Die Poesie des Erntens und Einmachens

Nenad kocht
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7. August 2016 | sonntagszeitung.ch
Die Poesie des Erntens
und Einmachens
Zutaten, die man nicht kaufen, sondern nur selbst sammeln kann, haben einen besonderen Reiz,
findet Nenad Mlinarevic und weckt Holunderbeeren ein
Foto: Esther Michel
Der Holunder ist ein faszinieren­
des Gewächs. Seine Blüten, Blät­
ter, Stängel und natürlich seine
Früchte, die jetzt reifen, lassen sich
vielfältig nutzen. Je nachdem in
welchem Stadium die Natur gera­
de ist, kommen dabei völlig ver­
schiedene Geschmäcke heraus. Im
Frühling und Frühsommer, wenn
die grossen Büsche am Waldrand
mit den weissen Blüten aussehen,
als ob sie brennen würden, ist die
Zeit, um das beliebteste aller Ho­
lunderprodukte herzustellen: den
Sirup. An dem haben die Kinder
ebenso Freude wie die Erwachse­
nen, die ihn mit Prosecco zu einem
Hugo mischen.
Wir haben mit dem Sirup auch
schon Schäume aromatisiert. Oder
aber wir trocknen die Blüten
­einzeln und vorsichtig bei tiefer
Temperatur, um beispielsweise
einem Forellengericht eine leicht
florale Note zu geben. Die ganzen
Blüten­dolden mit Stängeln und
Blättern kann man einfach in
einem neutralen Essig einlegen
oder vakuumieren und in den
Kühlschrank legen. Nach einigen
Tagen lassen sich Blüten, aber auch
Stängel und Blätter in einen Salat
mischen oder als säurehaltiges
­frisches Element zu Fleisch oder
Fisch kombinieren. Ein Klassiker
ist natürlich auch, die Blüten durch
einen flüssigen Ausbackteig zu
­ziehen und dann in Öl oder But­
ter knusprig auszubacken. Aber
auch die unreifen Beeren (Kapern)
sind essbar, wenn man sie zuvor
längere Zeit in einen Einmachsud
einlegt.
Mit einer Gabel lassen sich die
Kügelchen einfach abstreifen
Diese kann man besonders gut her­
vorheben und verstärken, wenn
man die Beeren mit einigen Ge­
würzen einmacht. Dafür gehe ich
mit meinem Team erst mal selber
an den Waldrand, um kiloweise
Holunderfrüchte zu ernten. Denn
diese Zutat kann man nirgends
kaufen, das macht sie auf eine
­poetische Art wertvoll. Um den
Vierwaldstättersee gibt es viele
Stellen mit prächtigen Büschen.
Das Ablesen der Beeren ist keine
komplizierte Arbeit, mit einer Ga­
bel beispielsweise lassen sich die
kleinen, dunkelvioletten Kügel­
chen leicht abstreifen.
Ich musste das erstmals 2006
im grösseren Stil machen, damals
arbeitete ich bei Spitzenkoch
­Roland Jöhri in St. Moritz, und wir
servierten eingemachte Holunder­
beeren zum Beispiel zu Foie gras
oder im Dessert. Die kleinen
Früchtchen passen aber auch gut
zu Geflügel oder zu Wild – es
­müssen ja nicht immer Preiselbee­
ren sein.
Langer Rede, kurzer Sinn: Ich
mag den Holunder. Seine Wandel­
barkeit und Vielfalt zum einen und
zum andern seine Stellung als
­kleine Schatztruhe der Natur, die
offen ist für alle, die sich die Mühe
machen, hineinzugreifen und mit
dem, was sie herausholen, etwas
­zuzubereiten, das einfach, aber gut
ist.
Beeren haben dunkle Aromen,
die Blüten frische und blumige
Für dieses Jahr ist das Stadium des
brennenden Strauchs zwar vor­
über, aber der Zeit etwas voraus
zu sein, kann nicht falsch sein. Im
­Moment sind die dunklen, klei­
nen Beeren des Holunderstrauchs
reif, denen heilende Wirkung zu­
geschrieben wird – zum Beispiel
bei Grippeerkrankungen. Wir sind
allerdings keine Apotheke, son­
dern ein Restaurant und finden
die Holunderfrüchte einfach
­ ulinarisch interessant. Das auch
k
deswegen, weil der Geschmack der
Beeren so gar nichts mit dem
­Geschmack der Blüten zu tun hat.
Statt frisch und blumig sind jetzt
eher dunkle, volle Aromen vor­
handen.
Eine kleine Schatztruhe der Natur: Sternekoch Nenad Mlinarevic mit frisch gepflückten Holunderbeeren
Nenad Mlinarevic ist Küchenchef
des Restaurants Focus im
Park Hotel Vitznau
(2 Michelin-Sterne,
18 «Gault Millau»-Punkte) und
Koch des Jahres 2016.
Er kocht nur mit Schweizer
Produkten und schreibt hier
monatlich über seine Arbeit
Eingemachte Holunderbeeren mit Schafsmilchjoghurt-Sorbet
Einmachgläser
Für die
Holunderbeeren
250 g Holunderbeeren
50 g Kristallzucker
15 g Himbeeressig
125 g roter Portwein
125 g Holundersaft
2 Wacholderbeeren
2 Streifen Orangenschalen
1 Zimtstange
1 Sternanis
Konfitüre- oder Einmachgläser gibt es in allen Farben und Formen, ­manche,
wie die grünen Gläser der ehemaligen Glashütte Bülach, haben gar
­Kultstatus erlangt und werden auf Flohmärkten und Auktionsplattformen
gehandelt. Als reines Vorratsbehältnis reicht ein günstiges Glas vom Grossverteiler (ca. 8 Franken für 4 Gläser), für hübsche Geschenke machen
Modelle mit Bügelverschluss (Stückpreis 4.50 Franken) einen guten
­
­Eindruck. Entscheidend sind neben dem relativ dickwandigen Glas ein
gut schliessender Deckel und eine Gummidichtung, die nicht spröde
sein darf. Vor dem Befüllen müssen alle Teile sowie allenfalls Trichter 10
bis 15 Minuten im kochenden Wasser oder im Steamer sterilisiert
werden, um zu verhindern, dass Schimmel und andere Keime entstehen
können.
Den Zucker in einem Topf bei
­mittlerer Temperatur hellbraun
karamellisieren und mit Essig
­
­ablöschen. Saft und Gewürze dazugeben und den Sud leicht ein­
kochen. Je nach gewünschter
­Konsistenz mit etwas in Wasser
­angerührter Maizena binden.
Die Beeren in heiss ausgespülte
Einmachgläser verteilen und mit
dem heissen Saft übergiessen.
Die Gläser in einem Steamer oder
einem Topf mit kochendem ­Wasser
mindestens zehn Minuten sterilisieren.
Schafsmilchjoghurt-Sorbet
500 g Schafsmilchjoghurt
125 g Kristallzucker
100 g Vollrahm
1 EL Glukose oder TraubenzuckerPulver (aus der Apotheke)
2 Blatt Gelatine, in eiskaltem Wasser eingeweicht
15 g Zitronensaft
Zucker, Vollrahm und Glukose aufkochen, vom Herd nehmen, die
Gelatine darin auflösen und die
­
Masse auskühlen lassen. Das
­Joghurt mit dem Stabmixer einarbeiten, mit Zitronensaft nach
Wunsch abschmecken und alles in
der Eismaschine zu einem Sorbet
aufschlagen.