Artikel als PDF lesen - ff - Das Südtiroler Wochenmagazin

leitartikel
Die amerikanische Lektion
Wir können jetzt Teufel an die Wand malen und das Ende der Welt ausrufen – oder aus
dem Schock lernen. Ja, Trump & Co. legen ihre Finger tatsächlich in offene Wunden.
Und ja, auch wir Medien haben die Probleme und Sorgen der Menschen verkannt.
D
von Norbert Dall’Ò
Was läuft falsch in
einer Demokratie,
wenn Typen wie
Donald Trump
oder HeinzChristian Strache
nach oben gespült
werden?
er Spiegel, der Leitwolf aller deutschen
Oberlehrer und Moralapostel, hat
prompt „das Ende der Welt“ ausgerufen, zumindest jener Welt, „wie wir sie sehen“
(Untertitel Spiegel).
Die Erkenntnis ist richtig: Jene Welt gibt es
schon lange nicht mehr – beziehungsweise bloß
in der Phantasie einer Elite, die sich daran gewöhnt hatte, die Wirklichkeit den eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnissen anzupassen.
Frau Clinton, ungeliebt, aber „eine von uns“, war
die Hoffnung, dass der Schein bewahrt würde.
Warum haben wir nicht kommen sehen, was
längst da ist? Ist was dran am Vorwurf, dass Journalisten die Lebenssituation der Menschen, ihre
Probleme, Sorgen und Ängste, nicht mehr erkennen, fragen sich jetzt, wo das Unvorstellbare passiert ist, viele Medien. Ja, da ist was dran.
Donald Trump ist mitten unter uns. Seit
Jahren schon. Marine Le Pen, Heinz-Christian
Strache, Beatrix von Storch, Geert Wilders, Nigel
Farage, Matteo Salvini, Beppe Grillo. Anstatt uns
zu fragen, weshalb diese Figuren plötzlich so viel
Zulauf haben, nagelten wir sie ans Kreuz: Populisten! Rassisten! Volksverführer! Nazis!
Wir entrüsteten uns über die Symptome,
erhoben den moralischen Zeigefinger, übersahen aber Zusammenhänge zwischen Ursache
und Wirkung. Das Kuriose dabei: Die Ursachen
sind uns bestens bekannt, jede Woche, ja täglich,
schreiben wir uns die Finger wund über die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen
Arm und Reich, über die Perversitäten der Geldwirtschaft, das Fehlen jeder Rechtssicherheit,
über eine EU, die längst keine Union mehr ist,
über Regierende, die nicht mehr regieren, sondern nur mehr hilflos reagieren.
Donald Trump ist, das geben sogar seine Anhänger zu, ein Spinner. Ein Mann, der bisher immer nur seine eigenen Interessen vertreten hat
und über null politische Erfahrung verfügt, steht
jetzt an der Spitze der Vereinigten Staaten von
Amerika. Die Wähler haben es so gewollt – und
vergessen wir nicht: Die Alternative hieß nicht
Mutter Teresa, sondern Hillary Clinton.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was dieser Trump für ein Präsident sein wird. Ich denke,
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sein Ruf es befürchten lässt – und jedenfalls besser als der nette Barack Obama, der vor acht Jahren als Heilsbringer gefeiert wurde, die in ihn gesetzten Hoffnungen aber nicht erfüllen konnte.
Anstatt den Teufel an die Wand zu malen,
wäre es jedenfalls gescheiter, aus der Trump’schen
Lektion zu lernen. Lernen, nicht nachäffen.
Kann es sein, dass Trump & Co. ihre Finger
tatsächlich in offene Wunden legen?
Beispiel Migration. Trump will entlang der
Grenze zu Mexiko eine über 3.000 Kilometer
lange Mauer errichten lassen und mehrere Millionen illegal in den USA lebende Menschen ausweisen (oder einsperren). Irrwitzig, gewiss, aber
Trump trifft damit einen sensiblen Nerv. Das
Problem der Flüchtlinge und Migranten sowie
ihre Integration ist ein tatsächlich nicht gelöstes
Problem. Da gibt es nichts schönzureden.
Beispiel Abschottung. Trumps Wagenburgmentalität mag nach Mittelalter stinken, trifft aber
den Zeitgeist, der nach Ab- und Ausgrenzung
oder aber – in Südtiroler Soße – nach „Schutz
der eigenen Identität“ und nach mehr Sonderregelungen und Klauseln ruft. Irrwitzig? Oder aber
die Folge des Scheiterns einer europäischen Politik, die diesen Namen verdient?
Beispiel Politikverdrossenheit. Mit Trump hat
die Demolierung der Politik ihren Höhenpunkt
erreicht. Wenn die Amerikaner nach einem Wahlkampf, der über ein Jahr lang dauert, nur mehr
zwischen einer Clinton und einem Trump entscheiden müssen („Pest oder Cholera“, titelte die
ff), dann gibt es die Selektion der Besten, die man
uns immer vorgaukelt, nicht mehr.
Was läuft falsch in einer Demokratie, wenn
solche Typen nach oben gespült werden? (Und
machen wir es uns nicht zu einfach: Es ist nicht
eine Frage des Geldes.)
Die amerikanische Lektion könnte schlimm
ausgehen. Aber sie könnte, wenn wir denn daraus lernen, auch die Antwort auf die Frage liefern: Wie verhindere ich, dass die Trumps auch
n
hierzulande das Ruder übernehmen? No. 46 / 2016