SWR Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Matthias W. Birkwald, Rentenpolitischer Sprecher der
Bundestagsfraktion DIE LINKE, gab heute, 24.11.16,
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„Rentengipfel“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Florian Rudolph.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
24.11.2016
Steigende Altersarmut ist Bankrotterklärung für die Rentenpolitik der Bundesregierung
Baden-Baden: Der rentenpolitische Sprecher der Linken, Matthias W. Birkwald hat die Pläne
der Bundesregierung gegen Altersarmut kritisiert: das bislang von Bundesarbeitsministerin
Nahles favorisierte Konzept einer Solidarrente helfe nach Auskunft der Bundesregierung 66tausend Menschen. Schon jetzt seien aber nach EU-Kriterien 2,8 Millionen als arm zu
bezeichnen, sagte Birkwald im SWR-Tagesgespräch. Nahles habe selbst eingeräumt, dass das
sinkende Rentenniveau verantwortlich sei, für einen Anstieg der Bezieher von Grundsicherung
um jährlich 6 bis 7 Prozent. Deshalb müsse das Rentenniveau wieder auf 53 % steigen, den
Stand aus dem Jahr 2000. Das sei finanzierbar, so Birkwald. Nach seinem Konzept müssten
Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei durchschnittlichem Einkommen monatlich jeweils 33 Euro
mehr in die Rentenkasse einzahlen. Auf der anderen Seite könne man sich dann die
Riesterbeiträge sparen. Damit hätte der Beschäftigte am Ende sogar mehr in der Tasche. Als
Vorbild nennt der Linkenpolitiker Österreich. Dort habe es keine Teilprivatisierung der Rente mit
Kapitaldeckungsverfahren gegeben. Alle zahlten in das Rentensystem ein. Die
Durchschnittsrente für Männer liege bei 1820 Euro gegenüber 1050 Euro in Deutschland. Das
zeige, wie leistungsfähig ein solches Rentensystem ist, wenn man sich auf die gesetzliche
Rente orientiert, meint Birkwald.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Rudolph: Die Rente ist unser Thema, aber lassen Sie uns zunächst kurz über die Wahl
des nächsten Bundespräsidenten reden. Die Grünen wollen ihren Kandidaten
Butterwegge nicht unterstützen. Welchen Sinn macht es denn, den Armutsforscher in ein
derart aussichtsloses Rennen zu schicken?
Birkwald: Frank-Walter Steinmeier braucht dringend eine Alternative. Er ist der Architekt der
Agenda 2010, der Mittverantwortliche für Hartz IV und mit Professor Christoph Butterwegge
haben wir da einen respektablen Gegenkandidaten, denn Christoph Butterwegge ist einer
derer, der wie wenige andere für die Erneuerung des Sozialstaats steht, für eine Politik gegen
Armut und soziale Ausgrenzung und gegen jede Art des anti-sozialen Neoliberalismus und
deswegen bin ich froh, ihn am 12.Februar wählen zu dürfen.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Rudolph: Kommt Ihnen im Fall des Koalitionskandidatens Steinmeier die Ideologie in die
Quere wie Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt behauptet?
Birkwald: Nein, nicht die Ideologie. Aber Herrn Steinmeier ist für ein Großteil der Spaltung der
Gesellschaft mitverantwortlich, denn Hartz IV ist nach wie vor Armut per Gesetz. Die Armut
steigt, auch die Altersarmut steigt und da müssen wir als Linke schon einen Kandidaten
dagegen setzen, der eine Agenda Solidarität vertritt.
Rudolph: Ist Ideologie denn ein Ratgeber, wenn es darum geht, die gesetzliche Rente
zukunftsfest zu machen? Den Vorwurf erhebt ja Arbeitsministerin Nahles, die sagt, es
interessiere ihre Partei gar nicht wie ein höheres Rentenniveau finanzierbar sei.
Birkwald: Ja, das hat sie behauptet. Aber diese Behauptung ist falsch. Wir brauchen dringend
ein höheres Rentenniveau. Dass das sinkende Rentenniveau für mehr Altersarmut sorgt, hat
sie jetzt zugegeben. Sie will ja eine Solidarrente vorstellen, eine Konzept für eine Solidarrente,
und sagt selbst, dass die Zahl der Nutznießer ihrer Pläne in den nächsten Jahren auf 1,9
Millionen Menschen anwachsen wird. Das heißt, wir haben jedes Jahr einen Zuwachs in der
Grundsicherung im Alter von sechs bis sieben Prozent und das ist eine Bankrotterklärung für
die aktuelle Rentenpolitik. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, und ein höheres, ein
Lebensstandard sicherndes Rentenniveau wäre auch finanzierbar.
Rudolph: Jeder Prozentpunkt kostet sechs Milliarden, heißt es. Sie fordern ein
Rentenniveau von 53 Prozent. Haben sie das solide durchgerechnet?
Birkwald: Ja, das haben wir. Sie müssen wissen wir haben auch 31,4 Millionen
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wenn wir das Rentenniveau in einem Schritt um fünf
Prozentpunkte auf 53 Prozent wieder anheben würden, also auf das Niveau, das wir hatten
bevor Herr Schröder und Herr Riester es in den Sinkflug geschickt haben im Jahr 2000, dann
müsste ein durchschnittlich verdienender Beschäftigter mit 3.022 Euro brutto 33 Euro mehr in
die Rentenkasse einzahlen, sein Arbeitgeber oder Arbeitgeberin ebenfalls, aber auf der
anderen Seite könnte sich so jemand dann die Riester-Beiträge sparen und ein durchschnittlich
verdienender Beschäftigter soll ohne steuerliche Zulagen 108 Euro im Monat in Riester stecken.
Das macht unter dem Strich 75 Euro mehr in der Tasche von durchschnittlich verdienenden
Beschäftigten. Ich finde das ist ein sehr attraktives Angebot.
Rudolph: Die Lebenserwartung steigt nun beständig. Wer heute geboren wird, hat gute
Chancen sehr alt zu werden. Lässt sich da eine Altersvorsorge weiter beitragsorientiert
finanzieren?
Birkwald: Ja. Das können wir in unserem Nachbarland Österreich sehen. In Österreich hat es
keine Teilprivatisierung der Rente mit Kapitaldeckungsverfahren gegeben. Dort gibt es
ausschließlich, fast ausschließlich, die gesetzliche Rente im Umlageverfahren, und dort haben
langjährig beschäftigte Männer 1820 Euro Rente im Durchschnitt. Im Vergleich dazu haben
dieselben Männer in Deutschland 1050 Euro. Das sind 770 Euro mehr pro Monat, und daran
kann man sehen, wie leistungsfähig ein solches Rentensystem ist, wenn man sich auf die
gesetzliche Rente orientiert.
Rudolph: Nun ist ja immer die Frage, ob man ein Land der Größe Österreichs so 1:1 auf
Deutschland übertragen kann, das sei mal da hin gestellt. Gibt es aber doch auch
Stimmen, die vor einem drohenden Finanzloch bei der Rente in unserem Nachbarland
warnen?
Birkwald: Die Stimmen sind aber noch sehr klein. In unserem Nachbarland zahlen die
Arbeitgeber deutlich mehr in die Rentenkasse als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
die Renten sind am Schluss deutlich höher. Im Übrigen, der Beitragssatz zur
Rentenversicherung liegt in Österreich bei 22,8 Prozent und das schon seit 1988. Das
österreichische Rentensystem ist sehr solide finanziert und ich empfehle der Ministerin, dort mal
einen Blick hin zu tun.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Rudolph: Jetzt schauen wir mal gespannt auf heute Abend und dann auf Freitagmorgen.
Welche Erwartung haben Sie denn an das Konzept der Bundesarbeitsministerin zur
Zukunft der Alterssicherung?
Birkwald: Zunächst einmal bin ich gespannt, was sie für diejenigen armen Rentnerinnen und
Rentner tun will. Ob sie das Konzept der Solidarrente so wie es im Koalitionsvertrag steht
vorstellen wird, da bin ich ausgesprochen skeptisch. Denn dieses Konzept ist sehr schlecht. Ich
habe die Bundesregierung gefragt, wie viele Menschen denn heute davon profitieren würden
und die Antwort der Bundesregierung war, 66.000. Wir haben aber schon heute eine hohe
Altersarmut. Es sind schon 2,8 Millionen Menschen, die älter als 65 Jahre alt sind nach den
Kriterien der Europäischen Union als arm zu bezeichnen und da wäre das bisherige Konzept
der Solidarrente keine Hilfe dagegen. Deswegen bin ich sehr gespannt, was sie an der Stelle
vorlegen wird. Ich bin auch gespannt, ob es endlich eine Angleichung der Ost-Renten an das
Westniveau geben soll, so wie es der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herr
Reimann, heute Morgen auch noch einmal gefordert hat, und ich bin auch sehr gespannt, auf
wie viel Prozent Rentenniveau denn Frau Nahles gehen will, oder ob sie nur den weiteren
Absturz in 20 oder 30 Jahren etwas abmildern will. Das Letztere wäre nicht gut genug.
- Ende Wortlaut -
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