Der Dirigent Georg Solti

Sonntag, 20. November 2016
15.04 – 17.00 Uhr
Georg Solti.
Von Kai Luehrs-Kaiser
21. Folge: „Warum können nicht einfach alle so sein wie ich?“
– Solti, ein Resümee
Herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Heute mit unserer letzten Folge –
einem Solti-Resümee. Der Titel: „Warum können nicht einfach alle so sein wie ich?“
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Decca
LC 00171
455 063-2
Track 201,
202
Engelbert Humperdinck
Vorspiel zu “Hänsel und Gretel”, 3. Akt
Wiener Philharmoniker
Ltg. Georg Solti
1977
2’57
Ein märchenhafter Anfang: das Vorspiel zu 3. Akt von „Hänsel und Gretel“ von
Engelbert Humperdinck, 1977 mit den Wiener Philharmonikern unter Georg Solti –
Anfang unserer letzten Folge über den ungarischen Dirigenten – heute noch einmal
mit einer Vielzahl unerhörter Selbstauskünfte und alter Interviewschnipsel mit dem
1997 verstorbenen Dirigenten.
Soeben hörten Sie einen Auszug aus einer weiteren Referenzaufnahme aus dem
Schallplatten-Kosmos des Georg Solti – in diesem Fall mit Lucia Popp und Brigitte
Fassbaender, eine Aufnahme, die uns gleich zur ersten These unserer heutigen
kleinen Resümeesendung bringt:
Gegen die oft gehörte Annahme, über Georg Solti sei die Zeit hinweggerast und er
sei ein – von heute aus betrachtet – eher überschätzter Dirigent von gestern, gegen
diese Annahme spricht allein schon die Vielzahl von Referenzaufnahmen im Bereich
von Oper und Symphonie. Noch nicht einmal alle dieser Referenzaufnahmen haben
wir in dieser Sendereihe überhaupt angespielt. Nicht nur „Hänsel und Gretel“
kommt erst heute, ganz am Ende vor.
Noch einem anderern Super-Knaller muss hier jetzt endlich eine Spätzündung
zugebilligt werden. Die Aufnahme rangiert gleichwertig neben den ganz großen
Opern-Haupttreffern dieses Dirigenten: also neben dem „Ring“, neben
„Tannhäuser“ und „Parsifal“, neben Soltis „Rigoletto“ und „Don Carlo“, neben
seiner „Hochzeit des Figaro“ und dem (zumindest achtbaren, späten) „Don
Giovanni“, neben „Moses und Aron“, neben „Salome“ und „Arabella“.
Denn neben dieser erstaunlich langen Liste von unerreichten OpernGesamtaufnahmen gibt es schließlich die folgende, detonationsfreudige SuperAufnahme zu würdigen; eine Aufnahme, der das Verdienst zukommt, das
Georg Solti – 21. Folge
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entsprechende Werk als Mega-Kracher der Musikgeschichte entdeckt und zur
Explosion gebracht zu haben. Bringen Sie sich in Sicherheit.
Hier kommt eine Opern-Gesamtaufnahme, die uns vor den Fähigkeiten dieses
Dirigenten das Fürchten lehren könnte – wenn nicht doch etwas Wahres dran wäre
an Soltis Interpretation der „Elektra“ von Richard Strauss – mit Regina Resnik als
Klytaimnestra und, in der Titelrolle: Birgit Nilsson.
Kurz davor noch eine Selbstauskunft Georg Soltis, die uns erklärt, warum er so viele
gute Schallplatten gemacht hat. Und warum wir richtig liegen, wenn wir über diese
letzte Folge unserer großen Sendereihe einen Titel gesetzt haben, der die ironische
Selbstsicherheit und Superiorität dieses Mannes auf die Formel bringt: „Warum
können nicht einfach alle so sein wie ich?!“
Hören Sie Solti selbst.
O
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9
Jürgen
Christ im
Gespräch
mit Georg
Solti (= Nr.
15, Teil 1)
Track 001,
ab 13:12 bis
13:45
Interview Georg Solti 1997 (über Schallplatten; mit
Jürgen Christ):
Also, ich habe mehr von Schallplatten gelernt als
irgendwo sonst. Sehr wichtig. Weil ich ein Talent
habe, schnell zu hören, was daran falsch ist. Nicht
was daran gut ist. Das ist ein Mysterium. (…) Das
wichtig. Denn sie müssen ja korrigieren, wenn Sie
Schallplattenaufnahmen machen. Das kann ich.
2
Decca
LC 00171
417 345-2
Track 111, 112,
Richard Strauss
“Was bluten muss” aus “Elektra”
Birgit Nilsson, Sopran (Elektra), Regina Resnik,
Mezzo-Sopran (Klytaimnestra)
Wiener Philharmoniker
Ltg. Georg Solti
1966
0’29
6’27
Ein Besuch in der Geisterbahn – ein Ausschnitt aus “Elektra” von Richard Strauss.
Sie hörten den Dialog zwischen Elektra (Birgit Nilsson) und ihrer Mutter
Klytaimnestra (Regina Resnik). Die Wiener Philharmoniker im Jahr 1966 unter
Leitung von Georg Solti.
Georg Solti wurde der Meister der Schallplattenkatalog-Klassiker; weil er ein
kritischer (und mit guten Technikern gesegneter) Studio-Fex war. Weil er bei allem
Eigenlob die kritische Distanz zu den Produkten nie ganz verlor. Vielleicht auch,
weil er ehrlich genug mit dem Publikum war, um eigene Schwächen gelegentlich
einzugestehen und sich kurzerhand selber auf die Schippe zu nehmen.
Zwei Mal, so hören Sie Georg Solti gleich im Interview 1995, war dieser RepertoireAllesfresser mit sich und seinen Schallplatten wirklich unzufrieden. Was tat er? Er
fing halt noch mal von vorne an. Es mochte Jahrzehnte Dauern wie im Fall der
superschwergewichtigen Wagner-Oper, zu der er 1995 zum zweiten Mal ansetzte.
Drücken wir dieses Arbeitsprinzip in einer Wendung aus, hinter deren Zuspitzung
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 21. Folge
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sich mehr Solti-Wahrheit verbirgt als ihr unverschämter Tonfall suggeriert. „Fake it,
till you make it“ – „Täusch es so lange vor, bis es dir wirklich einmal gelingt“. Georg
Solti im Gespräch mit Fridemann Leipold – und danach mit einem Ausschnitt aus
jener Oper, mit der er schaffte, woran er vorher fast verkrachte...
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0
Pausengespr
äch mit Sir
Georg Solti
(= Nr. 2)
Track 001,
ab 9:45 bis
10:00
3
Decca
LC 00171
452 606-2
Track 301,
Interview Georg Solti 1995 (über Schallplatten, mit
denen er unzufrieden war, mit Fridemann Leipold):
Es sind zwei Dinge in meinem Repertoire, die ich
unbedingt zwei Mal (noch einmal) machen wollte.
Das eine ist “Die Schöpfung”, und jetzt habe ich
“Meistersinger” gemacht, gerade in Chicago. War ich
lange Jahre unglücklich. Immer mit so einem langen
Gesicht rumgelaufen. Jetzt bin ich glücklich.
0’21
Richard Wagner
Vorspiel zu “Die Meistersinger von Nürnberg”, 3.
Akt
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti
1995
6’10
Vorspiel zum 3. Akt von Richard Wagners “Die Meistersinger von Nürnberg”, in
Georg Soltis zweiter Gesamtaufnahme der Oper – mit dem Chicago Symphony
Orchestra 1995.
“Fake it, till you make it”, haben wir eines der Erfolgsprinzipien Georg Soltis dreist
zusammengefasst. Nun, das ist nicht so frech und fern der Selbsteinschätzungen,
zu denen Solti selbst fähig war. Hören Sie hier: das Eingeständnis Soltis, dass er
1947 als Chef des größten deutschen Opernbetriebs eingestellt wurde, ohne im
mindesten über die zugehörigen Repertoirekenntnisse zu verfügen. Er versuchte es
halt, bis es klappte. Er gab sich Mühe, bis man ihm Recht gab. Er prätendierte, bis
man ihm alle Prätention als Interpretation durchgehen ließ.
Sie meinen, ich übertreibe? Hören Sie ihn selbst – und danach mit einem Beispiel
eines typischen Solti-Saltos – aus dem Stand.
War Solti gar ein Schwindler? Ach was!, er war Zauberer und Könner in jener
Königsdisziplin des Zauberkastens, die darin besteht, aus nichts etwas zu machen.
O
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Pausengespr
äch mit Sir
Georg Solti
(= Nr. 2)
Track 001,
ab 18:35 bis
19:10
Interview Georg Solti 1995 (über seine Laufbahn
insgesamt, mit Fridemann Leipold):
Meine ganze musikalische Laufbahn ist die
seltsamste überhaupt. Ich kam nach München als
Generalmusikdirektor 1947, wo mein gesamtes
Repertoire einmal aus “Figaros Hochzeit” und aus
“Fidelio” bestand. Das war alles. Nie etwas anderes
dirigiert. Daraus hat sich entwickelt, dass ich in
München, in Frankfurt, in London die großen Stücke
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0’47
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Georg Solti – 21. Folge
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machte. Das hat man von mir erwartet. Dass ich
nicht “Traviata” mache, sondern ”Otello” und
“Falstaff”. Meinetwegen Boccanegra oder Don
Carlos, Rigoletto später und Traviata jetzt. Wo ich
mir erlaubt habe, den früheren Verdi einzuspielen.
Der ist sehr schön.
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Documents
LC 12281
233013
Track 605
Giuseppe Verdi
“Feuer der Freude” aus “Otello”, 1. Akt
Kölner Rundfunkchor
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
Ltg. Georg Solti
1958
2’44
“Feuer der Freude” aus “Otello” von Giuseppe Verdi, 1. Akt, hier in einer Aufnahme
unter Georg Solti im Jahr 1958. Sie hörten den Kölner Rundfunkchor und das
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester.
Ein Sprung ins kalte Wasser: dieses Erfolgsrezept des Dirigenten Georg Solti trägt
rückblickend, wenn man genauer zusieht, geradezu groteske Züge. Fast ohne jedes
Repertoire, also als blutiger Anfänger, so startete Solti 1947 in München. Beinahe
jedes Werk war für ihn eine Erstbegegnung. Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht:
Soltis hoher Einstieg in München trägt – resümierend betrachtet – Züge des
Laientums und des Dilettantismus an sich.
Solti besaß keinerlei Praxis, was für einen Senkrechtstarter heute so viel wie einen
Offenbarungseid bedeuten würde. Wir wollen nicht verhehlen, dass der
Dirigentenberuf immer schon unter dem Verdacht des Fälschertums und der
Hochstapelei stand. Schlagtechnisch gesehen, das hat auch Solti eingeräumt, könne
man die Kenntnisse, die zum Dirigieren nötig seien, jedem Menschen in einer
längeren Kaffee-Pause beibringen.
Bei Solti jedoch steigerte sich der Generalverdacht gelegentlich bis zur Grenze der
Verulkung. Vermutungen über eine eher episodische, beiherspielende Vorbereitung
des Dirigenten gab Solti selber nutzlos Nahrung. Ich glaube, er merkte nicht, dass
hinter der Frage nach seinem Handwerk der Verdacht eines leichten Schummelns
lauerte. Solti war halt sehr von sich überzeugt. Und gab arglos zu Protokoll:
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2
Ein
Vormittag
mit Georg
Solti (= Nr.
1)
Track 001,
ab ca. 49:50
bis 50:50
Interview Georg Solti (über seine Vorbereitung):
Ich studiere mikro zu makro. Ich studiere jeden Ton,
und dann das Ganze. Ich kann nicht anders. Ich lese
so wie ein kleiner Junge von Piccolo bis Kontrabass.
Das ist langsam. (…)
Jürgen Meyer-Joosten: Sie gehen nicht ans Klavier?
Ich habe in Italien überhaupt keins bei mir. Das ist
besser. Sie gewöhnen sich ein inneres Gehör. (…)
Und so lernen Sie. Ich brauche viel Zeit.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
1’17
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Georg Solti – 21. Folge
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Die Arbeitsmethode macht einen fast hobbymäßigen Eindruck. Ein Bild, das
verstärkt wurde durch die Tatsache, dass sich Solti immer als großer Gegner des
Auswendigdirigierens gerierte. Er bestand darauf, die Partituren vor sich auf dem
Podium zu haben – eine Praxis, die von vielen, aber durchaus nicht von allen
Dirigenten geteilt wird.
Seiji Ozawa etwa hat wohl fast alle seiner Konzerte ohne Noten dirigiert. Karajan
dirigierte mit geschlossenen Augen, und konnte schon deswegen mit der Partitur
vor sich wenig anfangen. Für diese Dirigenten war das Auswendigdirigieren immer
auch ein Ausweis ihrer Professionalität – nämlich einer unanfechtbar perfekten
Werkkenntnis. Sie dirigierten ihre Aufführungen gleichsam ‘wie im Schlaf’.
Solti nicht. Er schreckte nicht einmal davor zurück, sein Vorbild Arturo Toscanini,
der mit dem Auswendig-Dirigieren angefangen hatte, hierbei einer angeblichen
Schwäche zu zeihen. Dem Verdacht, er sei in Wirklichkeit ein Blender, konnte Solti
so nicht begegnen. Hören wir ihn noch einmal selbst.
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3
Ein
Vormittag
mit Georg
Solti (= Nr.
1)
Track 001,
ab 51:33 bis
ca. 52:00
Interview Georg Solti (über Auswendigdirigieren):
In der Oper wird immer die Polizei gebraucht. Die
musikalische Polizei. Das Auswendiglernen kam
durch Toscanini in die Welt. Aus dem einfachen
Grund: er konnte nicht sehen. Jetzt ist es allgemeine
Mode geworden, die ich nicht mitmache, weil ich es
ganz falsch finde.
0’31
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Decca
LC 00171
430 101-2
Track 101
Wolfgang Amadeus Mozart
Ouvertüre zu “Così fan tutte”
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Georg Solti
1973/74
4’19
Ouvertüre zu “Così fan tutte”. Georg Solti am Pult des London Philharmonic
Orchestra.
Wir haben in dieser Sendereihe über Georg Solti immer wieder auf einige
klischeewidrige Aspekte dieses Groß-Dirigenten hingewiesen. Dem Alleskönner
hafteten Aspekte des Anfängers an – bis zuletzt. Der Allesfresser dirigierte in
Wirklichkeit einen kleineren Radius von Werken und Komponisten als seine
Konkurrenten Herbert von Karajan, Leonard Bernstein oder auch Leopold
Stokowski. Der Omnipräsente war bei näherer Betrachtung nicht so jetsetmäßig
draufwie man denkt. Er litt unter Flugangst und beschränkte sich auf möglichst
wenige Orte, an denen er tätig war.
Nun, diese Feststellungen sind alle richtig. Und wir wollen trotzdem nicht
übersehen, dass Solti nebenbei und kurzzeitig auch noch mal eben Chef etwa des
Dallas Symphony Orchestra oder des Orchestre de Paris war. Ebenso an der Pariser
Oper.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 21. Folge
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Er ließ solche Gelegenheiten nicht aus, weil er, ganz ohne Frage, eine
karrierebetonter Dirigent war – wie alle, die eine so glamouröse Laufbahn hinlegen.
Warum hat er überhaupt eine so erfolgreiche Karriere gemacht? Weil er zur
rechten Zeit am rechten Ort war? Zum Teil. Weil er so guter Dirigent war?
Vielleicht, aber das waren Erich Leinsdorf oder Kurt Sanderling auch. Weil er so gut
aussah?. Nein. Weil er für jedes Stück eine eigene Perspektive fand? Schon eher.
Aber drücken wir diesen Sachverhalt lieber eine Nummer kleiner aus. Solti wurde
ein so großer Dirigent, weil er ein Dirigent mit Visionen – und mit unerfüllten
Träumen war. Weil er ein Dirigent war, der etwas wollte; und dazu gehörte auch
eine steile Karriere. Weil er ein Dirigent war, der bei aller Selbstherrlichkeit eine
Suche und ein Ungenügen erkennen ließ, wie man das heute nur bei wenigen
Dirigenten feststellen kann.
Solti hatte bei Toscanini, einem seiner großen Vorbilder, die Unzufriedenheit mit
sich selbst gelernt. Und die ist oftmals ein ganz guter, kräftig antreibender Motor.
Solti über sich. Und über Arturo Toscanini.
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4
Pausenbeitr
ag Live
8.12.1989
(= Nr. 3)
Track 001,
ab 20:02
Interview Georg Solti 1989 (über Toscanini, mit
Attila Csampai):
“Ich hasse Euch, denn Ihr habt alle meine Träume
zerstört.” Diesen Satz hat er (Toscanini) gesagt. Ich
verstehe das sehr gut. Weil man nämlich studiert.
Und umso mehr man studiert, desto größer sind
dann die Träume. Und dann fängt man an, die
Träume zu zerstören.
0’21
Und das größte Ungenügen? Der größte Traum? Natürlich immer die eigenen
Aufnamen – das eigene Scheitern. Solti gehörte zu jenen Künstlern, die auf die
Frage, ob sie selbstsicher genug seien, die eigenen Schallplatten zu hören,
regelmäßig die niederschmetterndsten Bekenntnisse liefern. „Hören Sie, lieber Herr
Solti, den eigenen Kram?“
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Jürgen
Christ im
Gespräch
mit Georg
Solti (= Nr.
15, Teil 1)
Track 001,
ab 14:20 bis
15:45
Interview Georg Solti 1997 (über die Frage, ob er
eigene Platten hört und das Leben nach der Musik
am Tage, mit Jürgen Christ):
Nie. Nie! Wenn Sie nämlich den ganzen Tag Musik
machen wie ich, möchten Sie abends keine Musik
mehr hören. Sonst schlafe ich noch schlechter. Ich
schlafe ohnehin schon schlecht. Weil die Musik mich
nicht in Ruhe lässt. Ich träume, schlafe, esse Musik.
Ein Prinzip habe ich: Nach 7 Uhr abends arbeite ich
nicht. Dann muss ich aufhören und mache was
anderes. Habe meinen Whiskey, jeden Abend einmal.
Scotch, ich habe drei bis vier verschiedene.
JCh: Sie stehen sehr früh auf am Morgen.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
1’13
www.kulturradio.de
Georg Solti – 21. Folge
Seite 7 von 15
Ja. Ja. Dann lese ich Zeitungen. Hier lese ich zwei
Zeitungen. Financial Times ist die beste englische
Zeitung. Und die Times. Theater, Business, allerlei.
Politik! Und dann trinke ich Kaffee. Und je nachdem,
ob ich Arbeit habe, sitze ich hier um 8 Uhr.
Spätestens 9 Uhr. (…) Charles kommt meistens um
9.30 Uhr. Immer gibt’s was Neues. Immer!
6
Decca
LC 00171
476 223-8
Track 003
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 5 B-Dur
III. Scherzo. Molto vivace
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti 1982
13’25
Anton Bruckners Symphonie Nr. 5 B-Dur. Sie hörten den 3. Satz: Scherzo. Molto
vivace mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Leitung eines unruhig
forschenden und vorantreibenden, hier durchaus ungewöhnlichen Georg Solti im
Jahr 1982.
Ein Punkt, auf dem wir hier in unserer Solti-Sendereihe immer wieder Wert gelegt
haben, ist die Tatsache, dass Solti, der vorgebliche Jetset-Dirigent mit Machtbasen
in aller Welt, in Wirklichkeit als reinstes Produkt des deutschen StadttheaterSystems zu gelten hat. Seinem ersten großen Engagement in München 1947 – Solti
war damals Mitte 30 – waren Erfahrungen an den Opernhäusern von Karlsruhe und
Stuttgart immerhin vorausgegangen, wenn auch nicht sehr umfangreich. Von
München aus installierte er sich fast ein Jahrzehnt – von 1952 bis 1961 – in
Frankfurt am Main, bevor er nach London, Paris und Chicago seine Karriere
ausweitete.
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6
Gespräch
mit dem
Dirigenten
Georg Solti
anlässlich
Benefiz Alte
Oper (= Nr.
19)
Track 001,
ab 0:30 bis
ca. 4:00
Interview Georg Solti 1984 (über Stuttgart, mit
Peter Stieber):
Stuttgart war die erste deutsche Stadt, wo ich
überhaupt dirigiert habe. Das hat sich ergeben
1946, und zwar Fidelio. Warum, das ist zu
kompliziert. Ich bin zuerst nach München gegangen.
Dann nach Stuttgart, dort hat man mich mit offenen
Armen empfangen. Der Kultusminister war der Herr
Heuß. Fidelio erstes Mal. Mit Windgassen zum ersten
Mal als Florestan. Die alte Oper war damals stark
beschädigt. Ich wohnte in einer kleinen Pension. Ich
vergesse nie den süßen Vanille-Brezel-Geruch der
Amerikaner. Die Stadt war zerstört und hat ganz
trostlos ausgesehen. Was für heroische Zeiten.
Keine Elektrizität, kein Verkehr. Das Leben fing neu
an. Eine tolle Zeit. Wie schön wiederaufgebaut. (…)
Ich war ausgehungert zu dirigieren. (…) Ich bin dann
zu einem zerbombten Haus gegangen, da wurde mir
angeboten, als Generalmusikdirektor zu kommen.
Als man das in München hörte, durfte ich in
München bleiben.
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
2’19
www.kulturradio.de
Georg Solti – 21. Folge
Seite 8 von 15
Solti kannte, wie wir hören, die deutsche Theaterlandschaft aus dem Eff-Eff. Und
beschrieb sie mit erstaunlicher Treffsicherheit in Bezug auf die Eigenart des
föderativ strukturierten Musiklebens in Deutschland.
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7
Jürgen
Christ im
Gespräch
mit G. Solti
(= Nr. 13,
Teil 1)
Track 001,
ab 22:15 bis
23:20
Interview Georg Solti 1997 (über Deutschland und
Berlin mit Jürgen Christ):
In Deutschland hat sich das immer in Provinzen
entwickelt. Schauen Sie nach Berlin. Ganz langsam
hat sich das entwickelt. Wesentlich ist es immer
noch nicht eine Hauptstadt der Musik. Die
Provinzstädte: München, Hamburg, Düsseldorf
haben sich entwickelt.
0’24
Solti war ein Pragmatiker des Umfeldes, ein Mann, der klug und flexibel auf die
Umgebungsbedingungen seines Wirkens reagierte – und sich so als Herr über diese
Umstände erhob. Er war ein Dirigent, der mit Wasser kochte – und doch in den
Strudeln dieses Gebräus Kaffeesatz lesen konnte. Ein Mann, der sich so sehr auf die
Orte seines Wirkens einließ, dass die musikalischen Ergebnisse international
ausstrahlen konnten – weil nämlich Solti in einer Zeit wirkte, in der die
Musikzentren funktional einander zu gleichen begannen.
Er konnte – als lokaler Akteur – global wirken, ohne hierfür übermenschliche
Verbiegungen absolvieren zu müssen. Er war – nach der Zeit seiner Emigration – ein
glücklicher Kerl: in der Blüte einer intakten Klassik-Landschaft. Er konnte aus sich
selber schöpfen – weil er in seiner Zeit überhaupt noch aus dem Vollen schöpfen
konnte.
Am Pult der Lyric Opera von Chicago dirigierte Solti im Jahr 1956 die folgende
Arie aus „Andrea Chenier“ von Umberto Giordano. Das Werk scheint ihn nicht
sonderlich interessiert zu haben; er ist – zumindest auf Schallplatte – nie mehr zu
ihm zurückgekehrt. Die Interpretation klingt anstrengungslos unverwechselbar. Und
ganz entspannt musste Solti – wie so oft in seinem Leben – nicht um sein Leben
kämpfen. Vorn an der Rampe stand einer der größten Bässe der italienischen Oper
im 20. Jahrhundert: Ettore Bastianini.
Er war ein Glückskerl. Ein Ausweis eines berechtigten Optimismus in der Klassik
jener Jahre.
Und Solti war – nicht untypisch – prompt der beste Dirigent pessimistisch finsterer
Stoffe. Er war: the man you love to hate; der Mann, den man zu hassen liebt.
Er war arglos in seinem Glanz. Typisch in seiner Undurchschnittlichkeit. Siegreich
noch da, wo er scheitern mochte. Ein Mann, nach dessen Karrieretypus sich heute
Dirigenten sehnen, wenn sie ehrlich sind. So unberührbar stand er in seiner
Fehlbarkeit.
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Georg Solti – 21. Folge
7
Document
s
LC 12281
233013
Track 110
Seite 9 von 15
Umberto Giordano
“Nemico della patria” aus “Andrea Chenier”, 3. Akt
Ettore Bastianini, Bass-Bariton (Gerard)
Orchestra of the Chicago Lyric Opera
Ltg. Georg Solti 1956
4’38
“Nemico della patria”, der Monolog des Gerard aus der Oper “Andrea Chenier”, 3.
Akt, von Umberto Giordano. Ettore Bastianini sang, Georg Solti begleitete mit dem
Orchestra of the Chicago Lyric Opera.
Fragen wir uns kurz, wieso die Nachwirkung dieses Mannes heute so relativ gering
ausfällt – allen Talenten unerachtet, die er in sich wachzurufen verstand. Denn so
ist es: Der Ruhm Soltis erstreckte sich auf seine eigene Person – und auf seine
Aufnahmen. Eine Methode aber, eine Botschaft, eine zu vererbende Lehre hatte er
nicht.
Er hatte keine eigene Philosophie wie Celibidache, das man im nachhinein hätte
diskutieren können. Er hatte keine überbordend persönliche Attitüde wie Bernstein,
die man noch nachträglich als etwas etwas ganz und gar Unerhörtes hätte
anhimmeln können. Er hatte kaum technische Änderungen bewirkt wie Karajan
oder Stokowski. Und schließlich: Er hatte keine berühmten Schüler. Obwohl er von
jungen Musikern um Rat gefragt wurde und für sich selbst das Geheimnis ewiger
Frische, nämlich Neugier und Selbstkritik, bewahrt hatte.
Solti verfuhr nach dem Grundsatz, dass man sich niemals auf die eigenen Stärken
verlassen dürfe, sondern sich auf die eigenen Schwächen einlassen müsse. Um
diese Schwächen zu überwinden. Das hat er auch Nachwuchs-Dirigenten mitgeteilt.
Wollten Sie es vielleicht nicht hören?
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8
Ein
Vormittag
mit Georg
Solti (= Nr.
1)
Track 001,
ab ca. 36:40
bis 37:37
Interview Georg Solti (über Ratschläge an den
Nachwuchs):
Ich sage immer jungen Musikern, die zu mir kommen.
Man muss immer das machen, was einem nicht liegt.
Nicht das, was einem liegt. Man muss das dirigieren,
das einen Kampf bedeutet. (Applaudieren.) Die
anderen Stücke kommen sowieso. Die sind leicht.
0’24
Seit dem Jahr 2002 gibt es in Frankfurt, dem Ort einer rund zehnjährigen Ära des
damals noch aufstrebenden Pult-Jockeys, einen Georg Solti-Dirigentenwettbewerb.
Der Wettbewerb steht unter der Schirmherrschaft von Lady Valerie Solti. Aus den
verschiedenen Jahrgängen gingen bisher immer namhafte Dirigenten hervor wie
Tomas Netopil und James Gaffigan. Die Solti-Foundation, mit der Lady Valerie nach
dem Tod ihres Mannes dessen ideelles Vermächtnis weiterführt, vergibt auch einen
„Solti Award for young singers“.
Es handelt sich um Preise für bereits ausgebildete junge Künstler, die an der
Schwelle einer größeren Karriere stehen. Und das ist auch ganz richtig so – und
dem Weg dieses Dirigenten angemessen.
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Georg Solti – 21. Folge
Seite 10 von 15
Solti war der Meinung, das Wesentliche am Dirigentenberuf könne nicht gelehrt,
sondern nur gekonnt werden. Insofern übrigens stellt jeder Dirigent eine Art
Sackgasse dar, in welcher sich Talent befindet, ohne direkt weitergegeben werden
zu können.
Wir sehen: Auch theoretisch war das Musikbild Soltis auf die Person dieses
Dirigenten konzentriert – und es ist kein Wunder, dass die Nachwirkung
überschaubar blieb. Solti war der vielleicht erfolgreichste Dirigent des 20.
Jahrhunderts, dem wirkliche Neuerungen nicht nachgesagt werden können.
Das vergrößert nicht seinen Ruhm. Aber dafür die Bewunderung, die wir für diese
Karriere empfinden können. Wir können heute vor allem eines sagen: Solti verstand
mit dem Pfund zu wuchern, das ihm gegeben war. Ihm war bewusst, dass er vor
allem einem Feind nachdrücklich begegnen müsse: der Routine, der Langeweile und
der Erschöpfung – auch des Publikums.
In Bezug auf Bruckner und Mahler, zwei seiner wichtigsten Komponisten, hat Solti
diese drohende Erschöpfung einmal direkt thematisiert. Und er ist auch dabei
wieder, wofür wir ihn hier überhaupt erklären dürfen: everyman’s conductor.
Jedermanns Dirigent. Ein Künstler für jeden Tag der Woche. Nicht nur für feiertags.
O
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9
Jürgen
Christ im
Gespräch
mit Georg
Solti (= Nr.
15, Teil 1)
Track 001,
ab 2:55 bis
3:50
Interview Georg Solti 1997 (über Bruckner und
Saturierung, mit Jürgen Christ):
Und dann kam der Augenblick der Saturierung. Wo
ich gespürt habe, jetzt muss ich aufhören. Das
gefällt mir nicht. Jetzt komme ich wieder nach vielen
Malen wieder zur Fünften Mahler. Über zehn Jahre.
Darauf freue ich mich jetzt. Jetzt kommt eine neue
Partitur. Leer. (…) Lesen, lesen, lesen. Bis einem was
einfällt. Zwei Möglichkeiten: entweder es fällt einem
etwas ein. Oder nicht. Dann muss man aufhören zu
dirigieren.
8
Decca
LC 00171
430 809-2
Track 505
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 5
V. Rondo-Finale: Allegro
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti 1970
0’52
13’39
Der 5. Satz, das Rondo-Finale: Allegro aus der Symphonie Nr. 5 von Gustav Mahler,
ein starkes Stück Georg Soltis, hier im Jahr 1970 mit dem Chicaco Symphony
Orchestra.
Ein nicht zu unterschätzender Grund für die Tatsache, dass Solti, bevor er 1997
starb, ein bisschen ins Zwielichts des Zweifels und in den Schatten eines Verdachts
geriet, muss hier noch kurz benannt werden. Es hat mit Deutschland und seinem
berühmtesten Festival zu tun. Solti in Bayreuth, das versprach – nach der
Meisterleistung dieses Dirigenten vor allem beim “Ring des Nibelungen” – eine
© kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
www.kulturradio.de
Georg Solti – 21. Folge
Seite 11 von 15
Traumpaarung zu werden; zumal es im Jahr 1983 eben um eine zyklische
Aufführung des “Rings” in Bayreuth gehen sollte.
Solti kam, sah das Unheil kommen, und ging nicht eben siegreich aus der Sache
hervor. Die Folgen eines hart am Debakel vorbeigeschrammten Gastspiels sind im
Nachhinein nur schwer abzuschätzen. 1997, im Jahr seines Todes, äußerte sich
Solti über seine schlechten Erfahrungen mit Bayreuth so deutlich wie selten zuvor.
O
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0
Jürgen
Christ im
Gespräch
mit Georg
Solti (= Nr.
14, Teil 2)
Track 001,
ab 25:06
und 27:45
bis 28:10
Interview Georg Solti 1997 (über Bayreuth, mit
Jürgen Christ):
Das ist nicht gut gelaufen. Weil meine zwei
Kollaborateure sind ausgezeichnete
Theaterleute…Peter Hall … konnten nicht genug
Deutsch… Die waren ununterbrochen
missverstanden. Ich musste helfen. Wolfgang
Wagner hat auch geholfen. Das ist schiefgegangen.
Aber Absichten waren gut. Die Bilder waren gut. Sind
nicht gut ausgeführt worden.
Warum sind Sie so spät nach Bayreuth gekommen?
Das müssen Sie Wolfgang Wagner fragen. Um der
Wahrheit die Ehre zu geben: Schon Wieland Wagner
hatte mich seinerzeit eingeladen. Für Tannhäuser.
Dann ist er gestorben. Dann hat es 20 Jahre
gedauert. (…) Ich fand damals ungeheuer schwierig
die Orchesterarbeit. Es ist heute viel besser. Damals
durften ostdeutsche Musiker nicht mehr nach
Bayreuth kommen. Sie waren gesperrt. Und wir
hatten nur die westdeutschen Musiker. Die
schlechten. Die guten machten Ferien, weil sie genug
Geld hatten. Heute ist das alles offen. Ich habe das
Orchester nicht gehört nicht gehört seit diesem
Jahr. Aber ich war traurig über das Orchester. Also
es war kein Festspielorchester. Das war eigentlich
einer der Hauptgründe… Aber ich glaube, Wolfgang
Wagner war ich unbequem, weil ich überall
reingeredet habe. (27:45)
Ich will mit diesem heutigen Bayreuth nichts zu tun
haben. Wenn eine jüngere Generation kommt. Eva
kenne ich sehr gut, geradezu befreundet. Oder der
Sohn, der in Mailand lebt, und den Vater nicht
gerade liebt. Aber im Moment, mit Wolfgang Wagner
will ich nichts zu tun haben.”
2’43
Solti hatte einen ‘romantischen’ “Ring” haben wollen; eine Inszenierung, die sich
buchstäblich an die Szenenanweisungen Wagners halten sollte. Also mit richtigem
Feuerzauber, mit echtem Wald und echtem Bärenfell. Er wolle eben „durch Feuer
und Wasser gehen“, wie er unumwunden zugab; und auf den Flügeln dieses
selbstbewussten Konzepts war dem Dirigenten vermutlich nicht ganz klar, dass in
einem Theater-Umfeld wie dem in Deutschland auch 1983 nicht mehr jeder aus
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Georg Solti – 21. Folge
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dem Stand das machen konnte, was ihm vielleicht richtig erschien. Soltis Vorsatz
schien konservativ und mutig zugleich. Doch die Vorwürfe, die man ihm später
machte, bezogen sich eher auf seine Leistung als Dirigent. Mit den besonderen
Probenbedingungen, der seitenverkehrten Sitzordnung im Graben und den
akustischen Tücken im abgedeckten Orchestergraben war er nicht klar gekommen;
gewiss deswegen, weil er sie nicht im geringsten gewohnt war.
„In Bayreuth“, so hat Christian Thielemann mir gegenüber einmal nüchtern
festgestellt, „sind immer die Kapellmeister am Besten zurecht gekommen“. Also die
Pragmatiker. Die Handwerker und Bastler unter den Dirigenten. Ein solcher war
Solti zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr. So musste er eine ziemliche Schlappe
einstecken.
Schon 1961, beim Abschied aus Frankfurt, hatte er sich als einen
Präzisionsmusiker beschrieben, der eben deswegen für den Theaterbetrieb in
Deutschland weniger geschaffen sei als für das Stagione- und Festival-Prinzip in
Großbritannien. War er auf Dauer für Deutschland eben doch nicht recht gemacht?
In London, wo man ensuite probte und spielte, und zwar unter leichter
berechenbaren akustischen Bedingungen als in Bayreuth, schien ihm die Arbeit
„konzentrierter“.
O
6
1
Abschied
von
Generalmusi
kdirektor
Georg Solti
(= Nr. 16)
Track 001,
ab 4 :48 bis
Ende
Interview Georg Solti 1961 (mit Hans-Jürgen
Tietze):
Viel konzentrierter ?
(…) Es hat Vorteile für einen Musiker, der
Schlamperei hasst – in dem Sinn, dass Sie eine
gewisse Gewähr haben, dass das Resultat das
gleiche bleibt. (…) Auf der anderen Seite auch viel
komplizierter. Weil wenn was dazwischen kommt bei
einzelnen Sängern, hat man ein Problem. Aber auch
Vorteile für einen fanatischen oder
Präzisionsmusiker wie ich einer bin. (5 :43)
Vielen Dank !
Vielen Dank – und ich komme wieder.
0’45
9
Decca
LC 00171
88697295
742-04
Track 618
Giacomo Puccini
“Quando men vo” aus “La Bohème”, 2. Akt
Judith Blegen, Sopran (Musetta)
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Georg Solti 1973
3’39
„Quando men vo“ aus „La Bohème“ und der Gesamtaufnahme der Oper von
Giacomo Puccini im Jahr 1973 – mit dem London Philharmonic Orchestra unter
Georg Solti. Sie hörten das gesamte Ensemble mit Judith Blegen als Musetta,
Montserrat Caballé als Mimì, Placido Domingo als Rodolfo und Sherill Milnes
(Marcello), Ruggero Raimondi (Colline) und Vicente Sardiniero (Schaunard). Eine
damals (und schon bei der Entstehung) kontrovers eingeschätzte Aufnahme –
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Georg Solti – 21. Folge
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wegen des fehlenden Rubatos, wie es Solti von seinen Mitwirkenden verlangte. Er
konnte halt, das spricht für ihn, alles Sentimentale nicht ertragen…
Georg Solti, der Dirigent der Massen, besaß zugleich eine widerständig
weltabgewandte Seite – und in diesem Widerstand schlummerte sein Potential.
Der Opern-Intendant Rolf Liebermann, der in seiner Zeit als Direktor der Pariser
Oper manches Scharmützel mit Solti auszutragen hatte, nannte ihn einen Mann
“von einer magnetischen, fast dämonischen Introvertiertheit” (Opernjahre, S. 234). Im
Grunde genommen war er ein starker Ernstnehmer, allem oberflächlichen
Geflunker und Getue entschieden abgeneigt. So bewahrte er eine dunkle Seite für
sich, die seinen Aufnahmen jene Triftigkeit und Dauerhaftigkeit verleiht, mit
welcher er in Erinnerung bleiben wird.
O
6
2
Pausenbeitr
ag Live
8.12.1989
(= Nr. 3)
Track 001,
ab 1:09 bis
1:49
Interview Georg Solti 1989 (über Tschaikowsky, mit
Attila Csampai):
Ich liebe Prokofieff und natürlich auch
Tschaikowsky. Ist einer meiner
Lieblingskomponisten. Immer gewesen, seit Kindheit.
Man muss Tschaikowsky nur ganz ernst machen. Oh
je, wie es ist, ein großer Musik. Nicht billig. Und nicht
sentimental. Nicht tröpfelnd, gefühltröpfelnd.
Sondern einfach. Und vor allem beachten, was er
geschrieben hat. Er hat so ganz deutlich erstens
Metronomzahlen und zweitens Ausdruckszahlen
angegeben: Adagio, Lamentoso, all das. Das muss
man also ein bisschen vorstellen – und nicht
gescheiter sein wollen, als er war.
0’45
Auch die Fähigkeit zur Negativität in der Musik entsprang Soltis Disposition. Über
den folgenden 4. Satz aus Tschaikowkys 6. Symphonie, der „Pathétique“, hat Solti
gesagt:
O
6
3
Pausenbeitrag
Live
8.12.1989 (=
Nr. 3)
Track 001, ab
11:58 bis
12:10
Interview Georg Solti 1989 (über den 4. Satz der
6. Symphonie von Tschaikowsky, mit Attila
Csampai):
Es ist irgendwie ein Abschied. Das ist ein ganz
eindeutig ein Abschied. Und zwar ein
herzzerreissender Abschied. Es ist nicht ein
friedlicher Abschied. Es ist ein leidender Abschied.
0’12
Soltis Erfolg in einer Zeit, in der die E-Musik noch von größerer gesellschaftlicher
Bedeutung war als heute, war ganz sicher auch ein Erfolg dieser Leidensfähigkeit
und Ernstheit. ‚Ernst muss man sein...’: Dass wir im Nachhinein Solti als
Aushängeschild eines einseitig glamourbetonten Establishments betrachten, tut
ihm Unrecht.
Solti vermochte: durch Pathos zu heben. Durch Sich-Einlassen zu unterhalten.
Durch Ernst – zu ermuntern. Darin sind ihm wenige gefolgt.
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Georg Solti – 21. Folge
1
0
Decca
LC 00171
455810-2
9911487
Track 004
Seite 14 von 15
Peter Tschaikowsky
Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 64 “Pathetique”
IV. Finale. Adagio lamentoso – Andante
Chicago Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti
1976
9’05
Der 4. Satz: Finale. Adagio lamentoso – Andante. Georg Solti noch einmal mit dem
Chicago Symphony Orchestra im Jahr 1979.
Unsere Sendereihe über den Dirigenten Georg Solti geht langsam zu Ende.
Zuversicht auf ein Nachleben war Solti fremd, wie er im Jahr seines Todes in dem
folgenden Interview auf die Frage sagte, ob er an ein Leben nach dem Tod glaube.
O
6
4
Jürgen
Christ im
Gespräch
mit Georg
Solti (= Nr.
15, Teil 2)
Track 001,
ab 33:30 bis
34.24
Interview Georg Solti 1997 (über den Glauben an ein
Leben nach dem Tod, mit Jürgen Christ):
Nein, in diesem Sinne nicht. Dass ich da oben meine
Eltern und Schwester wiedertreffe. Es gibt eine
andere Form des Zusammenkommens. Ehrlich
gesagt, habe ich Angst darüber zu denken. Ich
glaube, man muss dieses Leben so gut wie möglich
benutzen. Und so voll wie möglich daran arbeiten.
Und vor allem niemandem bewusst wehzutun. Das
ist meine entscheidende Religion. Nicht wehzutun.
Sie tun sowieso wahnsinnig vielen Menschen weh,
ohne dass sie das wollen. Aber nicht bewusst! Das
dürfen Sie nicht. Das ist das Kriterium eines
anständigen Menschen. Sorgen für die Familie und
nicht wehzutun.
0’58
Hören wir Georg Solti noch letztes Mal persönlich und danach mit jenem
Komponisten, zu dem er sich – anders als zu Wagner – noch zuletzt bekannte. Aus
Mahlers Symphonie Nr. 2 hören wir zum Abschluss dieser Sendereihe das
sogenannte „Urlicht“, also das Alt-Solo, und zwar aus der älteren Aufnahme Soltis
aus dem Jahr 1965. Es spielt das London Symphony Orchestra. Die Solistin ist
Helen Watts.
Zuvor aber Georg Solti mit einem zusammenfassenden Diktum, das fast wie ein
Selbstportrait und wie das Ceterum Censeo dieses Dirigenten klingt.
O
6
5
Gespräch mit
dem Dirigenten
Georg Solti
anlässlich
Benefiz Alte
Oper (= Nr. 19)
Track 001, ab
5:00 bis 5:45
Interview Georg Solti 1984 (über sich als
Allesdirigierer, mit Peter Stieber):
Ich habe die Mahler-Sinfonien sehr gern. Aber
ich wehre mich vehement dagegen, als MahlerDirigent abgestempelt zu werden. Oder als
Wagner-Dirigent. Ich dirigiere alles, und zwar
sehr gern. Bloß kein Spezialist. Die Leute
möchten einen abstempeln. Ein guter Musiker
kann alles.
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0’39
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Georg Solti – 21. Folge
1
1
Decca
LC 00171
NACHWEIS
Track 103
Seite 15 von 15
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 2 “Auferstehung”
IV. Urlicht. Sehr feierlich, aber schlicht
Helen Watts, Alt
London Symphony Orchestra
Ltg. Georg Solti
1965
4’25
Das „Urlicht“, also der 4. Satz aus der Symphonie Nr. 2, der „Auferstehungs“Symphonie von Gustav Mahler. Die Solistin war Helen Watts, Alt, das London
Symphony Orchestra im Jahr 1965 unter Georg Solti.
Manuskripte und Musiklisten, meine Damen und Herren, können Sie wie immer
nachlesen im Internet unter kulturradio.de – gleich im Anschluss an die Sendung.
Diese Sendereihe wurde redaktionell betreut von Dorothea Diekmann, Tontechnik:
Kaspar Wollheim.
Ihnen wünsche ich noch einen Tag, bis bald, Ihr Kai Luehrs-Kaiser.
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