Freie Presse, Erscheinungsdatum 20160907, Seite MLe

LESERFORUM
Freie Presse
Mittwoch, 7. September 2016
LESEROBMANN
Für Mensch
und Tier
REINHARD OLDEWEME
TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr)
TELEFAX: 0371 656-17041
E-MAIL: [email protected]
K
ürzlich kam mir zwischen
dem Verlagshaus und dem
Roten Turm ein Kollege entgegen. In der Hand hielt er eine Bratwurst, und als er bemerkte, dass wir
uns begegnen würden, schlug er einen Haken, entfernte sich von mir,
bevor er erneut die Richtung wechselte, mich anschaute und lachte,
während er genüsslich in die Wurst
biss. Er ist mir, wie ich gern gestehe,
aus dem Weg gegangen, weil er
mich kennt und wusste: Die Kurzversion meines Vortrags über die
Qualität der Nahrung in seiner
Hand und die Bedingungen, unter
denen die Zutaten „produziert“ worden sind, wäre ihm nicht erspart geblieben. Soll heißen: Bei dem Thema
„Fleischkonsum und „Massentierhaltung“ sage ich lieber einmal
mehr meine Meinung, als dass ich
schweige. Darauf will ich hinaus:
Seit dem Erscheinen der Reportage „Tierquälerei auf der Autobahn“
vor einer Woche haben mich Leser
angerufen, und alle hatten den gleichen Grund: „Ich weiß gar nicht, wohin mit meiner Wut“, formulierte
ihn eine Anruferin, während ein
Mann sagte: „Was mir als Strafe für
die Verantwortlichen in den Sinn
kommt, wollen Sie lieber gar nicht
wissen.“ Eine 73-jährige Leserin
meinte: „Ich hätte heulen können,
weil ich mich fragte, wie so etwas in
einer zivilisierten Gesellschaft wie
der unsrigen möglich ist.“ In dem
Bericht ging es darum, was beim
Transportieren von Tieren auf Lastwagen erlaubt ist, mehr aber noch
darum, was die Kontrolleure an
schrecklichen Verstößen gegen die
Bestimmungen erleben.
Mit diesem Widerspruch lebe ich
seit Jahren: „Bitte schreiben Sie mir
einen Leserbrief, Ihre Meinung sollte in die Zeitung“, habe ich den Anrufern gesagt; geschrieben hat aber
niemand. Auch sonst habe ich keinen Leserbrief zu dieser Reportage
erhalten. Ging es in der Vergangenheit um das Töten von männlichen
Küken oder um Antibiotika in der
Tiernahrung, haben mich Leute angerufen, Briefe waren jedoch die absolute Ausnahme. Das verstehe ich
nicht; auch deshalb, weil zurzeit in
einigen Regionen mal wieder eine
öffentliche Debatte um das Auftreten von Wildtieren in Zirkussen für
Aufregung sorgt. Aber Tierschutz
und Fleischkonsum? Resignation
oder lieber doch schweigen, weil das
Schnitzel unverzichtbar erscheint?
Die Massentierhaltung und die
damit verbundenen Tiertransporte
sind nur möglich, weil es den Markt
für viel und für möglichst billiges
Fleisch gibt. Daran werden Schutzorganisationen wie Peta oder Foodwatch allein nichts ändern können.
Meiner Ansicht nach ist nicht weniger entscheidend wichtig, dass nicht
schweigt, wer dazu etwas zu sagen
hat – zum Wohle der Tiere und
nicht weniger zur Förderung der Gesundheit der Menschen. Die Wut
aufgrund der Zustände bei den Tiertransporten kann eine konstruktive
sein, wenn man sie nicht für sich behält, und ein Leserbrief ist mehr als
nur ein Anfang. Liebe Leser, dessen
bin ich mir bewusst: Vielen (vermutlich auch Kollegen) gehe ich mit diesem Thema auf die Nerven. Aber
wissen Sie was? Ich mache trotzdem
weiter.
HINWEIS
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Leserbriefe geben stets die Meinung
ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die
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Seite B1
Annäherung nur auf Augenhöhe
Zum Interview „Russland
ist anders, aber wir
gehören zusammen“ mit
Matthias Platzeck (SPDPolitiker und Vorsitzender
des Deutsch-Russischen
Forums) haben uns diese
Lesermeinungen erreicht.
Sanktionen schaden auch uns
Nachdem Außenminister Steinmeier vor den immer größeren Gefahren des Säbelrasselns gewarnt hat,
ist mit Platzeck ein weiterer deutscher Politiker mit einem klaren
Standpunkt in die Öffentlichkeit getreten und hat einen Neustart auf
Augenhöhe in den Beziehungen zu
Russland gefordert. Dies ist auch im
nationalen Interesse Deutschlands.
Das seine Einschätzung nicht allen
gefällt, muss als Diskussionsbeitrag
für eine Meinungsbildung im Land
zur Kenntnis genommen werden.
Leider wurde in der Mehrzahl der
jüngsten Leserbriefe die Schuld für
die Verschlechterung der Beziehungen überwiegend Russland gegeben
und realisierbare Vorschläge zu deren Verbesserung nicht gemacht. Es
sei daran erinnert, dass den Auseinandersetzungen zwischen Russland
und der Ukraine die Osterweiterung
der Nato bis an die Grenze Russlands, Truppenstationierungen in
Osteuropa und die Vorbereitung
und erfolgte Stationierung des Raketenschutzschirmes sowie der auch
mithilfe ausländischer Kräfte erfolgte Sturz des korrupten, aber aus
Wahlen hervorgegangenen Janukowitsch-Regimes in der Ukraine vorausgegangen sind. Leidenschaftslos
sollte die nach einer zwar fragwürdigen Volksbefragung und ohne
menschliche Verluste erfolgte völkerrechtlich umstrittene Wiedereingliederung der Krim nach Russland nicht die Beziehungen zu Russland dauerhaft belasten und die bestehenden Sanktionen verewigen.
Diese schaden neben Russland auch
Deutschland. Wichtiger sind die
Zwei Meinungen zum Bericht
„Merkel am Tisch mit der Koalition der Unwilligen“:
Das passt: Beim G20-Gipfel können Merkel und Putin sich in die Augen schauen.
Fortführung der Verhandlungen auf
Augenhöhe mit Russland zur Umsetzung des Abkommens Minsk II
zur Lösung des Ostukrainekonflikts
und Vereinbarung weiterer vertrauensbildender Maßnahmen. Dies
könnte ein Schritt zur Lösung vieler
anderer internationaler Probleme
sein, wofür Russland benötigt wird.
Bernd Schlegel, Chemnitz
Einseitige Politik des Westens
Im Gegensatz zu vielen Politikern
heben sich das Interview und die darin zum Ausdruck gebrachten Probleme wohltuend ab. Die Sanktionen
werden begründet mit dem Anschluss der Krim an Russland, der
Westen sieht es als Annexion, Russland als Selbstbestimmungsrecht.
Immerhin haben über 90 Prozent
für den Anschluss gestimmt. Im Kosovo gab es weniger Zustimmung
(nur de albanische Bevölkerungsteil) für die Abspaltung von Serbien,
der neue Staat wurde aber durch den
Westen umgehend anerkannt. Die
Beurteilung erfolgen, wie man es
braucht. Der Militärputsch in der
Türkei wird verurteilt (richtig), der
Militärputsch in Ägypten gilt als
Sieg der Demokratie. Die Rebellion
gegen den gewählten Präsidenten in
Syrien wird unterstützt, die völkerrechtswidrige Militärinvasion gegen den Irak ohne UN-Mandat
bleibt ungesühnt. Die Politik des
Westens gegenüber den internationalen Konflikten ist einseitig, nicht
objektiv und ausschließlich interessenbezogen. Den USA und auch
Großbritannien schaden die Sanktionen gegen Russland kaum.
Rainer Michalke, Chemnitz
Ursache richtig erkennen
Hatte nicht der gewählte Präsident
der Ukraine damals das Recht, sich
über eine Zusammenarbeit mit der
EU Bedenkzeit auszubitten und
FOTO: ALEXEI DRUZHININ/DPA
über eine Zusammenarbeit mit der
russisch-asiatischen Seite nachzudenken? Nein, sofort wurde von
westlicher Seite Kritik geübt und die
zuerst wenigen Demonstranten auf
dem Maidan unterstützt. Westliche
Politiker gaben sich die Klinke in die
Hand. Nachdem der Präsident im
März Neuwahlen für den Mai angekündigt hatte, wurde der Vorschlag
von den Demonstrierenden nicht
angenommen, sondern der Präsident wurde aus dem Amt geputscht.
Erst danach hat die Bevölkerung der
Krim zu 97 Prozent für eine Rückkehr zu Russland gestimmt und haben sich die Bewohner der Ostukraine von der Politik Kiews losgesagt.
Wenn Russland die Ostukraine unterstützt – hat nicht der Westen
schon vorher die Westukraine mit
viel Geld und Waffen unterstützt?
Man sollte nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
Maria Knüpfer, Crimmitschau
Den Mangel gibt es schon Opfer einer Sippenhaft
Zum Bericht „In Zukunft fehlen
vor allem Augenärzte und Urologen“:
Augenärzte und Urologen fehlen
nicht erst in Zukunft, sondern nachweislich schon jetzt. Die Feststellungen der Kassenärztlichen Vereinigung, der Versorgungsgrad sei ausreichend, kann ich aus eigener Erfahrung nicht teilen. So ist mir auch
Verantwortung
nicht einfach
ablehnen
bekannt, dass urologische Praxen
unter anderem in Oelsnitz, Falkenstein und Plauen keine neuen Patienten mehr aufnehmen bzw. aufnehmen können. Wünschenswert
wäre, dass die Verantwortlichen der
Kassenärztlichen Vereinigung in
Sachsen dringend einen Termin
beim Augenarzt bekommen sollten,
aber keinen bekommen.
Horst Wetzel, Markneukirchen
Zur Nachricht „Jelena Issinbajewa beendet Karriere“:
Dass die Stabhochsprung-Weltrekordlerin und zweimalige Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa ihre Karriere beendet hat, wirft noch einmal
ein Schlaglicht auf ihren Ausschluss
von Olympia. Sie, die nie positiv auf
Doping getestet worden war, fiel im
Zuge der Suspendierung aller russi-
schen Leichtathleten einer Sippenhaft zum Opfer, die ich empörend
finde. Issinbajewas Äußerung, die in
Rio vergebene Goldmedaille sei wegen ihrer Abwesenheit nur halb soviel wert, kann ich nachvollziehen.
IOC-Präsident Thomas Bach schwadroniert so viel von Unschuldsvermutung – warum machte er bei ihr
seinen Einfluss nicht geltend?
Peter Langenhagen, Limbach-O.
Nur auf Kosten armer Länder
Im Artikel, in dem es um das Gespräch mit den Premiers von der Slowakei, Polen, Tschechien und Ungarn zur Zukunft der EU und zu den
Lösungen aktueller Probleme geht,
haben sich die Politiker dieser Länder strikt gegen die Flüchtlingspolitik geäußert. Ich fühle mich an den
Spruch von Werner Finck (Kabarettist) erinnert: „Ein Staatshaushalt ist
ein Haushalt, in dem alle essen
möchten, aber niemand das Geschirr abspülen will.“ Das Zitat lässt
sich auf den Haushalt der EU übertragen. Diese Länder haben seit Beginn ihrer Mitgliedschaft viele Geldzuweisungen erhalten. Dass sie im
Wohlstand leben können, geht nur
auf Kosten armer Länder. Auch sie
haben ihren Beitrag zum Klimawandel „geleistet“. Auch dies ist ein
Grund für die Flucht. Aber Verantwortung lehnen sie ab. So kann es
nicht gehen. Um mit Finck zu argumentieren: Wer mitessen will, muss
auch abwaschen. Hätte ich zu entscheiden, würden die Essensrationen gekürzt, wer sich nicht an den
Abwaschplan hält; man würde sich
ums Abwaschen reißen.
Susanne Pfeiffer-Sachse, Geringswalde
Neue Bedrohungsszenarien
Bemüht man die Geschichte, versteht man den Widerstand der osteuropäischen Staaten gegen eine Zuweisung muslimischer Flüchtlinge.
Erst 1683 gelang es vor Wien einem
Heer unter polnischer Führung, die
osmanisch-islamische Unterwerfung Europas zu verhindern. Die Befürchtung, mit der Zuwanderung
von Menschen aus diesem Kulturkreis könnte dies zur Disposition gestellt werden, mag ein Grund sein,
die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin
abzulehnen. Wenn noch Zurechtweisungen in Sachen Demokratie
folgen, schließt sich für Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken der
Kreis der Geschichtserinnerung. Dagegen erfährt die eigene (Migrations-)Politik in der Bevölkerung eine
hohe Akzeptanz, weil sie die nationale Identität bewahrt. Schaffen wir
das? Nein, und dabei geht es nicht
(nur) um die Probleme aus dem Jahr
2015. Wir sprechen von neuen Bedrohungsszenarien, Terroranschlägen, Radikalisierung und Enthemmungen im öffentlichen Leben,
Plünderung von Gesundheitsfonds,
Aushebelung des säkularen Gesellschaftsmodells, Konflikte der nicht
eingeladenen Gäste mit dem Gesetz
und ihre überproportionale Repräsentanz in Gefängnissen.
Achim Tröger, Zwickau
Die Frage lautet: Wer muss hier tolerant sein?
Zu den Berichten über die
Debatte um ein BurkaVerbot in Deutschland
haben uns weitere
Leserbriefe erreicht.
Politiker handeln zu lasch
Die Politiker sind sich nicht einig,
und das finde ich traurig. Wer sein
Gesicht und seinen kompletten Körper verhüllt, hat in unserer offenen
Gesellschaft nichts verloren. Das Gezerre um dieses Thema ist widerlich
und zeigt einmal mehr die lasche
Haltung mancher Politiker. Wenn
sich dann die Grünen und die Linken miteinschalten, ist alles zu spät.
Dieses Gerangel und die Unsicherheit nützt nur einer aufstrebenden
Partei, welche man in Regierungskreisen gar nicht gerne sieht.
Gerhard Linke, Chemnitz
An Kleiderordnung halten
Ich bin für das Burka-Verbot, obwohl ich schon oft in arabischen
Ländern Urlaub gemacht habe und
gute Erfahrungen im Umgang mit
den Menschen machen konnte.
Trotzdem haben auch wir als Deutsche im Urlaubsland eine Kleiderordnung zum Beispiel beim Essen
einzuhalten. Und man möchte doch
auch seinem gegenüber bei einem
Gespräch ins Gesicht schauen und
nicht überlegen müssen, ob gerade
eine Frau oder doch auch ein Mann
mit terroristischen Gedanken vorbeigeht. Hierdurch entstehen vielleicht auch die vielen Ängste vor
den Asylbewerbern.
Silvio Lenk, Adorf/V.
Kein Verständnis für Aufregung
Ich verstehe die Aufregung der AfD
nicht, das Tragen einer Burka auf öffentlichen Plätzen zu verbieten, nur
weil es eine „Verletzlichkeit der
sich das Recht heraus, überall sein
Wiener Schnitzel zu genießen, egal,
ob in dem Land Schweinefleisch als
rein oder unrein gilt. Ich denke, wir
sollten den Begriff „Toleranz“ neu
definieren. Nicht die Ausländer sind
intolerant, sondern wir Deutschen
sind es. Das sollte uns zunächst zu
denken geben, ehe wir solche Gesetze beschließen wollen.
Michael Habermann, Annaberg-B.
Zu den Arten der Verschleierung
zählt der Nikab. FOTO: YOUSSEF BADAWI/DPA
deutschen Anschauung“ darstellt.
Ich möchte erwähnen, dass ich den
Deutschen sehen möchte, welcher
nicht die Mundwinkel verzieht,
wenn er nach Süd-Europa fährt, wo
es Schöpsenfleisch zu essen gibt,
oder nach China, wo Hundefleisch
gegessen wird. Der Deutsche nimmt
Wo bleibt die Glaubwürdigkeit?
Die sich im politischen Klima widerspiegelnde Unkultur zwischen
den Parteien nimmt nicht nur Einfluss auf die von Interessenlagen abhängigen Entscheidungen. Sie
macht aus Deutschland ein von Parallelgesellschaften gekennzeichnetes Land. Wer ein Burka-Verbot ablehnt und behauptet, es hätte mit Sicherheit nichts zu tun und sich auf
Teilbereiche
beschränkt,
verschweigt, dass auch religiöse Inter-
essen einer Minderheit den Handlungsspielraum bei der Entscheidungsfindung einschränken. Wo
bleibt die Glaubwürdigkeit, wenn
auf der einen Straßenseite eine verschleierte Person läuft, während auf
der gegenüberliegenden Seite vor einer Veranstaltung Taschen oder
Rucksäcke kontrolliert werden? Keiner kann vorhersehen, wer sein Gesicht unter einer Vollverschleierung
verbirgt und was die (oder der?) Betreffende mit sich führt. Kompromisse werden dem wachsenden Sicherheitsbedürfnis unserer Bürger
nicht gerecht. Helfen könnten nur
unpopuläre Maßnahmen, aber dazu
fehlen das erforderliche Rückgrat
der Regierenden und eine Mehrheit,
die den Interessen der Bürger dient.
Insofern sind kaum größere Veränderungen zu erwarten und der
Wunschzettel wird bleiben, was er
ist – ein Wunschzettel.
Harry Suhr, Pöhl