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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Das turbulente Leben des Christian
Friedrich Daniel Schubart (5)
Von Stephan Hoffmann
Sendung:
Freitag, 02.09. 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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„Musikstunde“ mit Stephan Hoffmann
Das turbulente Leben des Christian Friedrich Daniel Schubart (5)
SWR 2, 29. August – 2. September 2016, 9h05 – 10h00
Heute mit Stephan Hoffmann. Es blieb Christian Friedrich Daniel Schubart nicht
mehr sehr viel Zeit, nachdem er 1787 aus der Festung Hohenasperg entlassen
wurde: gerade mal vier Jahre, bevor er 1791, knapp zwei Monate vor Wolfgang
Amadeus Mozart, starb. Vor allem um diesen letzten Abschnitt seines Lebens soll
es in der heutigen letzten Musikstunde über diesen „Brauskopf und gewaltigen
Trinker“ gehen.
Ein besonders gutes Gewissen schien der sonst eher skrupellose
württembergische Herzog Carl Eugen nicht zu haben, immerhin hatte er den
Dichter, Komponisten und scharfzüngigen politischen Journalisten Christian
Friedrich Daniel Schubart mehr als zehn Jahre lang ohne Anklage, ohne Prozess
und ohne Urteil auf seiner Festung Hohenasperg gefangen gehalten, davon ein
Jahr lang in absoluter Isolation. Es klingt fast wie eine Entschuldigung dafür:
Gleichzeitig alimentierte er Schubarts Frau Helene, er ließ Schubarts Kinder an der
Carls-Schule unterrichten und sorgte dafür, dass Schubart nach der Freilassung
einen auskömmlichen Posten bekam: den des Direktors am Stuttgarter
Hoftheater, überdies noch mit dem stolzen Titel Herzoglich Württembergischer
Hof- und Theaterdichter ausgestattet. Schubart wird vom Gefangenen des
württembergischen Herzogs zum Bediensteten des württembergischen Herzogs.
Er erhält 600 Gulden Gehalt im Jahr und außerdem die Erlaubnis, seine Deutsche
Chronik, die er jetzt Vaterländische Chronik nennt, erneut herauszugeben; also
jene Zeitschrift, über die sich der Herzog und seine Zensurbehörden vorher oft
genug empört hatten. Schubart richtet sich jetzt ein in einem gutbürgerlichen
Leben in Stuttgart und schreibt über dieses Leben an seinen Sohn: „Morgens 7 Uhr
muss der sonst so träge Schlummrer auf dem Theater sein ...Um 10 Uhr geh ich
nach Haus, lese Bücher, Zeitungen, Journale, Briefe in Menge – oder dichte und
schreibe. Mittags ess ich mit Appetit und trinke meine Flasche Wein an der Mutter
und Julchens Seite – oft in Gesellschaft eines Freundes – mit Behaglichkeit. Dann
geb ich, wie ein großer Herr, Audienz, und abends diktier' ich – meine
vaterländische Chronik“ Schubart ist zwar nicht Intendant des Theaters und
entscheidet nicht über Engagements, aber für die Spielpläne ist er schon
zuständig und macht die Stuttgarter zum Beispiel mit Mozarts „Entführung aus
dem Serail“ bekannt.
-------------Musik 1: W. A. Mozart: „Die Entführung aus dem Serail“. Ouvertüre. Les Art
Florissants, Dir: William Christie.
Erato 3984-25490-2. CD 1, Tr. 1. Dauer: 4'01“
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Les Art Florissants unter William Christie waren das mit der Ouvertüre zu Mozarts
„Entführung aus dem Serail“, die Christian Friedrich Daniel Schubart als
Theaterdirektor 1789 auf den Stuttgarter Spielplan setzte.
Da war er bereits seit zwei Jahren wieder in Freiheit und der ungeheuere Rummel
um seine Freilassung war abgeflaut. Als er am 18. Mai 1787 in Stuttgart eintraf,
müssen die Begeisterungsstürme die Dimensionen eines Volksfestes gehabt
haben – Schubart war ein wirklich prominenter Mann. Und das nicht nur in
Stuttgart, im Herbst 1787 reist Schubart zu Freunden und Verwandten und schreibt
darüber an seinen Sohn: „Wir machten die Reise durchgängig mit der Extrapost
und überall traf ich so auf, dass der Kontrast zwischen dem ehmals gefangnen
und nun freien Schubart desto schärfer auffiel. Wie neugeboren schwamm ich
dahin und oft hätt ich weinen mögen – aber Tränen des Danks und der Freude.
...In Geislingen war die ganze Stadt im Aufruhr, als mein Wagen am Zollhause still
hielt. Drei Tage blieb ich in Geislingen und schlief da wenige Stunden. ...Zu Ulm
stieg ich beim Greifenwirt Schuler ab ...Vier Tage blieb ich in Ulm, gab ein Konzert,
wurde von dem ersten der Stadt, dem Bürgermeister von Besserer, stattlich
bewirtet ...und war unbeschreiblich vergnügt.“
----------Musik 2: Chr. Fr. D. Schubart, Klaviersonate F-Dur. 2.+ 3. Satz. Karl-Heinz Lautner,
Klavier.
Archiv-Nr. M0417572. Dauer gesamt: 4'08“
-----------Karl-Heinz Lautner spielte den zweiten und dritten Satz aus Christian Friedrich
Daniel Schubarts Klaviersonate F-Dur.
Natürlich freute sich Schubart sehr über die Begeisterung, die ihm überall
begegnete, aber gleichzeitig wurde ihm auch klar, wie schwer die Jahre der
Gefangenschaft wogen und was ihm in dieser Zeit alles entging. Mehr als einmal
spricht er vom schweren Abschied nach dem Jubel des Wiedersehens, denn er
weiß natürlich auch, dass dieser Abschied wohl endgültig sein wird in einer Zeit
ohne Telekommunikationsmöglichkeiten, in der das Reisen beschwerlich genug
war. Am schwersten fiel ihm der Abschied sicher nach der Begegnung mit seiner
73jährigen Mutter. In Aalen, wo er einen großen Teil seiner Jugend verbrachte,
begegnet er der alten Dame. „'O lieber Christian, dass ich dich nur wiedersehe! O nun will ich gerne sterben!' sagte die ehrwürdige Alte in einem Tone, drin das
einfältigste, zarteste Mutterherz widerhallte. ...Meine Schwester, die
Stadtpfarrerin, legt' ihre Hände kreuzweis auf ihren hochschwangern Leib und
schrie schneidend wie Zinkenton: Jesus Christus, mein Bruder! - und da weinten
sie alle, dass ich so viel ausgestanden hatte. Meine Mutter schlich um mich
herum und küsste, was sie von mir erhaschen konnte,“ schreibt Schubart.
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Tatsächlich starb Schubarts Mutter erst 1791, also im selben Jahr wie er selbst, mit
84 Jahren – für das späte 18. Jahrhundert ein nahezu methusalemisches Alter.
----------Musik 3: Chr. Fr. D. Schubart, Am Grabe der Mutter. Angelika Bethge, Gesang;
Renate Walter, Klavier.
Archiv-Nr. M0417810. Dauer: 4'20“
----------Angelika Bethge sang Christian Friedrich Daniel Schubarts Lied „Am Grabe der
Mutter“. Am Klavier begleitete Renate Walter.
Über Schubarts eigenen Tod am 10. Oktober 1791 und über seine Beisetzung auf
dem Stuttgarter Hoppenlau-Friedhof sind wir durch den Bericht seines Sohnes
Ludwig recht gut informiert: „Ich erblickte, als ich seine Leiche begleitete, viele
Arme am Wege, die ihm Tränen des Danks und des herzlichsten Mitleids
nachweinten.“ Und in Aalen hält ein Stadtschreiben fest: „Selbst die, welche
diesen berühmten deutschen Mann verkannten oder verkennen wollten, seufzen
jetzt in einer Tour: Er ist zu früh gestorben.“
Ein Stück weit haben wir es dem Dramatiker Heiner Müller zu verdanken, dass
eine Schauergeschichte, die schon bald nach Schubarts Tod kolportiert wurde,
bis heute fortlebt: Schubart, so hieß es, sei lebendig begraben worden. Ein
Totengräber, alarmiert durch ein Geräusch, habe Schubarts Sarg offen
angetroffen, darin der inzwischen tote Schubart mit zerkratzten Fingernägeln. Im
Gespräch mit Alexander Kluge stellt Heiner Müller diese Geschichte als faktisch
gesichert dar: „Du weißt, Schubart saß, ich weiß nicht wieviel Jahre, zwölf oder so,
auf dem Hohenasperg, oder sogar länger. Als man sehr viel später den Friedhof
abgeräumt hat, hat man entdeckt, dass der Sarg von innen völlig zerkratzt war,
der Sarg von Schubart, das ist schon makaber, nach zwölf Jahren Knast auch
noch scheintot zu enden.“
Vorerst aber war Schubart noch sehr lebendig und verfasste weiter seine
„Vaterländische Chronik“. Bei seiner feudalismuskritischen Überzeugung
verwundert es nicht, dass er die französische Revolution mit großer Sympathie
begleitete – auch publizistisch. Allerdings waren seiner Revolutionsbegeisterung
auch enge Grenzen gesetzt, denn Herzog Carl Eugen hatte ihm zwar die
Erlaubnis erteilt, die Chronik herauszugeben, aber keinen Zweifel daran gelassen,
dass er diese Erlaubnis wieder zurück ziehen würde, falls Schubart von den
eingeräumten Freiheiten allzu freigiebig Gebrauch machen würde. Schubart saß
in der Zwickmühle: Einerseits bejubelte er die Entwicklung in Frankreich,
andererseits durfte er diesem Jubel in der Chronik nicht allzu deutlich Ausdruck
geben. So stellt er zwar die Prinzipien der Demokratie dar – aber nicht als seine
eigene Meinung, sondern in Form einer Erläuterung von Monarchie und
Demokratie. Das liest sich dann so: „Fürsten sind um des Volks willen, das Volk
nicht um des Fürsten willen. Die Nation ist es, welche ...die Befugnis hat, die
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Anordnungen und Gesetze zu machen, unter welchen sie leben will.“ Das klingt
tatsächlich wie ein Zitat aus dem Grundgesetz einer modernen Demokratie. Und
als Eulogius Schneider, ein Freund Schubarts, nach Straßburg übersiedelt, jubelt
Schubart in der Chronik: „Auch Eulogius Schneider ist nun ein geschworner
Franke, er, der längst in seinem Herzen ein Sohn der Freiheit war.“ Später
übersetzte Schneider die Marseillaise, die Hymne der Revolution, ins Deutsche.
-----------Musik 4: Die Marseillaise.
Archiv-Nr. 19-088330. Tr. 10. Dauer: 4’34“
(Kopie „Musik und Widerstand“ Nr. 4. 35'45“ - 40'19“)
------------Das war die Marseillaise, wie wir sie kennen, gesungen von Placido Domingo und
begleitet vom Chicago Symphony Orchestra unter Daniel Barenboim.
Natürlich sang Domingo auf französisch, wie sich das für eine französische
Nationalhymne gehört. Die deutsche Übersetzung von Elogius Schneider ist leider
nicht auf Tonträger verfügbar und schon gar nicht mit der Musik, die Schneider
vorschwebte. Er hatte nämlich auch eine andere Melodie im Kopf: die Melodie
des Kapliedes seines Freundes Schubart.
-----------Musik 5: Chr. Fr. D. Schubart, Das Kaplied.
Andreas Hermann, Tenor; Thomas Ruf, Bariton; Christoph Sökler, Bariton; Markus
Hadulla, Klavier.
Archiv-Nr. M0024242. 01-015, 2‘12
----------Das war das so genannte Kaplied von Christian Friedrich Daniel Schubart, in dem
es um eine Afrikareise und um Heimweh geht und auf dessen Melodie in den
1790er Jahren die deutsche Übersetzung der Marseillaise gesungen wurde –
jedenfalls von den revolutionsbegeisterten Württembergern, mit denen sich
Schubart regelmäßig im Lokal „Adler“ traf.
Um seinen Direktorenposten am Theater kümmerte sich Schubart nicht gerade
mit Feuereifer. Schon im Juli 1788, also gerade mal etwas mehr als ein Jahr nach
seinem Amtsantritt, schreibt er seinem Sohn: „Das Theater beschäftigt mich die
Woche durch nur einige Stunden, weil die einmal aufgezogene Uhr ihren Gang
von selbst fortgeht.“ Und Schubarts Frau äußert sich 1790: „Sein Amt hat er ganz
abgeschüttelt. Unter Zwang und Drang macht er noch die Prologe auf die
durchlauchtigsten Namens- und Geburtstäge; sonst kommt er das ganze Jahr
nicht ins Opernhaus.“ Immerhin setzte er beim Opernspielplan einige Akzente –
im Gegensatz übrigens zum Schauspiel, wo unter seiner Leitung weder
Shakespeare noch Molière, weder Lessing noch Goethe gespielt wurden. Dafür
ist ihm die Stuttgarter Erstaufführung von Mozarts „Figaro“ zu danken, den er mit
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folgenden nicht sonderlich enthusiastischen Zeilen ankündigte; dies wohl auch
deshalb, weil Schubart wegen seiner zehnjährigen Inhaftierung kaum eine
Chance hatte, Mozarts Werke überhaupt kennen zu lernen und ein intensiveres
Verhältnis zu ihnen zu entwickeln. Jedenfalls schrieb er: „Freitag, den 16. Juli 1790.
Zum erstenmal, das in und außer Deutschland mit so vieler Sensation
aufgenommene Singspiel „Die Hochzeit des Figaro“ in vier Aufzügen. ...Die Musik
ist von Mozart, einem in ganz Deutschland gefeierten Namen. Er hat in diesem
Stück gezeigt, dass seine Muse größerer Produkte fähig ist als bloß für den Flügel
zu arbeiten.“
----------Musik 6: W. A. Mozart, Le nozze di Figaro. Finale 2. Akt. Thomas Hampson, Graf;
Charlotte Margiono, Gräfin; Barbara Bonney, Susanna; Anton Scharinger, Figaro.
Concertgebouw Orchestra, Dir: Nikolaus Harnoncourt.
Archiv-Nr. 19-077831. CD 2, Tr. 12. 10'35“ - 22'36“. Dauer: 12'01“
-----------Das turbulente Ende des zweiten Aktes von Mozarts „Figaro“ mit einem
exzellenten Sängerensemble um Thomas Hampson als Graf, Charlotte Margiono
als Gräfin, Barbara Bonney als Susanna und Anton Scharinger als Figaro. Es spielte
das Concertgebouw Orchestra unter Nikolaus Harnoncourt.
Schubart war nicht der einzige, der mit Mozarts „Figaro“ seine Probleme hatte.
Auch die Wiener Uraufführung hatte durchaus nicht bei allen Teilen des
Publikums Begeisterung hervor gerufen, große Teile des Adels verstanden die
politische Botschaft der Oper nur allzu gut. Jedenfalls blieb die Oper in Wien nur
ziemlich kurz auf dem Spielplan und wurde alsbald von der weit
unverfänglicheren Oper „Una cosa rara“ von Vicente Martin y Soler abgelöst. Die
Stuttgarter Aufführung des „Figaro“ hatte ein durchaus vergleichbares Schicksal:
Karl Ditters von Dittersdorfs eher harmloses zweiaktiges Singspiel „Doktor und
Apotheker“, eine der zeitüblichen Verwechslungs- und Liebeskomödien, scheint
Mozarts „Figaro“ im Stuttgart des Jahres 1790 den Rang abgelaufen zu haben.
„Doktor und Apotheker“ musste jedenfalls, wie es heißt, „sehr oft wiederholt
werden“.
----------Musik 7: Karl Ditters von Dittersdorf, Doktor und Apotheker.
Archiv-Nr. M0342965. 01-A-045 (auf Ende einblenden). Dauer: 11'43“
-----------Die letzte Folge der Musikstunden-Woche über den „Brauskopf und gewaltigen
Trinker“ Christian Friedrich Daniel Schubart ging zu Ende mit dem Finale von Karl
Ditters von Dittersdorfs Singspiel „Doktor und Apotheker“ mit Harald Stamm,
Hildegard Uhrmacher, Frieder Lang, Martin Finke und der Rheinischen
Philharmonie Koblenz unter James Lockhart.
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Sie können die Musikstunden dieser Woche sieben Tage lang nachhören. Wenn
Sie einen Mitschnitt von einer der Musikstunden haben möchten, ist auch das
natürlich möglich; rufen Sie dazu bitte die Telefon-Nummer 07221 929 26030 an.
Auf den Internet-Seiten von SWR 2 finden Sie auch die Manuskripte der
Sendungen. In der Musikstunde morgen mit Günther Huesmann geht es unter
dem Titel „Jazz across the border“ um die fortschreitende Globalisierung des Jazz
und Nele Freudenberger widmet sich in den Musikstunden der kommenden
Woche dem reizvollen Thema Liszt und die Frauen. Ihr Titel: „Nicht immer gleich
ein Liebestraum“. Stephan Hoffmann, der in dieser Woche am Mikrophon war,
bedankt sich für Ihr Interesse und wünscht Ihnen einen sehr schönen Tag.