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Zimmer über Schulz
BER-Technikchef tritt ab
Sieben neue Planeten
LINKE-Politikerin im Interview zum
SPD-Kanzlerkandidaten. Seite 3
Pannen an Berlins Flughafenbaustelle
kosten Jörg Marks den Job. Seite 11
Eine Spur auf der Suche nach
außerirdischem Leben. Seite 20
Foto: dpa/Wolfgang Kumm
Abb.: dpa
Freitag, 24. Februar 2017
STANDPUNKT
Deutschland
drückt sich vor
Reparationen
72. Jahrgang/Nr. 47
UNTEN LINKS
Die Isländer wissen von der Misere der Vermassung ein trauriges
Liedchen zu klatschen. Das Land
leidet seit Jahren unter einem
Touri-Ansturm sondergleichen.
Mietautos fallen in Flüsse, Rentner verbrühen sich, weil sie unbedarft in kochende Quellen steigen. Eine Idee, um Island seiner
Putzigkeit zu berauben, war
dringend nötig. Der Plan war nur
leider perfide und schlecht
durchdacht. Statt der Touris sollten die Einheimischen vertrieben
werden: Präsident Gudni Th. Jóhannesson schlug vor, die Ananas
auf der Pizza-Hawaii zu verbieten. Dabei liebt ein Drittel aller
Isländer Ananas auf der Pizza!
Weil Jóhannesson es verpasst hat,
sich dem Trend gemäß vorher die
Verfassung zurechtzuautokratisieren, liegt der Pineapple-Ban
jenseits seiner exekutiven Macht,
wie peinlich. Immerhin hatte da
schon ein Drittel aller Isländer
(19) das Land verlassen. In
Deutschland sind sie herzlich
willkommen. Ein Land, das der
Welt vor 62 Jahren den ToastHawaii schenkte. cod
ISSN 0323-3375
www.neues-deutschland.de
Flüchtlingstod an Libyens Küste
Flughafen Mossul
zurückerobert
Immer häufiger ist das Land am Mittelmeer Endpunkt menschlicher Tragödien
Irakische Armee meldet Flucht der
Terrormiliz IS von dem Gelände
Bagdad. Die irakischen Streitkräfte haben
dem Staatsfernsehen zufolge den Flughafen
in der IS-Hochburg Mossul zurückerobert.
Das etwa drei Kilometer lange Gelände sei
komplett aus der Hand des Islamischen Staates befreit worden, hieß es am Donnerstag.
Fernsehbilder zeigten Aufnahmen von irakischen Soldaten, die das Victory-Zeichen
machten und die Landesflagge in dem Flughafen schwenkten. Auf anderen Aufnahmen
waren angeblich Extremisten zu sehen, auf
die während ihrer Flucht geschossen wurde.
Zeitgleich wurde auch eine von den Dschihadisten besetzte benachbarte Militärbasis
von den Soldaten angegriffen. Die beiden
Ziele südlich der Innenstadt gelten als wichtiger Ausgangspunkt für die schwierige Befreiung Westmossuls von der Herrschaft der
sunnitischen Terrormiliz.
Die Befreiung Westmossuls wird als aufwendiger eingeschätzt als die Eroberung des
Ostteils der Stadt. Es halten sich dort viele Zivilisten auf; zudem ist das Gebiet teilweise
eng bebaut. dpa/nd
Seite 8
Martin Ling über die Forderungen
der Herero und Nama
Der Unmut bei den Herero und
Nama wächst: Die deutsche Bundesregierung weigert sich nach
wie vor, direkt mit den Nachkommen des ersten Genozids des 20.
Jahrhunderts zu verhandeln.
Ruprecht Polenz, der offizielle
Vertreter der Bundesregierung im
Dialog mit Namibia über den Völkermord an den Herero und Nama, erdreistete sich 2016 sogar,
die Herero und Nama zu ermahnen, nicht ständig den Holocaust
im Zusammenhang mit dem Genozid im damaligen Deutsch-Südwest zu nennen. Als ob Genozid
eine Frage der Quantität sei und
nicht der qualitativen Absicht:
Völkermord ist dann gegeben,
wenn ein Volk ausgelöscht werden soll, die Größe des Volkes ist
dabei vollkommen unerheblich.
Die Bundesregierung gesteht
zwar seit 2015 inzwischen offiziell
ein, dass es sich bei dem Geschehen 1904 bis 1908 in der damaligen deutschen Kolonie um Völkermord handelte. Doch mehr als
ein Dialog mit der Regierung ohne
Beteiligung der Nachkommen der
Opfer gesteht Berlin nicht zu und
dass die deutsche Entwicklungshilfe in Namibia Herero und Nama zugute käme, wird von jenen
in Abrede gestellt. Die Zustände in
ihren Siedlungsgebieten im südlichen Namibia entkräften ihre Position nicht. Die Forderung der
Herero und Nama nach Reparationen ist und bleibt legitim, auch
wenn sie hierzulande keine Regierung gerne hören will. Die Zeit
heilt nicht alle Wunden und der
Genozid in Deutsch-Südwest ist
nicht nur dort unvergessen.
Bundesausgabe 1,70 €
Mexiko kontert
Trumps Zumutung
US-Pläne zur Massenabschiebung
von Migranten zurückgewiesen
Ein toter Flüchtling, angespült am Strand der libyschen Stadt Zawiya
Tripolis. Sie kommen aus Eritrea, Niger, Somalia oder anderen schwarzafrikanischen
Staaten. Der viele tausend Kilometer lange illegale Transport bis zur libyschen Küste kostet sie ihre gesamten Ersparnisse und die ihrer Familien – um dann in erbärmlichen
Elendsquartieren auf den gefährlichsten Teil
ihrer Odyssee zu warten: die Überfahrt ins vermeintlich gelobte Europa.
In aller Regel in hochseeuntüchtigen und
überladenen Nussschalen und gesteuert von
Schleusern, die, nachdem sie kassiert haben,
häufig genug nicht mehr sonderlich daran interessiert sind, ihre menschliche Fracht auch
Foto: AFP/Amin Elamr
lebend am Bestimmungsort abzuliefern. Die
Welt erfährt fast täglich vom immer häufigeren bösen Ende der Tragödie letztem Teil.
Libyen, der von NATO-Bomben vor sechs
Jahren in Chaos und Unregierbarkeit zerschlagene Staat, ist heute Fluchtpunkt und Todesfalle in einem. Hunderte ereilte dieses Jahr bereits der nasse Tod auf See, doch viele erleiden den Tod auch schon auf der Schleusertour. 13 Migranten, meldete dpa am Donnerstag, sind in Libyen in einem Versandcontainer gestorben, in dem sie vier Tage lang eingesperrt waren. Unter den Toten seien auch
ein 13 Jahre altes Mädchen und ein 14-jähri-
ger Junge gewesen, berichtete die Internationale Vereinigung des Roten Kreuzes und des
Roten Halbmonds. Insgesamt seien 69 Menschen in dem Metallcontainer gefangen gewesen, bevor Helfer in der westlibyschen Stadt
Al-Choms am Mittwoch eingeschaltet wurden.
Es gibt Bemühungen, Libyen zu befrieden.
Der UN-Sondergesandte für das Land, Martin
Kobler, verhandelt seit langem im Auftrag der
Weltorganisation, um damit auch Flüchtlingselend zu entschärfen und Flüchtlingstod zu
verhindern. Der tägliche Tod zeigt allerdings,
wie erfolglos dies bisher war. roe
Seite 2
Dialog nicht über unsere Köpfe!
Herero und Nama fordern direkte Gespräche mit der Bundesregierung über Entschädigung für Genozid
Die deutsche Kolonialvergangenheit ist in Namibia unvergessen. Ida Hoffmann und Esther Muinjangue bekräftigten
am Donnerstag in Berlin die Forderung nach Reparationen.
Von Martin Ling
Am Sonnabend ist es wieder soweit: Zum elften Mal findet in
Berlin ein »Gedenkmarsch in Erinnerung
an
die
afrikanischen/Schwarzen Opfer von Versklavung, Handel mit Versklavten, Kolonialismus und rassistischer Gewalt« statt, wie es im Aufruf heißt. Mit dabei, wenn es um
elf Uhr in der Wilhelmstraße 92
losgeht: Ida Hoffmann und Esther Muinjangue, Vertreterinnen
der Nama, die mit den Herero
während der deutschen Kolonialherrschaft zwischen 1904 und
1908 einem Völkermord ausgesetzt wurden, dem Schätzungen
zufolge 90 000 Menschen zum
Opfer fielen.
Die Wilhelmstraße 92 ist mit
Bedacht gewählt: Dort fand die
Berliner
»Kongo-Konferenz«
1884/85 statt, ihr Schlussdokument, die Kongoakte, bildete die
Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien. Das heutige Namibia gelangte damals als
Deutsch-Südwest in deutsche
Hände. Das hat Spuren hinterlassen. Bei Ida Hoffmann zum
Beispiel im Vor- und Nachnamen,
wie sie zu Beginn ihres Statements bei einer Pressekonferenz
des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht« im Institut für Afrikaund Asienwissenschaften an der
Berliner
Humboldt-Universität
erzählte, bevor sie zu einem historischen Kurzabriss ausholte:
»Als die Deutschen 1884 im heutigen Namibia einfielen, gab es
dort keine Regierung, keine politischen Parteien. Die Deutschen
kamen, um das Land zu übernehmen, die ansässige Bevölkerung zu vertreiben, die Rohstoffe
auszuplündern.«
Dass dies mit allen Mitteln geschah, ist geschichtlich verbürgt:
»Innerhalb der Deutschen Grenze
wird jeder Herero mit oder ohne
Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe
sie zu ihrem Volke zurück oder
lasse auf sie schießen. Dies sind
meine Worte an das Volk der Hereros.« Die Ansage des deutschen
Oberkommandierenden Generalleutnants Lothar von Trotha vom
2. Oktober 1904 war unmissverständlich: Sie kam einem Befehl
zum Völkermord gleich.
Dieser Genozid wurde lange
Zeit totgeschwiegen, in Deutschland, aber auch im heutigen Namibia – von 1920 bis 1990 faktisch eine Kolonie Apartheid-Südafrikas. Erst nach der Unabhängigkeit wurde das blutige Geschehen Stück für Stück wieder in die
öffentliche Erinnerung gebracht.
Die Herero und Nama wollen
einen direkten Dialog mit der Bundesregierung, schließlich gibt es
auch in Botswana und Südafrika
Nachkommen der Opfer, für die
die namibische Regierung gar
nicht verhandeln kann. »Wir erwarten die gleiche Behandlung wie
einst die jüdische Gemeinde, offene Gespräche mit der deutschen
Regierung«, sagte Esther Muinjangue, Vorsitzende der Ovaherero
Genocide Foundation. »Warum
soll das nicht möglich sein?« Die
Antwort bleibt die Bundesregierung bisher schuldig.
} Lesen Sie morgen
im wochen-nd
Spektakel mit Popcorn:
Kino wird zum Event
Ein oder zwei Staaten:
Nahostkonflikt ungelöst
Natürlich monogam?
Forscher zweifeln daran
São Paulo. Die mexikanische Regierung hat
die US-Pläne zur massenhaften Abschiebung
von Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung zurückgewiesen. »Mexiko wird von keinem Land Zumutungen in Bezug auf das Thema Migration akzeptieren«, sagte Präsident
Enrique Peña Nieto laut Berichten der Tageszeitung »La Jornada« vom Donnerstag.
Die US-Regierung hatte am Mittwoch angekündigt, an der Grenze aufgegriffene Migranten ohne Papiere nach Mexiko zurückzuschicken – egal, aus welchem Land sie kommen. Zudem sind deutlich härtere Abschieberegeln geplant und verschärfte Razzien.
Außenminister Luis Videgaray erklärte,
Mexiko werde keine Maßnahmen akzeptieren, die eine Regierung einseitig einer anderen auferlegen wolle. »Wir müssen das
nicht und wir werden das nicht«, betonte er.
Zum Schutz seiner im Ausland lebenden Bürger wolle Mexiko alle Rechtsmittel nutzen,
sagte Videgaray und kündigte einen möglichen Protest Mexikos vor den Vereinten Nationen an. epd/nd
Deutscher Staat mit
Rekordüberschuss
Statistiker verbuchen für 2016 ein
Plus von 23,7 Milliarden Euro
Wiesbaden. Mit fast 24 Milliarden Euro hat
der deutsche Staat im vorigen Jahr den
höchsten Überschuss seit der deutschen Einheit verbucht. Bund, Länder, Sozialversicherungen und Kommunen hätten 23,7 Milliarden Euro mehr eingenommen als ausgegeben, teilte das Statistische Bundesamt am
Donnerstag in Wiesbaden unter Verweis auf
aktualisierte Zahlen mit. Alle vier Ebenen erwirtschafteten dabei auch jeweils für sich einen Finanzüberschuss.
Der Überschuss lag bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt bei plus 0,8 Prozent. Diese
sogenannte Maastrichtquote ist der Maßstab
für die Bewertung der Haushaltslage durch
die EU. Laut europäischer Verträge darf das
Defizit nicht größer sein als minus drei Prozent, sonst drohen Sanktionen.
Der Überschuss kam durch stark steigende Steuereinnahmen sowie die gute Arbeitsmarktlage zusammen, die zu höheren Sozialbeitragszahlungen führte. Am stärksten
verbesserte sich die Finanzlage der Sozialkassen mit plus 8,2 Milliarden Euro. AFP/nd