Brexit: Die Zeit drängt | KPMG Klardenker

Brexit: Die Zeit drängt
Keyfacts
- Der Austrittsantrag wird Anfang 2017 gestellt.
- Die Verhandlungen dauern ohne Sonderbeschluss maximal zwei Jahre.
- Nach dem Austritt sind Anpassungen für Unternehmen teurer und komplizierter.
07. Oktober 2016
Es war ein ordentlicher Knall an den Börsen: In den ersten Handelsminuten am Tag nach dem
Brexit-Votum sanken die wichtigsten Aktienindizes in Europa um zehn Prozent und mehr. Denn
sofort schien klar, die Entscheidung der britischen Wähler, aus der Europäischen Union
auszutreten, ist eine historische.
Doch gut drei Monate nach dem Referendum ist es, als wäre nie etwas passiert. So scheint es
zumindest. Entgegen aller vorherigen Forderungen hat die britische Regierung den Austritt
nicht direkt nach dem Referendum beantragt. Das führte zu einer trügerischen Ruhe.
Jetzt aber ist klar: „Brexit means Brexit.“ Wie die britische Premierministerin Theresa May der
BBC sagte, wird der Antrag zwischen Januar und Ende März kommenden Jahres eingereicht
werden.
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Für Unternehmen heißt das, die Zeit läuft. Denn ist der Austritt erst vollzogen, werden viele der
nötigen Anpassungen deutlich komplizierter und vor allem teurer. Das hat auch die japanische
Regierung zu einer außergewöhnlichen Mitteilung veranlasst. Sie warnte die britische
Regierung davor, sich zu weit von der EU zu entfernen und drohte, andernfalls würden die
zahlreichen japanischen Unternehmen ihre in London ansässigen Europa-Holdings und ihre
britischen Niederlassungen nach Kontinental-Europa verlagern.
Hard Brexit wahrscheinlich
Natürlich ist noch unklar, wie genau die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten
Königreich aussehen werden. Denkbar ist vieles:
- Die norwegische Option mit Großbritannien als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums
(EWR),
- Die Schweizer Option mit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Freihandelsassoziation,
aber nicht im EWR,
- Die türkische Option als Teil der Zollunion mit der EU, sowie
- Als Drittstaat gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).
In jedem Fall aber gilt, dass Unternehmen, die mit dem Vereinigten Königreich geschäftlich
verbunden sind, vor Änderungen stehen. Wie stark diese ausfallen, hängt vom künftigen
Abkommen zwischen der EU und Großbritannien ab. Da May auf dem Parteitag der Tories aber
sagte, sie wolle die Freizügigkeit einschränken, dürfte ein Hard Brexit mit deutlichen Folgen für
die Wirtschaftsbeziehungen wahrscheinlich sein.
Was mir bei Gesprächen mit Geschäftsführern in Deutschland und in Großbritannien immer
wieder klar wird: Sie unterschätzen die Auswirkungen und riskieren damit, ein zweites Mal vom
gleichen Ereignis überrascht zu werden. Eine Umfrage von KPMG in UK unter 100 britischen
CEOs liefert ein ähnliches Bild: 69 Prozent beurteilen die Aussichten für die britische
Konjunktur positiv. Nur etwas mehr als die Hälfte rechnet mit Beeinträchtigungen durch den
Brexit. Andererseits denken 76 Prozent der befragten Unternehmenslenker darüber nach, den
Firmensitz oder Teile des Betriebes aus UK weg zu verlagern.
Mit dem Austritt wird vieles schwerer
Die Herausforderungen sind in der Tat vielfältig und lassen sich in sechs Themenfelder
gliedern: strategisch, finanziell, bilanziell, steuerlich, rechtlich und transaktionsbezogen. Zudem
lassen sich die Herausforderungen in zwei Zeitebenen unterscheiden mit dem akuten
Handlungsbedarf noch bis zum Stellen des Austrittantrags voraussichtlich Anfang 2017 und
dem mittel- und längerfristigen, der sich durch den Beginn und Fortgang der
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Austrittsverhandlungen ergibt.
Wichtig dabei ist: Viele Entscheidungen, wie eine Reorganisation oder Sitzverlagerung
erfordern erheblichen zeitlichen Vorlauf. In einem guten Teil der Fälle droht erheblicher
Schaden, wenn die Anpassungen nicht vor dem Austritt abgeschlossen sind, da die
vorteilhaften EU-Vorschriften dann nicht mehr gelten. So ist es etwa sehr wahrscheinlich, dass
die Sitzverlagerung sowohl rechtlich als auch steuerlich weit schwieriger durchzuführen ist,
wenn Großbritannien nicht mehr zur EU gehört. Hinzu kommt, dass zum Beispiel die
Preisentwicklungen bei Immobilien ungünstiger sein werden, je später ein Unternehmen
handelt im Vergleich zu anderen Marktteilnehmern.
Ich rate daher dringend dazu, eine Brexit-Arbeitsgruppe einzurichten mit Vertretern aller
Fachabteilungen. Aufgrund des ohnehin langwierigen und sich weiter verzögernden Prozesses
sollte diese für einen Zeitraum von mindestens drei Jahren eingeplant werden. Diese sollte
mindestens alle drei Monate die Verhandlungen zwischen der EU-Regierung und
Großbritannien auswerten und die Folgen für ihr Unternehmen beurteilen. Damit grundlegende
Anpassungen auch umgesetzt werden, sollte eine Steering Group einberufen werden, der
wesentliche Entscheidungsträger des Unternehmens angehören.
Das Brexit-Votum ist und bleibt ein einschneidendes Ereignis. Die unternehmerische
Verantwortung gebietet es, nun die richtigen Schritte in die Wege zu leiten, damit das gleiche
Ereignis nicht ein zweites Mal zu unliebsamen Überraschungen führt.
Näher erläutert finden Sie die einzelnen Herausforderungen hier im Video.
Zusammengefasst
»Geschäftsführern in Deutschland und in Großbritannien unterschätzen die Auswirkungen und
riskieren damit, ein zweites Mal vom gleichen Ereignis überrascht zu werden. «
Der Brexit wird kommen. Zwischen Januar und Ende März will die britische Regierung den Austrittsantrag
einreichen. Zugleich deutet sich an, dass es zu einem Hard Brexit kommt, der die Beziehungen zur EU
besonders stark verändern wird. Für Unternehmen ist damit der Druck groß, auf die neuen
Rahmenbedingungen zu reagieren. Wer wartet, bis der Austritt erfolgt ist, muss auf die günstigen
Bedingungen für eine Restrukturierung verzichten, die noch während der EU-Mitgliedschaft gelten.
3/5
Andreas Glunz
Bereichsvorstand International Business
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