Die Antworten - Barbara Bleisch

Ihre Frage
Klaus M.
Berlin
Karlsruhe
Die
Antworten
von Barbara
Bleisch
Barbara Bleisch ist
promovierte
Philosophin,
wissenschaftliche
Mitarbeiterin am
Institut für
Philosophie an der
Universität Bern
und moderiert für
Schweizer Radio
und Fernsehen SRF
die „Sternstunde
Philosophie“
Moralische
Dilemmata, metaphysische Zweifel
oder alltägliches
Staunen? Stellen Sie
Ihre Fragen an
Barbara Bleisch
unter: ihrefrage
@philomag.de
„Warum sprechen wir
eigentlich von Tierrassen,
während es verpönt ist,
von Menschenrassen zu
sprechen?“
D
ie Zuteilung von Pferde-,
Hunde- oder Katzenexemplaren zu verschiedenen
Rassen bringt Ordnung in die
tierische Vielfalt. Immerhin scheint
es einen gewaltigen Unterschied zu
machen, ob man einen Pinscher
oder Mops Gassi führt, einen Araber
oder Haf linger reitet, einen
Mecklenburger Schecken oder
Deutschen Riesen hält. Wie divers
die Tierwelt ausgestaltet ist, wird
allein daran ersichtlich, dass einige
Leserinnen und Leser sicher rätseln,
welcher Gattung wohl letztere Tiere
angehören. (Es handelt sich um
Kaninchen.) Zwar sind auch wir
Menschen vielfältig, etwa in Bezug
auf Körperbehaarung, Statur oder
Futtervorlieben. Dennoch scheinen
sich die Artgenossen, die zur
Gattung Homo sapiens gehören,
mehr zu ähneln, als dies etwa ein
Bobtail und ein Windhund tun,
weshalb wir Menschen aus
Ordnungsgründen nicht in Rassen
unterteilen müssen. Wenn wir dies
im Lauf der Geschichte dennoch
getan haben, war das Anstößige
daran nicht die Betonung der
6 / Philosophie Magazin August / September 2015
Differenz, sondern die Verknüpfung
dieser Differenz mit einem
moralischen Werturteil: So ist der
Rassismus deshalb verpönt, weil er
Unterschiede im Stammbaum zur
Begründung moralischer Inferiorität
heranzieht. Abgesehen davon, dass
sich von Fakten nicht auf Werte
schließen lässt, untergräbt der
Rassismus damit eine der
wichtigsten Errungenschaften
moderner Gesellschaften: Alle
Menschen sind – moralisch
gesehen – gleich. Angesichts des
Umstands, dass auch wir Menschen
ein Stück weit Tiere sind, stellt sich
jedoch die Frage, wie sich unsere
Diskriminierung der meisten
anderen Tierarten rechtfertigen
lässt. Der australische Philosoph
Peter Singer meint: Gar nicht. Die
moralische Bevorzugung des
Menschen allein aufgrund der
Gattungszugehörigkeit bezeichnet
er in Anlehnung an den Rassismus
als einen unberechtigten
Speziesismus. Hat er recht, könnte
man sagen: Wir Menschen sind
Tieren gegenüber Rassisten, weil wir
Speziesisten sind.
Ü
ber Geschmack lässt sich
bekanntlich streiten, und
selbst die Grenzen der
Peinlichkeit sind dehnbar. Das lässt
sich wunderbar nachlesen in Ulrich
Greiners Roman „Schamverlust“
(2014), der Ihre Frage materialreich
kommentiert. Doch ganz abgesehen
davon, dass sich Geschmacksurteile
offenbar objektiven Kriterien
entziehen, irritieren Ausschnitte
und die entsprechenden Einblicke
vor allem dann, wenn sie bewusst
zur Schau getragen werden. Denn
während die zufällige Entblößung
ein erotisches Moment bergen kann,
ist jede Anmut dahin, sobald einem
die fremde Nacktheit aufs Auge
gedrückt wird. Dies hielt Heinrich
von Kleist schon 1810 in seinem
Essay „Über das Marionettentheater“
fest: Schönheit verliert jeglichen
Zauber, sobald der Wunsch zu
gefallen offensichtlich wird. Wahre
Schönheit oder „Anmut“ ist jenen
vorbehalten, die sich ihrer Wirkung
nicht bewusst sind. Mit Kleist
vermute ich, dass Ihr Gefühl der
Belästigung weniger von stilloser
Kleidung herrührt als von der
Inszenierung von Nacktheit. Diese
bestrafen Sie effizienter mit
Ignoranz denn mit Ärger.
© Siggi Bucher/SFR
Monika
Steiner
„Ich fühle mich
durch die
offenherzige
Weise, in der
sich viele
kleiden, oft
geradezu
belästigt. Gibt
es dafür eine
philosophische
Rechtfertigung?“