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Tages-Anzeiger – Mittwoch, 4. Januar 2017
Und jetzt? Gespräche zum Jahreswechsel
«Die Trauer wird zum Emoticon und
Der Genfer Karikaturist Patrick Chappatte spricht über seinen beruflichen Umgang mit der menschlichen Dummheit
Mit Patrick Chappatte
sprach Jean-Martin Büttner
Genf
In Ihrem Beruf, haben Sie einmal
gesagt, seien schlechte Nachrichten
gute Nachrichten.
Man kann das auch umgekehrt formulieren: Gute Nachrichten ergeben selten
gute Bilder, bestenfalls herzige. Als Karikaturist ist es aber meine Aufgabe zu
kritisieren. Also brauche ich Probleme.
Persönlich wäre ich glücklich, wenn es
all die Kriege und Katastrophen nicht
gäbe. Beruflich gilt das Gegenteil.
Für die Medien gilt: je grösser
die Katastrophe, desto schneller
die Berichterstattung.
Diesen Druck erleben auch wir Karikaturisten immer stärker. Angefangen hat
das mit «Charlie Hebdo», es ging weiter
mit den Attentaten in Paris und Brüssel,
dann rasten die Lastwagen von Nizza
und Berlin. Die Ermordung unserer Kollegen bei «Charlie Hebdo» hat uns besonders getroffen, also zeichneten wir,
was das Zeug hielt, unsere Bilder wurden im Netz unzählige Male geteilt.
Wozu diese Eile führen kann, erlebte ich
nach dem Brüsseler Attentat. Ich sass
am Morgen vor dem Bildschirm, und
schon wurde eine Galerie von Karikaturen aufgezogen. Ich fragte mich: Was ist
hier los? So werden Karikaturen zu einer
Verteilware für die sozialen Netzwerke,
Instant-Empathie über das Grauen, sentimental und verlogen. Mir geht das alles
zu schnell. In diesem Tempo kann keine
Zeichnung entstehen, die diesem Anlass
angemessen ist. Ein Karikaturist muss
Zeit haben, um Distanz zu gewinnen,
bevor er seine Arbeit machen kann.
Was haben Sie gedacht, als Sie das
Bild des Jungen von Aleppo sahen?
Ich sah das Bild, als es bereits millionenfach geteilt worden war, was dazu
führte, dass ich mit Misstrauen darauf
reagierte. Man fokussiert auf ein einzelnes Bild, um ganz schnell grosse Gefühle
zu entwickeln, die ebenso schnell wieder von einem weichen. Genau dasselbe
passierte mit dem Bild des ertrunkenen
Aylan an einem türkischen Strand. Man
fühlt, um nichts zu tun. Die Trauer wird
zu einem Emoticon und dieses zu einem
Ersatz für das Handeln. Die Sozialen
Medien verkürzen unsere Aufmerksamkeitsspanne. Wir leben in einer Kultur
des Vergessens. Das Teilen von berührenden Bildern wird zu einem narzisstischen Akt. So gesehen reagierte ich mit
gemischten Gefühlen auf dieses Bild: mit
Entsetzen und Irritation.
Als das Bild des ertrunkenen Buben
viral ging, hängten Mütter
tränenschwangere Blogs ins Netz.
Es kam einem vor, als seien sie von
sich selber gerührt.
Das ist Narzissmus in der Endlosschlaufe. Mit Donald Trump wird er zu
einem politischen Modell. Mir wäre lieber, die Leute würden nach Katastrophen schweigen, bevor sie dieses manische Bedürfnis verspüren, der ganzen
Welt ihre Gefühle zuzumuten. Aber
nein, jeder muss der Erste sein, der
seine Rührung verbreitet. Der seinen
Freundinnen und Freunden auf Facebook mitteilt, dass er auch gerade in Berlin ist, und wie knapp er dem Attentat
entkam, war er doch am Tag vorher
auf diesem Weihnachtsmarkt. Woher
kommt dieses Bedürfnis nach Nähe zu
solchen Ereignissen? Ich kann darin
kein Engagement entdecken, keinen
Schock, der zu einer Handlung führt,
der ein Engagement befeuert.
Facebook bringt die Leute dazu,
sich permanent anzupreisen. So
entsteht ein System von publizierten
Lebenslügen.
Ja, wir lügen uns selber an im Spiegel
der anderen.
Sie verlangen von einem
Karikaturisten, er dürfe weder
zynisch sein noch weinerlich.
Habe ich all diese Dinge gesagt? (lacht)
Falls ja, stimmen sie nicht ganz, oder ich
wurde falsch verstanden. Denn Karika-
Gerettet
Der Bub aus Aleppo
Der 5-jährige Omran wurde mit seinen drei
Geschwistern und den Eltern aus ihrem
zerstörten Wohnhaus in Aleppo gerettet.
Hier sitzt er in der Notaufnahme, sichtlich
benommen, voller Staub und blutverschmiert.
Die gesamte Nachbarschaft von Omrans
Haus sei verwüstet worden, sagte der Kameramann und Aktivist Mustafa al-Sarout dem
«Guardian». Omran konnte das Notspital
noch in derselben Nacht verlassen. Wie das
Bild des ertrunkenen Jungen ging auch diese
Aufnahme um die Welt, sie geriet zum Symbol
für einen Krieg, in welchem wie so oft die
Zivilbevölkerung am meisten leiden muss.
Weil Omran überlebt hat – einer seiner
Brüder starb an seinen Verletzungen –, ist
das Bild erträglicher anzusehen. Dadurch
wird es aber auch zu einem Vorwand, all die
anderen Aufnahmen nicht sehen zu müssen,
die das Grauen zeigen. (jmb)
Foto: Mustafa al-Sarout (Aleppo Media Center)
turen haben oft etwas Zynisches, aber
wir leben in ausgesprochen zynischen
Zeiten. Ich erinnere mich an die Bemerkung eines Lehrers, der seinen Schülern
Karikaturen von mir gezeigt hatte. Sie
hätten sie als blosse Illustrationen
wahrgenommen, sagte er, sahen also
keine Provokation oder Zuspitzung. Es
scheint, dass die junge Generation dermassen wenig Illusionen hat, dass sie
kaum etwas noch schockieren kann.
Was kann da Komik ausrichten?
Einiges, interessanterweise. Denn in
Frankreich, aber auch in der Westschweiz, in England oder den USA haben Komiker immer mehr die Rolle von
Kommentatoren. Sendungen wie die
«Today Show» mit Trevor Noah oder
John Olivers «Last Week Tonight» haben
die Funktion von Nachrichtensendungen mit Unterhaltungswert.
«Die Sentimentalität ist der Feiertag
des Zynismus», hat Oscar Wilde aus
dem Gefängnis geschrieben.
Nicht schlecht.
Also sind weinerliche Karikaturisten
im Herzen Zyniker?
Es gibt einen Zusammenhang, klar. Um
beim Zynismus zu bleiben: Zynische
Kälte und ironische Distanzierung sind
keine Synonyme. Was die Karikatur vom
Bild unterscheidet: Sie geht auf Distanz
zum Geschehen, sie bietet sich als Instrument der Analyse an. Den Zeichnern
von «Charlie Hebdo» hat man immer
wieder vorgeworfen, Zyniker zu sein.
Zum Beispiel dann, als sie auf das Bild
des ertrunkenen Buben reagierten. Ich
halte das für ein Missverständnis. Denn
ihre Reaktion war keine Verhöhnung der
Verzweiflung, sondern sie verwahrte
sich gegen die Gefühlsduselei.
Mag sein. Trotzdem störte mich an
den Mohammed-Karikaturen von
«Charlie Hebdo» dasselbe wie bei
den Mohammed-Karikaturen ihrer
dänischen Kollegen: Sie waren nicht
provokant, sie waren bloss schlecht.
Vulgär, aber nicht lustig.
So kann man das sehen. Wenn ich die
Freiheit meiner Kollegen von «Charlie
Hebdo» verteidige, dann verteidige ich
auch ihre Freiheit, nicht lustig zu sein,
einen schlechten Geschmack zu haben
und Zeichnungen anzufertigen, die mir
persönlich nicht gefallen. So definiert
sich meiner Meinung nach die freie Meinungsäusserung. Aber ich gebe Ihnen
recht: Als ich einige Karikaturen von
«Charlie Hebdo» sah, fragte ich mich:
Haben die keinen Abfallkübel? Das hat
mich auch gestört.
Haben Sie die Kollegen von «Charlie
Hebdo» persönlich gekannt?
Natürlich.
Was hat ihre Ermordung bei Ihnen
bewirkt? Trotz oder Angst?
Weder noch. Zuerst war ich einfach nur
traurig. Später wurde mir bewusst, dass
das ein globalisierter Konflikt war, ein
Konflikt zwischen den Kulturen. Mir und
anderen Zeichnern wurde schlagartig
bewusst, dass die Welt nicht mehr dieselbe war. Dass irgendeine Zeichnung
von uns irgendjemanden dazu bringen
könnte, uns töten zu wollen. Das hat damit zu tun, dass eine Zeichnung global
ist, der Humor aber kulturell funktioniert. Damit sind Missverständnisse programmiert. Aber das war uns seit den
dänischen Mohammed-Karikaturen von
2005 klar.
Ihre Karikaturen werden in über
60 Ländern publiziert.
Schon deshalb habe ich keinerlei Einfluss darauf, wie jemand auf sie reagiert,
wie sie interpretiert und instrumentalisiert werden. Aber das ist halt das Risiko, es gibt keine Alternative dazu. Das