zeigt diese Grafik

taz vom 8.7.2016 Seite 6-7
Immer auf die Kleinen
ABKOMMEN Firmen verklagen Staaten. Weil ihnen ein Gesetz nicht passt, weil sie glauben, dadurch Geld verloren zu haben, weil
sie es können. Das ist einer der großen Streitpunkte bei den Freihandelsabkommen Ceta und TTIP. Die taz-Grafik zeigt, welche Länder
die Klagen treffen – und wo die Investoren profitieren. Besonders klagefreudig: Firmen aus den USA, den Niederlanden und
Großbritannien – Deutschland schafft es nur auf Platz vier. Am häufigsten verklagt: Argentinien, Venezuela und Tschechien
KONZEPT UND RECHERCHE: SVENJA BERGT / GRAFIK: INFOTEXT-BERLIN.DE / P. SOBOTTA, S. WEBER
DEUTSCHLAND
USBEKISTAN
Vattenfall verklagt Deutschland
wegen des Atomausstiegs. Knapp
5 Milliarden Euro fordert der
schwedische Konzern, der an den
Kraftwerken Brunsbüttel und
Krümmel beteiligt ist. Grundlage ist
die Energiecharta, ein Abkommen,
das seit 1998 in Kraft ist und das
insgesamt 54 Staaten unterzeichnet
haben. 93 Klagen haben Unternehmen schon auf Basis dieses
Abkommens eingereicht, mitunter
in Kombination mit bilateralen
Abkommen. Über Vattenfall
gegen Deutschland müssen nun
drei Schiedsrichter entscheiden.
Ein Unternehmen mit Sitz in Indien
klagt über seine Niederlassung in
den Niederlanden gegen Usbekistan.
Spentex heißt die Firma. Sie verkauft
Garne, unter anderem für Teppiche.
In Usbekistan wollte sie dafür in drei
Fabriken Baumwolle verarbeiten.
Doch die usbekische Regierung zog
eine Subvention bei der Mehrwertsteuer zurück. Spentex fordert daher
100 Millionen US-Dollar, eine
Entscheidung gibt es noch nicht.
Klagen über Niederlassungen sind
nicht ungewöhnlich: „Treaty
shopping“ wird das von Kritikern
genannt – Abkommen einkaufen. So
können auch Unternehmen aus
Ländern, die keine oder weniger
bilaterale Abkommen geschlossen
haben, den Schutz derselben
genießen.
Norwegen
12
8
0
3
Finnland
59
25
Estland
Lettland
Litauen
Dänemark
Großbritannien
Kanada
80
USA
Die USA werden ganz überwiegend
von Unternehmen mit Sitz in Kanada
verklagt. Von 15 verzeichneten
Klagen seit 1998 kam eine von einer
mexikanischen Firma, 14 wurden von
Unternehmen mit Sitz in Kanada
eingereicht. Dabei ging es unter
anderem um den Import von
Generika, um mutmaßlich mit BSE
infizierte Kühe und den Abbau von
Edelmetallen. Bei 15 Klagen gab es
bislang 10 Schiedssprüche – keinen
der Fälle hat das klagende
Unternehmen gewonnen. Die letzte
Klage wurde im Jahr 2012
eingereicht. Vielleicht weil die
Firmen gemerkt haben: Die USA
gewinnen sowieso.
1
23
38
0
51
Irland
0
Belgien
Portugal
15
Albanien
Vereinigte Staaten
34
Bermuda
29
Marokko
Der Flughafen Isla de Margarita liegt
auf der gleichnamigen Insel,
nördlich vor der Küste Venezuelas.
2004 schloss die Region mit einem
chilenischen Partner und dem
Flughafen Zürich einen Vertrag ab,
es ging um den Ausbau und den
Betrieb des Flughafens. Zwanzig
Jahre sollte der Vertrag laufen, doch
schon ein Jahr nach Abschluss war es
wieder vorbei: Der Flughafen wurde
verstaatlicht, und die Investoren aus
der Schweiz und aus Chile verklagten
den Staat auf mehr als 80 Millionen
US-Dollar. Die Schiedsrichter
sprachen den Unternehmen vor zwei
Jahren knapp 20 Millionen US-Dollar
zu. Abgeschlossen ist der Fall damit
aber noch nicht: Venezuela hat
Beschwerde gegen das Urteil
eingereicht. Erleichtert gewesen sein
dürften sie jedenfalls in Frankfurt:
Der Flughafenbetreiber Fraport war
ursprünglich auch in Gesprächen für
die Übernahme.
Japan
Pakistan
26
Vereinigte
Arabische
Emirate
Katar
SaudiArabien
3
17
Indien
Bangladesch
Myanmar
(Birma)
1
Ghana
FranzösischGuyana
Sri Lanka
Kamerun
Äquatorialguinea
26
0
Gabun
Uganda
26
0
Malaysia
1
KENIA
Kenia
Tansania
11
Peru
Bolivien
CHILE
Mosambik
ARGENTINIEN
Paraguay
7
3
Chile
Uruguay
3
59
Argentinien
Das lateinamerikanische Land wird
weltweit am häufigsten von
Unternehmen verklagt. Die meisten
Kläger haben ihren Sitz in Europa
oder in den USA: Allein acht Klagen
stammen von Unternehmen aus
Frankreich, sieben aus Spanien,
dazu kommen Klagen aus
Deutschland, Luxemburg, Großbritannien, Österreich und den
Niederlanden. 20 der insgesamt
59 Klagen kommen von Unternehmen aus den USA.
Simbabwe
Singapur
Das britische Unternehmen Cortec
Mining hatte in Kenia verschiedene
Investitionen im Minensektor
getätigt, unter anderem eine Lizenz
zum Abbau seltener Erden erworben.
Nun beschuldigt es die kenianischen
Behörden, die Lizenz ohne rechtliche
Grundlage wieder zurückgezogen zu
haben. Die Klage wurde 2015
eingereicht, der Fall ist noch nicht
abgeschlossen. Der Investor fordert
2 Milliarden US-Dollar.
Demokratische
Republik Kongo
Burundi
2
Von Gesundheitsexperten bekommt
Australien regelmäßig Lob für seine
strenge Rauchergesetzgebung. Nicht
nur, dass Werbung und Sponsoring
praktisch verboten sind – der
Tobacco Plain Packaging Act 2011
schreibt vor, dass Zigarettenschachteln nur in einheitlich grau-grüner
Verpackung mit abschreckendem
Bild verkauft werden dürfen. Der
Tabakkonzern Philip Morris Asia mit
Sitz in Hongkong klagte daher gegen
das Land. Im vergangenen
Dezember urteilten die Schiedsrichter: Australien hat recht. Denn: Als
der Konzern Philip Morris Australia
im Unternehmen Philip Morris Asia
aufgehen ließ – und damit die Klage
möglich machte –, habe sich die
beanstandete Gesetzgebung schon
abgezeichnet.
Philippinen
Äthiopien
Nigeria
Guyana
AUSTRALIEN
Vietnam
36
Venezuela
1
Thailand
Jemen
Sudan
Hongkong, China SAR
Macao, China SAR
Laos
0
3
Ecuador
Das spanische Unternehmen
Eduardo Vieira verdient sein Geld mit
tiefgekühltem Fisch. Daher sah es
seine Geschäftsinteressen bedroht,
als Chile 2001 eine Fangquote
einführte. Die Firma berief sich bei
ihrer Klage auf ein 1994 in Kraft
getretenes Abkommen zwischen
Chile und Spanien und forderte
22 Millionen US-Dollar. Das
Schiedsgericht wies die Klage ab –
weil der Konflikt seine Wurzeln in
einer Zeit habe, als das Abkommen
noch nicht in Kraft getreten war.
2
Iran
Oman
0
4
Barbados
Nicaragua
El Salvador
Panama
Costa Rica
0
Tadschikistan
Kuwait
Senegal
Guatemala
Kirgisistan
China
Libyen
2
Cape Verde
Das deutsche Unternehmen Walter
Bau war an einer Firma beteiligt, die
eine Konzession für Bau und Betrieb
einer mautpflichtigen Autobahn in
Bangkok erhielt. Doch die Behörden,
so der Vorwurf der Kläger, billigten
die Maut-Gebühren nicht in der
vereinbarten Höhe. Dadurch sei das
Projekt weniger rentabel gewesen.
Das Schiedsgericht gab schließlich
auf Grundlage eines 2002
abgeschlossenen Vertrags zwischen
Deutschland und Thailand dem
Investor recht – und sprach ihm
knapp 30 Millionen Euro zu.
Gefordert hatte er knapp
120 Millionen Euro.
Mongolei
Kasachstan
Turkmenistan
Aserbaidschan
Armenien
Ägypten
British Virgin Islands
7
15
Usbekistan
Israel
Jordanien
23
Dominikanische
Republik
0
Libanon
Spanien
Algerien
Belize
4
Zypern
Tunesien
Mexiko
VENEZUELA
THAILAND
19
Türkei
Griechenland
Malta
Gibraltar
1
8
Ukraine
Slowakei
Österreich
Republik Moldau
1
12
Ungarn
Slowenien
Rumänien
Italien Kroatien
Serbien
Bosnien und
Bulgarien
Georgien
Herzegowina
11
Mazedonien 19
Montenegro
Frankreich
138
Polen
Deutschland
Niederlande
Schweiz
1
3
Russland
Tschechische
Republik
Schweden
39
33
21
Madagaskar
0
6
Indonesien
3
1
Australien
1
1
Lesotho
Südafrika
Zahl der weltweit eingereichten Schiedsgerichtsklagen von 1987 bis 2015
70
66
Anzahl der Fälle, in denen
ein Land von ausländischen
Unternehmen auf Basis
von Handelsabkommen
verklagt wurde
Anzahl der Fälle, in denen
Unternehmen aus diesem
Land andere Staaten auf
Basis von Handelsabkommen verklagt haben
Anzahl der Fälle, in denen das Land
von Unternehmen aus anderen
Staaten auf Basis von Handelsabkommen verklagt wurde, sowie
Ausgang/Stand der Verfahren
51
38
Sonstiges *
Verfahren läuft noch
Staat und Unternehmen haben sich geeinigt
Unternehmen hat das Verfahren gewonnen
Staat hat das Verfahren gewonnen
0-5
6-10
11-20
21 +
## ##
*(z.B. Ausgang unbekannt oder Verfahren unterbrochen)
Quellen: UNCTAD; Schiedsgerichtsstelle der Weltbank; Permanent Court of Arbitration; School of International Arbitration; miningweekly.com; energycharter.org; Hamilton, Jonathan C. et al (Hrsg.): Latin American Investment Protections, Leiden, Boston, 2012
42
1
0
0
0
0
0
1
2
2
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
6
7
1996
1997
1998
14
13
1999
2000
38
53
42
35
27
25
10
43
40
54
16
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015