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Manuskript
Beitrag: Ungerechte Erbschaftsteuer –
Regierung schont reiche Unternehmer
Sendung vom 5. Juli 2016
von Jörg Göbel und Michael Haselrieder
Anmoderation:
Demnächst wird in Deutschland so viel Vermögen vererbt wie nie
zuvor. 2.000 Milliarden mindestens, eine Zahl mit zwölf Nullen,
werden nach Berechnungen der Banken in den kommenden
Jahren weitergereicht - aber nicht an alle. Die eine Hälfte der
Deutschen wird voraussichtlich gar nichts erben, außer vielleicht
Schulden. Und in der anderen Hälfte werden die besonders
reichen Firmenerben immer reicher und zahlen trotzdem weniger
Erbschaftsteuer. Jörg Göbel und Michael Haselrieder über
Gerechtigkeitslücken, die eigentlich geschlossen werden sollten –
eigentlich.
Text:
Die Familie Quandt. Die BMW-Erben führen die Liste der
reichsten Deutschen an. Geschätztes Vermögen: 26,5 Milliarden
Euro.
Auf Platz zwei: Familie Schaeffler. Ihnen gehört der
Reifenhersteller und Automobilzulieferer Continental. Geschätztes
Vermögen: 20 Milliarden Euro.
Unter den reichsten Deutschen sind viele weitere
Familienunternehmer: die Versandhändler-Familie Otto.
Geschätztes Vermögen: 9,2 Milliarden Euro.
Und die Lebensmittel-Dynastie der Oetkers. Geschätztes
Vermögen: 7,9 Milliarden Euro.
Sie alle haben eins gemeinsam: ein Riesenvermögen, das kaum
besteuert wird. Die Vermögensteuer ist längst abgeschafft und die
Erbschaftsteuer verschont ausgerechnet die Superreichen.
O-Ton Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung:
Wir haben bei der Erbschaftsteuer keine Steuergerechtigkeit.
Jemand mit 50.000, die er oder sie von einer Tante erbt, zahlt
eine höhere Erbschaftsteuer, als jemand der 50 Millionen in
der Form eines Unternehmens erbt. Da besteht also nicht die
Gerechtigkeit.
Zu diesem Urteil kam auch das Bundesverfassungsgericht. Ende
2014 erklärte es die Erbschaftsteuer für verfassungswidrig. Große
Betriebsvermögen dürften nur unter ganz bestimmten
Bedingungen verschont werden.
O-Ton Prof. Joachim Wieland, Verfassungsrechtler
Universität Speyer:
Das Bundesverfassungsgericht wollte mit seinem Urteil
größere Gerechtigkeit im Erbschaftsteuerrecht erreichen. Es
hat gesagt, wenn alle normalen Bürger Erbschaftsteuer
zahlen, dann sind die Hürden für die Befreiung von
Betriebserben sehr hoch.
Und das sind sie eben derzeit nicht - belegen Zahlen des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Danach wurden
Erbschaften und Schenkungen im Wert von 100.000 bis
200.000 Euro mit durchschnittlich 14,6 Prozent besteuert.
Übertragungen von 500.000 bis 2,5 Millionen Euro noch mit
8,5 Prozent. Doch die größten Erbschaften und Schenkungen,
von 20 Millionen Euro und mehr wurden nur minimal versteuert:
mit 1,8 Prozent.
Die größten Profiteure wollen weiter profitieren. Und das lassen
sie die Politik bei jeder Gelegenheit wissen. Die Stiftung
Familienunternehmen lädt ein, die Mächtigen kommen. Kanzlerin
Merkel ist ebenso zu Gast wie Außenminister Steinmeier. Beide
dürfen sich anhören, wie wichtig die Familienunternehmer sind.
O-Ton Prof. Brun-Hagen Hennerkes, Vorstandsvorsitzender
Stiftung Familienunternehmen:
Hier im Saal sind jetzt heute Repräsentanten eines Umsatzes
von mehr als 160 Milliarden und mehr als einer dreiviertel
Million Arbeitnehmer.
Die Kanzlerin distanziert sich vom Bundesverfassungsgericht: die
Familienunternehmen mehr zu belasten – nicht ihre Idee.
O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin:
Sie wissen, dass das Schönste gewesen wäre, das
Bundesverfassungsgericht hätte die Erbschaftsteuer so
gelassen, wie sie war. Da hatten sich alle dran gewöhnt. Aber
diesen Gefallen hat das Bundesverfassungsgericht uns nicht
getan.
Ihm auch nicht: Der Unternehmer Gerd Maas hat ein Buch über
das Erben geschrieben und fordert: weg mit der Erbschaftsteuer.
Schon gar nicht dürfe der Staat in Betriebsvermögen eingreifen.
O-Ton Gerd Maas, Verband „Die Familienunternehmer“:
Da ist das Problemeben große Unternehmen, große
Arbeitgeber, große Steuerzahler. Und wenn man da ins
Investitionsvolumen reingreift, wird das Arbeitsplätze,
Innovationspotenzial, Wettbewerbsfähigkeit gegenüber
Konzernen, die nicht erbschaftssteuerpflichtig sind, kosten.
Und die Rechnung geht mit einem negativen Saldo aus.
Die Erbschaftsteuer kostet Arbeitsplätze. Das behaupten viele
Familienunternehmer seit Jahren.
Wolfgang Grupp, Chef von Trigema, sieht das entspannter. Die
1.200 Mitarbeiter seines Familienunternehmens nähen T-Shirts,
Hemden und Hosen ausschließlich in Deutschland.
Unternehmertum bedeutet für Grupp, Verantwortung zu
übernehmen und Steuern zu zahlen. Die Erbschaftsteuer ist für
ihn kein Schreckgespenst.
O-Ton Wolfgang Grupp, Eigentümer Trigema:
Ich muss auch damit rechnen, dass ich größere Investitionen
habe oder mal eine Erbschaftsteuer und dafür muss ich
Reserven anlegen. Und deshalb kann es einen Betrieb nicht
so treffen, dass ich sage, plötzlich hat eine größere
Investition oder Erbschaftsteuer den Betrieb an den Rand
des Ruins gebracht. Im Übrigen kenne ich, glaube ich, keine
Firma, die aus Erbschaftsteuergründen Konkurs oder
Insolvenz angemeldet hat. Aber ich kenne viele Firmen, die
aus Unvermögen oder Fehlentscheidungen Insolvenz
angemeldet haben.
Trigema machte zuletzt 94 Millionen Euro Jahresumsatz. Das
Unternehmen hat keine Schulden. So möchte Wolfgang Grupp es
irgendwann mal seinen Kindern übergeben. Ob und wie viel
Erbschaftsteuer Wolfgang junior und Bonita Grupp dann zahlen
müssen, entscheidet sich gerade in Berlin.
Die Regierungskoalition hat sich auf eine Reform der
Erbschaftsteuer geeinigt. Nach anderthalb Jahren Streit zwischen
Union und SPD. Herausgekommen ist ein Kompromiss mit vielen
Ausnahmen und Sonderfällen. Für die hat vor allem die CSU
gekämpft.
O-Ton Hans Michelbach, CSU, Finanzausschuss Bundestag:
Wir haben eine verfassungskonforme, arbeitsplatzsichernde
und auch praxistaugliche Anpassung zu den Einwänden des
Verfassungsgerichtes gemacht, die vor allem die
Generationenbrücke stabilisiert und die Arbeitsplätze für die
Zukunft erhält.
Die CSU ist mit sich und dem Kompromiss zufrieden, die SPD
nicht. Trotzdem hat sie zugestimmt - und kritisiert zugleich,
Unternehmen könnten sich nach wie vor arm rechnen.
O-Ton Cansel Kiziltepe, SPD, Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages:
Ja, ich bin enttäuscht vom Ergebnis. Ich glaube, viele in
meiner Partei sind enttäuscht, weil die Erbschaftsteuer
gemeinsam mit der Vermögenssteuer einer der wenigen
Umverteilungsinstrumente ist, die einer Regierung zur
Verfügung stehen.
So sieht der Kompromiss aus: Erben von Betriebsvermögen bis
26 Millionen Euro zahlen nach wie vor so gut wie gar keine
Erbschaftsteuer, wenn sie Arbeitsplätze sichern. Die
Bundesregierung schätzt, das betrifft 99 Prozent der vererbten
Betriebsvermögen. Nur ein Prozent der Erbschaften und
Schenkungen sind größer als 26 Millionen Euro. Diese Erben
müssten jetzt eigentlich zahlen - doch Hintertüren bleiben. Denn
sie entgehen weiterhin der Steuer, wenn sie nachweisen, aus
ihrem Privatvermögen nicht zahlen zu können.
O-Ton Prof. Joachim Wieland, Verfassungsrechtler
Universität Speyer:
Dieses Ergebnis ist tatsächlich ein Affront gegenüber dem
Bundesverfassungsgericht, das höhere Hürden aufstellen
wollte für die Befreiung großer Erbschaften beim Übergang
vom Betriebsunternehmen. Man hat durch vielfältige kleine
Regelungen das so geändert, dass die Rechtslage jetzt eher
großzügiger ist, als vor der letzten Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes.
Und das, obwohl das oberste Gericht in den vergangenen
20 Jahren das Gesetz bereits drei Mal gekippt hat. Und jedes Mal
mahnten die Richter mehr Steuergerechtigkeit an. Bei dem neuen
Versuch der Bundesregierung haben die Grünen ein Wörtchen
mitzureden. Denn der Bundesrat muss dem neuen Gesetz noch
zustimmen. Und die Grünen regieren in zehn Bundesländern mit.
O-Ton Lisa Paus, B’90/GRÜNE, Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages:
Dieser Kompromiss, der taugt gar nichts, der ist
tatsächlicher Murks. Er ist garantiert nicht
verfassungsgemäß, er ist auch definitiv nicht gerecht und er
ist unendlich kompliziert und ein einziges
Konjunkturprogramm für Steuerberater.
Auch in der SPD regt sich Widerstand gegen den
Gesetzesentwurf, den die Parteiführung in Berlin mit beschlossen
hat. Der nordrhein-westfälische Finanzminister will im Bundesrat
nicht zustimmen.
O-Ton Norbert Walter-Borjans, SPD, Finanzminister
Nordrhein-Westfalen:
Man muss hier ganz klar mit dem Finger auf diejenigen
zeigen, die die Lobbyinteressen - und zwar in einer Weise,
wie ich sie vorher nicht kannte - vertreten haben. Und das ist
in der Koalition die CSU. Und da muss man mal ganz deutlich
sagen, es kann nicht sein, wir reden hier über Erbschaften,
die gehen ja bis an die 90 Millionen Euro pro Erben, nicht die
Erbschaft insgesamt, die hier freigestellt werden sollen. Ich
glaube, das kann man am Ende den Menschen im Land nicht
erklären.
Den Menschen im Lande ist auch schwer zu erklären, wie die
Politik seit Jahrzehnten versagt, wenn es um mehr Gerechtigkeit
bei der Erbschaftsteuer geht.
Abmoderation:
Am Freitag knöpft sich der Bundesrat das neue Gesetz vor. Wenn
das am Ende wieder nicht gerechter wird, dann muss das
Bundesverfassungsgericht zum vierten Male daran erinnern, dass
Eigentum verpflichtet!
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