LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 18. Mai 2016 LESEROBMANN Nicht mit mehr Staat REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] D rei Themen, über die in jüngster Zeit in der Zeitung berichtet wurde und zu denen ich überdurchschnittlich viele Anrufe bekommen habe, veranlassen mich, diese Kolumne zu schreiben. Das mag zunächst verwundern, weil sie auf den ersten Blick rein gar nichts miteinander zu tun haben. Aber der Reihe nach: Nachdem sie die Artikel „Der Freistaat Sachsen will die Impfquote erhöhen“ und „Neun Tatsachen zum Impfen“ gelesen hatten, haben mich mehrere Leute angerufen, weil sie das Impfen grundsätzlich ablehnen und es als „Teufelswerk der modernen Medizin“ oder „Geldbeschaffungsmethode der Pharmaindustrie“ bezeichnen. Über den Bericht „Unfall in Bad Säckingen: Sind Senioren gefährliche Fahrer?“ haben sich ausschließlich ältere Personen so sehr aufgeregt, dass sie bei mir ihren Ärger darüber abladen wollten, dass man es überhaupt wagt, eine solche Frage öffentlich zu stellen. Meine Meinung zu dem dritten Thema habe ich unter der Überschrift „Nur ein Hund“ erläutert; ein Rottweiler hatte ein zweijähriges Mädchen lebensgefährlich verletzt, und die Halterin war zu einer Haft von 21 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Weitere Leser haben sich beschwert, weil durch die Artikel diese Hunderasse unter Generalverdacht gestellt würde. In vollem Bewusstsein dessen, dass ich selbst es nicht erlebt habe, möchte ich es trotzdem so formulieren: In der DDR hat der Staat den Menschen viele Entscheidungen abgenommen, weil er die Bürger per Gesetz zu etwas verpflichtet hat; beim Impfen beispielsweise war das so. Deshalb habe ich bei fast allen Gesprächen zu diesen drei Themen diesen Aspekt angesprochen: „Sind Sie sich darüber im Klaren, dass es hier um eine Grenze geht, wie weit man den Menschen etwas vorschreiben will, ohne sie in ihrer persönlichen Freiheit einzuschränken oder ihnen das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu verwehren?“ Etwas konkreter: Soll man Hundehaltern in Städten grundsätzlich vorschreiben, ihre Tiere immer an der Leine zu führen, wie es ein Leser gefordert hat? Soll man Autofahrer ab siebzig alle zwei Jahre eine Prüfung machen lassen, was eine Anruferin für eine gute Idee hielt? Oder gar die Höhe der Zuzahlung zu Medikatmenten gegen Grippe-Symptome von einer Impfung abhängig machen? Darauf möchte ich hinaus: Bei den Unterhaltungen habe ich versucht, dem emotionalen Engagement der Leser den Verweis auf möglichst wenig staatlichen Einfluss auf die Menschen entgegenzusetzen, um die Diskussion etwas sachlicher werden zu lassen. Tut mir leid, wenn ich das jetzt zugeben muss: Es ist mir nie wirklich gelungen. Und ich frage mich: Warum? Beim Impfen, den älteren Autofahrern und den Haltern von großen Hunden geht es doch darum, das Risiko zu minimieren, dass etwas passiert und jemand zu Schaden kommt. Brauchen wir wirklich noch mehr Staat, um uns unsere Ängste zu nehmen? Nein, das glaube ich nicht, es gibt andere Wege, das zu erreichen. Gerne rede ich mit Ihnen darüber, liebe Leser. HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Konfrontation kann nicht die Lösung sein Die Nato will sich an ihrer Ostgrenze militärisch stärker präsentieren, und Deutschland will sich daran auch mit Soldaten beteiligen. Dazu haben uns unter anderem diese Leserbriefe erreicht. Kriege bringen keinen Frieden Die Aufstockung der Mittel für die Bundeswehr wurde langfristig vorbereitet. Es waren die nicht tauglichen Gewehre, später nicht einsatzfähige Hubschrauber und Flugzeuge – so hat man die Bevölkerung darauf vorbereitet, dass mehr Geld für die Bundeswehr bereitgestellt werden muss. Dazu kommen die Einsätze der Bundeswehr in anderen Ländern. Der Einsatz in Afghanistan hat gezeigt, dass er trotz der Milliarden, die er gekostet hat, dem Land keinen Frieden gebracht hat. Nun provozieren wir Russland, indem wir an den Grenzen Soldaten stationieren. Es sollte endlich Schluss sein mit der Aufrüstung. Frieden schaffen ohne Waffen und Schwerter zu Pflugscharen war mal angesagt. Haben das die Politiker vergessen? Warum sind noch immer Atomwaffen auf deutschem Boden stationiert? Manfred Anders, Chemnitz Geld für innere Sicherheit Mich beschäftigen zwei Themenkreise. Erstens die Ungleichbehandlung wichtiger Probleme. Dabei konzentriere ich mich nur auf ein Problem, die innere Sicherheit. Monatelang wird mit Zahlen zur Verbesserung jongliert, ohne echte Verbesserungen zu erreichen. Meine Meinung: Diese Summen, die jetzt für eine völlig sinnlose Aufrüstung da sind, sollten zur Absicherung des Polizeiapparates für die Herstellung der inneren Sicherheit verwendet werden. Der zweite Themenkreis ist der, wofür wir Unsummen benötigen um „unsere Aufgaben“ an der Ostgrenze der Nato realisieren zu können. Wir haben dort keine Aufgaben. Wie lange noch wollen wir uns zum Spielball der amerikanischen Politik machen lassen? Die USA rufen, wir handeln, selbst entgegen dem Bürgerwillen. Alles wird mit Putin und Krim begründet. Was aber ist mit Erdogan und der Türkei? Was passiert? Nichts. Von Erdogan lassen wir uns alles gefallen, weil wir ihn gegen den Strom der Flüchtlinge benötigen. Er ist ja auch unser Nato-Partner. Da kann man wohl alles machen? Es gibt keine Sanktionen. Wir haben ja den neuen Feind Russland. Klaus Schäfer, Falkenstein sich wieder auf ihre Wurzeln besinnen würde, auch eine Mehrheit. Raimon Brete, Chemnitz Drei Viertel offenbar dafür Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Bundesbürger keine Konfrontation mit Russland will, aber darauf laufen die Aktivitäten der Regierung hinaus. Nun ist sie demokratisch gewählt, hat also die Wählerstimmen einer Mehrheit erhalten und vertritt deren Interessen. Laut einer aktuellen Umfrage von Infratest Dimap entfallen auf die Parteien, die diese aggressiven Pläne unterstützen, 72 Prozent der Wählerstimmen, auf AfD und Linke aber, die sie ablehnen, nur 23 Prozent. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass sich rund drei Viertel gern von Merkel, von der Leyen und Gabriel mit dem US-Nasenring durch die Kriegsmanege ziehen lassen. Man kann nur hoffen, dass immer mehr Wähler den Zusammenhang zwischen Wahl und Wirkung erkennen und nicht meinen, doch nichts ändern zu können. Joachim Helzig, Frankenberg Dem Militarismus keinen Mann Unverfroren und nahezu dreist verkündet von der Leyen, die Bundeswehr soll personell und finanziell aufgestockt werden. Wenige Tage nach der Forderung Obamas nach Übernahme von mehr Verantwortung durch Deutschland werden Milliarden nicht für zivile, sondern für militärische Konfliktlösungen gefordert. Dem springt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels mit einem Lächeln bei. Immer wenn mehr Geld für deutsches Militär gefordert und bewilligt wurde, folgte Krieg, zuerst vereinzelt in anderen Ländern und später gegen fast die gesamte Welt. Der Ausbau militärischer Macht trägt nicht zum Frieden bei, sondern verstärkt nur die internationalen Spannungen und Konflikte. Dem Militarismus keinen Mann und keinen Groschen, forderte 1887 bereits Wilhelm Liebknecht – dem sollten wir folgen, und dafür gäbe es im Bundestag, wenn die SPD Existenzberechtigung für Nato Mit der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Abzug der russischen Truppen wäre es folgerichtig gewesen, auch die Nato aufzulösen und die US-Truppen mit ihren Atomwaffen abzuziehen. Doch es war zu beobachten, wie unter Vorwänden neue Aufgaben für die Nato gesucht wurden, um deren Existenzberechtigung nachzuweisen. Solche Begründungen wie „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ oder „Wir brauchen einen Raketenschild in Osteuropa gegen Angriffe aus dem Iran“ erwiesen sich als an den Haaren herbeigezogen. Nun hat man sich wieder auf den alten Feind Russland eingeschossen, Begründungen für Rüstungsausgaben fallen leichter, in den Konzernen knallen die Sektkorken. Dass sich auf der anderen Seite auch Russland durch die neuen Provokationen bedroht fühlt und zu militärischen Gegenmaßnahmen greifen wird und die Rüstungsspirale wieder ein Stück weiter gedreht wird, scheint uninteressant zu sein. Weshalb wird Russland nicht in eine Sicherheitspartnerschaft mit einbezogen? Der Schaden, den auch die sächsische Wirtschaft durch die sinn- und wirkungslose Sanktionspolitik gegenüber Russland erleidet, scheint offenbar niemanden zu interessieren. Hans-Volkhard Gründler, Zschopau Nicht allein auf die Eltern verlassen Kirche blendet das nicht aus Zum Bericht „Langer Abschied von der neutralen Schule“: Zum Interview „Das falsche Vorbild?“ mit KarlHeinz Büchner (Herausgeber der Lutherschrift „Von den Juden und ihren Lügen“) hat uns diese Lesermeinung erreicht. Endlich einmal eine gute Nachricht. Die Landesregierung will die politische Bildung in den Schulen reformieren. In Sachsen sind Fremdenhass, neonazistische Gesinnung und rechtsextremistische Kriminalität unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen stark verbreitet. Diesen Fakt wird wohl kaum einer bestreiten wollen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und müssen untersucht werden, damit man ihnen gezielt entgegenwirken kann. Noch wichtiger ist es jedoch, dass jetzt etwas geschieht, damit das anders wird. Auf die Elternhäuser können wir uns diesbezüglich allein nicht verlassen. Die sind entweder selbst verblendet oder überfordert oder haben aufgrund von zu starker beruflicher Beanspruchung weder Zeit noch Nerven für ihre Kinder. Die Schule als Bildungseinrichtung sollte nicht nur die Aufgabe haben, den jungen Menschen Lesen, Schreiben, Rechnen und Fachwissen beizubringen, sondern auch soziale Kompetenzen wie Empathie, Hilfsbereitschaft und gesellschaftliche Verantwortung. Hartmut Markert, Leubsdorf Ich gebe zunächst zu: Luthers Spätschriften waren verheerend, sie waren schlimm. Das steht für mich außer Frage. Sie hatten darüber hinaus schlimme Folgen, bis hin zum schlimmsten Verbrechen im deutschen Namen: dem Holocaust. Bei diesem Punkt stimme ich vielen Sätzen des Herausgebers zu. Aber dennoch ist das gesamte Gespräch mit Büchner über Luther und die Evangelische Kirche jetzt zum Thema Reformationsgedenken eine in meinen Augen ungute Geschichtsklitterung. Dazu kann ich nicht schweigen, trotz meines Wissens um die Schuld Martin Luthers. Erstens: Paulus sei selbst Antisemit gewesen, verurteilt Büchner den Theologen des Neuen Testaments. Was soll dieser Satz? Was soll er be- Deutschland ist bereit, sich an der Aufstockung der Nato-Truppen im östlichen Bündnisgebiet zu beteiligen. FOTO: KAY NIETFELD/DPA Interessen dominieren Politik Wer sich die Landkarte anschaut und über ein Minimum an militärischem Wissen verfügt, weiß, dass die baltischen Staaten im Falle einer Auseinandersetzung mit Russland nicht zu verteidigen sind. Diesbezüglich ist die Entsendung der deutschen Soldaten nur ein symbolischer Akt, um der „gefühlten“ russischen Bedrohung etwas entgegenzusetzen. Es ist eine Tatsache, dass Politik nicht von Gefühlen und Werten, sondern von Interessen dominiert wird. Welches hat Deutschland, die Situation mit Russland weiter zu verschärfen? Hat die dem Interesse des Volkes verpflichtete Kanz- Auch diese Luther-Plastik soll für das Reformationsjubiläum werben. FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA wirken? Jeder, der sich mit Geschichte befasst, weiß: Antisemitismus gab es zu jener Zeit nicht. Zweitens: Paulus hat darunter unsagbar gelitten, dass das Volk Israel in seiner Gänze Jesus nicht als den Messias erkannt hat. Wörtlich: „Ich trage große Traurigkeit und Schmerzen in meinem Herzen, ich selber wünsche verflucht zu sein und von Christus getrennt für meine Brüder, die Stammverwandten im Fleisch.“ lerin vergessen, wie Deutschland nach 1945 aussah? Die Geschichte lehrt, dass Deutschland zweimal in Russland eingefallen ist und nicht umgekehrt. Gleichzeitig verkündet Merkel, die Gespräche mit Russland nicht abreißen lassen zu wollen. Sie vergisst dabei, dass jemandem, dem dauernd in den Hintern getreten wird, die Lust auf Gespräche vergehen könnte. Man muss sich fragen, weshalb solche Einrichtungen wie der Nato-Russland-Rat oder die Nato-Russland-Grundakte geschaffen wurden, wenn man sowieso die Absicht hatte, die dort getroffenen Vereinbarungen zu unterlaufen. Klaus Pagenkopf, Werdau Drittens: Wer sich bemüht, weiß: Sowohl die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als auch seinerzeit der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR wie die wiedervereinigte EKD nach 1990 haben wiederholt und eindringlich ihre Mitschuld am Antisemitismus bekannt und bereut und sich zu den Juden und Jüdinnen gestellt. Dass nach Meinung des Herausgebers die Kirche zu Luthers Fehlhaltung und Schuld geschwiegen habe, ist schlicht und ergreifend falsch. Viertens: Insofern stimmt das Bild von Margot Käßmann und Wolfgang Huber nicht, sondern verunglimpft beide. Fünftens: Beim Luthergedenken im Jahr 2017 wird das Thema „Luther und die Juden“ sicher nicht ausgeblendet. Ich teile darum die Bedenken, die Karl-Heinz Büchner geäußert hat, in keiner Weise. Nebenbemerkung: Auch das Thema „Luther und die Bauern wird dazu gehören. Sechstens schließlich: Luther sei ein Rassist gewesen – was soll diese Behauptung? Auch sie ist falsch, denn den Begriff Rassismus gab es in jener Zeit nicht. Darum widerspreche ich diesen Aussagen in dem Interview energisch. Karl-Heinz Kleve, Chemnitz Deutschland keine Weltmacht Die Konflikte in der Ukraine mit Russland und die als Völkerrechtsverletzung bezeichnete Besetzung der Krim sind Folgen der ungebremsten Osterweiterung der EU und des Nato-Einflussbereiches. Inzwischen soll die Präsenz auch noch durch deutsche Soldaten verstärkt werden. Nach wie vor wird ein unsere Wirtschaft schädigendes Embargo gegen Russland praktiziert. Man sollte lieber Werkzeugmaschinen und Obst nach Russland exportieren als Waffen nach Saudi-Arabien und Katar. Es mag ja sein, dass unsere Regierung der Auffassung ist, sich gewissen USA-dominierten internationalen Ambitionen beugen zu müssen. Ich für meine Person verstehe das nicht. Deutschland ist keine Weltmacht und wird es auch in Zukunft nicht sein. Wir müssen nicht überall im Interesse Dritter ergebnislos mittun. Unsere Außenpolitik kann und darf doch nur eine Zielstellung haben; nämlich mit allen unmittelbaren und mittelbaren Nachbarn gute und zukunftssichere Beziehungen zu pflegen. Günter Witzschel, Chemnitz Auf der Seite des Nichtwollens Zum Bericht „Die Zweifel des Herrn Sarrazin“: Dem Ausspruch von „dm“-Gründer Götz Werner folgend („Wer etwas will, findet Wege; wer etwas nicht will, findet Gründe“) ist Sarrazin eindeutig auf der Seite des Nichtwollens zu finden. So sind seine Bücher und Vorträge einzig von dem Bestreben durchdrungen, Gründe zu suchen und zu finden, warum die Integration von Muslimen nicht gelingen würde. Dabei übertreibt er das Gewicht von Problemen, unterzieht sie einer pseudowissenschaftlichen Beweisführung und stilisiert sich selbst zu guter Letzt zum verkannten Mahner und Pächter der Wahrheit, dem einstmals die Geschichte recht geben werde. Genauso verhält es sich mit der AfD: Statt dass Probleme mit Hirn und Herz angegangen werden, wird ein aggressiver, menschenverachtender Popanz geschaffen, hinter dem sich schlichtweg Unwillen zur Integration der sich verändernden Welt in das eigene Denken und Handeln verbirgt. Eine solcherart gescheiterte Integration forciert eben jene Probleme, die sie zu lösen vorgibt. Andreas Dreier, Zwickau
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