Geister, Gespenster, Spukerscheinungen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Geister, Gespenster,
Spukerscheinungen
Erkundungen im Übernatürlichen
Von Rolf Cantzen
Sendung: Freitag, 10. Februar 2017, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Kölbel
Regie: Tobias Krebs
Produktion: SWR 2017
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MANUSKRIPT
Musik
O-Ton:
"Okkulte Stimmen." (Bericht eines Betroffenen) "Die dritte Phase begann mit einem
eigenartigen Gekrächze, das in der Luft irgendwo vorhanden war an verschiedenen
Stellen. Das begleitete uns auch. Dieses Gekrächze ist im Tonband aufgenommen
worden." (Mitarbeiter Freiburger Institut) "...und zwar Klopftöne und dieses
Krächzen..." (Bericht) "... und das Fallen der Möbel". (Geräusch: Tonband wird
eingeschaltet.) (Heftiges Klopfen, Krächzen.)
Ansage:
Gespenster, Geister und Spukphänomene. Erkundungen im Übernatürlichen. Eine
Sendung von Rolf Cantzen
O-Ton: (Geräusche)
Erzählerin:
Zuerst schraubten sich Wasserhähne aus ihrer Fassung, Mobiliar wurde demoliert.
Dann riss es Türen aus den Fassungen, eine landete im Apfelbaum. Tische und
Stühle flogen aus dem ersten Stock auf die Treppe. Ein Spukfall von vielen. Sind es
Geister oder verbergen sich dahinter natürliche Ursachen? Die Experten vom "Institut
für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene" in Freiburg analysieren
solche Phänomene. Sie sind Psychologen, Psychotherapeuten, Physiker,
Soziologen, Chemiker. Ihr Forschungsgebiet ist die "Anomalistik" - also das, was sich
mit herkömmlichen psychologischen und naturwissenschaftlichen
Herangehensweisen nicht erklären lässt.
O-Ton Eberhard Bauer:
Das Institut für Grenzgebiete - abgekürzt IGPP - untersucht in einem breiten
interdisziplinären Rahmen außergewöhnliche oder paranormale Erfahrungen, die seit
jeher zur Kulturgeschichte der Menschen gehören...
Erzählerin:
Der Psychologe Eberhard Bauer ist heute der Forschungskoordinator des IGPP.
Geistererscheinungen, Telepathie, Hellsehen, UFOs, Reinkarnations-Erinnerungen
und eben Spukphänomene aller Art sind Aufgabenbereiche des interdisziplinären
wissenschaftlichen Teams.
O-Ton: "Okkulte Stimmen...", (Klopfen) "Ist das laut. Ich hab Angst. „
Erzählerin:
Ein Spukfall aus dem Jahre 1971: Das Poltern und Klopfen begann immer dann,
wenn die beiden Schwestern - elf und dreizehn Jahre alt - nebeneinander im Bett
lagen. Hinweise auf Manipulationen und "normale" Erklärungen dieser Phänomene
fand man nicht - auch nicht bei diesem fast 2000 Jahre alten Spukphänomen:
Musik:
Zitator:
In der Stille der Nacht hörte man Eisengerassel, und wenn man stärker hinhörte,
Kettenrasseln. Darauf erschien ein Gespenst, ein alter Mann, abgemagert und total
verdreckt mit langem Bart; an den Beinen trug er Fußfesseln...
Musik
Erzählerin:
Das berichtet der römische Senator Plinius der Jüngere im ersten Jahrhundert
unserer Zeitrechnung über ein Haus in Athen. Der Philosoph Athenodorus wartete
eines Nachts auf das Gespenst und folgte ihm. Es führte Athenodros bis in den Hof
und löste sich dort in Luft auf. An dieser Stelle ließ er am Tag darauf die Erde
aufgraben.
Musik
Zitator:
Man findet ein in Ketten eingewickeltes Skelett. Es wurde auf Staatskosten
beigesetzt.
Musik
Erzählerin:
... und danach war der Spuk zu Ende - ein ähnliches Szenario wie im Film
"Poltergeist", der 1982 inszeniert wurde. Hier hatte eine raffgierige Baufirma eine
Siedlung auf einem planierten Friedhof gebaut. Die Seelen protestierten mittels
Spuk.
O-Ton Eberhard Bauer:
Der Umgang mit der Totenwelt oder der Frage, ob es Kontakte mit Verstorbenen gibt
- das ist ja ein Menschheitsthema. Es gibt keine Hochkultur, in der diese Themen,
diese Phänomene nicht in irgendeiner Weise eine Rolle spielen.
Erzählerin:
Schutz- und Hausgeister finden Ethnologen und Historiker in nahezu allen Kulturen,
Erzählungen von Totengeistern und Wiedergängern, von Quäl- und Plagegeistern
ebenso. In England gab es Poltergeist-Phänomene vor allem in alten Landhäusern.
Die 1882 in London gegründete „Society for Psychical Research“ sammelte,
analysierte Hunderte von Fällen. Psychologen und Wissenschaftler dokumentierten
Spukphänomene und Geistererscheinungen, Journalisten berichteten und
Schriftsteller publizierten seit dem 17. Jahrhundert Gruselgeschichten und ebneten
der Filmindustrie und Unterhaltungsliteratur den Weg zum beliebten Grusel- und
Horrorgenre.
Musik
Zitator:
Glauben Sie an Geister?
Erzählerin:
Knapp 10 Prozent antworten Meinungsforschern mit einem klaren "Ja".
Geister scheinen immer beliebter zu werden: Wer Kontakte mit ihnen wünscht,
wendet sich an spirituelle Medien. Um herumspukende Wesenheiten loszuwerden
engagiert man Geisterjäger oder "spirituelle Putzkolonnen".
Musik: "Ghostbusters"
Erzählerin:
Spukbegeisterte können in Hunderten von Büchern und Dokumentationen ihre
Informationslücken schließen. Und manche Skeptiker lassen sich irritieren, wenn
man sie fragt, ob sie nicht auch vor dem Tod geliebter Menschen merkwürdige
Vorahnungen gehabt hätten.
O-Ton Eberhard Bauer:
Die Frage, ob mit dem Tode, dem physischen Tode, alles aus ist, ist ein zentrales
Thema jeder Philosophie, Literatur, jeder Neurowissenschaft und so weiter. Das
heißt, diese Themen entzünden auch die Phantasie der Menschen und insofern
gehören sie zu der Alltagswirklichkeit. Warum? Weil die natürlich eine existenzielle
Aufladung haben - auf der einen Seite und weil sie natürlich einhergehen mit dem
Niemandsland, das wir wohl alle eines Tages betreten werden, aber keine kommt
daraus zurück.
Erzählerin:
... so spuken Seelen gelegentlich, weil ihr Körper nicht angemessen bestattet wurde,
weil sie post mortem noch etwas zu erledigen haben oder weil sie nicht "ins Licht"
finden. Das wäre der spiritualistische Erklärungsansatz für "anormale" Phänomene.
O-Ton "Okkulte Stimmen (Klopfen)
Erzählerin:
Skeptiker vermuten hinter Geistererscheinungen und Spuk Betrug oder
Manipulationen. Psychologen erklären anormale Wahrnehmungen
kognitionspsychologisch oder mit unbewussten Wünschen. Naturwissenschaftler
setzen auf natürliche Erklärungen, neuerdings auf die Quantenphysik. Trotz - oder
gerade wegen - dieser unterschiedlichen Erklärungsansätze bleibt die Beschäftigung
mit dem Anormalen spannend. Ein wichtiges Motiv der Beschäftigung ist dessen
"existenzielle Aufladung": Woher komme ich, wohin gehe ich...
O-Ton Eberhard Bauer:
Aus diesem Grunde sind Spuk und Geistererscheinungen ein Tummelplatz für
unsere Phantasien, für unsere Hoffnungen und Ängste und insofern wird es solche
Phänomene oder Berichte darüber immer geben, solange es Menschen gibt.
Erzählerin:
... so der Psychologe Eberhard Bauer, der in seinem Freiburger Institut auch auf ein
großes Fall-Archiv und eine einschlägige Bibliothek zurückgreifen kann. Er
beschäftigte sich auch mit spirituellen Medien wie Ulrich Makowski, die über
einschlägige Erfahrungen zu haben glauben mit den Seelen Verstorbener und der
„Entsorgung“ herumspukender Geister.
O-Ton Ulrich Makowski:
Das ist eine Gabe, die ich habe. Und ich kann sehen und sagen, es ist die Seele
eines Mannes, die will das und das sagen, als Beispiel, der hat eine Nachricht an Sie
oder der findet seinen Weg nicht ins Licht oder der vermisst jemanden oder sucht
jemanden.
Erzählerin:
Ulrich Makowski, Ende 40, schlank, nebenberufliches Medium, wohnt in Berlin
Steglitz in einem Mehrfamilienhaus aus den 1970er Jahren. Seine Wohnung im 3.
Stock ist sachlich eingerichtet: Keine wallenden Vorhänge, keine Geisterstaubsauger
wie im Film...
Erzählerin:
... keine Kristallkugeln, keine Räucherstäbchen. Ulrich Makowski ist bodenständig.
Wer ihn als "Mittler zwischen den Welten" buchen will - 120 Euro pauschal für eine
bis eineinhalb Stunden -, findet ihn im Internet.
O-Ton Ulrich Makowski:
Bei 80 oder 90 Prozent ist es wirklich so, dass da irgendetwas ist, was man nicht
erklären kann. Ich kann mich, wenn ich mit der Person am Telefon spreche, dann
kann ich mich bei denen reinversetzen in das Energiefeld.
Erzählerin:
Manchmal, wenn sich Spukerei nicht gleich am Telefon erledigen lässt, meditiert er
eine Weile, um Kontakt zur spukauslösenden Seele aufzunehmen und sie "ins Licht
zu schicken" - das heißt für Ulrich Makowski - "in den Himmel", also einem Ort, an
dem sie sich wohlfühlen und ein wenig ausruhen kann, bevor sie wieder inkarnieren,
also zurück muss in einen anderen Körper. Ein Beispiel:
Musik
Erzählerin:
Ein junger Mann ruft gegen 22 Uhr an, es machten sich "Wesenheiten" bemerkbar
durch Geräusche in Küche und Flur und durch plötzliche Kälte:
O-Ton Ulrich Makowski:
So und dann meinte ich: "Was passiert denn jetzt gerade, in diesem Moment in Ihrer
Wohnung?" - "Ich halte Ihnen jetzt mal das Handy hin. Es klappert unentwegt und
alle Tassen klappern und das ganze Zimmer hoppelt." - Ich sagte: "Sie erzählen mal
weiter, was passiert und ich nehme Kontakt mit dieser Seele auf." Und ich habe das
gemacht und ich habe mit dieser Seele gesprochen und es war eine Seele, die den
Weg nicht ins Licht gefunden hatte, die nur Aufmerksamkeit brauchte, die wollte
gesehen werden, sie kannte den Ausweg nicht, sie wollte weg aus dieser Ebene und
hat sich irgendwie verfangen in dieser Wohnung. Ich weiß nicht, woher diese Seele
kam. Ich habe kurzerhand mit dieser Seele gesprochen, habe kurz erklärt, dass sie
geschützt ist und ich werde sie jetzt ins Licht bringen und habe sie dann auch
tatsächlich bis an die Schwelle des Lichts gebracht. So, und dann meinte ich zu dem
jungen Mann: "So jetzt horchen Sie einmal. Ist noch etwas in der Küche oder ist
irgendetwas verändert bei Ihnen in der Wohnung?" Und er meinte: "Stimmt. Da ist
nichts mehr in der Wohnung. Es ist ganz leise hier." - "Okay, ich habe mit der Seele
gesprochen, die ist jetzt gegangen. Und gibt es noch irgendetwas?" - "Ja, ich merke
gerade, dass die Zimmertemperatur steigt. Es wird jetzt wieder wärmer hier." "Wunderbar."
Erzählerin:
Oft sind es die Seelen von Ungläubigen und Atheisten, die an ihrem eigenen
Weiterleben zweifeln und deshalb den Weg "ins Licht" - oder in den Himmel - nicht
finden. Sie würden dann als "erdgebundene Geister" zwischen Himmel und Erde
festhängen.
Musik
O-Ton Ulrich Makowski:
Dann leben die fröhlich weiter. Und sie gehen trotzdem auch schlafen, diese Seelen,
setzen sich ins Wohnzimmer hin und meinen, sie würden weiterhin Fernsehen. Sie
wissen, irgendetwas ist anders, aber die leben einfach ihr Leben weiter.
Erzählerin:
Im Film "The sixth Sense" war das auch so: Ein Kinderpsychotherapeut weiß bis zum
Ende des Films nicht, dass er eigentlich tot ist. Er therapiert einen traurigen kleinen
Jungen, der, wie Ulrich Makowski, Geister sieht.
O-Ton Eberhard Bauer:
Diese Phänomene haben natürlich populäre Vorgaben und viele Menschen, die
solche Gaben haben oder glauben, sie zu haben, die suchen... nach ganz
bestimmten Stereotypen. Und diese Stereotypen werden natürlich massenmedial
vorgegeben und wirken wiederum zurück auf das Selbstverständnis der
Betreffenden.... Das heißt, man findet auf der einen Seite ganz populäre oder
stereotype Vorgaben, die auf der anderen Seite bei manchen Menschen dazu
führen, dass sie für ihre Erfahrungen, für die sie keine Worte finden, in eine
bestimmte Form kleiden. Das ist natürlich schwer zu unterscheiden: Ist das eine
"echte" Erfahrung, die Narrative sucht oder in wie weit sind es Narrative und die
Erfahrungen sind sekundär
Erzählerin:
So der Psychologe Eberhard Bauer. Das US-amerikanische Medium James van
Praagh bietet eine dritte Erklärungsmöglichkeit für die Narrative, also für die
stereotypen Erzählmuster. Er versichert: Die Geister beraten die Filmmacher durch
spirituelle Mittler wie ihn. Hollywood erzählt also durch Geister authentisch informiert
die Wahrheit über sie, über Spuk, über Seelen, die nicht ins Licht finden oder über
solche, die im Licht sind, aber unter Vermittlung von Medien wie Ulrich Makowski
gerne noch einmal mit ihrer irdischen Verwandtschaft kommunizieren wollen.
Erzählerin:
Dass alles Okay ist im Jenseits, hörte man in früheren Jahrhunderten gerne, so
Diethard Sawicki. Er ist als Historiker Geisterspezialist:
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Unter den gebildeten und theologisch besonders sensibilisierten Personen der Zeit
um 1800 hat es zumindest in der Literatur schon offenbar den Brauch gegeben, mit
den sterbenden Angehörigen zu vereinbaren: "Wenn du drüben angekommen bist,
gib mir ein Zeichen, dann weiß ich, es gibt ein Jenseits."
Erzählerin:
... und so zerdepperten verstorbene Freunde als unsichtbare Geister
verabredungsgemäß Geschirr und Lampen, um ihre postmortale Existenz zu
bestätigen oder weißgekleidete Gespenster versicherten:
Zitator:
Karl! Ich bin unsterblich,... einst sehen wir uns wieder.
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Ein Klassiker in der frühen Neuzeit war die Erscheinung eines verstorbenen
Angehörigen, Nachbarn, um eine Angelegenheit zu klären, die bei dessen Tod noch
nicht erledigt war:
Erzählerin:
... zum Beispiel die Anerkennung von Schuld, Schulden, unehelichen Kindern; es gibt
auch Tipps, wo das Ersparte versteckt ist.
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Interessanterweise tauchen diese Geschichten dann bei den Jenseitswiederkehrern
als Argumente auf, warum sie als Geister keine Ruhe finden könnten und warum die
Nachbarn oder Verwandten noch etwas zu tun hätten. Also das ist in gewisser Weise
auch eine Möglichkeit gewesen, Konflikte einer Dorfgemeinschaft oder einer
Hausgemeinschaft zu lösen.
Erzählerin:
Kurzum: Geistererscheinungen hatten soziale und psychologische Funktionen,
konnten Konflikte beilegen - etwa dann, wenn ein Geist über ein Medium mitteilen
ließ, dass doch bitteschön ein fremdgehender Ehemann seine außerehelichen
Aktivitäten einstellen solle.
Den Menschen des 18. Jahrhunderts galt die Existenz von Geistern oft als
Selbstverständlichkeit. Skeptiker galten als gottlos. Das Christentum - zumal das
volksreligiöse - akzeptierte die Geister, wie auch die Engel, Teufel, Hexen und
Dämonen.
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Es gibt schon seit Jahrhunderten, seit den Anfängen des Christentums Geschichten
von Jenseitswiederkehrern. Das im Mittelalter geschaffene Konzept des Fegefeuers,
also die Vorstellung, dass die Menschen nach dem Tod in einen Zwischenzustand
kommen, in dem sie büßen müssen und bestimmte Dinge zu klären haben, dieses
Konzept hat sicher für einen Aufschwung von Geistergeschichten und
Geisterglauben gesorgt, weil die Kirche sanktionierte, dass es die Vorstellung gibt.
Es kommen Tote wieder, haben eine Bitte, man kann für diese Toten beten, man
kann für sie spenden. Das ist ein Teil der Heilsökonomie gewissermaßen hier ganz
konkret gewesen.
Erzählerin:
Doch Luther wollte das von Theologen im Mittelalter erfundene Fegefeuer wieder aus
dem Glauben verbannen:
Zitator:
... wir fahren dahin und kommen am jüngsten Tag wieder, ehe wir's gewahr werden,
wissen wir auch nicht, wie lang wir außen gewesen sind.
Erzählerin:
Das heißt: Schlaf bis zum jüngsten Gericht, keine Stippvisiten der Seelen im
Diesseits, keinerlei Kontakte mit den Lieben daheim - doch das war für viele nicht
akzeptabel:
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Aber Ende des 18. Jahrhunderts beginnen Protestanten, Pietisten... zunehmend zu
argumentieren, es gäbe einen Zwischenzustand.
Erzählerin:
Somnambule, also Menschen, die sich in eine Art Trance versetzen, stellen Kontakte
zu Geistern her oder Medien, die sich magnetisieren, also hypnotisieren lassen. In
einigen freireligiösen Gemeinden integrierte man den Totenkontakt in das
Gemeindeleben: Diethard Sawicki nennt das "Andachtsspiritismus":
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Man muss sich das ungefähr wie einen Gottesdienst vorstellen, also es wurden am
Anfang Choräle gesungen, manchmal direkt aus dem Kirchengesangbuch,
manchmal gab es spezielle spiritistische Lieder. Dann fühlten sich Mitglieder der
Anwesenden medial zu sprechen erfüllt und aus ihnen sprachen dann Verstorbene,
vielleicht sprachen auch einmal Engel...
Erzählerin:
Die kirchenchristliche Geistlichkeit versuchte dagegen einzuschreiten. Aus Rom gab
es ein striktes Verbot dieser "magischen" Praktiken. Dessen ungeachtet verbreitete
sich die Mode, spiritistische Sitzungen, also Seancen, abzuhalten. In adligen, später
in bürgerlichen Salons ließen bezahlte Medien Geister erscheinen. Diese
verkündeten Botschaften, ließen sich fotografieren, Tische und Gläser tanzen,
zauberten sogar Nippesfiguren aus dem Jenseits herbei. Berühmtere Medien traten
in großen Sälen auf und verdienten gut. Einige wurden als Trickbetrüger entlarvt.
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Darauf reagieren die Theosophen und die Anthroposophen, wie Rudolf Steiner,
indem sie sagen, ja: es gibt eine höhere geistige Welt. Wir haben ja selber auch
spiritistische Affinitäten gehabt, aber wir haben erkannt, die Lächerlichkeit der
Erscheinungen steht in keinem Verhältnis zur Erhabenheit der Geisterwelt.
Erzählerin:
Das hieß: Keine unterhaltsamen spiritistischen Sitzungen mehr mit gruseligen
Geisterkontakten. Andererseits gehörten um 1900 Geisterkontakte zu einer Art
Alltagskultur:
O-Ton Dr. Diethard Sawicki:
Da setzt sich dann ein Gruppe von interessierten Menschen an einen Tisch, alle
legen die Hände auf die Tischplatte, dann berühren sie sich mit dem kleinen Finger
und dem Daumen jeweils und dann beginnt sich eine energetische Situation
einzustellen, in der die Kommunikation hergestellt werden kann: Der Tisch fängt an
zu wackeln, zu hüpfen, klopft vielleicht auf Fragen mit einem Fuß und dann kann
man... kommunizieren.
Erzählerin:
... einfacher gelang das mit dem Quija-Brett - auch Hexenbrett genannt. Heute gibt
es Quija-Bretter preiswert im Versandhandel - ein Brett mit Buchstaben und Zahlen,
mit einem Ja- und einem Nein-Feld. Dazu gibt es ein leicht schiebbares, manchmal
auf Rollen laufendes dreieckiges Brettchen auf das die Beteiligten je einen Finger
legen. Statt Brettchen funktionieren auch Gläser. Dann können dem anwesenden
Geist Fragen gestellt werden. Mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Geduld wird sich
nun das kleine Brettchen zu den Buchstaben oder zu den Ja- und Nein-Feld
bewegen.
O-Ton Dr. Dr. Walter von Lucadou:
Da können wir nämlich sagen, das ist durchaus denkbar, dass durch so ein Ritual
und durch diese angeregte Stimmung, die da herrscht und natürlich durch die
Aufregung, da spricht jetzt ein Geist, solche Verschränkungsphänomene in der
Gruppe auftreten können und dann spukt es halt etwas. Das ist nicht weiter schlimm.
Die Jugendlichen kriegen meistens ziemlich Angst und dann kommen sie zu uns in
die Beratungsstelle.
Erzählerin:
Walter von Lucadou gehört zum Umfeld des Freiburger Instituts für Grenzgebiete der
Psychologie und Psychohygiene. Er ist Physiker und Psychologe. Sein Fachgebiet ist
der Spuk. Das Quija-Brett funktioniert seiner Ansicht nach durch unbewusste
Bewegungen der Beteiligten. Für die damit manchmal auftretenden Spukphänomene
- etwa Bilder, die von den Wänden fallen, Kälte, zuschlagende Türen etc. - hat der
Physiker von Lucadou eine Arbeitshypothese. Sie lautet,...
O-Ton Dr. Dr. Walter von Lucadou:
... dass diese Spukphänomene Verschränkungsphänomene in selbstorganisierenden
psycho-physikalischen Phänomenen sind, so sage ich es einmal wissenschaftlich,
und diese Verschränkungsphänomene, die erzeugen, auch physikalisch gesehen,
sogenannte Superfluktuationen.
Erzählerin:
Das höre sich ebenso kompliziert an, wie es sei, versichert Lucadou und beweisbar
sei es auch nicht - noch nicht, jedenfalls nicht mit den gängigen physikalischen
Theorien. Es gäbe nur viele Hinweise darauf, dass zwischen psychischen Prozessen
und der physischen Welt Wechselwirkungen und Verbindungen, also merkwürdige
Verschränkungen, bestünden, dass also Bilder ohne Berührung von den Wänden
fallen, dass Schränke verrücken oder Glühbirnen platzen würden. So sei es also
möglich, wenn sich Menschen in einem bestimmten Umfeld auf das Quija-Brett
konzentrieren, merkwürdige Beeinflussungsprozesse ereignen könnten, die
Quantenphysiker im Mikrobereich beweisen können.
O-Ton Dr. Dr. Walter von Lucadou:
Es ist so, dass man aus der Quantenphysik eine bestimmte Struktur lernen kann das sind eben diese Verschränkungszusammenhänge - und dass die aber auch
woanders auftreten - zum Beispiel in der Psychologie. Und in der Psychologie kann
man sie ebenfalls nachweisen - und die Idee ist nun, um eine naturwissenschaftliche
Erklärung für den Spuk zu haben, dass das eben solche
Verschränkungszusammenhänge sind, das ist eine Hypothese, aber sie scheint ganz
gut zu passen.
Erzählerin:
In seinem Buch...
Zitator:
Die Geister, die mich riefen. Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt...
Erzählerin:
... berichtet er von einigen Fällen. Insgesamt hat er Hunderte analysiert. Der ParadeSpuk-Fall ist gut dokumentiert. Er ereignete sich in einer Anwaltskanzlei in
Rosenheim 1967: Glühbirnen zerplatzten, Lampen schwangen ohne jegliche
Berührung hin und her, Bilder fielen von den Wänden, Tausende von Telefonanrufen
bei der Zeitansage wurden getätigt, das Mobiliar wurde wie von unsichtbarer Hand
verrückt. Weder die Kriminalpolizei noch Elektroingenieure, weder Techniker noch
Physiker fanden "normale" Ursachen. Auffällig war nur: Immer wenn es zu diesen
Vorfällen kam, war die 19-jährige Anne-Marie anwesend. Ein Telefonat mit ihr nahm
das Freiburger Institut auf...
O-Ton "Okkulte Stimmen":
... da habe ich zu meiner Kollegin gesagt, gleich zerplatzt im Geschäftszimmer eine
Glühbirne und im gleichen Augenblick ist die schon geplatzt." (Frage) "Und war da
schon jemand im Geschäftszimmer drin?" "Nein, da war noch niemand im
Geschäftszimmer." "Hmhm, hmhm." Und haben Sie gesehen..." "Mei, mei..." "Was ist
denn passiert? Haben Sie doch keine Angst. um Gottes willen." "Ein Bild ist herunter
gefallen..." "Ein Bild ist herunter gefallen..."
Erzählerin:
... ohne Zutun eines anderen, wie bezeugt wurde. Die Presse wurde aufmerksam.
Die Angestellte wurde von Zeitungen als Hexe beschimpft oder - als raffinierte
Manipulatorin. Manipulationen konnten - von einer Ausnahme abgesehen ausgeschlossen werden. Als Anne-Marie entlassen wurde, hörte der Spuk auf. Dass
die von Anne-Marie ausgehenden psychischen Einflüsse physikalische Folgen
hatten, lässt sich auf der Basis der etablierten Physik nicht nachweisen.
Erzählerin:
Doch viele Spukphänomene und Geistererscheinungen lassen sich eindeutiger
erklären.
Musik
Erzählerin:
Tonbandstimmen - aufgenommen in einer ruhigen ländlichen Umgebung. Nach
längerer Zeit stellten sich die Stimmen ein. Wer gesagt bekommt, was sie singen,
kann sie verstehen:
Zitator:
Ja, die Toten siehe sie leben, siehe sie leben in Frieden, ja die Toten, siehe sie leben
in Frieden.
Musik
O-Ton Dr. Dr. Walter von Lucadou:
Die einfachere Erklärung ist, dass der Mensch in das Rauschen hinein immer etwas
hört oder wenn er ins Gebüsch schaut oder in die Wolken, dann sieht er immer
Gestalten, dann sieht er ein Gesicht oder ein Tier oder so etwas und diese
Gestaltwahrnehmung, so nennen wir das in der Psychologie, ist wirklich tricky, eben
weil man sich das nicht einbildet, sondern tatsächlich hört oder sieht.
Erzählerin:
Kognitionspsychologisch ist das geklärt: Unsere Wahrnehmung folgt Mustern, die wir
ihnen vorgeben. Daraus folgt: Wir hören und sehen, was wir wollen oder erwarten.
Musik:
Erzählerin:
Verstorbene, die wir vermissen, leben ebenso:
O-Ton Dr. Dr. Walter von Lucadou:
Es kommt ganz häufig vor, dass bei Menschen, die einen nahen Angehörigen
verloren haben, das kommt ja auch bei vielen Gruselfilmen vor, das Gefühl haben,
dass der Verstorbene noch in der Wohnung ist. Das ist so häufig, dass man sagen
kann, das ist eigentlich normal.
Erzählerin:
Die Trauerforschung belegt das: Wir sehen, riechen, hören, spüren verstorbene
Menschen - sie "erscheinen" uns real:
O-Ton Eberhard Bauer:
Diese post-mortem-Erscheinungen sind interessant für die Frage, gibt es irgendein
Element, irgendein Teil der Persönlichkeit, der weiterlebt und sich bemerkbar macht?
Erzählerin:
Beantworten kann der Psychologe Eberhard Bauer die Frage nicht, aber es gibt
psychologische Erklärungen für den Wunsch, sie mit "ja" beantworten zu wollen. An
naturwissenschaftlichen Erklärungen für Spukphänomene versuchen sich Physiker
und finden in der Quantenphysik Hinweise.
Zitator:
(Hüsteln, Räuspern)¸.... Metaphysik der dummen Kerle...
Erzählerin:
Für spirituelle Erklärungen, wie sie der "Mittler zwischen den Welten" Ulrich
Makowski anbietet, sind anormale Phänomene kein Problem. Geister verursachen
sie.
O-Ton Ulrich Makowski:
Ich nehme dann gerne Kontakt auf. Ich guck vorher mal so ein bisschen rein, steht
für diese Person etwas an, kann ich dazu etwas sagen...
Zitator:
(Hüsteln etc.) Die Subalternität der Medien ist so wenig zufällig wie das Läppische
des Geoffenbarten. Seit den frühen Tagen des Spiritismus hat das Jenseits nichts
Erheblicheres kundgetan als Grüße der verstorbenen Großmutter...
Erzählerin:
Aus dem Jenseits zugeschaltet: Theodor W. Adorno:
Zitator:
Geist dissoziiert sich in Geister und büßt darüber die Fähigkeit ein zu erkennen, dass
es jene nicht gibt.
Erzählerin:
... Adorno zitiert aus seiner "Minima Moralia":
Zitator:
Wenn die objektive Realität den Lebendigen taub erscheint wie nie zuvor, so suchen
sie ihr mit Abrakadabra Sinn zu entlocken.