Deutsche Mittelstands Nachrichten

Ausgabe 48
09. Dezember 2016
Deutsche
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Wirtschaft
Trumps Super-Protektionismus
Donald Trump will keine multilateralen Handelsabkommen, sondern einen bilateral orientierten Protektionismus
W
as für die USA aufgehen könnte,
ist brandgefährlich für den Rest
der Welt. Denn die USA können mit dem
Dollar, ihrer militärischen Dominanz und
ihrem politischen Einfluss in einem neuen Handels- und Währungskrieg enormen
Druck auf einzelne Staaten und Unternehmen ausüben.
Einer von Trumps Kernpunkten ist die
Etablierung eines primär binnenwirtschaftlich getriebenen Wachstumsmodells. Schon diesbezüglich sind die Vorstellungen jedoch sehr konfliktträchtig. In
der Situation einer im internationalen wie
intertemporalen Vergleich viel zu niedrigen Sparquote will Trump ein längst
überfälliges Infrastruktur-Programm lancieren. Darüber hinaus will er die Verteidigungsausgaben erhöhen und die Einkommens- und Kapitalgewinn-Steuersätze
für die höchsten Einkommen sowie die
Steuersätze für Unternehmen drastisch
kürzen. Würde all dies effektiv umgesetzt,
könnten die Zinsen in den USA und der
Dollar zu einem ungeahnten Höhenflug
ansetzen. Das hätte wiederum vernichtende Rückwirkungen für die amerikanische Industrie, welche durch den Wech-
Donald Trump.
Foto: Flickr/ Gage Skidmore/Cc by sa 2.0
selkurs geschädigt würde. Trump hatte im
Wahlkampf angekündigt hat, dass er die
Industrie in den USA wieder groß machen
will – eine der vielen Ungereimtheiten,
aber eine politisch zentrale.
Wohl nicht zuletzt deshalb will Trump
eine tiefgreifende Abkehr vom bisherigen Modell der Globalisierung, welches
die amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung der letzten beiden
Jahrzehnte geprägt hat. Damit sollen die
Nachteile für die amerikanische Industrie
aufgehoben werden. Dies in einer Weise,
welche eine Form von Importsubstitution
darstellt: Produkte, welche bisher auch ge-
rade von amerikanischen Unternehmen
im Ausland (China, Mexiko) produziert
und von dort in die USA exportiert worden sind, sollen nun wieder vor Ort in den
Vereinigten Staaten hergestellt werden.
Das ist ein Modell, das in der Geschichte
eher von Entwicklungs-Ökonomen anvisiert worden ist. Man könnte es als eine
Form von nicht-akademischem NeoStrukturalismus bezeichnen: Exportorientiertes Handelsmodell, fokussiert auf
hohe Wertschöpfung, bei gleichzeitiger
Import-Substitution, wo immer es geht.
Raul Prebisch lässt grüßen, nachdem er
während einiger Jahrzehnte gerade von
amerikanischen Ökonomen belächelt und
vergessen worden ist.
Dass der neue Präsident eine radikale
Kehrtwende anvisiert, kann seiner Ankündigung entnommen werden, das während
10 Jahren bzw. von den USA seit 7 Jahren
in komplexen multilateralen Verhandlungen abgestimmte TPP-Abkommen an
seinem ersten Arbeitstag zu streichen.
Dieses Abkommen hätte einerseits alle
erdenklichen Interessen der amerikanischen Großunternehmen oder Multinationalen zum Programm gemacht. Es wäre
Analyse
Autohersteller erhöhen Eigenzulassungen
Der deutsche Automarkt ist ein stark
gesättigter Markt. Um sich ihren Marktanteil zu sichern, setzen die Autohändler und
Autobauer auf Rabatte und Eigenzulassungen. Den Eigenzulassungen kommt dabei
eine besondere Bedeutung zu. Die Eigenzulassungen sorgen einmal dafür, die Marktanteile in die Höhe zu schrauben, und
gleichzeitig ermöglichen sie es den Händlern und Herstellern, eigene Autos zu günstigeren Preisen auf den Markt zu bringen.
Mittlerweile sind 30 Prozent der Neuwagen Eigenzulassungen. Von September
auf Oktober hat sich der Anteil der Eigenzulassungen noch einmal erhöht. „Be-
sonders die beiden Marken mit der sonst
größten Zurückhaltung bei dieser Art der
Absatzförderung, Ford und Skoda, lagen im
September deutlich über ihrem bisherigen
Jahres-Durchschnitt“, heißt es im aktuellen Überblick des CAR-Center Automotive
Research, dem Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vorsteht.
Während Fiat, Kia, Hyundai und Mazda
ihre Eigenzulassungen im Vergleich zum
Vorjahreszeitraum reduzierte, erhöhten
Nissan, Opel und Audi diese. Bei Nissan
sind mittlerweile 46,8 Prozent der Gesamtzulassungen Eigenzulassungen. Bei Opel
sind es 47,4 und bei Audi beispielsweise 31,5
Prozent.
„Obwohl der Neuwagenmarkt in den
letzten neun Monaten Wachstum zeigte,
verharren die Rabatte auf hohem Niveau –
ja sogar sind im Monat Oktober wieder gestiegen“, sagte Dudenhöffer den Deutschen
Mittelstands Nachrichten.
Der deutsche Automarkt ist einer der
am stärksten rabattierten Märkte der Welt.
Zusammen mit den Auswirkungen der erhöhten Eigenzulassungen sorgten die neuerlichen Rabatte für einen Anstieg des Rabatt-Index auf 126 Punkte. So hoch war der
Wert des Index seit Mai 2016 nicht mehr
gewesen.
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auch von den Republikanern im Kongress
mitgetragen worden. Natürlich zum Preis
von Investorenschutz und fragwürdigen
Handelsgerichten. Andererseits enthielt
TPP effektiv Elemente, die gegenüber den
bisherigen Handelsabkommen als Fortschritt anzuerkennen sind. So enthält TPP
Arbeitsschutzbestimmungen, Recht auf
gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter, und Umweltschutzvorschriften. Ob
diese Punkte in der Praxis durchzusetzen
wären, ist eine andere Frage. Das Abkommen in diesem Stadium zu verwerfen, ist
ein Signal an die ganze Welt.
Was Trump explizit anstelle dessen anstrebt, ist ein System bilateraler Handelsbeziehungen, wobei in jedem Einzelfall
die USA nicht benachteiligt sein dürfen.
Genau dies hat der neu ernannte Handelsminister Ross bei seiner ersten öffentlichen Wortmeldung hervorgehoben. In
solchen bilateralen Verhandlungen werden die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer Macht – Größe der Wirtschaft, Dollar,
Militär, Politik – immer in einer starken, ja
dominierenden Position sein.
Doch diese binnen- und außenwirtschaftliche Wende hat weitreichende Konsequenzen, die von den Autoren dieser
Strategie nicht voll durchdacht sein dürften. Offenbar ist die Periode multilateraler Abkommen, die ein Kernelement der
Globalisierung waren, zumindest für einige Jahre, möglicherweise auch für viel
länger beendet. TPP und TTIP stellen zwei
Abkommen dar, welche diese Richtung
weiterentwickelt und dem amerikanisch
beherrschten Multilateralismus neue
Dynamik verschafft hätten. Für die vorhersehbare Zukunft scheinen wir einer
Periode des Regionalismus und bilateraler
oder selektiv multilateraler Abkommen
zwischen Wirtschaftsregionen entgegen
zu steuern – oder versteckten und offenen
Handels- und Währungskriegen.
Denn so spektakulär diese Ankündigung
in Bezug auf TPP ist, so geht sie doch am
Kern vorbei. Das TPP ist ein multilaterales
Abkommen mit zahlreichen asiatischen,
lateinamerikanischen und pazifischen
Ländern, unter anderem auch mit Mexiko,
nicht aber mit China oder Südkorea – oder
mit Europa. Und dort liegt die Krux. Denn
die Defizite der Außenhandels- und der
Leistungsbilanz der Vereinigten Staaten
entspringen fast ausschließlich den Han-
delsbeziehungen mit China, mit der Eurozone und nur an dritter Stelle mit Mexiko.
Die Fokussierung auf bilaterale Handelsbeziehungen impliziert, dass die USA
vor allem gegenüber diesen Ländern
oder Ländergruppen mit Maßnahmen
verschiedener Art auftreten werden. Die
Administration hat in diesem Bereich im
Übrigen weitgehende Handlungsfreiheit.
Weder muss sie den Kongress einbeziehen, noch hat sie erfolgsversprechende
Rechtsschritte der eigenen oder ausländischen Unternehmen zu befürchten.
Sie kann den betroffenen Handelspartnern einfach Einfuhrquoten oder selektive Schutzzölle auferlegen und mit ihnen
Verlagerungsziele vereinbaren. Das hat
im Übrigen die Reagan-Administration
damals mit den japanischen Autobauern
gemacht. Man kann, um offene Konfrontation zu meiden, auch mit einzelnen
in- und ausländischen Unternehmen
direkte bilaterale Gespräche führen, um
sie zu Produktionsverlagerungen zu drängen. Das führt zu einer Verwilderung der
Handelspraktiken, zu einer Kombination
von Druck und Anreizen. Offenbar hat
der designierte Präsident telefonisch in
diesem Sinne bereits mit dem CEO von
Apple diskutiert und vielerlei Erleichterungen in Aussicht gestellt. Gegenüber
einem mittelständischen Unternehmen
in Indiana wurde ein medienwirksamer
Kurswechsel in letzter Sekunde erreicht –
um den Preis von Steuerkrediten für 10
Jahre. Man kann solche Gespräche mit
den US-Autoherstellern führen, mit Apple, mit vielen anderen Großunternehmen,
um sie zur Rückkehr nach Amerika zu ermuntern bzw. zwingen. Oder bedeutende
ausländische Hersteller wie den großen
koreanischen Autobauer Hyundai oder
den Technologiekonzern Samsung zu Investitionen in den USA ‚einladen’. Auch
deutsche Unternehmen – etwa die Autound Maschinenbauer – eignen sich hervorragend für solche Gespräche. Donald
Trump stellt sich dies wohl so vor, dass
mit seiner Machtposition dann ‚the art of
the deal‘ voll zum Tragen kommt. Für ausländische Hersteller bedeutet dies nichts
anderes, als dass ein Teil ihrer bisherigen
Produktionskapazität an anderen Standorten obsolet wird.
Die Bilateralisierung des Außenhandels
würde ohne jeden Zweifel China und mit
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weitem Abstand Deutschland und andere
europäische Länder sowie Mexiko zu prioritären bilateralen ‚Verhandlungspartnern‘ machen. China, Europa und Mexiko
sind von Trump mehrfach im Wahlkampf
als unfaire Handelspartner gebrandmarkt
worden. Er hat den Bruch oder die Neuaushandlung der WTO und des NAFTAAbkommens in Aussicht gestellt. China
und Deutschland, letzteres mit seinen
Überschüssen in der Leistungsbilanz von
fast 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,
stehen nicht nur aufgrund ihrer bilateralen Handelsbilanz-Salden gegenüber den
USA im Verdacht, mit merkantilistischen
Konzepten in der Wirtschaftspolitik zu
operieren. Kommt noch hinzu, dass in
beiden Fällen die Notenbank in der Vergangenheit aktiv die Währung durch ihre
Geldpolitik gedrückt hat. Im Falle Chinas
kommt ein zusätzliches, langes Sündenregister von Verletzungen durch Abschottung des Marktes und anderen bürokratischen Hürden hinzu.
Der Bilateralismus und der angedrohte
Bruch von Handelsabkommen schaffen
vor allem eines, nämlich Unsicherheit.
Niemand weiß, wohin die Reise gehen
wird. Die Unternehmen werden damit
ihre globalen Investitionspläne vorsichtig
gestalten. Vor allem bei Neuinvestitionen
werden sie sich zurückhalten – zumal
wenn daraus Exportströme zunächst in
Richtung der USA entstehen könnten. Dabei wird es auch harsche Retorsionsmaßnahmen geben. China wird sich nicht alles gefallen lassen. Das Land könnte auch
versucht sein, seine Überschüsse verstärkt
dort abzuladen, wo es weniger Widerstände gibt – etwa in Europa.
Der Vorteil multilateraler Handelsabkommen ist die Rechtssicherheit, welche
den Unternehmen eine langfristig stabile Kalkulationsbasis gewährt. Sie können
eine einigermaßen vernünftige Investitionsrechnung erstellen. Plötzliche Überraschungen aus dem Nichts sind so nicht zu
erwarten. Mit Bilateralismus, mit Retorsionsmaßnahmen, mit dem Rückgriff auf
ein ‚Catch as catch can‘, mit einer Politik
von ‚Deals‘ ist das nicht mehr der Fall. Es
würden auf globaler Ebene große regionale Wirtschaftsblöcke begünstigt, welche
den Austausch im Innern der Wirtschaftsund Handelszone favorisieren. Generell
würde der interregionale Welthandel im
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Wachstum eingeschränkt werden oder sogar deutlich fallen. Multinationale sind als
Gesprächspartner wie in Bezug auf ihre
Handlungsmöglichkeiten bei bilateralen
Deals sicher flexibler. Mittelständler sind
eher benachteiligt, weil sie weniger Zugang zur Macht haben.
Die Vereinigten Staaten sind nicht der
einzige Freihandels-Champion der Vergangenheit, der einen rabiaten Kurswechsel vornehmen will. Das Vereinigte
Königreich, Mutterland des Freihandels,
will mit dem Brexit die größte oder zweitgrößte Freihandelszone der Welt – die
Europäische Union – verlassen. Natürlich
will sie am Freihandel mit der EU festhalten und sich zusätzlich Freiheitsgrade
im Außenhandel gegenüber Drittländern
verschaffen. So können die Commonwealth-Vergangenheit und die speziellen
Beziehungen mit den USA nützlich und
hilfreich gemacht werden.
Premierministerin Theresa May hat vor
dem britischen Industriellenverband CBI
angekündigt, dass das Vereinigte Königreich die niedrigsten Steuersätze für Unternehmen der G-20 einführen will. Das
ist keine Kleinigkeit, denn Donald Trump
will die offiziellen Steuersätze für Unternehmen in den Vereinigten Staaten auf
15 Prozent absenken. Das hat der designierte Finanzminister Mnuchin bekannt
gegeben. Die effektiven Steuersätze werden dann auf plus minus 10 Prozent zu
stehen kommen – für systematisch Gewinn machende, große Unternehmen.
Alle anderen zahlen weniger oder nichts.
Wenn Theresa May das noch unterbieten
will, dann werden die Steuersätze dort
gegen Null tendieren. Zusätzlich hat die
britische Regierung angekündigt, dass
sie nach Jahrzehnten des Abseitsstehens
eine kohärente Industriepolitik einführen will. Das ist löblich. Nur stellen sich
offene Fragen im Anschluss an die ersten
Gespräche mit Nissan, bei denen offenbar
Versprechungen gemacht worden sind.
Viele andere Unternehmen mit einer gewissen Bedeutung werden nun auch das
Gespräch – oder den ‚Deal‘ mit der Regierung suchen – keine Steuern für so und
so lang, Subventionen für ein neues Werk,
Regierungsaufträge usw.
Mit Steuerdumping, mit wettbewerbsverzerrenden Formen der Industriepolitik,
mit der Abwertung des Pfunds und mit
Freihandel – mit allen will die britische
Premierministerin also die Wettbewerbsfähigkeit Großbritanniens verbessern. Sie
will die Industrie auf diese Weise, weniger über Importsubstitution wie Trump
in den USA, vor allem über den Güterexport beflügeln – nicht zuletzt in die Europäische Union. Das ist eine unmaskierte
‚beggar-thy-neighbour‘-Politik, die das
Land auf dem Rücken der Europäischen
Union implementieren will. Das Vereinigte Königreich ist nicht ein Kleinstaat an
der Peripherie, sondern eine hochentwickelte Volkswirtschaft, die zweitgrößte in
Europa, direkt als Eingangstor oder Hub
für überseeische Unternehmen. Diese
geplante Politik zu verhindern, muss die
oberste Priorität für die Europäische Union bei den Austrittsverhandlungen sein.
Von daher tönt es ominös, dass die EU
dem Vereinigten Königreich tatsächlich
weiteren Marktzugang nur um den Preis
einer Fortsetzung der Zahlungen offeriert
hat. Damit wäre die EU endgültig als unbrauchbar diskreditiert – und zwar auf
ihrem Kerngebiet, den Handelsbeziehungen.
Der deutsche Finanzminister Schäuble
hat darauf scharf reagiert. Er hat an die
Beschlüsse von Gipfeln erinnert, die solchen Steuerwettbewerb unterbinden. Er
hat vollkommen Recht. Denn das Ganze
ist ein fürchterlicher Unsinn. Die Unternehmenssteuern zu senken, wurde seit
Jahrzehnten von neoliberalen Ökonomen
immer damit begründet, dass so die Investitionen – der Wachstumsmotor par excellence – stimuliert würden. Als zweiter Faktor müssten nur noch die Löhne begrenzt
oder gekürzt werden. Damit sollen höhere
Investitionen, damit zusammenhängend
erhöhte Produktivitätszuwächse und
wachsender Wohlstand verbunden sein.
Die empirische Evidenz ist grauenvoll. Es
ist genau umgekehrt. Wir haben heute
weltweit die niedrigsten Steuersätze für
Unternehmen der Nachkriegszeit. Doch
die Investitionsquoten, definiert als Anteile der Unternehmensinvestitionen am
Bruttoinlandsprodukt, sind zusammengebrochen, ebenso die gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritte. Dies
gilt für viele Länder in der EU, aber auch
für die USA. Dafür sind die Budgetdefizite und die Verschuldungsquoten der öffentlichen Haushalte explosionsartig an-
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gestiegen – Tendenz ungebrochen, auch
dort wo die offiziellen Zahlen eine Stabilisierung vortäuschen, wie in Deutschland.
Eine Eskalation der Politik weiterer Steuersenkungen, wie dies Trump und Theresa
May anstreben, kann nur eine Politik des
ruinösen Steuerwettbewerbs und des Aushöhlens der Staatshaushalte sein – eine
klassische ‚beggar thy neighbour‘-Politik
gegen Außen und gegen die eigene Bevölkerung zugunsten des ‚shareholder value‘
oder für die ‚1 Prozent‘.
Wenn die beiden historischen Länder des
Freihandels auf Neo-Strukturalismus, auf
selektiven, machtpolitisch geprägten Bilateralismus‚ auf offene und versteckte Formen von ,beggar thy neighbour‘-Politik
umsteigen, kann man sich leicht ausmalen, wohin die Reise im Welthandel gehen
kann.
Die Abkehr von der Politik des Multilateralismus hat verschiedene Hintergründe. Einer davon ist China, ein anderer die
WTO-Handelsabkommen mit ihren vielen
Ungereimtheiten. Die heute dominant gewordene Welthandelsmacht China bewegt
sich in einem solchen Umfeld, dem WTOAbkommen. China hat aber darin in einer
historisch präzedenzlosen Weise Grauzonen ausgelotet und Vorteile für sich herausgeholt – zum Schaden des Rests der
Welt.
China nutzt seinen potentiell riesigen
und immer noch verhältnismäßig rasch
wachsenden Binnenmarkt, etabliert zahlreiche Handelsbarrieren und Schikanen
gegen Importe, und erlegt einen Zwang
zur lokalen Produktion für viele Sektoren und Unternehmen auf, die für diesen
Binnenmarkt produzieren wollen. China
bietet sich umgekehrt als Plattform für
Exportindustrien an, unter Ausnutzung
frühindustriell ausbeuterischer Arbeitsbeziehungen und Verletzung von Umweltstandards. China subventioniert seine
eigenen Exportindustrien mit Steuerprivilegien, staatlichen Krediten, finanziert
jahrelange Dumpingpraktiken in als vital
angesehenen Kernindustrien, verletzt Patente und betreibt in einem einmaligen
Umfang Industriespionage. China finanziert mit staatlichen Mitteln die Expansion seiner Firmen, um strategische Akquisitionen in Zukunftssektoren im Ausland
zu tätigen, und manipuliert seine Währung, die systematisch weit unterbewer3
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tet ist. Dabei muss noch nach Perioden
unterschieden werden: Bis vor wenigen
Jahren waren solche Praktiken teilweise
der mangelnden Kontrolle der Zentrale
über die Provinzen zuzuschreiben. Seit
der Machtübernahme durch Xi Jinping
sind diese Praktiken zunehmend zentral
gesteuert und viel effektiver. In einem
gewissen Sinn ist China Opfer einer restlos gescheiterten Geld- und Kreditpolitik,
welche zu einer der größten Blasen der
Wirtschaftsgeschichte geführt hat. Die
neue Führung versucht verzweifelt, sich
aus dieser misslichen Situation durch eine
zentral gesteuerte Politik, auch zulasten
Dritter, hinauszumanövrieren.
Der Rest der Welt sitzt angesichts der
Handels-, Industrie- und Währungspolitik
Chinas gebannt da und lässt sich seine eigenen Industrien schrittweise dezimieren.
Die Europäische Union ist ein Paradebeispiel für völlige Desorientierung mit dem
Effekt, dass praktisch in allen Industrieländern Europas die Industrie selektiv und in
Etappen geschwächt wird. Auf einer analytischen Ebene nutzt China alle Schwachstellen des WTO-Abkommens aus, dies bis
zur Schmerzgrenze. China profitiert von
Interessengegensätzen zwischen Handelspartnern, Unternehmen und Sektoren,
welche durch lokale Präsenz und Produktion an seinem Wachstum teilhaben wollen,
und solchen, die in ihren Herkunftsländern dem Druck oder der vollen Wucht der
chinesischen Exportindustrien ausgesetzt
sind. China nutzt diese unterschiedlichen
Interessenlagen virtuos aus. Vieles ist in
den WTO-Verträgen nicht geregelt, und
es gibt keine multilaterale Instanz, welche
Verstöße diagnostiziert und mit Autorität
bestrafen und korrigieren könnte. Solche
multilateralen Verhandlungen wieder auf
Ziel zu bringen, wäre zeitraubend, schwierig, würde Jahre und wohl länger als eine
erste Amtszeit von Präsident Trump erfordern. Der radikale, konzentrierte bilaterale Durchgriff verspricht oberflächlich
raschere Erfolge.
Das Bild kann so zusammengefasst werden, dass China innerhalb von 15 Jahren
die größte Handelsmacht der Welt geworden ist – Trend ungebrochen. Die Ausweitung seines Marktanteils zu Lasten der
USA, Japans und der EU/Eurozone wird
sich fortsetzen – möglicherweise sogar beschleunigen. China hat, ermöglicht durch
eine exzessive Kreditvergabe, eine heillos
überdimensionierte Industrie aufgebaut.
China schützt diese einerseits durch selektive Importbarrieren. Andererseits wird
die überschüssige Kapazität durch eine
systematische Unterbewertung des Yuan
und durch ein eigentliches Dumping auf
die Exportmärkte geworfen. Die Überschüsse in der Handelsbilanz haben 2015
wieder 6 Prozent des BIP erreicht. In den
Vorjahren waren sie aufgrund rekordhoher Importpreise für Rohstoffe optisch
reduziert.
Für das Jahr 2016 deuten die ausgewiesenen Salden der Handelsbilanz einen Rückgang der Überschüsse Chinas an. Dies
muss aber relativiert werden. China hat
2015/16 seine strategischen Erdölreserven
massiv aufgestockt, zieht Vorteil aus der
globalen Überproduktion und dem Fall
der Erdölpreise. Die Importe sind dadurch
einmalig überhöht. Letzteres gilt noch aus
einem anderen Grund. Spätestens seit der
mit Pauken und Trompeten vorgenommenen Abwertung des Yuan im Sommer
2015 gibt es eine Kapitalflucht aus China.
Verschiedene Analysten messen diese
mit den Zahlen der Devisenreserven und
Komponenten aus der Finanzierungsbilanz. Diese Kapitalflucht spielt sich aber
auch gut versteckt in der Handels- und
Dienstleistungsbilanz ab. In- wie ausländische Unternehmen überfakturieren Importe und unterfakturieren Exporte, um
so Kapital ins Ausland zu schaffen. Dies ist
möglich im Austausch mit konzerneigenen oder nahestehenden Handelsgesellschaften, mit Tochter- oder Holdinggesellschaften im Ausland etc.
Gegenwärtig sind wir in einer präzedenzlosen Phase global schwachen Wirtschaftswachstums. Ausgerechnet das
größte Überschussland der Welt wertet
seine Währung gegenüber dem Dollar
deutlich ab. Seit August 2015 ist der Yuan
um rund 13 Prozent gegenüber dem Dollar
gefallen. Dies trotz der Tatsache, dass China Gewinne bei den Austauschrelationen
(‚terms of trade’) verzeichnen kann, weil
seine Importe – Rohstoffe und Halbfabrikate – durch den Zerfall der Rohstoffpreise verbilligt sind. Die Abwertung erfolgt
unter Berufung auf einen falsch konstruierten Index des handelsgewichteten
Wechselkurses des Yuan. Es ist absehbar,
dass eine solche Politik auf eine Eskalation
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zusteuert und dass eine geharnischte Antwort erfolgen wird. Der designierte Handelsminister hat dies bereits angedeutet.
Analytisch steckt dahinter ein Rahmenwerk (WTO-Gründung von 1995), das löchrig ist, und vom Newcomer China vom
Beitritt im Jahr 2001 weg immer geschickter ausgenutzt wird. Dann eine Unfähigkeit und Unwilligkeit der Handelspartner,
dies zu erkennen, geblendet vom scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg Chinas und
den grenzenlosen Möglichkeiten von dessen Binnenmarkt. Schließlich ein unkoordiniertes Vorgehen auf internationaler
Eben. Die Bush-Administration hat sich
bis 2008 praktisch nie mit China auseinandergesetzt. Die Obama-Administration
hat mehr dafür getan, aber primär multilaterale Handelsabkommen mit Dritten
unter explizitem Ausschluss von China
ausgehandelt, die jetzt offenbar ersatzlos gestrichen werden. Immerhin wurde
eine Zeit lang dem Wechselkurs mehr Bedeutung geschickt. Der IWF, die USA und
Europa haben China 2016 in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte aufgenommen, obwohl für jeden halbwegs
qualifizierten Ökonomen klar war, dass
der Index, an dem sich die chinesische
Währungspolitik orientiert, eine Fehlkonstruktion ist und keinen Referenzpunkt für
die chinesische Währung darstellen sollte.
Der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel
ist mit einer Delegation nach Peking gereist, um den deutschen Unmut über die
neuen Praktiken in China darzulegen. Er
wäre sinnvoller im Rahmen einer europäischen Delegation angereist. Nur wenn alle
am gleichen Strick ziehen, hat man gegenüber China Verhandlungsmacht.
Neben der wichtigsten neuen globalen
Handelsnation, die merkantilistisch operiert, will jetzt offenbar das bisherige Führungsland im Welthandel und im Weltwährungssystem ins gleiche Fahrwasser
einschwenken. Die Trump-Administration will nicht nur selektiv – bilateral – den
Binnenmarkt abschotten, sondern dem
dollarhungrigen Rest der Welt auch noch
das Kapital absaugen, um dieses selber für
sein Infrastruktur-Programm investieren
zu können. Historisch haben Weltwährungssysteme gut funktioniert, wenn die
Kern- oder Ankerländer bereit waren, Freihandel vorzuleben und zu fördern, Defizite in der eigenen Handelsbilanz zuzulas4
Deutsche
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sen und als Kapitalgeber für den Rest der
Weltwirtschaft aufzutreten. Das galt für
Großbritannien vor dem Ersten und für
die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten
Weltkrieg.
Weder China noch anscheinend die Vereinigten Staaten unter Trump erfüllen
diese Bedingungen. Das wenig erfreuliche
Bild, historisch durchaus mit Vorbildern
aus der Zwischenkriegszeit, wird dadurch
abgerundet, dass Europa als dritte große
Wirtschafts- und Währungszone daran ist,
sich selbst zu zerlegen. Nicht nur ist ihr
Leistungsausweis seit Jahren gegenüber
den Handelspraktiken Chinas äußerst
bescheiden. Gegenüber dem Vereinigten
Königreich und gegenüber einer TrumpAdministration warten ganz andere Herausforderungen. Dies in einem Moment,
wo die Konzentration und Förderung
des internen regionalen Austauschs im
Vordergrund steht angesichts der vie-
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len Fragezeichen im interregionalen
Welthandel. Mit dem Brexit ist der erste
Dominostein gefallen. Die italienische
Bankenkrise zeigt die Unfähigkeit der
Führung der Eurozone, rechtzeitig auf
Bedrohungen zu reagieren. Agonie und
Lähmung scheint die Operateure ausgerechnet im Moment gepackt zu haben, wo
eine systemgefährdende Krise für jedermann ersichtlich kurz vor der Eskalation
steht.
Energie
Elektroautos
erfordern neue Energiepolitik
Bis 2022 soll der Atomausstieg vollzogen sein. Die Elektroautos werden dabei zur Herausforderung
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Herr
Wendler, zuletzt sind die Investitionen in
Erneuerbare Energien gesunken, geplante
Gas-Pipelines wie Nord Stream 2 stehen
angesichts neuer Sanktionen gegenüber
Russland in der Kritik. Wie schätzen Sie
das aktuelle Klima bezüglich der Atomkraft in Deutschland und in der EU ein?
Nicolas Wendler: Hinsichtlich der
Positionierung zur Kernenergie ist in
Deutschland keine Veränderung im Vergleich zu den vergangen Jahren feststellbar. Die beschlossene Politik des Ausstiegs aus der Kernenergienutzung wird
weder im politischen Raum, noch in der
breiten Öffentlichkeit – soweit dies in
Umfragen ermittelt wird – in Frage gestellt. Auch in jüngster Zeit ist keine Veränderung der Bewertung der Kernenergie in Deutschland erkennbar.
Bei Betrachtung auf EU-Ebene ergibt
sich ein differenziertes Bild, da die Bestimmung des Stromerzeugungsmix‘
in nationaler Zuständigkeit liegt. In der
EU ist das ganze Spektrum von energiepolitischen Positionen zur Kernenergie vertreten: Staaten, die Kernenergie
schon immer abgelehnt haben, Staaten
die aussteigen wollen bzw. ausgestiegen
sind, Staaten, die Kernenergie als Übergangstechnologie nutzen, Staaten, die
Kernenergie langfristig nutzen wollen,
und ein Staat, der neu die Kernenergie
nutzen will. Mit Ausnahme einer nun
wieder positiveren Haltung zur Kernenergie seitens der schwedischen Re-
gierung ist mir aus den vergangenen
Monaten keine Veränderung in den Positionen bekannt. Auch die Einstellung
der Bevölkerung zur Kernenergie variiert stark zwischen den Ländern, ohne
dass ich dazu einen aktuellen Überblick
benennen kann.
Deutsche Kernkraftwerke erzeugten im
Jahr 2015 insgesamt 91,786 Milliarden
kWh Strom (brutto). Bis 2030 sollen immer mehr Elektroautos statt Autos mit
Verbrennungsmotoren fahren. Wird Ihrer
Meinung nach ausreichend Strom aus Erneuerbaren Energien und Kohle erzeugbar sein, um diese neue Energielast zu
tragen?
Die Kernenergie leistet in Deutschland
aktuell nach wie vor ihren Beitrag zur
Deckung des Strombedarfs und zur
Versorgungssicherheit. Der Einfluss
der Elektromobilität ist derzeit und für
die kommenden Jahre absehbar eher
gering im Vergleich zum gesamten
Strombedarf. Ob und wann sich das ändert, hängt wohl in erster Linie von der
technisch-industriellen
Entwicklung
der Elektromobilität ab und ist entsprechend schwer abzuschätzen. In jedem
Fall muss nach den aktuellen Planungen
die Versorgungsicherheit in Deutschland ab spätestens 2022 ohne Nutzung
von Kernkraftwerken in Deutschland
sichergestellt werden. Es ist letztlich
Aufgabe der Energiepolitik, die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten und dies bei Themen wie dem
Der Ausstieg aus der Atomkraft beruhte auch
auf Berechnungen, dass der Stromverbrauch
aufgrund neuer Technologien sinke. Doch neue
smarte Geräte und Elektroautos werden für einen Anstieg des Strombedarfs sorgen.
Foto: Flickr/Michael Kopp/CC By 2.0
Ausbau der Elektromobilität oder einer
diskutierten Politik des Ausstiegs aus
der Kohleverstromung entsprechend zu
berücksichtigen.
Glauben Sie, Deutschland wird trotz des
stetig wachsenden Bedarfs an Energie
und trotz neuer Atomkraftwerke im Ausland am Ausstieg festhalten?
Die Beendigung der Kernenergie-Nutzung zur Stromerzeugung beruht auf einer gesetzlichen Grundlage und soll bis
2022 abgeschlossen sein. Mir sind keine
Anhaltspunkte dafür bekannt, dass von
diesem Pfad abgewichen werden soll.
Eine solche Abweichung würde in jedem
Fall eine Gesetzesänderung erfordern.
Was wird Ihrer Meinung nach geschehen,
wenn Deutschland am Atomausstieg festhält, der Energiebedarf aber weiter steigt?
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Dem Energiekonzept der Bundesregierung liegen verschiedene Energieszenarien zu Grunde, von denen die
meisten von einem deutlichen Sinken
des Strombedarfs ausgehen. Zugleich
werden ein starker Ausbau der Erneu-
erbaren Energien sowie ein Rückgang
des Gesamtenergiebedarfs angenommen. Szenarien, in denen im Zuge einer klimapolitisch bedingten Dekarbonisierung zwar der Energiebedarf
sinkt, aber der Strombedarf deutlich
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steigt, werden erst seit kurzem diskutiert und haben meiner Kenntnis nach
bislang keinen konzeptionellen Niederschlag gefunden. Auch diese Fragestellung ist letztlich energiepolitischer
Natur.
Innovation
BMW will autonom fahrende Autos testen
BMW will im kommenden Jahr eine kleine Flotte selbstfahrender PKW in der Münchner Innenstadt testen
B
MW will im kommenden Jahr eine
kleine Flotte selbstfahrender PKW
in der Münchner Innenstadt testen. Im
Jahresverlauf sollen rund 40 computergesteuerte Fahrzeuge an den Start gehen,
sagte BMW-Manager Klaus Büttner der
Nachrichtenagentur Reuters. „Hinter jedem Steuer sitzt ein trainierter Testfahrer“, der bei Bedarf eingreifen und das
Auto per Hand lenken könne. Zudem sei
zur Sicherheit jeweils ein Folgefahrzeug
dabei. Wie Büttner weiter sagte, sollen
später auch in anderen Städten im Inund Ausland solche Testflotten den Betrieb aufnehmen. Details wollte er nicht
nennen.
Gegenverkehr, Parkplatzsuchende,
Radfahrer und Fußgänger – was für geübte Autofahrer im Stadtverkehr Alltag
ist, macht Computern und Sensorik bei
der Erfassung von Verkehrssituationen
noch Probleme. Tausende Testkilometer und -situationen sollen hier Abhilfe
schaffen. Versuche mit selbstfahrenden
Autos fanden lange Zeit vor allem auf
der Autobahn statt.
Das autonome Fahren gilt als eine
der Schlüsseltechnologien für die Mobilität der Zukunft. Autobauer wie BMW
oder die Konkurrenten Daimler und
Audi stecken Milliarden in Forschung
und Erprobung der Technik – in der
Hoffnung, irgendwann eine Führungsrolle einzunehmen. Neben der Fahrzeugindustrie liebäugeln auch Anbieter
aus der IT-Branche damit. Der US-Internetkonzern Google und der italienischamerikanische Autobauer Fiat Chrysler
wollen etwa gemeinsam eine Flotte von
100 selbstfahrenden Minibussen auf die
Straße bringen. Andere Fahrzeughersteller scheuen vor solchen Kooperationen
zurück, weil sie fürchten, zum Zulieferer
degradiert zu werden, während die Technologiekonzerne die Gewinne abschöpfen. Denn autonom fahrende Flotten
könnten künftig ganz neue Geschäftsfelder eröffnen – fernab vom klassischen
Modell: Autos bauen und verkaufen.
andere ärgern.“ Bei manchen Dingen wie
Kartendiensten oder Ladeinfrastruktur
für Elektroautos seien indes Allianzen
sinnvoll.
BMW will gemeinsam mit dem
US-Chipriesen Intel und dem israeli-
Die Münchner Innenstadt wird im kommenden Jahr zum neuen Testfeld für selbstfahrende Autos.
Foto: Flickr/sanfamedia.com/CC by nd 2.0
Dem Fahrdienst-Anbieter Uber wird beispielsweise nachgesagt, autonom steuernde Fahrzeuge bei einem Autobauer
kaufen zu wollen.
„Jeder spricht von Uber oder Lyft“,
sagte BMW-Chef Harald Krüger. „Wir setzen andere Schwerpunkte.“ Der Münchner Konzern werde die Mobilitätsdienstleistungen ausweiten und habe mit
seinem Flottengeschäft dabei langfristig
viele Möglichkeiten. BMW wolle in der
Lage sein, dank eigener starker Finanzkraft Innovationen zu stemmen. „Wir
wollen ganz vorne mitspielen und auch
schen Kameratechnik-Spezialisten Mobileye 2021 selbstfahrende Autos auf
die Straße bringen. Krügers Angaben
zufolge ist es noch zu früh zu sagen,
ob sie gleich für Gewinn sorgen. Aber
mit Fahrerassistenzsystemen, von denen immer mehr angeboten werden,
verdiene BMW schon heute Geld. Experten des Autobauers zufolge machen
bei Fahrdienst-Anbietern derzeit die
Fahrer die Hälfte der Kosten aus. BMWManager Tony Douglas sagt: „Wenn der
Fahrer weg ist, hat man die Lizenz zum
Gelddrucken.“
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09. Dezember 2016
Wirtschaft
Deutsche Industrie kritisiert Anleihenkäufe
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat die EZB-Entscheidung zur Verlängerung ihrer Anleihen-Käufe kritisiert
EZB-Chef Mario Draghi.
Foto: Flickr/European Central Bank/CC by nc nd 2.0
D
Höhe von 540 Milliarden Euro hinzu. Das
Gesamtprogramm schwillt auf 2,28 Billionen Euro an, so Reuters.
DIHK-Außenwirtschaftschef Volker
Treier sagte am Donnerstag: „Die heutige EZB-Entscheidung geht in die falsche
Richtung.“ Vor dem Hintergrund der bereits überaus lockeren Geldpolitik habe
der Reformeifer der europäischen Staaten zuletzt nachgelassen. Die zurückhaltenden Investitionen belegten trotz
der niedrigen Zinsen, dass es weniger an
der Finanzierung, sondern vor allem an
ie Europäische Zentralbank geht mit
ihrem billionenschweren AnleihenProgramm in die Verlängerung. Die umstrittenen Wertpapier-Käufe sollen nun
nicht mehr Ende März 2017 auslaufen,
sondern mindestens bis Dezember 2017
fortgesetzt werden, teilte die EZB am Donnerstag in Frankfurt mit. Das ist länger als
die meisten Volkswirte erwartet hatten.
Das monatliche Volumen von derzeit 80
Milliarden Euro soll dabei aber ab April
2017 auf 60 Milliarden gesenkt werden.
Damit kommen weitere Geldsalven in
attraktiven wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen mangele.
„Politische Ereignisse dürfen nicht
die Geldpolitik in Europa bestimmen –
auch Italien stellt hier keine Ausnahme
dar“, sagte Treier mit Blick auf die Regierungskrise in Rom nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum. Entscheidend müsse der Blick auf die Preise sein,
und die hätten in Deutschland auch
wegen der guten Arbeitsmarktsituation
und der damit verbundenen Lohnzuwächse bereits zugelegt. „Deshalb wäre
es wichtig, dass die EZB zeitnah einen
schrittweisen Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik vornimmt.“
Ifo-Präsident Clemens Fuest begrüßte zwar, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ab April 2017 die Käufe von
Staatsanleihen verringern will. „Das ist
ein Schritt in die richtige Richtung.“ Nach
seiner Auffassung wäre es aber besser
gewesen, den Umfang Monat für Monat
noch stärker zu reduzieren. Angesichts
der steigenden Euro-Inflationsrate trage
das Argument der EZB für die Anleihekäufe 2017 nicht mehr. Insgesamt träten bei den Transaktionen die negativen
Nebenwirkungen in den Vordergrund.
Der Chefvolkswirt des Gesamtverbandes
der Deutschen Versicherungswirtschaft
(GDV), Klaus Wiener, wertete die EZBEntscheidung als ein erstes Signal für das
Ende der ultra-lockeren Geldpolitik.
Italien
Regierungskrise trifft Italiens Wirtschaft
Die hohe Schuldenlast des Landes und die politische Unsicherheit werden die Wirtschaft Italiens hart treffen
M
inisterpräsident Matteo Renzi reichte am Mittwochabend seinen Rücktritt ein. Zuvor hatte das Parlament in Rom
den Haushalt für 2017 verabschiedet, was
Staatspräsident Sergio Mattarella zur Bedingung für Renzis Entlassung gemacht
hatte. Er muss nun entscheiden, wem er
den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung erteilt.
Das Budget für 2017 zeigt die Prob-
leme Italiens deutlich auf: Die EU-Kommission geht davon aus, dass mit dem
Zahlenwerk die EU-Vorgaben gebrochen
werden. Eigentlich sollte das Defizit nur 1,8
Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) betragen, nun wird es voraussichtlich bei 2,3
Prozent liegen. Das chronisch wachstumsschwache Italien ist mit rund 130 Prozent
des BIP stark verschuldet. Schlechter steht
in der Euro-Zone nur noch Griechenland
da. In Deutschland ist die Schuldenstandsquote des Staates lediglich halb so hoch.
Dazu kommen die Probleme der
Banken, die rund 300 Milliarden Euro an
faulen Krediten in den Büchern haben.
Das drittgrößte Institut Monte dei Paschi
braucht dringend frisches Kapital. Der
ursprüngliche Plan sah vor, bis zum Monatsende über eine Kapitalerhöhung fünf
Milliarden Euro am Markt einzusammeln.
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Wegen der Regierungskrise ist das fraglich geworden. Die Sorgen um die Banken
und die politische Zukunft des Landes
hatten zudem die Risikoaufschläge für
Staatsanleihen nach oben getrieben.
Am Mittwoch schossen die Aktien
von Monte dei Paschi um neun Prozent
in die Höhe, der heimische Bankenindex
zog um fast fünf Prozent an. Die Regierung hatte zwar zuvor einen Medienbericht dementiert, wonach sie einen Milliarden-Kredit beim Euro-Rettungsschirm
ESM zur Stützung der Banken erwägt. Die
Ratingagentur Moody’s hat inzwischen
den Ausblick für die Kreditwürdigkeit Italiens wegen der hohen Schuldenlast auf
„negativ“ von „stabil“ gesenkt.
Italiens Wirtschaft ist angeschlagen.
2015 erlebte Italien das erste Mal seit dem
Einbruch seiner Wirtschaftsleistung um 9
Prozent gegenüber dem Vorkrisenniveau
2008 ein Wachstum in Höhe von 0,8 Prozent. Im dritten Quartal 2016 hatte das BIP
gegenüber dem Vorjahreszeitraum lediglich um ein Prozent zugelegt. Im Vergleich
zum 2. Quartal war das BIP um 0,3 Prozent
gewachsen. Die Nachfrage aus dem Ausland war der nationalen Statistikbehörde
zufolge zurückgegangen. Das einzige EULand mit einem geringeren BIP-Wachstum im dritten Quartal war Lettland. Die
Industrieproduktion des Landes war im
September um 0,8 Prozent gegenüber
dem Vormonat geschrumpft. Die Inlandsnachfrage ist ebenfalls zurückgegangen.
Dementsprechend ist für die kommenden Monate angesichts der politischen Unsicherheit mit einer Verschlechterung
der
wirtschaftlichen
Beschaffenheit des Landes zu rechnen.
Die Zuversicht der Unternehmen ist im
November zurückgegangen.
Die starke industrielle Verflechtung
09. Dezember 2016
Der Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi wird nicht ohne wirtschaftliche Folgen
für das Land bleiben.
Foto: EU-Kommission
zur deutschen Wirtschaft birgt demzufolge für die kommenden Monate auch für
die deutsche Wirtschaft Unsicherheiten.
„Brexit, Regierungswechsel in den USA,
Italien-Referendum, in 2017 anstehende
Wahlen in den EU- und Euro-Kernländern
Frankreich und Deutschland – all das überschattet die wirtschaftliche Entwicklung“,
teilten die Forscher des Hamburgischen
Welt Wirtschafts Instituts in dieser Woche
mit. Deshalb senkten sie ihre Wachstumsprognose auf 1,1 von 1,4 Prozent und gehören damit eher zu den Skeptikern. Für das
laufende Jahr setzen die Ökonomen auf
einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 1,8 (bisher 1,9) Prozent.
Wie sich die Risiken konkret auf die
Wirtschaft auswirken werden, sei schwer
abzuschätzen, aber einige Ankündigungen sorgten bereits für Verunsicherung.
„Alles in allem haben sich die ökonomi-
schen Rahmenbedingungen dadurch tendenziell eher verschlechtert.“ Die deutliche Abwertung des Euros in den letzten
Monaten spiegele diese Tendenzen wider.
Die Währung notierte im August noch bei
rund 1,13 Dollar, lag aber am Vormittag
nur noch bei etwa 1,07 Dollar.
Die Hamburger Forscher erwarten,
dass sich im Laufe des kommenden Jahres einige der „politisch bedingten Unwägbarkeiten“ weitgehend auflösen und
weniger drastisch ausfallen könnten als
derzeit noch befürchtet. Somit dürfte
sich etwa die Zurückhaltung der Firmen
bei Investitionen normalisieren „und die
konjunkturelle Dynamik könnte 2018 wieder zulegen“. „Deutschland ist wichtigster
Handelspartner Italiens mit einem Anteil
von 12,6 Prozent an den italienischen Exporten und 15,2 Prozent an den italienischen Importen“, so das Auswärtige Amt.
Ressourcen
Fracking-Industrie könnte Ölpreise weiter unter Druck setzen
Die Einigung der OPEC auf eine Förderkappung ermöglicht US-Fracking-Anbietern die Rückkehr auf den Erdöl-Markt
D
er von der OPEC-Einigung ausgelöste
Preisanstieg hat den US-Firmen überraschend neue Perspektiven eröffnet. Für
viele lohnt es sich bei den aktuellen Ölpreisen oberhalb der Marke von 50 Dollar pro
Barrel (159 Liter) wieder, die Produktion
hochzufahren. Die Aktienkurse von mehr
als 50 Öl- und Gasunternehmen aus den
USA sind durchschnittlich um mehr als
10 Prozent gestiegen. Der S&P 500 Energy
Sector Index gewann 5 Prozent.
Schon vor der OPEC-Entscheidung deu-
tete sich in der amerikanischen FrackingIndustrie eine Wende an. „Der Umschwung
bei den Ölpreisen könnte zu einer Renaissance der US-Fracking-Anbieter führen. Die
gesamte Produktion in den USA ist seit April 2015 durchschnittlich um eine Million
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Barrel auf aktuell 8,6 Millionen Barrel am
Tag gesunken. Aber die Förderung hat sich
zuletzt stabilisiert und auch die Anzahl der
Bohrlöcher ist seit dem Tiefpunkt vom Mai
2016 bei 400 Bohrstellen auf jetzt etwa 600
Bohrlöcher gestiegen. Diese frühen Anzeichen der Stabilisierung zeigten sich, als die
Ölpreise noch unterhalb der 50 Dollar-Marke lagen. Höhere Preise dürften den Umschwung verstärken“, schreibt oilprice.com.
Verharren die Preise dauerhaft über der
50-Dollar-Marke, könne die Produktion in
allen amerikanischen Fördergebieten steigen. Diese haben unterschiedliche Kosten
und Break-Even-Punkte. Repräsentanten
des Bundesstaates North Dakota behaupten
beispielsweise, dass die Bohrlöcher im Dunn
County ein Barrel Öl für 15 Dollar fördern.
Im Delaware Basin betragen die Kosten 30
Dollar.
Ob die OPEC-Staaten jedoch tatsächlich
die Drosselung einhalten, ist nicht absehbar.
Immerhin kam es im November zu einer Rekordförderung. Mitte der Woche kostete das
US-Leichtöl WTI mit 50,92 Dollar 1,7 Prozent
weniger. Die Sorte Brent verbilligte sich im
fernöstlichen Handel um 0,9 Prozent auf
54,44 Dollar je Barrel (159 Liter). Kurz vor der
Entscheidung der OPEC zur Drosselung der
Produktion hatten die Ölstaaten offenbar
ihre Förderung hochgefahren. Nach einer
Reuters-Umfrage produzierten die Staaten
des Ölkartells im November zusammen ein
Rekordvolumen von 34,19 Millionen Barrel
täglich – nach 33,92 Millionen Barrel im Oktober. Russland hatte erst kürzlich mit einer
Ölfördermenge von 11,21 Millionen Fässern
pro Tag den höchsten Förderstand seit fast
09. Dezember 2016
30 Jahren bekanntgegeben.
Damit haben die OPEC und Russland
im November etwa die Hälfte der weltweiten Nachfrage von rund 95 Millionen Barrel täglich befriedigt. Zur Skepsis trug auch
Saudi-Arabien bei, das den Preis für seine
asiatischen Kunden für Januar um 1,20 Dollar für arabisches Leichtöl senkte. Dennoch
sagten Analysten vorerst keine weitere Talfahrt der Preise voraus. Nur wenn der ganze
Deal platze, könnten die Preise stärker fallen,
erklärten die Analysten von Morgan Stanley.
Sollten die OPEC-Staaten ihre Fördermenge dennoch kürzen, würde das zwar
dank steigender Ölpreise die US-FrackingIndustrie wiederbeleben, allerdings könnte
sich das zusätzliche Angebot durch das Fracking wieder dauerhaft negativ auf den Ölpreis auswirken.
Die Abfallprodukte von Fracking könnten das Grundwasser verseuchen, befürchten Kritiker.
Foto: Flickr/ Simon Fraser University – University Communications/CC BY 2.0
Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo
Redaktion: Anika Schwalbe, Nicolas Dvorak. Sales Director:
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