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Praktikumsbericht – ESRF Grenoble, Frankreich
In diesem Abschlussbericht fasse ich meine Erfahrungen eines sechsmonatigen Praktikums am „European
Synchrotron Radiation Facility“ (ESRF) in Grenoble (Frankreich) zusammen. Dabei werde ich auf die
Vorbereitung, mein Projekt und den Alltag am Institut, das Leben in Grenoble sowie meine allgemeinen
Ansichten bzgl. des akademischen und persönlichen Mehrwertes eines Auslandspraktikums eingehen. In
der Hoffnung die geforderten fünf Seiten zu füllen gliedere ich diesen Erfahrungsbericht wie folgt:
1. Idee und Suche
2. Vorbereitungen
3. Die ersten Wochen
4. Freizeit & Sozialleben
5. Das Praktikum
6. Schlusswort
Idee und Suche
Während meines ERASMUS Auslandsjahrs in Granada (Spanien) habe ich gelernt, wie spannend und
bereichernd es sein kann, für längere Zeit in einem anderen Land zu leben. Schon dort habe ich mit dem
Gedanken gespielt nach meinem Bachelor ein im Rahmen eines Praktikums noch einmal ins Ausland zu
gehen. Frankreich ist Heimat einiger durchaus interessanter Forschungseinrichtungen und hat eine
ausgeprägte Praktika Kultur. Einer der Gründe warum ich nach meinem Bachelor praktische Erfahrung
sammeln wollte war, dass ich das Gefühl hatte unzureichende Informationen zu haben, um eine gute
Entscheidung bzgl. eines Masters und einer Spezialisierungsrichtung in der Physik treffen zu können. Das
wollte ich gerne, da ich der Auffassung bin, dass die kontinuierliche Verfolgung langfristiger Ziele die
Chance erhöht, als Wissenschaftler später eine gute Position zu bekommen (PhD, PostDoc, Professur etc).
Viel Zeit und Arbeit steckt in guter Wissenschaft, sodass derjenige der sich früh spezialisiert
wahrscheinlich früher gute Ergebnisse und damit eher seltene Möglichkeiten bekommt – zumindest nach
meiner Vorstellung. Für mich war klar, dass ich diese Entscheidung nach meinem Bachelor nicht treffen
konnte und deshalb habe ich beschlossen ein komplettes Jahr lang Praktika zu machen, bevor ich mit dem
Master beginne; das erste Praktikum in China und das zweite in Frankreich. Um einen Praktikumsplatz in
Frankreich zu bekommen, habe ich in meinem letzten Bachelorsemester recht naiv bei google nach
„physics institute france“ gesucht und die Personalabteilungen von diversen Instituten angeschrieben, mit
dem Wunsch für ein halbes Jahr ein bezahltes Praktikum im Bereich Physik zu machen; das war etwa ein
Jahr vor Beginn. Die Praktika Kultur in Frankreich ist zwar ausgeprägt aber Praktika, die eine Dauer von
ein bis zwei Monaten überschreiten, scheinen unüblich zu sein. Von den meisten Instituten habe ich
entweder keine Antwort oder eine Absage bekommen, mit der Begründung, dass ein Projekt für sechs
Monate ohne anschließende Masterarbeit oder ähnliches nicht möglich/sinnvoll ist, was ich auch
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verstehen kann. Beim ESRF war es jedoch anders; dort gab es ein angemessenes Projekt und nach einigen
Wochen Schriftverkehr wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch für ein Wochenende nach Grenoble
eingeladen (etwa ein halbes Jahr vor Beginn). Die Stadt und Umgebung haben mir auf Anhieb gut gefallen
und der Vorstellungstag am ESRF lief ebenfalls super – mein Betreuer (ein Physiker aus Hamburg) hatte
sich den ganzen Tag freigenommen um mich herumzuführen und genauer über das Projekt zu sprechen.
Nach dem Vorstellungswochenende haben wir in beidseitigem Einverständnis angefangen die
Formalitäten zu klären. Vom Studenten- und Arbeitsmarkt der LMU bin ich einige Wochen später auf die
Möglichkeit aufmerksam gemacht worden, mich für finanzielle Unterstützung um ein ERASMUS+
Stipendium zu bewerben – damit begann die Vorbereitungszeit.
Vorbereitung
Die Vorbereitung bestand hauptsächlich aus dem korrekten ausfüllen von ERASMUS+ Formularen. Um
ein Praktikum in Frankreich zu machen benötigt man außerdem eine sogenannte „convention de stage“,
eine Art Übereinkunft zwischen dem Institut und der Heimatuniversität (ich glaube hauptsächlich aus
versicherungstechnischen und steuerlichen Gründen). Das war zumal mit einiger Rennerei bzw. E-Mail
Schreiberei verbunden, lief aber insgesamt sehr glatt und sowohl der Studenten- und Arbeitsmarkt an der
LMU sowie das ESRF waren erfreulich unkompliziert und kooperativ. Das Café „Lost Weekend“ in der
Schellingstraße hat mich während der Vorbereitungszeit mit ausgezeichnetem Kaffee und der richtigen
Atmosphäre versorgt – auch das war sehr erfreulich. Als alle Formalitäten geklärt waren habe ich
angefangen mich von Deutschland bzw. China aus nach Wohnungen in Grenoble umzusehen. Es gibt in
Frankreich eine Art Dachverband von Studentenwohnheimen (CROUS.fr). Dort habe ich nach Anfrage
einen Platz in einem Wohnheim zugewiesen bekommen. Da ich eigentlich lieber in einer WG wohnen
wollte, habe ich das Zimmer im Wohnheim nur für einen Monat reserviert. Der Plan war, nach meiner
Ankunft nach einer WG zu suchen und zum zweiten Monat dann umzuziehen. Teil meiner Vorbereitung
war auch das Erlernen der Sprache. Etwa zeitgleich mit der Suche nach Praktika habe ich angefangen auf
täglicher Basis Französisch zu lernen; nicht in einem Kurs sondern einfach für mich mit Podcast, Serien
und Tandempartner. So konnte ich über einen Zeitraum von etwa einem Jahr recht solide Grundkennnisse
aufbauen, was sich später bei der Wohnungssuche und anderen Geschäften vor Ort als nützlich erwiesen
hat.
Die ersten Wochen
Die ersten Wochen in Grenoble habe ich hauptsächlich mit organisatorischen Sachen und Wohnungssuche
verbracht. Das Wohnheim in dem ich zu Beginn war („Le Rabot“) war ok aber für meinen damaligen
Geschmack etwas zu minimalistisch – im Nachhinein denke ich, dass ich mich wahrscheinlich daran hätte
gewöhnen können. Ein Vorteil war, dass es an einem Berghang lag und man von dort aus über Grenoble
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schauen konnte und die Luft dort etwas besser war (die Luft in Grenoble ist ziemlich schlecht vergleichen
mit den meisten anderen Städten die ich kenne). Allerdings war man dort auch etwas ab vom Schuss und
bei Regenwetter auf einen Bus angewiesen, der zum Teil nur recht sporadisch und oft im Rahmen einer
der zahlreichen Streiks gar nicht fuhr. Ich habe also nach einer WG im Stadtzentrum geschaut und auch
gleich mehrere Angebote gefunden (über die Internetseite leboncoin.fr). Preislich ist es etwas günstiger als
München aber nicht viel. Für ein Zimmer in einer 9er WG habe ich 410€ bezahlt. Dort war ich allerdings
nur zwei Wochen (Meine Mitbewohner haben recht intensiv in der Wohnung geraucht, was mich mehr
gestört als ich am Anfang dachte) und bin in ein anderes Wohnheim umgezogen, wo es mir ganz gut
gefallen hat. Das Wohnheim heißt „Foyer Etudiant“, liegt sehr zentral (direkt neben dem „Place Notre
Dame“) und kostet 330€/Monat. Die Abwicklung am Anfang und Ende war unkompliziert und die
Betreuung sehr nett und immer verfügbar. In dem Wohnheim wohnen etwa 100 Studenten aus aller Welt,
auch Franzosen. Im Erdgeschoss gibt es einen großen Gemeinschaftsraum und eine Gemeinschaftsküche,
in der man abends zusammenkommt und meistens immer jemanden findet, der Lust hat sich zu
unterhalten.
Des Weiteren habe ich in der ersten Woche ein Bankkonto bei der „Banque Rhone Alps Internationale“
eröffnet, die ich empfehlen kann – auch dort lief alles schnell und unkompliziert. Eine Sim Karte habe ich
mir nicht geholt, da ich mein Handy ohnehin meistens im Flugmodus ist. Was ich sehr empfehlen kann ist
sich ein Stadtfahrrad („Metrovelo“) zu besorgen. Besonders wenn man nur wenige Monate bleibt und kein
Fahrradexperte ist, ist das eine super Sache. Die Fahrräder sind in sehr gutem Zustand und der Service ist
ebenfalls top. Wenn etwas kaputt geht wird es ohne Beanstandungen repariert. Zudem ist Grenoble leider
berüchtigt gebietsweise etwas gefährlich zu sein. Private Fahrräder werden gerne geklaut – sowohl ganz
als auch teilweise. Die Metrovelos sind sehr gut gesichert und eher nicht so im Visier der Unholde, da sie
sich schlecht weiterverkaufen lassen.
Das erste Wochenende habe ich genutzt, um mit ein paar Leuten aus dem Wohnheim und auch alleine die
Gegend zu erkunden. Neben einem großen und mehreren kleinen Parks hat Grenoble viele nette Pubs,
typische Restaurants und Cafés die es sich zu erkunden lohnt. Von meinem Praktikumsplatz habe ich
einen Stapel von Gutscheinen bekommen, sodass ich recht häufig die lokalen Restaurants ausprobieren
konnte. Preislich ist Grenoble allerdings recht gehoben. Für einen halben Liter Bier zahlt man etwa 5 Euro
und im Restaurant bekommt man unter 10 Euro nur Beilagen. Die Märkte und Supermärkte sind zum Teil
etwas teurer als in Deutschland. Ich hatte den Vorteil unter der Woche in der Kantine vom ESRF/ILL
essen zu können; die beste und günstigste Kantine auf der Welt! Dort bekommt man für ca. 2,50€ mehr als
man auf einmal essen kann. Somit bin ich alles in allem mit etwa 50€/Woche für Essen und insgesamt
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inkl. Miete mit 600€ im Monat ausgekommen. Wer lieber in einem schönen und einigermaßen zentralen
WG Zimmer leben möchte, sollte wahrscheinlich noch 150-200€ mehr mit einkalkulieren.
Freizeit & Sozialleben
Ich habe Grund zur Vermutung, dass meine Einstellung zu Freizeit und Sozialleben nicht repräsentativ für
die Mehrzahl von Studenten ist, daher sollte dieser Teil genau wie der Rest meines Berichts mit Skepsis
gelesen werden. Längerfristigen Kontakt zu Franzosen in Grenoble herzustellen war für mich nicht so
einfach. Zwar habe ich die Franzosen allgemein als sehr offen und tolerant wahrgenommen, dennoch hatte
ich den Eindruck, dass ich zum Teil sehr direkt und mit viel Eigeninitiative auftreten musste, um eine
Beziehung aufzubauen und zu unterhalten – mehr als ich es aus Deutschland und Spanien gewohnt war.
So hat es sich ergeben, dass ich regelmäßigen Kontakt eher zu Spaniern und Italienern hatte und weniger
zu Franzosen. Grenoble hat landschaftlich viel zu bieten. Es ist umgeben von einer zum Teil bildschönen
Berglandschaft mit diversen Ski- und Wandergebieten. Mit Bussen kommt man günstig in die
umliegenden Orte. Auch direkt von Grenoble aus kann man loswandern. Viele Wanderungen konnte ich
aufgrund des recht schlechten Frühlingswetters zwar nicht unternehmen aber sehr empfehlenswert ist das
Wandergebiet um „Villard de Lans“ und für spontane Wanderungen der Berg direkt neben Grenoble, auf
dem die „Bastille“ (eine alte Burg/Festigung) thront. Wer wie ich gerne hin und wieder seine Ruhe hat,
um zu lesen oder nachzudenken, findet hinter der Bastille ein rotes Restaurant mit einer Terrasse auf der
man nachmittags exzellenten Kaffee serviert bekommt. Dort sitzt man im Schatten von Bäumen mit Blick
auf die Berge und das Tal – und es ist ruhig.
Das Praktikum
Hauptbestandteil meines Praktikums war es ein Programm zu entwickeln, dass die Datenauswertung für
eine bestimmte Art von Experimenten (inelastische Kernstreuung) vereinfachen sollte. Von Anfang an
habe ich mich wie ein vollwertiges Mitglied des Teams gefühlt und mein Projekt wurde von allen
überraschend ernst genommen. Ich hatte ein geräumiges Büro mit Blick auf die Berge (siehe Foto), wo ich
in regelmäßigem Austausch mit dem IT Department und meinen beiden Betreuern an der Beamline stück
für stück das Programm geschrieben habe. Neben dieser „Hauptaufgabe“ hatte ich zudem viele
Gelegenheiten an Seminaren und Workshops teilzunehmen, sowie mich beim gemeinsamen Mittagessen
und in den Teepausen mit meinen Betreuern und anderen Wissenschaftlern über Physik zu unterhalten –
eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Die Wissenschaftler, die am Synchrotron angestellt sind, sowie die
Nutzer, die aus ganz Europa kommen um dort ihre Experimente zu machen, sind „Experten“ auf ihrem
Gebiet (haben ganz gut Ahnung), sodass ich sowohl fachlich als auch persönlich viel aus den
Diskussionen mitnehmen konnte. Für mich war der Kontakt zu Wissenschaftlern aus verschiedenen
Ländern, Institutionen und Bereichen in der Physik der wichtigste Teil und mein geheimes Hauptziel des
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Praktikums; die Entwicklung der Software war dabei mehr eine Legitimierung für meinen Aufenthalt und
ein Grund Programmieren in Python zu lernen. Ich habe den Eindruck, dass man als erwachsener Mensch
oft eine Legitimierung braucht, einen guten Grund, warum man sich an einem bestimmten Ort aufhält.
Selten kann man einfach hinein spazieren, geschweige denn bleiben, einfach nur weil man den Ort und die
Leute interessant findet. Die Entwicklung der Software und den Beitrag, den ich damit zur einfacheren
und schnelleren Datenverarbeitung geleistet habe, waren meine Legitimierung um sechs Monate lang wie
selbstverständlich in ein Weltklasse Institut zu spazieren und lustigen Wissenschaftlern bei Ihrer Arbeit
über die Schulter zu schauen und gelegentlich mit Fragen zu nerven. Mein Softwareprojekt habe ich dabei
natürlich durchaus ernst genommen und zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht, sodass beide Seiten
von dieser Beziehung profitiert haben.
Schlusswort
Alles in allem hat mir die Zeit in Grenoble sehr gut gefallen. Ich habe etwas weniger Französisch
gesprochen als ich es ursprünglich vorhatte, da die Hauptsprache am ESRF Englisch ist und sich der
Kontakt zu Franzosen für mich etwas schwierig herausgestellte. Schlussendlich habe ich aber doch einiges
an Sprachkenntnissen erworben und ein paar Kontakte etabliert. Sechs Monate waren dafür eine gute
Länge. Das Praktikum hat mir viele interessante Einblicke in die verschiedenen Leben von
Wissenschaftlern gegeben; von Festangestellten Physikern am ESRF, über griechische Postdocs bis hin zu
Professoren in Cambridge war alles dabei. Nach den zwei sehr verschiedenen Praktika (Peking und
Grenoble) habe ich eine deutlich klarere Idee welche langfristigen Ziele ich im weiteren Verlauf meines
Studiums anstreben möchte. Diese Einsichten ermöglichen mir ein stückweit zielgerichteter und
informierter zu entscheiden, was bereits jetzt erste Erfolge zeigt. Aufrichtig gefühlte und gut begründete
Zielgerichtetheit scheint eine wichtige Zutat für den Erfolg von vielen privaten und beruflichen
Unterfangen zu sein und konnte in meinem Fall nur durch das Sammeln von Praxiserfahrungen in
Kombination mit regelmäßiger Reflexion erwachsen. Praxiserfahrungen können auch ein effektives Mittel
sein um falsche Vorstellungen und Missverständnisse bezüglich eines Berufsfeldes klarzustellen. Als
angehender Physiker sehe ich das Praktikum wie ein Experiment, mit dem Ziel etwas über die Welt
herzufinden und die eigenen Theorien zu überprüfen bzw. überhaupt welche zu entwickeln. Für mich gibt
es keinen fundamentalen Unterschied zwischen einem physikalischen Experiment, einem Praktikum und
sozialen Experimenten wie z.B. eine hübsche Frau in einer Bar anzusprechen. Sie alle offenbaren ein
kleines Stück Wahrheit über die Natur der Dinge und befriedigen gleichermaßen die tiefe Neugier zu der
Menschen fähig sind, unabhängig davon WAS man findet.
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