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Leere Regale in Venezuela
Treuhand wird Geschichte
Am meisten leiden jene, für die
die Revolution gedacht war. Seite 3
Historiker sollen »Meinungsbild« zum
Wirken der Behörde erarbeiten. Seite 5
Foto: dpa/Ralf Hirschberger
Montag, 8. August 2016
STANDPUNKT
Ran an die
Verschwender
Kurt Stenger fragt nach dem Wer
beim Erdüberlastungstag
Auf Mallorca sind die Trinkwasserreservoirs stark geschrumpft.
Die Behörden haben den Verbrauch in einigen Gegenden rationiert – für Bewohner. Die Touristen, die wegen der Türkei-Krise
in großen Scharen auf die Balearen-Insel strömen und gerne besonders verschwenderisch mit
dem kostbaren Nass umgehen,
werden nur freundlich gebeten,
sich ein bisschen zu beschränken.
Ob nun Wasser, Wälder oder
Naturflächen – bei allen Ressourcen ist der Verbrauch viel höher
als die Regenerationsfähigkeit.
Und das weltweit und Jahr für
Jahr. Solch allgemeine Aussagen
über den Raubbau der Menschheit
an der Natur sind korrekt, aber
immer auch etwas ungerecht – sie
treffen für die wohlhabenderen
Länder und die reicheren Schichten zu. Insofern müssten Umweltmaßnahmen mit der Abschöpfung
von Reichtum einhergehen, wenn
sie denn wirklich wirksam sein
sollen. Sonst kommt es zum Rebound-Effekt – Verbrauchsrückgang an einer Stelle führt zu Verbrauchsanstieg anderswo.
Der Bundesregierung fällt anlässlich des Erdüberlastungstages
nur der Appell ein, im Agrar- und
Verkehrssektor sei ein Umdenken
nötig. Kein Wunder, dass die eigene Nachhaltigkeitsstrategie
ebenso unverbindlich wie unkonkret ist. Und dann befreit man
von den Kosten der Energiewende ausgerechnet energieintensive
Industrien, bei denen es die
größten Einsparmöglichkeiten
gäbe. Wer Ressourcenschonung
groß schreibt, muss sich zunächst
die Frage stellen: Wer sind die
größten Verschwender?
UNTEN LINKS
Auf der Welt gibt es die verrücktesten Dinge, die man niemals für
möglich gehalten hätte. Dinge,
die lange jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft lagen:
Fleischfressende Pflanzen. Fliegende Fische. Schimpansen, die
extrem komplexe Aufgaben lösen
können. Engländer, die Kochbücher schreiben. Die Welt, sie
bleibt rätselhaft. Der Mensch gewöhnt sich ja auch erstaunlich
rasch an abseitigste Scheußlichkeiten, die Menschen anderen
Menschen antun können. Und das
selbst dann, wenn schon deren
bloßer Anblick unerträglich ist:
Stockhiebe, Enthauptungen, alkoholfreier Sekt, Kai Diekmann.
Da fällt uns die Überzeugung,
dass der Mensch die Zierde der
Welt sei, nicht leicht. Haben wir
doch täglich mit der Boofkefraktion zu tun: mit Autofahrern etwa, Radfahrern, U-Bahn-Fahrern
oder Fußgängern. Oha! Und siehe
da, schon fällt uns schon wieder
so etwas Verrücktes ein, das dem
Hörensagen nach angeblich existieren soll: geistreiche, höfliche
Berliner. tbl
ISSN 0323-3375
71. Jahrgang/Nr. 184
Bundesausgabe 1,70 €
www.neues-deutschland.de
Mit Kopftuch
und Säbel
Fechterin Ibtihaj
Mohammad tritt als
erste Athletin der
USA bei Olympia
mit einem Kopftuch
an und nennt
Donald Trump
einen Faschisten.
Seite 20
Foto: imago/sportfotodienst
Heftige Kämpfe
um Aleppo
Hier wird
abgebaut
Rebellen melden Durchbruch des
Belagerungsrings der Armee
Beirut. Nach dreiwöchiger Einkesselung in
der Großstadt Aleppo durch syrische Regierungstruppen haben die gegnerischen Rebellen nach eigenen Angaben den Belagerungsring durchbrochen. Dies wurde am
Samstag auch von der im Istanbuler Exil ansässigen Nationalen Koalition der Opposition im Online-Dienst Twitter verbreitet. Dagegen bestreiten syrische Medien einen
Durchbruch des Belagerungsrings und erklärten, die Kämpfe dauerten an.
Die islamistische Miliz Ahrar al-Scham –
ehemals Nusra-Front – hatte über Twitter
mitgeteilt, die Rebellen hätten »den Weg nach
Aleppo frei gemacht«. Die Londoner Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach
von »bedeutenden Geländegewinnen« der
zur »Islamistischen Armee der Eroberung«
zusammengeschlossenen Milizen. Diese hätten Gebäude einer Militärakademie im Süden der Stadt in ihre Gewalt gebracht. Damaskus meldete, Rebellen hätten mit Selbstmordattentätern die Umfassungsmauern der
Militärakademie durchbrochen. AFP/nd
Der Ressourcenverbrauch
ist höher als die
Fähigkeit der Erde
zur Regeneration
Kollektivstrafe für
russische Sportler
Komplettausschluss von den
Paralympics in Rio de Janeiro
Grafik: fotolia/rosifan19, robert; Montage: nd
Berlin. Aus Anlass des Erdüberlastungstages
fordert ein Bündnis aus Umwelt- und Entwicklungsorganisationen die Bundesregierung auf, sich für konkrete Maßnahmen zur
Senkung des Ressourcenverbrauchs einzusetzen. »Die Rechnung geht einfach nicht auf«,
sagt Kristina Utz von der Initiative FairBindung. »Grenzenloses ökonomisches Wachstum ist mit begrenzten Ressourcen nicht
machbar – zumal die Erde auch nicht endlos
Emissionen aufnehmen kann.«
Laut Berechnungen des Global Footprint
Network sind an diesem Montag weltweit alle
Ressourcen an Rohstoffen, Ackerland, Wasser
und Wäldern aufgebraucht, die die Erde innerhalb eines Jahres regenerieren kann. 2015
war dies erst am 13. August der Fall. Die ökologische Übernutzung hat vielfältige Konsequenzen:
Wassermangel,
Artensterben,
schrumpfende Wälder als lebenswichtige CO2Speicher, Kleinfischer, die aufgrund leergefischter Küstengebiete ihre Lebensgrundlage
verlieren. Und der Klimawandel führt zu mehr
Stürmen und Dürren, womit vor allem der globale Süden zu kämpfen hat.
In Deutschland fallen vor allem die hohen
Treibhausgasemissionen im Energie-, Verkehr- und Agrarsektor sowie der Flächenver-
brauch etwa für die Fleischproduktion ins Gewicht. Jeder Deutsche verbraucht mehr als
doppelt so viele Ressourcen, wie ihm jährlich
zustehen würden. Das ist aber nur eine Durchschnittszahl: Wie das Umweltbundesamt ermittelt hat, nimmt der Energieverbrauch mit
dem Alter zu, er ist bei Männern größer als
bei Frauen sowie besonders hoch bei Menschen mit hohem Einkommen und zwar unabhängig vom persönlichen Umweltbewusstsein. Der Energieverbrauch hierzulande zeigt
ein Gefälle von Süden nach Norden und ist in
den westlichen Bundesländern deutlich höher
als im Osten. nd
Seite 9
Der Höhepunkt der Erdogan-Festspiele
Auch die Oppositionsparteien CHP und MHP nehmen an Großdemonstration teil, HDP wird geächtet
Auf Einladung von Präsident Erdogan versammelten sich am
Sonntag in Istanbul Hunderttausende Menschen zur bislang
größten Kundgebung gegen den
Putsch in der Türkei.
Von Roland Etzel
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag in Istanbul auf einer Großdemonstration erneut schwere Beschuldigungen gegen den in den
USA im Exil lebenden türkischen
Prediger Fethullah Gülen erhoben und ihn sowie seine Bewegung der Anzettelung des Militärputsches vom 15. Juli beschuldigt. Nach Angaben des katarischen Senders Al Dschasira
sollen mehrere hunderttausend
Menschen dem Aufruf von Erdogan zur Teilnahme an der »Demokratieund
Märtyrerversammlung« gefolgt sein.
In seiner Rede griff Erdogan die
westeuropäischen Regierungen
erneut scharf an und beschuldigte sie sogar der Kumpanei mit den
Putschisten, ohne konkret zu werden. Erdogan beklagte, dass von
ihm namentlich genannte GülenVertreter, ob in Deutschland oder
den USA, bisher nicht, wie von
ihm verlangt, ausgeliefert worden
seien. Das stellte er als hinreichende Erklärung für die von ihm
behauptete Türkei-Feindlichkeit
des Westens dar. Wörtlich sagte
Erdogan laut »Al Dschasira«: »Der
Westen hat uns nicht gezeigt, dass
er gegen den Putsch ist ... Sein
Schweigen ist unentschuldbar.«
Sein scharfes Vorgehen gegen
Andersdenkende,
tatsächliche
oder auch nur vermeintliche Putschisten bzw. Anhänger Gülens
rechtfertigte er mit der Behauptung, dies sei eine Aufgabe, die
ihm »vom türkischen Volk verliehen« worden sei. Er habe diese
Aufgabe selbstverständlich angenommen. Deswegen sei er aber
»kein Despot oder Diktator«. Erdogan hatte wie an jedem Abend
zuvor in Ankara und Istanbul seit
dem Putsch, das türkische Volk
aufgerufen zusammenzustehen.
Allerdings legte er auch dieses
Mal selbst fest, wer zu den
»Der Westen hat uns
nicht gezeigt, dass er
gegen den Putsch ist.
Sein Schweigen ist
unentschuldbar.«
Recep Tayyip Erdogan
Putschgegnern und damit Demokraten gehören darf und wer
nicht. Von den drei im Parlament
vertretenen Oppositionsparteien
waren zwei ausdrücklich eingeladen: die sozialdemokratisch
orientierte
Republikanische
Volkspartei (CHP) sowie die
großtürkische Ziele vertretende
Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Türkische Me-
dien kolportieren, dass der CHPVorsitzende Kemal Kilicdaroglu
lange gezögert habe, während
MHP-Chef Devlet Bahceli sofort
zugesagt haben soll.
Ministerpräsident Binali Yildirim hatte die Anhänger der Regierungspartei angewiesen, diesmal keine Parteisymbole mitzubringen, sondern einfach als
»Türken« teilzunehmen. »Der
Geist einer Nation, einer Flagge,
eines Heimatlands und eines
Staats wird an diesem Tag vorherrschen«, wird Yildirim zitiert.
Den Fernsehbildern nach zu urteilen, wurden die Regiewünsche
des Staats- und des Ministerpräsidenten getreulich verfolgt.
Dazu gehörte auch, dass Anhänger der dritten Oppositionspartei, der kurdischen linken
Gruppierung Demokratische Partei der Völker (HDP), ausdrücklich nicht zur Kundgebung eingeladen war, obwohl die HDP vom
ersten Tage an den Putsch verurteilt hatte.
Tagesthema Seite 2
Rio de Janeiro. Russlands Sportler müssen bei
den Paralympics in Rio de Janeiro zuschauen. Im Gegensatz zum IOC beschloss das Internationale Paralympics Komitee (IPC) am
Sonntag in der Affäre um vermeintliches
Staatsdoping einen Komplettausschluss für
die Athleten aus diesem Land.
Das IPC hatte vor der Verkündung weitere
Informationen des kanadischen Juristen Richard McLaren erhalten, der die Untersuchung der Welt-Antidoping-Agentur (WADA)
zum vermeintlichen Staatsdoping leitete. Seine Ermittlungen nahm das IPC als Basis für
die Kollektivstrafe. Formal ging es darum, ob
die Mitgliedschaft des russischen Verbandes
bestehen bleibt oder aufgehoben wird. Die Paralympics finden vom 7. bis 18. September
statt. »Der McLaren-Report markierte meiner
Ansicht nach und auch der Ansicht des IPCVorstands nach einen der dunkelsten Momente des Sports«, sagte IPC-Chef Philip Craven. Russland sei »nicht in der Lage, dem Anti-Doping-Code des IPC und dem Antidoping
der WADA zu entsprechen«. dpa/nd Seite 18
Korte: KPD-Verbot
endlich aufheben
LINKER fordert Entschuldigung bei
»Justizopfern des Kalten Krieges«
Berlin. 60 Jahre nach dem Verbot der kommunistischen KPD in der Bundesrepublik fordert der Vizechef der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, die Aufhebung des Urteils
und eine Rehabilitierung der Justizopfer des
Kalten Krieges. In einem Gastbeitrag für »neues deutschland« schreibt Korte, es sei an der
Zeit, »dass Bundesregierung und Bundestag
anerkennen, was es an Unrecht gegeben« habe, sowie dafür, »sich bei den Justizopfern des
Kalten Krieges« zu entschuldigen. »Der Bundestag ist gefordert, alle notwendigen Schritte einzuleiten, um dieses Relikt aus der Eiszeit des Kalten Krieges so schnell wie möglich
zu überwinden.«
Das Bundesverfassungsgericht hatte die
KPD am 17. August 1956 verboten. Dem vorausgegangen war bereits eine Welle von Verboten, Verhaftungen und Polizeieinsätzen,
1952 kam dabei das FDJ-Mitglied Philipp
Müller bei einer Demonstration in Essen zu
Tode. Direkt oder indirekt waren laut der historischen Forschung mehr als 500 000 Menschen von Verfolgung betroffen. nd Seite 10