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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Simulieren erwünscht!
Angehende Mediziner üben die Kommunikation mit Patienten
Von Eva Gutensohn
Sendung: 15.09.16 um 10.05 Uhr
Redaktion: Ellinor Krogmann
Regie: Maria Ohmer
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
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Atmo Tür Begrüßung Stühle
O-Ton Szene 1:
Studentin: So, Frau Lang, Sie waren ja schon länger nicht mehr bei uns. Frau Lang:
Ja, es gab keinen Grund, zu Ihnen zu kommen. St: Was führt Sie denn jetzt zu uns?
L: Ja, das ist ein bisschen schwierig, das zu sagen, aber mein Mann meinte, ich
könnte ja doch mal zu Ihnen kommen. Ich glaube, er macht sich ein bisschen
Sorgen. St: Wissen Sie, warum er sich Sorgen macht? L: Ja, ich leide seit Langem
unter Schlafstörungen und da ich ja nun wirklich funktionieren muss tagsüber, Sie
wissen, dass ich drei Apotheken habe, nehme ich dann doch Benzos, und das hat
ihn beunruhigt.
Erzählerin:
Freitagnachmittag in einem Seminarraum der Universitätsklinik Freiburg. Cornelia
Gaedtke kommt herein und setzt sich zu einer jungen Medizinstudentin, die gerade
ihr Praktisches Jahr absolviert. Im Hintergrund haben sich sechs weitere Studierende
und der Seminarleiter niedergelassen, vor ihnen liegen Notizblöcke. Sie beobachten
die Szene. Cornelia Gaedtke heißt heute Irene Lang, denn die pensionierte UniDozentin ist eine von ungefähr 50 Laienschauspielern, die für das Klinikum tätig sind.
Sie genießt es, im Ruhestand mit jungen Menschen zusammenarbeiten zu können
und spielt heute ihre Paraderolle: eine Apothekerin.
O-Ton Szene 2:
St Und wann nehmen Sie dann die Benzos? L.: ja Abends, zum Schlafen. Also ich
möchte schlafen, damit ich auch tagsüber wirklich funktionieren kann. Ich meine, Sie
können sich vorstellen, drei Apotheken, da muss man präsent sein und kompetent
und zuverlässig, da kann ich mir das also überhaupt nicht leisten, tagsüber irgendwie
so ein bisschen vage durch die Apotheken zu schlendern. St: Und nachts schlafen
Sie schlecht, ohne die Benzos oder wie ist das?
L: Ohne die Benzos ist es fast nicht denkbar. Dann schlafe ich wirklich nicht, dann
geht alles in meinem Kopf nochmal durch, was tagsüber passiert ist und ich… nein,
nein, ich komme nicht zur Ruhe, das geht nicht.
Erzählerin:
Der Leiter des Zentrums für Simulationspatienten, kurz ZeSiMed, in der Abteilung für
medizinische Psychologie und Soziologie, heißt Götz Fabry. Der studierte Mediziner
mit Psychotherapieausbildung ist seit 15 Jahren in der Lehre und Forschung tätig,
sein inhaltlicher Schwerpunkt ist die Kommunikation.
O-Ton Götz Fabry:
Wir wissen ja schon längere Zeit, dass es in bestimmten Bereichen der ärztlichen
Tätigkeit, vor allem, was die Kommunikation angeht, Defizite gibt, dass da einfach
häufige Klagen kommen von Patienten. Man weiß ja auch, dass, wenn sich Patienten
beklagen, dann beklagen sie sich in aller Regel über die Art und Weise des
Umgangs, also der Kommunikation mit ihnen, weil es ja schwer ist für einen
Patienten, die medizinische Qualität der Behandlung einzuschätzen. Wir haben
andere Anzeichen dafür, dass es mit der Kommunikation nicht richtig gut läuft,
nämlich, wenn wir in den Bereich der so genannten Compliance gucken, d.h. also die
Frage, wie gut medizinische Maßnahmen, über die Arzt und Patient entscheiden
sollten hinterher umgesetzt werden. Man schätzt ja, dass zur Hälfte oder bis zu zwei
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Drittel aller medizinischen Maßnahmen vom Patienten nicht richtig umgesetzt
werden. Jetzt kann man das einfach auf die Patienten abladen und sagen, das
machen die halt nicht oder man kann eben sagen, da ist offensichtlich vorher was in
der Kommunikation auch schief gelaufen, denn sonst dürften solche Zahlen
eigentlich nicht sein. Genauso, wie man von einem Chirurg erwartet, dass er gut
operieren kann, muss man im Prinzip eigentlich von jedem Arzt, der mit Patienten
spricht, erwarten können, dass er gut kommunizieren kann. Ich versteh das als eine
Kompetenz, die man ausbilden kann und muss.
Erzählerin:
Die Methode der Patientensimulation wurde in den 60er Jahren in den USA von
Neurologen entwickelt: mit ihr werden gezielt Leute ausgebildet, die im
Medizinstudium die Rolle der Patienten einnehmen für eine praxisnahe Vorbereitung
auf den Beruf. In Deutschland wird dies erst seit einigen Jahren gelehrt. Die
Freiburger Universität und da besonders die psychologischen und
psychosomatischen Fakultäten bieten seit acht Jahren Kommunikationsübungen an,
aber auch in der Allgemein-Medizin wird das Thema Gesprächsführung immer
wichtiger. Flächendeckend geschweige denn verpflichtend ist dieses Konzept
allerdings noch nicht in den Lehrplänen der medizinischen Fakultäten in Deutschland
zu finden.
O-Ton Szene 3:
St: Wann hat das angefangen? L: Ach je, wann hat das angefangen, so ungefähr vor
10-15 Jahren. Es hat eigentlich auch schon angefangen, als unsere Kinder klein
waren, aber da ging es noch und dann haben wir eine dritte Apotheke dazu
bekommen und dann war es wirklich so, dass ich einfach...wegen der
Verantwortung...dann war es mir klar, ich muss schlafen und ich muss am nächsten
Tag voll da sein.St: Und nehmen Sie die jeden Abend? L: Ja, mehr oder weniger
schon. Ich wechsle so ab zwischen Zopiclon und Lexotanil und nehme entweder das
eine oder das andere, ich entscheide das im Moment. Also ich würde sagen, ich
nehme schon jeden Abend etwas. St: Sie arbeiten jeden Tag in der Woche? L:
Selbstverständlich. St: Und am Wochenende, wie ist es da? L: Ja, am Wochenende
reduziere ich dann vielleicht ein bisschen die Dosis. Aber Wissen Sie, Wochenende
ist ein großes Wort. Wir haben die Abrechnungen zu machen, wir haben die
Bestellungen zu machen. Eine Apotheke heute ist keinesfalls mehr zu vergleichen
mit einer Apotheke früher, wo Sie wirklich auch entsprechend Ihres Studiums und
Ihrer Kompetenz dann etwas verkauft haben oder empfohlen haben. Heute
verkaufen Sie jetzt in der Osterzeit Plüschhasen. Und da ich Plüschhasen hasse, ist
das eine zusätzliche Belastung. St: Das kann ich verstehen... L: Hassen Sie auch
Plüschhasen? St: Ja.
Erzählerin:
In der Regel wird das ZeSiMed von den medizinischen Abteilungen angefragt: zum
Beispiel von der Psychiatrie, wenn die für ihre Lehre eine Person braucht, die einen
Menschen spielt, der an einer Depression, Schizophrenie oder Zwangsstörung leidet.
Die Spezialisten vom Fach beschreiben die Rolle aus medizinischer Sicht, liefern
eine grobe Hintergrundbiographie und geben an, welches Alter, Geschlecht und
Temperament die oder der Darstellende haben soll. Rund 150 Rollen existieren
bereits nach diesem Muster. Das ZeSiMed sucht dann gezielt nach einem
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Schauspieler oder einer Schauspielerin und feilt gemeinsam mit ihm oder ihr an der
Biographie, bevor es ans Einstudieren der Rolle geht.
Für diese schauspielerische Ausbildung ist Manuela Klaube zuständig. Sie ist
gelernte Krankenschwester und war vor zehn Jahren noch selbst
Simulationspatientin in der Psychiatrie. Sie war so begeistert von dieser Tätigkeit,
dass sie eine Ausbildung zur Schauspieltrainerin absolvierte und im Herbst 2008
dann auch ein Angebot bekam, als Trainerin zu arbeiten.
O-Ton Manuela Klaube:
Es gibt dann verschiedene Sitzungen: also die erste Sitzung, wenn ein Schauspieler
ganz neu beginnt, dann fang ich erst mal an mit zwei bis drei Stunden
Feedbacktraining, weil (..) danach kommt ja diese Feedbackrunde, wo dann der
Schauspielpatient dem Studierenden rückmeldet, wie es ihm ergangen ist.
Dann käm dann die zweite Sitzung, da geht es dann um die Erklärung des
Krankheitsbildes und das richtet sich jetzt nach Intensität, hat jemand einen
medizinischen Hintergrund oder einen Theaterhintergrund und dann mach ich
einfach Unterricht. Über Anatomie, über's Krankheitsbild und dann auch ein Teil die
Rollenerarbeitung, also dass ein depressiver Patient jetzt mit hängenden Schultern
sitzt, mit leiser Stimme, dass er eine gewisse Körperhaltung hat, ein gewisser Gang.
Und dann gibt es die dritte Sitzung, dann beginnt ja dann nochmal das Schauspiel
selber, das bedeutet, dass ich dann eine Studentin spiele mit dem Schauspielpatient
und unterbreche halt einfach wie in den Proben. Mach dann 'Cut', wenn ich sag, es
passt jetzt grad authentisch nicht, oder 'wie du sitzt wirkt entspannt, du bist aber
eigentlich angespannt'.
Erzählerin:
Irene Lang wirkt sehr entspannt, sie hat sich in ihrem Stuhl zurückgelehnt und die
Beine übereinander geschlagen, ihre Mimik drückt etwas Erhabenes, fast Arrogantes
aus, als würde sie das alles nichts angehen. Die angehende Ärztin hält intensiv
Blickkontakt und zeigt freundliches Mienenspiel, dabei sitzt sie mit ihrem Oberkörper
nach vorne gebeugt ihrer Patienten zugewandt.
O-Ton Szene 4:
St Und woher bekommen Sie die Benzos? Ich bin ja Ihr Hausarzt und bisher habe ich
noch kein Rezept verschrieben... L: Tja, das ist die große Frage... St: Soweit
kommen Sie aber zurecht, da sind noch keine „Unstimmigkeiten“ aufgefallen. L: Ja,
gut, wir haben natürlich schon die Möglichkeit bei drei Apotheken gewisse Dinge
nicht so klar zum Vorschein kommen zu lassen. Vielleicht ist das auch ein Grund,
warum mein Mann dann doch fand, ich sollte nochmal zu Ihnen kommen. Das ist
natürlich ein Thema, das wir möglichst ausklammern, das können Sie ja vielleicht
verstehen. St: Und wie ist es für Sie, dass Sie regelmäßig Benzodiazepine
einnehmen? L: Das ist überhaupt kein Problem, eben, weil ich Apothekerin bin. Ich
weiß, was ich tue, ich weiß auch, dass ich jeder Zeit aufhören kann, dass ich
jederzeit reduzieren kann, aufhören kann, wenn die äußere Situation und die
Lebenssituation sich ändert. Ich beobachte mich und ich bin nicht naiv.
O-Ton Götz Fabry:
Eine Frage, die oft, fast besorgt gestellt wird, ist, ob denn diese Simulationspatienten
denn die Arbeit mit den richtigen Patienten ersetzen oder ob die Ausbildung nicht
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mehr an richtigen Patienten stattfindet und das wird dann häufig schon so wieder der
modernen Medizin angelastet. Wenn man dran denkt, dass man mit einem Patienten
sprechen muss, der Suizidgedanken hat oder auch intime Details zu erfragen wie
Sexualität und so, das möchte man vielleicht vorher mal üben, bevor man da zum
richtigen Patienten kommt oder auch das Überbringen einer schlechten Nachricht,
wenn jemand eine schwerwiegende Diagnose hat, wo er bald vielleicht sterben
muss, dann sind das auch Gespräche, die muss man eigentlich schon können, wenn
man das das erste Mal das an einem Patienten macht. Insofern ist das kein Ersatz,
es dient der besseren Vorbereitung, der praxisnäheren Vorbereitung und damit sind
sie natürlich eine Ergänzung und keinesfalls ein Ersatz für die Arbeit mit Patienten.
O-Ton Manuela Klaube:
Eine Rolle wird ja viel über Jahre gespielt und es ist immer einfach anders, weil ja der
Gesprächspartner ein Anderer ist und das ist ja diese Interaktion zwischen dem
Studierenden und dem Schauspielpatient und das kenne ich auch, klar, wenn der
Schauspielpatient sich jetzt nicht verstanden fühlt, dann kann das schon zu einer
Gereitztheit kommen oder zu einer Aggression. Also wie es halt einfach auch im
Alltag ist, fühle ich mich jetzt verstanden oder nicht. Wichtig ist auch die
Körpersprache, wie sitzt man sich gegenüber? Ist man im Augenkontakt, wie
empfindet man gegenseitig die Stimme, sitzt der jetzt mit verschränkten Armen vor
mir oder offen mir freundlich zugewandt? Das ist das Tolle, weil einfach jedes
Gespräch anders ist.
O-Ton Szene 5:
St: Für Sie gibt es momentan sehr viele Punkte, die für das Einnehmen der
Medikamente sprechen. Könnten Sie mir die nochmal kurz zusammenfassen? L: Das
ist doch eigentlich klar, wenn Sie wissen, dass ich drei Apotheken habe. Ich habe die
mit meinem Mann, das ist klar, aber mein Mann sieht das sehr viel lockerer als ich.
Ich fühle mich verantwortlich für den wirtschaftlichen Zustand der Apotheken. Ich
fühle mich sehr verantwortlich für die Mitarbeiter, die wir haben. Ich fühle mich
selbstverständlich verantwortlich für die Patienten, denen ich die Medikamente
verkaufe. Es darf nichts passieren. Stellen Sie sich vor, es wird ein falsches
Medikament rausgegeben. Das heißt auch, dass Sie ständig kontrollieren müssen.
Also es ist ja auch eine Funktion der Kontrolle, die ich als sehr unangenehm
empfinde und die mich stresst.
Erzählerin:
Es gibt viele verschiedene Gesprächsmodelle, die in der Lehre eingesetzt werden
können. Bei allen geht es um den Umgang mit Emotionen. Wann welches Modell
eingesetzt wird, hängt von der jeweiligen Situation ab. Das 'Calm Modell' ist für
besonders aggressive Patienten geeignet, das 'Spikes Modell' für das Überbringen
schlechter Nachrichten und das 'Motivational Interviewing Modell‘, um eine Änderung
der Lebensführung anzuregen, so wie es unsere junge Ärztin bei Frau Lang
erreichen will.
O-Ton Szene 6:
St: Sie wissen ja sicherlich, dass Benzodiazepine süchtig machen können. L: Ja,
natürlich. St: Und Haben Sie sich dann auch schon mal in die Richtung Gedanken
gemacht? L: Ja, natürlich habe ich mir Gedanken gemacht. Und wenn ich einem
Patienten Benzos verkaufe, dann kläre ich ihn auf über die Folgen. Aber da ich weiß,
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was ich tue und überzeugt bin, dass ich jederzeit die Sachen im Griff habe, mache
ich mir nicht zu viele Gedanken darüber. St: Jetzt kann ich nur wiederholen, was Sie
gesagt haben, Sie haben grad eben gesagt: da mach ich mir nicht zu viele Gedanken
drüber und Sie glauben, dass Sie das sehr gut handeln. Gibt es da doch vielleicht
Zweifel? L: Ach je, die lasse ich eigentlich nicht zu und die erlaube ich mir nicht.
(Warum?) Weil ich funktionieren muss. Das ist ein Rattenschwanz. St: Haben Sie es
denn schon mal versucht, die mal abzusetzen? L: Zwischen Weihnachten und
Neujahr habe ich mal versucht, zu reduzieren, habe auch zwei Tage ganz abgesetzt
und hab festgestellt, dass es völlig unmöglich ist, das war aber auch so ziemlich die
schlechteste Zeit, die man sich vorstellen kann. Es war Jahresabrechnung, wir hatten
enorm viel zu tun und ich habe dann sofort wieder gesehen, das geht nicht. Ich war
fahrig, unkonzentriert, unruhig, das war dann ganz klar, ich muss die Benzos wieder
nehmen.
O-Ton Götz Fabry:
Was aber wichtig ist, ist, dass die meisten Erkrankungen heutzutage ja solche
Erkrankungen sind, die sehr stark auch mit der Lebensführung auch
zusammenhängen. Also die allermeisten Patienten haben heute Erkrankungen, die
nicht einfach mal so eben mit einer Tablette geheilt werden können. Ob das nun
hoher Blutdruck ist oder ob das Diabetes ist, ob das Krebserkrankungen sind. Das
zweite ist, dass die Therapien meistens komplex sind. Das heißt, ich muss z.B.
Medikamente nehmen, ich muss aber vielleicht auch mich am Besten in meiner
Lebensführung noch umstellen oder wenn ich jetzt z.B. eine Krebserkrankung habe,
dann sind häufig die Entscheidungen, die dort getroffen werden bei diesen Therapien
recht schwierig, weil die Therapien selber mit einer hohen Belastung für die Patienten
einhergehen können. Und in so einer Situation ist es ja so, dass jetzt nicht einfach
irgendwer entscheiden kann, das machen wir jetzt, sondern das ist der Patient, der
entscheiden muss, was will ich überhaupt, was ist mir wichtig und der dann
letztendlich derjenige ist, der die Therapie umsetzen muss.
O-Ton Szene 7:
St: Jetzt merken Sie ja, Ihr Mann macht sich irgendwo ja schon Sorgen um Sie und
auch Sie haben ja auch gewisse Zweifel, weil Sie ja auch wissen, dass da schon
auch die Suchtgefahr da ist. Und Sie sagen, momentan handeln Sie das ganz gut,
aber es besteht ja durchaus die Möglichkeit, dass das mal nicht mehr so gut klappt.
Wie ist es denn für Sie, jetzt so sich zu überlegen, mal in eine andere Richtung zu
gehen? Das Sie sagen, vielleicht treten Sie in den Apotheken ein bisschen kürzer.
Und versuchen dafür, selber irgendwie zu Schlaf zu kommen, dass Sie ein bisschen
ruhiger werden können.
Erzählerin:
Das Gespräch bewegt sich auf die Zielgerade zu – die Studentin will die Chance
nutzen, eine entscheidende Wende herbeizuführen, indem sie Frau Lang
Lösungsvorschläge anbietet.
O-Ton Szene 8:
St: Ich seh schon, das beschäftigt Sie sehr, dass Sie da einfach nicht loslassen
können. L: Ist es wirklich das nicht loslassen zu können oder einfach, jemand zu
sein, der ein großes Verantwortungsbewusstsein hat? St: Und dass es da andere
Möglichkeiten gibt, dass Sie z.B. einen Mitarbeiter haben, wo Sie sagen, dem können
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Sie das überlassen? L: Finden Sie mal einen guten und zuverlässigen Mitarbeiter.
Das ist wirklich extrem schwierig.
Erzählerin:
Scheinbar keine Chance für die angehende Ärztin, an Frau Lang heranzukommen,
auch, wenn sie weiterhin geduldig und fürsorglich agiert und in der Körpersprache
immer näher an ihre Patientin heranrücken möchte.
Die anderen Studierenden im Raum beobachten aufmerksam das Geschehen. Sie
sitzen hufeisenförmig gegenüber und schreiben fleißig mit. Es ist still, nur ein
Räuspern und ein Kugelschreiber sind mal zu hören. Vor allem der Seminarleiter
Götz Fabry beobachtet konzentriert die Szene. Er ist am Ende der Sitzung für die
Analyse des Gespräches zuständig.
O-Ton Szene 9:
St: Ich meine, Sie sind jetzt zu mir gekommen...haben Sie sich denn überlegt, was
Sie hier erwarten könnte? L: Also eigentlich wollte ich in erster Linie meinen Mann
beruhigen. St: Wie möchten Sie ihn beruhigen? L: Indem ich ganz einfach sage, ich
war bei unserer Hausärztin und jetzt bin ich wieder hier. St: Aber an dem Problem an
sich hat sich ja noch nichts geändert für Ihren Mann. L: Es hat sich auch meine
Lebenssituation noch nicht geändert und ich habe das Gefühl, dass sich in meinem
Gebrauch der Benzos erst dann etwas ändern kann, wenn sich auch meine
Lebenssituation ändert.
O-Ton Götz Fabry:
Eine Psychotherapie ist das nicht unbedingt, was Ärzte machen müssen. Es geht
mehr darum, die Person/Patient als Ganzes wahrzunehmen, nicht nur reduziert auf
ein paar Symptome, sondern das Erleben mit einzubeziehen, weil das natürlich
häufig geprägt ist von Ängsten, von Sorgen und wir wissen halt, dass wenn man
diese Sorgen nicht berücksichtigt, dass dann die Behandlung der Patienten viel
schwieriger ist, dass die Patienten auch vielleicht mehr Schmerzen haben, dass die
Zufriedenheit der Patienten nicht so hoch ist. Es gibt auch einige Studien, die sogar
gezeigt haben, dass die Behandlungsergebnisse besser sind, wenn man in dieser
Form Kommunikation macht.
Erzählerin:
Gute Ärzte teilen ihr Wissen mit den Patienten und das in einer verständlichen
Sprache. Im Zeitalter von Internet und Google scheint es, als könnten sich die Leute
ihr medizinisches Wissen zu Hause aneignen. Das stimmt aber nur bedingt und führt
meist auf falsche Fährten. Und bewiesen ist auch, dass diejenigen, die von ihren
Ärzten gut aufgeklärt werden, weniger im Netz nach Antworten suchen.
O-Ton Götz Fabry:
Es gibt verschiedene Studien, die gezeigt haben, dass gute Gespräche nicht länger
dauern als schlechte Gespräche. Viele Ärzte haben Angst davor, Emotionen
anzusprechen, die sie bei Patienten vielleicht so zwischen den Zeilen wahrnehmen,
weil sie befürchten, wenn sie das Fass aufmachen, dann dauert das Gespräch viel
länger. Aber auch da hat sich gezeigt, je schneller das geschieht, je eher diese
Zeichen aufgegriffen werden, umso besser gelingt es auch, das Gespräch in einem
vertretbaren Rahmen zu halten, möglicherweise sind diese Gespräche sogar kürzer.
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O-Ton Szene 10:
St: Was denken Sie, wie wir jetzt in dieser Situation Ihnen helfen könnten, dass Sie
diesem Ziel doch noch etwas näher kommen? L: Tja, vielleicht doch mit
Gesprächen? Ich bin unsicher, aber vielleicht ist es einen Versuch wert. St: Vielleicht
schon in einer Woche, dass wir dann einfach nochmal weiter sprechen? L: Können
es versuchen, ich kann nichts versprechen. St: Sie müssen nichts versprechen, wir
versuchen es einfach. Haben Sie denn jetzt aktuell noch Fragen? L: Nein, es ist alles
klar. St: Dann machen wir draußen noch einen Termin aus und dann sehen wir uns
in einer Woche. Wiedersehen Frau Lang.
(Stühle, Tür, Tischklopfen)
Erzählerin:
Frau Lang verlässt den Raum. Die angehende Ärztin atmet einmal tief durch, bevor
sie Frau Lang, die ab jetzt wieder Cornelia Gaedtke ist, erneut hereinbittet. Die
Auswertung des Patientengesprächs kann beginnen. Ein elementarer Teil des
Seminars.
O-Ton Manuela Klaube:
Wenn dann das Rollenspiel rum ist, eben ist dann dieser Schnitt, der Schauspieler
muss erstmal raus aus der Rolle, nochmal was verändern, Kleidung, Jacke an oder
aus oder Brille auf, Platzwechsel. Und dann, jetzt z.B. würde ich jetzt als Manuela
Klaube sagen, wie es mir jetzt als Patientin z.B. Frau Schmidt ergangen ist. Also
praktisch Zeuge seiner selbst. Und Feedbacktraining ist schon eine wichtige Sache,
auch ehrlich gesagt eine kleine Wissenschaft. Es wird eben auch trainiert: wie gebe
ich Rückmeldung, ohne es zu beurteilen. Wertfrei, dass ich von mir aus sage in einer
Ich-Botschaft auch ganz konkret, z.B. 'ich habe mich jetzt unsicher gefühlt, weil mir
ist aufgefallen, Sie schauen immer wieder auf die Uhr'.
O-Ton Evaluation Tandem:
Studentin: Von der Stimmung her...die Patientin war relativ offen für die Probleme,
die sie hatte. Es war natürlich wahnsinnig schwierig, weil sie kein
Problembewusstsein hatte, aber es gab dann doch so kleine Punkte, wo ich dann
versucht hab, irgendwie anzuknüpfen und zu schauen, ob man vielleicht doch leichte
Zweifel in ihr wecken kann, ich glaub, das ist mir so halbwegs gelungen.
Frau Lang: Ja also Frau Lang hat sich ganz wohl gefühlt. Zu Beginn wusste sie nicht
so ganz, was sie da soll, Sie haben ihr aber sehr schnell auch vermittelt, dass Sie
Verständnis haben. Es war vielleicht auch der Punkt, wo wir beide ziemlich nonverbal
uns ziemlich einig waren, dass ich illegal diese Benzos in der Apotheke
verschwinden lasse, das ist natürlich mit sehr viel Scham verbunden, das fand ich
wirklich gut. Ich fand, Sie waren sehr zugewandt, Sie sind sehr ruhig geblieben, was
ich als sehr angenehm empfunden habe und Sie haben wirklich Frau Lang erst mal
ernst genommen, aber ihr trotzdem aufgezeigt, dass da Dinge nicht ganz klar sind.
Erzählerin:
Nach den unmittelbar Beteiligten sind nun die anderen Studierenden dran, ihre
Einschätzungen abzugeben. Ohne langes Zögern bringen sie ihre Beobachtungen
auf den Punkt.
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O-Ton Evaluation Studierende:
Studentin 1: Und dann hast du es aber geschafft, Stück für Stück doch irgendwie auf
sie einzugehen, ihre Situation so lange zu eruieren, dass dann glaub ich so eine
Vertrauensbasis da war. (…) Richtig süß war, du hast dich danach total gefreut, als
sie dann auch gesagt hat, dass man da was machen muss, da konnte man es dir
förmlich ansehen...(lachen)
Student 2: Was ich sehr geschickt fand, die intrinsische Motivation und das
Problembewusstsein, wie du versucht hast, ihr im Gespräch raus zu kitzeln, dass du
konkret nachgefragt hast, wie oft, wie lange sie das nimmt. Den kritischen Umgang
mit Benzos hast du auch konkret bezeichnet.
Studentin 3: Am allerbesten am Ende: 'Sie müssen nichts versprechen, wir
versuchen es einfach'.
Erzählerin:
Die Studentin auf dem Podium nickt kommentarlos. Den Abschluss und
entscheidenden Kommentar macht Götz Fabry.
O-Ton Evaluation Götz Fabry:
(…) 'Es gibt vier Punkte, die für die Einnahme sprechen, können Sie die nochmal
sagen?' Und dann hat sie so ein bisschen umständlich geantwortet, du hast es dann
nochmal für dich geordnet, aber was mir dann gefehlt hat, war die andere Seite von
der Frage. Also wenn du die Entscheidungsfrage machst, was spricht dafür, dann
musst du das auch konsequent zu Ende machen. Das Nächste wäre gewesen, o.k.,
jetzt haben wir mal gesammelt, was dafür spricht, können wir jetzt auch mal das
Andere, was spricht dafür, die Benzos auch wieder abzusetzen?
Jetzt bist DU auf einmal diejenige, die arbeitet. Du hast dir erst überlegt, was könnte
sie alles machen? Sie könnte vielleicht am besten ihr Leben ändern. Sie könnte
kürzer treten, vielleicht könnte man mal drüber nachdenken mit einem Mitarbeiter
usw., d.h., du bietest jetzt lauter Lösungsvorschläge an, die eigentlich von ihr
kommen müssen und da kann sie natürlich bei jedem Lösungsvorschlag sagen: geht
nicht, klappt nicht, läuft nicht u.s.w., d.h., da kannst du jetzt eine Stunde mit ihr
arbeiten. Da bist du jetzt eigentlich in der falschen Position, denn sie muss die
Lösungsvorschläge erarbeiten, wenn sie die will.
Erzählerin:
Für die angehenden Ärztinnen im Seminarraum steht fest, der Kurs hat sich gelohnt.
In ihrem Praktischen Jahr sind sie bereits jetzt mitten drin im Klinikalltag und stolpern
fast täglich über misslungene Kommunikation im Umgang mit Patienten; nicht selten
von ihren Vorgesetzten selbst...
O-Ton Studentin 3:
Gut als Student ist man das kleinste Glied in der Kette und fängt dann nicht an, den
Oberarzt zu unterbrechen und hinterher nochmal nachzufragen, 'wäre es nicht
besser gewesen, Sie hätten so und so gefragt?' Ich finde so Negativbeispiele auch
gut, weil die mich darin bestärken, dass ich hier was Gutes gelernt habe und dann
gehe ich nach Hause und denke mir, wenn ich irgendwann mal soweit bin, würde ich
es anders machen.
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