10. Risikomasse 10.1. Einführung

10. RISIKOMASSE
10.
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Risikomasse
10.1. Einführung
In der Portfoliotheorie haben wir gesehen, wie man ein Portfolio mit Hilfe von Varianz und Mittelwert bewerten kann. Mittelwert und Varianz sind aber keine guten
Indikatoren für ein Risiko. Nehmen wir an, ein Verlust hat einen Mittelwert von 1
und eine Varianz von 3. Nehmen wir an, wir hätten ein Kapital von 6, und wollen
die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass dieses Kapital nicht ausreicht. Wählen wir
für den Verlust eine Normalverteilung, so ist die gesuchte Wahrscheinlichkeit 0.19%.
Wählen wir aber eine Paretoverteilung F (x) = 1 − (2/(x + 2))3 , so wird die gesuchte
Wahrscheinlichkeit 1.56%. Dies zeigt, dass Mittelwert und Varianz nicht ausreichen,
um das Risiko zufriedenstellend zu beschreiben.
Wir nehmen nun an, dass die Zufallsvariable X eine finanzielle Position beschreibt. Das heisst, X > 0 ist ein Gewinn und X < 0 ist ein Verlust. Wir bezeichnen
mit X die Klasse aller Zufallsvariablen, mit L∞ ⊂ X die Klasse aller beschränkten
Zufallsvariablen, mit Lp (p ≥ 1) die Klasse der Zufallsvariablen mit IIE[|X|p ] < ∞.
Wir wollen nun der finanziellen Positon X ein regulatorisches Kapital zuordnen. Dies
machen wir, vorerst für L∞ , mit einer Abbildung ρ : L∞ → IR. So eine Abbildung
heisst monoton, falls
ρ(X) ≤ ρ(Y ) falls X ≥ Y .
Dies bedeutet, dass grösserer Verlust zu mehr regulatorischem Kapital führt. Die
Abbildung heisst normiert, falls
ρ(0) = 0 .
Das bedeutet, dass keine finanzielle Position kein regulatorisches Kapital verlangt.
Wir nennen so eine Abbildung translationsinvariant, falls für alle a ∈ IR
ρ(X − a) = ρ(X) + a .
Wenn wir also zusätzlich zu X noch den deterministischen Betrag a auszahlen (oder
−a erhalten), so ändert sich das regulatorische Kapital um den selben Betrag. Es
gilt damit die Formel ρ(X + ρ(X)) = 0.
Definition 10.1. Eine Abbildung ρ : L∞ → IR heisst monetäres Risikomass,
falls sie normiert, monoton und translationsinvariant ist.
90
10. RISIKOMASSE
Die Normiertheit und die Monotonie impliziert, dass für X ≤ 0 ρ(X) ≥ 0 oder für
X ≥ 0 ρ(X) ≤ 0 folgt. Macht man also sicher einen Verlust, so kann man kein
Kapital entnehmen. Ein sicherer Gewinn muss nicht mit Eigenkapital abgesichert
werden.
Beispiel 10.2. In der Finanzindustrie wird oft der Value-at-Risk (V@R) verwendet. Der Value-at-Risk zum Konfidenzniveau α ∈ (0, 1) ist das 1 − α-Quantil der
Verteilung von X, also
V@Rα (X) = inf{x ∈ IR : IIP[x + X ≥ 0] ≥ α} .
Typische Werte für α sind 99% (Basel III) oder 99.5% (Solvency II). Aus der Definition folgt, dass V@R normiert und monoton ist. Weiter haben wir
inf{x : IIP[x + (X − a) ≥ 0] ≥ α} = inf{x − a + a : IIP[(x − a) + X ≥ 0] ≥ α}
= inf{y : IIP[y + X ≥ 0] ≥ α} + a ,
und damit ist V@R auch translationsinvariant.
Hilfssatz 10.3. Ein monetäres Risikomass ist Lipschitz-stetig bezüglich der Supremumsnorm.
Beweis.
gilt
Wir haben X − Y ≤ kX − Y k∞ und damit X ≤ Y + kX − Y k∞ . Also
ρ(Y ) − kX − Y k∞ = ρ(Y + kX − Y k∞ ) ≤ ρ(X) .
Somit ist ρ(Y ) − ρ(X) ≤ kX − Y k∞ . Die Aussage gilt auch, wenn man die Rollen
von X und Y vertauscht. Dies zeigt |ρ(X) − ρ(Y )| ≤ kX − Y k∞ .
Wir wollen nun weitere wünschenswerte Eigenschaften für Risikomasse definieren. Ein Risikomass heisst positiv homogen, falls für alle λ ≥ 0
ρ(λX) = λρ(X) .
Hält man also mehrere Einheiten eines Risikos, so verhält sich das regulatorische
Kapital proportional. Insbesondere hängt ein positiv homogenes Risikomass nicht
von der gewählten Währungseinheit ab. Ein positiv homogenes Risikomass muss
insbesondere normiert sein.
Ein Risikomass heisst subadditiv, falls für alle X, Y ∈ L∞ gilt
ρ(X + Y ) ≤ ρ(X) + ρ(Y ) .
10. RISIKOMASSE
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Diese Eigenschaft sagt, dass eine Diversifikation zu einem kleineren regulatorischen
Kapital führt. Wäre die Subadditivität nicht erfüllt, so könnte man ein Portfolio in
zwei Portfolios aufteilen, und müsste dadurch weniger Eigenkapital bereit stellen.
Definition 10.4. Ein monetäres Risikomass heisst kohärent, falls es positiv homogen und subadditiv ist.
Eine zur Subadditivität ähnliche Eigenschaft ist die Konvexität. Ein Risikomass
heisst konvex, falls für alle X, Y ∈ L∞ und λ ∈ (0, 1) gilt
ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1 − λ)ρ(Y ) .
Eine etwas schwächere Eigenschaft ist die folgende. Ein Risikomass heisst quasikonvex, falls für alle X, Y ∈ L∞ und λ ∈ (0, 1) gilt
ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ max{ρ(X), ρ(Y )} .
Wir haben den folgenden Zusammenhang.
Hilfssatz 10.5. Sei ρ ein monetäres Risikomass. Dann gilt
i) ρ ist genau dann quasi-konvex, wenn ρ konvex ist.
ii) Ist ρ positiv homogen, so ist ρ genau dann kohärent, wenn es konvex ist.
Beweis.
i) Sei ρ quasi-konvex. Wir haben
ρ(λ(X + ρ(X)) + (1 − λ)(Y + ρ(Y ))) ≤ max{ρ(X + ρ(X)), ρ(Y + ρ(Y ))} = 0 .
Somit gilt wegen der Translationsinvarianz
ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1 − λ)ρ(Y ) .
Also ist das Risikomass konvex.
Sei nun ρ konvex. Für m = max{ρ(X), ρ(Y )} erhalten wir
ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1 − λ)ρ(Y ) ≤ λm + (1 − λ)m = m .
Somit ist ρ quasikonvex.
ii) Sei ρ kohärent. Dann gilt
ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ ρ(λX) + ρ((1 − λ)Y ) = λρ(X) + (1 − λ)ρ(Y ) ,
und ρ is konvex. Analog, falls ρ konvex ist,
ρ(X + Y ) = 2ρ( 21 X + 21 Y ) ≤ 2( 12 ρ(X) + 12 ρ(Y )) = ρ(X) + ρ(Y ) .
Also ist ρ subadditiv.
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10. RISIKOMASSE
Beispiel 10.2 (Fortsetzung).
Für λ > 0 folgt
inf{x : IIP[x + λX ≥ 0] ≥ α} = inf{λx : IIP[λx + λX ≥ 0] ≥ α}
= λ inf{x : IIP[x + X ≥ 0] ≥ α} .
Somit ist V@R positiv homogen. Hingegen ist V@R nicht subadditiv, und damit
nicht konvex, wie folgendes Gegenbeispiel zeigt. Seien Xk unabhängig mit IIP[Xk =
1
1] = κα = 1 − IIP[Xk = 0] für ein 1 < κ < α− 2 . Dann ist V@Rα (Xk ) = −1. Weiter
ist IIP[X1 + X2 = 2] = κ2 α2 < α, IIP[X1 + X2 = 1] = 2κα(1 − κα) und IIP[X1 + X2 =
0] = (1 − κα)2 . Daher ist V@R(X1 + X2 ) ≥ −1 > −2 = V@R(X1 ) + V@R(X2 ). Also
ist V@R nicht subadditiv, und daher auch nicht konvex.
Beispiel 10.6. Ein kohärentes Risikomass ist der Maximalverlust. Sei ρ(X) =
− ess inf X := − inf{x : IIP[X < x] > 0}. Dies kann als Spezialfall V@R1 interpretiert
werden. Die Beweise, dass es sich um ein normiertes, positiv homogenes monetäres
Risikomass handelt, können analog zum V@R geführt werden. Sei nun ρ(X) = x und
ρ(Y ) = y. Dann gilt IIP[X < −x] = 0 und IIP[Y < −y] = 0, da die Verteilungsfunktion
linksstetig ist. Dann ist
IIP[X + Y ≥ −x − y] ≥ IIP[X ≥ −x, Y ≥ −y]
= IIP[X ≥ −x] + IIP[Y ≥ −y] − IIP[{X ≥ −x} ∪ {Y ≥ −y}]
= 2 − IIP[{X ≥ −x} ∪ {Y ≥ −y}] ≥ 2 − 1 = 1 .
Somit ist IIP[X + Y < −x − y] = 0, also ρ(X + Y ) ≤ x + y = ρ(X) + ρ(Y ). Damit
ist das Risikomass subadditiv, und damit auch kohärent und konvex.
Beispiel 10.7. Sei β > 0. Das Exponentialprinzip der Versicherungsmathematik
berechnet eine Prämie nach der Formel ρ(X) = β −1 log IIE[e−βX ]. Dass ρ normiert
und monoton ist, ist klar. Weiter ist
ρ(X − a) = β −1 log IIE[e−β(X−a) ] = β −1 log eβa IIE[e−βX ] = a + β −1 log IIE[e−βX ]
= ρ(X) + a .
Also handelt es um ein monetäres Risikomass. Sei
f (λ) = ρ(λX + (1 − λ)Y ) = β −1 log IIE[e−β(λX+(1−λ)Y ) ] .
Wir erhalten
f 0 (λ) = −
IIE[(X − Y )e−β(λX+(1−λ)Y ) ]
,
IIE[e−β(λX+(1−λ)Y ) ]
10. RISIKOMASSE
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und
n IIE[(X − Y )2 e−β(λX+(1−λ)Y ) ] IIE[(X − Y )e−β(λX+(1−λ)Y ) ] 2 o
−
.
f (λ) = β
IIE[e−β(λX+(1−λ)Y ) ]
IIE[e−β(λX+(1−λ)Y ) ]
00
Der Ausdruck in der Klammer kann als Varianz des Masses
dQ
e−β(λX+(1−λ)Y )
=
dIIP
IIE[e−β(λX+(1−λ)Y ) ]
interpretiert werden, und ist daher positiv. Somit ist f (λ) eine konvexe Funktion.
Ist X − Y nicht deterministisch, so ist f (λ) sogar streng konvex. Insbesondere ist
ρ(λX + (1 − λ)Y ) = f (λ) ≤ λf (1) + (1 − λ)f (0) = λρ(X) + (1 − λ)ρ(Y ) .
Also ist das Risikomass konvex. Setzen wir Y = 0 und X eine nicht-deterministische
Zufallsvariable, so ist wegen der strengen Konvexität
ρ(λX) = f (λ) < λf (1) + (1 − λ)f (0) = λρ(X) + (1 − λ)ρ(0) = λρ(X) .
Also ist das Risikomass nicht positiv homogen, und damit nicht kohärent.
10.2. Akzeptanzmengen
Ein alternativer Zugang zum regulatorischen Kapital ist die Definition von Akzeptanzmengen. Das heisst, wir betrachten eine Teilmenge A ⊂ L∞ von Risiken, die
vom Regulator akzeptiert werden. Wir können dann jedem monetären Risikomass
ρ die Akzeptanzmenge
Aρ = {X ∈ L∞ : ρ(X) ≤ 0}
zuordnen. Für diese X muss nämlich kein zusätzliches Kapital bereitgehalten werden. Die Position 0 sollte zulässig sein, also verlangen wir 0 ∈ A für jede Akzeptanzmenge. Weiter, sollte mit jeder akzeptablen Position auch jede bessere Position
akzeptabel sein. Wir verlangen also, falls X ≤ Y und X ∈ A, so ist auch Y ∈ A.
Definition 10.8. Eine Akzeptanzmenge heisst zulässig, falls 0 ∈ A und falls
X ≤ Y mit X ∈ A, so ist auch Y ∈ A.
Wir erhalten folgende Eigenschaften der durch ρ erzeugte Akzeptanzmenge.
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10. RISIKOMASSE
Hilfssatz 10.9. Sei ρ ein monetäres Risikomass.
i) Aρ ist eine zulässige Akzeptanzmenge.
ii) Ist X ∈ Aρ und Y ∈ L∞ , dann ist die Menge
{λ ∈ [0, 1] : λX + (1 − λ)Y ∈ Aρ }
abgeschlossen.
iii) Es gilt
ρ(X) = inf{x ∈ IR : x + X ∈ Aρ } .
iv) ρ ist genau dann konvex, wenn Aρ konvex ist.
v) ρ ist genau dann positiv homogen, wenn Aρ ein Kegel ist.
vi) ρ ist genau dann kohärent, wenn Aρ ein konvexer Kegel ist.
Beweis. i) Aus ρ(0) = 0 ≤ 0 folgt, dass 0 ∈ Aρ . Ist Aρ 3 X ≤ Y , so haben wir
ρ(Y ) ≤ ρ(X) ≤ 0, also Y ∈ Aρ .
ii) Aus Hilfssatz 10.3 folgt, dass die Abbildung λ 7→ ρ(λX + (1 − λ)Y ) stetig ist.
Somit muss die Menge {λ ∈ [0, 1] : ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ 0} abgeschlossen sein.
iii) Da ρ(ρ(X) + X) = 0, folgt dass ρ(X) + X ∈ Aρ und damit ρ(X) ≥ inf{x ∈
IR : x + X ∈ Aρ }. Ist x + X ∈ Aρ , so ist ρ(X) = ρ(x + X − x) = ρ(x + X) + x ≤ x,
und damit ρ(X) ≤ inf{x ∈ IR : x + X ∈ Aρ }.
iv) Sei ρ konvex. Für X, Y ∈ Aρ und λ ∈ (0, 1) haben wir dann
ρ(λX + (1 − λ)Y ) ≤ λρ(X) + (1 − λ)ρ(Y ) ≤ 0 .
Damit ist λX + (1 − λ)Y ∈ Aρ , also Aρ konvex. Sei Aρ konvex und X , Y ∈ L∞ . Da
ρ(X) + X und ρ(Y ) + Y in Aρ sind, ist auch λ(ρ(X) + X) + (1 − λ)(ρ(Y ) + Y ) ∈ Aρ .
Also
−λρ(X)−(1−λ)ρ(Y )+ρ(λX +(1−λ)Y ) = ρ(λ(ρ(X)+X)+(1−λ)(ρ(Y )+Y )) ≤ 0 .
Dies ist äquivalent zur Aussage.
v) Ist ρ positiv homogen und X ∈ Aρ , so ist ρ(λX) = λρ(X) ≤ 0 für jedes
λ ≥ 0. Also ist λX ∈ Aρ , und damit Aρ ein Kegel. Sei nun Aρ ein Kegel und
X ∈ L∞ . Dann ist λ(ρ(X) + X) ∈ Aρ , und damit
−λρ(X) + ρ(λX) = ρ(λ(X + ρ(X))) ≤ 0 ,
10. RISIKOMASSE
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und damit ist ρ(λX) ≤ λρ(X). Nehmen wir ρ(λX) < λρ(X) an. Dann existiert ein
x < λρ(X), so dass x + λX ∈ Aρ . Dann ist auch λ−1 x + X ∈ Aρ . Insbesondere ist
ρ(X) > λ−1 x = λ−1 x − ρ(X) + ρ(X) = −ρ(λ−1 x + X) + ρ(X) ≥ ρ(X) ,
was ein Widerspruch ist. Also gilt ρ(λX) = λρ(X).
vi) Dies folgt sofort aus Hilfssatz 10.5 ii).
Wir haben gesehen, dass wir das Risikomass aus der Akzeptanzmenge zurückgewinnen können. Dies können wir zum Anlass nehmen, ein Risikomass aus einer
beliebigen Akzeptanzmenge zu gewinnen. Sei A ⊂ L∞ eine beliebige zulässige Akzeptanzmenge. Wir definieren
ρA (X) = inf{x ∈ IR : x + X ∈ A} .
Dann gilt
Hilfssatz 10.10. Sei A zulässig und sei ρA (0) = 0.
i) ρA ist ein monetäres Risikomass.
ii) A ⊂ AρA . Gleichheit gilt genau dann, wenn Hilfssatz 10.9 ii) gilt.
Beweis. i) Da X beschränkt ist, gilt X − ess inf X ≥ 0, und damit ist X −
ess inf X ∈ A. Dies bedeutet ρA (X) ≤ − ess inf X < ∞. Nehmen wir ρ(X) = −∞
an. Sei y ∈ IR. Es gibt ein x < y − ess sup X, so dass x + X ∈ A. Damit haben wir
y ≥ y − (ess sup X − X) > x + X ∈ A .
Somit wäre y ∈ A, d.h. IR ⊂ A, was ρA (0) = 0 widerspricht. Somit ist ρ reellwertig.
Die Normiertheit haben wir angenommen. Sei X ≤ Y . Ist x + X ∈ A, so ist auch
x + Y ∈ A. Also gilt
ρA (Y ) = inf{x ∈ IR : x + Y ∈ A} ≤ inf{x ∈ IR : x + X ∈ A} = ρA (X) .
Das Mass ist also monoton. Sei a ∈ IR. Weiter erhalten wir
ρA (X − a) = inf{x ∈ IR : x + X − a ∈ A} = inf{y + a ∈ IR : y + X ∈ A} = ρ(X) + a .
Also ist das Mass auch translationsinvariant.
ii) Nach Definition ist für X ∈ A ρA (X) ≤ 0, also X ∈ AρA . Gilt A = AρA , so gilt
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10. RISIKOMASSE
Hilfssatz 10.9 ii). Es gelte umgekehrt Hilfssatz 10.9 ii). Sei X ∈
/ A. Nach unserer
Annahme ist 0 < ess sup |X| ∈ A. Dann gibt es ein ε > 0, so dass λ ess sup |X| +
(1 − λ)X ∈
/ A für 0 ≤ λ < ε. Aus der Lipschitz-Stetigkeit erhalten wir
ρA ((1 − λ)X) − ρA (X) ≤ k(1 − λ)X − Xk = λkXk = λ ess sup |X| .
Somit gilt
ρA (X) ≥ ρA ((1 − λ)X) − λ ess sup |X| = ρA ((1 − λ)X + λ ess sup |X|) > 0 .
Damit ist X ∈
/ AρA .
10.3. Darstellung von konvexen Risikomassen
Wir bezeichnen mit M die Menge aller Wahrscheinlichkeitsmasse auf Ω, die absolutstetig zu IIP sind. Mit
Ms = {α1 IIP1 − α2 IIP2 : αk ≥ 0, IIPk ∈ M}
bezeichnen wir die endlichen signierten Masse. Wir können dann hQ, Xi = IIEQ [X]
als eine Abbildung von Ms × L∞ nach IR definieren. Die Abbildung ist bilinear.
Sei ρ : L∞ → IR eine Abbildung. Wir definieren die konjugierte Abbildung
ρ∗ : Ms → IR , Q 7→ sup hQ, Xi − ρ(X) .
X∈L∞
∗
Weiter definieren wir die zu ρ konjugierte Abbildung
ρ∗∗ : L∞ → IR , X 7→ sup hQ, Xi − ρ∗ (Q) .
Q∈Ms
Hilfssatz 10.11. Die Abbildungen ρ∗ und ρ∗∗ sind konvex.
Beweis. Seien Q1 , Q2 ∈ Ms , λ ∈ (0, 1), Q = λQ1 + (1 − λ)Q2 und ε > 0. Dann
ist Q ∈ Ms . Wir können annehmen, dass ρ∗ (Qk ) < ∞, da sonst die Aussage trivial
ist. Sei ρ∗ (Q) < ∞. Wählen wir X, so dass hQ, Xi − ρ(X) > ρ∗ (Q) − ε. Dann ist
ρ∗ (Q) < hQ, Xi − ρ(X) + ε = λ(hQ1 , Xi − ρ(X)) + (1 − λ)(hQ2 , Xi − ρ(X)) + ε
≤ λρ∗ (Q1 ) + (1 − λ)ρ∗ (Q2 ) + ε .
Da ε beliebig war, folgt dass ρ∗ konvex ist. Sei nun ρ∗ (Q) = ∞. Wählen wir a > 0.
Dann existiert ein X, so dass hQ, Xi − ρ(X) > a + ρ∗ (Q1 ) + ρ∗ (Q2 ). Wie oben folgt
dann
a + ρ∗ (Q1 ) + ρ∗ (Q2 ) < hQ, Xi − ρ(X) ≤ λρ∗ (Q1 ) + (1 − λ)ρ∗ (Q2 ) .
Dies ist aber nicht für alle a möglich. Somit muss max{ρ∗ (Q1 ), ρ∗ (Q2 )} = ∞ gelten.
Dass ρ∗∗ konvex ist, folgt analog.
10. RISIKOMASSE
97
Hilfssatz 10.12. Sei ρ : L∞ → IR konvex. Dann ist ρ∗∗ = ρ.
Beweis.
Wir haben
ρ∗∗ (X) = sup hQ, Xi − ρ∗ (Q) = sup {hQ, Xi − sup hQ, Y i − ρ(Y )}
Q∈Ms
Q∈Ms
Y ∈L∞
≤ sup {hQ, Xi − [hQ, Xi − ρ(X)]} = ρ(X) .
Q∈Ms
Für die umgekehrte Ungleichung, bemerken wir, dass die Menge K = {(X, x) ∈
L∞ × IR : ρ(X) ≤ x} konvex ist. Sei Y ∈ L∞ und y = ρ(Y ) − ε für ein ε > 0.
Dann gibt es nach einem Trennungssatz für konvexe Mengen, ein lineares stetiges
Funktional (Q, z)) ∈ Ms × IR, so dass
sup hQ, Xi + zx < hQ, Y i + zy .
(X,x)∈K
Wir haben, da (Y, ρ(Y )) ∈ K,
hQ, Y i + zρ(Y ) ≤ sup hQ, Xi + zx < hQ, Y i + zy .
(X,x)∈K
Somit gilt z < 0. Also
ρ∗ (Q/|z|) = sup hQ/|z|, Xi − ρ(X) < hQ/|z|, Y i − y = hQ/|z|, Y i − ρ(Y ) + ε .
X∈L∞
Dies impliziert
ρ(Y ) − ε < hQ/|z|, Y i − ρ∗ (Q/|z|) ≤ ρ∗∗ (Y ) .
Da ε beliebig war, folgt die Aussage.
Wir bezeichnen mit dom ρ∗ = {Q ∈ Ms : ρ∗ (Q) < ∞}.
Satz 10.13. Eine Abbildung ρ : L∞ → IR ist genau dann ein konvexes Risikomass,
wenn
ρ(X) = − inf {IIEQ [X] + α(Q)} ,
Q∈P
wobei ∅ =
6 P ⊂ M und α : P → IR ein Funktional mit inf Q∈P α(Q) = 0. Dabei kann
P = − dom ρ∗ und α(Q) = ρ∗ (−Q) gewählt werden.
Beweis. Nehmen wir ρ(X) = − inf Q∈P {IIEQ [X] + α(Q)} = supQ∈P {−IIEQ [X] −
α(Q)} an. Dann ist ρ nach dem Beweis von Hilfssatz 10.11 konvex. Nach Voraussetzung ist ρ(0) = 0. Monotonie und Translationsinvarianz sind trivial.
98
10. RISIKOMASSE
Sei ρ ein konvexes Risikomass. Dann ist ρ = ρ∗∗ . Sei Q ∈ Ms und Z ∈ L∞ mit
Z ≥ 0, so dass hQ, Zi > 0. Dann ist ρ(tZ) ≤ 0 für alle t ≥ 0 und
ρ∗ (Q) = sup hQ, Xi − ρ(X) ≥ sup thQ, Zi − ρ(tZ) ≥ sup thQ, Zi = ∞ .
X∈L∞
t≥0
t≥0
Ist Q ∈ Ms , so dass es A ∈ F gibt mit Q(A) > 0, so ist erfüllt 1IA die obigen
Bedingungen. Ist also ρ∗ (Q) 6= ∞, so muss −Q ein positives Mass sein.
Sei Q ∈ Ms und Q(Ω) 6= −1. Dann erhalten wir
ρ∗ (Q) ≥ suphQ, ai − ρ(a) = sup a(Q(Ω) + 1) = ∞ .
a∈IR
a∈IR
Somit genügt es Q zu betrachten, so dass −Q ein Wahrscheinlichkeitsmass ist. Somit
folgt die Aussage aus ρ = ρ∗∗ .
Satz 10.14. Eine Abbildung ρ : L∞ → IR ist genau dann ein kohärentes Risikomass, wenn
ρ(X) = − inf IIEQ [X] ,
Q∈P
wobei ∅ =
6 P ⊂ M. Dabei kann P = − dom ρ∗ gewählt werden.
Beweis. Aus Satz 10.13 folgt, dass ρ definiert wie oben ein konvexes Risikomass
ist. Aus der Definition folgt sofort, dass ρ positiv homogen ist. Damit ist ρ kohärent.
Sei nun ρ ein kohärentes Risikomass. Dann gilt die Darstellung aus Satz 10.13.
Sei Q ∈ M. Wir haben nun
ρ∗ (−Q) = sup h−Q, Xi − ρ(X) = sup sup h−Q, λXi − ρ(λX)
λ>0 X∈L∞
X∈L∞
= sup λ sup h−Q, Xi − ρ(X) = sup λρ∗ (−Q) .
λ>0
X∈L∞
λ>0
Somit muss ρ∗ (−Q) ∈ {0, ∞} gelten. Damit kann α(Q) = 0 gewählt werden, was
die Darstellung beweist.
Beispiel 10.15. (Average Value at Risk) Wir definieren den Average-Valueat-Risk
Z 1
1
V@Rβ (X) dβ
AV@Rα (X) =
1−α α
für α ∈ (0, 1). Aus den entsprechenden Eigenschaften des Value-at-Risk folgt, dass
AV@Rα ein positiv homogenes monetäres Risikomass ist. Sei F die Verteilung von
10. RISIKOMASSE
99
−X. Dann haben wir Varβ (X) = F −1 (β). Sei U eine auf (0, 1) gleichverteilte Zufallsvariable. Wir bemerken, dass dann F −1 (U ) die Verteilung von −X hat. Somit
gilt
Z 1
Z 1
1
1
−1
F (β) dβ =
F −1 (β)1Iβ>α dβ
AV@Rα (X) =
1−α α
1−α 0
1
=
IIE[F −1 (U )1IU >α ] .
1−α
Die Variablen F −1 (U ) und 1IU >α haben unter allen Variablen Y und Z, so dass Y
die Verteilung F hat und Z Bernoulli-verteilt ist mit IIP[Z = 0] = 1 − IIP[Z = 1] = α
die maximale Korrelation, da sie komonoton sind. Wir können also
h
Z i
AV@Rα (X) = sup IIE (−X)
1−α
Z
schreiben, wobei Z Bernoulli-verteilt ist. Da IIE[Z/(1 − α)] = 1, ist dies eine Radon–
Nikodym Dichte. Wir können also
P = {Z/(1 − α) dIIP : Z ist Bernoulli (1 − α) verteilt}
wählen. Somit ist
AV@Rα (X) = sup IIEQ [−X] = − inf IIEQ [X] ,
Q∈P
Q∈P
und damit ist AV@Rα kohärent. Eine alternative Darstellung folgt mit P = {Q ∈
dQ
1
M : dII
≤ 1−α
}.
P
Beispiel 10.16. Oft verwendet wird auch der TV@R, der Tail-Value-at-Risk
oder Expected Shortfall. Dieser ist definiert als
TV@Rα (X) = IIE[−X | X ≤ − V@Rα (X)] .
Betrachtet man nur stetige Zufallsvariablen, so ist TV@Rα (X) = AV@Rα (X). In
der Tat ist
1
1
IIE[F −1 (U )1IU >α ] =
IIE[(−X)1IX≤− V@Rα (X) ]
1−α
1−α
= TV@Rα (X) .
AV@Rα (X) =
Im allgemeinen ist TV@R ein positiv homogenes monetäres Risikomass. Das Gegenbeispiel zum V@R zeigt, dass TV@R nicht subadditiv ist. Daher ist TV@R nicht
kohärent.
100
10. RISIKOMASSE
Bemerkung. Wir haben hier nur Risikomasse auf L∞ betrachtet. Eine analoge
Theorie lässt sich für Lp mit 1 ≤ p < ∞ durchführen. In diesem Falle arbeitet man
auf dem Dualraum Lq mit q = p/(p − 1) falls p > 1 und q = ∞ falls p = 1. Ein
konvexes Risikomass ρ auf Lp lässt sich dann darstellen als
ρ(X) = sup IIE[XY ] − ρ∗ (Y ) ,
Y ∈L
wobei L ⊂ Lq .