faulheit & arbeit Sonnabend/Sonntag, 12./13. November 2016, Nr. 265 n Drucksachen n Schwarzer Kanal n Reportage n ABC-Waffen Heranwachsen der Milliardäre: Lenin 1917 über die Mächtegruppierungen im Ersten Weltkrieg und den Kriegseintritt der USA BRD-Medien nach US-Präsidentenwahl: Die Gattung der Wendehälse bekommt Nachwuchs. Von Reinhard Lauterbach Eine Reise nach Spanien, 80 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs. Von Victor Grossman (Text) und Gabriele Senft (Fotos) Rauch und Wahn: Als Autor durch die Hölle des Nikotinentzugs und zurück. Ein dialogischer Essay von Jan Decker EPA/LISA HORNAK »Schlimmer als die faulen sind die funktionierenden Kredite« Gespräch n Mit Michael Hudson. Über die Krise des Kapitalismus, die Lage der Arbeiterklasse und seinen Patenonkel Leo Trotzki MICHAEL-HUDSON.COM S ie haben als erster bereits im Jahr 2006 vor der Finanzkrise gewarnt, die 2007 auf dem US-Hypothekenmarkt ausbrach. Wann kommt die nächste Krise? Wir befinden uns immer noch in der Krise, wir sind nie herausgekommen. Seit 2007 sind in den USA die Löhne lediglich um 0,2 Prozent gestiegen. Für 95 Prozent der Bevölkerung sind sie sogar gesunken. Steigende Gehälter erhielten im selben Zeitraum nur fünf Prozent der US-Bürger. Wir befinden uns nicht in einem Konjunkturzyklus, sondern am Ende eines Konjunkturzyklus, der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte. Mit jedem Zyklus wurden Schulden aufgebaut. Man nennt diesen Verlauf »Hockeyschläger«-Bewegung, L-förmig sackt die Wirtschaft gerade nach unten ab und verbleibt danach auf niedrigem Niveau. Für die US- und die EU-Ökonomie wird es keine Erholung geben, wenn nicht die Schulden soweit abgewertet werden, Michael Hudson … lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Universität Missouri (Kansas City) und ist Präsident des Instituts für langfristige Wirtschaftsentwicklung (ISLET) in New York City. dass sie auch bezahlt werden können. Ich sehe jedoch keine Anzeichen, dass derartiges geschieht. Hätte Hillary Clinton die Probleme in den USA besser lösen können als der künftige Präsident Donald Trump? Hillary Clinton können 79 Prozent der USAmerikaner nicht leiden, Donald Trump 81 Prozent. Sie hatten also die zwei unbeliebtesten Kandidaten. Beide sind furchtbar. Eine Sache, die beide unterscheidet, ist, dass Hillary Krieg mit Russland angefangen hätte und mehr Regierungen in Lateinamerika stürzen wollte. Sie würde von »Regime-Changes« sprechen, in Wirklichkeit gemeint wären »CIA-Morde«. Donald Trump sagt, er möchte Krieg vermeiden. Sein Berater, ein General, erklärte, der »Islamische Staat« solle bekämpft werden. Hillary hingegen hätte die Linie der Obama-Administration fortsetzen und den IS fördern, den Nahen Osten destabilisieren und in kleine Regionen aufteilen wollen. Beide unterstützen die Pläne der Wall Street, die Steuern für die Reichen zu senken. Sie wollen einen ausgeglichen Staatshaushalt durch Sozialkürzungen erreichen, um den enormen Anstieg der Militärausgaben finanzieren zu können. Vor allem bei der Modernisierung der Atomwaffen hätte Hillary Obamas Politik fortgesetzt. Obama hat für die Erneuerung der Atombomben und Raketensysteme eine Billion US-Dollar vorgesehen. Hillary ist eine führende Vertreterin einer neokonservativen Außenpolitik, der sogenannten Falken. Sie hat den Sturz der Regierungen in Honduras und Libyen vorangetrieben. Sie gehört zum ultrarechten Flügel in den USA. Donald Trump hat einen Vorteil, über den niemand anderes verfügt: Er ist inkompetent. Gebraucht wird ein US-Präsident, der nicht kompetent ist. Dessen Auftrag lautet, rund um den Erdball Krieg zu führen und die ökonomische Macht von Die kapitalistischen Staaten verfolgen keine Wirtschaftsstrategie, sondern handeln aus Verzweiflung Crash-Kurs Ein Gespräch mit dem US-Ökonomen Michael Hudson. Über die Krise des Kapitalismus, die Lage der Arbeiterklasse und seinen Patenonkel Leo Trotzki. Außerdem: Auf den Spuren der Interbrigaden. Eine Reise nach Spanien, 80 Jahre nach Beginn des Kriegs. n Fortsetzung auf Seite zwei ACHT SEITEN EXTRA GEGRÜNDET 1947 · SA./SO., 12./13. NOVEMBER 2016 · NR. 265 · 1,90 EURO (DE), 2,10 EURO (AT), 2,50 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Große Pläne Große Skepsis Große Kälte Große Keule 3 6 7 15 Interview mit Egon Krenz über seine Besuche in China und dessen Weg zum Sozialismus Die progressiven Regierungen in Lateinamerika werden Donald Trump an seinen Taten messen Österreich: Wohnungslosen drohen in Innsbruck hohe Geldstrafen. Von Patricia D’Incau Vor 25 Jahren verabschiedete der Bundestag das sogenannte Stasi-Unterlagen-Gesetz Dein Abo Zeit. zur rechten Siehe Seite 16 Islamisten in Aleppo setzen Chemiewaffen ein MONTAGE: jW Moskau. Die russische Armee hat den Aufständischen im nordsyrischen Aleppo den Einsatz von Chemiewaffen vorgeworfen. Spezialisten des Verteidigungsministeriums in Moskau hätten in einem bis vor kurzem von den Islamisten kontrollierten Stadtteil »nicht explodierte Artilleriemunition« entdeckt, in der »giftige Substanzen« enthalten seien, hieß es in der am Freitag von der Nachrichtenagentur Interfax verbreiteten Erklärung. Eine erste Untersuchung habe ergeben, dass es sich »mit hoher Wahrscheinlichkeit um Chlorgas und weißen Phosphor« handle. Moskau kündigte an, dass die Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) fortgesetzt werden solle. (AFP/jW) Satellitenstaat BRD Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND wird künftig auch aus dem All spähen. Grünes Licht für millionenschweres Spionageprogramm. Von Stefan Huth tärisch »Führung übernehmen« soll, finden sich im neuen »Weißbuch« der Bundeswehr. Das entsprechende Rüstzeug wird nun offenbar zügig bereitgestellt: Einem Bericht vom Freitag zufolge soll der Bundesnachrichtendienst (BND) erstmals eigene Spionagesatelliten bekommen. Auf Vorschlag des Kanzleramtes habe das geheim tagende Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses in dieser Woche erste Haushaltsmittel für das Projekt bewilligt, meldeten die in einem »Investigativ-Rechercheverbund« kooperierenden Medien Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR. Der BND wolle das Satellitensystem mit Hilfe der Bundeswehr und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt entwickeln. Die Kosten werden den Informationen zufolge auf mindestens 400 Millionen Euro geschätzt, spätestens 2022 sollen die Kameras des Satelliten demnach erste hoch- auflösende Bilder liefern. Bisher bekomme der BND Daten für seine Arbeit von der Bundeswehr, die eigene Kleinsatelliten betreibt. Durch die Einbindung der deutschen Streitkräfte in NATO-Strukturen – das sagen die Rechercheure jedoch nicht – ist das so gewonnene Material allerdings nicht exklusiv. Auch auf dem »freien Markt« werde eingekauft, heißt es in dem Bericht. Hochauflösende Bilder lieferten zudem »Partnerdienste«, zum Beispiel aus den USA. Nicht zuletzt die Spannungen infolge der Snowden-Enthüllungen 2013 haben die traditionell engen Bindungen des BND an die US-Geheimdienstbehörde NSA in jüngster Zeit deutlich gelockert. Bereits im vergangenen Jahr wurden die Kooperationen mit dem in Fort Meade (Maryland) ansässigen Nachrichtendienst stark reduziert – und etwa in der NSA-Satellitenabhörstation im bayerischen Bad Aibling ganz eingestellt. Bereits im Jahr 2010 hatte die Bundesregierung die Gespräche mit Washington über ein gemeinsames Satellitenverbundsystem »Hiros« beendet, dessen Hauptnutznießer der BND gewesen wäre. Der Bundesnachrichtendienst verspricht sich von einer eigenen Satellitentechnik, besser als bisher »Konfliktregionen« wie die Ukraine oder mutmaßliche Standorte zur Produktion von Massenvernichtungswaffen überwachen zu können, wie es weiter hieß. Bisher seien solche Vorstöße am Kanzleramt gescheitert, das keine Finanzmittel zu Verfügung stellen wollte. In den vergangenen Monaten habe sich innerhalb der Bundesregierung eine Trendwende zugunsten der Sicherheitsbehörden abgezeichnet. Der BND soll neben dem Satelliten auch mehr als 400 neue Personalstellen erhalten. Gute Voraussetzungen also, um global »Führung« zu übernehmen. (mit Agenturen) Angriff auf deutsches Konsulat Afghanistan: Gefechte zwischen Taliban und NATO-Soldaten in Masar-i-Scharif I n Afghanistan haben die Taliban in der Nacht zum Freitag das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif attackiert. Mindestens sechs Menschen wurden getötet und fast 130 weitere verletzt, wie die afghanischen Behörden mitteilten. Bei allen Opfern soll es sich um Afghanen gehandelt haben. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einem Angriff »schwerbewaffneter Terroristen«. Zunächst hatte am Donnerstag abend laut Polizei ein Attentäter einen mit Sprengstoff beladenen Last- wagen gegen die Mauer des Konsulats gelenkt und damit eine schwere Explosion ausgelöst. Anschließend lieferten sich nach Angaben Steinmeiers bewaffnete Angreifer auf dem Gelände und im Gebäude des Generalkonsulats Kämpfe mit dem Sicherheitspersonal des Konsulats sowie NATO-Soldaten. Obwohl sie offenkundig selbst zivile Opfer in Kauf nahmen, bezeichneten die Taliban ihren Angriff als Vergeltung für einen NATO-Luftangriff in der Provinz Kundus, bei dem am 3. November mehr als 30 Menschen getötet worden waren, unter ihnen viele Kinder und Frauen. Der Vorfall hatte international Empörung ausgelöst, in Kundus und anderen Teilen Afghanistans gingen Tausende Menschen aus Protest gegen die ausländischen Truppen auf die Straße. Die Bundeswehr war nach Angaben des Verteidigungsministeriums nicht an dem Angriff beteiligt. Die Taliban werfen den Deutschen dagegen vor, das Bombardement durch geheimdienstliche Informationen unterstützt zu haben. Die USA haben bis zum Herbst 2016 laut Medien um die 700 Luftangriffe auf Stellungen der Taliban sowie der Terrormiliz IS geflogen. Dabei nahmen sie viele zivile Opfer in Kauf. Am Freitag morgen erschossen deutsche Soldaten zwei Motorradfahrer, die sich nach Angaben der Bundeswehr dem Anschlagsort näherten und nicht auf Aufforderungen zum Halt reagierten. Ein dritter Mann wurde verletzt ins Krankenhaus gebracht. (AFP/dpa/jW) Parteitag der Grünen in Münster BERND THISSEN/DPA-BILDFUNK A uf einmal muss alles ganz schnell gehen: Nach dem Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentenwahlen mehren sich in Berlin und Brüssel die Stimmen, die nun die Chance für einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen und für eine »Emanzipation« von Washington gekommen sehen. »Europa muss sich darauf einstellen, dass es besser selber vorsorgt«, kommentierte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit Blick auf die Militärpolitik den anstehenden Wechsel im Weißen Haus. Man wolle den USA künftig auf »Augenhöhe« begegnen, so der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer am Donnerstag, und EU-Kommissar Günther Oettinger sekundierte ihm: Europa müsse »erwachsen werden«. Unter deutscher Vorherrschaft, wohlverstanden. Die Pläne dafür, wie Berlin künftig im Weltmaßstab auch mili- Münster. Mit einem Parteitag nehmen die Grünen Kurs auf das Bundestagswahljahr 2017. Zum Auftakt der dreitätigen Beratungen in Münster ging es am Freitag um die Europapolitik. Am heutigen Samstag dürfte vor allem über höhere Steuern für Reiche gestritten werden. Am Sonntag wird der Vorstandschef des Autobauers Daimler, Dieter Zetsche, als Redner erwartet. Im Leitantrag des Bundesvorstandes werben die Grünen für eine sozialere und gerechtere EU. Ein Zukunftsfonds für eine ökologische Modernisierung solle unter anderem durch einen »europäischen Steuerpakt« finanziert werden. Bei der Bundestagswahl 2013 hatte die Partei 8,4 Prozent der Stimmen bekommen. (AFP/dpa/jW) Siehe Seite 8 wird herausgegeben von 1.909 Genossinnen und Genossen (Stand 10.11.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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