FACHTEIL Digitalisierung „Wir nennen das Human Digitalisation“ Die Unternehmensberatung Promerit hat in Zusammenarbeit mit der Lufthansa Group, der Universität Liechtenstein und TNS Infratest eine Benchmark-Studie herausgebracht, die erstmalig die Rolle von HR bei der Digitalisierung sehr deutlich beschreibt. Wir sprachen mit dem Studieninitiator Kai Anderson und mit der Lufthansa-Managerin Åsa Lautenberg über die Ergebnisse. Personalwirtschaft: Herr Anderson, Sie haben in Ihrem Benchmarking den digitalen Reifegrad der Unternehmen mit Blick auf deren HR-Management untersucht. Wie digital agieren die HRAbteilungen in Deutschland bereits? Kai Anderson: Wie zu erwarten war, beschäftigen sich die HR Executives in fast allen Unternehmen, die wir betrachtet haben, mit dem Thema Digitalisierung. Es ist das beherrschende Thema unserer Wirtschaftswelt und das wird auch noch einige Jahre so bleiben. Nach unseren Erkenntnissen steht das Thema bei den meisten Unternehmen allerdings noch nicht lange auf der Tagesordnung. Aber es steht da: Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die wir analysiert haben, hat die Unternehmensstrategie und die HR-Strategie bereits um das Ziel der Digitalisierung ergänzt. Bei rund zwei Drittel der Unternehmen sind konkrete Initiativen von HR in unterschiedlichen Handlungsfeldern geplant oder in Umsetzung. Also alles gut? Anderson: Man hat sich auf den Weg gemacht, aber die Maßnahmen zur Digitalisierung beginnen gerade erst, echte Wirkung zu entfalten. Einer der Teilnehmer unseres DAX-Benchmarkings hat es so ausgedrückt: Überall hat HR verstanden, dass Digitalisierung ein wichtiges 32 07 | 2016 www.personalwirtschaft.de Thema ist. HR hat nicht verschlafen – es ist nur spät aufgestanden. Wer sind die Treiber der Digitalisierung? Anderson: Diese Frage ist sehr spannend für uns gewesen. Vorausschickend muss gesagt werden, dass wir hier HR Executives um ihre Einschätzung gebeten haben. Vordergründig wenig erstaunlich wird die IT als größter Treiber für das Thema gesehen. Wir haben uns allerdings gefragt, ob das ein erlebtes oder erwünschtes Bild ist. Dass die Unternehmensleitung an zweiter Stelle gesehen wird, liegt auf der Hand und deckt sich mit unserer Beobachtung. Interessanterweise sehen sich die HR-Verantwortlichen direkt danach an dritter Stelle als Treiber der Digitalisierung im Unternehmen vor allen anderen Unternehmensfunktionen. Das ist mal ein sportlicher Ehrgeiz, den wir teilen. Wir haben auch nach der Mitbestimmung gefragt – hier wird am wenigsten eine Treiberrolle gesehen. Das mag vielleicht eine realistische Momentaufnahme sein, kann aber aus meiner Sicht so nicht funktionieren. Warum sollte sich HR damit so intensiv beschäftigen? Anderson: Weil es die zentrale Herausforderung für die eigene Organisation der nächsten Jahre ist. Und damit die Gelegen- Kai Anderson, Gründer und Partner der Promerit AG heit für HR, den lange beschworenen Wertbeitrag für das Unternehmen zu leisten und sich dafür mal auf die Schulter klopfen zu lassen. Sie bekommen mit einer Lösung für die Herausforderungen der Digitalisierung heute eine Menge Redezeit bei Ihrem CEO. Die Unternehmensleitung ist hinreichend sensibilisiert für das Thema. Und wir haben in HR einige der zentralen Hebel, um die Digitalisierung als Chance zu nutzen. Und damit meine ich nicht zuerst die Digitalisierung von HR-Prozessen und -Services. Das ist ein altes Thema, ein Versprechen, das vor Jahren gegeben wurde und heute mit dem Ziel der Anwenderorientierung endlich eingelöst wird. Wichtiger als das ist es, die Voraussetzungen für die Digitalisierung des Unternehmens zu schaffen. HR als Kulturtreiber. Anderson: Wenn es uns gelingt, die notwendigen digitalen Kompetenzen bereitzustellen, eine Kultur zu schaffen, die die Digitalisierung befeuert, was ein neues Führungsverständnis beinhaltet, dann haben wir einen echten Mehrwert für das Unternehmen und die Mitarbeiter geleistet. Zusätzlich müssen wir die Voraussetzungen für die neue Arbeitswelt gestalten – wir müssen insgesamt den Menschen mit den neuen Arbeitsrealitäten in Einklang bringen. Wir nennen das Human Digitalisation. Åsa Lautenberg, Head of Corporate HR & People Strategy, Lufthansa Group Ihre Studie gibt sehr schöne Einblicke in die Welt der DAX-Unternehmen. Warum dieser Fokus? Sind die Konzerne eher vom disruptiven Wandel betroffen? Anderson: Natürlich ist es spannend zu sehen, wie Deutschlands prominenteste Unternehmen mit dem Thema umgehen. Wir hatten die Hypothese, dass die DAXUnternehmen die Digitalisierung bereits sehr früh auf der Agenda hatten und wir hier bereits gute Practices beobachten können – was sich als richtig herausgestellt hat. Ich glaube nicht, dass der DAX eher vom disruptiven Wandel betroffen ist. Eher im Gegenteil sind kleinere Unternehmen wahrscheinlich früher existenziell von den Veränderungen berührt. Hier zeigt sich interessanterweise auch eine ausgeprägtere digitale Kultur im Vergleich zu den größeren DAX-Unternehmen. Frau Lautenberg, die Lufthansa ist Partner der Studie. Welchen Beitrag leistest HR zur Digitalisierung des Unternehmens Lufthansa? Åsa Lautenberg: Wir haben bereits vor zwei Jahren begonnen, uns intensiv mit der Digitalisierung und den Auswirkungen auf unser Unternehmen und die HR-Funktion auseinanderzusetzen. In einem Strategieprojekt haben wir die unterschiedlichen Einflussfaktoren untersucht und die Auswirkungen auf unsere HR-Arbeit abgeleitet. Ein zentrales Handlungsfeld ist dabei für uns die Bereitstellung digitaler Kompetenzen für das gesamte Unternehmen. Aus der Überzeugung, dass die Digitalisierung nur mit entsprechend qualifizierten und motivierten Mitarbeitern gelingt, verstehen wir es als unsere Aufgabe, genau dafür zu sorgen. Wir haben diese Kompetenzen im letzten Jahr gemeinsam mit dem Business erarbeitet und operationalisiert. Aktuell setzen wir das in einem Pilotbereich im Recruiting und in der Personalentwicklung um. Dabei ist uns fordern und fördern sehr wichtig. Wir begleiten das entsprechend kommunikativ und die Resonanz ist sehr gut. Und wie sieht es bei der HR Digitalisation im Unternehmen aus, also bei den HR-Prozessen und -Services? Lautenberg: Neben der strategischen Betrachtung der Digitalisierung haben wir uns mit dem Projekt HR IT Transformation auch ganz konkret mit den infrastrukturellen Anforderungen beschäftigt. Die mit der Lufthansa Group organisch gewachsene Systemvielfalt zu harmonisieren, ist eine zentrale Aufgabe, die wir intensiv bearbeiten. Anfang des Jahres wurde ein konzernweites Projekt zur prozessualen Neuausrichtung aller Support-Funktionen gestartet. Das ist für uns eine hervorragende Gelegenheit, unsere HR-Prozesse und -Services zu überarbeiten und auf ein neues Level zu bringen. Ziel ist eine deutliche Effizienzsteigerung bei gleichzeitig stärkerem Fokus auf die Bedürfnisse unserer Kunden. Um beides erreichen zu können, ermitteln wir das Digitalisierungspotenzial. Dabei beschäftigen wir uns mit ganz alltäglichen Fragestellungen: Muss eine Gehaltsabrechnung als Papierbrief versandt werden? Mit wie wenig Formularen kommt eine Reiseabrechnung aus? Welche Workflows erfordern überhaupt noch den direkten Kontakt mit einem HR-Mitarbeiter? Herr Anderson: Wie sollten die Unternehmen ihre digitale Roadmap finden und umsetzen? Anderson: Zuerst einmal, indem man den Kopf dafür öffnet. Die HR-Verantwortlichen müssen raus an die Stellen in ihrer Organisation, in denen die Digitalisierung stattfindet. Im Dialog mit den Menschen, die die Kundenschnittstellen besetzen, entsteht schnell ein Gefühl für die anstehenden Veränderungen. Und dann muss man sich externe Impulse holen. Über Learning Journeys oder Benchmarks, wie wir es gemeinsam mit Lufthansa gemacht haben. Auf der Basis sollte man zum einen einen strategischen Rahmen für die nächsten drei Jahre entwickeln – in Form einer eigenen digitalen Roadmap oder als Ergänzung der HRStrategie. Zum anderen sollte man ein paar pragmatische Ansätze entwickeln, mit denen man ganz im Sinn der neuen Arbeitsordnung einfach mal Dinge ausprobiert. Das kann zum Beispiel die Pilotierung eines Feedback-Tools sein oder eine Design-Thinking-Session zu einem aktuellen Problem. Wenn es uns gelingt, mit einigen Leuchttürmen zu zeigen, wohin die Reise geht, wird es uns leichter fallen, die eigene HR-Mannschaft und unsere Kunden für das Ziel und den Weg zu begeistern. Das Interview führte Erwin Stickling. Mehr zum Thema Info Die Studie „Benchmarking HR Digital“ ist soeben erschienen und liegt diesem Heft bei. Weitere Informationen unter www.promerit.com 07 | 2016 www.personalwirtschaft.de 33
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