SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben LORD KRISHNA UND DIE WITWEN IN DER INDISCHEN PILGERSTADT VRINDAVAN PULSIEREN GLAUBE UND ARMUT VON ØLE SCHMIDT SENDUNG 09.10.2016 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Atmo-Collage Nach 25 Sekunden leise unterlegen Markante Atmos, die später einzeln im Stück auftauchen. Erzähler Eigentlich ist Vrindavan eine verschlafene, kleine Stadt im Norden Indiens. Die Felder sind weitläufig und fruchtbar, die Menschen betreiben Ackerbau und Viehzucht, ruhig ist es und beschaulich. Bis eines Tages ein Kuhhirte das Leben in Vrindavan auf den Kopf gestellt hat, andere sagen: den Himmel auf die Erde geholt hat. Der junge Kuhhirte trug stets eine Pfauenfeder im Haar und er spielte Bambusflöte, sein Name war Krishna. Ihm zu Ehren verwandelt sich das kleine, verschlafene Vrindavan zu Sonnenuntergang, wenn es Zeit für den Gottesdienst wird, in ein spirituelles Tollhaus. Abertausende Pilger aus der ganzen Welt und verstoßene Witwen aus ganz Indien feiern den Kuhhirten dann als Lord Krishna, als eine der wichtigsten Gottheiten im Hinduismus. Atmo Hört hier auf Erzähler Und die Witwen in Vrindavan, sie erzählen sich, dass Krishna mit seiner Geliebten Radha noch immer abends unter dem Mondschein am Ufer des Yamuna spazieren geht. Wer genau hinhört, so sagen sie, kann von fern sein Flötenspiel hören. Atmo Steht kurz alleine, dann leise unterlegen Witwen sprechen und scherzen, Geschirr klappert. O-Ton Witwe Umar Ich bin viele Tage mit dem Zug gefahren, ich war verwirrt und alleine, in Vrindavan bin ich ausgestiegen und herumgeirrt. Die Männer von der Eisenbahnpolizei haben mich dann hier in den Ashram gebracht. Das war vor zwei Monaten. Erzähler Umar hat ein runzeliges Gesicht mit großen Augen, die mittlerweile wieder strahlen. Die achtzigjährige Witwe lebt mit anderen Witwen zusammen in einem Haus, finanziert wird der Ashram von Sulabh International, einer indischen Nichtregierungsorganisation. 2 O-Ton Witwe Umar Wir haben über meinen Stromanschluss gestritten. Meine erwachsenen Söhne leben ein Haus neben mir, und weil sie Geld sparen wollten, haben sie meinen Anschluss angezapft und Strom gestohlen. Als ich sie eines Tages gefragt habe, warum meine Stromrechnung so hoch ist, sind meine Söhne wütend geworden, und haben mich beschimpft und geschlagen. Meine eigenen Kinder haben mich geschlagen... Atmo Noch mal hochziehen, dann leise unterlegen Witwen sprechen und scherzen, Geschirr klappert Erzähler Als Umars Mann starb, war plötzlich alles anders in der Familie. Ihre Söhne behandelten sie schlecht und warfen sie aus der Wohnung. So wie Umar geht es vielen Witwen in Indien. Mit dem Tod ihres Mannes verlieren sie den Schutz des Familienoberhauptes, Schutz vor ihren eigenen Kindern und den Schwieger-eltern. Indische Frauen ziehen nach der Hochzeit traditionell zu ihrem Mann, der meist noch unter dem Dach seiner Eltern lebt. O-Ton Witwe Umar Als meine Söhne mich geschlagen haben, habe ich ihnen gesagt, dass ich zur Polizei gehe und sie anzeige. Selbst das war ihnen egal. Ich war so verzweifelt und zornig, dass ich das Haus mit gerade einmal 1.500 Rupees verlassen habe, und nach Vrindavan gefahren bin. Mit 79 Jahren habe ich das erste Mal in meinem Leben meine Heimatstadt verlassen. Ich habe meine Söhne groß gezogen, sie gefüttert und beschützt. Und dann behandeln sie mich so, schlagen mich. Erzähler Der Ashram von Sulabh International liegt abseits der lärmenden Hauptstraße, seit nunmehr zehn Jahren bietet er 50 Witwen Obdach. Jeweils drei von ihnen teilen sich ein spartanisches Zimmer, auf dem Boden steht ein kleiner Gaskocher, mit ihm bereiten die Witwen ihre Mahlzeiten zu. Es ist einfach hier, aber ein Zuhause, mit Strom sogar und Wasser, und vor allem: mit Familienanschluss. Weil der indische Staat die Witwen alleine lässt, zahlt Sulabh ihnen Essengeld und eine bescheidene Rente. Einmal die Woche schaut eine Ärztin nach ihnen. – Wie jeden Mittag kommen die Frauen in dem großen Raum des Hauses mit Schellen, Trommeln und Glocken zusammen; um zu singen für Krishna, um Erlösung von ihrem weltlichen Leid zu erbitten. 3 Atmo Steht 8 Sekunden alleine, dann leiser unterlegen Die Witwen chanten Erzähler Laut und stickig, arm und beseelt ist das Leben in Vrindavan, dem Pilgerort von Lord Krishna. Die Stadt der 5000 Tempel ist die letzte irdische Station von Witwen aus ganz Indien. Viele von ihnen sind nach dem Tode ihres Ehemannes von der Familie verstoßen worden, weil Witwen nach der Vorstellung vieler Inder Unglück bringen sollen. Sie leben in großer Armut, ohne Obdach, haben Gewalt und Demütigung erfahren; einige sind gerade so mit dem Leben davongekommen. Meist endet an dieser Stelle die Erzählung in westlichen Medien. Dass sie weitergeht, wissen diejenigen, die in die leuchtenden Augen der Witwen geschaut haben beim ekstatischen Singen für Krishna, den spirituellen Wegbegleiter der Witwen in Vrindavan. Atmo Wieder hochziehen, dann leiser unterlegen Die Witwen chanten etwas schneller. Erzähler Als ich das Mikrofon ausschalte, erzählt mir Umar, dass sie nach dem Tode ihres Mannes von ihren Schwiegereltern geschlagen und misshandelt worden ist. Einige Jahre ging das so, bis die Schwiegereltern starben. Eine andere Witwe nickt, nachdem sie lange zugehört hat. Sie sagt, dass der Bruder ihres Mannes sie vergewaltigt hat. Alle in der Familie wussten es, doch niemand hat etwas unternommen. Als sie ihn bei Polizei anzeigen wollte, versuchte der Bruder, sie umzubringen. Im letzten Moment gelang ihr die Flucht. Seitdem lebt sie in diesem Ashram, der Bruder ihres verstorbenen Mannes sitzt im Gefängnis. – »Krishna ist unser Leben«, sagt Umar mit fester Stimme; sagt die Witwe, die sich in Vrindavan auf ihren Tod vorbereitet. Atmo Steht 5 Sekunden frei, dann leiser unterlegen Autos, hupen, schimpfen, irgendwas, Krishna-Gesänge leise. Erzähler Plötzlich streikt der Rikscha-Fahrer. Er deutet auf das heillose Durcheinander vor uns, und stoppt den Motor. »Krishna!«, sagt er beschwörend und schickt ein Stoßgebet gen Himmel. Spuren und Richtungen auf der Hauptstraße haben sich längst aufgelöst, die Situation ist vollkommen außer Kontrolle. Dass ich bereits für die ganze Strecke bezahlt habe, davon will der Fahrer nichts 4 mehr wissen. Nun bin ich auf mich alleine gestellt, auf dem Weg zum großen Krishna-Tempel. Obwohl: ich bin gar nicht alleine, ich bin längst Gefangener eines stetig wachsenden Schwarmes. Ob Schicksal oder Zufall, ein unsichtbares Band verbindet uns. Wir - das sind: schwitzende Menschen, schlafende Kühe und stotternde Rikschas. Blinde Musiker singen hingebungsvoll für Lord Krishna, und rollen ihre trüben Augen dabei. Atmo Hochziehen, steht kurz alleine, dann wieder unterlegen Erzähler Vor dem Tempel dann sitzen Witwen in weißen Saris auf dem staubigen Boden. Den Kopf nach unten gebeugt, fragen sie stumm nach Almosen. Den prunkvollen Tempel mit den goldenen Krishna-Statuen betreten sie nicht. Es steht ihnen nicht frei, in der Öffentlichkeit zu tanzen und zu singen. Atmo Steht 5 Sekunden frei, dann leiser unterlegen Krishna-Gesänge lauter, über Teppich aus Autos, hupen, schimpfen. Erzähler Im Herzen des Tempels wiegen sich die Körper zu der live gespielten Musik. Der festlich geschmückte Raum ist gefüllt mit Krishna–Anhängern aus aller Welt. Sie feiern einen Moment der Selbstvergessenheit, der Hingabe an etwas Größeres. O-Ton Krishna Das Wenn du stirbst, musst du an Krishna denken, dann kannst du in seine Arme zurückkehren. Wenn du aber an jemand anderen denkst, dann wirst du so werden wie der andere. Wenn du von Kindheit an immerzu an Krishna denkst, dann wirst du ihn im Moment deines Todes nicht vergessen. Erzähler Krishna Bhakti Das ist klein und drahtig, und sich seiner Sache ziemlich sicher. Sein Kopf ist rasiert, um die Lenden hat er sich ein Küchentuch gebunden, so wie viele Inder. Seine Familie folgt der Krishna-Linie seit Generationen, deshalb haben sie ihm diesen Namen gegeben: Hingebungsvoller Diener Krishnas. Hingebungsvoll singen viele andere Diener Krishnas, überall in dem großen Tempel. Atmo Steht 5 Sekunden frei, dann leise unterlegen 5 Krishna-Gesänge, jetzt ekstatischer. Erzähler Lord Krishna gehört zu den populärsten Göttern auf dem Subkontinent, für seine Anhänger ist er die Menschwerdung des Höchsten. Er soll in der Region Vrindavan geboren und aufgewachsen sein. Dorthin ziehen sich seit mehr als 500 Jahren Krishna-Gläubige Witwen aus ganz Indien zurück. Von ihren Familien verstoßen, kommen sie zu dem heiligen Platz, um sich mit Krishna zu vermählen. So hoffen sie auf Trost an ihrem Lebensabend, und auf Erlösung von dem Unglück, dass Witwen mit sich bringen sollen. O-Ton Krishna Das Krishna-Bewusstsein bedeutet, dass du immer mit dem Lord verbunden bist. Was auch immer du tust, denk’ an ihn, tu’ etwas für ihn, und warte nicht auf die Früchte der Belohnung, er wird sie dir sowieso zukommen lassen. Erzähler Der 50-jährige Krishna Bhakti Das hat 37 Jahre in diesem großen KrishnaTempel gelebt. Mit sieben hatten seine Eltern ihn im 1.300 Kilometer entfernten Kalkutta in den Zug gesetzt, damit er hier die Tempelschule besuchen konnte. – Kalkutta ist die Hauptstadt des Bundesstaates Westbengalen, aus dem die meisten der Witwen stammen, die nun in Vrindavan leben. Atmo Steht 4 Sekunden frei, dann leise unterlegen Menschen, Glocken, Stimmen O-Ton Krishna Das Wenn du aufhören willst zu leiden, wenn du es wirklich willst, dann denk’ an Krishna, er wird dich zurückbringen zu seinem Platz, dem spirituellen Planeten weit entfernt dort oben. Von dort wirst du niemals zurück müssen, um hier unten wieder zu leiden. Erzähler Immerhin die Betreiber des großen Krishna-Tempels können dem weltlichen Leben augenscheinlich etwas abgewinnen. Aufregend schöne Frauen werben bei den Hunderten Besuchern großzügige Spenden ein; Devotionalien und Bücher werden verkauft, ja, ganze Eigentumswohnungen wechseln den Besitzer; das Reisebüro »Krishna Travels« bietet Luxusreisen an. Ihm gegenüber sitzen Gläubige auf dem Marmorboden und chanten, Stunde um Stunde. 6 Atmo Steht 5 Sekunden frei, dann leise unterlegen Die Krishna-Gesänge der Frau Erzähler Krishna ist ein fordernder Gott, er verlangt von seinen Anhängern eine symbiotische Beziehung. Dafür verspricht er ihnen nicht weniger als Erlösung und einen Platz im Paradies. Letzter Halt Vrindavan – diese pulsierende kleine, verschlafene Stadt, deren Name in Indien wirklich jeder kennt, ist eine TransitStation für Witwen, die den Planeten Erde verlassen wollen, um für immer zum Planeten Goloka zu reisen. Jenem mythischen Ort im Weltall, an dem Krishna und seine Geliebte Radhe der Legende nach leben. Atmo Steht 5 Sekunden frei, dann leiser unterlegen Mehrere Lautsprechersounds nacheinander, übereinander, dann Autobahn Erzähler Krishna ist überall in Vrindavan, seine märchenhaften Abbildungen und die Blumengaben davor; auf jedem Platz und an jeder Straßenecke klingen seine Worte, nun ja, meist schnarren sie aus den betagten Lautsprechern, die in der ganzen Stadt aufgehangen sind. Doch auch im mystischen Vrindavan hat die Moderne längst Einzug gehalten. Neben zeitlosen Tempeln werden umzäunte Siedlungen für Superreiche aus dem Boden gestampft, sie tragen Namen wie Krishna-Tower oder Krishna-Park. Was wohl der Namensgeber dazu sagen würde? Den vielen Affen jedenfalls gefällt’s, sie turnen munter in den Rohbauten, mit dem erbeuteten Mittagessen einiger Bauarbeiter. Atmo Hochziehen, dann wieder unterlegen Steht 5 Sekunden frei, dann leiser unterlegen Ich bin auf dem Weg in die indische Hauptstadt New Delhi, um Doktor Bindeshwar Pathak zu treffen, den Gründer von Sulabh International. Er ist eine der einflussreichsten Stimmen der indischen Zivilgesellschaft. Atmo Steht 5 Sekunden frei, dann leiser unterlegen Mehrere Lautsprechersounds nacheinander, übereinander, dann Autobahn Erzähler »Lächle, du bist im Hauptquartier von Sulabh International!«, lese ich auf einer weißgetünchten Mauer. Rasen und Blumen sind penibel geschnitten, es ist 7 unglaublich sauber für indische Verhältnisse. Die Pressesprecherin führt mich in einen großen Saal. Verwaltungsbeamte aus ganz Indien warten dort in Reihe und Glied auf die Auszeichnung, dass sie an einem Hygiene-Kurs von Sulabh teilgenommen haben. Vor ihnen auf der Bühne stehen ausländische Wissenschaftler, alle kämpfen mit der tropischen Hitze. Atmo Steht kurz alleine, dann leise unterlegen Stimmen von der Zeremonie, Vizepräsident redet Erzähler Ehe ich mich versehe, stehe auch ich auf der Bühne, mit einem Blumenkranz um meinen rot-fleckigen Hals, über meiner Schulter ein farbenfrohes Baumwolltuch. Der warme Applaus verschluckt die Worte des Vizepräsidenten von Sulabh, der mich als Ehrengast aus Deutschland ankündigt. Mein Gott, denke ich, wie unangenehm, lächele artig, und versuche zu verbergen, dass von meinem Rücken der Schweiß auf den Bühnenboden tropft. Eine gefühlte Ewigkeit beobachte ich erstarrt, wie fünfzig Absolventen des Sulabh-Hygiene-Kurses einen feuchten Händedruck und eine Urkunde bekommen. Dann betritt Doktor Bindeshwar Pathak die Bühne, und stimmt die von ihm höchstpersönlich komponierte Hymne von Sulabh International an, alleine. Atmo Steht sechs Sekunden frei (dann unterlegen?) Bindeshwar Pathak singt die Sulabh-Hymne Erzähler Nach dem Ende dieser bemerkenswerten Zeremonie schwärmt die Pressesprecherin von der Musikalität ihres 73-jährigen Chefs; dann bedeutet sie mir, sein Büro zu betreten. Bindeshwar Pathak sitzt eingerahmt von hunderten von Büchern. Ein hochtouriger Ventilator auf dem großen Schreibtisch droht seine Gedanken und Ideen zu verwehen, die er auf Zetteln und Skizzen festgehalten hat. Atmo Geräusche aus der Sulabh-Zentrale Erzähler Kulturell? Sozial? Oder doch eher religiös? Wie lässt sich die Ächtung und Degradierung von Witwen in Indien erklären? 8 O-Ton Bindeshwar Pathak Letztlich ist es eine Kombination. Wenn man das Phänomen psychologisch betrachtet, dann ist das Problem unsere Männer-dominierte Gesellschaft. Sie will nicht, dass die Witwen nach dem Tod ihrer Ehemänner wieder heiraten, dass sie wieder Sex haben. Sie will, dass die Witwen ihre Reinheit wahren. Erzähler An den Wänden hängen Auszeichnungen aus aller Welt. Für den Sozialreformer Pathak, für Pathak, den Erfinder von bahnbrechenden Biogastoiletten, für Pathak und seine Sulabh-Projekte in Sachen Hygiene, Trinkwasser und Menschenrechte. Mittendrin hängt ein Foto, auf dem der Hindu Pathak die Hand des Katholiken Johannes Paul II. schüttelt. Doch damit der Vielseitigkeit nicht genug: Als Angehöriger der höchsten BrahmanenKaste gibt Bindeshwar Pathak denen eine Stimme, die keine haben: den sogenannten Unberührbaren und den Witwen. Beide sind für ihn Opfer einer zutiefst patriarchalen und religiösen Gesellschaft. Atmo Geräusche aus der Sulabh-Zentrale wieder hochziehen, dann unterlegen Erzähler Warum eigentlich müssen sich in Indien Frauen nach dem Tod ihres Ehemannes den Kopf rasieren?, fragt Bindeshwar Pathak, um sich dann selbst zu antworten. O-Ton Bindeshwar Pathak Einzig deshalb, damit sich kein Mann von ihnen angezogen fühlt. Warum müssen sie weiße Kleidung tragen, dürfen nicht singen, nicht tanzen? Weil von ihnen erwartet wird, dass sie mit ihrem Verhalten nicht einen einzigen Mann anziehen, nicht mit ihrer Kleidung, nicht beim Essen, nicht beim Singen. Atmo Geräusche aus der Sulabh-Zentrale wieder hochziehen, dann unterlegen Erzähler Der Wert einer Frau bemisst sich im traditionellen Indien an ihrem Ehemann. Stirbt dieser, erlischt ihr Wert. Was nicht erlischt, ist die Forderung an die Witwe, keine neue Verbindung einzugehen: Die Loyalität zu ihrem verstorbenen Ehemann also über den Tod hinaus zu garantieren. – Bindeshwar Pathak vergleicht die Lage der Witwen mit der der »Unberührbaren«; beide werden aus der Gesellschaft verbannt, unsichtbar gemacht. Seine Hoffnung legt er in eine »soziale Revolution«. 9 O-Ton Bindeshwar Pathak Am wichtigsten ist, dass wir das Verhalten der Menschen in Indien gegenüber den Witwen ändern, ihre Gedanken und ihre Einstellungen. So wie das langsam bei den Unberührbaren geschieht, mit denen ich seit 47 Jahren arbeite. Ihnen ist nicht erlaubt, Angehörige andere Kasten anzufassen, oder von ihnen angefasst zu werden, weder mit ihnen Zeit zu verbringen, noch mit ihnen zu essen. Wie bei den Unberührbaren wird die Zeit kommen, dass wir die Ehre und das Prestige der Witwen in diesem Land wiederherstellen. Das wünsche ich mir sehr. Atmo-Collage Die markanten Atmos, mit denen das Stück begonnen hat. 10
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