Ihre Frage @denken_ ist_cool via Twitter Barbara Bleisch ist promovierte Philosophin und moderiert für Schweizer Radio und Fernsehen SRF die „Sternstunde Philosophie“. Zuletzt veröffentlichte sie mit Monika Betzler „Familiäre Pflichten“ (Suhrkamp, 2015) Moralische Dilemmata, metaphysische Zweifel oder alltägliches Staunen? Stellen Sie Ihre Fragen an Barbara Bleisch unter: ihrefrage @philomag.de Tanja Sommer Basel Warum fühlen wir uns betrogen, wenn wir erfahren, dass uns in einer Ausstellung eine Kopie statt des Originals gezeigt wurde? I hre Frage enthält die Antwort eigentlich bereits: Es handelt sich dabei um eine Form von Betrug. Sie meinen, das echte Werk zu betrachten, an dem der Künstler selber Hand anlegte, und stellen im Nachhinein fest, dass Ihnen stattdessen ein Wunderwerk der Kopiertechnik untergejubelt wurde. Daran zeigt sich, dass es beim Museumsbesuch nicht nur um die ästhetische Erfahrung geht, denn ganz offensichtlich haben Sie vor Ort nicht bemerkt, dass Sie vor einer Kopie stehen. Sondern es geht auch um das Erlebnis des Echten, um die Vorstellung, das Blatt vor sich zu haben, vor dem der Meister mit dem richtigen Pinselstrich rang. Wenn die Wiener Albertina alle Jahre wieder den „Feldhasen“ von Albrecht Dürer aus dem lichtgeschützten Sicherheitsdepot entlässt, steht das Publikum stundenlang an, um das originale Aquarell von 1502 zu sehen, obgleich die Dauerausstellung eine perfekte Kopie im Angebot hat. Der Wert der Echtheit spielte auch in der Debatte um den Fälscher 6 / Philosophie Magazin Oktober / November 2016 Wolfgang Beltracchi eine tragende Rolle. In erster Linie waren die Kunstsammler Betrogene, weil sich ihre vermeintlichen Campendonks, Pechsteins und Légers als Fälschungen entpuppten und als Geldanlagen nichtig wurden. In zweiter Linie fühlten sich aber auch jene betrogen, die meinten, im Museum einem echten Meister gehuldigt zu haben. Wer so empfindet, betreibt im Grunde genommen eine säkulare Form der Reliquienverehrung: Wir sind ergriffen, wenn wir in Leipzig die originalen Notenblätter von Johann Sebastian Bach betrachten, und wir erschauern, wenn wir in Sils Maria das Gemach betreten, in dem Nietzsche zu ruhen pflegte. Ich selber bin für solche Gefühle wenig empfänglich. Nietzsches Geist scheint mir viel präsenter, wenn ich entlang des Silvaplanersees gehe und auf das bewegte Wasser blicke. Obgleich ich mich dann zuweilen beim Gedanken ertappe: Könnte er nicht genau hier, an dieser Stelle, auf demselben Stein gestanden haben? E s gibt verschiedene Persönlichkeitstypen, die ihre Erlebnisse im Repeatmodus zum Besten geben. Die meisten dürfen ohne Skrupel unterbrochen werden. Da ist zum einen der Prahlhans, der sich stets von neuem mit seinen Heldentaten schmückt. Thomas von Aquin zufolge leidet er an einer Version von Ruhmsucht, zu der Aquin in seinen „Summen“ auch die Heuchelei und die Rechthaberei zählt. Ein sanfter Hinweis auf das Laster kann also mitnichten schaden. Ein anderer repetiert endlos ein Missgeschick und suhlt sich im Selbstmitleid. Beim Selbstmitleid handelt es sich um eine krude Form von Egoismus, die philosophisch gesehen nur opportun ist, wenn sie – wie bei Schopenhauer – zur Quelle von Mitleid für andere wird und den Klagenden letztlich zur Moral erzieht. Vielleicht tut es hier also der Hinweis darauf, dass andere Ähnliches und Schlimmeres erdulden. Der dritte Typ befindet sich naturgemäß im Sendemodus und nimmt nicht wahr, wer sein Empfänger ist, weshalb es durchaus zu Repetitionen kommen kann. Falls der Sender Ihr Chef ist, empfiehlt es sich, ihn nicht zu unterbrechen. Ist er das nicht, würde ich den Sender einfach ignorieren. Ein Radio können Sie ja schlecht erziehen. Foto: Siggi Bucher/SFR Die Antworten von Barbara Bleisch Darf man jemanden darauf hinweisen, dass er einem immer wieder das Gleiche erzählt?
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