Freie Presse, Erscheinungsdatum 20160720, Seite MLe

LESERFORUM
Freie Presse
Mittwoch, 20. Juli 2016
LESEROBMANN
Dies ist
mein Land
REINHARD OLDEWEME
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TELEFAX: 0371 656-17041
E-MAIL: [email protected]
A
us aktuellem Anlass habe
ich die geplante (eher launige) Kolumne unmittelbar
vor Redaktionsschluss von der Seite
genommen und mich für dieses
Thema entschieden, es ist ein Bekenntnis: Ich bin so froh darüber, in
diesem Land, in dieser Demokratie
zu leben. Seit Wochen schlummerte
diese Erkenntnis in mir, die Ereignisse in der Türkei haben das Fass
zum Überlaufen gebracht, nun soll
es raus. Aber der Reihe nach:
Bei den Berichten über die Vorwahlen in den USA – und zwar völlig unabhängig von der Partei und
den Kandidaten – war ich mir sicher,
dass ich die Krise kriegen würde,
wenn ich in einem Land leben müsste, in dem der beste Selbstdarsteller
mit den raffiniertesten, weil erfolgreichsten Werbemethoden zum
Staatsoberhaupt gewählt wird. Das
will ich mir nicht einmal vorstellen:
Unabhängig von der politischen
und menschlichen Qualifikation
kann ein Präsident mein Land in einen Krieg verwickeln und mit dem
Einsatz von Atomwaffen drohen.
Das Referendum in Großbritannien beziehungsweise die Kampagnen beider Lager im Vorfeld haben
mich darin bestärkt, dass Volksabstimmungen vor allem den Populisten die Möglichkeit eröffnen, ihre
laut tönende Propaganda als vermeintliche Wahrheit zu verkaufen
und unters Volk zu bringen. Die Diskussionen vor allem in England, als
der Brexit dann feststand, waren für
mich ein Beleg dafür, dass eine betont sachliche Auseinandersetzung
zuvor nicht wirklich stattgefunden
hat. Diese Gefahr würde ich bei jedem Referendum sehen, die parlamentarische Demokratie ist mir deshalb lieber als eine direkte.
Seit Montag habe ich insgesamt
mit mehr als zehn Lesern über das
gesprochen, was am Wochenende in
der Türkei passiert ist und was man
von diesem vermeintlichen Putsch
und seinen Konsequenzen für das
Land zu halten hat. Ausnahmslos
waren wir uns in diesen Punkten einig: Die Demokratie oder (besser gesagt) die erkennbaren Ansätze dazu
laufen Gefahr, von Präsident Erdogan auf eine Art beseitigt zu werden,
die fast schon diktatorische Züge
aufweist. Deshalb kann unsere Regierung nicht anders und muss mit
der Einhaltung der Menschenrechte
sowie der Meinungs- und Pressefreiheit auf das Fundament bestehen,
ohne das eine Demokratie diesen
Namen nicht verdient. Zu Angela
Merkel kann man stehen, wie man
will, aber mit der Feststellung, ein
Land mit Todesstrafe könne nicht
Mitglied der EU sein, hat die Kanzlerin dies erkannt und lässt keinen
Zweifel aufkommen, auch die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
Mit dieser Deutlichkeit habe ich
das erst ein Mal gemacht: Ich möchte Sie bitten, liebe Leserinnen und
Leser, mir dabei zu helfen, dass das
Leserforum in der nächsten Woche
klar zum Ausdruck bringt, was wir
von Recep Tayyip Erdogan und seinen Ansichten und Methoden halten. Die Meinungen zu der NatoStrategie im Osten in den vergangenen Wochen haben mich in dieser
Einschätzung bestärkt: Leserbriefe
sind auch ein Teil dieser Demokratie, für die es sich einzusetzen lohnt.
HINWEIS
Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten.
Leserbriefe geben stets die Meinung
ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die
vollständige Adresse enthalten.
Anonyme Zuschriften werden
grundsätzlich nicht veröffentlicht.
Briefkasten
Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst
Postfach 261
09002 Chemnitz.
Fax: 0371/656-17041
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Seite B1
Kompromiss muss das Ziel sein
Zu Berichten über das
Gipfeltreffen der NatoStaaten in Warschau und
über das politische Klima
zwischen der westlichen
Allianz und Russland
haben uns unter anderem
diese Leserbriefe erreicht.
Keine wirkliche Bedrohung
Es war fast zu erwarten, dass der Gipfel zu weiterer Aufrüstung (einschließlich eines im Aufbau befindlichen Raketenschutzschirms) führen wird. Dabei übersteigen seit Jahren die Militärausgaben der NatoStaaten die Russlands um ein Vielfaches. Dies wird zu einer gefährlichen Verschlechterung des Verhältnisses zu Russland führen. Leider
konnte sich der Außenminister mit
seiner Warnung vor den Gefahren
des Säbelrasselns nicht in der eigenen Regierung und bei der Mehrzahl
der Nato-Länder durchsetzen. Auch
die Bundeskanzlerin hat sich in den
Chor der Stimmen eingereiht, die eine noch härtere Gangart gegenüber
Russland anstreben. Von konkreten
Angeboten zur Deeskalation und einer fairen Kompromisssuche mit
Russland hat man nichts gehört. Gerade im 75. Jahr des Überfalls von
Nazideutschland auf die Sowjetunion sollte die Bundesrepublik Lehren
aus der Geschichte gezogen haben.
Bei sachlicher und ideologiefreier
Betrachtung kann man zu dem
Schluss kommen, dass seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
Russland militärisch, politisch und
schon gar nicht wirtschaftlich eine
wirkliche Bedrohung darstellt. Es ist
aus wirtschaftlichen Gründen und
durch die Gefahren des internationalen Terrorismus auf eine Zusam-
Mit Sicherheit
hat das gar
nichts zu tun
Zum Artikel „Alte Führerscheine
müssen wohl ab 2021 umgetauscht werden“:
Die Nato verfolgt offenbar diese Strategie: Abschreckung durch Aufrüstung und Truppenpräsenz.
menarbeit mit dem Westen angewiesen.
Bernd Schlegel, Chemnitz
Nicht ohne Zugeständnisse
Nato-Russland-Rat und die Petersburger Gespräche werden wiederbelebt, was mittelfristig zu bestimmten Hoffnungen hinsichtlich einer
Entspannung zwischen dem Westen und Russland Anlass gibt. Dabei
auf die Nato zu setzen, wird vergebliche Liebesmühe sein, weil diese Organisation sich spätestens seit dem
Mauerfall zu einem expansiven und
aggressiven Machtgebilde entwickelt hat, das keine anderen Interessen außer den eigenen gelten lässt
und in der Lage ist, diese auch skrupellos durchzusetzen. Wer sich auf
Gespräche und Verhandlungen mit
der russischen Seite vorbereitet, sollte immer von der Realität ausgehen.
Dazu gehört, dass die Krim als jetziger Bestandteil Russlands, wie das
auch immer zustande gekommen
sein mag, nicht verhandelbar ist. Die
westlichen Politiker wissen das genauso wie jeder politisch normal
denkende Mensch. Es geht also an
der Realität vorbei, wenn sie dies
nicht akzeptieren wollen. Wenn die
westliche Seite die berechtigten Sicherheitsinteressen des Bündnisses
auf die Tagesordnung setzt, müssen
auch die Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigt werden. Das
heißt, beide Verhandlungspartner
müssen das Gefühl haben, dass sie
auf Augenhöhe miteinander spre-
FOTO: YVES BOUCAU/DPA
chen und verhandeln, dass mit gleichem Maß gemessen wird und die
Interessen der jeweils anderen Seite
Beachtung finden. Nur auf dieser Basis wird es bei ehrlichem Verhandlungswillen beider Seiten einen
Kompromiss geben, bei dem jeder
Zugeständnisse machen muss, aber
auch gewinnt. Das ist nun mal der
Charakter eines Kompromisses. Bis
jetzt hatte man den Eindruck, dass
in erster Linie den Interessen des
Westens der absolute Vorrang eingeräumt wird. Es darf daran erinnert
werden, dass die Angliederung der
Krim an Russland eine Folge der Erweiterung des Nato-Bündnisses
nach Osten in Richtung Russland
war und nicht umgekehrt.
Klaus Pagenkopf, Chemnitz
Vor einiger Zeit drängte die EU darauf, dass Kraftfahrer turnusmäßig
zu Wiederholungsuntersuchungen
gehen sollten. Damit hat sie sich
nicht durchsetzen können. Nun also
ein erneuter Anlauf zum Nachweis
einer „kreativen, aktiven und konstruktiven Arbeit“ der massenhaften
EU-Mitarbeiter: Umtausch der Fahrerlaubnis im Interesse der EU. Damit sollen Standards entstehen, Betrugs- und Fälschungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Sicherheit im Straßenverkehr erhöht werden. Dabei kann es sich nur um eine
Glosse handeln. Wer die Art eines
Führerscheines mit der Verbesserung der Sicherheit im Verkehr in
Verbindung bringt, sollte lieber seinen abgeben. Wenn die EU – und
das erwarten die meisten Menschen
in ihren Ländern – sinnvolle Lösungen anstrebt, wäre es zunächst sinnvoll, endlich einheitliche Verkehrszeichen und Verkehrsregelungen
einschließlich einheitlicher Bestimmungen zum Erwerb und auch zum
Wiedererwerb der Führerscheine
einzuführen. Das wäre mal ein echter Fortschritt für Europa. Kleiner
Hinweis: In Tschechien wurde die
Vorfahrtsregelung im Kreisverkehr
neu geregelt – damit gibt es in Zentraleuropa drei unterschiedliche Regelungen. Ein einheitliches Stück
Kunststoff dürfte da in keiner Weise
die Verkehrssicherheit erhöhen.
Wolfgang Stich, Theuma
Entscheidung für die
Zukunft fällt leicht
Zum Leitartikel „Energiewende
muss bezahlbar bleiben“:
Es gibt aber eine Alternative zur Endlagerung
Zum Artikel „Atommüll: Karten
neu gemischt“ und zum Leitartikel „Wer gibt Garantien für Millionen Jahre?“:
Wer kommt denn auf den Gedanken, dass es eine Energiewende zum
Nulltarif geben kann? Sie wurde
nicht eingeleitet, weil wir weiter billige Energie haben müssen oder die
deutsche Industrie mal wieder Vorreiter sein wollte. In Zeiten steigenden Energiebedarfs und schwindender Vorräte ist es höchste Zeit umzudenken. Nachhaltige Energien sind
konkurrenzlos günstig. Natürlich
gibt es die große Aufgabe der Verteilung und Speicherung. Dem gegenüber stehen die konventionellen
Energien mit ihren Entsorgungsund Klimaproblemen. Da fällt die
Entscheidung für die Zukunft leicht.
Thomas Bergbauer, Zwickau
Die Endlagerkommission des Bundestages hat einen Bericht vorgelegt,
der die Vorgehensweise und Kriterien bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll festlegt. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sprach von
der „Bewältigung einer Jahrtausendaufgabe“. Der Bericht verschweigt
jedoch eine wichtige Alternative
zum Umgang mit Atommüll, die international diskutiert und auch angewendet wird: Statt den hoch radioaktiven, langlebigen Atommüll
tief in der Erde zu vergraben, kann
man mit ihm das machen, was man
mit Müll fast immer machen sollte:
Man zerlegt ihn in Bestandteile, die
wiederverwendungsfähig bzw. weniger gefährlich sind. Der Fachbegriff dafür heißt hier „Partitionierung und Transmutation“ (PuT).
Was bei dessen Anwendung auf
Atommüll zurückbleibt, ist zwar
ebenfalls radioaktiv, jedoch sind die
Perspektive sollte
sich jeder bewahren
Verhalten nicht noch fördern
Güterverkehr gehört
auf die Schiene
In der Streitschrift „Susanna im
Burkini?“ ging es um diese Frage:
Badezeiten für Frauen, Muslimas in Burkinis – wollen wir
das?
Handy nutzende
Fußgänger entwickeln sich
immer mehr zum
Verkehrsproblem. Zu dem
Artikel „Bodenampeln für
Smartphone-Gucker?“
haben zwei Leser uns ihre
Meinung mitgeteilt.
Zum Beitrag „Deutschland investiert zu wenig in das Schienennetz“ hat uns dieser Leserbrief erreicht:
Vielen herzlichen Dank für diesen
Artikel. Die Herangehensweise an
dieses doch heikle Thema ist sehr
gelungen. Diese Sicht aus einer anderen Perspektive sollte sich jeder
bewahren. Das ist mit diesem Artikel völlig unaufgeregt gelungen.
Manchmal ist es nicht so einfach,
die Normalität zu beschreiben. Die
Badekultur hat sich ohnehin in den
letzten Jahren verändert. Die Rettungsschwimmer können davon
ein Lied singen. Es ist immer eine
Gratwanderung zwischen Sicherheit und Eingriff in die persönlichen
Freiheiten. Und nun kommt noch
das Thema Bekleidung hinzu. Hoffen wir, dass dieser Artikel uns wieder zum Wesentlichen führt, dem
Spaß am Wasser und am Schwimmen.
Michael Birkner, Chemnitz
Abklingzeiten der Reststoffe deutlich geringer. Statt einer Endlagerung für eine Million Jahre ist nur
noch eine Lagerung über weit weniger als ein Tausendstel dieser Zeit erforderlich. Darüber hinaus wird
durch diesen Prozess Energie gewonnen, was den Atommüll zum
wertvollen Rohstoff macht, den
man vernünftigerweise nicht tief
unter der Erde vergräbt. Beim PuTProzess wird der hoch radioaktive
Abfall mit energiereichen Neutronen beschossen, die ihn aufspalten.
Die Neutronen erhält man wahlwei-
se aus Schnellen Reaktoren oder aus
unterkritischen Transmutationsanlagen. Während letztere noch Gegenstände der (auch EU-geförderten) Forschung sind, sind Schnelle
Reaktoren in vielen Ländern im Betrieb oder im Bau. Da nicht anzunehmen ist, dass die hochrangigen
Fachleute der Kommission mit dieser Sachlage nicht vertraut sind,
kann nur von politischen Prämissen
ausgegangen worden sein, die die
Wiederaufbereitung von atomarem
Abfall generell ausschließen.
Gerd Kreiselmeier, Chemnitz
In Köln gibt es bereits erste Bodenampeln.
Gefahr ist doch bekannt
Es mutet schon pervers an, wenn
mit Steuergeldern Menschen vor ihrem eigenen ganz bewussten Verhalten geschützt werden sollen. Früher gab es Karikaturen über Menschen, die Zeitung lesend vor Laternenpfähle liefen. Jeder Smartphonenutzer bzw. -missbraucher weiß um
die Gefahren, wenn er blind am Straßenverkehr teilnimmt. Ein solches
Verhalten sollte bestraft werden,
statt es noch zu fördern. Die einzigen Opfer sind Autofahrer, die einen
blind bei Rot die Straße überquerenden Fußgänger überfahren und
nicht nur mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu rechnen haben, sondern unter lebenslangen Gedanken und Gewissensbissen zu leiden haben.
Andreas Vogt, Großrückerswalde
Dafür kein Steuergeld ausgeben
Leitlinien für sehbehinderte Menschen (sogenannte Bodenindikatoren) sowie akustische Ampeln für
FOTO: OLIVER BERG/DPA
dieselbe gehandicapte Gruppe müssen sein. Ebenso kann man akzeptieren, dass für Rad- und Rollstuhlfahrer die Ampeln tiefer gelegt werden.
Aber Bodenampeln oder Lichtleisten für Handynutzer? Wo leben wir
denn? Müssen jetzt auch die Bevölkerungsgruppen, die sich selbst in
Gefahr bringen, geschützt werden?
Wo soll das noch hinführen? Unsere
Steuergelder sollten wirklich für
Wichtigeres verwendet werden.
Günther Klebes, Erlangen
Auffällig ist, dass Jahr für Jahr der
Güterverkehr auf der Straße enorm
zulegt. Langsam wird es eng auf unseren Straßen. Auch die Unfallzahlen mit Beteiligung von Lkw wächst.
Man hat als Autofahrer keine Lust
mehr, irgendwohin zu fahren; volle
Autobahnen sowie Baustellen ohne
Ende. Ohne Tempolimits würde es
wahrscheinlich noch mehr krachen, es macht keinen Spaß mehr.
Wozu sollte man sich ein Auto mit
etwas mehr PS kaufen, außer damit
unserem Staat das Steuersäckel zu
füllen? Man kommt eh nur im
Schneckentempo voran. Ich bin bestimmt kein Raser, wenn man aber
mal freie Fahrt hätte, würde bestimmt jeder gern etwas schneller
fahren. Es muss unbedingt der Güterverkehr von der Straße auf die
Schiene verlegt werden.
Sonja Wittrien, Plauen