Musikstunde: Geigenbauer I

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Das turbulente Leben des Christian
Friedrich Daniel Schubart (3)
Von Stephan Hoffmann
Sendung:
Mittwoch, 31.08. 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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„Musikstunde“ mit Stephan Hoffmann
Das turbulente Leben des Christian Friedrich Daniel Schubart (3)
SWR 2, 29. August – 2. September 2016, 9h05 – 10h00
Heute mit Stephan Hoffmann. Es geht in dieser Woche um das turbulente Leben
des „Brauskopfs und gewaltigen Trinkers“ Christian Friedrich Daniel Schubart – um
den Journalisten, Dichter, Komponisten, aber auch Frauen- wie Alkoholverehrer
und Gefängnisinsassen.
Ludwigsburg war um 1770 der Mittelpunkt der schwäbischen Welt. 1764 hatte
Herzog Carl Eugen seinen Hofstaat von Stuttgart hierher verlegt und ein
repräsentatives Schloss samt Opernhaus errichten lassen. Zu einer solchen
Residenz gehörte natürlich auch die Halbwelt einschließlich der Prostitution –
zumal der Herzog in diesem Punkt mit bestem Beispiel voran ging. Carl Eugens
Zeitgenosse Casanova beschrieb die herzogliche Hofhaltung: „Er hatte
französische Komödie, italienische, ernste und komische Oper. ...Alle Tänzerinnen
waren hübsch und jede rühmte sich, den Herzog wenigstens einmal glücklich
gemacht zu haben.“ Nun gab es einen fundamentalen Unterschied zwischen
dem Herzog und dem städtischen Organisten Christian Friedrich Daniel Schubart:
Der Herzog als absolutistischer Herrscher war den bürgerlichen
Moralvorstellungen entzogen, außerdem war Carl Eugens Ehe längst zerbrochen
und seine Frau an den väterlichen Hof nach Brandenburg zurück gekehrt.
Schubart war zwar ebenso flatterhaft wie Carl Eugen, aber er war verheiratet,
noch dazu mit einer äußerst sittenstrengen Frau. Dazu kam, dass er keinem Streit
mit seinem Dienstvorgesetzten, dem evangelischen Dekan Philipp Jacob Zilling,
aus dem Weg ging. Zilling war, wie berichtet wird, ein „strenger Eiferer auf der
Kanzel“, der in seiner Gemeinde nicht besonders beliebt war und dem die
ausführlichen Orgelvorspiele Schubarts ein Dorn im Auge waren. Man munkelte,
viele Kirchenbesucher kämen vor allem um des Orgelspiels willen, weniger
wegen der moralinsauren Predigten. Zilling forderte Schubart auf, sich auf der
Orgel kürzer zu fassen. Sein Vorspiel sei besser als das, was danach komme, gab
Schubart zur Antwort.
-------------Musik 1: Christian Friedrich Daniel Schubart, Choralvorspiel „Schaffe in mir, Gott,
ein reines Herz“. Wilhelm Krumbach, Orgel.
Archiv-Nr. 336-4657. Tr. 6. Dauer: 1'41“
------------Wilhelm Krumbach spielte Schubarts Choralvorspiel „Schaffe in mir, Gott, ein
reines Herz“.
Nicht nur an seiner Dienststelle hatte Schubart jede Menge Ärger, zu Hause war
das nicht anders.
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Seine Frau Helene ließ sich die zahlreichen Seitensprünge und die sonstigen
Eskapaden ihres Mannes nicht gefallen, packte die Koffer und die Kinder und floh
wieder einmal zu ihren Eltern nach Geislingen. „Bester Schwager“, schrieb
Schubart an diesen, „meine Situation ist verzweifelt. Heute früh versehe ich mein
Amt, ich ...komme nach Hause, und Bett, Weib und Kinder sind weg. ...Bester
Schwager, lebe wohl! Ich habe viel verdient, aber nicht so viel!“ Eben dieser
Schwager schickte ihm in der Folgezeit seine Hausmagd Barbara Streicher, damit
sie Schubarts hausfrauenlosen Haushalt einigermaßen in Ordnung halten sollte.
Doch Schubart hatte auch eine andere Verwendung für sie: er machte sie zu
seiner Zweitfrau. Bei den Ludwigsburger Bürgern und beim Magistrat der Stadt
wurde ein derart unmoralisches Verhalten gar nicht gern gesehen, Schubart
wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und das war diesmal kein solch fideles
Gefängnis wie das zu Schubarts Studentenzeit in Erlangen, wo er ein Klavier zur
Verfügung hatte und Damenbesuch empfing: „Wasser und Brot, Kälte und faules
Stroh, Gestank und Ungeziefer fand ich hier zur Pflege,“ beschrieb er diesmal
seine Haftbedingungen. Als Schubart das Gefängnis wieder verlassen durfte,
wurde er nicht nur aus dem Organistendienst entlassen, sondern auch aus
Württemberg ausgewiesen.
----------Musik 2: Schubart, Christian Friedrich Daniel, Sonate für Klavier F-Dur. 1. Satz. KarlHeinz Lautner, Klavier.
Archiv-Nr. M0417572. 01-001. Dauer: 2'14“
----------Karl-Heinz Lautner spielte den ersten Satz aus Christian Friedrich Daniel Schubarts
Klaviersonate F-Dur.
In Ludwigsburg konnte Schubart nach der Ausweisung natürlich nicht bleiben,
aber wo sollte er hin? Es begann eine Zeit der Wanderschaft, mal mit, meist aber
ohne Geld und oft genug auch ohne Dach überm Kopf. Wenigstens fanden sich
immer wieder wohlhabende Gönner, bei denen er für einige Zeit Unterschlupf
fand. Zum Beispiel beim Baron von Kastell, einem Landsitz in der Nähe
Heidelbergs. Wieder kamen ihm seine pianistischen wie seine kompositorischen
Fähigkeiten zugute: Schubart fantasierte am Flügel, komponierte für das
gleichfalls Klavier spielende Töchterchen des Barons ein Rondo mit Variationen,
das ich leider nicht auftreiben konnte, und erntete dafür nicht nur viel Beifall,
sondern auch die Sympathie und – wichtiger noch – die Gastfreundschaft der
adeligen Familie. Dieses Muster wiederholte sich wenig später in Heidelberg:
Vorspielen, Beifall ernten, empfohlen werden wieder an einen anderen
hochmögenden Herrn. In diesem Fall war das der Graf von Nesselrodt, ein
einflussreicher Mann am Hof des Kurfürsten Carl Theodor in Mannheim. Im Hause
des Grafen genoss Schubart wieder einmal die Gastfreundschaft eines reichen
Gönners und er revanchierte sich durch seinen Beitrag zum abendlichen
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Musizieren. Daran nahm auch der Graf selber teil – laut Schubart spielte er sehr
gut Violine. Wir wissen nicht, was der Graf spielte, aber wir wissen, dass die
folgende Violinsonate Mozarts in Mannheim entstand und zwar etwa in der
gleichen Zeit, in der auch Schubart Mannheim besuchte.
----------Musik 3: W. A. Mozart, Violinsonate D-Dur KV 306. 1. Satz (Allegro con spirito).
Frank Peter Zimmermann, Violine; Alexander Lonquich, Klavier.
EMI CDC 7 49712 2. Tr. 1. Dauer: 7'23“
---------Der Geiger Frank Peter Zimmermann und der Pianist Alexander Lonquich waren
das mit dem ersten Satz von Mozarts D-Dur-Violinsonate KV 306.
Mannheim muss – nebst Schwetzingen, der Sommer-Residenz des kunstliebenden
Kurfürsten Carl Theodor – besonders auf die Komponisten in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts eine geradezu magnetische Wirkung ausgeübt haben.
Immerhin war hier nach Auskunft Leopold Mozarts das beste Orchester in
Deutschland angesiedelt, es „hat lauter junge Leute durchaus von guter
Lebensart, weder Säufer, noch Spieler noch liederliche Lumpen.“ Auch Schubart
pries das Mannheimer Orchester in den höchsten Tönen: „Sein Forte ist ein
Donner, sein Crescendo ein Catarakt, sein Diminuendo – ein in der Ferne
hinplätschernder Krystallfluss, sein Piano ein Frühlingshauch.“
------------Musik 4: Johann Stamitz, Sinfonie G-Dur. Concerto Köln. Menuetto – Presto.
Teldec 3984-28366-2. Tr. 13-15. Dauer: 7'07”
-------------Das Concerto Köln war das mit den drei letzten Sätzen von Johann Stamitz'
Sinfonia G-Dur, komponiert für die Mannheimer Hofkapelle.
Kein Wunder also, dass auch ein herumvagabundierendes Klaviertalent wie
Christian Friedrich Daniel Schubart, der wie so oft auf der Suche nach einer
attraktiven Festanstellung war, sein Glück auch in der musikgesättigten
Atmosphäre in Schwetzingen versuchte. Die Sache ließ sich gut an: „Ich spielte
verschiedene Stücke auf dem Fortepiano, sang ein russisches Kriegslied, das ich
soeben gemacht hatte, stand auf, sprach über Literatur und Kunst und gewann
des Kurfürsten vollkommenen Beifall. 'Ich will ihn öfters hören und sprechen,' sagte
er mit heiterster Miene, als ich Abschied nahm.“ Bei seinem nächsten Besuch
wurde Schubart sogar die Ehre zuteil, über ein vom Kurfürst gegebenes Thema
fantasieren zu dürfen. Auch hier wissen wir nicht, was das für ein Thema war.
Wenigstens wissen wir das im Falle eines anderen Herrschers und eines anderen
Komponisten: 1747 hatte Friedrich II. Johann Sebastian Bach eine ganz ähnliche
Aufgabe gestellt.
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----------Musik 5: J. S. Bach, Ricercar aus dem Musikalischen Opfer. Florilegium.
Channel Classics CCS 14598. Tr. 5. Dauer: 7'08“
----------Das war das Ensemble Florilegium mit dem sechsstimmigen Ricercar als Bachs
Musikalischem Opfer.
Wenn Schubart doch nur sein loses Mundwerk im Zaum gehalten hätte! Aber
nein, er musste eine lästerliche Bemerkung über die Akademie der
Wissenschaften machen, die Carl Theodor 1763 gegründet hatte und die ihm
besonders am Herzen lag. Natürlich kam dieses abfällige Urteil dem Kurfürsten zu
Ohren; Schubart selbst beschreibt die fatale Wirkung: „Mein mit wankender Hand
erbautes Häuschen stürzte in den Sand. Nun war ich wieder gänzlich verlassen.
Meine Gönner und Freunde zeigten mir Stirnen, von denen die Ungnade des
Fürsten frostig auf mich schauerte; ich floh, denn Frost und Kaltsinn war mir immer
ärger als der Tod. - Wohin nun?“ Aber entweder hat Schubart ein bisschen
geflunkert oder aber der Kurfürst war wirklich ein äußerst großzügiger Mann, der
schnell wieder verzieh. Denn beim Abschied von Schwetzingen wurde Schubart
vom Kurfürsten mit Geld beschenkt. Vom Grafen von Schmettau, mit dem er sich
inzwischen angefreundet hatte, sowieso. Als der Graf Schubart beim Packen
zusah und merkte, dass dieser das kurfürstliche Geld versandfertig machte, fragte
der Graf: „Wem schicken Sie dies Geld? - Meiner armen Frau und Kinder. - Gut,
legen Sie auch diese 100 Gulden bei. Schreiben Sie Ihrer Familie, sie soll für mich
beten.“
Wieder hatte Schubart Glück. Vielleicht sollte man besser sagen: Er nutzte die
gesellschaftlichen Möglichkeiten, die aus seiner musikalischen wie literarischen
Begabung resultierten. Jedenfalls kam er auch diesmal wieder bei
wohlhabenden Gönnern unter. Einer davon war der kurbayerische Gesandte
Baron von Leuden, der Schubart auf die Chancen aufmerksam machte, die sich
für ihn in München ergeben könnten. Und er setzte hinzu: „Wenn Sie sich
entschließen könnten, Ihre Religion zu verändern.“ Bayern war schließlich streng
katholisch, Schubart aber war Protestant. Schubart war die Konfession einerlei –
so meinte er jedenfalls. Tatsächlich gibt seine Autobiographie darüber Auskunft,
wie viel Skrupel ihm die geplante Konversion bereitete, die er letztlich dann doch
nicht vollzog. Immerhin machte er in München die Bekanntschaft mit der Musik
Orlando di Lassos, der 200 Jahre vor Schubarts München-Besuch hier gewirkt
hatte.
------------Musik 6: Orlando di Lasso, Alma Redemptoris mater. Pro Cantione antiqua.
BMG GD 77066. Tr. 10. Nach 7'09 ausblenden. Dauer: 7'09“
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Das Ensemble Pro Cantione antiqua unter Bruno Turner war das mit Orlando di
Lassos sechsstimmigem Magnificat „Praeter rerum seriem“.
Auch Schubarts Plan, sich in München fest anstellen zu lassen, scheiterte genauso
wie die entsprechenden Vorhaben zuvor. Die Münchner hatten ein
Leumundszeugnis über Schubart in Stuttgart angefordert – mit dem zu
erwartenden katastrophalen Ergebnis. Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig
als München zu verlassen und sein Glück anderswo zu versuchen. Er liebäugelte
damit, nach Stockholm auszuwandern, was daran scheiterte, dass seine Kleidung
in einem beklagenswert schlechten Zustand war. Er machte also in Augsburg
Station, um seine Kleider in Ordnung bringen zu lassen. Ob er das tatsächlich
machte, ist nicht bekannt; wohl aber, dass er von März 1774 bis Januar 1775 in
Augsburg blieb. Der Grund: Er lernte den Herausgeber des „Schwäbischen
Journals“ kennen, der gerade einen guten, einfallsreichen Redakteur suchte,
denn seine Zeitung dümpelte dahin. Schubart hatte einen besseren Vorschlag: Er
ließ sich als Redakteur einer neuen Zeitschrift anstellen, die er „Deutsche Chronik“
nannte. Mit dieser “Deutschen Chronik“, die erstmals am 31. März 1774 und von
da an zweimal wöchentlich erschien, war Schubart zwar von Anfang an
erstaunlich erfolgreich, er zog sich aber auch die energische Gegnerschaft der
Augsburger Stadtoberen zu. Vielleicht hängt auch beides zusammen und er war
deshalb so erfolgreich, weil er mit der gesellschaftlichen Elite so respektlos
umging. Der Augsburger Bürgermeister von Kuhn schäumte jedenfalls: „Es hat
sich ein Vagabund hier eingeschlichen, der begehrt für sein heilloses Blatt einen
Hut voll englischer Freiheit: - Nicht eine Nussschale voll soll er haben.“ Die Artikel
der „Deutschen Chronik“ diktierte Schubart im Wirtshaus zum Walfisch bei
reichlichem Alkohol- und Tabakgenuss. So blieb ihm noch genug Zeit, um
Konzerte, Klavier- und Vorlesestunden zu geben. Nicht nur als Pianist, auch als
Sänger ist er aufgetreten.
------------Musik 7: Chr. Fr. D. Schubart, Die Henne. Victor von Halem, Bass; Horst Göbel,
Klavier.
Archiv-Nr. 3360794. Tr. 9. Dauer: 2'46“
-----------Der Bassist Victor von Halem wurde von Horst Göbel begleitet bei Christian
Friedrich Daniel Schubarts Lied „Die Henne“.
Und wieder gibt es Probleme: Schubart schreibt in der „Deutschen Chronik“
Artikel gegen die Jesuiten. Zitat: „Ihre Moral ist verderblich und dem Staate
nachteilig.“ Nun ist Augsburg zu dieser Zeit eine bikonfessionell regierte Stadt mit
zwei Bürgermeistern, einem katholischen und einem protestantischen. Der
katholische Bürgermeister lässt Schubart verhaften, der protestantische
protestiert, man einigt sich schließlich auf Schubarts Ausweisung. Wieder einmal
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muss Schubart fliehen – diesmal nach Ulm, das ist nahe liegend, denn dort wird
schon jetzt seine „Deutsche Chronik“ gedruckt. Immer noch werden die Artikel
des Blattes im Wirtshaus diktiert, jetzt nicht mehr im Augsburger „Walfisch“,
sondern im Ulmer Lokal „Baumstark“. Die Deutsche Chronik hat zunächst etwa
1000, später bis zu 1600 Exemplaren Auflage, sie gehört damit zu den viel
gelesenen Periodika und verschaffte Schubart ein hinreichendes Einkommen. Die
„Deutsche Chronik“ wurde zur Institution. „Mir ist es auf meinen Reisen mehrmals
begegnet,“ schreibt Schubarts Sohn Ludwig über seinen Vater, „dass Wirte,
Kellner, Handwerksburschen, Postillons, Friseurs, Bediente nicht nur Lieder von ihm
sangen, sondern ganze Blätter seiner Chronik auswendig wussten.“
------------Musik 8: Chr. Fr. D. Schubart, Der Kohlenbrenner. Hans-Joachim Pfingsttag;
Renate Walter, Klavier.
Archiv-Nr. M0417810. 01-004. Dauer: 3'19“ (auf Ende einblenden)
-------------Hans-Joachim Pfingsttag sang Schubarts Lied „Der Kohlenbrenner“. Er wurde
begleitet von Renate Walter.
Und das war für heute auch die Musikstunde über Christian Friedrich Daniel
Schubart. Stephan Hoffmann sagt auf Wiederhören und freut sich, wenn Sie
morgen, zur vierten Folge der Musikstunde mit dem Titel „Brauskopf und
gewaltiger Trinker“ wieder einschalten.