PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Pastoralreferentin Patricia Nell, Frankfurt/M.
Zuspruch am Morgen, hr 2-kultur, 26. Juli 2016
Oben und Unten
Was war das für eine deprimierende Niederlage vor knapp drei Wochen. Halbfinale
der EM in Marseille. Die Deutschen haben so gut gespielt gegen die Franzosen. Und
dann trotzdem verloren. Alles gegeben und trotzdem das Ziel verfehlt. Das deprimiert
schon sehr. Aber das ist nun mal der Preis. Wo es Gewinner gibt, sind die Verlierer
nicht weit. – Niederlagen zu verkraften ist eben viel schwerer, als im Rampenlicht zu
steh‘n und bejubelt zu werden. Wem etwas gelingt, wer einen Sieg feiern kann, der
wird gesehen. Und der ist anerkannt. Und das, das braucht doch jeder! Es wirkt wie
eine Droge. Sie macht uns derart glücklich, dass wir uns dabei, wie es so schön
heißt, um unsere „letzte Verzierung“ bringen. Sportler treiben ihren Körper bis zum
Anschlag, andere malochen bis zum Umfallen, hungern sich krank, unterziehen sich
Schönheits-OPs oder überhäufen sich mit schrillen Statussymbolen. Am
erfolgreichsten, perfektesten, schönsten zu sein, das erscheint ihnen als Sinn des
Lebens. Wer will denn schon Niederlagen, Ecken und Kanten, irgendwelche
„Problemzonen“, geschweige denn Falten, wie immer die aussehen.
Andere sollen uns toll finden. Im Sport, im Beruf, in der Schule, in der Familie, im
Freundeskreis. –
Echte Fans verzeihen aber auch die Schwächen. Sie sitzen auch beim nächsten
Spiel wieder im Stadion und brüllen sich vor Begeisterung die Seele aus dem Hals!
Sie nehmen sie in Kauf, die Ecken und Kanten, die Niederlagen, die kleinen und
großen Schwächen.
Ich wünschte mir so sehr, dass wir einander nie fallen lassen, dass immer dann,
wenn wir es am meisten brauchen, jemand da ist, der uns auffängt. Eine verhauene
Prüfung, ein verlorenes Spiel, eine Fehlentscheidung, eine körperliche Belastung,
alles wird leichter mit einem Menschen an unserer Seite.
Und viele könnten nachts sicher auch besser schlafen, wenn sie die Gewissheit
hätten, nicht nur funktionieren zu müssen, nicht nur Leistungsträger zu sein, sondern
zuallererst Mensch. Und zwar eben nicht nur dann, wenn ich oben bin, sondern vor
allem, wenn mir zum Heulen ist. Und das sowohl in den großen Stadien dieser Welt
als auch am Arbeitsplatz oder zu Hause im stillen Kämmerlein.