- Deutsche Mittelstands Nachrichten

Ausgabe 33
26. August 2016
Deutsche
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Immobilien
Deutsche Mieten sind nicht überzogen
Ein Blick auf die Entwicklung der Löhne zeichnet ein anderes Bild. Und die teuerste Stadt ist nicht München, sondern Trier
W
ohnraummangel, Mietwucher, Immobilienhaie – die Mietpreise haben sich einigen Statistiken zufolge in vielen Orten Deutschlands gerade im Zuge
der Finanzkrise deutlich erhöht. Sicher
sind die Mieten gestiegen, doch die Einkommen der Deutschen darf man hierbei
nicht außer Acht lassen. Tatsächlich sind
die Mieten in vielen Städten dann nämlich gar nicht so immens gestiegen.
Deutschlandweit sind beispielsweise
die Mieten im Geschosswohnungsbau
seit 2010 um etwa 10,2 Prozent gestiegen. Das verfügbare Einkommen der
Haushalte ist jedoch stärker gestiegen:
um 11,5 Prozent. Das Verhältnis zwischen
den Ausgaben für das Wohnen und dem
verfügbaren Einkommen bietet einen
sehr guten Anhaltspunkt für die Betrachtung der steigenden Mieten. „Darüber
hinaus lässt sich aus dem Verhältnis der
Mieten und der Kaufkraft ableiten, wieviel Quadratmeter Wohnungsfläche sich
ein Durchschnittshaushalt vor Ort leisten
kann“, heißt es in einer aktuellen Studie
des Instituts der deutschen Wirtschaft
Köln:
Größe einer bezahlbaren Mietwohnung bei durchschnittlichen Einkommen.
„So kann sich ein Haushalt mit durchschnittlichem Einkommen im Landkreis
Dingolfing-Landau (Bayern) am meisten
Mietwohnungsfläche in Deutschland leisten. Hier bekommt dieser bei 25-prozentiger Mietbelastung eine Wohnung mit 126
Grafik: iwkoeln
Quadratmetern“
In dieser Betrachtungsweise sind
dann eben auch nicht Städte wie München und Hamburg die teuersten Städte.
Tatsächlich sind es die Universitätsstädte
Trier, Freiburg, Heidelberg und Würzburg.
Analyse
BIZ warnt vor wachsender Verschuldung von Unternehmen
Die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr warnt vor den stark gestiegenen
Schulden der Schwellenland-Unternehmen. Zwischen 2006 und 2015 haben sich
diese verdoppelt. Weil die Kredite hauptsächlich in Dollar aufgenommen wurden,
könnte eine Aufwertung der US-Währung
schwerwiegende Folgen haben.
Die Zentralbank der Notenbanken
warnt vor einem gefährlichen Anstieg der
Unternehmerschulden in den Schwellenländern, berichtet Reuters. Der Zuwachs
der Verschuldung seit der Finanzkrise mache diese Länder für Kapitalabflüsse anfällig, schrieben die Experten der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in
einem am Donnerstag veröffentlichen Bericht. Dabei bereiten den BIZ-Volkswirten
vor allem die gestiegenen Dollar-Verbindlichkeiten von Firmen Sorgen. Denn klettert der Kurs der US-Währung weiter, könnten stark verschuldete Unternehmen in
Ländern wie China, Russland oder Südkorea
in Bedrängnis geraten.
Rund 9,7 Billionen Dollarschulden
befanden sich den Experten zufolge Ende
2015 außerhalb der USA - etwa ein Drittel
davon in den Schwellenländern. Die Firmenverschuldung in großen Schwellenländern stieg demnach insgesamt von weniger
als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung im
Jahr 2006 auf rund 110 Prozent Ende 2015.
Eine zunehmende Anzahl von Firmen sei
anfällig dafür, bei einer weiteren Konjunkturabkühlung oder bei schädlichen Preisentwicklungen zahlungsunfähig zu werden.
„Weil es in mehreren großen Schwellenländern aufgrund der Kreditaufnahmen zu einer Überhitzung gekommen
ist, könnten Ungleichgewichte (gemeint
ist eine Aufwertung des Dollar – Red.) destabilisierende Dynamiken entfalten. Die
Aufnahme von Schulden im Ausland durch
Unternehmen aus den Schwellenländern
ist zuletzt stark gestiegen und erhöht die
finanzielle Verwundbarkeit der Firmen und
des heimischen Finanzmarktes“, heißt es in
der Studie.
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Hier erhält man mit einer 25-prozentigen
Mietbelastung gerade einmal etwa 60
Quadratmeter. Dort müssen die vielen
Studenten mit kleiner Kaufkraft verhältnismäßig hohe Mieten für ihren Wohnraum zahlen. In Berlin beispielsweise
sind es immer noch 68 Quadratmeter, in
München 70 und in Hamburg 68 Quadratmeter. „Im Mittel kann sich ein privater Haushalt heute 94 Quadratmeter an
Wohnfläche leisten, wenn er 25 Prozent
seines Nettoeinkommens hierfür einsetzt. Das sind 2 Quadratmeter mehr als
noch vor sechs Jahren. Nur in 24 Prozent
der Kreise kann sich ein Durchschnitts-
haushalt heute weniger leisten.“
So sind die Mieten in vielen deutschen Regionen zwar gestiegen, aber
nicht überall sind die Auswirkungen die
gleichen. Hintergrund der gestiegenen
Mieten ist neben der Suche nach Sicherheit bei den Investoren infolge der Krisenjahre auch die demografische Entwicklung in Deutschland. Der Trend ging fünf
bis sechs Jahre lang hin zum Leben in der
Stadt. Berlins Bevölkerung ist zwischen
2010 und 2016 um 240.000 Einwohner
gewachsen, Münchens Bevölkerung um
140.000. Die Nachfrage nach Wohnraum
hat die Mieten steigen lassen. „Die nied-
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rigen Zinsen führen darüber hinaus zu
einem generellen Anstieg der Nachfrage
nach Immobilien“, so die Studie:
„Die Politik muss daher keine neuen Programme initiieren oder die Wohnungsmärkte stärker regulieren. Die
Wohnungsmärkte funktionieren, die
Bautätigkeit zieht als Reaktion auf die gestiegenen Mieten spürbar an, wenn auch
verzögert. (…) Die soziale Wohnraumförderung sollte nur gezielt an Standorten
eingesetzt werden, wo ein erheblicher
Anteil der privaten Haushalte Zugangsschwierigkeiten zum allgemeinen Wohnungsmarkt hat.“
Finanzen
Geldpolitik der EZB verhindert langfristige Sparen
Das System der Vermischung von Banken ist an sein Ende gekommen - und braucht eine grundlegende Reform.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Sie
waren Chefvolkswirt der Europäischen
Zentralbank und galten als Kandidat für
das Amt des EZB-Präsidenten. Stattdessen
sind Sie im Herbst 2011 als Chefvolkswirt
zurückgetreten. Warum?
Jürgen Stark: Mehrere Faktoren spielten eine Rolle. Entscheidend war aber der
Bruch des Maastricht-Vertrages durch die
europäischen Regierungen mit Unterstützung der EZB im Mai 2010. Innerhalb weniger Stunden wurde das Maastricht-Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion
ausgehebelt. Es wurde gegen das Prinzip
der „Nicht-Beistandspflicht“, also gegen
die „no bail-out“-Klausel verstoßen, mit
der die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre öffentlichen Haushalte festgelegt war. Die EZB hatte begonnen,
griechische, dann irische und portugiesische Staatsanleihen zu kaufen. Dies wurde
geldpolitisch begründet. In Wirklichkeit
bedeutete das Staatsfinanzierung. Damit
handelte sie außerhalb ihres Mandats und
verstieß gegen das Verbot der monetären
Finanzierung von Staatshaushalten. Heute
tut sie das in einem gigantischen Ausmaß.
Welches war nun der konkrete Auslöser für
Ihren Rücktritt?
Das war die Entscheidung des EZB-Rates
im August 2011, italienische und spani-
sche Regierungsanleihen zu kaufen. Dazu
mussten sich die Regierungen beider
Länder gegenüber der EZB und öffentlich
zu Wirtschaftsreformen und zu weiterer
Haushaltskonsolidierung verpflichten. Die
EZB wurde also zum politischen Akteur.
Ein solches politisches Mandat hat die EZB
aber nicht. Eine unabhängige Zentralbank
darf auch ihr Handeln nicht vom Verhalten Dritter abhängig machen. Tut sie es
dennoch, betreibt sie keine Geldpolitik
mehr. Auch fehlte in diesem Fall jegliche
demokratische Kontrolle. Für mich war
diese neue Rolle der EZB inakzeptabel. Daraus habe ich die Konsequenzen gezogen.
Aber vor Ihrem Rücktritt und nachdem
der damalige Bundesbank Präsident Axel
Weber als Kandidat für die Nachfolge Trichets nicht mehr zur Verfügung stand,
wurden Sie als möglicher deutscher Nachfolger gehandelt ….
Das Amt des EZB-Präsidenten war für
mich schon aus rechtlichen Gründen
kein ernstes Thema. Ich war als Mitglied
des EZB-Direktoriums für eine Amtszeit
von acht Jahren bestellt und eine zweite
Amtszeit ist nach den EZB-Statuten ausgeschlossen. Nachdem Weber das Handtuch
geworfen hatte, gab es in der damaligen
Regierungskoalition in Berlin die Überlegung, doch einen Deutschen zu präsentieren. Dabei soll mein Name genannt
worden sein. Es ging offenbar darum, für
meine damalige Restamtszeit in der EZB
von zweieinhalb Jahren übergangsweise
das Präsidentenamt zu übernehmen. In
einem Gespräch mit der Bundeskanzlerin habe ich deutlich gemacht, dass dies
für mich allein schon wegen der unklaren
Rechtslage nicht infrage kommt.
Hätten Sie sich denn, wenn alle juristischen Voraussetzungen erfüllt gewesen
wären, den Aufgaben als EZB-Präsident
gestellt?
Das ist eine hypothetische Frage. Ich war
damals außerdem der Meinung, dass
zweieinhalb Jahre eine zu kurze Zeit für
einen Präsidenten sind. Heute muss ich
sagen, dass die EZB in diesen Jahren einen
fundamentalen Strategie- und Politikwechsel vollzogen hat. Das wäre vermeidbar gewesen.
Seit Jahren hält die EZB die Zinsen niedrig, angeblich, um die Realwirtschaft anzukurbeln. Inzwischen ist sie sogar dazu
übergegangen, Unternehmensanleihen
zu kaufen. Doch die Wirtschaft in der
Euro-Zone kommt nicht richtig in Gang.
Glauben Sie, dass diese Medizin noch wirken wird?
Zunächst ist festzuhalten: Wir haben
Preisstabilität im Euro-Raum. Das recht2
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fertigt sehr niedrige Zinsen, nicht jedoch
Null- oder sogar Negativzinsen. Der gesamte Politik-Ansatz, den die EZB seit 2012
und verstärkt seit 2014 verfolgt, gründet
auf einer falschen Diagnose, einer neuausgerichteten kurzfristigen ZentralbankStrategie und einem ungerechtfertigten
und unverhältnismäßig hohen Mitteleinsatz. Gemessen an letzterem sind die
Wachstumswirkungen eher mager und
sie bleiben umstritten. Auch bestand und
besteht keine wirkliche Deflationsgefahr!
Das japanische Beispiel zeigt zudem,
dass die Geldpolitik längst ihre Grenzen
erreicht hat. „Noch mehr für länger“ löst
nirgendwo die Wachstumsprobleme, insbesondere, wenn sie struktureller Natur
sind.
Wird es überhaupt möglich sein, von der
„Droge Niedrigzinsen“ wieder wegzukommen?
An einen Ausstieg aus der derzeitigen Politik denken weder die EZB, noch die englische oder japanische Zentralbank. Im Gegenteil man nährt die Illusion, durch eine
Erhöhung der Dosis die Volkswirtschaften
und Teile der Finanzmärkte weiter zu
stützen. Die negativen Folgewirkungen
dieser Politik werden ausgeblendet. Ein
Null- oder Negativzins führt zu erheblichen Wettbewerbs- und Marktverzerrungen. Der Zinssatz, als einer der wichtigsten
Preise in einer Volkswirtschaft, hat seine
Signal- und Steuerungsfunktion verloren.
Damit befinden sich die Volkswirtschaften
im „Blindflug“. Das führt zwangsläufig zu
wirtschaftlichen Verwerfungen. Der Kauf
von Staatsanleihen durch das Eurosystem
hat diesen Markt bereits ausgeschaltet
und bei Unternehmensanleihen erheblich verzerrt. Aber manche Finanzmarktteilnehmer und die Finanzminister haben
sich an diese Politik gewöhnt. Ein rascher
geldpolitischer „Entzug“ würde zu abrupten Korrekturen auf den Finanzmärkten
führen, an denen Übertreibungen festzustellen sind, also insbesondere bei den
Vermögenspreisen. Und damit steuern
wir in die nächste Krise.
Vielen Banken mit klassischem Geschäftsmodell fällt es nun schwer, Gewinne zu erwirtschaften. Viele Lebensversicherer und
Pensionsfonds wissen nicht, wie sie ihre
Renditezusagen einhalten können.
Der Ankauf von Unternehmensanleihen
führt – wie Sie sagen – zu Wettbewerbsverzerrungen, maßgeblich wohl zulasten des Mittelstandes. Wer aber profitiert von der Niedrigzinspolitik wirklich?
Das, was wir heute im fortwährenden
Krisenmodus erleben, hat kaum mehr
etwas mit Marktwirtschaft zu tun. Es
hat sich eine starke gegenseitige Abhängigkeit von Zentralbanken, Finanzmärkten und Politik ergeben. Das ist – um es
vorsichtig zu sagen – eine wirtschaftlich
suboptimale Konstellation. Die Negativzinsen der EZB und das Fluten der
Märkte mit Liquidität gefährden die
Geschäftsmodelle vieler Finanzmarktakteure. Auch klassische Instrumente der
Altersvorsorge oder des langfristigen
Sparens wie Lebensversicherungen
und das Bausparen sind existenziell
betroffen. Die Banken, deren Ertragsentwicklung im Wesentlichen von den
Zinsmargen abhängt, haben ein ernst zu
nehmendes Problem. Zwar können sie
sich günstig bei der EZB refinanzieren,
aber der negative Einlagenzins führt zu
weiter sinkender Profitabilität. Und die
europäischen Banken kämpfen ja mit
einer Vielzahl von Problemen: einer
vergleichsweise geringen Ertragskraft,
den Folgen von Basel III, der unvollkommenen Bilanzbereinigung in einigen
Ländern und der Digitalisierung. Es ist
daher nicht zu verstehen, warum der
jüngste Banken-Stresstest in seinen kritischen Szenarien nicht die Wirkungen
des negativen Einlagenzinses als Parameter aufgenommen hat.
Und wer sind die Gewinner dieser Politik?
Kurzfristig insbesondere all diejenigen,
die sich verschulden einschließlich der
Finanzminister und solche, die rechtzeitig in Vermögenswerte investiert haben.
Im Falle eines Anstiegs der Marktzinsen
sieht das dann wieder anders aus. Dann
werden Private und Regierungen Probleme bekommen, den Schuldendienst auf
die aufgetürmten Schulden zu leisten
und wer nicht rechtzeitig aus Vermögenswerten aussteigt, kann erhebliche
Verluste erleiden.
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Glauben Sie, dass die EZB mit dem Ankauf
von Staats- und jetzt auch von Unternehmensanleihen ihr Mandat überschreitet?
Eindeutig ja. Meine Meinung dazu hat
sich auch nach den Entscheidungen des
Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zu den „Outright
Monetary Transactions“ (OMT) nicht
geändert. Das sind politische Entscheidungen, wenn auch unter Auflagen. In
der Argumentation folgte man mangels
eigener Expertise der Linie der EZB, wie
der Generalanwalt beim EuGH dies formulierte. Ich habe das Akronym „OMT“
von Anfang an als „Outside the Mandate
Transactions“ bezeichnet. Die EZB begründet ihre heutige mengenmäßige Lockerung der Geldpolitik (Quantitative Easing
– QE) mit Deflationsgefahren und schwachem wirtschaftlichem Wachstum. In
Wirklichkeit ging es bei diesen fraglichen
Instrumenten immer um eine temporäre
Entlastung der Regierungen von schmerzhaften politischen Entscheidungen und
der Reduzierung der Zinslasten auf steigende Staatsschulden. Die EZB betreibt
damit Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Das
galt für das Securities Market Programme
(SMP) von 2010 bis 2011, dann für OMT
und gilt jetzt für QE. Die EZB hat Zeit gekauft, die Zinsen weiter gedrückt, aber die
Wirtschaftsreformen sind in wichtigen
Euro-Staaten nicht wirklich vorangekommen. Damit verlängert sich die Krise. Die
verschärften Probleme des Bankensektors
bestätigen das insbesondere in Italien.
Ist denn eine Geldpolitik, die für alle Länder der Euro-Zone sinnvoll wäre, überhaupt möglich?
Die Frage einer „one size fits all“-Geldpolitik, also einer einheitlichen Geldpolitik für
alle Mitgliedstaaten trotz unterschiedlicher Konjunkturphasen und Wirtschaftsstrukturen wurde schon vor Beginn der
Währungsunion gestellt. Die Antwort darauf war: „One size must fit all!“ Das hätte erhebliche dauerhafte Konvergenzanstrengungen aller Euro-Länder bedeutet.
Das heißt: Bereitschaft zu den notwendigen Anpassungen auf nationaler Ebene
an die Bedingungen der Währungsunion.
Dazu waren viele Staaten nicht willens
oder nicht in der Lage. Die Wirtschafts3
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und Währungsunion ist heute eher durch
Divergenz als durch Konvergenz gekennzeichnet. Die EZB-Politik orientiert sich an
den Reformnachzüglern und den schwachen Ländern.
Sie hatten sich seinerzeit – wenn auch nur
in beratender Funktion und nicht als Entscheider – gegen einen Beitritt Italiens zur
Euro-Zone ausgesprochen. Anschließend
waren Sie in Italien eine „persona non grata“. Fühlen Sie sich im Nachhinein in Ihrer
damaligen Einschätzung bestätigt?
Auch wenn ich mich bestätigt sehe, ändert
das nichts an der Misere, in der wir uns
heute befinden. Ich habe 1998 vor einer
„Konvergenz-Illusion“ gewarnt, weil ich die
Nachhaltigkeit der Konvergenz anzweifelte.
Das richtete sich auch an die Finanzmärkte,
die eine relativ große Zahl von Ländern am
Jürgen Stark.
Euro-Start sahen und durch ihr Verhalten
signifikant zur Verringerung der Risikoaufschläge bei Staatsanleihen beigetragen
hatten. Mit Blick auf die Euro-Einführung
wurden die Risiken einiger Länder nicht
angemessen bepreist. Richtig ist auch, dass
vor 25 Jahren, als der Maastricht Vertrag
unterzeichnet wurde, kaum jemand davon
ausging, den Euro mit elf Ländern zu starten und das Euro-Gebiet rasch zu erweitern. Viele Länder, darunter Italien, wurden
aus politischen Gründen und wegen der
gegebenen Disziplin-Versprechen aufge-
nommen. Diese Versprechen wurden dann
gebrochen, übrigens im Jahr 2003 auch
von deutscher und französischer Seite.
Finanzminister Schäuble hatte nach dem
griechischen Referendum, bei dem sich
eine Mehrheit der Bevölkerung gegen
weitere Sparmaßnahmen ausgesprochen
hatte, einen zeitweiligen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ins Spiel gebracht.
Glauben Sie, dass ein derartiger Schritt der
griechischen Volkswirtschaft hätte helfen
können?
Es hätte nicht nur Griechenland geholfen,
sondern auch dem Euro-Raum selbst. Man
hätte sich vorübergehend von einem Mitglied getrennt, das mit seinen institutionellen, fiskalischen und wirtschaftlichen Defiziten nicht in die Währungsunion passt.
Manche haben diese Überlegung auch als
Foto: Flickr/Metropolitico.org/Cc by sa 2.0
späte Strafe für die statistisch erschlichene
Euro-Mitgliedschaft Griechenlands 2002
gesehen. Aber darum ging es doch nicht.
Im Juli vergangenen Jahres hatte sich übrigens die Mehrheit der Euro-Finanzminister
für einen „Grexit“ ausgesprochen. Die EUStaats- oder Regierungschefs haben dann
anders entschieden, insbesondere auf
Druck des französischen Staatspräsidenten. Seitdem ist eines klar: die derzeitige
Länderzusammensetzung des Euro-Raums
wird von niemandem infrage gestellt. Sie
wird garantiert. Das wird nur möglich sein
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mit gegenseitiger Haftung für die öffentlichen Finanzen, einem dauerhaften substanziellen Finanztransfersystem und einer
fortgesetzt extrem lockeren Geldpolitik der
EZB, die an den Erwartungen der Peripherie
ausgerichtet ist. Das ist für mich ein Szenario, von dem die eigentliche Sprengkraft für
die Währungsunion ausgeht. Denn es überfordert die Solidarität sowie die politische
und wirtschaftlich-finanzielle Kraft der potenziellen Geberländer bei wahrscheinlich
rasch zunehmender Inflation.
Also wurden die Weichen für Griechenland
schon früh falsch gestellt?
Nicht nur 2001/2002, als die wirtschaftliche Konvergenz Griechenlands geprüft
wurde und man manipulierten Statistiken
aufsaß. Wäre man 2010 dem MaastrichtVertrag gefolgt, hätte Griechenland bereits den Euro-Raum verlassen müssen,
verbunden mit einem frühzeitigen Schuldenschnitt. Intern trat ich damals dafür
ein und berührte damit ein absolutes Tabu:
die Irreversibilität des Euro. Doch der Euro
war nicht in Gefahr. Für mich bezog sich
die Irreversibilität nicht auf die Ländermitgliedschaft im Euro! Sicherlich wäre dies
ein Schock für die griechische Wirtschaft
gewesen. Aber er hätte heilsam für beide
Seiten sein können. Der Euro-Raum wäre
gestärkt worden und europäisches Recht
wäre wieder dem ihm gebührenden Rang
zugekommen.
Der Ökonom Wilhelm Hankel hatte ein
Konzept entwickelt, nach dem der Euro
als Referenzwährung bestehen bleiben,
zusätzlich zu ihm aber nationale Parallelwährungen eingeführt werden sollten.
Glauben Sie dass die Euro-Zone reformiert
werden muss? Durch Parallelwährungsmodelle oder auch eine Aufspaltung in einen
„Nord“- und einen „Süd-Euro?
Ich kenne die Überlegungen. Ich halte nicht
viel von solchen Hilfskonstruktionen oder
von einer Aufteilung des Euro in Nord und
Süd. Zu welchem Teil gehört z.B. Frankreich?
Dennoch beruhen diese Überlegungen auf
der Diagnose auseinander driftender Volkswirtschaften. Politisch relevant sind die
Entscheidungen vom Sommer 2015 und
die Garantie für den Zusammenhalt des
Euro-Raums. Die Bedingungen unter de4
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nen diese Garantie ausgeübt werden kann,
stoßen aber auf wahrscheinlich schwindende Akzeptanz bei der Wählerschaft der
Geberländer. Da die politische und wirtschaftliche Heterogenität des Euro-Gebiets
fortbestehen wird, schließe ich eine Korrektur vergangener Entscheidungen nicht aus.
Das heißt, das eine oder andere Land wird
vorübergehend den Euro-Raum verlassen.
Das wurde zu lange tabuisiert.
In Italien sitzen viele Banken auf faulen
Krediten. Es ist die Rede von einer erneuten
Bankenkrise. Ist nun eine solche Krise abgewendet?
Zunächst ja. Aber man muss abwarten, ob
die getroffenen Entscheidungen ausreichen
und wie sie umgesetzt werden. Italiens Bankenprobleme, insbesondere das Volumen
notleidender Kredite von 360 Milliarden
Euro, das auf den Bilanzen lastet, ist seit
langem bekannt. Man braucht dazu nur die
Länderberichte des Internationalen Währungsfonds der letzten Jahre zu studieren.
Aber die Probleme wurden von der Banca
d’Italia, also der italienischen Bankenaufsicht, und den italienischen Regierungen
heruntergespielt. Es erfüllte sich dann auch
die Hoffnung, dass die EZB helfen würde.
Erst kürzlich hat der ehemalige italienische
Ministerpräsident Monti öffentlich dargelegt, dass das OMT-Programm der EZB den
politischen Handlungsdruck gemindert
und den italienischen Banken geholfen
habe. Damit ist auch die Frage „OMT – cui
bono?“ beantwortet.
Könnte eine Bankenkrise in Italien auf andere Länder übergreifen?
Der jüngste Banken-Stresstest hat auch
Schwächen der Bankensysteme in anderen Ländern aufgedeckt, obwohl der Test
nicht stringent genug war. Ich habe schon
gesagt, dass wichtige Parameter wie negative Einlagenzinsen aus den Szenarien
ausgeklammert wurden. Darunter leidet
die Glaubwürdigkeit des Tests. Gleichzeitig
demonstriert die EZB als Mitorganisator
des Tests ihren Interessen- und Zielkonflikt
zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht.
Die anhaltenden Bankenprobleme gehen
zurück auf eine andere Tabu-Entscheidung
der Jahre 2008/2009. Keine große Bank
sollte insolvent werden. Kein zusätzlicher
Schock für die Finanzmärkte nach dem Kollaps von Lehman Brothers sollte vom EuroGebiet ausgehen. Infolge staatlicher und
EZB-Interventionen wurde eine eskalierende Bankenkrise verhindert, aber die Probleme wurden nur auf der Zeitachse verschoben. Die umfassende Konsolidierung und
Sanierung der Bankensysteme unterblieb.
In den USA ist man 2008/2009 radikaler
vorgegangen. Viele insolvente Banken sind
aus dem Markt ausgeschieden, andere wurden zwangsrekapitalisiert.
Glauben Sie, dass es Ministerpräsident Renzi gestattet werden sollte, die italienischen
Banken mit Steuergeldern zu retten? Oder
hielten Sie es für geboten, die seit Anfang
des Jahres geltenden Bail in-Regeln anzuwenden?
Ich halte die Bail in-Regeln für die Marktteilnehmer - seien es nun Sparer, Anleger oder
Aktionäre - bei der Sanierung von Banken
für eine wichtige Grundentscheidung. Es
ist ein marktwirtschaftlicher Ansatz. Negative Folgen privatwirtschaftlicher Entscheidungen sollen nicht sozialisiert werden,
d.h. Banken sollen nicht mit Steuerzahlergeld gerettet werden. Die Glaubwürdigkeit
dieses Ansatzes wäre dahin, wenn man im
italienischen Fall davon abweichen würde. Deshalb verstehe ich auch nicht die
Einlassung der EZB-Leitung zugunsten
einer staatlichen Intervention. Man muss
aber auch sagen, dass dieser Ansatz sehr
anspruchsvoll ist. Er erfordert bei einer
systemisch relevanten Bank die Verständigung aller relevanten Gruppen innerhalb
weniger Stunden. Gelingt dies nicht, muss
wieder Steuerzahlergeld fließen, wenn man
eine systemische Krise vermeiden will.
Eine Anwendung der Bail in-Regeln in Italien dürfte für Renzi problematisch sein und
zu einem Erstarken der Fünf-Sterne-Bewegung führen, einer Euro-kritischen Partei.
In Frankreich haben die geplanten Arbeitsmarktreformen zu massiven Protesten geführt. Hier konnte der Front National von
der Lage profitieren. Gefährdet der Euro in
seiner jetzigen Form das europäische Projekt?
Es geht ja nicht nur um den Euro allein, der
in manchen Ländern kritisch gesehen wird.
Die EU befindet sich ja in einer Mehrfach-
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krise, auf die die Politik noch keine Antwort hat. Die gemeinsame Währung wird
für vieles verantwortlich gemacht, was in
Wirklichkeit auf nationaler Ebene auf politische Führungsschwäche und ungelöste
wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme zurückgeht. Alles, was in diesem Zusammenhang von Europa erwartet werden
kann, ist Zeit zu kaufen durch die EZB und
andere Scheinlösungen. Es ist eher Symbolpolitik. Gerade die beiden genannten Länder haben erheblichen Nachholbedarf bei
wirtschaftlichen und sozialen Reformen
und im Fall Italiens bei der Bankensanierung. Diese Probleme sind nicht durch den
Euro verursacht. Wenn man über den Euro
hinaus über Europa spricht, geht es heute
nicht mehr um „Mehr Europa“, sondern um
ein „besseres Europa“. Von dem weiß aber
niemand so recht, wie es aussehen soll und
wie denn überhaupt darüber ein europäischer Konsens hergestellt werden kann.
Auch vor dem Hintergrund des Brexit halte
ich eine Reflektionsphase über die Zukunft
Europas für dringend geboten, in der das
Verhältnis zwischen Demokratie, Integration und Souveränität erörtert werden muss.
Mit anderen Worten: Es geht um die Frage,
wie die Bürger besser in das Europa-Projekt
eingebunden werden können und um eine
Revision der derzeitigen Kompetenzverteilung zwischen der supranationalen und nationalen Ebene.
Info zur Person:
Jürgen Stark war von 2006 bis 2012 Chefvolkswirt und Mitglied im Direktorium der
Europäischen Zentralbank (EZB). Ende 2011
erklärte er vorzeitig seinen Rücktritt von
seinen Funktionen in der EZB. Zwar gab er
„persönliche Gründe“ an, es war jedoch der
Protest gegen die Politik des Krisenmanagements der Regierungen und der EZB in
Europa und die fundamentale Abkehr vom
Maastricht Vertrag.
Stark gilt als entschiedener Verfechter einer stabilitätsorientierten Geldpolitik, der
Unabhängigkeit der Zentralbanken und
solider Staatsfinanzen. Seit 2012 arbeitet
Stark freiberuflich als Consultant. Darüber hinaus ist er u.a. Honorarprofessor der
Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Tübingen, Stellv. Vorsitzender
des Verwaltungsrats und des Kuratoriums
des ifo-Instituts in München und Kuratoriumsmitglied der Bertelsmann Stiftung.
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26. August 2016
Innovation
Airbus entwickelt fliegende Taxis
Dieses soll Passagiere nach der Landung mit dem Flugzeug nach Hause transportieren – natürlich auf dem Luftweg
CityAirbus soll Drohnentechnologie nutzen. C
ityAirbus heißt die neue Kreation von
Airbus. Eine elektrisch betriebener
Drohne, die zukünftig den Straßenverkehr entlasten soll. Dabei geht es um die
„Zukunft der städtischen Mobilität“, um
es mit den Worten des Flugunternehmens
zu sagen. „Um das Jahr 2030 herum werden etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung
in Städten leben – das sind zehn Prozent
mehr als heute“, so die Airbus Group.
Um auf die Sorgen hinsichtlich der dann
massiv überlasteten Straßen einzugehen,
arbeite Airbus deshalb an dem Traum vieler: Einfach über den Stau mit dem Drücken nur eines Knopfes hinweg zu fliegen.
Einer Studie zufolge verlieren Londons
Einwohner jährlich 35 Werktage allein
durch das Feststecken im Verkehr. Und
die immensen Staus in Sao Paulo kosten
Foto: Airbus
der brasilianische Wirtschaft jedes Jahr 31
Milliarden Dollar. Hier will Airbus ansetzen. Die Innovationsabteilung A3 arbeitet
deshalb an dem fliegenden Taxi CityAirbus. Das Taxi soll später elektrisch und
autonom fliegen und dabei sowohl einzelne Passagiere transportieren als auch
als öffentliches Verkehrsmittel genutzt
werden können. Letzteres könnte wie bei
Carsharing-Unternehmen funktionieren.
„Wir glauben, dass die globale Nachfrage
für diese Art der Flieger eine Flotte von
Millionen dieser Verkehrsmittel möglich
machen könnte“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Rodin Lyasoff.
Ende 2017 soll es bereits erste Flugtests
mit dem neuen Vehikel geben. Hintergrund für die Entwicklung sind dabei
auch die stetig fortschreitenden Neue-
rungen in der Drohnentechnologie. Batterien, Rotoren etc., all das wird bereits
heute erfolgreich für Multikopter eingesetzt. 2017 sollen die ersten Testflüge auf
dem Campus der National University of
Singapure stattfinden. Anfangs soll – für
einen schnelleren Markteintritt – ein Pilot
die Drohne steuern. Ziel ist es aber, die Taxidrohne autonom fliegen zu lassen.
Über eine App sollen die Passagiere später
einen Platz in dem Vehikel buchen können. Die Kosten sollen in etwa so hoch wie
eine normale Taxifahrt ausfallen. „Eine Taxifahrt durch eine neue Stadt ist eine nette Erfahrung“, so Marius Bebesel von Airbus. „Aber ein Flug über eine unbekannte
Stadt wäre natürlich viel aufregender.“
Die Idee eines quasi fliegenden Taxis ist jedoch nicht neu. Bereits zu Beginn des Jahres stellte das chinesische Unternehmen
Ehang seine Drohne vor. Basierend auf
Elektromobilität verfügt die Taxidrohne
von Ehang über insgesamt acht Rotoren,
wobei jeweils zwei übereinander angebracht sind. Ähnlich wie etliche Drohnen,
die privat ferngesteuert geflogen werden,
verfügt die AAV 184 über ein Fail-Safe-System. Dieses sorgt dafür, dass die Taxidrohne im Fall der Fälle bei Schwierigkeiten
sofort zur Landung ansetzt.
Das ist wichtig, denn die Drohne fliegt bis
zu 100 km/h auf einer Höhe von bis zu
3.500 Metern und einem Umkreis von 20
Kilometern. Die AAV 184 fliegt autonom,
ein Lenkrad im Inneren des Cockpits gibt
es nicht. Der Passagier steigt ein, startet
eine App und wählt ein Ziel aus. Den Rest
erledigt die Taxidrohne selbst.
Innovation
Pilze helfen beim recycling von Akkus
Batterien enthalten wertvolle Rohstoffe wie Kobalt und Lithium. Doch die Extraktion dieser aus alten Batterien ist kostspielig
W
ieder aufladbare Batterien sind ein
Segen für E-Autos, Drohnen, Smartphones etc. Doch auch sie haben keine
unbegrenzte Lebensdauer. Und sind die
Akkus einmal verbraucht, gehen die darin
enthaltenen wertvollen Rohstoffe verlo-
ren. Zu teuer ist es, diese wieder aus den
Akkus zu entfernen. Doch der stetige Griff
nach neuen Rohstoffen ist ebenfalls nicht
unbegrenzt möglich. Um hier eine Brücke zwischen ständiger Neuproduktion
von Akkus und einem guten Recycling zu
schlagen, haben Wissenschaftler der University of South Florida nun einen neuen
Ansatz präsentiert.
Dabei setzen die Wissenschaftler auf
natürlich auftretende Pilze. Diese sollen
Lithium und Kobalt umweltfreundlich
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aus Tonnen weggesworfener Batterien
und Akkus recyceln können. „Wir beobachteten das schnelle Wachstum der
Smartphones und anderer Produkte, die
wieder aufladbare Batterien nutzen“, sagt
Jeffrey A. Cunningham, einer der leitenden Wissenschaftler. „Also haben wir
unseren Fokus verschoben. Die Nachfrage nach Lithium steigt rapide, doch der
Abbau von Lithium-Ressourcen ist nicht
nachhaltig.“
Normaler Weise bedurfte es bisher
hoher Temperaturen und aggressiver
Chemikalien, um die Rohstoffe aus den
Batterien zu extrahieren. Im Gegensatz
dazu aber sind „Pilze sind eine sehr billige Arbeitskraft“, so Cunningham. dabei spricht der Wissenschaftler von drei
Pilzen: Aspergillus Niger, Penicillium
Simplicissimum und Penicillium Chrysogenum. Ersterer erzeugt meist den
Die drei verwendeten Pilze in Aktion.
Foto: Aldo Lobos
schwarzen Schimmel auf Badfugen und
Früchten. Der Penicillium Simplicissimum wird schon jetzt oft zum Abbau
von Polyethylenen genutzt und Penicillium Chrysogenum wurde als erster Pilz
26. August 2016
zur Massenproduktion von Antibiotika
eingesetzt.
In einem ersten Schritt entfernen die
Wissenschaftler die Ummantelung der
Batterien und zermahlen die Kathoden.
Die Überbleibsel werden dann den Pilzen
ausgesetzt. „Pilze bilden auf natürliche
Weise organische Säuren und die Säuren
ermöglichen das Auslaugen der Metalle“,
so Cunningham. „Dank der Interaktion
zwischen Pilzen, der produzierten Säure
und den zermahlenen Kathoden können
wir das wertvolle Kobalt und Lithium extrahieren.“
Die von den Pilzen erzeugte Oxalsäure und Zitronensäure können 85 Prozent
des Lithiums und 48 Prozent des Kobalts
aus den Batterien lösen. Die Wissenschaftler arbeiten nun daran, die gelösten
Rohstoffe aus der Pilz-Säure-Flüssigkeit
zu extrahieren.
Politik
Was von der EU-Idee bleibt
Die Regierungschefs Italiens, Frankreichs und Deutschlands haben über die Zukunft Europas gesprochen
S
chon die Konstellation des „DreierGipfels“ zeigt, wie zerrissen und
schwach die EU ist: Im Kreis der 27 geht
gar nichts mehr, weil die Staaten in den
wesentlichen Themen - Flüchtlinge, Banken und Schulden - diametral andere Pläne haben. Auch die drei „Großen“ haben
nicht dasselbe Ziel: Italiens Matteo Renzi
forderte bereits im Vorfeld, sich vom Primat des Geldes zu verabschieden. Er wolle „ein anderes Europa“ aufbauen, „das
mehr auf Werte achtet und weniger auf
das große Geld“, schrieb Renzi auf seiner
Facebook-Seite. Nach dem Brexit-Votum
solle ein Europa geschaffen werden, dessen Ideal „auf Einheit und Frieden, Freiheit und Träumen, Dialog und Identität“
basiere.
Das ist alles heiße Luft. Mit „Träumen“ sind die Probleme Europas und
auch der EU nicht zu lösen. Die Tatsache,
dass sich drei beliebige Staaten zusammenfinden, ohne auch nur einen einzigen Vertreter aus dem EU-Rat, der EUKommission oder dem EU-Parlament
hinzuziehen, zeigt, wie verfahren die
Lage ist.
Einer der Gründe, warum die EU so
schlecht dasteht, ist die Tatsache, dass
sich die deutsche Kanzlerin hartnäckig
weigert, die Realitäten und die Kausalitäten anzuerkennen. Die größte Krise der
EU ist ohne Zweifel die Flüchtlingskrise.
Sie wird Europa zerreißen – doch nicht,
weil die Flüchtlinge gefährlich oder integrationsunwillig sind. Der Fluch der
bösen Tat ist Merkels fortgesetzte Legendenbildung, dass es sich in Syrien
um einen „Bürgerkrieg“ handle, der von
außen weder vorherzusehen noch zu beeinflussen sei. Der Krieg in Syrien ist ein
multinationaler Raubzug um Ressourcen, bei dem sich die westlichen Staaten
mit ihren Verbündeten vom Golf an der
Zerstörung ganzer Staaten beteiligen.
Die meisten Flüchtlinge und Migranten
kommen aus Syrien, dem Irak und aus
Afghanistan. In allen drei Staaten hat der
Westen militärisch interveniert, bestehende staatliche und ethnische Strukturen aufgelöst und Millionen Menschen
der Vertreibung ausgesetzt. Mit der von
ihr ausdrücklich als alternativlos dargestellte unkontrollierte Einwanderung
hat Angela Merkel rechtsextreme und
xenophobe Strömungen in Europa in ei-
nem solchen Ausmaß gestärkt, das auch
in Europa dadurch bürgerkriegsähnliche
Zustände ausgelöst werden können.
Der sogenannte „islamistische Terror“ ist eine direkte Folge dieser Kriege.
Der Einsatz von Söldnern aus dutzenden
Nationen in Syrien ist der perfekte Nährboden für den Terror. Tausende Kämpfer
aus aller Welt sind in Syrien im Einsatz,
die meisten von ihnen sind bei privaten
Firmen im Einsatz. Sie tragen dann zwar
staatliche Uniformen, wie etwa die USSpezialkräfte, die sich mit dem Symbol
der Kurden-Miliz YPG schmücken. Doch
je nach Auftragslage wechseln die Milizen die Fronten und die Söldner ihre
Feinde. Die islamistische Verbrämung
des Kampfauftrags führt dann zu besonderen Grausamkeiten.
Eine maßgebliche Rolle im SyrienKrieg spielen die Geheimdienste. Die
CIA, die Briten, die Türken, die Saudis
und viele andere sind verdeckt im Einsatz. Manchmal blitzt ihre Gesinnung
auf, etwa, wenn der frühere CIA-Direktor
Morell im amerikanischen TV sagt, man
müsse Russen und Iraner ermorden und
den Präsidenten Assad mit Kommando7
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aktionen in Angst und Schrecken versetzen.
Diese Realität wird von Merkel ausgeblendet. Ihre Darstellung der Dinge
lautet, so die dpa: „Wir spüren angesichts
des islamistischen Terrors, angesichts
des Bürgerkrieges in Syrien, dass wir
mehr für unsere innere und äußere Sicherheit tun müssen.“ Das ist erbärmlich – vor allem, weil gegen die syrische
Bevölkerung noch immer die massiven
EU-Sanktionen in Kraft sind, deren Aufhebung ungeachtet der geopolitischen
Interessen eine humanitäre Pflicht wäre.
Nun sollen ausgerechnet die Geheimdienste die Lösung sein, obwohl
Teile von ihnen doch eindeutig Teil des
Problems sind. Es klingt wie eine Kapitulation der Politik, wenn Merkel, Renzi
und Hollande auf der „Garibaldi“ sagen,
die europäische Kooperation im Bereich
der Verteidigung sollte ausgebaut werden – unter anderem durch mehr Austausch zwischen den Geheimdiensten.
Hollande sagte im Hinblick auf die Übermacht der US-Dienste in Europa und im
Nahen Osten: „Europa sollte stärker als
heute seine eigene Verteidigung in die
Hand nehmen.“ Die EU-Staaten sollten
auch zusätzliche Mittel in die gemeinsamen
Verteidigungsanstrengungen
stecken. Frankreich werde seinen Beitrag
dazu leisten. Das sind bedeutungslose
Sätze. Hollande beginnt mit dem Wahl-
kampf und seine antiamerikanischen
Sprüche sind der Versuch, Marine Le Pen
das Wasser abzugraben.
Dass Hollande über Syrien schweigt,
hat einen Grund: Die Franzosen kämpfen offiziell in Syrien und sind erst vor
wenigen Wochen dafür kritisiert worden,
dass bei Bombardements der französischen und der US-Luftwaffe zahlreiche
Zivilisten getötet wurden.
Auch Matteo Renzi schweigt über
den Krieg – weil er vor allem darauf aus
ist, einen Deal mit der EU für die sich in
Italien befindlichen Flüchtlinge zu finden: Renzi sagte, es sei für Europa eine
Verpflichtung, Menschen zu retten, die
ihr Leben im Mittelmeer riskierten. Seit
Jahresbeginn erreichten laut Renzi rund
102 000 Flüchtlinge und illegale Migranten Italien. Die meisten von ihnen
kamen mit Schlepperbooten aus Libyen. Merkel sagte, die Küstenwache allein
werde es nicht schaffen, die Grenzen
zu kontrollieren. Es müsse mehr getan
werden. Die Kooperation mit der Türkei
in Bezug auf die Flüchtlinge sei richtig.
Andernfalls sei es nicht möglich, den
Kampf gegen die Schlepper zu gewinnen.
Angesichts einer solch fundamentalen und kollektiven Realitätsverweigerung ist es nur logisch, dass den drei
Regierungschefs auch zu den anderen
Themen vor allem Allgemeinplätze ein-
Angela Merkel, Francois Hollande und Federica Mogherini. Foto: EU-Kommission
26. August 2016
fielen.
Merkel sagte: „Europa ist noch nicht
in allen Bereichen der wettbewerbsfähigste Platz auf der Welt.“ Es gebe außerhalb Europas eine große Dynamik
im digitalen Bereich. Europa müsse „die
Ambition haben, hier vorne mit dabei zu
sein“. Dies sei neben der inneren und äußeren Sicherheit ein weiterer Baustein,
ebenso wie die Zukunft der Jugend, was
vor dem Treffen der Rest-EU-27 in Bratislava am 16. September diskutiert werden
müsse.
Renzi forderte starke Maßnahmen
für wirtschaftliches Wachstum und
mehr Investitionen für Bildung und Jugend. Er kündigte an, das Gefängnis auf
der nahen Insel Santo Stefano werde in
einen Universitätscampus umgewandelt, um „neue europäische Eliten“ auszubilden. Hollande sagte, es gebe den
Willen, das Erasmus-Förderprogramm
zu erweitern. Er kündigte auch mehr Investitionen in die Kultur an.
Renzi sagte: „Viele haben gedacht,
nach dem Brexit ist Europa am Ende.
Aber es ist nicht so. Wir glauben, dass Europa die Lösung für die schwerwiegenden Probleme unserer Zeit ist.“
Das Treffen schloss das Gedenken an
den kommunistischen Vordenker Altiero Spinelli ein. Dieser hatte sich 1941 für
die Abschaffung der Nationalstaaten zugunsten eines vereinigten europäischen
Bundestaats ausgesprochen. Vieles von
Spinellis Visionen ist zeitgebunden und
kann heute nur noch historisch verstanden werden.
In einem Punkt hat Spinelli das Dilemma des Europa von der „Garibaldi“
antizipiert, wenn er über die Lage 1941in
seinem Manifest schreibt: „In einem
Moment, da höchste Entschlusskraft
und höchster Wagemut Not tun, fühlen sich die Demokraten verwirrt…Sie
stellen sich an wie mahnende Prediger,
während Führer gebraucht würden…
Alles in allem vertreten sie mit ihren
zahlreichen widersprüchlichen Tendenzen nicht den Willen zur Erneuerung,
sondern das konfuse Machtstreben aller,
das, indem es sich selbst lähmt, der Reaktion ein fruchtbares Startfeld bereitet.
Die demokratische politische Methodologie wird in Zeiten revolutionärer Krisen zu einem Hemmschuh.“
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26. August 2016
Wirtschaft
Rezession kündigt sich an: US-Insolvenzen steigen deutlich
Zur Jahresmitte hatten schon mehr Unternehmen ihre Zahlungsunfähigkeit erklären müssen als im gesamten Jahr 2015
E
inem Bericht der Rating-Agentur
Standard & Poor’s zufolge steigt die
Zahl der bankrotten US-Unternehmen
in den USA stark an. Ende Juni lag diese
demzufolge bei 100 – die gesamte Konkursmasse stieg auf über 150 Milliarden
Dollar. Mittlerweile, so der Finanzblog
Zerohedge, sind sogar 113 Firmen betroffen.
Damit mussten bereits Mitte des laufenden Jahres mehr Unternehmen Insolvenz anmelden als im gesamten vergangenen Jahr. Standard & Poor’s zufolge
„liegt deren Anzahl 57 Prozent über dem
Wert des Vergleichszeitraumes. Das letzte Mal, als die Zahl der Insolvenzen zu
diesem Zeitpunkt des Jahres höher lag,
war im Krisenjahr 2009 mit 208.“ In
diesem Sinne können die Daten als Hinweis auf eine bevorstehende Rezession
verstanden werden.
Als Hauptgrund für die zunehmenden
Pleiten nennt die Rating-Agentur den
Verfall des Erdölpreises. Dieser habe
der amerikanischen Fracking-Industrie
schweren Schaden zugefügt und viele
kleinere Firmen vom Markt genommen.
Die Anzahl großer Insolvenzen weltweit. Die Prognose ist indes negativ. Standard & Poor’s geht davon aus, dass die
Insolvenzrate in den USA im vorausliegenden Jahr um
etwa 30 Prozent
zunehmen und
Ende Juni 2017 bei
etwa 5,6 Prozent
liegen werde. In
diesem Zeitraum
werden voraussichtlich weitere
99 Firmen der
Erdölbranche Insolvenz anmelden müssen. Dies
wäre dann deutlich höher als die
79 Firmen, die bis
Ende Juni 2016
aus der ÖlwirtDie steigende Zahl der Insolvenzen wird den Demokraten auch nach Obama als
wirtschaftliche Schwäche ausgelegt werden. Foto: Flickr/dcblog/CC by nc nd 2.0
schaft
Konkurs
Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo
Redaktion: Anika Schwalbe, Nicolas Dvorak. Sales Director:
Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. Telefon:
com. Erscheinungsweise wöchentliches Summary: 52 Mal pro
www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de
Grafik: Standard & Poor’s
anmeldeten.
An den Anleihe- und Aktienmärkten
macht sich der negative Trend bislang
nicht bemerkbar. Ganz im Gegenteil,
der breit gefasste S&P 500-Index stieg
im laufenden Jahr um rund 8 Prozent
und befindet sich auf dem Niveau eines
Allzeit-Rekordes. „Während die Insolvenzen wahrscheinlich zunehmen werden,
sind Investoren Aktien und Anleihen
gegenüber positiv eingestellt. Der Unterschied zwischen den Renditen der
ausfallgefährdetsten und der sichersten
Anleihen fiel auf 5,6 Prozent – verglichen mit über 8 Prozent im Februar. Der
Hauptgrund für den Anstieg der Anleihe-Preise sind die neuesten Interventionen der EZB und der Bank of England,
welche aggressiv Unternehmensschulden aufkaufen und Investoren dadurch
zwingen, Rendite in riskanteren Anlagen zu suchen“, schreibt Zerohedge.
Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV).
Philipp Schmidt. Layout: Nora Lorz. Copyright: Blogform Social Media GmbH,
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