Schmerzen nach Knieprothese – was wann tun?

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SCHL AGLICHTER 2016
Orthopädie
Schmerzen nach Knieprothese –
was wann tun?
PD Dr. med. Michael T. Hirschmann
Klinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Kantonsspital Baselland (Bruderholz, Liestal, Laufen), Bruderholz
Knieprothesenimplantationen gelten als erfolgreiche Operationen, dazu haben
unter anderem Fortschritte der Materialien und chirurgischen Technik beigetragen.
Dennoch sind etwa 20–30% der Patienten aufgrund von Schmerzen, Instabilität
oder Bewegungseinschränkung mit dem Ergebnis nicht zufrieden und bedürfen
einer aufwendigen Diagnostik und interdisziplinären Betreuung.
Einleitung
bündelt werden, um im Zeitalter des DRG für den Patienten und die Kostenträger das bestmögliche Ergeb-
Die Implantation einer Knieprothese gilt als sehr erfolg-
nis zu erreichen.
reiche Operation zur Behandlung einer konservativ
Wichtig ist zudem eine enge Kooperation von Patient,
austherapierten Arthrose des Kniegelenkes [1]. Die meis-
Hausarzt, Physiotherapeut und dem auf die Behand-
ten Patienten sind nach der Operation mit dem Ergebnis
lung von unzufriedenen Patienten nach Knieprothese
zufrieden und schmerzfrei. Nicht zuletzt durch die Ver-
spezialisierten Orthopäden [1]. Oberstes Ziel ist es, für
besserung im Bereich der verwendeten Prothesen und
den Patienten die Ursache(n) der Beschwerden heraus-
Materialien, der chirurgischen Technik und einem bes-
zufinden und diese dann optimal zu behandeln [1]. In
seren Verständnis der komplexen Kniemechanik haben
der Regel sollte – wenn nicht vom Patienten anders
sich die 15-Jahres-Überlebensraten der Prothesen in den
gewünscht – aktiv der Kontakt zum Voroperateur ge-
letzten Jahren auf 85–95% verbessert [1].
sucht werden, um einerseits eine bessere Einsicht in
Man könnte meinen, dass alles in bester Ordnung sei,
die Probleme, die Lebensumstände und den Charakter
aber bei genauerem Hinsehen sind dennoch 20–30%
des Patienten zu erhalten und andererseits die Situa-
aller Patienten mit ihrem Ergebnis nach Knieprothese
tion auf fachlicher Ebene gemeinsam zu erörtern [1].
nicht zufrieden [1]. Diese Patienten klagen unter ande-
Aus unserer Erfahrung ist es für den Patienten entschei-
rem über Schmerzen, ein Unsicherheitsgefühl (Instabi-
dend, dass er sich nicht mit der Bewältigung seiner Ver-
lität) oder ein in der Beweglichkeit (Beugung und/oder
gangenheit, dass heisst der für ihn nicht erfolgreichen
Streckung) eingeschränktes Kniegelenk [1]. Auch eine
Voroperation, beschäftigt, sondern sich mit aller Kraft
Überwärmung und Schwellung des Kniegelenkes sind
der Verbesserung der jetzigen Situation widmet.
häufig beklagte Symptome [1]. Die gestiegene Erwartungshaltung und der Wunsch des Patienten, bestimmte
sportliche Betätigungen postoperativ wieder durch-
Michael T. Hirschmann
Das «Puzzle-Konzept» der Diagnostik
führen zu können, kann ebenso eine Rolle für Unzu-
In der Regel ist es nicht eine Ursache, die für persistie-
friedenheit mit dem Ergebnis spielen [1].
rende oder wiederkehrende Schmerzen nach Kniepro-
Patienten mit Schmerzen nach Knieprothese benötigen
these verantwortlich ist, sondern eine Kombination aus
eine sehr aufwendige klinische wie auch radiologische
mehreren Ursachen [1].
Diagnostik [1]. Ein kurze klinische Untersuchung und
Es gilt in der Diagnostik, ein Puzzle aus verschiedenen
ein Blick auf das Standard-Röntgenbild reichen hier
diagnostischen Bausteinen zusammenzusetzen [1].
nicht aus. Patienten, die nach Knieprothese noch
Nur wenn die einzelnen Bausteine ein einheitliches
Schmerzen haben, sollten daher optimalerweise in
Bild ergeben und zusammenpassen, dann ist eine aus-
einem Zentrum, das sich auf die Abklärung und Be-
reichend hohe Sicherheit vorhanden, dass der Patient
handlung solcher Patienten spezialisiert hat, evaluiert
von einer weiteren Operation profitieren wird [1]. Auch
werden [1]. Der personelle Aufwand und die Kosten für
der Leidensdruck des Patienten spielt in dieser Risiko-
die Abklärung dieser Patienten ist hoch und kann ge-
abwägung eine wichtige Rolle [1].
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Die vier grossen Säulen der Diagnostik sind:
tion [1]. Zudem ist eine Translation nach medial-lateral,
1. ausgiebige standardisierte Anamnese mit spezia-
anterior-posterior sowie proximal-distal möglich [1].
lisiertem Erfassungsbogen;
Generell gibt es mehr oder weniger klare Empfehlun-
2. detaillierte klinische Untersuchung;
gen für die Positionierung und Ausrichtung der Knie-
3. labormedizinische Abklärungen inklusive Bakterio-
prothese [1]. Trotzdem sieht man zum einen immer
logie und Histologie;
wieder Patienten, deren Prothesenausrichtung auf dem
4. radiologisch-nuklearmedizinische Diagnostik.
Röntgenbild gut scheint, die aber Schmerzen haben,
Das Basis-Abklärungsschema der Diagnostik finden Sie
und zum anderen Patienten, deren Prothesenausrich-
in Abbildung 1 [1]. Die weiteren spezielleren Abklärungs-
tung auf dem Röntgenbild schlecht aussieht, die aber
algorithmen sind auf unserer Website zum Herunter-
beschwerdefrei sind.
laden bereitgestellt [2].
Dies ist unserer Meinung darin begründet, dass die
Die Erfassung der Anamnese und Vorgeschichte des
optimale Positionierung der Knieprothese nicht für
Patienten erfolgt mit einem standardisierten Fragebo-
jeden Patienten gleich ist [1]. Sie hängt massgeblich von
gen [1]. Dieser ist so ausgelegt, dass mithilfe der Fragen
der individuellen Anatomie und dem Alignement ab [1].
für bestimmte Pathologien typische Beschwerdemuster
Jeder Patient hat einen Bereich, in dem die Prothese aus-
abgefragt werden [1]. Diese Beschwerdemuster werden
gerichtet werden kann und für ihn funktioniert [1]. Für
dann zusammen mit der klinischen und radiologischen
den einen Patienten ist dieser Bereich breiter, für einen
Untersuchung nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip
anderen schmäler. Dies kann zum Beispiel für den einen
überprüft [1].
Patienten eine Rotation von 6° Innenrotation möglich
machen, für den anderen aber zu Beschwerden führen [1].
Jeder Patient hat somit einen individuellen spezifi-
Was ist eine korrekt positionierte
Knieprothese?
schen Wohlfühlbereich in Bezug auf die Prothesenpositionierung [1]. Es ist daher sinnvoll, die gemesse-
Die Positionierung der Knieprothese kann in sechs
nen Werte der Prothesenausrichtung nicht als absolute
Freiheitsgraden erfolgen. Man unterscheidet hier für
Werte zu verstehen, sondern diese im Sinne des Puzzle-
den Femur und die Tibia eine Ausrichtung in Flexion-
Konzepts mit den klinischen Symptomen, der Anam-
Extension, Varus-Valgus sowie Innen- und Aussenrota-
nese und den Untersuchungsbefunden zu korrelieren [1].
Patient mit Schmerzen/Problemen nach Knieprothese
Ausgiebige Anamnese
Klinische Untersuchung
Knieproblem
ja
nein
Röntgen Knie
(belastete Aufnahmen ap,
lateral, Patella,
Ganzbeinaufnahme)
Hüftgelenk? Wirbelsäule?
Andere?
SPECT/CT mit Bestimmung der Prothesenposition in 3D-CT (wenn nicht möglich: SPECT und CT)
Differentialdiagnose?
Streckapparat
Infektion
Instabilität
Lockerung/
Abrieb
Malposition Patellofemorale
Probleme
Malsizing
Steifheit
Andere
Weitere spezifische Diagnostik
Abbildung 1: Basis-Abklärungsschema für die Diagnostik von Patienten mit Schmerzen nach Knieprothese.
Abkürzungen: ap = anterior-posterior, SPECT = «single photon emission computed tomography», CT = Computertomographie.
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Eine nicht optimale Positionierung der Knieprothese
Unter die Kategorie «grün» fallen Patienten, bei denen
ist nur dann ein Problem, wenn es passende Beschwer-
das diagnostische Puzzle ein klares Bild ergibt. Dies
den verursacht [1].
sind unter anderem:
In Zukunft wird daher die Planung vor der Kniepro-
– klar mechanisch erklärbare Probleme wie zum Bei-
these verbessert werden müssen, um das Problem der
spiel Überlastung des Tractus iliotibialis und Patella-
schmerzhaften Knieprothese zu reduzieren. Eine Mög-
Maltracking bei asymmetrischer Mid-Flexions-In-
lichkeit wäre hier eine Planung in 3D, und nicht wie
stabilität in einer stark innenrotierten femoralen
aktuell durchgeführt in 2D.
Knieprothesenkomponente;
– Infektion;
Therapie der schmerzhaften
Knieprothese
– Lockerung der Prothesenkomponenten;
– Instabilität;
– Mechanisch oder instabilitätsbedingte Steifheit.
Nur wenn die Ursache(n) der Beschwerden korrekt er-
«Orange» sind typischerweise Patienten, bei denen
kannt wird (werden), kann die anschliessende Therapie
Teile des Bildes gut zu erkennen sind, aber andere Teile
eine Verbesserung für den Patienten erbringen [1].
verschwommen bleiben. Dies sind typischerweise:
Eine auf den Patienten zugeschnittene Schmerz- und
– Steifheit aufgrund tiefstehender Kniescheibe bei
Physiotherapie sind die wichtigsten Bestandteile der
verschobener Gelenklinie;
nicht operativen Behandlung [1]. Sollte kein klares
– «complex regional pain»-Syndrom (CRPS);
mechanisches Problem oder eine Infektion vorliegen,
– progressive neurologisch bedingte Grunderkran-
ist es meist sinnvoll, 12 Monate mit einer erneuten
kungen.
Operation zu warten, da noch eine Besserung der
«Rot», also keine Indikation für eine Revisionsope-
Beschwerden mit einer gezielten nicht operativen The-
ration, sind Patienten, bei denen die Symptome und
rapie erwartet werden darf [1]. Dies sollte man dem
Untersuchungsergebnisse nicht zusammenpassen.
Patienten auch so klar kommunizieren. Eine Evaluation
der funktionellen Beschwerden zusammen mit dem
Zudem gibt es patientenspezifische Faktoren, die nega-
Physiotherapeuten sollte nach unserer Auffassung zur
tiv auf das Ergebnis nach Revision einwirken können,
Standardabklärung dieser herausfordernden Patienten-
und daher müssen diese vorher in die Indikationsstel-
gruppe gehören [1]. Es ist erstaunlich, wie viel sich hier
lung miteinbezogen werden [1]. Dies sind zum Beispiel
für den Patienten noch verbessern lässt.
eine unrealistisch hohe Erwartungshaltung des Patien-
Sollten sich die Beschwerden nach Ausschöpfen der
ten, chronische psychische Probleme, Medikamenten-,
konservativen Therapie nicht bessern, kann die Indi-
Drogen- oder Alkoholabhängigkeit und alle Faktoren,
kation für eine Revisionsoperation nochmals evaluiert
die zu einer mangelnden Compliance und Problemen
werden [1].
während der Rehabilitation beitragen können.
Michael Hirschmann
Ampel-System
Disclosure statement
Teamleiter Kniechirurgie,
Eine Revisionsoperation für unklare Schmerzen darf
Korrespondenz:
PD Dr. med.
Leitender Arzt
Klinik für Orthopädische
es heute nicht mehr geben [1]. Nur Patienten mit einer
Chirurgie und Traumatologie
klaren Ursache der Beschwerden und vorhersagbarer
des Bewegungsapparates,
Kantonsspital Baselland
Verbesserung nach der Revision sollten operiert werden
CH-4101 Bruderholz
[1]. Hierzu verwenden wir ein Ampel-System, das die
Michael.Hirschmann[at]
unibas.ch
www.kniedoktor.ch
Revisionsindikationen in drei Kategorien (grün, orange,
rot) einteilt [1].
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Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
2
Hirschmann MT, Becker R, editors. The unhappy total knee
replacement – a comprehensive review and management guide.
Cham, Heidelberg, New York, Dordrecht, London: Springer; 2015.
Kniedoktor.ch (homepage on the Internet). Basel: Diagnostisches
Aklärungsschema für schmerzhafte Knieprothesen
(updated 2016 Sept).