31. Jul. 2016 Diesen Artikel finden Sie online unter http://www.welt.de/157249356 24.07.16 Erdogan-Anhänger "Wir rotten Euch aus, verbrennen Euch" Auch in Deutschland attackieren Erdogans Anhänger Andersdenkende – Kurden, Aleviten, Gülen-Leute und Säkulare. Vor allem ein Verein, der der türkischen Regierung untersteht, macht gegen sie Stimmung. Von Freia Peters , Tim Röhn Foto: pa/ZUMAPRESS.com/ZUMA Wire Nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei protestieren Erdogan-Unterstützer vor dem türkischen Konsulat in München Wenige Tage nach dem Putschversuch in der Türkei preisen die Besucher einer kleinen Moschee in Berlin-Schöneberg ihren "büyük lider", den großen Führer Recep Tayyip Erdogan. Vor dem Gebetsraum hängt die türkische Flagge. "Ich finde es absurd, dass der Zustand in der Türkei nun mit einer Diktatur gleichgesetzt wird", beschwert sich Yussuf, ein junger Mann. "Hunderte Menschen haben die Putschisten brutal ermordet. Und wer wird nun als großer Übeltäter dargestellt? Erdogan! Dabei hat er die Demokratie gerettet!" Die Frage nach der Säuberungswelle des AKP-Regimes wird seither mit einer abwinkenden Handbewegung beantwortet. Besondere Zeiten, heißt es, erforderten eben besondere Maßnahmen. Die Hinterhof-Moschee gehört zur Türkisch-Islamischen Union (Ditib), in der 900 Moscheevereine zusammengeschlossen sind. Ditib ist eigentlich ein deutscher islamischer Verein – der aber dem Religionsministerium in der Türkei unterstellt ist. Die großen deutschen Islamverbände haben den Putschversuch in der Türkei scharf verurteilt und ihre "Solidarität mit den Menschen in der Türkei und der Demokratie" bekundet. Doch seit der Niederschlagung des Putsches und Erdogans Säuberungswelle hüllen sich die Verbände in Schweigen. Und äußern sie sich doch, dann rabiat. Ein Aushang einer DitibMoschee etwa in Hagen forderte "Vaterlandsverräter" auf, draußen zu bleiben. In Gelsenkirchen belagerten am vorigen Wochenende rund 150 Erdogan-Anhänger über Stunden einen Jugendtreff der Gülen-Bewegung und warfen Fensterscheiben ein. Tausende gingen auf die Straßen und riefen "Allahu akbar". "Die Konflikte in der Türkei zeichnen sich sehr deutlich auch in Deutschland ab", sagt Susanne Schröter, Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam der Goethe-Universität in Frankfurt. "Kurden, Aleviten und Gülen-Anhänger werden beschuldigt, Jugendliche haben randaliert." Erdogans Anhänger im Machtrausch - auch hierzulande Rund drei Millionen Türkischstämmige leben in Deutschland. "Jegliche Gegner Erdogans werden als Terroristen und Vaterlandsverräter denunziert", sagt Schröter. "Die Stimmung ist martialisch, und man propagiert, dass vermeintliche Terroristen umgebracht werden dürfen, können, müssen." Erdogans Anhänger im Machtrausch, auch hierzulande. "Seit dem Putschversuch bekommen wir täglich Drohnachrichten und Hassbotschaften", sagt Velican Dogan, Vorsitzender des Bundes Alevitischer Jugendlicher in NRW. "Was für perfide Dreckschweine die Aleviten in Deutschland doch sind"; "Ihr kommt auch noch dran" oder "Wir rotten Euch aus, verbrennen Euch wie 1993" posten User, deren Profilbilder oft die türkische Fahne zeigen. 1993 zündete eine aufgepeitschte Menge in der türkischen Stadt Sivas ein Hotel an, in dem sich die Besucher eines alevitischen Festivals befanden. 35 Menschen starben. Die Polizei kennt die Drohungen gegen Aleviten (Link: http://www.welt.de/themen/aleviten/) in Deutschland. Voriges Jahr installierte sie in deren Jugendzentrum in Wuppertal Überwachungskameras. Man fürchte Übergriffe aus der salafistischen Szene (Link: http://www.welt.de/themen/salafisten/) , hieß es. "Aber jetzt ist die Situation so krass wie nie zuvor", sagt Dogan. "Wir blockieren am Tag etwa 20 Personen auf Facebook, die uns belästigen. Wir haben Angst." Auch aus Ditib-Kreisen kämen Hassbotschaften: "Heuchler", "Hetzer", "Aleviten raus aus der Türkei." So abhängig ist Ditib von der türkischen Politik Im Visier deutscher Erdogan-Anhänger stehen auch die Kurden (Link: http://www.welt.de/themen/kurden/) . Seit Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland e. V., vor zwei Wochen in den ZDF-Fernsehrat berufen wurde, läuft gegen ihn eine Hetzkampagne. "PKK-Terrorist in den ZDF-Fernsehrat gewählt", schrieben einen Tag vor dem Putschversuch die AKP-nahen Blätter. Toprak aber hat die PKK nie verharmlost. Er ist Kurde und Erdogan-Kritiker. "Es sind Fehler in der Integrationspolitik gemacht worden, indem man die Dinge lange unbeachtet laufen ließ", sagt Friedmann Eißler, wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. "Vermutlich spielt aber auch politische Rücksichtnahme eine Rolle, leider." Eißler kritisiert vor allem die "systematische Kontra-Integration" durch den Religionsverein Ditib. Dass türkische Staats-Imame vor deutschen Muslimen predigen, sei ein bekannter Missstand, gegen den nichts unternommen werde. "Ditib galt über Jahre als Vertreter eines moderaten Islams. Das hat sich nun dramatisch verändert." Die Abhängigkeit eines deutschen Religionsvereins von der türkischen Politik trete nun viel klarer hervor als bisher. © WeltN24 GmbH 2016. Alle Rechte vorbehalten
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