Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte FORSCHUNGSKOLLOQUIUM ZUR WISSENSCHAFTSGESCHICHTE Prof. Dr. Friedrich Steinle Arianna Borrelli (TU Berlin/ MECS Lüneburg) Der Teilchenbegriff als heuristisches Werkzeug in der frühen Hochenergiephysik 1920 gab es für Physiker nur zwei Teilchen, Elektron und Proton, denen das „Lichtquantum“ als zweifelhaftes spekulatives Konstrukt gegenüberstand. Um 1955 war bereits von einem „Teilchenzoo“ die Rede und in den 1960ern waren Hochenergiephysiker zu regelrechten „Teilchenjägern“ geworden. So dargestellt kann die frühe Entwicklung der Hochenergiephysik als die konzeptuell unproblematische Entdeckung von stets neuen Teilchen erscheinen. In meiner Präsentation werde ich aber argumentieren, dass die neuen Erkenntnisse das Ergebnis eines Prozesses der Wissensproduktion waren, in dem der Teilchenbegriff nicht als klare Prämisse, sondern als ewig unscharfes, aber heuristisch fruchtbares Werkzeug diente. Je nach den momentanen Bedürfnissen der theoretischen und experimentellen Forscher konnte ein „Teilchen“ mit einer Formel, einem akustischen oder visuellen Signal, einem Symbol, einem Satz, einer Reihe von Quantenzahlen oder einer diagrammatischen Repräsentation experimenteller Ergebnisse dargestellt werden. Dadurch ließen sich stets neue Thesen formulieren, die die theoretische und experimentelle Forschungspraxis leiteten. Indessen blieb der Begriff „Teilchen“ weiterhin unscharf und zum Teil sogar widersprüchlich, aber gerade wegen seines flexiblen Charakters war er eins der produktivsten heuristischen Werkzeuge der Hochenergiephysik. Dr. Arianna Borrelli ist seit 2014 an der Technischen Universität Berlin im Rahmen eines DFGProjekts zur Geschichte der frühen Teilchenphysik (ca. 1950-1965) tätig. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Wechselwirkung von Wissenskonstruktion und Strategien der Wissensdarstellung. Sie studierte Physik in Rom und Philosophie und Geschichte in Braunschweig, wo sie auch in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Sie hat in Berlin (MPIWG) und Wuppertal gearbeitet und ist zurzeit auch Fellow an der DFG-Kollegforschergruppe „Medienkulturen der Computersimulation“ (Leuphana Universität Lüneburg). Mittwoch, 30. November 2016 16 Uhr Raum H 2051 Adresse: TU Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, 2. Stock im Altbau, Raum H 2051
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