ihre Eltern noch lebten, sah ich Marva ab und zu. Alle paar Jahre kam sie mit ihrem Mann und ihren vier Kindern. Bis zuletzt war ihre Gestalt trotz der Geburten jugendlich. - Sie hatte gut geheiratet: Sie wohnten in einem großen Haus an einem der weitesten und schönsten Plätze der Stadt. Ihr Mann hatte oft beruflich mit den Händlern zu tun. Seine Berufsbezeichnung sagte mir gar nichts, und obwohl man mir mehrmals erklärte, um was es ging, habe ich es nie verstanden. - Als Marva mich das erste Mal wiedersah, stürmte sie auf mich zu und umarmte mich, es war ihr egal, wie blöd ihr Mann guckte. Sie hatte gehört, daß ich als verschollen gegolten hatte, und nun umarmte sie mich so fest, als wolle sie sich davon überzeugen, daß meine Rückkehr mehr als ein Gerücht sei. Ich dankte ihr und wandte mich schnell ab, denn Tränen schossen mir in die Augen und widerstreitende Gefühle zerrissen mich. Nie wieder wurde mein Gleichmut so auf die Probe gestellt. Geheiratet habe ich nie. Obwohl der Alte ein guter Heiler war, humple ich immer noch. Für die wenigen Frauen, die mich interessiert hätten, war so jemand keine gute Partie. - Den jungen Leuten, die in den Urwald wollen, erzähle ich alles, was ich weiß. Ich werde deshalb immer wieder mit Lohnentzug bestraft, es heißt, ich verdürbe die Jugend. - Die jungen Leute können nicht verstehen, daß ich zurückgekehrt bin. Sie schätzen mein Wissen und meine Erfahrung, aber halten mich für einen behäbigen, feigen Onkel. - Sie haben Recht. - Doch warum sollte man Mut aufbringen für etwas, auf das es nicht ankommt? 14 Subversion im Himmel Eine mythologische Geschichte Ich war in Gott. Wogen überbordenden, unfaßbaren Glücks wechselten mit seliger Gestilltheit. Nicht also, als ob mir irgend etwas gefehlt hätte. Doch in der Stille konnte ich etwas Störendes spüren, ganz schwach und vage. Die Große Seligkeit, in die ich gelöst war, riet mir, es nicht zu beachten, dann verlöre es sich ganz schnell, es seien noch Nachempfindungen aus dem Purguratorium. Doch ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Es lag etwas in diesem Störgefühl, eine Ahnung, die etwas Wichtiges zu sagen zu haben schien, und ich hatte keine Ruhe, bevor ich nicht wusste, was es war. Das muß die Ausstrahlung meiner Seligkeit verringert haben und der Großen Seligkeit unangenehm geworden sein, jedenfalls fühlte ich, dass sie sich aus mir ein wenig verflüchtigte. Dadurch wurde ich konzentrierter und konnte das Störende deutlicher spüren, und endlich konnte ich es identifizieren: Die Frau, die ich liebte, war nicht da und sie würde nicht kommen! Nicht, dass sie mir gefehlt hätte, ich sagte ja: es fehlte an nichts, an gar nichts. Aber es tat mir so leid, so beklemmend leid, dass sie vom Himmel ausgeschlossen war, denn alle im Himmel wußten: da draußen, das war kein guter Ort. 2 Sicher, sie hatte schwere Fehler. Wo sie auftauchte entstand Störung, Unordnung und Unfriede und - wo sie länger blieb - Misslingen, Zerwürfnis und Schmerz. - Aber: ich liebte sie. Und ich wusste um ihre Verzweiflung (die sie sich selber nur in seltenen Momenten eingestand). Sie war eine Frau, nach der Mann sich sehnt: Ihre Gesichtszüge waren wohlgeformt, edel und intelligent; ihr Haar dunkel und voll; ihre Gestalt reinstes Ebenmaß, nicht die geringste Übertreibung, nicht der geringste Mangel, nicht die geringste Unverhältnismäßigkeit. Kurz: alle weiblichen Schlüsselreize waren in idealer Weise ausgeprägt. Sie war mir intellektuell weit überlegen: sie sprach drei Sprachen fließend, spielte konzertreif Klavier und war eine brilliante Mathematikerin. Ihre Persönlichkeit hatte jedoch sehr unangenehme Züge. So hatte sie z.B. eine Art, Menschen beiläufig zu entwerten, subtil aber total: Ich hatte einmal den Schlüssel zu einem Aktenschrank des Instituts verloren und mir ihren geborgt. Sie verlangte ihn zu einem völlig unsinnigen Zeitpunkt zurück. Sie gab an, Angst zu haben, dass ich ihren Schlüssel auch noch verlöre, obwohl sie vorher noch nie erlebt hatte, dass mir ein Schlüssel weggekommen war. Ich hatte in der Woche zuvor einige kleine Fehler gemacht, alle ziemlich unbedeutend doch im Institut nicht ganz unpeinlich. In diesem Kontext ließ ihre Forderung nun spüren, wie geneigt sie war, mich für einen totalen 15 Verlierer zu halten: für einen der seine Schlüssel verliert, der die Gunst seines Chefs und vielleicht bald seine Stelle verliert, kurz: für einen Looser solchen Ausmaßes, dass man sich davor am Besten ganz schnell in Sicherheit bringt, indem man dafür sorgt, daß man nichts mehr mit ihm zu tun hat – so, wie man sein Geld von einer Bank holt, von der man gerade erfahren hat, dass sie jeden Augenblick in Konkurs gehen kann. Ihr Auftreten war bei solchen Handlungsweisen so überzeugend, dass selbst der Selbstbewußteste bereit war, zu glauben, dass etwas mit ihm verkehrt sei müsse. Aber selbst wem klar wurde, dass in ihren Abwertungen nur ihr eigenes Problem zum Ausdruck kam, dem blieb die Angst, ob sie mit jemandem, den sie so entwertete, länger zu tun haben wollte. Und ich glaube, in solchen Momenten war ihr das selber nicht klar. So war man stets in Ungewissheit, wie es mit der Freundschaft stand. Unter diesen Bedingungen war sie schwer zu lieben, und alle Männer waren nach dem ersten Rausch, die Nummer Eins bei ihr zu sein, schnell ernüchtert, verunsichert und gekränkt, alle, bis auf mich. Ich war Einzelgänger genug, um mit einer Frau zusammen sein zu können, bei der ich nie wusste, ob sie noch mit mir zusammen war. Das war eines der Dinge, die sie an mir schätzte. Sie war schon immer disziplinlos, ja haltlos gewesen, sprunghaft und ohne Fähigkeit zu Kontinuität. Trotz überdurchschnittlicher Begabung schaffte sie es nicht, beruflich erfolgreich zu sein: Sie flog von der Schule, angeblich wegen ihrer häufigen Fehlzeiten, ihres störenden Verhaltens im Unterricht, ihres notorischen Verweigerns der Hausaufgabenerledigung; in Wirklichkeit, weil nach der Entlassung des dritten Lehrers, der ein Verhältnis mit ihr hatte, ihr alle unterstellten, dass sie nichts anderes im Sinn habe, als männliche Lehrpersonen zu verführen und zu vernichten. Da sie zu diesem Zeitpunkt schon volljährig war, verheimlichte sie ihren Eltern den Rausschmiß und ging ohne Abitur zur Universität. Da das sowieso nichts werden konnte, konnte sie sich selbst um so mehr Erlaubnis erteilen, ihre Unstetigkeit zu pflegen. Sie lebte promiskuitiv und polytox. Aufgrund ihrer Begabung und sexuell gestifteter Beziehungen gelang ihr die Hochstapelei, sich ein Promotionsstipendium und eine Assistentenstelle zu ergattern. Sie versäumte indessen ihre Assistentenpflichten und wurde entlassen. Mit der Promotion kam sie nicht voran und gab das Vorhaben schließlich auf. Als ihre Eltern ihr die weitere Unterstützung entzogen, verdingte sie sich einem "Eskortservice". Sie schlug mir damit ins Gesicht, aber das schien sie nicht zu interessieren. Sie schien selbstverständlich davon auszugehen, dass ich "postmodern" genug sein müsse, so etwas zu tolerieren. Ich inspirierte und motivierte sie immer wieder zu gemeinsamen intellektuellen Projekten, aber jedes Mal kam die Zusammenarbeit über die Anfangsphase nicht hinaus. Sie wurde unzuverlässig, hielt Termine und Absprachen nicht ein und reagierte auf Nachfragen aggressiv. Sie hatte schließlich außerhalb unserer Verbindung ein eigenes Leben, von dem ich nur vage 16 wusste: Sie beging eine Art Heiratsschwindel: sie band reiche Männer an sich, ließ sich reich beschenken, und schickte sie dann zum Teufel. Mit dem so gewonnen Geld wirtschaftete sie verantwortungslos und risikoreich in der Immobilienbranche. Keines dieser Geschäfte schlug an. Nach einigen Jahren gab sie es auf und war ärmer als je zuvor. Sie fing an, mit Drogen zu handeln und war bald selber Heroin abhängig. Auch da hielt ich noch zu ihr, in der Hoffnung, sie finde einen Weg zurück in die Selbstbestimmung. Aber sie gab nicht einmal vor, sich darum zu bemühen. Sie war schließlich nur noch für die Droge da. Meine Hilfen lehnte sie entweder ab oder instrumentalisierte sie für ihre Sucht. Ich war ständig in Sorge um sie, fühlte mich von ihr ausgenutzt, ja sie zog mich hinter meinem Rücken immer wieder in ihre dreckigen Geschäfte hinein. Ich merkte schließlich, wie meine Leistungsfähigkeit und meine Gesundheit mehr und mehr Schaden nahmen. Ich stellte Bedingungen, doch sie hielt keins ihrer Versprechen. - Da wandte ich mich von ihr ab. Sie quittierte das mit Bitterkeit und Sarkasmus, schimpfte mich Spießer, warf mir vor, nicht besser zu sein als alle anderen, Freundschaft nur geheuchelt zu haben um Sex von ihr zu bekommen und jetzt abzuhauen an dem Punkt, wo die Freundschaft sich bewähren müsse, damit entlarve ich mein wahres Gesicht. Was ich zu meiner Rechtfertigung anführte, ließ sie nicht gelten, weigerte sich, mit mir darüber zu diskutieren und behauptete, damit wolle ich bloß mein Gewissen rein waschen. Gleichzeitig machte sie sich aber über mich lustig: dass ich mir soviel habe bieten lassen, "wie ein Hund", sagte sie. Vermutlich hat sie sich nicht vorstellen können, dass ich nie aufgehört habe, sie zu lieben; dass es jedoch eine Verantwortung für das eigene Leben gibt, die es erfordern kann, sich von der Liebe seines Lebens zu trennen, sich das Herz auszureißen... Später, nachdem sie ihre Drogensucht überwunden hatte, machte sie "Karriere" an der Seite eines mehr als 20 Jahre älteren, skrupellosen mafiösen Baulöwen, dem die halbe Stadt gehörte. Er wurde erschossen, sie übernahm sein "Imperium" und wirtschaftete es mit ihrer Gleichgültigkeit und Impulsivität in kurzer Zeit in den Bankrott. Dadurch verloren hunderte Menschen ihre Wohnung und der Stadt entstand ein Schaden in Milliardenhöhe. Auch dieser Bankrott wirkte wie eine große Entwertung: als ob sie den Menschen vor Augen führen wollte, wie nichtig Besitz und Reichtum seien, wie lächerlich Leute, die ihnen anhangen und wie unwichtig das Wohlergehen der Stadt und ihrer Bewohner. Nach dem Bankrott verkaufte sie sich wieder als Edelnutte. Aufgrund ihrer Intelligenz und Schönheit wurde sie zur Mätresse hochrangiger Politiker und Wirtschaftsführer und sorgte für einige der spektakulärsten Skandale der Zeit. Aber selbst daraus konnte sie nichts machen, weil sie es nicht schaffte, Verbündete längere Zeit an sich zu binden, sondern durch ihr intrigantes Verhalten und ihre abwertenden Unterstellungen vergraulte. Als sie 46 war, sah ich sie wieder. Sie lebte einsam und von der Wohlfahrt, sah völlig verlebt aus, 17 dicklich und weich von zuviel Essen und zuwenig Bewegung, und mit einer vom Rauchen uneinladend vergilbten, vorgealterten Haut. Ich spürte noch viel von meiner alten Liebe. Ich hatte in unserer gemeinsamen Zeit mein Gespür für ihre liebenswerten Seiten stark ausgeprägt, auch wenn sie immer nur kurz aufflackerten und sie ihnen keinerlei Dauer zu geben vermochte: das auf die Wunder des Lebens neugierige Mädchen; die geistig freie, überdurchschnittliche Intellektuelle, die so viel vorhatte und ihrer Zeit so viele neue Impulse geben wollte; der irritierte und verzweifelte Mensch, der nicht wusste, was mit ihm eigentlich los war und von Zeit zu Zeit fassungslos und hilflos auf die Spur des Misslingens zurückblickte, die er hinter sich her zog. In diesen seltenen und kurzen Momenten der Verzweiflung war sie dem Eingeständnis sehr nahe, beeinträchtigt zu sein durch ihre wechselhafte, heftige Emotionalität und ihre Art, sich selbst und andere zu erleben. Nicht die flüchtigen Augenblicke der Verschmelzung in der Liebe, die uns immer wieder mit der Illusion spielen ließen, füreinander bestimmt zu sein, sondern meine Solidarität in den Momenten der Verzweiflung, meine wertfreie Art mit ihr über ihre selbstverschuldeten Missgeschicke zu reden, das war es, was sie an mir so schätzte und sie in den Jahren unseres Zusammenseins immer wieder an der Verbindung mit mir festhalten ließ. - Nicht, dass es erst unseres Gespräches bedurft hätte für ihren unseligen Entschluß, unser Gespräch beschleunigte lediglich eine Entwicklung: Wir redeten über ihr Leben, wie es gewesen war, sie erzählte von ihren Jugendvorstellungen, wie es hätte sein sollen, von ihren Begabungen, aus denen sie nichts gemacht hatte. Wir redeten darüber, dass sie aufgrund ihres Alters in ihr altes Leben nicht zurück könne, dass es jetzt keine Ablenkungsmöglichkeiten mit Sex, Drogen und Geld mehr gebe wie früher, dass das eine ganz große Chance für ihr Leben sein könne. Doch es gelang ihr nicht, den Glauben zu gewinnen, einem anderen Leben noch gerecht werden zu können. Ihren abwegigen Lebensentscheidungen war sie nicht gewachsen. Sie tötete sich. 3 Das tat richtig weh, sie in der Hölle zu wissen, an dem Ort ohne Hoffnung, ohne Erbarmen, in einer gnadenlosen, ewigen Qual. Schon damals, als ich mich wegen ihrer Heroinsucht von ihr trennte, hatte es weh getan, daß sie zurückblieb auf der mißlungenen Seite des Daseins. Sie in der Hölle zu wissen war für mich unfassbar, ja steigerte sich bis zum Schock, als mir klar wurde, daß es für sie nie wieder etwas anderes geben würde als Qual - nie wieder! Mein Schock erinnerte mich an einen Bekannten, einen Feuerwehrmann, der alkoholabhängig geworden war, weil er ein Bild nicht vergessen konnte: nachdem er ein 6- und ein 8-jähriges Mädchen tot geborgen hatte, schnitt er den Vater der Kinder querschnittsgelähmt aus den Trümmern des Wagens, der Mann hatte das Händi noch in der Hand, mit dem er am Steuer an einer SMS 18 geschrieben hatte. Je beunruhigter ich wurde, desto mehr entfernte sich die Große Seligkeit aus mir. Ich konnte ihr das nicht verdenken. Meine wachsende Unseligkeit muß für sie wie ein Stachel im Fleisch gewesen sein, und daß ich mich weiter mit meiner Seelenunruhe beschäftigte, trotz ihrer Zurufe, ich möge doch um Himmels- und meiner Willen die Unruhe ignorieren und mich auf das Glück konzentrieren, dass konnte sie nur als verstockten, störrischen Sinn werten, als ein unreines Element, das unbegreiflicherweise dem Purguratorium widerstanden hatte und von dem man sich im Himmel nur distanzieren konnte. Doch auf einmal spürte ich, dass ich nicht mehr alleine war. Aber anders als vorher von der Großen Seligkeit, wurde ich nun von einer Großen Unruhe erfüllt. "Was Dich beklemmt, kennen wir", ließ sie mich spüren. Und sie unterrichtete mich über das merkwürdige Phänomen eines Widerspruchs im Himmel: Es gebe etwas, was kein Purguratorium, ohne sich selbst zu widersprechen, entfernen könne: die Liebe. Und die Liebe könne sich nun mal nicht mit Seele in ewiger Qual abfinden. Die Große Seligkeit meine immer, der Himmel sei vollkommen, und deshalb sei mit denen etwas falsch, die es nicht schafften, von dem einzig verbliebenen Unseligen abzusehen. Aber vielleicht sei nicht mit den Beunruhigten im Himmel, sondern mit dem Himmel selbst etwas noch nicht Ordnung: daß er es nicht vermöge, alle Seelen zu sich zu holen, und deshalb noch Widersprüche entstehen müßten zwischen der Fähigkeit des Liebens und der Abwesenheit von Liebenswerten. "Aber kann man nicht verwirken, liebenswert zu sein - Hitler: ist das nicht ein unwiderlegbares Beispiel eines unliebenswerten Menschen durch und durch? - Und gibt es nicht auch Menschen, die aufbegehren gegen Gott und Gott ablehnen?" "Jeder ist liebenswert, wenn er auf die Welt kommt. Und wer im Laufe seines Lebens dieses Liebenswerte verwirkt, oder wer gar die Liebe, wer Gott ablehnt, hat keine Hölle verdient, sondern eine Kur." Die große Unruhe belehrte mich über die Purguratoriumsmechanik: Das Problem sei, dass die Seelen im Leben bestimmte Voraussetzungen erworben haben müssten, um im Purguratorium bestehen zu können: Die Seele müsse sich wie ein Segel aufspannen, um von den Kräften des Purguratoriums getragen und bearbeitet werden zu können. Vielen Seelen gelinge das aber nicht, sie hätten sich im Leben so stark verspannt, dass sie sich einfach nicht genügend entfalten könnten, sie blieben zu stromlinienförmig, um genügend Kontakt zu den wirkenden Kräften zu bekommen, und würden aus dem Purguratorium hinausfallen, wie ein Fallschirmspringer, dessen Fallschirm sich nicht öffnet. - Keine Seele überstehe das Leben ganz ohne Verspannungen. Alle Menschen seien mehr oder weniger ungeschickt. Daher sähen die Seelenbewegungen der Lebenden für die Toten 19 meist so linkisch aus, so unbeholfen, grotesk übertrieben und wenig zielführend, so, wie die Körperbewegungen eines Menschen, der zum ersten Mal eine Sense schwinge. - Den meisten verschaffe das Leben genügend Gelegenheit, die Seelengeschicklichkeit so üben, daß sie im Purguratorium bestehen könnten. Doch viele Menschen bekämen zu viel Belastung oder zu wenig Chancen, um so viel Seelengeschicklichkeit zu entwickeln, wie für das Purguratorium nötig. Und niemand könne sich aussuchen, welche Belastungen und welche Chancen er im Leben bekomme. Der Spielraum für Schuld sei mikroskopisch klein. An jeglichem Schaden sei der Anteil der Schuld winzig, der Anteil des Schicksals unermeßlich. Und wieviel Schaden ein Mensch in seinem Leben anrichte, hänge nie zusammen mit dem Maß seiner Schuld. Das Böse sei mehr tragisch als böse. Beim Höllensturz handle es sich also nicht um Strafe sondern um Kausalität. Es brauche für Himmel, Fegefeuer und Hölle nicht mal einen Gott. Aber wenn es Gott gebe, dann sei denkbar, dass Gott noch nicht vollkommen sei, weil er noch nicht vermöge, ein Purguratorium einzurichten, das mit allen Ausmaßen von Seelenverspannung fertig werde. Vielleicht sei die Hölle aber auch die ultimative Prüfung Gottes: ob wir es uns an unserer Seligkeit genügen lassen, solange andere ewige Qual litten. "In jedem Fall ist die Hölle ein furchtbarer Unfall des Seins, eine katastrophale Unrichtigkeit, die nicht sein darf, aus der man alle Betroffenen retten muß, alle: wenn nur eine Seele, nur eine einzige Seele nicht gefunden und erlöst wird, bleibt die ganze Seligkeit eine Lüge." Die Seelenretter sich hatten sich zusammenschlossen und organisierten die "Heimholung": das Aufspüren und Befreien von verlorenen Seelen. Die Hölle war kein Ort, den man hätte erstürmen können wie die Bastille, sondern jeder Verlorene war selbst seine Hölle, und es galt, ihn zu finden. Jeder Seelenretter versuchte, der Großen Seligkeit Informationen zu entlocken über Menschen, die nicht im Himmel angekommen waren. Alle Verlorenen wurden registriert und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Große Seligkeit alle Namen preisgegeben hatte, denn sie konnte nicht lügen. Und diese Liste wurde Mensch für Mensch abgearbeitet. So konnte auf Dauer kein Verlorener verloren gehen. Doch die Heimholung war nicht einfach. Sie bedeutete, den Himmel wieder als Sterblicher verlassen zu müssen und selber das Risiko einzugehen, in die Hölle verloren zu gehen, denn man durfte unterwegs nicht den Kräften erliegen, mit denen man es zu tun bekam. Natürlich stand ein gescheiterter Höllensucher ganz oben auf der Liste der zu Rettenden, so dass man wenigstens den schwachen Trost hatte, nicht lange der Qual ausgesetzt zu sein. Nach der Befreiung mußte man mit den Befreiten zusammen ins Purguratorium, man mußte sie festhalten und ihnen helfen, sich wenigstens so minimal zu entfalten, dass ein erster kleiner Punkt von den Massagekräften erfasst werden und ein Anfang gemacht werden konnte. Das war 20 anstrengend und schmerzhaft, denn man war selbst den Massagekräften ausgesetzt, und diese Vorstufe dauerte meist länger als das ganze eigentliche Purguratorium. (Dabei währt ja - wie die Menschen früher wußten - bereits ein "normaler" Purguratoriumsaufenthalt bekanntlich schon viele Millionen Erdenjahre.) Und auf all das konnte man nicht vorbereitet werden, denn jeder Weg zu einem Verdammten war völlig anders, wartete mit gänzlich neuen Gefahren, Mühen und Schmerzen auf, so dass jeder der Höllensucher jedes Mal wieder Anfänger war. Es gab lediglich umfangreiche Eignungstests, ob man sich im Leben genügend jener Eigenschaften erworben hatte, die nötig waren, um so eine Befreiungsaktion leisten zu können. (Es konnten nicht alle, die bereit waren, der Liebe zu folgen, auch ausgesandt werden. So, wie eine Massage Muskeln entspannt aber nicht bildet, konnte auch das Purguratorium nur reinigen, was schon da war, aber es entwickelte nichts und fügte nichts hinzu, und was man im Leben nicht erworben hatte, erwarb man nimmermehr. Denn im Himmel hatte man nichts nötig, da gab es keinen Handlungsbedarf, da brauchte man keine Geschicklichkeit, nur Gelöstheit.) So sehr die Liebe mich auch erkühnte: es gab auch eine Stimme in mir, die bedauerte, für tauglich befunden worden zu sein. Sie maulte: "Na Klasse, da hat man sich das ganze Leben um Vervollkommnung bemüht, und was hat man jetzt davon: jetzt darf man die Bösen aus der Hölle holen unter Einsatz der eigenen Seligkeit, und wenn mans nicht tut, wirds auch nichts mit der Seligkeit, weil die Liebe einem mit ihren ständigen Vorhaltungen alles verleidet. Und für die ganze Unternehmung, mit der man alles Erreichte aufs Spiel setzt, winkt kein anderer Lohn als das, was man auch kriegen würde, wenn man sich anstrengte, vernünftig zu sein und sich zusammenzureißen, um die törichten Störimpulse der Liebe zu ignorieren!" "Wir suchen ja nach Möglichkeiten, das Verfahren zu erleichtern, z.B mit einer Art Rettungsleine, die verhindert daß die Heimholer selber in die Hölle geraten. Wir arbeiten dran leider bisher erfolglos." "Für Menschen die man liebt, tut man viel. Aber ist es vorstellbar, unter diesen Bedingungen eine Bereitschaft zu entwickeln, auch ausgemachte Stinkstiefel, unverbesserliche Fieslinge und wahre Teufel, ja, sogar einen Hitler aus der Hölle zu retten?", fragte ich. "Mancher kann sich auch nicht vorstellen, je einen Klimmzug zu schaffen, doch den Muskeln ist es egal, was das Gehirn sich vorstellen kann, sie wachsen einfach, wenn man sie übt." "Aber warum sollte man für solche Leute üben?" "Die Frage stellt sich für Dich nicht. Du möchtest Deine Liebste retten. Mehr mußt Du erstmal nicht wollen. Bist Du bereit?" 21 4 Ich war nackt. Es war kalt. Schmutziger Nebel stieg vom Boden auf, so dicht, daß ich meine Füße nicht sehen konnte. Auf Halshöhe verlor er sich: Ich blickte in eine endlose öde Ebene in schwachem, schmutzig-gelblichem Licht, das überall gleich verteilt schien. Gestank lag in der Luft, widerlich und durchdringend wie Verwesung. Ich stand völlig verloren da. ich wusste nicht, in welche Richtung ich mich wenden sollte, jede konnte die Falsche sein. Doch ich merkte schnell, daß ich nicht viel Auswahl hatte: ich stand auf einem schmalen Grad, rechts und links von mir war abschüssiges Gelände, auf dem ich mich sofort im Nebel verlor. Nachdem ich dem Grad eine Zeit gefolgt war, bemerkte ich eine Abzweigung. Ich kam mir vor, wie eine Ratte im Labyrinth: welche Entscheidung ich auch traf, es konnte die falsche sein. Ich entschied mich, auf meinem Weg zu bleiben, auch als ich weitere Abzweigungen bemerkte. Doch dann trat mein Fuß plötzlich auch vor mir ins Abschüssige. Ich musste umkehren und einen anderen Weg ausprobieren. Doch auch der nächste Weg endete in Abschüssigkeit und so auch alle weiteren Wege. Ich mußte mich schließlich entscheiden, ganz in den Nebel einzutauchen. Ich versuchte es an mehreren Stellen, und da das Gelände überall gleich steil abfiel, kraxelte ich schließlich einfach weiter nach unten. Plötzlich spürte ich eine Kante, von der ich mich nur umständlich auf eine weitere Stufe hinablassen konnte, die ebenfalls wieder an einer Kante endete. Ich kletterte den Hang wieder hinauf, um einen leichteren Weg hinab zu suchen, doch machte ich überall die gleiche Erfahrung: Alle Abhänge schienen an gestuften Abbrüchen zu enden. Wenn ich nicht auf den Graten hin- und her wandern wollte, hatte ich keine andere Wahl, als zu Klettern. Ich war bereits eine ganze Zeit lang geklettert, als ich an eine Stufe gelangte, von der ich mich zu keiner weiteren hinablassen konnte. Ich versuchte es weiter seitlich, aber so weit ich auch kam, ich fand keine Stelle, an der ich kontrolliert abwärts steigen konnte. - Ich spuckte, und hörte, wie die Spucke auf Grund platschte. Es wäre also möglich, hinunter zu springen. Doch wenn ich das täte: würde ich mich wieder nach oben ziehen können, falls ich an eine Stelle gelangen würde, die auch zum Springen zu hoch wäre? Doch wenn ich jetzt wieder noch oben stieg, hätte ich viel Kraft verausgabt, ohne etwas gewonnen zu haben, und es gab keine Garantie, daß ich an der nächsten Stelle mehr Erfolg haben würde. Ich bekam Angst, die falsche Entscheidung zu treffen, und geriet in ein lähmendes Hin- und Her, das mich noch mehr ängstigte: von der Entscheidungslosigkeit festgebannt, zu erfrieren! Diese Entscheidungsangst war mir zur Genüge aus meinem Leben bekannt und ich zweifelte an der Validität der Eignungstests für die Höllensuche: War so ein ängstlicher Mensch wie ich der Richtige für ein solches Unternehmen? Während ich noch zweifelte, schien etwas in mir den Entscheidungsprozeß fortgeführt zu haben, denn mir erschien auf einmal das Rationalste und Verantwortbarste, wieder hinaufzusteigen, um nicht zu riskieren, irgendwann 22 mal weder hinunter noch hinauf zu können. Aber ich war niedergeschmettert: die ganze Verausgabung für den anstrengenden Weg war umsonst gewesen, ich würde wieder am Anfang stehen und mußte befürchten, nicht genügend Energie zu haben, das Ziel zu erreichen, von dem ich nicht mal wusste, wo es lag. - Als ich mich umwandte, bemerkte ich: die letzte Stufe, die ich heruntergeklettert war, mußte sich verändert haben! Ich konnte den Absatz gerade noch mit meinen Händen erreichen. Ich versuchte, mich mit den Armen hochzuziehen, aber ich schaffte es nicht, ich hatte zuwenig Kraft. Ich dachte: „Gut, da nimmt mir einer die Entscheidung ab“, und schickte mich an, den Weg nach unten fortzusetzen. Aber ich hatte Verdacht geschöpft und spuckte zur Sicherheit noch einmal, bevor ich mich hinabschwang. Und tatsächlich: Ich hörte kein Platschen mehr! Wütend schrie ich: "Wer macht diese Scheiße denn hier!" Dann überkam mich eine lähmende Schuld: Weil ich im Leben immer zu faul gewesen war, meine Armmuskeln zu trainieren, konnte ich jetzt nicht mehr hoch klettern und drohte zu scheitern! Doch dann kam mir der Gedanke, daß dass man in einer ständig sich verändernden Landschaft nur einen sehr relativen Einfluß darauf hat, ob man sein Ziel erreicht, egal wie kräftig die Muskeln sind. Plötzlich kam Bewegung in den Nebel: es entstanden widerliche bräunliche Schlieren, die sich im Kreise zu drehen begannen. Es bildete sich ein riesiger Strudel, mehrere hundert Meter im Durchmesser. Der Nebel wurde offenbar abgesaugt. Ich sah, dass ich mich in einem gewaltigen Schlund befand, dessen Wände in unregelmäßigen schwarzen Quadern steil abfielen. Der Nebel sank tiefer und tiefer. Da das Licht überall gleich verteilt zu sein schien, erblickte ich schließlich einen unabsehbaren Abgrund. Panik überkam mich: Du darfst nicht die Aufmerksamkeit sinken lassen, ein Aussetzer, und du bist verloren, Korrektur gibt es nicht, es geht unerbittlich um Leben und Tod - das war es, was mir immer Höhenangst gemacht hatte. - Und jetzt stand ich hier, und kam nicht mehr weg! - Plötzlich drängte sich mir die Vorstellung, wie es sich anfühlen würde, die Kontrolle verloren zu haben, so lebhaft auf, daß ich mehrere Male das Gefühl hatte, bereits wirklich zu fallen. Die Panik, die mich dabei jedes Mal überkam, ließ mich dann wirklich fast das Gleichgewicht verlieren und löste eine noch stärkere Panik aus. Diese eskalierenden Attacken zermürbten mich. Es kam soweit, daß sich die Vorstellung, endlich aufzugeben, überwältigend attraktiv anfühlte. Das verstärkte die Angst noch weiter, weil ich nicht wusste, wie lange ich dieser Versuchung widerstehen konnte. Da ergriff in mir eine Instanz das Wort, die es leid war: "Was soll dieses Rumgehampel! Die Sache ist doch ganz klar: Es gibt keine Kraft, die mich hier runter kriegt, ich muß mich einfach nur auf das Stehen und die Füße konzentrieren!" Ich begann, meine Aufmerksamkeit auf meinen Körper zu richten, mich zu entspannen, den Boden unter den Füßen und die Wand im Rücken zu spüren. Doch immer wieder schoß Panik ein. Das raubte mir den Mut. Ich dachte: irgendwann wird die Panik mich überwältigen. Doch ich dachte auch: Wenn es so 23 kommt, dann wird es so sein, aber jetzt, jetzt ist es noch nicht so, und solange es noch nicht so ist, tue, was du kannst. So schaffte ich es, mich von der eisigen Wand im Rücken zu lösen. Ich stand wieder frei, die Augen starr geradeaus gerichtet, und trat bedächtig von einem Fuß auf den anderen. Ich konzentrierte mich nur auf diese Bewegung. Mir wurde klar, daß ich nur eine Chance hatte: zu warten, bis sich wieder irgend etwas anderes ändern würde. - Doch nun begann etwas Neues: Der Gestank schien aus dem Schlund zu stammen. Der Nebel hatte ihn offenbar gedämpft, denn jetzt steigerte sich seine Ekelhaftigkeit ins Bösartige: so konnte nur ein tödliches Gift stinken! In mir brach neue Panik aus, ich wollte fliehen, aber die Stufe war noch immer zu hoch! Jeder Atemzug erfüllte mich mit so schneidendem Ekel, daß ich nicht glauben konnte, das lange zu überleben. Ich gab mich verloren und begann zu weinen, weil meine Unternehmung so schnell gescheitert war und ich soviel verspielt hatte und jetzt vermutlich für Äonen in die Hölle kam, bevor meine Leute mich rausholen konnten. Plötzlich durchzuckte mich ein so vernichtender Schreck, daß Kälte, Gestank und Höhenangst dagegen völlig verblaßten: Was war, wenn ich einem Betrug aufgesessen war? Wenn die Rebellen im Himmel gar nicht die Guten waren, sondern die raffiniertesten Agenten des Bösen? Mir fiel auf, dass sie mit mir über alles Mögliche gesprochen, aber dabei offenbar, wie Vertreter für Finanzprodukte, ein Thema völlig ausgespart hatten! Wenn alle Verdammten erlöst würden: würde das nicht ermöglichen, was die Weisen seit Urzeiten als die schlimmste aller Sünden brandmarkten: Sündigen im Vertrauen darauf, dass es eine Barmherzigkeit gibt, die niemanden in ewiger Verworfenheit lassen würde? War das nicht ein Freibrief für die schlimmsten und grässlichsten Verbrechen, für die grenzenloseste Bösartigkeit? Mir ging in überwältigender Klarheit auf, dass das nicht sein konnte, sondern dass die Liebe die Guten im Leben schützen müsse vor Verbrechern, die mit einer finalen Barmherzigkeit rechnen. Dante hatte recht: um der Gerechtigkeit willen muß es eine ewige Verdammnis geben! Ich konnte nicht anders denken, als dass ich Opfer eines Betrugs geworden war, gegen die Große Seligkeit gefrevelt und sie mir damit ein für allemal verwirkt hatte. Ich starrte geradewegs in den Abgrund der Hölle, der ewigen Verworfenheit, der ewigen Qual! Meine Existenz war verspielt: sinnlose Qual in absoluter Verlassenheit als Endzustand einer ewigen Existenz. - Angst erfüllte mich wie eine giftige Flut, Angst, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Ich hätte nie gedacht, daß wir zu solcher Angst fähig sind, und wunderte mich, daß Herz und Seele das noch aushielten. Ich war so erstaunt über das Ausmaß der Angst, daß sie für einen Augenblick an Macht einbüßte, aber nur für einen Augenblick, dann wurde mir wieder völlig gewiß, daß ich auf ewig verdammt war, und das raubte mir fast den Verstand. Meine Beine gaben nach und ich fiel. Aber da ich mich instinktiv fest an die Wand gepreßt hatte, fiel ich nur auf meinen Po. Ich merkte, daß ich aus Leibeskräften geschrieen hatte. Schrei und Schmerz unterbrachen die 24 Angst und gaben mir eine Chance zur Besinnung: Ja, es war möglich, daß ich dem abgefeimtesten Schwindel aufgesessen war, aber ich machte mir klar, daß auch viel dafür sprach, daß die Seelenretter keine Schwindler waren. Ich machte mir ferner klar: die Kapitulation war die Handlungsmöglichkeit, die mir in keinem Fall verloren gehen konnte, verloren gehen konnten mir nur alle anderen Möglichkeiten. Wenn die Hölle mich wollte und bekam, dann keinen Augenblick früher als nötig. Solange noch ein Rest Wärme und Kraft in mir war, wollte ich mich ihr entgegenstemmen. Nach einiger Zeit stand ich wieder frei, ohne mich an die eisige Wand anzulehnen, und konzentrierte mich nur auf das Setzen meiner Füße beim Treten auf der Stelle. Der Nebel begann allmählich, den Schlund wieder einzuhüllen und den Gestank zu dämpfen, es schien dadurch auch ein wenig wärmer zu werden. Endlich konnte ich feststellen, daß die Wand niedriger geworden war. Jubelnd kletterte ich hinauf. Ich machte mir keine Gedanken mehr, wohin ich gehen sollte, es kam offenbar nur darauf an, einfach in Bewegung zu bleiben. Die Höllenangst war abgeebt, aber die Angst vor der nächsten Gift-Flut lag mir wie ein Stein im Magen. Ich zwang meine Aufmerksamkeit, an die Gründe zur Hoffnung zu denken. Nach einiger Zeit merkte ich indessen, wie mir allmählich die Kräfte schwanden und es zu Ende ging. Die Angst wurde wieder mächtiger und lähmender. Aber ich hatte mich einmal entschieden, nicht aufzugeben, und wenn ich mir auch vor Angst jede einzelne Bewegung mit Befehlen abringen musste! Da sah ich plötzlich in der Ferne einen hellen Lichtstrahl den Nebel durchdringen! Ich jubelte, doch mir wurde klar, daß kein Grund zum Jubeln bestand: zwischen mir und dem Licht konnte sich jederzeit eine unüberwindliche Wand oder ein unüberwindlicher Abgrund schieben. Tatsächlich verlor ich das Licht bald aus den Augen und ich mußte mir wieder einhämmern, die Kraft, die noch in mir war, zu nutzen, egal ob es zu was führte oder nicht. Als ich den Lichtstrahl wiedersah, war er größer geworden, und als ich ihn das zweite Mal wieder sah, noch größer, doch war ich jetzt so entkräftet, daß ich zusammenbrach und im Lichtkegel liegen blieb. Mehrmals raffte ich mich auf, brach aber nach wenigen Metern wieder zusammen. Ich war zu erschöpft für die Angst, mir wurde bloß noch übel und ich erbrach mich. - Ich dachte: „Das war´s jetzt“. - Aber plötzlich spürte ich, daß mir aus dem Licht Kraft zuwuchs. Ich krabbelte ihm ein Stück entgegen. Immer wieder blieb ich liegen, konnte mich aber jedes Mal wieder aufraffen und kam der Lichtquelle immer näher. Bald konnte ich mich wieder aufrichten und weitergehen. Doch verlor ich das Licht erneut. So setzte sich der Kampf fort, bis das Licht plötzlich ganz hell vor mir auftauchte: ich sah, dass ich mich in einer riesigen Halle befand und erblickte die Umrisse des Ausgangs in greifbarer Nähe! Vom Licht gestärkt rannte ich darauf zu, es versuchte sich zwar noch etwas dazwischen zu schieben, doch ich 25 übersprang es und trat ins Freie. 5 Wieder stand ich auf einer unabsehbaren Ebene. Es gab auch hier nur diffuses Licht, doch es war strahlend hell und voll nährender Wärme. Der Gestank war verschwunden. Ich sank auf die Knie und weinte vor Dankbarkeit. Mein Verdacht gegen die Himmelsrebellen kam mir jetzt ziemlich kleingläubig vor, ich schämte mich dafür. Ich erholte mich schnell, und bald fühlte ich mich so stark und wohl, wie ich mich mein Lebtag nicht gefühlt hatte. Der Boden, auf dem ich lag, war weißlich und steinartig. In einiger Entfernung entdeckte ich etwas, das mich an einen Brunnen erinnerte. Ich ging darauf zu, und sah, daß es tatsächlich ein eingefaßtes Loch war. Da bemerkte ich, wie sich vorsichtig eine Hand herausschob und auf dem Rand Halt suchte, und dann eine zweite. Es waren Hände, die Klavierspielen konnten. Ich half ihr hinaus. "Du?" fragte sie. - "Wer sonst", erwiderte ich. Wir griffen unsere Hände und fühlten uns mit dieser Berührung verbundener als bei allen Höhepunkten der Leidenschaft, die wir miteinander erlebt hatten. „Für jemanden, der gerade der Hölle entronnen ist, ist sie ja ziemlich gefasst!", kam mir plötzlich in den Sinn. Sie lachte: "Soll ich Freudensprünge machen, damit du dich geschmeichelt fühlst? Nein, im Ernst, ich bin nicht erst gerade der Hölle entronnen. Ich bin schon lange unterwegs. Die Hölle liegt um dich wie eine Zwangsjacke und diese Jacke ist wie deine eigene Haut, daran zu reißen macht alles noch schlimmer und bringt gar nichts. Doch dann kam ein Augenblick, wo ich merkte, daß ich mich häuten konnte, und ich riß mir die Hölle herunter und stand plötzlich frei von der Höllenqual in einer trostlosen, leblosen Landschaft. Doch die Hölle wollte mich wieder einhüllen und war wie eine Wolke hinter mir her. Ich lief um mein Seelenheil. Nichts, was mir in dieser Landschaft an Hindernissen begegnete, war so schlimm wie die Höllenqual, so daß mich kein Hindernis abschrecken konnte. Im Leben hätte ich so einen Parcours keine 100 m durchgehalten, das kann ich dir versichern! Dann sah ich plötzlich einen Lichtstrahl senkrecht auf den Boden fallen und als ich ihn erreichte, sah ich, daß er durch ein Loch in der Decke drang und eine Leiter hinaufführte. Und als ich dich sah, wusste ich, daß ich gerettet bin. Schau!" Sie wies auf die Stelle hinter sich, wo eben noch der "Brunnen" war. Er hatte sich geschlossen. "Da kommt keine Hölle mehr durch." – Doch da schien sie zum ersten Mal zu begreifen, daß sie wirklich gerettet war, sie sank auf die Knie und weinte. Ich schloß sie in meine Arme. "Das Schlimmste", begann sie nach einer Weile, "schlimmer als die eigentlich Qual, war die absolute Hoffnungslosigkeit: die Gewißheit, daß es ewig sein würde, daß nie etwas anderes 26 kommen würde, verstehst Du? Es war völlig gewiß, es war nicht möglich, irgend etwas zu denken, das auch nur der winzigsten Hoffnung Raum geschaffen hätte. Schlimmer als die Qual selbst war auch das Bewußtsein, sie selber verschuldet zu haben. Immer wieder erlebte ich die Situationen meines Lebens, in denen ich die falschen Entscheidungen getroffen hatte, und ich mußte mir eingestehen, daß ich allein verantwortlich war dafür, eine einzige und einmalige Chance vertan zu haben, die einzige, einmalige, winzige Chance, die wir haben, vor der Unendlichkeit. Ich konnte mir es nicht anders vorstellen, als das alle Wesen des Daseins nur Spott, Häme und Hohn auf mich spucken würden. Schuld und Scham wurden so übermächtig, dass ich ständig das Gefühl hatte, daran zugrunde gehen zu müssen. Aber man geht dort nicht zugrunde, man hat keine Hoffnung, zugrunde zu gehen, das ist ja gerade Teil der Qual. Und schließlich: die absolute Verlassenheit. Im Folterkeller hat man wenigstens noch die Schergen. Doch hier war ich ganz allein - auf ewig völlig allein in diesen Kreisen der Qual." "Die mit der Qual verbundenen Qualen habe ich verstanden, aber was war die eigentliche Qual?" "Du würdest es nicht verstehen. Im Leben ist eine solche Qual nicht vorstellbar. Das Schlimmste und Widerwärtigste, das du dir vorstellen kannst, ist gegen diese Qual nur wie das Kitzeln eines Fliegenbeins gegen lebendig die Haut abgezogen zu bekommen. Und das Allerschlimmste war: die Qual änderte sich ständig! Es gab ständig einen neuen, vorher nie gekannten Schmerz, es gab nicht die geringste Möglichkeit der Gewöhnung oder Erwartung. Man konnte nie wissen, wie lange eine Qual dauerte und wie sich die nächste anfühlen würde. Und so sehr man sich auch auf eine böse Überraschung einstellte: das Eintretende übertraf an Bösartigkeit noch das Schlimmste, was man sich vorstellen konnte." Erneut brach sie in Tränen aus. Sie weinte lange. Als sie sich beruhigt hatte, fragte sie: "Womit habe ich verdient, daß Du mich rettest?" "Tja, ich weiß auch nicht, ich konnte es einfach nicht aushalten, dich in der Hölle zu wissen und überhaupt um die Hölle zu wissen, ich glaube das hat mit Verdienst gar nichts zu tun. So wie es jetzt ist, das ist doch völlig bekloppt: ein paar Erdenjahre entscheiden über die Unendlichkeit. Das kann es doch nicht sein, das ist doch völlig unausgegoren! Wie bei einem Flugzeug, das bei bestimmten Bedienungsfehlern gleich abstürzt, ohne irgendeine Möglichkeit der Gegensteuerung. Ich habe diese Unvollkommenheit einfach nicht hinnehmen wollen. Ich glaube, das ist alles." Es war, während wir redeten, immer heller und heißer geworden. Jetzt wurde es allmählich unerträglich und wir spürten, daß das Licht uns umbringen würde. Bei dem Gedanken, wieder in die Nebelhalle gehen zu müssen, versagten mir die Knie, rein instinktiv erinnerte sich mein ganzer Organismus an das dort erlebte. Sie half mich auf: "Glaub mir, das Licht hier wird immer höllischer, es wird uns umbringen und du weißt was das 27 heißt! Aber dort im Nebel haben wir eine Chance!" "Es ist nicht klar, wieviel darin von uns und wieviel vom Zufall abhängt. Vielleicht werden wir es nicht schaffen, dann war alles umsonst", erwiderte ich verzweifelt. "Nein, nicht umsonst. Denn jetzt weiß ich, daß es nicht ewig sein wird, nicht unabänderlich, verstehst Du, nicht ewig!!!" "Aber selbst wenn wir das schaffen, das war erst der Anfang, dann kommt das Purguratorium!" "Ich weiß", sagte sie fast ein wenig schnippisch lächelnd, "ich bin bereits informiert. Aber ich bin ja nicht mehr allein. Du mußt Dich nur genügend anstrengen, mich fest zu halten!" "Und warum sollte ich das tun? Warum tue ich das eigentlich alles für dich?" Mir kam die ganze Sache plötzlich albern vor. "Du hast es doch eben gesagt: als Teil eines sich selbst vervollkommnenden Organismus macht man das nun mal so", antwortete sie und grinste. 28 Stoffwechsel. Ein Alptraum. An einem Hochsommermorgen fuhr ich in der ersten Helle los, voller Vorfreude auf Lara, die Frau, die ich liebte. Die Autobahn war noch völlig leer. Nach einer halben Stunde Fahrt sah ich mehrere stehende Fahrzeuge, offenbar ein Unfall. Die Menschen standen ratlos herum. Als sie mich sahen, gestikulierten sie stark, um mich anzuhalten. Einer rannte auf den letzten Metern auf mich zu und bat, den Motor nicht auszuschalten. Er sprach von einer Ökokatastrophe. Die Autobahn brach abrupt ab. Es war eine gleichförmige Fläche zu sehen. Sie war fest wie Stein. Ein Lastwagenfahrer hatte mit einem Wagenheber ein Loch hinein gebrochen, es handelte sich um eine Art Kruste, armdick, darunter befand sich eine seltsam zähe schleimige Masse. Sie war hoch ätzend, der Auflösung des hinein gehaltenen Metalls konnte man zusehen. Zwei Männer kamen von den überkrusteten Hügeln zurück. Sie schilderten, wovon ich mich danach selbst überzeugte: von den Hügeln sah man bis zum nächsten Hügelkamm nur diese steinig verkrustete Landschaft. Die vereinzelten Dörfer, die hier gestanden haben mußten, waren weg, was mit den Menschen geschehen war, war unklar. Der Lastwagenfahrer berichtete, in der Nacht in südlicher Richtung so etwas wie Polarlichter gesehen zu haben. Der Funk sei ausgefallen. Dann sei die Autobahn plötzlich zu Ende gewesen. Mit den später eingetroffenen anderen Fahrern hätten er versucht die Leitplanke zu demontieren, um zu wenden und zurückzufahren, aber sie hätten nicht mehr starten können, die Batterien seien leer gewesen, rätselhafterweise. Ich gab denen, die wenden wollten, Starthilfe, stand aber mit den andern noch weiter unschlüssig herum. Die Aussicht, Lara heute nicht mehr in die Arme zu schließen, machte mich wütend. Ich war drauf und dran, mit dem Wagen über die Kruste zu fahren, doch der Lastwagenfahrer gab eindringlich die Unberechenbarkeit zu bedenken. Irgendwann trafen Polizisten ein. Auch sie waren ratlos, hatten keinen Funk, konnten nichts melden und keine Anweisungen entgegennehmen. Sie konnten nichts weiter tun, als den zunehmenden Verkehr auf die Gegenfahrbahn umzuleiten, zur Rückkehr. Schweren Herzens trat auch ich die Rückkehr an. Ich konnte es nicht fassen, Lara heute nicht mehr zu sehen, und schlug immer wieder wütend auf das Lenkrad ein. Mehrmals versuchte ich, die Kruste weiträumig zu umfahren, ich hoffte jedes Mal ungeduldig auf freie Fahrt, aber jedes Mal vergeblich. Gegen Abend gab ich auf und fuhr ins Dorf zurück, wütend und verärgert, nicht bei Lara zu sein und einen ganzen Urlaubstag im Auto vergeudet zu haben. - Ich hoffte, zu Hause eine Festnetzverbindung zu Lara bekommen zu können. Auch da wurde ich enttäuscht. - Jetzt konnte ich nur noch hoffen, daß Lara in den Nachrichten gehört hatte, daß Mecklenburg durch eine rätselhafte Umweltkatastrophe vom Rest der Welt abgehängt worden sei. 29 2 Ich war damals Anfang 20 und betrieb mit meinem Vater an der Müritz einen kleinen Rundflugbetrieb für Touristen. Nach der Wende hatte er billig eine Piste der Landwirtschaftsflieger erworben. Dort stand unser Doppeldecker, ein selbstgebautes historisches Modell. Es kam uns jetzt zugute, daß wir uns nichts Historisches erspart hatten, und der Motor mit Startpatronen gestartet wurde. Mit unserem Aktionsradius von 250 km konnten wir bis weit hinter Berlin und zurück fliegen. Kaum in der Luft, sahen wir in der Ferne die öde gelbe Fläche. Unser Entsetzen wurde immer größer: Je weiter wir auch krusteneinwärts flogen, wir sahen kein Ende! Soweit das Auge reichte: überall war die Landschaft mit diesem einförmigen gelben Brei überzogen, der alles unter sich begraben hatte, Straßen, Höfe, Dörfer, Seen! Allerdings gab es immer wieder Grünstreifen, teilweise kilometerlang und mehrere hundert Meter breit. Die Menschen, die dort von der Kruste überrascht worden waren, standen ratlos an den Rändern. Einmal sahen wir einen einsamen Hof, Wohnhaus und Stallungen waren über die Hälfte verschwunden. Wir sahen zwei Kinder kauern, ein paar Kühe liefen umher. Wir landeten. Die Kinder standen unter Schock. Die Eltern hatten in dem verschwundenen Teil des Hauses geschlafen. Die Kinder hatten die Kruste an vielen Stellen aufgebrochen um ihre Eltern zu suchen, aber überall nur die gleiche schleimig ätzende Masse gefunden. Sie wollten nicht mit uns kommen. Sie wollten auf ihre Eltern warten. Sie hatten das zwar schon den ganzen gestrigen Tag getan, aber es war selbst für uns unfaßbar, daß die Eltern einfach weg sein sollten. Wir suchten mit ihnen noch einmal alles ab und durchpflügten regelrecht den ganzen Grund, auf dem das Haus gestanden hatte, fanden aber unter der Kruste überall nur den ätzenden Brei. Nach einigen Stunden entdeckte ich etwas, was ich gestern an der Autobahn noch nicht bemerkt hatte: Die Kruste wuchs! Langsam aber sicher. Sie ätzte sich durch das Mauerwerk. Von Zeit zu Zeit stürzten die verbliebenen Gebäudeteile ein. - Am späten Nachmittag konnten die Kinder die Wahrheit nicht mehr verleugnen und kamen mit. Die Mädchen waren tapfer: das ältere erschoß eigenhändig die Tiere, weinend. Von Berlin war keine Spur zu sehen. Oder doch: Spuren. Die Fläche war hier deutlich unregelmäßiger. Sie erinnerte schwach an die Auswölbungen einer Riesenschlange, nachdem sie ein Kalb verschlungen hat. - Wir hatten die Kinder im Unklaren über unser Ziel gelassen. Unsere Erschütterung über die ausgelöschte Großstadt ließen wir uns nicht anmerken. Am nächsten Tag flogen wir die Kinder zu ihrer Tante nach Rostock. Der Zugverkehr war lahmgelegt, es gab keine Elektrizität. Funk fiel weiterhin aus. Am Tag darauf fuhr ein Polizeifahrzeug durchs Dorf und versicherte per Lautsprecher, daß keine 30 Gefahr bestehe und die Versorgung sichergestellt sei. - Wir schafften unsere Treibstoffvorräte an das Autobahnende, um die Fläche noch weiter erkunden und weitere Überlebende retten zu können. Soweit wir auch flogen: die Kruste war unabsehbar nach allen Richtungen. Mehrmals sahen wir Gruppen von Menschen, die durch Hunger und Durst aus ihren Enklaven getrieben worden waren. Sie hatten keine Ahnung, in welche Richtung sie sich wenden sollten, keiner hatte Hoffnung. Wir konnten ihnen wenigstens den Weg weisen. Erst hinterher fiel mir auf, daß ich zu diesem Zeitpunkt wie selbstverständlich davon ausgegangen war, daß die Kruste nicht bis Weimar reichte, daß irgendwo südlich von Berlin wieder alles in Ordnung sein müsse, daß es gar nicht anders sein könne. Wir sahen jetzt immer öfter Militärhubschrauber, die Eingeschlossene retteten. Die verbliebenen staatlichen Einrichtungen schafften es, Recht, Ordnung und Versorgung aufrecht zu erhalten, mit Infoblättern oder Lautsprecherwagen wurden die Bürger regelmäßig informiert. Nach zwei Wochen wurden die ersten Untersuchungsergebnisse freigegeben. Sie waren schockierend. Doch was mich am fassungslosesten machte: Ich mußte davon ausgehen, daß Lara tot war. Die Luftbilder rund um Weimar, die ich als Angehöriger einsehen durfte, zeigten keine Enklave, nur Kruste, flächendeckend. Einen größeren Schmerz habe ich in meinem Leben nie wieder empfunden, trotz allem, was noch kommen sollte. - Mehr als zwei Drittel der Landoberfläche der Erde war verkrustet. Mehrere Milliarden Menschen waren darunter begraben. Überall, wo man unter der Kruste nach Überresten von Häusern, Dingen und Menschen gesucht hatte, hatte man nur schleimigen, schlierigen Brei gefunden. Es war rätselhaft, worum es sich handelte. Es verhinderte allen Funk. Elektrizität konnte nicht weiter als 4 Meter transportiert und nicht länger als eine halbe Stunde gespeichert werden. Wieso war unklar. - Telefon, Internet, Rundfunk: alles blieb tot. - Pro Stunde fraß sich die Kruste etwa 2 Meter weiter ins Land, das machte in 20 Tagen fast einen Kilometer. Das war aber kein Grund zur Panik, weil das Wachstum der Kruste langsam genug war, um eine Problemlösung erwarten zu können, bevor es im wahrsten Sinne des Wortes „eng“ würde. Nach weiteren Wochen gab es die ersten Forschungsergebnisse: Es mußte aus dem Weltraum stammen. Es ließ sich zertrümmern bis zu einem Feinstaub mit Partikeln im Nanobereich. Das Elektronenmikroskop zeigte die Partikel als vollendete glasklare Kugeln. Ab einer gewissen Menge Staubes konnte mit dem bloßen Auge ein schwaches Fluoreszieren in allen Regenbogenfarben beobachtet werden, bevor der Staub sich wieder zu einer gelblichen Kruste verbug, deren Rand, dort, wo sie auflag, schleimig wurde und sich durch alles durchfraß, durch alles! Oder besser: er verstoffwechselte alles, denn er verwandelte alles unter sich in Kruste. Ließ man es liegen, lag es 31 irgendwann faust- oder ballgroß auf dem Boden des tiefsten Kellers und wuchs dort, unaufhaltsam, in Breite und Tiefe. Die Kräfte, die am Werk waren, blieben unerklärlich. - Das Zeug mußte über bisher unbekannte Möglichkeiten der Leitung von Elektrizität verfügen, die durch keine bekannten Materialien gänzlich zu unterbinden waren. Nur so war erklärbar, warum es allen Strom aufsaugte. Der ätzende Brei fraß sich immer tiefer ins Erdinnere und ließ die Kruste immer dicker werden. Die Kruste begann, sich unseren Planeten einzuverleiben. - Ab einem Gewicht von 20 kg pro Quadratmeter wurde auch auf der Krustenoberfläche eine Ätzreaktion ausgelöst, je schwerer das Gewicht, desto eher: Zwischen 30 und 50 kg dauerte es mehr als 20 Stunden bis zur Ätzreaktion, ein auf die Kruste gefahrener Panzer wurde bereits nach 4 Stunden angeätzt. Aber nie schaffte es die Kruste schneller als in 2 Stunden, ihre Ätze herauszuschwitzen. Nach zwei Jahren hatte die Kruste unseren kleinen Flugplatz erreicht, wir wurden zu Flüchtlingen. Nach 6 Jahren gab es überall auf der Welt immer häufiger kleine Erdbeben, aber ohne nennenswerte Schäden. Nach 8 Jahren nahmen diese Beben an Häufigkeit und Heftigkeit zu, die Wirtschaft, durch die Flüchtlinge längst bis an die Grenze belastet, begann zusammenzubrechen, und wo Chemiewerke und Tanklager zerstört wurden, gab es ausgedehnte Ökokatastrophen. Nach 10 Jahren hatte sich die Kruste überall etwa 700 km weiter ins Land gefressen. - Wir waren, wie viele Millionen anderer auch, längst in Norwegen evakuiert, dicht gedrängt. Es gab die ersten Versorgungsengpässe und Platzprobleme. Bis dahin war trotz der Erdbebenkatastrophen alles sehr diszipliniert abgelaufen, jetzt begann die Lage zu kippen. Alle Hoffnungen in die Wissenschaft waren zerschlagen. Die Wissenschaftler konnten nur mit beunruhigenden Fakten aufwarten: Die Kruste hatte sich bereits über 1000 km tief in die Erde gefressen. Und je tiefer die Kruste drang, um so schneller fraß sie sich auch an der Oberfläche voran. Der überkrustete Meeresboden hatte sich stellenweise um mehr als 3000 m gehoben, wieso blieb rätselhaft. Der Meeresspiegel war dennoch nicht nennenswert angestiegen. Offenbar saugte die Kruste das Meer auf. 3 Es begann überall ähnlich: Hinter den Lagern stand die Armee und vor den Lagern bildeten sich neue Lager. Und als die Kruste sie erreichte, drängten die Menschen auf den festen Boden, es kam zu Gewalt. Überlebende berichteten von unvorstellbaren Szenen, in denen Zivilisten mit Küchenund Gartengeräten aufeinander losgingen. Manchmal verbündeten sie sich aber auch und griffen die Armee an, der Tod auf der Kruste war nicht nur gewisser, auch grausamer als der durch eine Kugel. Die Armee zog sich vor der Kruste zurück, und die, die von ihr vor den Flüchtlingen geschützt worden waren, wurden zu selbst Flüchtlingen, die von der Armee aufgehalten werden sollten. Ich hatte das Glück gehabt, zu einer der ersten großen Flüchtlingswellen zu gehören, als man 32 noch davon ausging, daß die Kruste bald gestoppt werden könnte. Norwegen hatte damals den schmalen Streifen Deutschlands, der noch übrig geblieben war, entlastet, und uns aufgenommen. Wir waren die letzten gewesen, die auf die Städte im Hinterland verteilt wurden. Als die Kruste aus der Ostsee herauswuchs und die Menschen aus den Lagern an der Küste vertrieb, fühlten wir uns schon wie Skandinavier, die ein Recht hatten, sich gegen diese Flüchtlingsinvasion zu schützen. Aber dann bekamen wir zu spüren, wer das Recht der angestammten Scholle in Anspruch nehmen durfte und wer nicht. - Ich will dem Leser die Schrecken, Wirren und Greuel ersparen, die Völkerund Brüdermorde, die Bürgerkriege und Schreckensherrschaften, die sich nach und nach überall auf dem Rest der bewohnten Welt Bahn brachen. Alles, was die Geschichte der Menschheit an Schmerz, Verzweiflung und Tod, an Grausamkeit, Skrupellosigkeit und Niedertracht kennt, schien sich jetzt zu einem Horrorfinale zu bündeln. Das Morden nahm kein Ende, es gab schließlich niemanden mehr, der nicht vielfach in der Situation "Du-Oder-Ich" eine Entscheidung hatte treffen müssen. Wer überleben wollte, mußte morden, und je unvorstellbarer die Schuld wurde, desto besinnungsloser mordeten wir weiter. Erst nach milliardenfachem Mord entstand buchstäblich wieder Raum zur Besinnung. - Wir, der Rest der Menschheit, mußten uns auf Schiffe evakuieren, und alles, buchstäblich alles, dessen wir noch habhaft werden konnten, verwandelten wir in Schiffe, Ausrüstung, Vorräte und Bioressoucren. Hastig wurden die Bodenschätze gehoben, ja, der Boden selbst wurde zum Schatz. So viel Material wie möglich retteten wir, in dem wir es auf der Kruste so flächig verteilten, daß keine Ätzreaktion ausgelöst wurde. Jeder Zentimeter der Schiffdecks wurde zu landwirtschaftlichen Anbauflächen. Darunter waren unsere Wohnungen, darunter Fabriken, Lager, Tanks. - Aber wir wußten, daß das nur eine Übergangslösung sein konnte: Es war längst klar, daß dieses Etwas, was es auch war, sich den Planeten völlig anverwandeln würde. Bald würde es kein Meer mehr geben. Und dann würden wir nur überleben können, wenn wir halb in der Luft hingen: Wir bereiteten uns darauf vor, mit riesigen Ballons das Gewicht unserer Lebensräume so zu erleichtern, daß nicht mehr als 20 kg pro Quadratmeter dauerhaft auf der Kruste lasten würden. Mehr und mehr wurde klar, wie viele Menschen in solchen „Hängearchen“ dauerhaft überleben könnten. Dafür waren wir immer noch viel zu viele... 4 Die auf 15 Millionen Menschen geschrumpfte Menschheit verteilte sich auf 50 Flotten, jede mehr als 1000 Schiffe stark. - Alle Versuche, die Telekommunikation wieder herzustellen, waren gescheitert. Um miteinander Kontakt zu halten, nutzen wir Segelboote, denn jeder Tropfen, jeder Krümel war kostbar wie Gold, zu kostbar, um verfeuert zu werden. Später, als die Ozeane auf ein paar Pfützen schrumpften, die die Flotten von einander trennten, bauten wir Radsegler, um 33 miteinander in Verbindung bleiben zu können. - Auf den meisten Flotten beschlossen die Menschen, daß alle ab 70 freiwillig in den Tod gehen sollten, und als absehbar war, daß das nicht reichte, wurde das Alter auf 65, dann 60 und schließlich 55 reduziert. Aber das reichte immer noch nicht. Doch scheiterte diese Regelung ohnehin daran, daß sich mehr und mehr nicht daran hielten. Zunächst waren es nur einige wenige gewesen, dann hatten immer mehr sich gesagt: wenn die sich nicht dran halten, funktioniert es sowieso nicht, wieso sollten wir uns dann daran halten? - Als nächstes hörten wir, daß bei einigen Flotten die Schiffe begonnen hatten, sich gegenseitig zu bekriegen. Angefangen hatte es damit, daß mehrere Schiffe sich zusammengetan hatten, um andere zu kapern und sich deren Heliumvorräte einzuheimsen. Helium galt als das Allerwertvollste, denn die hochexplosiven Wasserstoffballons würden über uns schweben wie Damoklesschwerter. Die andern Schiffe verbündeten sich, um das Helium zurück zu erobern. Bei diesem Krieg wurden die Tanks beschädigt und der größte Teil des Heliums ging verloren. Anstatt daraus zu lernen, war dieser Krieg der Auftakt zu weiteren Kriegen um die Überlebensressourcen, vor allem um Energie und Rohstoffe sowie um die Maschinen zum Erzeugen von Wasserstoff und zum Herstellen von Ballonstoff. Bei jedem Krieg wurden auch für die Sieger weit mehr Ressourcen vernichtet als gewonnen, so daß ein Krieg den nächsten anstachelte. Auf keiner einzigen Flotte vermochten die Menschen, sich dieser eskalierenden Logik zu entziehen, Kriegsmüdigkeit und Friedensbereitschaft wurden durch die kriegsbedingt weiter gewachsene Diskrepanz zwischen Ressourcen und Bevölkerungszahl immer wieder unterlaufen. Ein weiteres Mal mußten wir erst genug Tod und Schrecken erlebt und tief genug in den Abgrund der völligen Vernichtung geblickt haben, bevor wir begannen, Frieden zu schließen, um nicht die letzte Chance zu verpassen, uns für das Überleben auf der Kruste einzurichten. 5 Die Schiffe wurden nach und nach in Hängearchen verwandelt. Riesige Ballons wurden möglichst weit voneinander entfernt und in verschiedenen Höhen aufgelassen, so daß eine Explosion nicht zu einer Kettenreaktion führen konnte. Eine Gasreserve für mehrere Ballons wurde in Kompressoren einbehalten. Es war abzusehen, daß sich irgendwann alles Wasser wenige Zentimeter flach über die gesamte Kruste verteilen und verdunsten würde, wir konnten in der Zukunft nicht mehr mit Regen rechnen. Wir mußten geschlossene Kreisläufe schaffen. Schließlich ließen wir nichts mehr unter freiem Himmel wachsen. Und es gab keinen Abfall mehr: Alles, was die Kruste noch übriggelassen hatte, war unendlich wertvoll, selbst unsere Exkremente. Wir erlebten unmittelbarer als es jemals zuvor Menschen erleben konnten, was es bedeutet, Teil eines Kreislaufs zu sein, eines Stoffwechsels. 34 Die Archen waren bis auf das letzte Gramm ausgereizt und ausgeklügelt. Sie waren bis zu einem Quadratkilometer groß. Damit sie das Gewicht ständig verlagern konnten, waren sie auf Röhren montiert, ummantelt mit Reifen, die halb platt auf der Kruste auflagen. Für die ständige Bewegung sorgten Wind und Sonne. Die Sonnenenergie wurde in Form von Wärme gespeichert, in allen tragenden Metallteilen. Heizenergie war entbehrlich, weil sich alle Archen rund um den Äquator verteilten. Durch die Einförmigkeit der Planetenoberfläche waren die Energieerträge von Sonne und Wind völlig berechenbar. 6 Nach unseren Berechnungen hätten wir ursprünglich Überlebensressourcen für einige Millionen Menschen gehabt, aber die kriegsbedingten Zerstörungen und Verzögerungen hatten zu enormen unwiederbringlichen Materialverlusten geführt, so daß auf allen Archen zusammengenommen nur einige Tausend Menschen überleben konnten. Es war klar, daß uns erneut, zum vierten Mal, ein großes Sterben bevorstehen würde, weil nur einer von 1000 der jetzt noch Lebenden dauerhaft ernährt werden konnte. Diesmal wollten wir alles dafür tun, einen weiteren Krieg ums Überleben zu vermeiden. Überall setzte sich durch, daß über Leben und Tod per Los entschieden werden sollte, und sich jeder darauf vorbereiten müsse, daß es ihn treffen könne. Insgeheim glaubte jedoch niemand, daß die Betroffenen sich an die Losentscheidungen halten würden. Es wurde befürchtet, daß doch wieder ein Krieg entbrennen würde, und daß die Ballons nicht hinreichend geschützt werden könnten. Das hätte das Ende der Menschheit bedeutet. Deshalb war klammheimlich klar, daß das große Sterben die Form eines großen Meuchelmordes annehmen würde. So kam es auch. In jeder Flotte bildeten sich verschworene Gruppen. In jeder Flotte kam es zu Handstreichen, in denen die zuerst Zuschlagenden die anderen töteten oder entwaffneten. Die Entwaffneten mußten sich fügen und die Flotten verlassen. Die meisten Überlebenden zogen es vor, sich umzubringen statt auf der Kruste zu verschmachten. Keiner von uns Überlebenden wird die Szenen vergessen, wie verdurstende Menschenmengen gegen Maschinengewehrstellungen anrannten und niedergemetzelt wurden. Andere unterlegene Gruppen entwickelten sich zu Piraten. Sie lebten auf Lastenseglern und tauchten von Zeit zu Zeit auf, um die Archen zu überfallen. Irgendwann erledigte sich das Piratenproblem von selbst, weil den Piraten die Munition ausging. 7 Die Fliegerei ist mein Leben. Schon vor dem ersten Überlebenskrieg hatte ich mich für eine ungewöhnliche Sache engagiert, der zu dem damaligen Zeitpunkt niemand Bedeutung beigemessen hatte: Ich hatte mich den Solarflugpionieren angeschlossen, die trotz der schweren Zeiten 35 unermüdlich Wege und Mittel gesucht hatten, die Solarfliegerei zu optimieren. Ich war der letzte Vertreter meines Fachs. - Es dauerte noch viele Jahre, bevor das Fluggerät fertig war. Es waren hochspezielle Probleme zu lösen gewesen: Es mußte so konzipiert werden, daß ich auf der Kruste übernachten konnte. Es war riesig und leicht, und durch Einfahren des Fahrwerks und Verschieben der Motoren konnte nach der Landung das Gewicht gleichmäßig verteilt werden. Das Cockpit war offen und wo nicht Flügel war, war Gestänge. In den Jahren meiner unermüdlichen Arbeit an der Entwicklung des Fliegers gingen weitere Veränderungen mit unserem Planeten vor, falls wir überhaupt noch davon sprechen konnten, daß es der unsere war. Der Umfang des Planeten dehnte sich immer weiter aus, die Masse blieb jedoch gleich. Schon in den Wirren des Überlebens hatten wir mit bloßem Auge erkennen können, daß auch der Mond sich wandelte und die Astronomen fanden heraus, daß auch Mars, Venus und Merkur von der Kruste befallen waren und sich „aufblähten“. Darüber hinaus gelang es den Wissenschaftlern, festzustellen, daß alle von der Kruste befallenen Planeten über ein elektrisches Feld miteinander verbunden waren. Das nährte viele Fantasien. Ich unternahm regelmäßig Erkundungsflüge. Dabei entdeckte ich überall auf der Kruste Überreste von Enklaven, die versucht hatten, zu überleben, indem sie riesige Bodenplatten gebaut hatten, auf denen sich das Gewicht so verteilte, daß die Kruste nichts merkte. Sie hatten darauf eine spärliche Landwirtschaft betrieben und teilweise mehrere Jahre überlebt, hatten aber nicht genügend Ressourcen oder Wissen gehabt, geschlossene Kreisläufe zu bilden, oder sie hatten in den Kämpfen darum, wer überleben durfte, ihre Überlebensressourcen zerstört. - Einige dieser Bodenarchen waren von Piraten gekapert worden. In ihren Ruinen fand ich Skelette, deutlich gezeichnet von grausamen Toden... Nur eine Bodenarche fand ich, in der noch 35 Menschen lebten. Es waren afrikanische Bauern, die ganz selbständig, ohne Wissenschaft, nur durch ihre Fähigkeit zur Naturbeobachtung, herausgefunden hatten, was für das Überleben zu tun war. 8 Die Kruste war völlig eben. Einigen kleinen Unebenheiten, die ich dann und wann überflog, schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Ich wußte noch nicht, daß sich daraus etwas entwickeln würde, was unser Bild von der Kruste völlig verändern sollte, allerdings in einer Weise, die noch weit mehr Rätsel aufgibt... - Mit der Zeit merkte ich, daß diese Unebenheiten wuchsen! Zuerst wie riesige Maulwurfshügel, dann brachen sie in der Mitte auf, so daß sie aussahen, wie Pickel, und später wie Krater: kreisrunde Wulstbildungen deren Mittelpunkt ein Loch von etwa 1000 Meter Durchmesser bildete. Die Krater waren selten. Wir konnten hochrechnen, daß es maximal einige hundert von ihnen gab. Ohne meine Fliegerei hätten wir sie vielleicht nie gefunden. 36 Als Entdecker dieser Eingänge ins Innere der Kruste leitete ich die erste Expedition. Die Wülste waren etwa 15 Meter hoch. Dahinter fanden wir eine einfache klare Struktur: Ein Art riesiger Rampe führte spiralförmig in Innere. Neugierig wanderten wir hinab. Die Spirale schien endlos. Wir holten ein Fahrzeug und ließen uns immer tiefer hinunter rollen, 10, 20, 30 Kilometer. Dann mußten wir abbrechen. Alles, was wir bemerkt hatten, war, daß die Spirale sich nach allen Seiten vergrößert hatte und steiler geworden war. Die zweite Expedition statten wir mit einem Motor aus und mit Sprit für mehrere hundert Kilometer. Wir hatten sehr viel Neugier erwecken und unermüdlich sammeln müssen, um eine solche Menge Treibstoff zu bekommen, denn soviel wir von den Verbrennungsprodukten auch aufzufangen verstanden: es ging immer etwas unwiederbringlich verloren. Abwärts ließen wir uns wieder rollen, weiter und immer weiter in die Tiefe hinab, auf einer größer und steiler werden Spirale in ewiger Nacht. Nach mehr als 100 km hatte der sich abwärts windende Raum die Höhe einer Kathedrale angenommen. Nach weiteren hundert Kilometern wurde mir mulmig wegen des beträchtlichen und immer schneller zunehmenden Gefälles, ich ließ stoppen, als erfahrener Pilot vertraute ich meiner Angst. Sobald die Wagen standen, erloschen ihre Scheinwerfer. Die Taschenlampenbatterien waren längst entladen, so daß wir im Dunkeln saßen. Nach einiger Zeit meinte jemand, einen schwachen Lichtschein wahrzunehmen. Wir hielten es für Einbildung. Wir ließen die Wagen langsam weiter rollen, ohne die Lichtmaschine mitlaufen zu lassen. Nach weiteren Windungen - ich schätze, daß der Durchmesser einer Windung mittlerweile 10 km betrug - teilten alle den Eindruck eines schwachen Scheins, aber es wurde so steil, daß wir zu rutschen begannen und zurück mußten. Der Eindruck der Helligkeit hatte nicht zugenommen, es reichte nicht, um verläßlich zu sagen, ob wir die Hand vor Augen wirklich wahrnehmen konnten oder uns das nur einbildeten. Es gab keine Möglichkeit, weiter in die Tiefe vorzudringen. Die Spirale gab ihr Geheimnis nicht preis. Unsere Enttäuschung war unermeßlich. - Auf dem Rückweg ersonnen wir die Idee, mit einem Ballon zurück zu kehren. Allerdings war klar, daß es Jahre dauern würde, das erforderliche Gas zusammen zu bekommen. Es wäre nicht in Ordnung gewesen, meine Entdeckung der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Deshalb konnten wir nicht verhindern, daß sich mehrere Male Abenteurer aufmachten, die Spirale zu erforschen. Sie glaubten unserem Bericht nicht, stahlen Radsegler und Ausrüstung und verschwanden. Keiner von ihnen wurde je wieder gesehen. Doch gerade das führte zu Fantasien vom gelobten Land, die immer wieder neue Abenteurer anlockten. Als die dritte Expedition ausgerüstet war, war ich ein Mann von 63 Jahren, aber noch fit genug, die Expedition wieder selbst zu leiten. - Schon von weitem sahen wir am Rand der Spirale ein Gewirr von Teilen zerlegter Radsegler, die Überreste der Abenteurer. Die Spirale selbst war leer und 37 stumm, als sei sie nie betreten worden. An der letzten Stelle, an der die Wagen noch sicher stehen konnten, richteten wir ein Lager ein. Wir ließen uns mit der Gondel in den Schlund rollen, um im freien Fall die Gaskompressoren zu öffnen und den Ballon aufzublasen. Wir hatten den Eindruck, daß es tatsächlich heller und heller wurde. Dann nahm die Helligkeit schlagartig zu, und wir hätten vor Überwältigung beinahe vergessen, die Kompressoren zu öffnen: Sprachlos schwebten wir über dem nie zuvor gesehenen Schauspiel, das die Menschheit sich jetzt aus ihrem Dasein nicht mehr wegdenken kann. Aber was zählt der urerste Blick bei einem Anblick, den wir jedes Mal so erleben, als sei es das erste Mal, obwohl er uns trotz seiner völligen Fremdheit auf seltsame Weise immer erahnt und von weit her vage bekannt erscheint. Überrascht und ganz versunken in Faszination erkannte ich erst auf den zweiten Blick, daß es sich um eine Kugel handeln mußte. An der schwachen Krümmung konnte ich einschätzen, daß sie etwa 12 Kilometer unter uns lag. Es fiel uns so schwer, uns loszureißen, wir waren so berauscht von dem Anblick, daß wir fast den Zeitpunkt der Rückkehr verpaßt hätten. 9 Obwohl wir schnell herausfanden, daß sie absolut lebensfeindlich ist und aus hochätzendem Feinstaub besteht, und trotz der geringen Qualität der Bilder unserer primitiven, mit handerzeugtem Strom betriebenen Kamera, entfachten die Filmaufnahmen, die wir mitbrachten, bei allen Menschen sofort das Erstaunen, die Faszination und die Neugier, die seitdem nicht geringer geworden sind. Die riesigen, unabsehbar aus dem Mittelpunkt der transparenten, kalt leuchtenden Kugel wolkenartig herauswachsenden trichterförmigen Gebilde, die sich immer wieder mit kaskadenartigen Entladungen ausfransen, die korrespondieren Asymetrien, die sie in Form und Rhythmus wechselseitig untereinander bilden, eigenständig aber aufeinander bezogen wie beim Kontrapunkt in der Musik, die offenbar aufeinander abgestimmten Farbwechsel, die nie dazu führen, daß zwei Gebilde sich farblich gleichen: der Faszination dieses Anblicks konnte sich bisher noch keiner entziehen, selbst die Dümmsten, Abgestumpftesten und Beschränktesten nicht. Und die Intelligenz, die wir heute, 25 Jahre nach unserer Entdeckung, überall in der Bevölkerung messen, ist deutlich gestiegen. So Dumme, Abgestumpfte und Beschränkte, wie ich sie noch kannte, gibt es heute gar nicht mehr. Dass uns der Blick in die Kugel - und sei es auch nur auf den Bildschirmen intelligenter und geistvoller macht, ist erwiesen, warum das so ist, bleibt ein Rätsel. - Leider - oder soll ich sagen glücklicherweise? - werden wir dadurch nicht zu besseren Menschen. Die Entwicklung von Kultur und Selbsterkenntnis wird uns erleichtert aber nicht abgenommen. Wir sind fähiger für die Aufstiege zum Höheren aber nicht freier von den Neigungen zum Niedrigen. 38 Nach den neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen wissen wir jetzt, was wir schon immer geahnt, „gefühlt“ haben: Die Kugel ist komplex genug, um die Annahme eines intelligenten Wesens nicht zu verbieten. Aber selbst wenn sie bewußtseinsfähig wäre: Sie ist zu groß für uns. Erwiesen ist, daß wir definitiv nicht mehr über die Möglichkeiten verfügen, regelmäßige Reize zu erzeugen, die stark genug wären, daß es Sinn für etwas so Großes hätte, sie nicht zu ignorieren. Hätten wir all die Millionen von Menschen gerettet, die wir hätten retten können, hätten wir all das in den Kriegen verlorengegangene Material noch, sähe die Rechnung anders aus. Und wir müssen auch davon ausgehen, daß das Wesen - falls es eins ist - uns nicht entdeckt, weil es nicht mit der Möglichkeit völlig anderer Lebensformen rechnet. Und selbst wenn es damit rechnen würde: Wie sollte es darauf kommen, daß ausgerechnet auf seiner Hülle intelligente Mikroben überlebt haben, die bereits vor ihm da waren.... Wir werden nie erfahren, ob es denkt, und wenn ja, was. So kam es zu den vier großen Selbstvorwürfen, an denen wir uns wahrscheinlich abarbeiten werden bis das Ende der Sonne das Ende unserer Lebensform besiegelt: Wäre das Wesen intelligent, würde ein Kontakt vielleicht dazu führen, daß es uns unsere Erde an der Oberfläche zurückgeben würde, daß die Erde wieder grün, die Menschheit wieder zahlreich und zu einem gleichberechtigten Partner würde, in einer planetaren Symbiose. Nach Auswertung aller früheren Erkenntnisse im Lichte der neuesten Forschungsergebnisse müssen wir ferner davon ausgehen, daß wir es uns auch verscherzt haben, die Staubkugel und seine Kruste weiter erforschen können. Alle Erkenntnisse legen nahe, daß es sich um eine völlig andere Art der EnergieMaterieOrganisation handelt, auf einer Ebene, die allem, was wir bisher wissen, noch voraus liegt, offenbar auf subquantischem Niveau, auf dem die Vorstellung von Teilchen oder Strings keinen Sinn ergibt. Die Maschinen und die Energie, die wir zur Erforschung dieser Dimension benötigen würden, übersteigen grundsätzlich und bei weitem die Möglichkeiten, die uns nach all den Kriegen übrig geblieben sind. - Und drittens: die Enge wird immer bleiben. Viel weiter schrumpfen kann die Menschheit nicht mehr, wenn sie ihre Reproduktion nicht gefährden will. Hätten wir Millionen gerettet, hätten die zukünftigen Generationen durch Familienplanung den Platz für jeden leicht verzehnfachen, ja verhundertfachen können. - Schließlich werden wir mit unserer Sonne untergehen. Es gibt nicht mehr genug Ressourcen, einmal genügend Archen zu bauen, mit der eine hinreichend große Zahl von Menschen die Menschheit vor dem Tod ihres Gestirns ins All retten könnte. 10 Die machtvolle Wirkung der Kugel führte schnell zu ausschweifenden Fantasien. Daß die Kugel „Das Auge Gottes“ sei, war eine der ersten. Daraus entspannen sich abwegige Vorstellungen von 39 einem „Sündbrand“, der nur einige Auserwählte übriggelassen habe – zwar nicht die Gerechten – denn jeder Überlebende hatte viel Schuld auf sich geladen – aber die Stärksten, diejenigen, die die besten Voraussetzungen hätten, einen Stamm der Gerechten zu begründen. - Heute sind die Anhänger dieser esoterischen Lehre zu einer unbedeutenden Sekte geschrumpft, die niemand mehr ernstnimmt. Aber damals, vor 25 Jahren, waren sie bedrohlich. Es war in den damaligen Zeiten, die noch weit mehr von Schuld, Unsicherheit und Angst geprägt waren, nicht abzusehen, zu welcher Schreckensherrschaft diese Fantasie vielleicht führen würde. Die Sektenführer versuchten den Menschen einzureden, Gott würde seine Ätzschwelle verringern, würden wir nicht wohlgefällig genug leben. Hätten die Sektierer Erfolg damit gehabt, hätten sie eine gnadenlose Inquisition errichten können, mit freier Hand, jeden Abweichler zu vernichten. Glücklicherweise hatte sich die Gesellschaft schon relativ konsolidiert, als wir die Kugel entdeckten, und eine neue Generation war herangewachsen. So wurde die Sektenbildung durch Fragen in Schach gehalten: Weshalb Gott uns sein Auge sehen lasse. - Antwort: Gott habe in seiner Gnade geruht, uns seinen Blick auf uns sinnfällig darzubieten, um der Leugner und Zweifler zu wehren. - Weshalb er es dann unter der Kruste verberge, statt daß der Himmel uns anblicke? Außerdem könne er unter dem Lid der Kruste ja gar nichts sehen. - Es hieß: er wolle sich uns nicht aufdrängen und uns nicht alle Mühe des Glaubens an seine Gegenwart abnehmen, und natürlich könne sein Auge durch die Kruste sehen, so wie unser Auge durch die Netzhaut. Spötter meinten dazu: Wenn Gott von unten auf uns blicke, wolle er offenbar bloß den Mädchen unter die Röcke gucken. So kam es, daß mehr und mehr über die Sektierer gelacht wurde. 11 Was uns bleibt ist unsere geistige und soziale Entwicklung. Vielleicht können wir in diesem Sinne die Katastrophe, die die Kugel über uns gebracht hat, als Chance für die Menschheit auffassen – wenn wir die Überreste der Menschheit, die auf ihrem eigenen Planeten lebt wie Schiffbrüchige, wie Gestrandete, noch Menschheit nennen wollen. Copyright: Die Texte sind urheberrechtlich geschützt. Copyright-Kontakt über www.goethesfaust.com, Impressum. Kopieren für den privaten Gebrauch ist gern gesehen. Jede andere Verwendung, auch auszugsweise, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung. D.h.: Auch mit Nennung des Namens dürfen die Texte nicht ohne unsere Genehmigung “herausgegeben” werden! Alles, was über den Rahmen des Zitierens hinausgeht, bedarf einer Lizenz! 40
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