SWR2 Tandem

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Großmaul mit großem Herzen
Bob Geldof wird 65
Von Christiane Rebmann
Sendung: 07.10.2016 um 19.20 Uhr
Redaktion: Bettina Stender
Sprecher: Peter Binder
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
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O-Ton
Oft hat man keine Wahl. Wenn ich nicht eines Abends den Fernseher eingeschaltet
hätte, hätte ich wohl weiter Musik gemacht. Und die Leute würden mich nur wegen
meiner Musik kennen. Wahrscheinlich hätte ich jetzt eine passable Musikerkarriere
hinter mir. Aber ich bin auf diese Seitenstraße abgebogen. Und ich bereue das nicht.
Bob Geldof über den Abend im Jahr 1984, an dem er eine Dokumentation über die
Hungersnot in Äthiopien sah. Danach trommelte er seine prominenten Kollegen für
die Benefiz Gruppe Band Aid und die Live Aid Konzerte gegen den Hunger in Afrika
zusammen. Für seinen Kampf gegen die Armut und für den Schuldenerlass in den
Entwicklungsländern wurde der irische Musiker mehrfach ausgezeichnet und unter
anderem zum Ritter geschlagen. Der ehemalige Chef der Band The Boomtown Rats
ist aber auch weiterhin als Solokünstler aktiv.
Großmaul mit großem Herzen – Bob Geldof wird 65. Eine Sendung von und mit
Christiane Rebmann
1. Song: Boomtown Rats / I don’t like Mondays
„I don‟t like Mondays“, der Song, mit dem Bob Geldof und seine New Wave Band
The Boomtown Rats 1979 weltweit berühmt wurden. Zur Musik war er eher auf
Umwegen gekommen.
Robert Frederick Zenon "Bob" Geldof wurde am 5. Oktober 1951 im County Dublin
geboren. Sein dritter Name Zenon stammt von seinem Großvater, einem belgischen
Immigranten. Als Bob sieben war, starb seine Mutter an einer Hirnblutung. Anfangs
übernahm seine Schwester seine Betreuung, doch dann kam er auf‟s Internat. Seine
ersten Bühnenerfahrungen aus dieser Zeit schildert er im „Hidden Song“ von seinem
letzten Album „How to compose popular Songs that will sell“.
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Als ich noch ein kleiner Junge war, gab es diese Musikfeste, bei denen die Schulen
gegeneinander antraten. Man musste einen irischen Song singen, einen irischen
Tanz präsentieren oder ein irisches Gedicht vortragen. Das Ganze fand in einer
Gemeindehalle oder in einem Kirchensaal statt. Und da saß dann eine Mrs. Gilligan
auf der Bühne und begleitete die Kandidaten am Piano, und im Saal stand ein Tisch
wie bei X Factor.
Mit den drei Juroren. Der Priester war wie - wie heißt noch der bekannte Typ bei
Euch, Dieter?
Genau, Dieter Bohlen. Das war der Priester, und der sagte dann ((im Bohlen-Slang))
„Na, was zeigst du uns denn?“ Ich antwortete dann zum Beispiel: "Ich trage ein
Gedicht vor, Vater." Und er sagte: "Mrs. Gilligan, Sie können jetzt mal einen Tee
trinken gehen. Wir brauchen Sie grad nicht." Aber sowie jemand ein Lied sang, war
Mrs. Gilligan wieder da.
Ich spiel ja kein Piano. Ich saß also zuhause und sang diesen irischen Country Song,
und ich dachte, meine Güte, das erinnert mich ja an diese schrecklichen Zeiten. Ich
musste lachen, und dann fing ich an, in diesem irischen Akzent zu singen.
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2. Song: Hidden Track
Nach dem College jobbte er als Schlachtergehilfe, Straßenarbeiter und am Fließband
einer Konservenfabrik. Er zog ins kanadische Vancouver um und arbeitete dort als
TV Moderator einer Kindersendung und bei dem Undergroundmusikmagazin The
Georgia Straight sowie als Korrespondent für das renommierte britische
Musikmagazin NME. In dieser Phase traf er zum ersten Mal seinen späteren
Kollegen Elton John.
O-Ton
Elton war damals ein Phänomen. Er war so riesig wie die Beatles, was ich ziemlich
bizarr fand. Und ich fragte mich, wie ich damit umgehen sollte. Also schrieb ich einen
Wettbewerb aus. Der Gewinner sollte Elton zum Interview treffen. Ein
fünfzehnjähriges Mädchen gewann den Wettbewerb. Und ich begleitete sie zu dem
Interview. Es war fantastisch.
Elton ist ein sehr netter Mann. Trotz des ganzen Rummels, der um ihn gemacht
wurde, nahm er sich Zeit für diese Fünfzehnjährige. Er unterhielt sich mit ihr und
erlaubte ihr, dass sie Fotos mit ihrer Instamatic machte. Vor Aufregung fotografierte
sie ihn ohne Kopf. Und genau dieses Bild mit dem abgeschnittenen Kopf druckte ich.
Das zeigte die Realität. Wie aufgeregt das Mädchen war.
Weil er sich in Kanada nicht heimisch fühlte, verließ Geldof Nordamerika wieder.
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Nachdem ich dann nach Irland zurückgekehrt war, schrieb ich ein paar kleinere
Artikel über die Musiker, die nach Irland kamen. Mick Jagger zum Beispiel.
Ich traf auch George Harrison und Eric Clapton in Irland. Was komisch ist, denn
später lernte ich sie ja richtig kennen.
1974 gründete er die Band the Nightlife Thugs, die sich schon kurze Zeit später in
The Boomtown Rats umbenannte, nach einer Kindergang aus Woody Guthries
Autobiographie „Bound for Glory“.
3. Song: Lookin after No. 1
Das punkige „Lookin after No. 1“ aus dem Jahr 1977 war der erste Chartserfolg der
Boomtown Rats.
In seinen Songs hat sich der großgewachsene, ein wenig schlaksige, hagere
Künstler auch immer wieder gern mit seiner Teenagerzeit auseinandergesetzt.
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Ich war immer hässlich. Es ist hart, das zu wissen. Jetzt habe ich kein Problem mehr
damit. Irgendwann spielte ich ja auch in einer Band, und die Mädchen wollten
deshalb mit mir ins Bett. Das war fantastisch. Aber als ich 12 oder 13 war, sagten alle
Mädchen: „Du bist so hässlich!“ In dem Alter ist das schrecklich. Ich war sehr
schüchtern und schweigsam, wenn ich mit Mädchen sprechen sollte. In Irland gab es
zu der Zeit Jungs- und Mädchenschulen. Das machte es noch schwieriger. Ich hielt
immer Distanz. Später erzählten mir die Mädchen, dass sie mich deshalb für cool
gehalten hatten. Aber ich tat nur so cool. In Wahrheit war ich gelähmt vor Angst.
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An die ersten Tanzveranstaltungen erinnert er sich mit einer Mischung aus
Selbstmitleid und Belustigung über dasselbe:
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Wie viele der Jungs damals musste ich mich erstmal betrinken, wenn ich zum
Tanzen gehen wollte. Ich hätte damals nie ein Mädchen aufgefordert. Normalerweise
guckte ja ein Junge ein Mädchen an, und dann wusste er, dass sie mit ihm tanzen
wollte. Ich nicht. Ich musste acht mal, neun mal, zehn mal Augenkontakt herstellen,
bis ich absolut sicher war, dass sie nicht nein sagen würde. Denn der lange Gang
zurück von ihrem Platz durch die Halle zurück zu meinen Freunden fühlte sich
grauenhaft an. Ich mochte nicht tanzen, weil ich nicht selbstbewusst genug war. Ich
tanze heute noch nicht gern in Clubs. Aber auf der Bühne macht es mir nichts aus.
Weil ich da weggetreten bin.
Mit dem Boomtown Rats Song „Mary of the 4th Form“ setzte er einer
Klassenkameradin aus dieser Zeit ein Denkmal.
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Mary krempelte immer ihren Rock hoch, und dann sah man ihre Beine, die bis in den
Himmel gingen. Sie gab mir dauernd Geld. Keine Ahnung warum. Die Mädchen
gaben mir immer Geld. Ich habe nie kapiert, warum sie das taten: „Hier Geldof, hier
hast du 50 P.“ Ich ging mit ihr zu einer Tanzveranstaltung im Tennisclub. Sie
weigerte sich, mit mir ins Bett zu gehen. Aber ich fühlte mich großartig. Ich erinnere
mich gut daran. Sie war so hübsch.
Kurz nachdem ich mit der Band angefangen hatte, schrieb ich diesen Song über
diese Zeit und dieses Mädchen. Ich machte eine Geschichte daraus. Es ist witzig,
dass sie dann später neben meinem Vater gewohnt hat. Ich traf sie beim Band Aid
Projekt wieder, ganz offiziell, weil sie die Assistentin des irischen Premierministers
war.
Sie hatte seine Karriere verfolgt und war sich inzwischen auch über ihre besondere
Rolle im Klaren.
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Sie wusste, dass der Song über sie war. Denn als er zum Hit wurde, sagte ich: „Es
geht hier um ein Mädchen in Irland“. Und sie erzählte überall: „Bob hat einen Song
über mich geschrieben“.
4. Song: Mary of the 4th Form
1986 trennte sich die Band. Geldof, der sich schon Anfang der 80er Jahre mit der
Teilnahme am Secret Policeman‟s Concert für Amnesty International eingesetzt
hatte, war 1984 gemeinsam mit seinem Kollegen Midge Ure von der britischen Band
Ultravox ein großer Coup gelungen. Sie hatten den Benefiz Song “Do they know it‟s
Christmas” geschrieben und für die Aufnahmen zugunsten der hungerleidenden
Bevölkerung in Äthiopien eine Supergroup zusammengestellt, die sie Band Aid
nannten, nach dem englischen Wort für Pflaster. Mit dabei waren unter anderem: Phil
Collins, Duran Duran, Bono, George Michael, Sting, David Bowie und Paul
McCartney.
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5. Song: Do They know it’s Christmas
Im folgenden Jahr organisierten Geldof und Ure das Live Aid Konzert, das am 13.
Juli 1985 im Londoner Wembley Stadium sowie zeitgleich im John F. Kennedy
Stadium in Philadelphia aufgeführt wurde, mit Nebenschauplätzen in Deutschland,
Österreich, Australien, Japan und der damaligen Sowjetunion. Es wurde weltweit per
Radio und Fernsehen ausgestrahlt und erreichte knapp 2 Milliarden Zuschauer. Kein
Wunder, bei Stars wie Eric Clapton, Phil Collins, U2, Led Zeppelin, David Bowie,
Elton John, Mick Jagger, Paul McCartney, George Harrison, Tina Turner, Bob Dylan,
The Who, Sting und Queen. Spätere Schätzungen ergaben, dass mehr als 150
Millionen Euro zusammenkamen. Doch das direkt eingesammelte Geld sei nicht
alles, sagte Geldof. Er hoffe, dass er mit dieser Aktion auch die Regierungen weltweit
dazu anregen könne, mehr gegen den Hunger in der Welt zu tun.
6. Song: Let it be / Live Aid
Geldof organisierte danach noch zahlreiche weitere Live Aid Versionen und
Hilfsprojekte.
Auf einer Afrikareise im Jahr 2004 war er so überwältigt von den Eindrücken der
dortigen Armut, dass er noch von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba aus den
damaligen britischen Premier Tony Blair anrief. Blair gründete daraufhin die
Commission for Africa, in die auch Geldof involviert war. Die Ergebnisse der Studie,
die die Kommission erarbeitete, wurden später als Basis für weitere G8 Hilfspakete
für Afrika verwendet.
Gemeinsam mit Bono, dem Sänger der irischen Band U2, engagierte sich Geldof
auch in der Organisation DATA für den Schuldenerlass für die dritte Welt.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 ist Bob Geldof dazu in der Initiative Cinema for
Peace aktiv. Sie will nach eigenen Aussagen ein Bewusstsein für die
gesellschaftliche und soziologische Relevanz von Filmen schaffen sowie den Einfluss
von Filmen auf die Wahrnehmung und Behebung von weltweiten sozialen,
politischen und humanitären Missständen verdeutlichen. Entsprechend werden die
Preisträger ausgewählt, die jährlich bei der Cinema for Peace Gala Rahmen der
Berlinale in Berlin ausgezeichnet werden. Geldof, der u.a. in der Jury tätig war,
bezeichnet diese Veranstaltung als Oscar with Brains.
Sein Freund, der Slowene Jaka Bizilj, hatte die Organisation gegründet.
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Er ist Filmproduzent, und er dachte: Es macht Sinn, das Medium Film für einen guten
Zweck zu verwenden, nicht nur für Ticketverkäufe. Ich hielt das damals für eine gute
Idee, dachte aber nicht, dass das funktionieren würde. Das ist jetzt lange her. Es hat
sich inzwischen zu einem der wichtigeren politischen Events entwickelt. Da kommen
sie alle, die Politiker und die Stars.
Dass man das Ganze mit der Berlinale verbunden habe, einschließlich der
Preisverleihungsgala, sei clever, lobt Geldof. Es sei wie ein Raumschiff mitten in
dieser riesigen Kulturveranstaltung. Das lohne sich auch für die Berlinale. Immerhin
zieht diese Show Filmstars und Politiker wie Michail Gorbatschow, Sean Penn,
George Clooney oder Catherine Deneuve an.
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Es ist d e r Tag im Jahr, an dem sich die Politiker endlich mal glamourös fühlen
können. Und wenn Sie mich fragen, ob die Veranstaltung direkte Auswirkungen hat,
kann ich nur sagen: Ja, weil die Organisation viele der Gruppen unterstützt, um die
es in den Filmen geht. Und weil eben auch die Politiker kommen, können die
Vertreter dieser Gruppen auch direkt mit ihnen sprechen.
Sein vielfältiges Engagement hat für Geldof auch einen persönlichen Vorteil:
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Sie kennen doch John Lennons Song „Julia“ vom
White Album der Beatles. Da gibt es diese großartige Zeile: „When i cannot speak
my heart i can only speak my mind.“ Ich habe unendlich viele Möglichkeiten, über
das zu sprechen, was in meinem Kopf vorgeht. Auf Pressekonferenzen und in
Reden, die ich halte, im Fernsehen, im Radio, in Interviews. Wenn ich etwas in der
Welt am Sonntag schreiben möchte, tue ich das. Wenn ich für den Spiegel oder die
Financial Times schreiben möchte, kann ich das tun.
Dabei gibt er an, nicht an Parteipolitik interessiert zu sein – vielleicht auch als
Reaktion darauf, dass er in den 80er Jahren beschuldigt wurde, zu eng mit dem
ehemaligen britischen Premier Tony Blair von der Labour Party kooperiert zu haben.
Immerhin bezog er dieses Jahr aktiv gegen die Brexit Bewegung Stellung.
7. Song: Love like a Rocket
1986 veröffentlichte Geldof seine Autobiographie “Is that it” und konzentrierte sich
auf seine Solokariere als Musiker. Im selben Jahr erschien sein erstes eigenes
Album „Deep in the heart of nowhere“, auf dem er Pop mit Punk, Rock, Soul und Folk
mischte und bei dem prominente Kollegen wie Annie Lennox oder Eric Clapton
mitwirkten.
1994 brachte er das Sammel-Album „Loudmouth – the best of Bob Geldof and
Boomtown Rats“ heraus. Darauf war auch die bis zu dem Zeitpunkt unveröffentlichte
Nummer „Crazy“, für die Geldof unter anderem Sting und Dave Stewart gewinnen
konnte – was zu dem Zeitpunkt aufgrund seiner großen Popularität kein Problem für
ihn darstellte.
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Sting ist dabei, weil er auch ein Freund ist. Das ist eben der Vorteil, wenn man ein
alter Mann ist. Ich kenne all diese Leute noch aus der Zeit, wo wir alle angefangen
haben. Sting ist für mich der Typ, der im Pub vor sechs Leuten gespielt hat. So habe
ich ihn zuerst gesehen. Ich war damals auf Nummer sechs in den Charts, und er
hasste das. Und Dave ist für mich der Typ, der mit Annie Lennox in diesem besetzten
Haus in Camden Town gewohnt. Sie waren beide merkwürdig. Deshalb mochte ich
sie. Dass sie alle irgendwann berühmt wurden, hat dem keinen Abbruch getan. Sting
ist für mich immer noch der Typ im Pub. Wenn er sich in Interviews aufplustert,
macht er das nur, damit die Leute ja nicht denken, er sei immer noch der Typ, der vor
sechs Leuten spielt.
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8. Song: Crazy
Leider halfen auch die großen Namen nicht. Der Erfolg von Geldofs Soloalben hielt
sich in Grenzen.
Mitte der 90er Jahre begann eine schwierige Phase für ihn. Die Ehe mit der TV
Moderatorin Paula Yates ging in die Brüche. Die Mutter der gemeinsamen drei
Töchter Fifi Trixibelle, Peaches Honeyblossom und Little Pixie verließ ihn und zog zu
Michael Hutchence, dem Sänger der australischen Band INXS. Es folgte ein
erbitterter Sorgerechtsstreit, den Geldof letzten Endes gewann und der dazu führte,
dass er sich von da an als einer der bekanntesten Vertreter für die Organisation
Fathers„ Rights Movement engagierte.
Hutchence wurde 1997 in seinem Hotelzimmer tot aufgefunden. Er hatte sich mit
einem Gürtel an einer Türklinke stranguliert. Es konnte nie geklärt werden, ob es ein
Unfall mit autoerotischem Hintergrund oder Selbstmord war. Drei Jahre später fand
die gemeinsame Tochter Heavenly Tiraani Tiger Lily ihre Mutter tot in ihrem Bett.
Yates war an einer Überdosis Heroin gestorben. Bob Geldof übernahm das
Sorgerecht für das verwaiste Kind.
Der damals 49jährige war am Boden zerstört. Das hört man auch an der Musik, die
er damals machte. 2001 erschien „Sex, Age and Death“- ein Album, das er später
kritisch bewertete.
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Das Album „Sex, Age and Death“ konnte man ja fast nicht anhören. Und die Songs
waren auch schwierig zu spielen. Sie waren sehr akkurate Schnappschüsse meiner
damaligen Verzweiflung, meines Schmerzes und meiner Trauer. Ich verstand
überhaupt nicht mehr, was in meinem Leben geschah. Es war alles sehr schwierig,
und das sehr öffentlich, und es endete tragisch. Und vor diesem Hintergrund
entstand das damalige Album. Dieser Verlust, den ich als überwältigend empfand,
dieser überdimensionale Schmerz war für mich irgendwie ungreifbar. Ich konnte
seine Ränder nicht sehen, deshalb konnte ich mich auch nicht drum herum bewegen.
Ich konnte nicht drunter wegkriechen, nicht drüber steigen. Er war einfach zu groß.
Das Album hat eine Art Rahmen drum herum gelegt. Und so konnte ich den Schmerz
endlich sehen. Schon im wörtlichen Sinne - dadurch, dass es eine Platte gab,
konnte ich ihn verstehen.
9. Song: Pale White Girls
Zum Glück konnte er sich also die Trauer von der Seele singen.
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Ich habe meine Emotionen nie versteckt. Ich habe keine Probleme zu weinen. Ich bin
ja Ire. Sie haben ja fast alle irischen Musiker interviewt. Sie wissen also, dass wir Iren
mit Sprache umgehen können. Die Engländer brauchen uns, um ihre Sprache zu
verstehen. Es ist mir auch nicht peinlich, über diese Dinge zu singen.
Daran, dass seine Gefühle öffentlich waren, hatte er sich schon lange gewöhnt. Sein
Leben fand und findet quasi in der Öffentlichkeit statt. Das schreckt ihn ab, er braucht
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diese Öffentlichkeit aber auch. Deshalb nimmt er es mit ambivalenten Gefühlen, dass
er und seine Familie unter Dauerbeobachtung durch die britischen Klatschmedien
stehen. Nicht nur diese interessieren sich für ihn. Auch auf einer anderen Ebene
beschäftigt man sich eingehend mit ihm.
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Es gibt eine Menge Leute, die ihre Doktorarbeit über mich geschrieben haben.
Darunter einige in Psychologie. Sie schickten sie mir dann, sowie sie ihren Titel
hatten. Sie erklärten in ihren Arbeiten, warum ich das und das getan hatte.
Faszinierend. In sechs Arbeiten wurden sechs unterschiedliche Analysen meiner
Persönlichkeit erstellt. Das war wie in der Regenbogenpresse. Jemand sollte mal
eine Biografie über mich schreiben, die nur auf Presseausschnitten beruht. Es würde
mich echt mal interessieren, was dabei rauskommt. Der Name wäre derselbe. Alles
andere hätte nichts mit mir zu tun. Die Biografie würde ein Leben beschreiben, das
ich nicht gelebt habe.
Er machte weiter, nahm Musik auf, ging auf Tourneen, reiste immer wieder für seine
Hilfsprojekte nach Afrika.
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Ich halte mich immer beschäftigt, weil ich mich sehr schnell langweile. Und wenn ich
mich langweile, werde ich depressiv. Und wenn ich depressiv werde, gerate ich in
einen Zustand, den ich lieber meide. Ich bin nicht manisch depressiv. Aber es ist
nicht einfach, mit mir zu leben. Ich mag mich eigentlich nicht besonders. Also bin ich
neurotisch aktiv. Deshalb hänge ich auch dauernd am Telefon. Viele meiner Projekte
habe ich aus diesem Grund angestoßen. Die Dinge an sich interessierten mich nicht
besonders. Es ist dann merkwürdig, wenn mich Leute später wegen dieses Projektes
anrufen, das mich gar nicht mehr interessiert. Die Dinge verselbständigen sich leicht.
Den Song „Scream in Vain“ schrieb er, nachdem er bei einem Besuch in Äthiopien
Trost in seiner Arbeit für die Hilfsorganisation und im Kontakt mit der dortigen
Bevölkerung gefunden hatte.
10. Song: Scream in Vain
Bob Geldof sieht seine Live Konzerte als wichtigen Bestandteil seines Lebens.
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Während eines Auftritts ziehe ich mich in das zurück, was Pete von den Rats Bob
World nennt. Ich bin zwar physisch präsent, ich merke, es, wenn ich einen Fehler
machen, ich weiß, was der nächste Song ist, ich bin mir bewusst, dass da vor mir
das Publikum steht, ich kann Witze machen und reden. Aber ich bin weggetreten.
Wenn ein Auftritt allerdings wirklich schlecht ist, kann ich nicht in diese Welt
verschwinden, und dann gerate ich ganz fürchterlich in Rage. Ich bin dann wütend
auf mich selbst.
Sein bisher letztes Album „How to compose popular songs that will sell“ erschien
2010. Der Titel sollte signalisieren: Diesmal würde ich meine Musik gern gut
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verkaufen. Er hatte die CD eigentlich „58 and a half“ nennen wollen, weil er zur Zeit
der Aufnahme genau dieses Alter hatte, erzählte er.
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Dann sah ich bei einem Freund in Los Angeles dieses Buch aus den 1930ern von
Leslie Sheppard. Der war Hindu und Experte für barocke Musik. Dieser Titel „How to
compose popular songs that will sell“ brachte mich dann dazu, Songs in allen
möglichen Stilrichtungen zu schreiben.
Auf dem Album gibt es auch einige Liebeslieder für die Schauspielerin Jeanne
Marine, mit der Geldof seit mehr als 15 Jahren liiert ist und die er letztes Jahr
heiratete.
Er widmete ihr unter anderem den Song „Dazzled by you“.
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Ich habe ziemlich spät im Leben eine Frau gefunden, die mich liebt. Und das in dem
Moment, als ich am hässlichsten war - ich weiß, dass ich nicht gut aussehe - aber
das Wort hässlich hat hier verschiedene Bedeutungen. Damals habe ich alle
Menschen gehasst, und ich war unerträglich. Und da tauchte diese Frau auf, die
darauf bestand, mich zu lieben. Ich tat alles, um sie davon abzubringen.
Sie ließ sich nicht abschrecken und blieb hartnäckig.
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Sie fand offensichtlich, dass in diesem unmöglichen Mann etwas Liebenswertes
steckt. Die einzig vernünftige Reaktion auf so eine Haltung ist, dass du die Liebe
erwiderst. Jeanne hat ganz langsam meine Seele wieder zusammengenäht und aus
mir etwas gemacht, das einem Menschen ähnelt.
11. Song: Dazzled by you
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Manchmal tauchen die Songs plötzlich auf, wie aus dem Nichts. Und ich verstehe
sie nicht. Aber das macht es interessant für mich. Ich frage mich: Worum geht es
da? Sie fühlen sich irgendwie wahr an.
Manche Lieder scheinen auch prophetische Elemente zu haben, stellte er vor zwei
Jahren fest und bezog sich dabei auf das Stück „Diamonds Smile“, das noch aus der
Zeit mit den Boomtown Rats stammt. Es geht hier um ein Mädchen, das auf einer
Party zuerst mitfeiert, sich dann ins obere Geschoss des Hauses zurückzieht und
sich dort erhängt.
2014 wurde Geldofs Tochter Peaches tot aufgefunden. Die 25jährige TV Moderatorin
war – genau wie ihre Mutter – heroinsüchtig und hatte sich im Beisein ihres
einjährigen Sohnes eine Überdosis verpasst. Die Mutter von insgesamt zwei Kindern
war wegen ihrer Sucht in Behandlung gewesen und galt als geheilt. Geldof machte
sich danach öffentlich Vorwürfe, dass er den Rückfall nicht bemerkt hatte.
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Das Drama des Kindes, das ohne seine leibliche Mutter aufwächst, zieht sich also
durch drei Generationen von Geldof selbst über seine Töchter bis zu seinen Enkeln
durch.
12. Song: Diamonds Smile
Bob Geldof ging auch mit dem letzten Schicksalsschlag offen um und erzählte, dass
ihm die öffentliche Anteilnahme und Zusprache hilft.
Zuflucht findet er auch in der Musik. Deshalb will er auch nach seinem 65.
Geburtstag weiter Songs schreiben und sie live aufführen. Das ist lebenswichtig für
ihn.
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Für mich ist die Musik wie eine Katharsis. Ich brauche sie. Wenn ich nicht zur Musik
gekommen wäre – ich bin sicher: Dann wäre etwas Schlimmes passiert. Denn
damals hatte ich mein Leben nicht unter Kontrolle. Heute brenne ich vor allem für
meine Konzerte. Wegen der Stunde Ruhe, die auf so ein Konzert folgt. Das ist der
einzige Augenblick, wo der innere Bürgerkrieg still hält. Wo in intellektueller,
physischer, psychologischer und emotionaler Hinsicht Ruhe herrscht.
Das war SWR2 Tandem – mit einer Sendung über den irischen Musiker Bob Geldof von und mit Christiane Rebmann.
Unser Podcast-und Newsletter-Angebot und die Liste der gespielten Musiktitel finden
sie im Internet unter SWR2.de/ Tandem.
13. Song: This is the world Calling
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