Seelsorger mit Bodyguards Nachzug mit Hindernissen Furzkissenphilosophie Pfarrer und Umweltschützer José Pilar wird in Guatemala bedroht. Seite 3 Syrer und ihre Angehörigen müssen vorm Wiedersehen hohe Hürden überwinden. Seite 6 »Toni Erdmann« verbindet Konflikte und Klamauk. Seite 15 Foto: 123rf/Nataliia Zhiltcova Foto: NFP Donnerstag, 14. Juli 2016 STANDPUNKT Völkermord verlangt Entschädigung 71. Jahrgang/Nr. 163 UNTEN LINKS Bei der Tiefenanalyse der FußballEuropameisterschaft haben Spezialisten eine erschreckende Entdeckung gemacht: Sie fanden heraus, dass seit 2004 immer Länder mit zumindest problematischem Staatshaushalt den Titel gewonnen haben. Erst Griechenland, dann zweimal Spanien, jetzt Portugal – das liest sich wie die schwarze Hungerleider-Liste von Wolfgang Schäuble. So geht’s natürlich nicht weiter, und deshalb sind Reformmaßnahmen dringend nötig. Beispielsweise könnte man es ja ähnlich regeln wie beim anderen großen Massenunterhaltungsspektakel der Europäer: dem Eurovision Song Contest. Dort müssen die Länder mit der meisten Knete nicht erst in irgend eine doofe Qualifikation, sondern kommen gleich in die Finalrunde. Tore sind egal, statt dessen gibt es nach jedem Spiel eine Expertenwertung durch Oliver Kahn und Mehmet Scholl, ergänzt durch ein Zuschauervotum auf bild.de. Wollen wir doch mal sehen, wer dann gewinnt. So macht Fußball wieder Spaß! wh ISSN 0323-3375 www.neues-deutschland.de Dem globalen Horizont entgegen Gericht entscheidet für »Rigaer 94« Neues Weißbuch sieht zusätzliches Geld fürs Militär und mehr Auslandseinsätze vor Teilräumung des Wohnprojekts in Berlin für rechtswidrig erklärt Berlin. Die Teilräumung des alternativen Wohnprojekts in der Rigaer Straße 94 war nach Ansicht des Berliner Landgerichts rechtswidrig. Der Eigentümer habe bis heute keinen Räumungstitel vorgelegt, sagte Richterin Nicola Herbst am Mittwoch. Da weder der Eigentümer noch dessen Anwalt zur Verhandlung erschienen, erteilte die Richterin ein Versäumnisurteil. Damit bekommt der klagende Verein, der die Räume zuvor genutzt hatte, vorläufig Recht. Jedoch sei die Entscheidung des Gerichts möglicherweise nur ein »Zustand von kurzer Dauer«, denn der Eigentümer könne durchaus auf legalem Wege seine Besitzrechte geltend machen. Die Räumung am 22. Juni unter Polizeischutz hatte massive Proteste ausgelöst. Die LINKE sprach nach dem Gerichtsurteil von einer »riesigen Blamage« für Innensenator Frank Henkel (CDU), der den Polizeieinsatz bisher verteidigt hatte. Henkel selbst habe damit zur Eskalation in der Rigaer Straße beigetragen, so der innenpolitische Sprecher der LINKEN, Hakan Taş. mjo Seite 11 Martin Ling über Berlin und die Massaker in Deutsch-Südwestafrika »Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros.« Eindeutige Worte des deutschen Oberkommandierenden Generalleutnant Lothar von Trotha vom 2. Oktober 1904, die einem Befehl zum Völkermord gleichkommen. 112 Jahre später hat sich die deutsche Bundesregierung erstmals zum Begriff »Völkermord« durchgerungen, um die Geschehnisse im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika zu beschreiben. Dort wurden während der deutschen Kolonialherrschaft zwischen 1904 und 1908 Schätzungen zufolge 90 000 Afrikaner – Herero, Nama – getötet oder starben in den bereits damals so benannten Konzentrationslagern. Rhetorisch ist die deutsche Regierung mit dem Begriff »Völkermord« einen wichtigen Schritt weiter gegangen, faktisch noch nicht. Berlin drückt sich um Entschädigungszahlungen, will darüber bisher nicht einmal verhandeln, obwohl die namibische Nationalversammlung seit 2006 Verhandlungen fordert. Stattdessen schwebt der Bundesregierung eine »Zukunftsstiftung« vor. So ließe sich die Geschichte weiter als Geschichte der Herrschenden schreiben: Sorry für den Völkermord, Schwamm drüber. Mit Recht und Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Dafür wären Entschädigungen nur ein Anfang. Bundesausgabe 1,70 € Personalwechsel in London Etappensieg und ein Gegenkandidat mehr für Labourchef Jeremy Corbyn Foto: Reuters/Kai Pfaffenbach Berlin. Die Bundesregierung hat ihre Sicherheitspolitik neu formuliert. Teil der neuen Pläne sind Bundeswehreinsätze bei Terroranschlägen, eine Öffnung der Truppe für EUAusländer und ein verstärktes deutsches Engagement in der NATO. Dafür soll auch deutlich mehr Geld in den Verteidigungshaushalt fließen als bisher. Das Kabinett beschloss am Mittwoch ein neues Weißbuch, das eine aktivere Rolle des deutschen Militärs in der Welt vorsieht. Darin heißt es: »Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global.« Zur Ausweitung von Bundeswehreinsätzen im Inneren soll das Grundgesetz zwar nicht geändert werden. Allerdings hält die Große Koalition den Einsatz von Soldaten bei »terroristischen Großlagen« laut Weißbuch für verfassungskonform. Die Deutsche Polizeigewerkschaft ist mit diesem Kompromiss von Union und SPD nicht einverstanden. Der Vorsitzende Rainer Wendt sprach von einer »Grundgesetzänderung durch die Hintertür«. Er sagte: »Die Polizei wäre in der Lage, terroristische Bedrohungslagen zu bekämpfen, wenn man sie nur ordentlich ausstattet.« Auch Oppositionspolitiker übten Kritik. »Das neue Weißbuch ist nichts anderes als die zu Papier gebrachte Forderung nach mehr Geld für mehr Soldaten, mehr Militäreinsätze und mehr Kriegsgerät. Es ist ein Weißbuch für Aufrüstung und Krieg«, monierte Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Sie wies zudem darauf hin, dass die Bundesregierung auch die militärische Beteiligung an anlassbezogenen »Ad-hocKooperationen« ohne UN-Mandat propagiere. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und die sicherheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Agnieszka Brugger, erklärten, das Weißbuch folge dem Primat des Militärischen »statt einer klugen Strategie für Sicherheit und Frieden«. nd Tagesthema Seite 2 Bundesregierung erkennt Völkermord an Die Massaker an Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika werden neu bewertet Zum ersten Mal hat die Bundesregierung die Massaker in der früheren Kolonie Deutsch-Südwestafrika in einem offiziellen Dokument als Völkermord eingestuft. Von Martin Ling »Die diesbezüglichen Antworten des Sprechers des Auswärtigen Amtes und des Regierungssprechers spiegeln die Position der Bundesregierung wider.« Hinter diesen dürren Worten in einer Antwort auf eine dem »nd« vorliegende parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Bundestag verbirgt sich ein fundamentales Eingeständnis der Bundesregierung: Erstmals beurteilt sie die Massaker an Herero und Nama Anfang des 20. Jahrhunderts unter deutscher Kolonialherrschaft im heutigen Namibia offiziell in Gesamtheit als »Völkermord«. Vorgeprescht war am 10. Juli 2015 der Sprecher des Auswärti- gen Amtes, Dr. Martin Schäfer, der in der Bundespressekonferenz die Ereignisse von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia als »Völkermord« bezeichnete. Ob diese Einschätzung eher persönlicher oder amtlicher Natur war, ist durch die Antworten auf die Anfrage nun geklärt, vieles andere bleibt offen. Fakt ist: Die Bundesregierung ändert damit offiziell ihre Bewertung der Gräueltaten deutscher Truppen in der damaligen Kolonie, wo nach Schätzungen rund 90 000 Herero und Nama gezielt getötet wurden. Bisher hatte Deutschland immer betont, dass die »historischen Ereignisse« erst seit Inkrafttreten der UN-Völkermord-Konvention 1951 als Genozid eingestuft werden könnten. In diesem Jahr hatte allerdings der Bundestag bereits die Massaker an den Armeniern von 1915 und 1916 im Osmanischen Reich als Völkermord verurteilt. »Ich fordere die Bundesregierung auf, ihrer historischen Ver- antwortung während der Verhandlungen gerecht zu werden statt einseitig ihre Interessen durchzusetzen. Mit den einseitigen Statements des Sonderbeauftragten Polenz und deutschen Botschafters Schlaga von letzter Woche wird es keine dauerhafte und zufriedenstellende Lösung geben, die von allen Parteien anerkannt wird«, sagte der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Niema Movassat dem »nd«. Am Mittwoch kündigte das Auswärtige Amt in Berlin an, dass Deutschland sich bei Namibia offiziell für den Völkermord im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika entschuldigen will. Die laufenden Gespräche zwischen beiden Seiten über eine Regierungserklärung sollten bis zum Jahresende abgeschlossen werden. Geplant ist eine gemeinsame Erklärung der Regierungen und Parlamente Deutschlands und Namibias, in der die Massaker ausdrücklich als Völkermord bezeichnet werden. Darüber hinaus soll eine deutschnamibische »Zukunftsstiftung« ins Leben gerufen werden. Zudem soll es neue Infrastrukturprojekte wie Meerwasser-Entsalzungsanlagen geben. Von Reparationen und direkten Gesprächen mit den Nachfahren kein Wort. Die Forderung von Movassat »Die Nachfahren der Opfer dieses Völkermords gehören mit an den Verhandlungstisch!« verhallt noch ungehört. } Lesen Sie auf Seite 10 Gesund leben Himbeeren vereinen köstlichen Geschmack mit nützlicher Wirkung. Sie beugen Adipositas, Entzündungen oder Krebs vor. Ihre Blätter helfen bei der Geburt. London. Mit launigen Worten hat sich David Cameron am Mittwoch vom britischen Parlament verabschiedet. »Ich war einmal die Zukunft«, sagte er nach sechsjähriger Amtszeit unter großem Beifall der Abgeordneten. Für den frühen Mittwochabend wurde erwartet, dass Königin Elizabeth II. Theresa May als Nachfolgerin von David Cameron als Premierminister ernennt – eine reine Formsache. Derweil verschärfte sich der Streit in der Labour-Partei. Am Mittwoch kündigte der Abgeordnete Owen Smith an, als zweiter Herausforderer gegen den Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn anzutreten. Zuvor hatte bereits Angela Eagle ihre Kandidatur verkündet. Am Dienstag errang Corbyn im Kampf um den Parteivorsitz aber einen Etappensieg. Das Exekutivkomitee der Partei entschied, dass er als Parteivorsitzender automatisch Kandidat ist und nicht wie die anderen Bewerber die Unterstützung von mindestens 51 Abgeordneten vorweisen muss. Unter den Abgeordneten genießt Corbyn wenig Unterstützung, anders als an der Basis. nd/Agenturen Seite 7 Foltervorwürfe gegen Ägypten Amnesty: Kritiker der Regierung werden willkürlich inhaftiert Berlin. Amnesty International erhebt schwere Vorwürfe gegen die staatlichen Sicherheitsbehörden in Ägypten. Der Staat gehe rücksichtslos gegen Anhänger des 2013 gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi, Mitglieder der Muslimbruderschaft und andere Regierungskritiker vor, heißt es in einem in Berlin veröffentlichten Bericht. Zu den Opfern gehörten politische Gegner der aktuellen Regierung, darunter auch Kinder. Zeugen berichteten zudem von Folter durch Schlagstockhiebe und Elektroschocks. Seit der Amtsenthebung Mursis vor drei Jahren seien mindestens 34 000 Menschen nach unfairen Prozessen oder auch ohne Gerichtsverfahren inhaftiert worden, hieß es. Hunderte seien zum Tode verurteilt worden. Nach Angaben lokaler Nichtregierungsorganisationen verschleppten Sicherheitskräfte pro Tag durchschnittlich drei bis vier Menschen und hielten sie willkürlich für Tage oder auch Monate auf Polizeiwachen oder in Gebäudekomplexen des Geheimdienstes mitten in Kairo und Alexandria fest. epd/nd
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