16-12-04_Eine Welt ohne Bargeld REGIE

Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Kassengeräusch / O-Ton Kollage / Musik G. Kreisler
Atmo Wochenmarkt
Erzähler:
Ein Wochenmarkt in Köln: Eine Rentnerin kauft ein und zahlt mit einem 50-EuroSchein:
Kaufgespräch :
"(Klimpern, Gruscheln im Geldbeutel) Ja, ich habe es nicht kleiner, sonst hätte ich es
Ihnen kleiner gegeben // Funktioniert und 45, 50. Vielen Dank."
Erzähler:
Die Verkäuferin kramt lange in ihrem Geldbeutel herum, bis sie das Wechselgeld
zusammen hat. Trotzdem ist sie überzeugt:
Verkäuferin:
"Ohne Bargeld würden wir hier nicht stehen, weil es einfach nicht machbar ist.
Bargeldlos Bezahlen geht nicht. Der Aufwand wäre einfach zu groß, da müssten wir
uns dieses Gerät zulegen für Electronic Cash, das geht gar nicht."
Erzähler:
Ähnlich sieht das ihre Kundin:
Rentnerin:
"Für den Betrag und dann ne Karte, ist der Aufwand größer wie sonst was. Dann
kaufen sie Äpfel oder was und zahlen mit Karte, ist auch nicht das wahre, gell."
Erzähler:
Kohle, Mäuse, Knete, Pinkepinke...
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
1
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzählerin:
Scheine und Münzen sind für viele im Alltag unverzichtbar, doch noch nie wurde
darum so gerungen wie heute.
Musik “Money” (Cabaret)
“Money makes the world go round, the world go round….”
Erzählerin:
Wie lange werden unsere Geldmünzen noch klimpern, die Scheine rascheln? Die
Währung der Zukunft soll virtuell sein. Wird Bargeld bald Geschichte sein?
Erzähler:
Eine WELT OHNE BARGELD: Bezahlen in der Zukunft
Erzählerin:
Ein Feature von Ursula Mayer
Erzähler:
Viele Deutsche haben Angst, das Bargeld könnte abgeschafft werden. Befeuert wird
diese Angst durch die immer häufiger aufflammende Debatte: Denn immer mehr
Wirtschaftsfachleute halten Bargeld für überflüssig. Etwa John Cryan, der Chef der
Deutschen Bank. Anfang 2016 sagte er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im
Plauderton:
Deutsche-Bank Chef John Cryan :
"On the question of whether cash will exist in the future I think we do actually spend
quite a bit of time on that whether… because I think in ten years’ time it won't, there's
no need for it, and it's terribly inefficient and expensive."
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
2
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Übersetzer:
“Ob Bargeld in Zukunft existieren wird, mit dieser Frage haben wir uns einige Zeit
beschäftigt. Ich denke, in zehn Jahren gibt es das nicht mehr, wir brauchen es nicht,
es ist einfach schrecklich ineffizient und kostspielig.”
Erzähler:
Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg und
Mitglied des Sachverständigenrats, also einer der sogenannten Wirtschaftsweisen,
hält Bargeld einfach für überholt. Oder, wie er es im vergangenen Jahr in einem
Spiegel-Interview formulierte, Zitat:
Sprecher Zitat:
“Bei den heutigen technischen Möglichkeiten sind Münzen und Geldscheine
tatsächlich ein Anachronismus.”
Erzähler:
Kenneth Rogoff, Professor an der amerikanischen Elite-Universität Harvard und
früherer Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, wird noch deutlicher:
Ökonom Kenneth Rogoff:
"I think that simply phasing out paper currency would be the simplest and the most
elegant."
Übersetzer:
"Ich denke, die einfachste und eleganteste Lösung wäre, Bargeld abzuschaffen."
Erzählerin:
Dabei ist die Nachfrage nach Scheinen und Münzen erstaunlich groß: Bargeld im
Wert von 1,1 Billionen Euro ist in der Eurozone im Umlauf – so viel wie noch nie. Das
sind 19,5 Milliarden Scheine und knapp 120 Milliarden Münzen. Angenommen, es
gäbe kein Bargeld mehr: Was wären die Alternativen?
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
3
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Mehrere Sprecher für Collage mit fiktiven Werbesprüchen:
„Smart Money: Dieses Geld ist schlau und so sicher wie in Ihrem Safe // Beim Zahlen
setze ich alles auf eine Karte, nämlich auf Kingcard // Bequem online zahlen mit
coolcash // Wer Bargeld herumschleppt, zahlt noch nicht mit der Bezahl-App.“
Erzähler:
Es gibt bereits die Girokarten der Banken, früher als EC-Karten bezeichnet,
Kreditkarten wie Mastercard, Visa, American Express, das Bezahlen mit dem Handy,
mit Apps, es gibt Internetbezahlverfahren wie PayPal oder Paydirekt, virtuelle
Währungen wie Bitcoins…
Erzählerin:
Deutschland: das Land der unbegrenzten Zahlmöglichkeiten?
Umfrage Bezahlen mit Karte:
„Kann ich die Brötchen bei Ihnen mit Karte zahlen? Nein, leider nicht. Warum nicht?
Bei uns wird nur bar bezahlt. // Kann ich bei Ihnen mit Karte zahlen? Nein, nein, ist
wahrscheinlich zu aufwendig für uns. Weiß ich nicht, ob sich das rentiert, sind ja
meistens kleine Beträge // Akzeptieren Sie Karte? Leider nicht, lohnt sich nicht."
Erzählerin:
Es ist ein Versuch: Ein TAG OHNE BARGELD, der beginnt frustrierend: Die
Verkäuferin in der Bäckerei, in der Kölner Innenstadt, schüttelt beim Anblick meiner
Girokarte den Kopf. Egal ob Zeitungskiosk oder Café – mit Karte keine Chance.
Dann koche ich mir meinen Kaffee eben selbst und dazu gibt’s statt frischen
meinetwegen aufgebackene Brötchen, denke ich mir und stapfe missmutig in einen
Supermarkt. Da KANN ich mit Karte zahlen. Von wegen ineffizient, teuer und
unzeitgemäß: Bargeld ist das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel, das
grundsätzlich niemand ablehnen kann, Kartenzahlung dagegen offenbar schon.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
4
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzähler:
Kreditkartenanbieter halten Deutschland für ein Entwicklungsland. Oder wie es Josef
Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbandes Deutschland, ausdrückt:
HDE-Präsident Josef Sanktjohanser:
„Die Infrastruktur des Handels mit Terminals überall da, wo wir Ware verkaufen, die
ist natürlich nicht hundert Prozent.“
Erzähler:
Girokarten und Kreditkarten gibt es in Deutschland zwar im Überfluss: insgesamt
sind es fast 139 Millionen Karten mit Bezahlfunktion. Auf jeden Einwohner – egal ob
jung oder alt – kommen also im Schnitt 1,7 Karten.
Aber die funktionieren nur mit Kartenlesegeräten, davon gibt es bundesweit knapp
eine Million. Im Verhältnis zu den rund 300.000 Unternehmen mit ihren 450.000
Filialen alleine im Einzelhandel ist das nicht viel. Beim Bäcker, Metzger und am Kiosk
gibt es so ein Gerät nach Angaben des Handelsverbandes oft überhaupt nicht.
Spenden in der Kirche:
„Also jetzt haben wir zwanzig Cent gespendet (Ausdruck Kartenbeleg/ Piep) es ist
etwas kompliziert“
Erzählerin:
Dieses Terminal steht ausgerechnet in einer Kirche, im Bonner Münster. Korrekt
heißt es: ein elektronischer Opferstock. Den probiert Christian Pokorny gerade aus.
Statt Cent-Beträgen wollte der Kirchgänger eigentlich zwanzig Euro spenden, er hat
sich dabei aber vertippt. Abgesehen davon ist er von dem Terminal ganz angetan:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
5
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Kirchengänger Christian Pokorny:
„Finde ich nicht schlecht, da die Menschen immer mehr mit Plastikkarte bezahlen,
warum nicht auch hier.“
Erzähler:
Das Gerät steht unscheinbar in einer Ecke. Reinhard Sentis, Pressesprecher beim
katholischen Stadtdekanat Bonn, erzählt, im vergangenen Jahr sind allein auf diese
Weise circa 5.000 Euro an Spenden zusammengekommen. Es fallen zwar Gebühren
an, aber das rechnet sich trotzdem. Anfangs wurde das Projekt allerdings sehr
kontrovers diskutiert, betont Sentis:
Reinhard Sentis kontrovers:
„Die einen sagten, super, die Kirche geht mit der Zeit, und trägt auch unserem
Verhalten Rechnung. Vor allem auch den vielen internationalen Gästen, die wir hier
haben, denen kam das sehr entgegen, die fanden das gut, andere sagten, so ein
Opferstock, so einen Spendenterminal, das passt in die Kirche überhaupt nicht rein,
vor allem nicht in so eine alte romanisch-gotische Kirche, das geht doch gar nicht.“
Erzählerin:
Geht eben doch.
Erzählerin:
An meinem TAG OHNE BARGELD müsste ich also auf Spenden nicht verzichten.
Atmo im Frisörsalon
Erzähler:
Nicht auf Spenden, sehr wohl aber auf Trinkgeld sind auch Friseure, Kellner und
Taxifahrer angewiesen. Etwa Melanie, seit 17 Jahren ist sie als Frisörin in Köln im
Geschäft. Während sie einem Kunden die Härchen am Nacken wegrasiert, erzählt
sie:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
6
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Frisörin Melanie Trinkgeld:
"Sagen wir mal, mein Leben ist mittlerweile schon so eingependelt, dass ich in
diverse Supermärkte nicht gehe, dass ich kein Auto fahre, dass ich auf öffentliche
verzichte ohne Ende, ich weiß nicht, wie ich mein Leben über Wasser halten sollte,
ich meine, die Wohnpreise, das ist sehr teuer und kostspielig und ohne Trinkgeld
würde es einfach nicht reichen."
Musik „Geld“ (Ärzte)
„Geld, Geld, Geld, auch wenn euch das nicht gefällt, das Wichtigste auf dieser Welt
ist Geld.“
Erzählerin:
Wäre ein TAG OHNE BARGELD ein Tag ohne Trinkgeld? Nicht unbedingt. Zum
Beispiel im Restaurant können Kunden mit dem Betrag für Essen und Getränke das
Trinkgeld gleich mit von der Karte abbuchen lassen, das ist vielerorts schon möglich.
Lieber kassieren es viele Kellner allerdings bar, und damit im Zweifelsfall am Fiskus
vorbei.
Erzähler:
Denn steuerfrei ist Trinkgeld längst nicht immer. bei Angestellten nur, wenn die
Kunden ihnen freiwillig und persönlich Trinkgeld geben. Etwa beim Frisör, wenn das
Geld in ein Sparschwein mit dem Namen der Frisörin wandert. Vorsicht bei der
gemeinsamen Kaffeekasse, dessen Inhalt auf alle Mitarbeiter verteilt wird, dafür sind
ebenfalls Steuern zu zahlen. Sonst ist es Schwarzgeld – auch wenn das viele nicht
wissen. Oder nicht wissen wollen.
Atmo Demonstration
(Anfang laut, dann bitte Lautstärke runterziehen und ausblenden)
"Wir sind auf dem besten Wege hin zu einer bargeldlosen Gesellschaft, es wird alles
darangesetzt."
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
7
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzähler:
"Finger weg vom Bargeld": So lautet das Motto bei einer Kundgebung in Frankfurt im
Mai 2016. Mehrere hundert Menschen haben sich versammelt. Die Bürger könnten
ihre Privatsphäre verlieren, sie könnten gläserne Zahler werden. Das befürchtet
Joachim Starbatty. Der Ökonom und Vertreter der Partei Allianz für Fortschritt und
Aufbruch, kurz Alfa, hervorgegangen aus der AfD unter dem damaligen Vorsitzenden
Bernd Lucke, spricht bei der Kundgebung, wenngleich sich die Demonstranten nicht
von Parteien vereinnahmen lassen wollen:
Ökonom Joachim Starbatty:
"Es geht um unser Grundrecht, Dostojewski hat gesagt: Geld ist gemünzte Freiheit.
Und wenn man uns das Geld nimmt, nimmt man uns die Freiheit, dann sind wir
gläsern."
Erzählerin:
Große Ängste, die auf diesem kleinen Nebensatz basieren: Wenn man uns das Geld
nimmt. Wer ist eigentlich "man", der Staat, die Notenbank? Und was wollen er oder
sie genau? Eine Frage, die es bis in diverse TV-Talkshows geschafft hat.
Parlamentarischer Staatssekretär Michael Meister:
"Es ist überhaupt keine Absicht der Bundesregierung, Bargeld abzuschaffen oder
den Besitz von Bargeld zu verbieten."
Erzähler:
betont Michael Meister bei jeder Gelegenheit. Er ist parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen. Im Gegenteil: Die Bundesregierung rät ihren
Bürgern sogar, im Notfall Bares vorrätig zu haben. Der Staat will den Geldhahn nur
etwas zudrehen. Es soll eine Obergrenze für Barzahlungen von 5.000 Euro her, EUweit. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte dazu in der Südwestpresse im
Februar 2016, Zitat:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
8
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Sprecher Zitat:
"Seit vielen Jahren fordern die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung kurz OECD und viele internationale Experten Regelungen für
Barzahlungen, um organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche besser
bekämpfen zu können. Und nun gibt es nach den Terroranschlägen von Paris
Überlegungen, ob man nicht in Europa eine einheitliche Grenze für solche
Barzahlungen festlegt."
Erzähler:
Aus denselben Gründen zieht die europäische Zentralbank den größten EuroSchein, die 500-Euro-Banknote, allmählich ganz aus dem Verkehr. Aus Sicht von
EZB-Präsident Mario Draghi ist das ein notwendiger Schritt, denn:
EZB-Chef Mario Draghi:
“Es gibt die durchgängige und zunehmend stärker werdende Überzeugung in der
Meinung der Weltöffentlichkeit, dass Banknoten mit hohem Wert auch für kriminelle
Aktivitäten genutzt werden"
Soundtrack Pulp Fiction "Misirlou"
Erzähler:
Mit Koffern voller Geld kaufen Kriminelle Uhren, Autos, Yachten, Immobilien. So
waschen sie Geld, bringen Erträge aus Menschenhandel und Drogengeschäften in
den normalen Wirtschaftskreislauf. In Deutschland Schätzungen zufolge jedes Jahr
über 100 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag des
Bundesfinanzministeriums. Hohe Summen barzuzahlen, das soll in Deutschland
künftig nicht mehr gehen, sagt der Autor der Studie, Kai Bussmann, Experte für
Wirtschaftskriminalität und Professor der Universität Halle-Wittenberg:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
9
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Experte für Wirtschaftskriminalität Kai Bussmann:
„Die Bargeldobergrenze soll dazu dienen, eine Papierspur herzustellen. Einfach nur,
wenn es über Konten läuft, können sie es rückverfolgen. Das ist der große Vorteil.
Bargeld ist immer anonym.“
Erzähler:
Andere Länder wie Frankreich und Italien haben damit bereits Erfahrungen
gesammelt, berichtet Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank. So darf in Italien
beispielsweise eine Summe ab 3.000 Euro nicht mehr bar gezahlt werden:
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann:
„Mir sind allerdings keine Studien bekannt, die eindeutig belegen, dass mir
Bargeldbeschränkungen die organisierte Kriminalität, Steuerhinterziehung und der
internationale Terrorismus tatsächlich wirksam bekämpft werden können.“
Erzählerin:
Und in einer WELT GANZ OHNE BARGELD? Millionen Putzhilfen und Babysitter
ohne Lohnsteuerkarte, Bauarbeiter, die an der Steuer vorbei bar auf die Hand
bezahlt werden: Wäre das dann alles ein und für alle Mal Vergangenheit?
Erzähler:
Viele Kriminelle werden andere Wege finden. Sie können zum Beispiel mit
Gutscheinen von Warenketten zahlen oder mit Prepaid-Kreditkarten.
Sprecher Erklärung:
Prepaid-Kreditkarten können Kunden an der Tankstelle oder am Kiosk kaufen, in der
Regel völlig anonym. Sie müssen dafür keine Daten preisgeben. Genauso anonym
geht das Bezahlen mit diesen Karten, zum Beispiel im Internet. Ihren Namen müssen
die Nutzer dabei nicht angeben, sondern nur die Bezeichnung, die auf der Karte steht
und sich meist auf den Anbieter bezieht. Ein Kredit lässt sich mit diesen Kreditkarten
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
10
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
allerdings genau genommen nicht in Anspruch nehmen. Ausgegeben werden kann
nur, was vorher an Guthaben aufgeladen wurde.
Erzähler:
Denkbar wäre sogar ein Tauschhandel wie in Kriegs- und Krisenzeiten, meint der
Frankfurter Finanzprofessor Andreas Hackethal:
Finanzprofessor Andreas Hackethal:
„Es gab auch früher das Zahlungsmittel Zigaretten, also ist die Überlegung, ob man
einen anderen werthaltigen Gegenstand, etwa ein Telefon oder Schmuck, übergibt.“
Erzählerin:
Das klingt ernüchternd. Warum will die Bundesregierung dann eine Obergrenze für
Barzahlungen, warum schafft die EZB den 500-Euro-Schein ab?
Erzähler:
Damit die europäische Zentralbank mit ihrer Geldpolitik mehr Durchschlagskraft
bekommt, schätzt Volker Wieland, Professor für Geldpolitik am Institute of Monetary
and Financial Stability der Goethe-Universität Frankfurt und ebenfalls einer der
Wirtschaftsweisen. Ihr wichtigstes Instrument, das sind die Zinsen. Die kann sie im
Moment nicht weiter senken, weil die Banken dann wohl dazu übergehen würden,
auf breiter Front Strafzinsen für Privatkunden einzuführen. Schon jetzt müssen
manche Sparer fürs Sparen bezahlen. Das würden die Kunden auf Dauer nicht
mitmachen, sagt Wieland:
Geldpolitik-Professor Volker Wieland:
„Dann wäre natürlich Bargeld eine Ausweichmöglichkeit und indem man große
Banknoten abschafft oder die Verfügbarkeit reduziert, wird es natürlich auch teurer,
Bargeld in großen Mengen zu horten.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
11
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzählerin:
Wer aber profitiert eigentlich von der Geldpolitik der EZB? Alle die, die sich
verschulden, zum Beispiel Kreditnehmer. Auch die Staaten in der Eurozone, denn sie
können sich dadurch sehr günstig mit Geld eindecken. Das Nachsehen haben die
Sparer, für ihr Erspartes gibt es schon jetzt kaum Zinsen. Auch die Altersvorsorge
wird immer schwieriger. Das führt dazu, dass das Vertrauen der Bürger in die
Geldpolitik schwindet, und damit letztlich auch in den Euro:
Musik „Millionär“ (Prinzen)
„Geld, Geld, Geld…“
Erzähler:
Doch Geld funktioniert einzig und allein mit Vertrauen. Carl-Ludwig Thiele, Mitglied
im Vorstand der Bundesbank und dort für Bargeld zuständig, mahnt:
Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele:
„Es wäre daher fatal, wenn die Entscheidung des EZB-Rates, keine neuen 500-EuroBanknoten zu produzieren oder die Diskussion über Bargeldobergrenzen in der
Bevölkerung den Eindruck erwecken würde, hier würde nach und nach das Bargeld
entzogen, das Vertrauen der Bürger darf an dieser Stelle nicht leiden.“
Erzähler:
Thiele betont: Der Kampf ums Bargeld hat in letzter Zeit an Fahrt aufgenommen. Und
er stellt etwas eigentlich völlig Selbstverständliches noch einmal klar:
Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele:
„Banknoten und Münzen sind ein unverzichtbarer Bestandteil des ZahlungsmittelMixes und sollten es bleiben. Jeder soll zahlen können wie er will, bar oder unbar.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
12
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Bezahlen mit Handy-App:
„Bezahlen Sie bar? // ich würde gerne mit der App zahlen! // haben sie schon den Pin
für mich, muss jetzt gerade ein neuer rausgekommen sein // Alles klar, Moment. //
Kann ich Ihnen vielleicht helfen? // Ja, bitte helfen Sie mir mal, ah, an die Kasse
gehen muss ich jetzt drücken.“
Erzählerin:
An meinem TAG OHNE BARGELD stehe ich zur Mittagszeit in einem Bonner
Supermarkt an der Kasse. Vor mir: eine Flasche Wasser und Joghurt,
heruntergesetzt. Das weiß ich dank der Handy-App, mit der ich zahlen will.
Sprecher Erklärung:
Wer die App nutzen will, muss sich vorher registrieren. Geht es ans Bezahlen, tippt
der Kunde im Grunde nur ein Passwort in sein Handy. Das spuckt dann einen
vierstelligen Zahlencode aus. Den zeigt der Kunde an der Kasse vor. Damit kann er
bezahlen, das Geld wird von seinem Konto abgebucht.
Erzählerin:
Das ist eigentlich nicht weiter kompliziert, das Problem ist: Ich brauche einen
Moment, um mich zu Recht zu finden… bis schließlich tatsächlich der Zahlencode
auf meinem Handy erscheint. Den halte ich dem Kassierer hin. Dann gibt es einen
kleinen Schreck-Moment:
Bezahlen mit der Handy-App:
„Hier steht 250 Euro, das ist nicht mein…, huch, sie dürfen mir aber jetzt nicht so viel
abbuchen // Nein, das ist nicht der Betrag, den sie bezahlen, der Betrag steht an der
Kasse 63 Cents, das ist nur Werbung // Ok, dann vertraue ich Ihnen mal.“
Erzählerin:
Nicht, ohne am Schluss noch mal einen Blick auf den Kassenbeleg zu werfen. Und
da steht es schwarz auf weiß: 63 Cents. Ich bin erleichtert!
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
13
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzähler:
Das Handy als Geldbörse zu nutzen, ist bequemer, als umständlich nach Scheinen
und Münzen zu suchen. Der kleine Computer bietet jede Menge Extras: Die App
zeigt Sonderangebote an, ich kann Einkaufslisten erstellen, an Extra-Spar-Aktionen
teilnehmen. Allerdings kann die Supermarktkette darüber auch Daten sammeln und
sie weiß stets Bescheid, was ich alles einkaufe. Genutzt wird diese
Bezahlmöglichkeit bislang kaum.
Erzählerin:
Neu und innovativ ist vielleicht die Technologie, nicht aber der Bezahlvorgang
dahinter, erklärt der Frankfurter Finanzprofessor Andreas Hackethal:
Finanzprofessor Andreas Hackethal:
„Einfach ausgedrückt ersetzt das Smartphone die Karte. Sie geben die Daten bei
vielen dieser Bezahlsysteme in ihr Smartphone ein und anstelle eine Karte in ein
Gerät zu schieben oder es darüber zu halten, übernimmt das Smartphone die
Funktion, es kennt die Daten, die auf der Kreditkarte oder Bankkarte draufstehen.“
Sprecher Zitat:
„Das neue Geld ist da. Das neue Geld ist einfach, schnell und überall.“
Erzählerin:
So heißt es im Werbevideo des Internetbezahldienstleisters PayPal. Das klingt wie
ein vollmundiger Angriff auf das etablierte Finanzsystem. Dabei ist das sogenannte
neue Geld, meint Andreas Hackethal, altbekannt:
Finanzprofessor Andreas Hackethal Euro:
"Das Geld hinter PayPal ist letztlich derselbe Euro, aber wie ich dieses Geld nutze,
hat sich verändert und das Verständnis ist dort besonders tief, wenn es darum geht,
den Menschen einfacher zu machen.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
14
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzähler:
Vor allem der letzte Klick zum Bezahlen soll möglichst bequem sein und das kommt
an: Beim Online-Shoppen nutzen Verbraucher die Internetbezahldienstleister häufig,
auch wenn die von den Händlern hohe Gebühren verlangen. In der Regel kassieren
sie knapp zwei Prozent der Verkaufssumme.
Erzählerin:
Für das Bezahlen im Internet oder mit dem Handy ist in der Regel ein Bankkonto
oder eine Kreditkarte nötig. Beides stellen Banken und Sparkassen bereit. Doch den
direkten Kontakt zum Kunden, den haben häufig die neuen Bezahldienstleister, die
dazwischengeschaltet sind. Die Banken haben sie bei sich in den Maschinenraum
verbannt. Es gibt viele Anbieter, die in dem Bereich mitverdienen wollen. Zum Teil
gehen sie dabei sehr aggressiv vor, sagt Klaus Müller, Vorstand des
Verbraucherzentrale Bundesverbandes:
VZBV-Chef Klaus Müller:
"Die polemisieren gerne gegen das Bargeld, um sich selbst als toll darzustellen. Und
darum muss ich sagen: Wer immer die Abschaffung des Bargelds befördert, gucken,
welches Eigeninteresse hat er, ob er etwas verdienen möchte, das sortiert die
Diskussion ganz schnell neu."
Erzähler:
Ein weiteres Problem ist für Müller, dass eine Reihe dieser Anbieter nicht
ausreichend Wert auf Datenschutz legt. Der Verbraucherschützer fordert mehr
Anonymität für Kunden, vor allem als Schutz gegen die Moralvorstellungen anderer:
VZBV-Chef Klaus Müller:
„Wir kennen einen dramatischen Fall, wo für ein Online-Spiel ein virtuelles Schwert
gekauft wurde, da hat der Dienstleister PayPal, der ja wirklich weit verbreitet ist, nicht
nur einen Zahlungsvorgang gesperrt, sondern gleich das ganze Konto.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
15
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzähler:
Der Grund: Das Schwert stand auf einem Index. Für Müller der Beweis, dass die
Daten der Kunden ständig überprüft werden, teils mit dramatischen Konsequenzen.
Lkw-Fahrer aus Köln-Rondorf:
„Wenn ich die jungen Leute sehe, die sich ein Red Bull überteuert holen und dann
drei Euro mit der Karte bezahlen, dann denke ich, du bist in der falschen Welt. Und
ich will auch nicht, dass mein Banker weiß, wo ich irgendetwas zahle, dass ich eine
Spur hinterlasse, eine digitale. Ne, also Bares ist Wahres.“
Erzählerin:
Von wegen, über Geld redet man nicht: Dieser Lkw-Fahrer plaudert ganz gerne
darüber und zahlt die Zigaretten, Chips und das Feierabendbier, natürlich, bar, in
einem Kiosk oder besser gesagt „Büdchen“ am Stadtrand von Köln, in Köln-Rondorf.
Erzähler:
Bundesweit ist Bargeld das Zahlungsmittel Nummer eins, schreibt die Bundesbank in
ihrer Studie zum Zahlverhalten in Deutschland. Der Deutsche hat im Schnitt rund 100
Euro bar im Portemonnaie. Über die Hälfte der Umsätze werden hierzulande auf
diese Weise bezahlt. Wer an der Kasse steht, zahlt in vier von fünf Fällen mit
Scheinen und Münzen, auch wenn Kunden für kleine Beträge immer öfter die Karte
zücken. Anders in Schweden: Hier zahlen Verbraucher hauptsächlich mit Karte.
Erzählerin:
Im Büdchen geht das nicht, hier gibt es kein Kartenlesegerät. Leider, sagt die
Besitzerin Hatice Sezer, 24 Jahre alt. Aber so richtig bedauert sie es auch nicht.
Köln-Rondorf, das ist ihr Veedel, sagt sie, Veedel, so heißt Stadtviertel auf Kölsch.
Hier kennt sie jeden und jeder kennt sie, es zählt vor allem das
Zwischenmenschliche:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
16
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Büdchen-Besitzerin Hatice Sezer:
„Hier kommt die Oma von neben an, kauft morgens ihre Zeitung, kommt sie mittags
noch mal, um Pläuschchen zu halten, dann holt sie eine Flasche Wasser und eine
Tafel Schokolade und dann zahlt sie auch mit ihren Groschen, so wie sie es gewohnt
ist. Das ist das, was unser Geschäft ausmacht.“
Erzählerin:
Und es gibt die Exoten aus der Kölner Innenstadt, wie sie die Verkäuferin nennt, die
unbedingt mit Karte zahlen wollen. Die schickt Hatice zum Geldautomaten um die
Ecke. Es sind nur einige wenige, die meisten Kunden sind Bargeldfans:
Umfrage Köln-Rondorf:
„Summen unter 100 Euro zahle ich nur mit Bargeld, ich weiß nicht warum, das ist so
drin, an der Tankstelle kann schon mal sein, dass ich mich Karte zahle aber im
Großen und Ganzen Summen unter 100 Euro mit Bargeld, da sieht man, wenn das
Geld weg ist, wenn du es mit der EC-Karte machst, ist es bequem, aber dann ist das
Konto gleich wieder leer, da siehst du das nicht, deswegen // In kleinen Geschäften
mit Geld, wahrscheinlich, weil ich denke, dass es dann schneller geht, eigentlich
finde ich es mit Karte bequemer // das hängt vom Betrag ab, kleine Beträge gern aus
der analogen Welt, in Münzen- oder Papierform, Tankstelle und Supermarkt fast
immer mit Karte. Hier ja nicht, die Beträge sind klein genug, da macht es Spaß und
da ist auch immer das Gefühl, ich weiß, was ich von mir gebe und es hat was mit mir
zu tun, gerade für Beträge bis 20, 30 Euro finde ich das gut.“
Erzähler:
Oder um es mit den Worten von Jens Weidmann Präsident der Bundesbank
zusammenzufassen:
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann :
„Eines ist sicher, die Deutschen lieben das Bargeld.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
17
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Musik „Money..“ Abba
Erzählerin:
Sie verbinden damit viele schöne Erinnerungen: Als Kind hören sie die ersten
eigenen Groschen im Sparschwein klimpern. Dann gibt es zum ersten Mal
regelmäßig Taschengeld, die ersten Scheine zur Konfirmation, das erste dicke
Geldgeschenk zur Hochzeit, mit Fünfzigern, liebevoll gefaltet zu Herzchen.…
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann:
„Die Vorliebe für Bargeld steigt natürlich auch dann, wenn das Vertrauen in den
Finanzsektor schwindet.“
Erzähler:
Bargeld - als Schutz gegen strauchelnde Banken, gegen Wirtschaftskrisen, gegen
Naturkatastrophen, Stromausfälle. Verbraucherschützer Klaus Müller mit Beispielen:
Müller Katastrophe:
„In dem Moment, wo der Supermarkt kein Strom für sein Kartenterminal hat, werden
Sie dort nicht bezahlen können, mit Ihrer EC-Karte. In dem Moment, wo das
Mobilfunknetz ausfällt, würde die Zahlungsfunktion Ihres Handys ausfallen. Das
heißt: Sie sind schon noch mal neuen Risiken ausgesetzt, und denken sie an
Starkregenereignisse und andere Katastrophen, dann sind Sie froh, mit Euro und
Cents ausweichen zu können.“
Erzählerin:
Aber natürlich sind die Deutschen da auch gebrannte Kinder, sinngemäß berichten
Zeitzeugen:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
18
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Montage:O-Ton ältere Dame / Wissenschaftler
Fiktiver Zeitzeuge (älterer Herr):
"Damals in der Weimarer Republik, da haben wir das Geld in Schubkarren und
Wäschekörben rumgetragen, ganze Bündel von Geld, das war ja nichts mehr wert!
Verheizt haben wir das. Ein Kilo Kartoffeln für 90 Milliarden Reichsmark!
Erzähler:
Warum hängen die Deutschen heute trotzdem so am Bargeld, gerade an den
Euroscheinen, letztlich doch nicht viel mehr bedruckte Zettel Papier? Der Berliner
Gelddesigner Reinhold Gerstetter hat sie mitgestaltet. Die Deutschen wollen Geld
begreifen, in der Hand halten, sagt er, Bargeld ist eine Art Kulturgut:
Designer Reinhold Gerstetter :
„Die Ästhetik und das Aussehen spiegeln einen Zeitgeist wider, der Zeitgeist ist
schwierig zu umschreiben, den man aber doch irgendwie erkennt, mit dem man sich
identifizieren kann. Und das zweite ist, dass man das Gefühl hat, sie sieht noch aus
nach einer Wertigkeit, die sich von den normalen Dingen, die heute in der Werbung
angeboten werden, sich unterscheidet, das ist auch ein ganz wesentlicher Punkt.“
Erzähler:
Dabei ist Gerstetter gar nicht so zufrieden mit der Gestaltung der Banknoten. Mehr
Gesichter könnten allerdings darauf sein, findet er, damit die Menschen einen noch
größeren Bezug dazu haben. Auf existierende Persönlichkeiten und Bauwerke aus
Europa wurde verzichtet, das war damals Vorgabe der europäischen Zentralbank:
Gelddesigner Reinhold Gerstetter:
„Ich habe zumindest durchgesetzt, dass wir die Europa, die mir doch am Herzen lag,
weil ich dachte, die Europa ist das typische verbindende Element, wenn wir schon
unsere Währung Euro nennen, dann ist die Europa…ja, das liegt doch eigentlich auf
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
19
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
der Hand. Es war zwar ein steiniger Weg, nicht ganz so einfach, aber Sie wissen,
wenn man dranbleibt, dann hat man vielleicht auch den Erfolg.“
Erzähler:
Die Gestalt der griechischen Mythologie ist als Wasserzeichen und Hologramm auf
den Scheinen der zweiten Serie, der Europa-Serie, seit 2013 im Umlauf. Die sind
fälschungssicher, ist der Gelddesigner überzeugt.
Atmo Dark Net
Erzählerin:
Im Dark Net, auf der Internetseite AlphaBay, einer Art Einkaufsplattform für halb- und
ganz illegales, finde ich jede Menge Falschgeld: Aus Baumwolle, wie echte
Banknoten, auf den ersten Blick mit Wasserzeichen und Hologramm. Fünf falsche
Fuffziger gibt es schon für 50 Euro. Angeboten werden Druckvorlagen, mit denen ich
selbst Falschgeld drucken können soll, dazu sogar eine Anleitung. Bezahlt wird
solche Ware in Bitcoins.
Sprecher Erklärung:
Bitcoin, übersetzt heißt das in etwa digitale Münze. Es ist eine virtuelle Währung, seit
2009 im Umlauf. Bitcoins werden aufwendig von Rechnern erzeugt und können für
Dollar oder Euro gekauft werden. Ausgegeben wird die Währung anders als üblich
unabhängig von Regierungen und Banken, unabhängig von unserem ganzen
Finanzsystem. Damit können Bitcoins nicht manipuliert oder wertlos werden, ist der
Erfinder Satoshi Nakamoto überzeugt. Er soll die digitalen Münzen als Reaktion auf
die Finanzkrise geschaffen haben. Ein Pseudonym. Wer sich dahinter verbirgt, ist
nicht geklärt. Die Nutzer von Bitcoins können anonym bezahlen, weshalb Bitcoins
gerade bei Kriminellen gefragt sind.
Erzähler:
Die Einstiegshürde für Fälscher sinkt, warnt die Falschgeldstelle der Bundesbank.
Zuhause mit PC und Drucker eine Fälscherwerkstatt einzurichten, ganz so einfach
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
20
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
geht es das aber auch wieder nicht. Es gibt Schutzmechanismen. Zum Beispiel
streiken viele Drucker, wenn Falschgeld gedruckt werden soll. Und generell gilt:
Sprecher Zitat:
„Wer Falschgeld in Umlauf bringt, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf
Jahren oder eine Geldstrafe.“
Erzählerin:
Trotzdem - das Geschäft mit den Blüten boomt: Rund 900.000 gefälschte EuroScheine hat die europäische Zentralbank im vergangenen Jahr sichergestellt, so
viele wie noch nie. Allein 95.000 Stück wurden in Deutschland aus dem Verkehr
gezogen, auch das ein Rekord. Über 4 Millionen Euro betrug der Schaden in
Deutschland, 39 Millionen Euro waren es weltweit. Der Schein trügt also oft.
Erzähler:
Die Banken sind verpflichtet, Banknoten und Münzen auf ihre Echtheit zu prüfen und
Falschgeld an die Polizei weiter zu geben. Das macht Bargeld für sie zu einer teuren
Angelegenheit, sagt Michael Kemmer Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands
deutscher Banken:
BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer:
„Bargeld ist eben auch der emotionale Kit, der die Kunden an die Banken bindet, als
solchen können wir ihn auch brauchen, denn die Kundenbeziehung ist uns wichtig,
sie steht im Mittelpunkt.“
Atmo Bargeldautomat
Erzähler:
Deshalb füllen die Banken weiter die knapp 60.000 Geldautomaten in Deutschland.
Neben den Privatkunden versorgen sie die Händler mit Bargeld und sammeln es
wieder ein. Nicht umsonst. Beim rheinischen Sparkassen- und Giroverband heißt es,
die Sparkassen erheben individuell Gebühren.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
21
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Bei der Stadtsparkasse Düsseldorf zum Beispiel gibt es Münzrollen für 20 oder 50
Cents. Wird dort so eine Rolle abgegeben, werden 50 Cents fällig. Und ist es ein
genormter Plastikbeutel, gefüllt mit Münzen, verlangt die Stadtsparkasse 7,50 Euro.
Erzählerin:
Bargeld kostet die Händler aber nicht nur Geld. Dazu kommt: Wenn sie Falschgeld
entdecken, müssen sie es zur Bank oder zur Polizei bringen, aber dann bleiben sie
auf ihrem Schaden sitzen. Denn für Falschgeld gibt es keinen Ersatz. Dieses
Problem hat auch Hatice Sezer in ihrem Büdchen in Köln-Rondorf. Sie sieht sich die
Scheine genau an, fühlt, ob es erhabene Stellen gibt. Dazu hat sie eine UV-Lampe.
Trotz aller Risiken, sagt sie, ist Zahlen mit Karte für sie keine Alternative:
Hatice Sezer:
„Erst einmal die Karte hineinstecken, dann warten, bis das Gerät die Karte
identifiziert hat, dann den Pin abfragen oder unterschreiben, bis der Bon aus der
kleinen Maschine rauskommt, vergehen auch noch einmal 10, 20 Sekunden, alles
aufbewahren für die Buchhaltung, für kleine Unternehmen ist das sehr umständlich.“
Erzähler:
Auch dafür gibt es inzwischen Lösungen: Das kontaktlose Zahlen mit Karte
ermöglicht es Kunden, quasi mit einem Wisch, im Vorbeigehen zu bezahlen. Bleibt
ein weiteres Problem: Zahlen Kunden mit Karte, fallen für die Händler jedes Mal
Gebühren an, bei Girokarten 0,2 Prozent des Betrags, bei Kreditkarten sogar 0,3
Prozent. Dazu kommt der Mietpreis für das Terminal von bis zu 20 Euro pro Monat
und vieles mehr.
Erzählerin:
Annelie Moser, die Inhaberin des Schreibwarengeschäfts von nebenan, erzählt, dass
viele ihrer Kunden mit Karte zahlen. Das kostet sie alles in allem bis zu 100 Euro im
Monat:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
22
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Moser Kosten:
„Jede Buchung kostet Geld, und wenn der liebe Staat auf das Bargeld verzichten
möchte, dann müssten sie eine Möglichkeit finden, dass es die kleinen Geschäfte
nichts kostet.“
Erzählerin:
Sonst könnten die nicht überleben, so Moser. Aber auch da tut sich einiges, sagt
Andreas Hackethal von der Goethe-Universität Frankfurt. Die Terminals können
ersetzt werden durch viel einfachere Kartenlesegeräte:
Andreas Hackethal:
"Mittlerweile allerdings sind diese Lesegeräte an ein iPad anzuschließen und sie
kosten fast nicht, die Gebühren, die damit verbunden sind, die sind noch ja, aber wir
sehen hier in den letzten Monaten und Jahren einen kontinuierlichen Rückgang
dieser Gebühren und es ist eine Frage der Zeit, so dass diese Gebühren nicht mehr
den Unterschied machen, sondern wenn man sie abwägt gegenüber der Zeit und der
Warteschlange und Leute, die weg gehen, dass das dann in eine Waage kommt,
irgendwann der Punkt da, da ist es wesentlich einfacher, die Karte oder das Handy
grad über den Tresen zu reichen."
Musik Minimalism „One Purpose“
Erzählerin:
Eine WELT OHNE BARGELD: Für die einen wäre das derzeit noch ein finanzielles
Problem, andere halten es rechtlich für bedenklich.
Erzähler:
Allen voran Hans-Jürgen Papier, der frühere Präsident des
Bundesverfassungsgerichts. Selbst die Einschränkung der Bargeldzahlung durch
eine Obergrenze sieht er schon kritisch. Für ihn ist das ein Eingriff in die
Grundrechte, vor allem in das Grundrecht auf Datenschutz:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
23
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Ex-Präsident Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier :
„Wenn Sie Bargeldzahlungen verbieten und die Bürger auf den bargeldlosen
Zahlungsverkehr verweisen, dann zwingen sie ihn, den Bürger, Datenspuren zu
hinterlassen. Nur die Bargeldzahlung ist anonym. Alles andere führt zu einer
Erfassung, die schlussendlich unser gesamtes persönliches Leben erfasst.“
Erzählerin:
Wie viele Datenspuren hinterlassen wir schon? Sind wir bereits gläserne Zahler?
Diese Angst gibt es, zum Beispiel im Duisburger Rotlichtviertel. Auf der Vulkanstraße
begegne ich einem Mann, durchtrainiert, die Arme volltätowiert bis hinauf zum TShirt-Ansatz. Ohne Bargeld, sagt er, wäre man hier aufgeschmissen:
Mann im Rotlichtviertel:
"weil dann hast du zum Beispiel, wenn dein Mann verheiratet ist, die Frau kontrolliert
seine Karte, dann kann er nicht fremdgehen, oder? Immer mit Cash."
Erzählerin:
Allein der Gedanke, dass so etwas auf der Kartenabrechnung auftaucht, mag vielen
peinlich sein. Und tatsächlich bestätigen Datenschützer: Ohne Bargeld wäre Zahlen
nicht anonym möglich. Denn dann werden immer Daten erfasst. Doch welche? Was,
wenn ich an meinem TAG OHNE BARGELD Medikamente gegen eine
schwerwiegende Krankheit wie Krebs kaufe möchte, ohne dass jemand davon
erfahren soll? Der Praxistest: Ein Apotheker aus Köln sagt:
Apotheker:
"Auf dem Kassenbeleg steht, für den Kunden selbst, was er gekauft hat. Auf dem
Kontoauszug nur, was er insgesamt bezahlt hat, aber Medikamentennamen stehen
da nicht dabei."
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
24
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzählerin:
Auch eine Buchhändlerin erzählt mir: Wenn ein Kunde bei ihr heikle Ratgeber wie
"Lebensmüde? Wege aus der Krise" kauft, würde so ein Buchtitel wie im übrigen
auch andere nicht auf seinem Kontoauszug oder der Kreditkartenabrechnung
auftauchen. Datenspuren gäbe es an einem TAG OHNE BARGELD also schon,
damit wären die Zahler aber nicht zwangsläufig völlig gläsern.
Musik Beastie Boys
Verkaufsgespräch:
„Ich zahl natürlich mit Bitcoins // Ja gern // Was kosten denn hier die beiden Kaffees?
// Was haben wir denn da, einen Latte… 5 Euro 50.“
Erzählerin:
An meinem TAG OHNE BARGELD treffe ich mich nachmittags auf einen Kaffee mit
Oliver Flaskämper, Betreiber der Online-Plattform Bitcoin.de. Ich werde eingeladen,
dafür kommt auch meine Begleitung ohne Scheine und Münzen aus. Die beiden
Kaffees zahlt er bei dem Wirt aus Herford mit Bitcoins. Das wäre hundertprozentig
anonym möglich – wenn sich die beiden Herren nicht schon lange kennen würden.
Erzähler:
Persönliche Daten, eine Zwischeninstanz wie eine Bank: Das alles braucht dieses
System nicht. Und so könnte ein TAG OHNE BARGELD auch so aussehen: Der
Kunde zückt sein Handy, mit seiner virtuellen Bitcoin-Börse. Er fotografiert auf dem
Handy des Wirts einen QR-Code ab: ein Quadrat mit schwarzen und weißen Pixeln.
So kommt er an dessen Kontonummer, eine Reihe von Zahlen und Buchstaben:
Verkaufsgespräch:
„5,50 Euro, das sind umgerechnet in Bitcoins 0,01022109 Bitcoin, jetzt drück ich auf
senden und jetzt müsste in wenigen Sekunden, er hat das Geld jetzt bekommen, bei
mir steht Zahlung ist gesendet.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
25
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Sprecher Erklärung:
Um Bitcoins zu empfangen und zu verschicken, müssen sich Interessierte eine
Software herunterladen, auf ihren Computer oder ihr Handy. Dann haben sie eine
virtuelle Geldbörse, hier werden die Bitcoins gespeichert. Zudem erhält jeder Nutzer
automatisch eine Bitcoin-Adresse. Das ist eine Reihe von Zahlen und Buchstaben.
An diese Adresse können ihm andere Geld schicken. Um Bitcoins an jemand zu
überweisen, braucht er wiederum dessen Adresse. Für jede Überweisung kann eine
neue Adresse erstellt werden, dabei bleiben alle Adressen gültig. Das macht das
Bezahlen anonym.
Erzähler:
In Herford sind die Bitcoins in Sekunden überwiesen und der Wirt Marc Höhne vollauf
zufrieden. Für ihn zählt vor allem, dass beim Bezahlen kaum Gebühren anfallen:
Wirt Marc Höhne :
„Wenn er diese 5,50 Euro mit einer Kreditkarte bezahlt hätte, hätte mich das je nach
Anbieter bis zu 4 Prozent kosten können und das ist beim Bitcoin halt nicht.“
Erzählerin:
Die rein virtuellen Münzen, diesem Wirt sind sie sehr wohl etwas wert: einen
duftenden, frisch gebrühten Latte Macchiato vor mir.
Bitcoin.de-Chef Oliver Flaskämper:
„Diese Anarcho-Zeiten sind ein Stück weit schon vorbei, kann man sagen“
Erzähler:
erzählt Oliver Flaskämper, in Hemd und Mokassins, mit gewinnendem Lächeln. Er
hat mehrere Internetfirmen gegründet, dazu eine kaufmännische Ausbildung. Über
seine Online-Handelsplattform Bitcoin.de bringt er Käufer und Verkäufer von Bitcoins
zusammen und verlangt dafür eine Gebühr von einem Prozent. Er schickt aber gleich
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
26
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
hinterher, dass der Wirt seine Bitcoins wohl schnell in Euro umwandelt, weil der Wert
der virtuellen Währung stark schwankt:
Bitcoin.de-Chef Oliver Flaskämper:
„Bitcoin ist definitiv nichts für schwache Nerven, nichts für Fans von Sparbüchern,
nichts für die private Altersvorsorge, doch das wird sich ändern: Je mehr sich die
Bitcoins verteilen, desto geringer wird die Volatilität werden.“
Erzählerin:
Und dann kommt in Herford doch noch ein Hauch von Anarchie auf: Es geht gegen
die Schuldenmacherei der Staaten, finanziert durch die europäische Zentralbank, die
inflationär Geld druckt. Das gehe zu Lasten der Bürger, sagt Flaskämper. Warum
sollten die dem Euro mehr vertrauen als einer virtuellen Währung:
Bitcoin.de-Chef Oliver Flaskämper:
„Im Grunde genommen hat sie keinen inneren Wert, sondern basiert komplett auf
Vertrauen, wie jede andere Währung aber auch. Wir haben zwar bei staatlichen
Währungen einen Staat, eine Volkswirtschaft, die dahintersteht, aber die garantiert
mir keinen Wert, sondern nur, zum Beispiel beim Euro, dass jeder Geschäftsmann,
jeder Laden in der Eurozone verpflichtet ist, Euro als Zahlungsmittel anzunehmen.“
Erzähler:
Bitcoins bieten gegenüber dem Euro sogar einen Vorteil, betont Flaskämper: Sie
haben einen Inflationsschutz, weil man nicht beliebig viele produzieren kann,
sondern nur genau 21 Millionen. In Deutschland können Händler oder
Restaurantbetreiber solche virtuellen Währungen freiwillig annehmen, sie stehen
nicht unter der Aufsicht der Bundesbank.
Erzählerin:
Aber die andere Seite der Medaille ist: Gerade weil solche Währungen eine große
Anonymität bieten, werden sie oft von Kriminellen genutzt. Und mag der Bitcoin, oder
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
27
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
der Algorithmus dahinter auch schwer zu knacken sein, sagt Ronald Eikenberg,
Sicherheitsexperte und Redakteur beim Computermagazin c’t:
Sicherheitsexperte Ronald Eikenberg :
„Allerdings gibt es auch da Angriffspunkte, also zum Beispiel Bitcoin-Händler, wie
das in letzter Zeit sehr oft passiert ist, die über sehr viele Bitcoins verfügen, die sie
für ihre Kunden aufbewahren oder für den Verkauf auf Lager haben, da wird sehr
häufig eingebrochen und dort werden auch sehr große Mengen an Bitcoins
entwendet, die teilweise mehrere Millionen Euro wert sind.“
Erzähler:
Solche Sicherheitslücken gibt es allerdings auch in anderen Bereichen.
Hacker CCC-Kongress:
"100 Euro? Yes, 100 Euro ist enough…(Lachen)…"
Erzählerin:
Ein Terminal, wie es an der Tankstelle oder im Hotel steht, zu hacken, ist ein
Kinderspiel. So wirkt es jedenfalls, wenn man der Gruppe von IT-Spezialisten rund
um den Sicherheitsforscher Karsten Nohl zusieht. Und es macht sichtlich Spaß. Auf
einem Kongress des Computer Chaos Clubs in Hamburg 2015 demonstrieren die
Hacker, dass sie das schon mit wenigen Schritten schaffen. Die Informationen, die
sie brauchen, sind alle frei zugänglich. Etwa das Passwort, das sie ganz leicht im
Internet finden. So können sie ein Terminal von einem Händler manipulieren und
dann ganz einfach Geld vom Konto des Händlers auf das eigene Konto umleiten.
Erzähler:
Aber nutzt bei solchen illegalen Machenschaften nicht die viel kritisierte Datenspur,
um Kriminelle zu überführen? Dazu erklärt der Sicherheitsforscher Karsten Nohl:
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
28
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Sicherheitsforscher Karsten Nohl :
"Die Geldspur ist sicher nachvollziehbar, bis zum Geldautomaten, wo es dann
abgehoben wird, was direkt am nächsten Tag im Osten passieren kann und da
verschwimmt die Spur dann."
Erzähler:
Nohl erzählt: Das Geld wird schnell von Konto zu Konto gebucht. Bis am Ende oft
Kriminelle in Osteuropa, etwa in Bulgarien, das Geld am Geldautomaten abheben.
Über Umwege gelangt das Geld schließlich wieder unbemerkt zu demjenigen, der es
ursprünglich ergaunert hat. Ist ein Terminal erst einmal gehackt, ist es für die Hacker
auch ein leichtes, darüber an die Daten von Kreditkartennutzern kommen, sagt
Karsten Nohl:
Nohl Daten von Kunden:
„Und sobald dann Kunden ihre Karte reinstecken und die PIN-Nummer eingeben,
bekommt der Hacker sowohl eine Kopie der Karte, der Kartenrückseite, des
Magnetstreifens, als auch die PIN-Nummer, und die Kombination der beiden reicht,
um Geld am Geldautomaten abzuheben, in Deutschland nicht mehr, aber im Ausland
geht es nach wie vor.“
Erzählerin:
Karsten Nohl ist verwundert, dass die Banken solche Sicherheitslücken nicht längst
beseitigt haben, zumal sich auf die Weise auch Daten von Giro- und Kreditkarten
klauen lassen. Michael Kemmer vom Bundesverband deutscher Banken betont, für
die Kunden gibt es keinen Anlass zur Sorge:
BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer:
"Die Zahlen an Schäden, die durch Kartenbetrug entstehen, sind im Vergleich zu den
riesigen Umsätzen, die damit gemacht werden, verschwindend gering. Dem Kunden
entsteht im Regelfall kein Schaden dadurch, da müsste er schon ganz, ganz
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
29
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
fahrlässig mit seiner Karte umgegangen sein, in der überwiegenden Zahl der Fälle
übernimmt die Bank den Schaden."
Erzähler:
Werden Kreditkartenkonten gehackt, haftet der Kunde im Regelfall nicht für einen
Umsatz, den er nicht getätigt hat. Allerdings muss er den Betrug der Bank melden.
Die Banken zahlen, offensichtlich auch, weil für sie bei den Karten der Nutzen
gegenüber dem Schaden überwiegt. Anders ausgedrückt: Sie haben kein Interesse
daran, dass Kreditkarten als riskant angesehen werden, weil sie gehackt werden
können.
Erzählerin:
Zugleich vertraut der Frankfurter Finanzprofessor Andreas Hackethal darauf, dass
Anbieter von Zahlungsdienstleistungen und der nötigen Infrastruktur angesichts des
Wettbewerbs gezwungen sind, den Kunden größtmögliche Sicherheit zu bieten:
Finanzprofessor Andreas Hackethal:
"Genau wie wir ein Vertrauen in Geld brauchen und Angst davor haben, dass
Geldentwertung das eben nichtig macht, ist hier genau dasselbe Interesse all derer
die in diesem großen Markt da wird ja auch viel Geld verdient, partizipieren,
Lesegeräte anbieten, Karten anbieten, dass das sicher ist.“
Erzählerin:
Hundertprozentig sicher ist sowieso nichts, betont der Finanzprofessor, nicht einmal
Bargeld, das kann schließlich geklaut werden. Eine WELT OHNE BARGELD wäre
also nicht unbedingt eine schlechtere Welt.
Kassengeräusch / O-Ton Kollage / Musik G. Kreisler
Was bedeutet Geld für uns? Was wäre, wenn wir es nicht mehr hätten?
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
30
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Corinna Blaich Fitnessstudio:
„Ich geh stattdessen mit meiner Hand hin, lege sie auf das blinkende Teil (piep),
dann wird’s grün und dann steht „Zutritt erlaubt“ drin und ich kann reingehen.“
Erzähler:
An einem TAG OHNE BARGELD nur mit Handauflegen zahlen, das wäre zu schön
um wahr zu sein. Und das kann auch Corinna Blaich nicht. Aber die 27-Jährige
bekommt Zutritt zu ihrem Fitnessstudio. Sie hat einen Chip in ihrer Hand, unter der
Haut. Könnte sie damit zahlen, hätte das Vor- und Nachteile:
Corinna Blaich:
"Es ist natürlich verlockend, man kann nichts mehr zuhause vergessen, es kann nicht
so leicht geklaut werden, auf der anderen Seite wird man komplett gläsern, also
wenn ich mit meinem Chip bezahle, ist ganz eindeutig, diesen Artikel habe ich
gekauft, und niemand sonst, denn das war meine Hand."
Erzähler:
Zahlen mit Handauflegen oder mit der Iris im Auge ist sicher nicht anonym. Trotzdem
könnten das durchaus Möglichkeiten sein, findet Andreas Hackethal, Professor für
Finanzen der Goethe-Universität Frankfurt, wie wir in Zukunft zahlen. Bargeld wird für
ihn dagegen nicht mehr dieselbe Bedeutung haben wie heute. Nicht, weil es ein
Bargeldverbot geben wird, sondern weil sich die Menschen ganz allmählich und
dabei völlig freiwillig für andere Bezahlmethoden entscheiden:
Finanzprofessor Andreas Hackethal:
„Das wird’s wahrscheinlich noch geben, aber wir werden darüber nicht mehr
sprechen, sondern wir werden…und jetzt gucken wir mal in die Glaskugel…mit Karte,
joah, aber ich denke, wir werden immer ein Smartphone oder zukünftig etwas an der
Hand oder wo auch immer tragen und damit zahlen können. Vielleicht ist es auch der
Fingerabdruck: Das, was es uns am vermeintlich angenehmsten und sichersten
macht, wird sich durchsetzen.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
31
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzähler:
Aber da stellt sich ein grundlegendes Problem. Das wird auf dem Bargeldsymposium
im Sommer 2016 deutlich. Die Reihen sind voll, dort sitzen Banker und
Bargeldexperten. Auf der Bühne steht einer, der ihnen ihr Brot- und Buttergeschäft,
das Bargeld, aus einem ganz anderen Blickwinkel nahebringen will: der Philosoph
Richard David Precht. Seine These: Es liegt in der Natur des Geldes, sich zu
virtualisieren:
Philosoph Richard David Precht:
"Ursprünglich gab es Goldmünzen, die waren genauso viel wert wie das, was
draufstand. Bei den Silbermünzen war das schon nicht mehr der Fall. Das heißt, das
Material war weniger wert als die Prägung. Dann kamen Bronzemünzen und
Eisenmünzen, irgendwann kam das Papiergeld. Und all das stellte überhaupt keinen
Materialwert mehr da. Das heißt die Frage nach dem Wert des Geldes resultierte
nicht aus dem: Was das Geld ist, sondern wozu es da ist, was man damit machen
kann."
Erzähler:
Da ist es logisch, sagt Precht, darüber nachzudenken, das Bargeld abzuschaffen.
Doch dem bargeldlosen Zahlen, warnt der Philosoph, sind viele Menschen nicht
gewachsen. In Deutschland gelten viele Haushalte als überschuldet. Sie haben einen
Schuldenberg von rund 1,6 Billionen Euro angehäuft. Diese Entwicklung, betont
Precht, hat mit der Einführung der Kreditkarte richtig Fahrt aufgenommen:
Philosoph Richard David Precht:
"Mit dem kurzen Klick irgendetwas anklicken und etwas machen, das ist die völlige
Entsinnlichung, die in der Natur des Geldes liegt, die sozusagen diesen Prozess
weitermacht, die aber für Menschen, die einen sinnlichen Nahhorizont haben,
innerhalb dessen sie funktionieren, wie eine Atombombe wirkt."
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
32
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Erzählerin:
Was für ein drastisches Bild, völlig überzogen und übertrieben, denke ich, während
ich mir zuhause ein Glas Rotwein einschenke, mich auf die Couch setze und mir
meinen TAG OHNE BARGELD noch einmal durch den Kopf gehen lasse.
Tatsächlich war es für mich gar nicht so leicht, ohne Scheine und Münzen Geld
auszugeben. Ein anstrengender Tag, das hatte ich mir als Besitzerin einer Girokarte
und Kreditkarte anders vorgestellt. Es gibt zwar deutlich mehr Alternativen zum
Bargeld, aber die neuen Bezahlverfahren sind zum Teil gewöhnungsbedürftig, ich
musste mich erst einmal hineinfuchsen. Das Scheine und Münzen abgeschafft
werden könnten, erscheint mir mittlerweile unrealistisch, denn in vielen Bereichen ist
Bargeld auch in unserer heutigen Zeit nicht wegzudenken. Und vor allem: Die
Deutschen hängen viel zu sehr daran. Später am Abend ertappe ich mich dabei, wie
ich gedankenverloren im Internet shoppe. Das ist das Kartenparadies, virtuelles
Geldausgeben scheinbar ohne jedes Limit möglich. Die völlige Entsinnlichung, da ist
sie, schießt es mir in den Kopf, die, naja, Atombombe…
Musik „Einmal um die Welt“ (Cro)
"Sie will in Geld baden. Und sie will Pelz tragen. Und sie will schnell fahren, einmal
um die Welt fahren. Sie kann sich kaufen was sie wollte doch nie hatte, denn ich
habe jetzt die American Express und zwar die schwarze. Also komm!"
Erzählerin:
Wie werden die Menschen in Zukunft zahlen? Mit Karte? Das ist zwar leicht, aber bei
den Ausgaben können die Nutzer auch leichter den Überblick verlieren. Und die
Karte funktioniert nur mit Kartenlesegeräten. Die gibt es längst nicht überall und sie
können gehackt werden. Setzen sich andere innovative Bezahlverfahren durch, die
zum Teil sehr kundenfreundlich sind und viele Extras rund um das Zahlen an sich
bieten? Auch wenn die Daten nach Ansicht von Verbraucherschützern bei manchen
neuen Anbietern nicht genug geschützt werden und wenn manche Verfahren auch
nicht immer hundertprozentig sicher sind? Oder greifen viele beim Bezahlen doch
wieder auf das ach so umständliche und unzeitgemäße Bargeld zurück, das
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
33
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
allerdings auch gefälscht und geklaut werden kann? Das Zahlungsmittel der Zukunft:
Es dürfte ein Kompromiss werden zwischen Komfort, Sicherheit und Datenschutz.
Und vermutlich ein Mix aus verschiedenen Methoden bleiben.
Erzähler:
Zurück ins beschauliche Köln-Rondorf, in das Büdchen von Hatice Sezer. Sie hofft,
dass ihr als Händlerin in Zukunft bei Bezahlvorgängen nicht noch höhere Kosten als
bisher entstehen. Und sie hofft, das Bezahlen in der Zukunft möglichst einheitlich und
einfach wird. Die Digitalisierung hat eine Revolution ausgelöst, findet die 24-Jährige:
Musik Beastie Boys
Hatice Sezer:
„Wir können sie weder beschleunigen, noch aufhalten, wir sind mitten drin, es ist
auch gut so, denn es bringt modernen, frischen Wind rein, nur wir müssen uns an
alles gewöhnen und das nimmt die Zeit und die Kraft von den Menschen weg.“
Erzählerin:
Letztlich, glaubt die Verkäuferin, könnten sie neue Bezahlmethoden gut verkraften.
Aber, auch wenn es erst einmal wie ein Widerspruch klingen mag: Sollte das Bargeld
in der Zukunft tatsächlich einmal abgeschafft werden, müsste man es neu erfinden,
damit die Menschen noch begreifen können, was Geld überhaupt ist.
ABSAGE
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in der Zukunft
Ein Feature von Ursula Mayer
Es sprachen:
Isis Krüger
Daniel Berger
Jonas Baeck
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
34
Dok 5 – Das Feature; 04.12.2016
Eine Welt ohne Bargeld: Bezahlen in
der Zukunft
Walter Gottschik
Ernst August Schepmann
Henning Freiberg
und
Maria Kristina Greve
Technische Realisation:
Ralf Felder
Regie: Rolf Mayer
Redaktion: Frank Christian Starke
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2016
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
35