SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Großmaul mit großem Herzen Bob Geldof wird 65 Von Christiane Rebmann Sendung: 07.10.2016 um 19.20 Uhr Redaktion: Bettina Stender Sprecher: Peter Binder Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Für seinen Kampf gegen die Armut und für den Schuldenerlass in den Entwicklungsländern wurde der irische Musiker mehrfach ausgezeichnet und unter anderem zum Ritter geschlagen. Der ehemalige Chef der Band The Boomtown Rats ist aber auch weiterhin als Solokünstler aktiv. Großmaul mit großem Herzen – Bob Geldof wird 65. Eine Sendung von und mit Christiane Rebmann 1. Song: Boomtown Rats / I don’t like Mondays „I don‟t like Mondays“, der Song, mit dem Bob Geldof und seine New Wave Band The Boomtown Rats 1979 weltweit berühmt wurden. Zur Musik war er eher auf Umwegen gekommen. Robert Frederick Zenon "Bob" Geldof wurde am 5. Oktober 1951 im County Dublin geboren. Sein dritter Name Zenon stammt von seinem Großvater, einem belgischen Immigranten. Als Bob sieben war, starb seine Mutter an einer Hirnblutung. Anfangs übernahm seine Schwester seine Betreuung, doch dann kam er auf‟s Internat. Seine ersten Bühnenerfahrungen aus dieser Zeit schildert er im „Hidden Song“ von seinem letzten Album „How to compose popular Songs that will sell“. O-Ton Als ich noch ein kleiner Junge war, gab es diese Musikfeste, bei denen die Schulen gegeneinander antraten. Man musste einen irischen Song singen, einen irischen Tanz präsentieren oder ein irisches Gedicht vortragen. Das Ganze fand in einer Gemeindehalle oder in einem Kirchensaal statt. Und da saß dann eine Mrs. Gilligan auf der Bühne und begleitete die Kandidaten am Piano, und im Saal stand ein Tisch wie bei X Factor. Mit den drei Juroren. Der Priester war wie - wie heißt noch der bekannte Typ bei Euch, Dieter? Genau, Dieter Bohlen. Das war der Priester, und der sagte dann ((im Bohlen-Slang)) „Na, was zeigst du uns denn?“ Ich antwortete dann zum Beispiel: "Ich trage ein Gedicht vor, Vater." Und er sagte: "Mrs. Gilligan, Sie können jetzt mal einen Tee trinken gehen. Wir brauchen Sie grad nicht." Aber sowie jemand ein Lied sang, war Mrs. Gilligan wieder da. Ich spiel ja kein Piano. Ich saß also zuhause und sang diesen irischen Country Song, und ich dachte, meine Güte, das erinnert mich ja an diese schrecklichen Zeiten. Ich musste lachen, und dann fing ich an, in diesem irischen Akzent zu singen. 2 3 2. Song: Hidden Track Nach dem College jobbte er als Schlachtergehilfe, Straßenarbeiter und am Fließband einer Konservenfabrik. Er zog ins kanadische Vancouver um und arbeitete dort als TV Moderator einer Kindersendung und bei dem Undergroundmusikmagazin The Georgia Straight sowie als Korrespondent für das renommierte britische Musikmagazin NME. In dieser Phase traf er zum ersten Mal seinen späteren Kollegen Elton John. O-Ton Elton war damals ein Phänomen. Er war so riesig wie die Beatles, was ich ziemlich bizarr fand. Und ich fragte mich, wie ich damit umgehen sollte. Also schrieb ich einen Wettbewerb aus. Der Gewinner sollte Elton zum Interview treffen. Ein fünfzehnjähriges Mädchen gewann den Wettbewerb. Und ich begleitete sie zu dem Interview. Es war fantastisch. Elton ist ein sehr netter Mann. Trotz des ganzen Rummels, der um ihn gemacht wurde, nahm er sich Zeit für diese Fünfzehnjährige. Er unterhielt sich mit ihr und erlaubte ihr, dass sie Fotos mit ihrer Instamatic machte. Vor Aufregung fotografierte sie ihn ohne Kopf. Und genau dieses Bild mit dem abgeschnittenen Kopf druckte ich. Das zeigte die Realität. Wie aufgeregt das Mädchen war. Weil er sich in Kanada nicht heimisch fühlte, verließ Geldof Nordamerika wieder. O-Ton Nachdem ich dann nach Irland zurückgekehrt war, schrieb ich ein paar kleinere Artikel über die Musiker, die nach Irland kamen. Mick Jagger zum Beispiel. Ich traf auch George Harrison und Eric Clapton in Irland. Was komisch ist, denn später lernte ich sie ja richtig kennen. 1974 gründete er die Band the Nightlife Thugs, die sich schon kurze Zeit später in The Boomtown Rats umbenannte, nach einer Kindergang aus Woody Guthries Autobiographie „Bound for Glory“. 3. Song: Lookin after No. 1 Das punkige „Lookin after No. 1“ aus dem Jahr 1977 war der erste Chartserfolg der Boomtown Rats. In seinen Songs hat sich der großgewachsene, ein wenig schlaksige, hagere Künstler auch immer wieder gern mit seiner Teenagerzeit auseinandergesetzt. O-Ton Ich war immer hässlich. Es ist hart, das zu wissen. Jetzt habe ich kein Problem mehr damit. Irgendwann spielte ich ja auch in einer Band, und die Mädchen wollten deshalb mit mir ins Bett. Das war fantastisch. Aber als ich 12 oder 13 war, sagten alle Mädchen: „Du bist so hässlich!“ In dem Alter ist das schrecklich. Ich war sehr schüchtern und schweigsam, wenn ich mit Mädchen sprechen sollte. In Irland gab es zu der Zeit Jungs- und Mädchenschulen. Das machte es noch schwieriger. Ich hielt immer Distanz. Später erzählten mir die Mädchen, dass sie mich deshalb für cool gehalten hatten. Aber ich tat nur so cool. In Wahrheit war ich gelähmt vor Angst. 3 4 An die ersten Tanzveranstaltungen erinnert er sich mit einer Mischung aus Selbstmitleid und Belustigung über dasselbe: O-Ton Wie viele der Jungs damals musste ich mich erstmal betrinken, wenn ich zum Tanzen gehen wollte. Ich hätte damals nie ein Mädchen aufgefordert. Normalerweise guckte ja ein Junge ein Mädchen an, und dann wusste er, dass sie mit ihm tanzen wollte. Ich nicht. Ich musste acht mal, neun mal, zehn mal Augenkontakt herstellen, bis ich absolut sicher war, dass sie nicht nein sagen würde. Denn der lange Gang zurück von ihrem Platz durch die Halle zurück zu meinen Freunden fühlte sich grauenhaft an. Ich mochte nicht tanzen, weil ich nicht selbstbewusst genug war. Ich tanze heute noch nicht gern in Clubs. Aber auf der Bühne macht es mir nichts aus. Weil ich da weggetreten bin. Mit dem Boomtown Rats Song „Mary of the 4th Form“ setzte er einer Klassenkameradin aus dieser Zeit ein Denkmal. O-Ton Mary krempelte immer ihren Rock hoch, und dann sah man ihre Beine, die bis in den Himmel gingen. Sie gab mir dauernd Geld. Keine Ahnung warum. Die Mädchen gaben mir immer Geld. Ich habe nie kapiert, warum sie das taten: „Hier Geldof, hier hast du 50 P.“ Ich ging mit ihr zu einer Tanzveranstaltung im Tennisclub. Sie weigerte sich, mit mir ins Bett zu gehen. Aber ich fühlte mich großartig. Ich erinnere mich gut daran. Sie war so hübsch. Kurz nachdem ich mit der Band angefangen hatte, schrieb ich diesen Song über diese Zeit und dieses Mädchen. Ich machte eine Geschichte daraus. Es ist witzig, dass sie dann später neben meinem Vater gewohnt hat. Ich traf sie beim Band Aid Projekt wieder, ganz offiziell, weil sie die Assistentin des irischen Premierministers war. Sie hatte seine Karriere verfolgt und war sich inzwischen auch über ihre besondere Rolle im Klaren. O-Ton Sie wusste, dass der Song über sie war. Denn als er zum Hit wurde, sagte ich: „Es geht hier um ein Mädchen in Irland“. Und sie erzählte überall: „Bob hat einen Song über mich geschrieben“. 4. Song: Mary of the 4th Form 1986 trennte sich die Band. Geldof, der sich schon Anfang der 80er Jahre mit der Teilnahme am Secret Policeman‟s Concert für Amnesty International eingesetzt hatte, war 1984 gemeinsam mit seinem Kollegen Midge Ure von der britischen Band Ultravox ein großer Coup gelungen. Sie hatten den Benefiz Song “Do they know it‟s Christmas” geschrieben und für die Aufnahmen zugunsten der hungerleidenden Bevölkerung in Äthiopien eine Supergroup zusammengestellt, die sie Band Aid nannten, nach dem englischen Wort für Pflaster. Mit dabei waren unter anderem: Phil Collins, Duran Duran, Bono, George Michael, Sting, David Bowie und Paul McCartney. 4 5 5. Song: Do They know it’s Christmas Im folgenden Jahr organisierten Geldof und Ure das Live Aid Konzert, das am 13. Juli 1985 im Londoner Wembley Stadium sowie zeitgleich im John F. Kennedy Stadium in Philadelphia aufgeführt wurde, mit Nebenschauplätzen in Deutschland, Österreich, Australien, Japan und der damaligen Sowjetunion. Es wurde weltweit per Radio und Fernsehen ausgestrahlt und erreichte knapp 2 Milliarden Zuschauer. Kein Wunder, bei Stars wie Eric Clapton, Phil Collins, U2, Led Zeppelin, David Bowie, Elton John, Mick Jagger, Paul McCartney, George Harrison, Tina Turner, Bob Dylan, The Who, Sting und Queen. Spätere Schätzungen ergaben, dass mehr als 150 Millionen Euro zusammenkamen. Doch das direkt eingesammelte Geld sei nicht alles, sagte Geldof. Er hoffe, dass er mit dieser Aktion auch die Regierungen weltweit dazu anregen könne, mehr gegen den Hunger in der Welt zu tun. 6. Song: Let it be / Live Aid Geldof organisierte danach noch zahlreiche weitere Live Aid Versionen und Hilfsprojekte. Auf einer Afrikareise im Jahr 2004 war er so überwältigt von den Eindrücken der dortigen Armut, dass er noch von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba aus den damaligen britischen Premier Tony Blair anrief. Blair gründete daraufhin die Commission for Africa, in die auch Geldof involviert war. Die Ergebnisse der Studie, die die Kommission erarbeitete, wurden später als Basis für weitere G8 Hilfspakete für Afrika verwendet. Gemeinsam mit Bono, dem Sänger der irischen Band U2, engagierte sich Geldof auch in der Organisation DATA für den Schuldenerlass für die dritte Welt. Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 ist Bob Geldof dazu in der Initiative Cinema for Peace aktiv. Sie will nach eigenen Aussagen ein Bewusstsein für die gesellschaftliche und soziologische Relevanz von Filmen schaffen sowie den Einfluss von Filmen auf die Wahrnehmung und Behebung von weltweiten sozialen, politischen und humanitären Missständen verdeutlichen. Entsprechend werden die Preisträger ausgewählt, die jährlich bei der Cinema for Peace Gala Rahmen der Berlinale in Berlin ausgezeichnet werden. Geldof, der u.a. in der Jury tätig war, bezeichnet diese Veranstaltung als Oscar with Brains. Sein Freund, der Slowene Jaka Bizilj, hatte die Organisation gegründet. O-Ton Er ist Filmproduzent, und er dachte: Es macht Sinn, das Medium Film für einen guten Zweck zu verwenden, nicht nur für Ticketverkäufe. Ich hielt das damals für eine gute Idee, dachte aber nicht, dass das funktionieren würde. Das ist jetzt lange her. Es hat sich inzwischen zu einem der wichtigeren politischen Events entwickelt. Da kommen sie alle, die Politiker und die Stars. Dass man das Ganze mit der Berlinale verbunden habe, einschließlich der Preisverleihungsgala, sei clever, lobt Geldof. Es sei wie ein Raumschiff mitten in dieser riesigen Kulturveranstaltung. Das lohne sich auch für die Berlinale. Immerhin zieht diese Show Filmstars und Politiker wie Michail Gorbatschow, Sean Penn, George Clooney oder Catherine Deneuve an. 5 6 O-Ton Es ist d e r Tag im Jahr, an dem sich die Politiker endlich mal glamourös fühlen können. Und wenn Sie mich fragen, ob die Veranstaltung direkte Auswirkungen hat, kann ich nur sagen: Ja, weil die Organisation viele der Gruppen unterstützt, um die es in den Filmen geht. Und weil eben auch die Politiker kommen, können die Vertreter dieser Gruppen auch direkt mit ihnen sprechen. Sein vielfältiges Engagement hat für Geldof auch einen persönlichen Vorteil: O-Ton Sie kennen doch John Lennons Song „Julia“ vom White Album der Beatles. Da gibt es diese großartige Zeile: „When i cannot speak my heart i can only speak my mind.“ Ich habe unendlich viele Möglichkeiten, über das zu sprechen, was in meinem Kopf vorgeht. Auf Pressekonferenzen und in Reden, die ich halte, im Fernsehen, im Radio, in Interviews. Wenn ich etwas in der Welt am Sonntag schreiben möchte, tue ich das. Wenn ich für den Spiegel oder die Financial Times schreiben möchte, kann ich das tun. Dabei gibt er an, nicht an Parteipolitik interessiert zu sein – vielleicht auch als Reaktion darauf, dass er in den 80er Jahren beschuldigt wurde, zu eng mit dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair von der Labour Party kooperiert zu haben. Immerhin bezog er dieses Jahr aktiv gegen die Brexit Bewegung Stellung. 7. Song: Love like a Rocket 1986 veröffentlichte Geldof seine Autobiographie “Is that it” und konzentrierte sich auf seine Solokariere als Musiker. Im selben Jahr erschien sein erstes eigenes Album „Deep in the heart of nowhere“, auf dem er Pop mit Punk, Rock, Soul und Folk mischte und bei dem prominente Kollegen wie Annie Lennox oder Eric Clapton mitwirkten. 1994 brachte er das Sammel-Album „Loudmouth – the best of Bob Geldof and Boomtown Rats“ heraus. Darauf war auch die bis zu dem Zeitpunkt unveröffentlichte Nummer „Crazy“, für die Geldof unter anderem Sting und Dave Stewart gewinnen konnte – was zu dem Zeitpunkt aufgrund seiner großen Popularität kein Problem für ihn darstellte. O-Ton Sting ist dabei, weil er auch ein Freund ist. Das ist eben der Vorteil, wenn man ein alter Mann ist. Ich kenne all diese Leute noch aus der Zeit, wo wir alle angefangen haben. Sting ist für mich der Typ, der im Pub vor sechs Leuten gespielt hat. So habe ich ihn zuerst gesehen. Ich war damals auf Nummer sechs in den Charts, und er hasste das. Und Dave ist für mich der Typ, der mit Annie Lennox in diesem besetzten Haus in Camden Town gewohnt. Sie waren beide merkwürdig. Deshalb mochte ich sie. Dass sie alle irgendwann berühmt wurden, hat dem keinen Abbruch getan. Sting ist für mich immer noch der Typ im Pub. Wenn er sich in Interviews aufplustert, macht er das nur, damit die Leute ja nicht denken, er sei immer noch der Typ, der vor sechs Leuten spielt. 6 7 8. Song: Crazy Leider halfen auch die großen Namen nicht. Der Erfolg von Geldofs Soloalben hielt sich in Grenzen. Mitte der 90er Jahre begann eine schwierige Phase für ihn. Die Ehe mit der TV Moderatorin Paula Yates ging in die Brüche. Die Mutter der gemeinsamen drei Töchter Fifi Trixibelle, Peaches Honeyblossom und Little Pixie verließ ihn und zog zu Michael Hutchence, dem Sänger der australischen Band INXS. Es folgte ein erbitterter Sorgerechtsstreit, den Geldof letzten Endes gewann und der dazu führte, dass er sich von da an als einer der bekanntesten Vertreter für die Organisation Fathers„ Rights Movement engagierte. Hutchence wurde 1997 in seinem Hotelzimmer tot aufgefunden. Er hatte sich mit einem Gürtel an einer Türklinke stranguliert. Es konnte nie geklärt werden, ob es ein Unfall mit autoerotischem Hintergrund oder Selbstmord war. Drei Jahre später fand die gemeinsame Tochter Heavenly Tiraani Tiger Lily ihre Mutter tot in ihrem Bett. Yates war an einer Überdosis Heroin gestorben. Bob Geldof übernahm das Sorgerecht für das verwaiste Kind. Der damals 49jährige war am Boden zerstört. Das hört man auch an der Musik, die er damals machte. 2001 erschien „Sex, Age and Death“- ein Album, das er später kritisch bewertete. O-Ton Das Album „Sex, Age and Death“ konnte man ja fast nicht anhören. Und die Songs waren auch schwierig zu spielen. Sie waren sehr akkurate Schnappschüsse meiner damaligen Verzweiflung, meines Schmerzes und meiner Trauer. Ich verstand überhaupt nicht mehr, was in meinem Leben geschah. Es war alles sehr schwierig, und das sehr öffentlich, und es endete tragisch. Und vor diesem Hintergrund entstand das damalige Album. Dieser Verlust, den ich als überwältigend empfand, dieser überdimensionale Schmerz war für mich irgendwie ungreifbar. Ich konnte seine Ränder nicht sehen, deshalb konnte ich mich auch nicht drum herum bewegen. Ich konnte nicht drunter wegkriechen, nicht drüber steigen. Er war einfach zu groß. Das Album hat eine Art Rahmen drum herum gelegt. Und so konnte ich den Schmerz endlich sehen. Schon im wörtlichen Sinne - dadurch, dass es eine Platte gab, konnte ich ihn verstehen. 9. Song: Pale White Girls Zum Glück konnte er sich also die Trauer von der Seele singen. O-Ton Ich habe meine Emotionen nie versteckt. Ich habe keine Probleme zu weinen. Ich bin ja Ire. Sie haben ja fast alle irischen Musiker interviewt. Sie wissen also, dass wir Iren mit Sprache umgehen können. Die Engländer brauchen uns, um ihre Sprache zu verstehen. Es ist mir auch nicht peinlich, über diese Dinge zu singen. Daran, dass seine Gefühle öffentlich waren, hatte er sich schon lange gewöhnt. Sein Leben fand und findet quasi in der Öffentlichkeit statt. Das schreckt ihn ab, er braucht 7 8 diese Öffentlichkeit aber auch. Deshalb nimmt er es mit ambivalenten Gefühlen, dass er und seine Familie unter Dauerbeobachtung durch die britischen Klatschmedien stehen. Nicht nur diese interessieren sich für ihn. Auch auf einer anderen Ebene beschäftigt man sich eingehend mit ihm. O-Ton Es gibt eine Menge Leute, die ihre Doktorarbeit über mich geschrieben haben. Darunter einige in Psychologie. Sie schickten sie mir dann, sowie sie ihren Titel hatten. Sie erklärten in ihren Arbeiten, warum ich das und das getan hatte. Faszinierend. In sechs Arbeiten wurden sechs unterschiedliche Analysen meiner Persönlichkeit erstellt. Das war wie in der Regenbogenpresse. Jemand sollte mal eine Biografie über mich schreiben, die nur auf Presseausschnitten beruht. Es würde mich echt mal interessieren, was dabei rauskommt. Der Name wäre derselbe. Alles andere hätte nichts mit mir zu tun. Die Biografie würde ein Leben beschreiben, das ich nicht gelebt habe. Er machte weiter, nahm Musik auf, ging auf Tourneen, reiste immer wieder für seine Hilfsprojekte nach Afrika. O-Ton Ich halte mich immer beschäftigt, weil ich mich sehr schnell langweile. Und wenn ich mich langweile, werde ich depressiv. Und wenn ich depressiv werde, gerate ich in einen Zustand, den ich lieber meide. Ich bin nicht manisch depressiv. Aber es ist nicht einfach, mit mir zu leben. Ich mag mich eigentlich nicht besonders. Also bin ich neurotisch aktiv. Deshalb hänge ich auch dauernd am Telefon. Viele meiner Projekte habe ich aus diesem Grund angestoßen. Die Dinge an sich interessierten mich nicht besonders. Es ist dann merkwürdig, wenn mich Leute später wegen dieses Projektes anrufen, das mich gar nicht mehr interessiert. Die Dinge verselbständigen sich leicht. Den Song „Scream in Vain“ schrieb er, nachdem er bei einem Besuch in Äthiopien Trost in seiner Arbeit für die Hilfsorganisation und im Kontakt mit der dortigen Bevölkerung gefunden hatte. 10. Song: Scream in Vain Bob Geldof sieht seine Live Konzerte als wichtigen Bestandteil seines Lebens. O-Ton Während eines Auftritts ziehe ich mich in das zurück, was Pete von den Rats Bob World nennt. Ich bin zwar physisch präsent, ich merke, es, wenn ich einen Fehler machen, ich weiß, was der nächste Song ist, ich bin mir bewusst, dass da vor mir das Publikum steht, ich kann Witze machen und reden. Aber ich bin weggetreten. Wenn ein Auftritt allerdings wirklich schlecht ist, kann ich nicht in diese Welt verschwinden, und dann gerate ich ganz fürchterlich in Rage. Ich bin dann wütend auf mich selbst. Sein bisher letztes Album „How to compose popular songs that will sell“ erschien 2010. Der Titel sollte signalisieren: Diesmal würde ich meine Musik gern gut 8 9 verkaufen. Er hatte die CD eigentlich „58 and a half“ nennen wollen, weil er zur Zeit der Aufnahme genau dieses Alter hatte, erzählte er. O-Ton Dann sah ich bei einem Freund in Los Angeles dieses Buch aus den 1930ern von Leslie Sheppard. Der war Hindu und Experte für barocke Musik. Dieser Titel „How to compose popular songs that will sell“ brachte mich dann dazu, Songs in allen möglichen Stilrichtungen zu schreiben. Auf dem Album gibt es auch einige Liebeslieder für die Schauspielerin Jeanne Marine, mit der Geldof seit mehr als 15 Jahren liiert ist und die er letztes Jahr heiratete. Er widmete ihr unter anderem den Song „Dazzled by you“. O-Ton Ich habe ziemlich spät im Leben eine Frau gefunden, die mich liebt. Und das in dem Moment, als ich am hässlichsten war - ich weiß, dass ich nicht gut aussehe - aber das Wort hässlich hat hier verschiedene Bedeutungen. Damals habe ich alle Menschen gehasst, und ich war unerträglich. Und da tauchte diese Frau auf, die darauf bestand, mich zu lieben. Ich tat alles, um sie davon abzubringen. Sie ließ sich nicht abschrecken und blieb hartnäckig. O-Ton Sie fand offensichtlich, dass in diesem unmöglichen Mann etwas Liebenswertes steckt. Die einzig vernünftige Reaktion auf so eine Haltung ist, dass du die Liebe erwiderst. Jeanne hat ganz langsam meine Seele wieder zusammengenäht und aus mir etwas gemacht, das einem Menschen ähnelt. 11. Song: Dazzled by you O-Ton Manchmal tauchen die Songs plötzlich auf, wie aus dem Nichts. Und ich verstehe sie nicht. Aber das macht es interessant für mich. Ich frage mich: Worum geht es da? Sie fühlen sich irgendwie wahr an. Manche Lieder scheinen auch prophetische Elemente zu haben, stellte er vor zwei Jahren fest und bezog sich dabei auf das Stück „Diamonds Smile“, das noch aus der Zeit mit den Boomtown Rats stammt. Es geht hier um ein Mädchen, das auf einer Party zuerst mitfeiert, sich dann ins obere Geschoss des Hauses zurückzieht und sich dort erhängt. 2014 wurde Geldofs Tochter Peaches tot aufgefunden. Die 25jährige TV Moderatorin war – genau wie ihre Mutter – heroinsüchtig und hatte sich im Beisein ihres einjährigen Sohnes eine Überdosis verpasst. Die Mutter von insgesamt zwei Kindern war wegen ihrer Sucht in Behandlung gewesen und galt als geheilt. Geldof machte sich danach öffentlich Vorwürfe, dass er den Rückfall nicht bemerkt hatte. 9 10 Das Drama des Kindes, das ohne seine leibliche Mutter aufwächst, zieht sich also durch drei Generationen von Geldof selbst über seine Töchter bis zu seinen Enkeln durch. 12. Song: Diamonds Smile Bob Geldof ging auch mit dem letzten Schicksalsschlag offen um und erzählte, dass ihm die öffentliche Anteilnahme und Zusprache hilft. Zuflucht findet er auch in der Musik. Deshalb will er auch nach seinem 65. Geburtstag weiter Songs schreiben und sie live aufführen. Das ist lebenswichtig für ihn. O-Ton Für mich ist die Musik wie eine Katharsis. Ich brauche sie. Wenn ich nicht zur Musik gekommen wäre – ich bin sicher: Dann wäre etwas Schlimmes passiert. Denn damals hatte ich mein Leben nicht unter Kontrolle. Heute brenne ich vor allem für meine Konzerte. Wegen der Stunde Ruhe, die auf so ein Konzert folgt. Das ist der einzige Augenblick, wo der innere Bürgerkrieg still hält. Wo in intellektueller, physischer, psychologischer und emotionaler Hinsicht Ruhe herrscht. Das war SWR2 Tandem – mit einer Sendung über den irischen Musiker Bob Geldof von und mit Christiane Rebmann. Unser Podcast-und Newsletter-Angebot und die Liste der gespielten Musiktitel finden sie im Internet unter SWR2.de/ Tandem. 13. Song: This is the world Calling 10
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