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POLITIK / KOMMENTAR
Auf nach Incirlik ...
und darüber hinaus
(SB) ­ Mit der Bagdad-Bahn hat
das vor hundert Jahren nicht so
recht geklappt, um so wichtiger
nun, den Stiefel in der Tür zu den
Blutflüssen zu halten, die den Nahen und Mittleren Osten durchströmen. Einmal dort angekommen mit einem kleinen Expeditionskorps soll die Bundeswehr
bleiben, wo sie ihre Container
aufgestellt hat und ihre Jets starten läßt. Schon Ex-Kanzler
Schröder wußte die tiefen Abdrücke, die die Wehrmachtstiefel
in ganz Europa hinterließen, in
Wegmarkierungen für weitere
Marschbefehle ... (Seite 3)
Elektronische Zeitung Schattenblick
Freitag, 11. November 2016
Ägypten in der Krise - Bald Hungerrevolte am Nil?
Lebensmittelknappheit und Wirtschaftsreformen
lösen Widerstand aus
In
Ägypten verschärft sich die gesellschaftliche Krise zusehends.
Fünfeinhalb Jahre nach dem
durch Massenproteste erzwungenen Rücktritt Hosni Mubaraks
und etwas mehr als drei Jahre
nach dem Militärputsch gegen
den ersten demokratisch gewählten Präsidenten, Mohammed
Mursi von der Moslembruderschaft, befindet sich die Wirtschaft des mit 87 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten
Lands der arabischen Welt weiterhin auf Talfahrt. Die Regierung
um Diktator General Abdel Fattah
Al Sisi hat sich bislang trotz des
_____INHALT____
Baus einer zweiten Fahrrinne für
1 POLITIK - REDAKTION:
den Suezkanal als unfähig erwieÄgypten in der Krise - Bald
sen, den ökonomischen AufHungerrevolte am Nil?
schwung und die Stabilität, wel3 POLITIK - KOMMENTAR:
Auf nach Incirlik ... und darüber hinaus che sie beim blutigen Sturz Mur4 POLITIK - KOMMENTAR:
sis versprochen hatte, herbeizuTrump sei Dank - Schmierseife
führen. Das Gegenteil ist der Fall.
deutscher Aufrüstung
Mit seinem jüngsten Fehltritt hat
6 POLITIK - AUSLAND:
Nach Trump-Sieg - Mexiko propagiert Kairo die Saudis mächtig verärGelassenheit (poonal)
gert und dies ungeachtet der Tat7 POLITIK - SOZIALES:
sache, daß seit drei Jahren Riads
Nicaragua - Behörden versuchen, Zahl Finanzhilfe Ägypten praktisch
der Frauenmorde herunterzuspielen
über Wasser hält. Seit einiger Zeit
(poonal)
mischen sich Ägypter unter die
8 SPORT - BOXEN:
100 Millionen Chinesen sahen den
Wirtschaftsmigranten und politiAuftritt ihres Idols
schen Flüchtlinge, die per Boot
10 SCHACH-SPHINX:
von Nordafrika nach Europa zu
Einkehr in die Einsiedelei
gelangen versuchen. Verbessern
10 DIENSTE - WETTER:
sich die Verhältnisse am Nil nicht
Und morgen, den 11. November 2016
(SB) 10. November 2016 ­
bald, dürfte die Fluchtbewegung
aus Ägypten erheblich zunehmen.
Derzeit verhandelt die Sisi-Regierung mit dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) über die
Gewährung eines 12 Millionen
Dollar schweren Kredits. Dafür
soll Kairo eine Reihe von "Reformen", darunter die Privatisierung
staatlicher Betriebe, die Reduzierung der Steuerlast für Unternehmen sowie die allmähliche Streichung aller staatlichen Subventionen für Grundnahrungsmitteln,
durchführen. Insbesondere die
letztgenannte Auflage dürfte die
vielen Armen schwer treffen und
deshalb Massenproteste auslösen.
Vor dem Hintergrund der schleichenden Umsetzung der Reformen sind Hamsterkäufe im vollem Gange. Ende Oktober haben
Regierungsbeamte vom Ministerium für öffentliche Versorgung
rund 9000 Tonnen Zucker bei den
Lebensmittelherstellern Pepsi
und Edita beschlagnahmt, um den
Süßstoff in Kairo und Alexandria
auf den unterversorgten Markt zu
bringen. Am 1. November hat die
Armee begonnen, 8 Millionen
Portionen Grundnahrungsmittel
an Arme zu verteilen bzw. zum
halben Preis zu verkaufen. Jede
Kiste, in der sich eine Familien-
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portion Pasta, Reis, Zucker und
Speisefett befindet, trägt die Aufschrift "Lang lebe Ägypten", als
könnte der Patriotismus helfen,
die Notleidenden über ihre erbärmliche Lebenssituation hinwegzutäuschen.
Am 3. November hat die Zentralbank in Kairo in Absprache mit
dem IWF in Washington das
ägyptische Pfund um 40 Prozent
abgewertet, sich vom bisher festen Wechselverhältnis verabschiedet und den Kurs der Landeswährung den internationalen
Finanzmärkten überlassen. Dies
wird ägyptische Exporte billiger
und Ägypten für ausländische
Touristen attraktiver machen, jedoch die Preise für Importe in die
Höhe schießen lassen. Das Problem der Lebensmittelknappheit
bzw. der steigenden Preise für
Grundnahrungsmittel und ausländische Medikamente wird sich
weiter verschärfen. Die Entwertung des ägyptischen Pfunds
könnte auch zu einer schweren Inflation führen, welche die Bankguthaben einfacher Bürger auffrißt. Wegen zunehmender Not
und Verzweiflung hat die bisher
unbekannte Bewegung Ghalaba
(Bewegung der Ausgestoßenen)
auf Facebook zu landesweiten
Protesten am 11. November aufgerufen. Auch wenn die Sisi-Diktatur die kommenden Demonstrationen, hinter denen sie "ausländische Kräfte" vermutet, mit harter
Hand niederschlagen sollte, könnte man es hier mit den Vorläufern
einer Entwicklung zu tun haben,
die mittelfristig der Kontrolle jeglicher Militärgewalt entgleitet.
Wie sich die Generäle in Kairo
angesichts dieses beunruhigenden
Panoramas einen Zwist mit ihrem
bisherigen finanziellen LebensSeite 2
retter Saudi-Arabien leisten können, ist ein Rätsel. Offenbar gehen Sisi und Konsorten davon
aus, daß Ägypten zu wichtig ist,
als daß Saudi-Arabien es jemals
wagen würde, das Land am Nil
dem wirtschaftlichen Kollaps zu
überlassen. Sie könnten sich täuschen. In Riad ist man seit Monaten darüber verärgert, daß sich das
mehrheitlich sunnitische Ägypten
nicht stärker an der Militärintervention zur Niederschlagung des
schiitischen Huthi-Aufstands im
Jemen beteiligt hat. Ägypten verfügt über die größten Landstreitkräfte der arabischen Welt, nimmt
aber an der seit März 2015 laufenden Jemen-Operation lediglich
mit einigen Kriegsschiffen teil.
Deshalb ist Kairo aus Sicht Riads
dafür mitverantwortlich, daß die
Bodentruppen Saudi-Arabiens
und dessen Verbündeten vom Persischen Golf im Jemen seit über
einem Jahr quasi im Sand
steckenbeiben und den erwünschten Erfolg auf dem Schlachtfeld
nicht einfahren können.
Statt sich an Saudi-Arabiens Jemen-Feldzug gegen die pro-iranischen Huthis zu beteiligen, nähert
sich Ägypten Rußland an. Kairo
und Moskau verhandeln über die
Stationierung russischer Streitkräfte an der ägyptischen Mittelmeerküste. Ihre beiden Armeen haben
in den letzten Monaten gemeinsam
Manöver durchgeführt. Gleichzeitig unterstützt Ägypten diplomatisch das militärische Eingreifen
Rußlands in den Krieg in Syrien,
wo sich die Streitkräfte Bashar Al
Assads seit fünf Jahren mit einer
wesentlich von Saudi-Arabien,
Katar, der Türkei und den USA unterstützten Rebellion sunnitischer
Dschihadisten konfrontiert sehen.
Bei den internationalen Verhandlungen Ende Oktober in Lausanne
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über einen Ausweg aus der Syrienkrise hatte der Iran auf eine Teilnahme Ägyptens - sozusagen als
Gegengewicht zu den sunnitischen
Förderstaaten der Gotteskrieger erfolgreich beharrt.
Für Riad war es vor allem die
Entscheidung Kairos, Anfang
Oktober im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen eine SyrienResolution Rußlands zu unterstützen, die das Faß zum Überlaufen brachte. Daraufhin hat die
staatliche saudische Ölgesellschaft Aramco die 2014 mit
Ägypten beschlossene Lieferung
von 700.000 Tonnen Öl monatlich
für die nächsten fünf Jahren ohne
Erklärung bis auf weiteres ausgesetzt. Dieser Aspekt des 23 Milliarden Dollar schweren Hilfspakets war besonders günstig, weil
Ägypten eine Frist von 15 Jahren
zur Abzahlung der Lieferung eingeräumt worden war. Nun ist der
ägyptische Ölminister Tarek El
Molla seit Wochen unterwegs, um
Treibstoff aus anderen Quellen zu
halbwegs ähnlich günstigen Bedingungen zu akquirieren. Als
mögliche Lieferanten sind Rußland, Kuwait und der Irak im Gespräch. Bei einem Besuch El
Mollas in Bagdad Ende Oktober
wurde Ägyptens Energiekonzernen angeblich die Möglichkeit eröffnet, in die Erschließung und
den Betrieb von zwölf irakischen
Ölfeldern zu investieren.
Für die Entfremdung zwischen
Kairo und Riad sowie die anhaltende Instabilität Ägyptens - sowie übrigens auch für das Chaos
in Syrien und im Jemen - hat
Nahost-Experte David Hearst in
einem aufschlußreichen Artikel,
der am 2. November bei der Onlinezeitung Middle East Eye unter der Überschrift "Saudi Arabia
Fr, 11. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
reaps what it has sowed", (SaudiArabien sät, was es erntet") erschienen ist, die Saudis als Hauptverantwortliche ausgemacht.
Hearst berichtete von einem erstaunlichen Angebot, das Mohammed Mursi bei seinem ersten Auslandsbesuch als ägyptischer Präsident den Machthabern in Riad gemacht hatte. Der Chef der Moslembruderschaft regte an, daß die
Saudis und seine Organisation ihre langjährige Feindschaft endlich
begraben sollten. Mursi schlug ei-
ne regelrechte Allianz vor, derzufolge die Moslembruderschaft formal die Rolle der Saudis als Hüter
der heiligen Städte Mekka und
Medina anerkennen sollte, wofür
Riad im Gegenzug nicht länger
den gemäßigten politischen Islam
bekämpfen sollte. Kairo wollte
Saudi-Arabien politisch und militärisch unterstützen, während Riad
Ägypten helfen sollte, finanziell
und wirtschaftlich wieder auf die
Beine zu kommen. Nach Meinung
Hearsts hätten sich viele der heu-
tigen Probleme im Nahen Osten
nicht so manifestiert, wäre die
saudische Königsfamilie auf den
vernünftigen Vorschlag Mursis
eingegangen. Doch statt dessen
haben sie Al Sisi dazu angestiftet,
das Kriegsrecht zu verhängen und
die junge ägyptische Demokratie
zu zerschlagen.
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/redakt/
nhst1495.html
POLITIK / KOMMENTAR / KRIEG
Auf nach Incirlik ... und darüber hinaus
(SB) 10. November 2016 ­ Mit der
Bagdad-Bahn hat das vor hundert
Jahren nicht so recht geklappt, um
so wichtiger nun, den Stiefel in
der Tür zu den Blutflüssen zu halten, die den Nahen und Mittleren
Osten durchströmen. Einmal dort
angekommen mit einem kleinen
Expeditionskorps soll die Bundeswehr bleiben, wo sie ihre Container aufgestellt hat und ihre Jets
starten läßt. Schon Ex-Kanzler
Schröder wußte die tiefen Abdrücke, die die Wehrmachtstiefel
in ganz Europa hinterließen, in
Wegmarkierungen für weitere
Marschbefehle umzuwidmen.
Das alte Unrecht zu vergelten mit
neuer deutscher Gerechtigkeit die Jugoslawen wissen ein Lied
davon zu singen, immer wieder
heimgesucht zu werden von besten Absichten wie jener, sie endlich aus ihrem "Völkergefängnis"
zu befreien. So zivil der Sound
der Militärsender - einst großdeutsche Marschmusik, heute
Fr, 11. November 2016
locker-leichter Pop - im Feldlage
im Kosovo tönt, so blieb die Wirkung der tödlichen Botschaft, ob
Splitter- oder Streubomben, ob
Panzergranate oder Lenkwaffe,
für die daran vergehenden Adressaten doch identisch.
Also eilt Schröders einstiger Adlatus, der es nie an effizienter
Ausführung sozialdemokratischer
Willkür mangeln ließ und wohlgewählte Worte dafür fand, einen
Murat Kurnaz auch weiterhin den
Guantanomo-Schergen zu überlassen, zum Sultan von Ankara,
um gemeinsam gute Miene zum
bösen Spiel zu machen. Man steht
sich nahe, und warum auch nicht?
Einen Erdogan, der die Wiedererlangung osmanischer Größe am
Grabe des Staatsgründers Kemal
Atatürk mit den Worten predigt,
die Türken seien keine keine Gefangenen auf dem Territorium ihres Staates, sondern müßten ihren
Einfluß weit über dessen Grenzen
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hinaus geltend machen, können
deutsche Politiker vielleicht auch
deshalb gut verstehen, weil ihr
Griff nach neuem "Lebensraum"
immer wieder schmählich scheiterte.
Und ohnehin, einen solchen
Machtmenschen verprellt man
nicht. Ist das große Schlachten im
Nordirak erst einmal beendet und
drängt das versickerte Blut der
Kurdinnen und Kurden, der Yezidinnen und Yeziden, als schwarze
Ölfontäne wieder an die Oberfläche, dann zahlt sich eine Waffenbruderschaft, der auch das grausame Regime des neoosmanischen Herrschers keinen Abbruch
tut, in Euro und Cent aus. Keine
Waffenlieferungen in Spannungsgebiete wie die Türkei? Das wußte schon der selige Strauß kurz
und bündig mit der Gegenfrage zu
kontern: Wohin denn sonst? Und
was Freiheit und Demokratie betrifft, so darf Deutschland nicht
Seite 3
Elektronische Zeitung Schattenblick
säumig sein, wenn überall auf der Die 445 Abgeordneten des DeutWelt die Messer für finale Vertei- schen Bundestages, die heute für
lungskämpfe gewetzt werden.
die Verlängerung des Mandates der
Bundeswehr aufdem LuftwaffenEinen Steinmeier jedenfalls können stützpunkt Incirlik stimmten, sind
die Gefangenen in den Kerkern, die sich einig darin, deutschen Interesdort hineingeworfen werden, weil sen überall dort zu verteidigen, wo
sie an falscher Stelle ein falsches sie bedroht sind. Sie pflichten dem
Wort sagten, nicht schrecken. Auch SPD-Abgeordneten Annen - er soll
in Deutschland müssen Türken und dem linken Flügel der Partei angeKurden, die dem Regime Erdogans hören - gerne bei, wenn er behaupwiderstehen, Verfolgung und Haft tet, dies sei kein "Einsatz" für die
fürchten, und das ohne wirklichen die Türkei oder Erdogan, sondern
Handlungsbedarf. Der Generalbun- gegen den internationalen Terrorisdesanwalt, für Fälle nach dem Ge- mus. Es gibt noch Menschen, die
sinnungsstrafrecht 129 a und b stets sich erinnern können, was einst die
zuständig, wurde gegen türkische Aufgabe deutscher Einsatzgruppen
Kommunisten, deren Partei nur in war. Doch die werden immer weder Türkei verboten und sonst auf niger, und die, denen keine historikeiner Terrorliste verzeichnet ist, sche Amnesie verordnet werden
aufGrundlage einer Verfolgungser- muß, weil alle Synapsen besetzt
mächtigung tätig, die das Bundes- sind von der Erregung der Vorjustizministerium nur erteilt, wenn kriegbegeisterung, marschieren
es außenpolitisch opportun ist.
leichten Fußes über ihre Gräber.
Es ist erklärte Absicht der Kanzlerin eines von "Freunden" umgebenen Landes, das nationale Kriegsbudget auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also von derzeit 33,4 auf rund 60 Milliarden
Euro, zu erhöhen. Deutsches Hegemonialstreben steht wieder hoch
im Kurs, und das um so mehr, als
der neue US-Präsident fordert, daß
die Europäer endlich selbst für ihren militärischen Schutz sorgen
sollen. Da kann das weinende Auge der Verteidigungsministerin
noch so viele Krokodilstränen um
seinen Wahlsieg vergießen, sein
lachender Konterpart sieht nur
Chancen darin, endlich selbst Frau
im Hause des Führungskommandos der Bundeswehr zu sein.
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/kommen/
volk1668.html
POLITIK / KOMMENTAR / KRIEG
Trump sei Dank - Schmierseife deutscher Aufrüstung
Unverhohlener hätten die hegemonialen Ambitionen deutscher
Eliten kaum plaziert werden
können. Bezeichnenderweise
war es Ursula von der Leyen, die
sich als erstes Mitglied der Bundesregierung zu Donald Trumps
Wahlerfolg geäußert hat. Die
Verteidigungsministerin zeigte
sich "schwer schockiert", erwartet große Herausforderungen
und kündigt den Europäern an,
sie müßten sich "jetzt mit den
Realitäten auseinandersetzen".
[1] "Auch wir Europäer wissen
natürlich als Bündnispartner in
(SB) 10. November 2016 ­
Seite 4
der Nato, dass Donald Trump als
Präsident fragen wird, was leistet Ihr im Bündnis", sagte die
CDU-Politikerin in der ARD.
"Aber auch wir fragen, wie steht
Ihr zum Bündnis?" [2] Dabei ist
die Rhetorik des republikanischen Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf, die Europäer müßten künftig mehr für ihre
Sicherheit tun, Wasser auf die
Mühlen langgehegter strategischer Entwürfe, Deutschlands
ökonomische, politische und zunehmend auch militärische Führerschaft weit über die europäische Sphäre hinaus geltend zu
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machen. So räumt die Ministerin denn auch unverblümt ein, es
habe sich unabhängig vom
Wahlausgang in den USA bereits eine größere Eigenverantwortung in der Sicherheitspolitik abgezeichnet. "Europa muss
sich darauf einstellen, dass es
besser selber vorsorgt", sagte
von der Leyen. Dazu gehöre
auch ein höheres Verteidigungsbudget.
Nachdem die Verteidigungsministerin das Signal gesetzt hatte,
man werde die ohnehin geplante Aufrüstung nun um so energiFr, 11. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
scher vorantreiben, hob die
Kanzlerin zu einem bemerkenswert fordernden Rundumschlag
an. Sie brauchte nicht mehr als
120 Sekunden, um dem nächsten US-Präsidenten einen
Schulterschluß anzubieten, der
unübersehbar von selbstbewußt
formulierten deutschen Interessen geprägt ist. "Wer dieses
große Land regiert, mit seiner
gewaltigen wirtschaftlichen
Stärke, seinem militärischen Potenzial, seiner kulturellen Prägekraft, der trägt Verantwortung,
die beinahe überall auf der Welt
zu spüren ist", nahm Merkel den
künftigen Herrn im Weißen
Haus in die Pflicht. Dann erinnerte sie Trump an die Grundwerte "Demokratie, Freiheit,
den Respekt vor dem Recht und
der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe,
Religion, Geschlecht, sexueller
Orientierung oder politischer
Einstellung", womit sie dem
Amtsnachfolger Obamas klarmachte, daß er das ideologische
Arsenal interventionistischer
Vorherrschaft nicht leichtfertig
entlarven dürfe. "Auf der Basis
dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an", [3] unterstrich
die Kanzlerin, welch prägende
Rolle deutsche Regierungspolitik im westlichen Bündnis für
sich reklamiert.
Der scheidende Bundespräsident
Joachim Gauck ist natürlich mit
im Boot, wenn zur Offensive auf
großer Bühne geblasen wird. Er
beschwört die enge Verbindung
zu den USA, stellt den Bundesbürgern aber zugleich heftige
Turbulenzen in Aussicht, die erfolgreich abzuwettern nur auf eiFr, 11. November 2016
ne Weise möglich sei: "Ich gehe
davon aus, dass Europa zur Bewahrung und zur Verteidigung
seiner universellen Werte doch
mehr Verantwortung übernehmen
wird." Außenminister FrankWalter Steinmeier, dem (noch)
nicht der pastorale Segen, wohl
aber die diplomatische Grob- und
Feinabstimmung des deutschen
Kurshaltens in schwerer See obliegt, spart nicht mit Schelte an
die Adresse des vermeintlichen
Laiendarstellers in Sachen kühltechnokratischen Strippenziehens: "Ich will nichts schön reden. Nichts wird einfacher, vieles
wird schwieriger", so Steinmeier.
Die US-Außenpolitik werde "für
uns in der nächsten Zeit weniger
vorhersehbar sein".
Schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 hatte der
deutsche Außenminister imperialistischen Klartext geredet:
"Deutschland muss bereit sein,
sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und
substanzieller einzubringen." Es
sei schlicht "zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu
kommentieren". [4] Wie im Strategiepapier "Neue Macht. Neue
Verantwortung" (2013) und im
"Weißbuch zur Sicherheitspolitik
und zur Zukunft der Bundeswehr"
(2016) nachzulesen ist, sollen
deutsche Interessen Zug um Zug
die Lücken in Afrika wie auch im
Nahen und Mittleren Osten
schließen, die der tendenzielle
Rückzug der USA hinterläßt, die
sich im pazifischen Raum auf die
Einkesselung Chinas konzentrieren. Der angestrebte Aufstieg
zum neuen Hegemon im europäischen Umfeld, der unvermeidlich
auf eine Konfrontation mit Rußland hinausläuft, ist für hiesige
Herrschaftsinteressen ein höchst
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komplexer und schwer auszusteuernder Vorgang. Zum einen
soll die Wachablösung möglichst
nahtlos vorangetrieben werden,
zum anderen sorgen partielle,
aber an Schärfe zunehmende Interessenkonflikte mit Washington
für Unwuchten, die das ambitionierte Berliner Vorhaben des öfteren schlingern lassen und aus
der Bahn zu werfen drohen. Derzeit gleicht die Bundesrepublik
einem Juniorpartner der USA, der
jedoch eigenständige Absichten
verfolgt und aus dem Windschatten heraustritt. Weder darf die
US-Politik in dieser kritischen
Phase des Übergangs unvermittelt
umsteuern, noch die deutsche Expansion mit Widerständen konfrontiert werden, die ihre aktuellen Potentiale überfordern.
Im Vorfeld des Urnengangs in
den USA hatte die regierungsnahe deutsche Denkfabrik
"Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) unter dem Titel
"Auch ohne Trump wird vieles
anders" eine aggressivere deutsche und europäische Außenpolitik gefordert, die bereit ist, ihre ökonomischen und geopolitischen Ziele unabhängig von den
USA und notfalls auch gegen sie
durchzusetzen, und dies unabhängig vom Ausgang der Wahl.
Auch das unterstreicht, daß der
Ruf nach militärischer Eigenständigkeit keineswegs erst in
Reaktion auf den Erfolg Donald
Trumps laut geworden ist, sondern sich des extremen Spektakels bedient, um der ideologischen und materiellen Aufrüstung die Sporen zu geben. Die
Fokussierung auf den beispiellosen Wahlkampf und die weitverbreitete Weltuntergangsstimmung nach dem zuletzt unerwarteten Sieg des RepublikaSeite 5
Elektronische Zeitung Schattenblick
ners machen die Forderung
leichtgängiger denn je, die
deutsche Militarisierung müsse
forsch vorangetrieben werden,
da man sich auf niemanden
mehr verlassen könne.
Angesichts der Historie deutschen
Großmachstrebens und einer sozial drangsalierten Bevölkerung
war die seit langem angestrebte
Aufstockung militärischer Potentiale bislang ein heißes Eisen, das
eines sukzessiven Schmiedevorgangs bedurfte. Mit 1,19 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
liegt der Rüstungsetat der Bundesrepublik deutlich unter dem
NATO-Limit von zwei Prozent,
das 2002 festgelegt worden war.
Noch gibt London in Relation
zum BIP doppelt und Washington
dreimal soviel für seine in Stellung gebrachte und exekutierte
Kriegsführung aus. Das soll nun
anders werden, was sich Trump
sei Dank beflügeln lassen dürfte.
Anmerkungen:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/us-wahl-2016ursula-von-der-leyen-istschwer-schockiert-uebertrumps-erfolg-a-1120421.html
[2] http://www.n24.de/n24/
Nachrichten/Politik/d/9400390/
fuer-von-der-leyen-ein--schwerer-schock-.html
[3] ww.stern.de/news/merkelbietet-trump-zusammenarbeitanund-mahnt-zur-achtung-vongrundwerten-7142322.html
[4] https://www.wsws.org/de/
articles/2016/11/09/milin09.html
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/kommen/
volk1667.html
Seite 6
poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Mexiko / USA
Nach Trump-Sieg: Mexiko propagiert Gelassenheit
Von Gerold Schmidt
(Mexiko­Stadt, 9. November 2016,
npl) - Sprachlosigkeit. Damit ist
die erste Reaktion der politischen und wirtschaftlichen Eliten Mexikos auf den Wahlsieg
von Donald Trump am besten
bezeichnet. Ein beredtes Zeugnis legte nur die Währung, der
mexikanische Peso, ab. Mit jedem neuen Bundesstaat, den
Trump für sich entschied, stürzte der Peso weiter ab. Zeitweise
um mehr als 13 Prozent, danach
erholte er sich leicht. Mexikos
Präsident Enrique Peña Nieto
verfolgte die US-Wahl mit seiner Außenministerin Claudia
Ruiz Massieu in der Regierungsresidenz, enthielt sich aber
zunächst jeden Kommentars. Im
Gegensatz zu anderen Regierungschefs vermied er offenbar
auch eine umgehende Gratulation an den zukünftigen US-Präsidenten.
Der linke Oppositionspolitiker
Andrés Manuel López Obrador
war der einzige namhafte Politiker, der sich früh aus der
Deckung wagte. Er meldete sich
bereits früh in der Wahlnacht
und rief in einer Videobotschaft
zu "Gelassenheit" auf. Mexiko
bleibe ein souveränes und unabhängiges Land. Von Gelassenheit und dem "Ruhe bewahren"
war ebenso in den unzähligen
mexikanischen Wahlsendungen
in Radio und Fernsehen die Rede. Manchmal hatte es schon
den Charakter eines krampfhafwww.schattenblick.de
ten Mutzusprechens. Alles normal, so die Botschaft. Präsident
Nieto brachte es sogar fertig, am
späten Abend über Twitter ein
Foto über seine Besichtigung
einer neuen Stadtautobahn in
Mexiko City zu veröffentlichen.
Ungläubigkeit und Entsetzen
Vorsichtshalber hat kaum jemand
in Mexiko in den Tagen vor der
Wahl einen Trump-Sieg völlig
ausgeschlossen. Doch als er sich
immer mehr und nach Wahlmännern gerechnet in seiner Deutlichkeit abzeichnete, machten sich in
den Medien Ungläubigkeit und ein
gewisses Entsetzen breit. Zwischenzeitlich gab es sogar Gerüchte über eine Schließung der
mexikanischen Börse am Mittwoch. Auf eine kühle, aber berechenbare Beziehung zu Hillary
Clinton war das Land eingestellt.
Bezüglich Donald Trump wurde in
den zahlreichen Diskussionsrunden in der Wahlnacht immer wieder die Frage gestellt, welche seiner Drohungen gegenüber Mexiko
er in welchem Umfang wahrmachen wird. Eine erweiterte und höhere Mauer, die die Mexikaner*innen "irgendwie" selber bezahlen sollen? Noch mehr Massendeportationen von Mexikaner*innen ohne legalen Aufenthaltsstatus in den USA? Hohe Importzölle für mexikanische Waren
und ein Aufkündigen des NAFTAFreihandelsvertrages? Was bedeuFr, 11. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
tet die massive Trump-Unterstützung durch rechtsgerichtete
Gruppen in den USA für die dort
lebenden Mexikaner*innen?
Welche Ansprechpartner wird
Mexiko in der neuen US-Regierung haben? Werden gemäßigte
Republikaner*innen in der Lage
sein, Trump zu bremsen?
Das mexikanische Finanzministerium beschwörte im Vorfeld
Währungsreserven, eine flexible
Kreditlinie des IWF und einen
Sparhaushalt 2017 als "Panzerung" gegen einen Präsidenten
Trump. Es gebe zudem weitere
Pläne. Die Wirksamkeit dieser
bisher noch nicht detailliert dargestellten Pläne hat der PesoAbsturz bereits mit einem großen
Fragezeichen versehen. Im Laufe des Mittwochs wollten Ministerium und mexikanische Zentralbank an die Öffentlichkeit
gehen. Eine lange Sprachlosigkeit kann sich die Regierung
nach dem Wahlergebnis weder
auf politischem noch ökonomischem Feld leisten. Die Frage ist:
Was nun?
URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/bundespolizei-erschiesst-protestierende-in-oaxaca/
Der Text ist lizenziert unter Creative Commons NamensnennungWeitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Quelle:
*
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/ausland/
pala1640.html
Fr, 11. November 2016
poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer
Nachrichtenagenturen
Nicaragua - Frauenmorde: Behörden versuchen,
Zahlen herunterzuspielen
von Andreas Behn, Rio de Janeiro
des Landes auf nationaler und internationaler Ebene nicht zu gefährden. Die Aktivistinnen schätzen, dass etwa die Hälfte der in
diesem Jahr angezeigten Frauen(Managua, 10. Oktober 2016, ci­ morde nicht zu einer Verurteilung
macnoticias) ­ Anfang Oktober geführt habe; entweder seien die
organisierten Aktivist*innen eine Prozesse noch nicht abgeschlosKundgebung vor dem Obersten sen oder die Täter seien flüchtig.
Gerichtshof in Managua, um Gerechtigkeit für die Opfer von Gewalt gegen Frauen zu fordern. Fast 100 Morde und
Gleichzeitig warfen sie den Be- Mordversuche 2016
hörden vor, Informationen vor der
Presse und vor Menschenrechts- In diesem Jahr wurden nach Anaktivist*innen zurückzuhalten, gaben der Beobachtungsstelle für
wenn eine Frau ermordet werde. Menschenrechte der Organisation
Magali Quintana von der Organi- CDD in Nicaragua bis Ende Sepsation CDD (Católicas por deci- tember 42 Morde sowie 51 Morddir - Katholische Frauen für das versuche an Frauen registriert.
Recht auf freie Entscheidung) er- Zum ersten Mal stimmen die Daklärte, der Staat versuche damit ten des staatlichen Polizeiappadie Gewalt gegen Frauen zu ver- rats mit denen der zivilgeselltuschen, um das geschönte Bild schaftlichen Organisationen
Aktivist*innen protestieren vor
dem Justizgebäude in Managua
gegen Frauenmorde
Bild: © Cimac/Nelson Rodriguez
www.schattenblick.de
Seite 7
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überein, allerdings werden die
Delikte von offizieller Seite nicht
als Frauenmorde geführt. Die ermordeten Frauen waren zwischen
21 und 41 Jahre alt; die meisten
Morde wurden in den beiden autonomen Regionen der Karibikküste begangen, gefolgt von Departamento Jinotega und der
Hauptstadt Managua.
Ana Quiroz vom Informationszentrum und Beratungsdienst für
Gesundheit CISAS (Centro de Información y Servicios de Asesoría en Salud) erklärte: "Mit der
Kundgebung wollten wir den Justizbehörden in Managua klarmachen, dass sie entschlossener vorgehen müssen, dass sie die Rechte der Frauen stärker in den Fokus
rücken und den Schutz der Familien der Opfer ernster nehmen
müssen."
Täter werden nicht
abgeschreckt
ga von der Initiative für sexuelle
Vielfalt erklärte, die LGBTIQCommunity lehne Gewalt gegen
Solange es keine Präzedenzfälle Frauen ab und forderte die Behörmit einer nennenswerten Straf- den auf, Präventivmaßnahmen zum
verfolgung gebe, die die Täter Schutz von Frauen zu ergreifen
abschrecken, seien Frauen und
Kinder in Nicaragua weiterhin URL des Artikels:
von Vergewaltigung, Angriffen https://www.npla.de/poonal/frauenund Mord bedroht, so Quiroz. Sie morde-behoerden-versuchen-zahlenberichtete von einem Fall, in dem herunterzuspielen/
die Behörden behaupteten, es sei Der Text ist lizenziert unter Creative
ihnen nicht gelungen, den Täter Commons Namensnennung-Weiterzu fassen. Daher laufe der Frau- gabe unter gleichen Bedingungen 4.0
enmörder weiterhin frei herum international.
*
und verdiene sein Geld als Brillenverkäufer in den Straßen von Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikaNicaragua, so die Aktivistin.
Nachrichtenagenturen
An der Kundgebung nahmen auch nischer
E-Mail:
LGBTIQ-Aktivist*innen teil. Sie Internet: [email protected]
http://www.npla.de
solidarisierten sich mit den Familien der Opfer und kritisierten die
http://www.schattenblick.de/
Diskriminierung und Gewalt seiinfopool/politik/soziales/
tens der Behörden. Marvin Mayorpsfra651.html
SPORT / BOXEN / MELDUNG
100 Millionen Chinesen sahen den Auftritt ihres Idols
Zou Shiming neuer WBO­Weltmeister im Fliegengewicht
- Wer
ist Zou Shiming? Hierzulande
völlig unbekannt, gilt der neue
WBO-Weltmeister im Fliegengewicht trotz seines Titelgewinns
in Las Vegas auch in den USA als
unbeschriebenes Blatt. Ganz anders in China, wo nahezu 100
Millionen Zuschauer den Auftritt
ihres Helden am Fernsehgerät
verfolgt und gefeiert haben dürften, wie Promoter Bob Arum
schätzt. Er hatte in strategischer
Weitsicht den Kampf um den vakanten Titel im Vorprogramm
(SB) 10. November 2016
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Manny Pacquiaos plaziert und
zum Auftakt der Übertragung im
Pay-TV angeboten, was sich als
weise und einträgliche Entscheidung erwies. Der 35jährige Zou
setzte sich einstimmig nach
Punkten gegen Prasitsak Phaprom durch und wurde damit
erstmals Champion im Profilager. Von den 16 Boxern, die
Arum an diesem Abend in der
Spielerstadt präsentierte, stammten elf nicht aus den USA, wobei
zwei aus China kamen. Damit
trug der 84 Jahre alte Promoter
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dem wachsenden Interesse am
Boxsport in aller Welt und insbesondere in China Rechnung,
das angesichts der ungeheuren
Zahl potentieller Zuschauer
enorme Vermarktungsmöglichkeiten verspricht.
Zou Shiming kann auf eine
überaus erfolgreiche Amateurlaufbahn zurückblicken, gewann er doch Bronze in Athen
(2004) sowie Gold in Beijing
(2008) und London (201 2),
wobei ihn vor allem der OlymFr, 11. November 2016
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piasieg vor heimischem Publikum zum Idol seiner Landsleute aufsteigen ließ. Er gehört
aber nicht nur zu den populärsten Sportlern in China, sondern trat auch in einer beliebten
Reality-Show auf, deren Folgen jeweils etwa 75 Millionen
Zuschauer sahen. In einem
Land von 1 ,4 Milliarden Menschen ist das eine ansehnliche
Quote, aus europäischer oder
US-amerikanischer Perspektive mutet die Zahl natürlich
astronomisch an. Und damit
nicht genug, ist der frischgebackene Profiweltmeister mit
Yingying Ran verheiratet, die
früher eine der bekanntesten
Fernsehmoderatorinnen ihres
Landes war.
Bob Arum dürfte daher den
Mund nicht zu voll nehmen,
wenn er von einem der erfolgreichsten
Amateurboxer
spricht, dem eine großartige
Profikarriere offenstehe. Zou
Shimings Popularität in China
suche ihresgleichen, zumal
Präsident Xi Jinping ein
Boxfan sei und ihn hochschätze. Das will etwas heißen, zieht
man die wechselvolle Vorgeschichte dieses Sports in der
Volksrepublik in betracht. Der
Vorsitzende Mao Zedong hatte
Boxen von den ersten Nationalen Spielen 1 959 ausgeschlossen, nachdem einige Jahre zuvor ein Boxer nach einem
Kampf gestorben war. Es sollte 20 Jahre dauern, bis sich
nach Maos Tod erstmals eine
Wende abzuzeichnen begann,
als Muhammad Ali das Land
1 979 besuchte. Er war damals
der erste ausländische Sportler,
der gemeinsam vom Chinesischen Olympischen Komitee
und dem nationalen SportverFr, 11. November 2016
band eingeladen worden war,
was Alis Bedeutung als Botschafter weit über den Boxsport hinaus unterstreicht. Er
traf dabei auch mit Deng Xiaoping zusammen und brachte
sein Interesse an einer Wiederbelebung des Boxens in China
zum Ausdruck.
Dies war der Auftakt zu einem
Dialog, der mit einem weiteren
Besuch Alis im Jahr 1 985 fortgesetzt wurde. Das Verbot
wurde schließlich 1 986 offiziell aufgehoben, und chinesische Amateurboxer nahmen
1 992 in Barcelona erstmals an
Olympischen Spielen teil. Berücksichtigt man, daß Zou Shiming 2004 die erste Medaille
in einem olympischen Boxturnier für sein Land gewann,
wird die Verehrung verständlich, die ihm in China schon
vor seinem ersten Olympiasieg
zuteil wurde. Li Sheng, der
Präsident des führenden chinesischen Sportvermarkters SECA, bezeichnet Zou zu Recht
als Wegbereiter des Boxens in
seiner Heimat, wo man nach
den Erfolgen im Amateurlager
nun auch seine Profikarriere
mit großem Interesse verfolge.
Um ihn in Las Vegas auf höchstem Niveau zu erleben, seien
erstmals 1 8 chinesische Medien und zahlreiche Fans angereist.
Neben diversen chinesischen
Sponsoren war auch Steve
Wynn mit im Boot, dessen Unternehmen nicht nur ein bekanntes Casino in Las Vegas,
sondern auch Hotels in Macao
betreibt. Als Bob Arum seinen
größten Star Manny Pacquiao
201 3 und 201 4 in Macao auftreten ließ, boxte Zou Shiming
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zwar nur im Vorprogramm, war
aber aus Sicht der einheimischen Journalisten und Zuschauer die eigentliche Zugnummer der Veranstaltung.
Arum, bei dem man vor drei
Jahren angefragt hatte, ob er
die Profikarriere dieses Boxers
als Promoter in die Hand nehmen könne, erkannte sofort,
welche Möglichkeiten sich ihm
da eröffneten. Er brachte seinen Neuzugang mit Freddie
Roach zusammen, der auch
Manny Pacquiao trainiert.
Das hat sich ausgezahlt, konnte Zou Shiming doch seinen
Aufstieg im Profilager mit einem ersten Weltmeistergürtel
krönen, dem weitere folgen
sollen. Kein Wunder, daß
Arum und Wynn strahlten und
einander mehrfach auf die
Schulter klopften, nachdem der
Chinese zum neuen Champion
ausgerufen worden war. Die
Zukunft des Boxsports in China sei überwältigend, denn dort
träfen eine riesengroße Bevölkerung und sehr viel Geld in
Händen von Unternehmern nun
auch mit einem rasant wachsenden Interesse zusammen,
diesen Sport im Fernsehen wie
auch im Internet zu sehen, so
Arum. [1 ]
Anmerkung:
[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17999768/thefuture-boxing-china-very-brightbegins-zou-shiming
http://www.schattenblick.de/
infopool/sport/boxen/
sbxm2065.html
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Elektronische Zeitung Schattenblick
SCHACH UND SPIELE / SCHACH / SCHACH-SPHINX
Einkehr in die Einsiedelei
In der Regel ziehen sich der
Weltmeister und sein Herausforderer
vor dem entscheidenden Kampf um
die Krone der Schachwelt aus allen
Turnieren zurück. Wie Maulwürfe
vergraben sie sich dann in ihren Gängen und Überlegungen, planen Hinterhalte oder schaffen sumpfiges Neuland, darin der andere versinken soll.
Viktor Kortschnoj brach diese Observanz, indem er vor seinem Titelkampf
in Meran gegen Anatoli Karpow vagabundierend durch die Welt zog, leider aber auch seine schöpferische
Kraft verpulverte. Zu spät erkannte
Kortschnoj den Nutzen der Einkehr in
die Einsiedelei vor großen Ereignissen. Als das Medienspektakel in Meran vom Stapel lief, sah man einen
willensschwachen Herausforderer.
Bis zur achten Partie verlor Kortschnoj dreimal bei nur einem einzigen
lich an ihm. Im heutigen Rätsel der
Sphinx hatte Karpow zuletzt 1...Dd7b5 gespielt, worauf Kortschnoj, weil
Db5-e2 drohte, mit 2.Td1-d2 erwiderte, was erzwungen war, aber zwingend zum Sieg führte auch Karpows
Antwort darauf, Wanderer.
(SB) ­
IMPRESSUM
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3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41,
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ISSN 2190-6963
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
Kortschnoj - Karpow
Meran 1981
Sieg. Wie verbraucht er an Ideen und
Kampfstärke war, bewies insbesondere die neunte Wettkampfpartie, die der
Exilrusse mit einem solchen Grad an
Planlosigkeit spielte, daß seine Großmeisterkollegen vor Ort nur fassungslos die Köpfe schütteln konnten. Kortschnojs Abwege rächten sich fürchter-
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 12. November 2015
+++ Vorhersage für den 12.11.2015 bis zum 13.11.2015 +++
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Schiffers brauchte auf den Materialgewinn mittels 1.Tb7xe7 Dd5-d4+
2.Kg1-f1 Dd4-a1+ 2.De2-e1 Da1xa6
einzugehen. Seine Freibauern waren
der bequemere Weg zum Sieg. Zunächst mußten also die Damen vom
Brett: 1.De2-c4! Dd5xc4 2.Sd6xc4
Tf8-a8 3.a6-a7 Le7-d8 4.e5-e6 und
Pillsbury gab auf, denn nach 4...Kg8f8 hätte 5.e6-e7+ Ld8xe7 6.Tb7-b8+
die Partie entschieden.
Wolkenhimmel, Sonnenschein,
Sturmgebraus und Blätterrauschen,
Jean-Luc, der schläft wieder ein,
um im Traum dem Wind zu lauschen.
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Fr, 11. November 2016