Liebe-Freunde-Brief-SGB II-Rechtsvereinfachung

CAROLA REIMANN
MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES
STELLVERTRETENDE FRAKTIONSVORSITZENDE
KATJA MAST
MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES
SPRECHERIN DER AG ARBEIT UND SOZIALES
MARKUS PASCHKE
MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS
Liebe-Freunde-Brief – SGB II – Rechtsvereinfachung
Liebe Genossinnen und Genossen,
mit dem Neunten SGB II-Änderungsgesetz befindet sich derzeit ein - bei der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nicht unüblich - emotional diskutiertes Gesetzesvorhaben im Verfahren. Es wird
abschließend am 8. Juli 2016 im zweiten Durchgang im Bundesrat behandelt. Auf Grund der Komplexität sowie des Zusammenspiels von Rechtsprechung und Gesetz werden derzeit einige wenige
Teile politisch intensiv diskutiert und teilweise unvollständig oder falsch wiedergegeben.
Kern des Änderungspakets sind wichtige Reformen, die sowohl Leistungsbezieherinnen und beziehern als auch Jobcentern zu Gute kommen. Diese wurden gemeinsam von Bund, Ländern,
kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesagentur für Arbeit entworfen.
Welche Verbesserungen bringt das Gesetz?
Verbesserungen für Beziehende von Arbeitslosengeld II: Mehr Flexibilität bei der öffentlich geförderten Beschäftigung durch längere Fördermöglichkeiten und bessere Unterstützung, verlängerte
Bewilligungszeiträume für Leistungsbescheide und bessere Möglichkeiten zur Ausbildungsförderung,
vereinfachte Einkommensermittlung durch mehr Pauschalierungen ohne gleichzeitige Leistungskürzungen, Schaffung einer Gesamtangemessenheitsgrenze bei Miet- und Heizkosten (Bruttowarmmiete), Schutz von Arbeitslosengeld II vor Pfändung, längere Fördermöglichkeiten von Langzeitarbeitslosen durch eine nachgehende Unterstützung, eine bessere Verzahnung der Jobcenterangebote,
Stärkung der beratenden Funktion der Sozialpartner in den Beiräten der Jobcenter und bessere
Hinzuverdienstmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen.
Vereinfachungen für die Jobcenter: Leichtere Handhabung der Heiz- und Unterkunftskosten, eine
Vereinfachung von Krankenversicherungszuschüssen bzw. von ärztlichen Begutachtungen und eine
zusätzliche Entlastung der Jobcenter bei sogenannten „Aufstockern“ und Flüchtlingen.
Das SGB II-Änderungsgesetz ist daher ein wichtiger Schritt zur Rechtsvereinfachung im Bereich der
Grundsicherung für Arbeitssuchende. Dies gilt insbesondere für Leistungsbeziehende, die eine Ausbildung aufnehmen möchten, für Langzeitarbeitslose und schwerbehinderte Menschen. Dies gilt aber
auch für die Jobcenter, deren Verfahren entschlackt und rechtssicherer gestaltet werden. Daher soll
das Gesetz so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden.
Einige der geplanten Regelungen im Detail
Verlängerter Bewilligungszeitraum für Leistungsbescheide: Mit der Verlängerung des Regelbewilligungszeitraums für Leistungsbescheide von sechs auf zwölf Monate werden die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Jobcenter zukünftig von einer routinemäßigen halbjährlichen Prüfung aller Anträge entlastet und können sich damit stärker auf komplexe Fälle konzentrieren.
Gleichzeitig wird durch neue Regelungen zur vorläufigen Leistungsgewährung sowie zur Anrechnung und Erstattung von Leistungen sichergestellt, dass nach Ablauf des Bewilligungszeitraums
schneller Klarheit über die tatsächlich zustehenden Ansprüche besteht.
Es werden die Möglichkeit zur Ausbildungsförderung für Auszubildende in einer förderungsfähigen Berufsausbildung und Schüler, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
erhalten, verbessert. Sie können künftig aufstockend Arbeitslosengeld II unter Anrechnung von Ausbildungsvergütung und Ausbildungsförderung erhalten. Damit wird das Ziel verfolgt, die Aufnahme
und das Absolvieren einer Ausbildung zu erleichtern, indem durch die Aufstockung der Lebensunterhalt auch dann gesichert wird, wenn dies durch die Ausbildungsvergütung alleine nicht möglich wäre.
Gerade für die Teilzeitausbildung bietet dies eine neue Möglichkeit – insbesondere für Alleinerziehende.
Die für verschiedene Zielgruppen bestehenden Unterstützungsangebote der Jobcenter werden
besser verzahnt. Die Neufassung der Zusammenarbeitsvorschrift trägt der gestiegenen Bedeutung
der Zusammenarbeit der Jobcenter mit den verschiedenen Akteuren des Arbeitsmarktes, auch anderen Leistungsträgern sowie Dritten Rechnung. Der Wert einer guten Zusammenarbeit zeigt sich insbesondere bei den Jugendberufsagenturen, ABC-Netzwerken und den Integrationsanlaufstellen.
Zudem werden die Zuverdienstmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen in Integrationsprojekten erweitert. Außerdem können Integrationsämter ihre Ausgleichsabgabemittel auch für die
berufliche Orientierung behinderter Jugendlicher verwenden.
Künftig wird es möglich sein, eine Gesamtangemessenheitsgrenze zu bestimmen, die aus der
Summe aus „angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft“ und „angemessenen Aufwendungen
für die Heizung“ besteht. Es können dann höhere Aufwendungen für die Unterkunft durch geringere
Aufwendungen für die Heizung ausgeglichen werden und umgekehrt. Dies ist bisher im Regelfall
nicht möglich. Dadurch stehen insgesamt mehr angemessene Wohnungen zur Verfügung, weil höhere Aufwendungen für die Unterkunft durch geringere Aufwendungen für die Heizung ausgeglichen
werden können und umgekehrt.
Leistungsempfänger, die neben Arbeitslosengeld auch Arbeitslosengeld II aufstockend beziehen, werden künftig von den Agenturen für Arbeit betreut. Das bedeutet mehr Gerechtigkeit,
weil diese Menschen oft viele Jahre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt haben, ohne
aufgrund ihres geringen Verdienstes bisher Zugang zu den aktivierenden Leistungen der Agenturen
für Arbeit zu haben. Das ändern wir. Diese Gerechtigkeitslücke schließen wir. Überdies ist das ist
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auch eine Entlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern. Damit werden Kapazitäten für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen frei.
Die Überprüfung rechtswidriger Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen wird gesetzlich
klargestellt. Kern der Regelung: Es wird die bestehende Pflicht zur Rücknahme rechtswidriger nicht
begünstigender Verwaltungsakte zeitlich beschränkt, und zwar auf einen Zeitraum, der bis zu vier
Jahre zurückreichen kann. Nachzahlungen erfolgen, wie auch bei der Überprüfung sonstiger Entscheidungen maximal rückwirkend für ein Jahr. Hintergrund für diese Regelung sind die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 1996 und 13. Februar 2014, nach denen die
auf vier Jahre verkürzte Frist nach § 44 Absatz 4 SGB X auf nicht begünstigende Verwaltungsakte,
die insbesondere die Aufhebung, Erstattung und den Ersatz von bereits erbrachten Leistungen betreffen, keine Anwendung findet. Somit greift die bisherige Regelung des § 40 Absatz 1 Satz 2, der
die Überprüfung und Nachzahlung auf vier und bzw. ein Jahr begrenzt, zurzeit nicht. Andere Überprüfungsmöglichkeiten wie Widerspruch und Klage bleiben unverändert erhalten.
SGB II Rechtsvereinfachung und Verbesserungen für Alleinerziehende
Getrennt lebende Eltern und ihre Kinder müssen im Alltag viele Hürden überwinden und sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für Menschen, die Leistungen aus der Grundsicherung beziehen. Wir wollen sie dabei unterstützen, den Alltag gut zu meistern.
Überlegt wird daher, in der Grundsicherung für Arbeitsuchende einen Umgangsmehrbedarf einzuführen. Damit würden Hürden abgebaut, wenn das Kind einer/eines Alleinerziehenden Umgang mit dem
anderen Elternteil, der ebenfalls Arbeitslosengeld II bezieht, hat. Damit würde die aktuelle Rechtslage beendet, nach der die Eltern das Sozialgeld des Kindes stundenweise je nach Aufenthalt aufteilen müssen. Das Sozialgeld bliebe bei der/dem Alleinerziehenden und für den anderen Elternteil, der
Arbeitslosengeld II bezieht, würde ein Umgangsmehrbedarf eingeführt.
Das bedeutete mehr Geld, wenn beide Eltern Arbeitslosengeld II beziehen. Leistungsbescheide der
Jobcenter mit bis zu 200 Seiten würden der Vergangenheit angehören. Künftig müsste nicht mehr
stundengenau nachgewiesen werden, wo sich das Kind wann aufhält.
Leider konnte die geplante Verbesserung noch nicht abschließend mit unserem Koalitionspartner
konsentiert werden. Maßgeblich hierfür sind vor allem noch nicht ausgeräumte Finanzierungsvorbehalte seitens des Bundesfinanzministeriums. Deshalb ist die zuerst vorgelegte Änderung, die kontrovers diskutiert wurde, ersatzlos zurückgezogen worden.
Mit anderen Regelungen hingegen konnten wir konkret die Situation von Alleinerziehenden verbessern. So wird es künftig möglich sein, neben einer Ausbildung, deren Vergütung nicht für die ganze
Familie reicht, aufstockend Arbeitslosengeld II zu beziehen. Das macht es für viele oftmals erst möglich, den Schritt in eine Ausbildung oder Teilzeitausbildung zu gehen, weil nur so die finanzielle Basis
der Familie gesichert werden kann. In die gleiche Richtung geht die Einführung einer Weiterbildungsprämie mit dem Weiterbildungsstärkungsgesetz, welches wir Anfang Juni im Deutschen Bundestag verabschiedet haben. Die Teilnahme an einer mehrjährigen, abschlussbezogenen Weiterbil-
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dung kann für erwachsene Teilnehmerinnen und Teilnehmer, je nach persönlicher Situation, hohe
Anforderungen an Motivation und Durchhaltevermögen stellen. Mit der Einführung von Erfolgsprämien soll die Motivation erhöht werden eine von den Agenturen für Arbeit bzw. den Jobcentern geförderte abschlussbezogene berufliche Weiterbildung aufzunehmen, durchzuhalten und erfolgreich
abzuschließen. Daher haben wir mit dem Gesetz eine Prämie in Höhe von 1.000 Euro beim Bestehen einer Zwischenprüfung und in Höhe von 1.500 Euro bei erfolgreichem Abschluss der Weiterbildung eingeführt, die nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Das ist nicht nur eine zusätzliche Motivation, eine Ausbildung zu absolvieren, sondern hilft auch finanziell Familien mit geringem
Einkommen.
Klar ist aber auch: Wir müssen die Möglichkeiten der Betreuung beispielsweise in Kindergärten weiter verbessern, um z. B. auch eine gute Betreuung in Randzeiten zu gewährleisten.
Was haben SPD und CDU/CSU in intensiven Verhandlungen über den Gesetzentwurf noch
erreicht?
Menschen können künftig länger als bisher auf ihrem Weg zurück auf den Arbeitsmarkt gefördert werden, indem sie im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit eine öffentlich geförderte Beschäftigung ausüben – drei statt wie bisher nur zwei Jahre innerhalb eines Zeitraums von
fünf Jahren („3 aus 5“ statt wie bisher „2 aus 5“).
Für Personen, die eine Arbeitsgelegenheit ausüben oder durch einen Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II gefördert werden, kann künftig auch eine sozialpädagogische
Begleitung erstattet werden.
Die Stellung von Gewerkschaften und Arbeitgebern bei der Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten wird gestärkt.
Die Förderung von Arbeitslosengeld II beziehenden Menschen in Ausbildung wird gegenüber dem vorgelegten Gesetzentwurf weiter verbessert, indem Personen in bestimmten Härtefallsituationen, in denen beispielsweise der Abbruch der Ausbildung droht, besser unterstützt werden können als bisher.
Menschen, die aufgrund der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr bedürftig sind,
können die ersten Monate in ihrer neuen Tätigkeit durch weitere Hilfen nachgehend unterstützt werden.
Es wird klargestellt, dass die Mitwirkungspflichten bei der Beantragung einer vorzeitigen
Rente nicht verändert werden und es daher anders als berichtet, nicht häufiger zu einer
Rente mit Abschlägen („Zwangsverrentung“) kommt. Im Rahmen des Gesetzgebungsvorhabens zu flexiblen Übergängen in die Rente werden wir dieses Thema noch einmal angehen.
Durch eine Änderung der Unbilligkeitsverordnung parallel zur Gesetzgebung werden wir regeln, dass eine vorgezogene Rente mit Abschlägen („Zwangsrente“) auch dann nicht in Frage kommt, wenn später der Bezug von Grundsicherung im Alter die Folge wäre.
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Weitere Verbesserungen betreffen beispielsweise die Ausgestaltung von Eingliederungsvereinbarungen, die Verbesserung der Zusammenarbeit von Behörden, die Anrechnung von
Mutterschaftsgeld auf das Arbeitslosengeld II und die Abtretbarkeit von Leistungen der
Grundsicherung.
Die von der eingangs erwähnten Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgeschlagenen Änderungen beim
Sanktionenrecht hat die CDU/CSU abgelehnt. Es ist uns leider in zahlreichen Gesprächen nicht gelungen, unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen, dass Jüngere und Ältere Arbeitsuchende
gleich behandelt werden sollten und es keine Sanktionierung in die Übernahme der Kosten der Unterkunft geben darf. Dies bleibt weiter auf unserer Agenda. Dennoch haben wir mit dem vorgelegten
Gesetz viel für Arbeitsuchende und Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen, erreicht. Gleichzeitig
wird die Arbeit der Jobcenter etwas einfacher. Die Mitarbeiter der Jobcenter haben so mehr Zeit,
sich um die Menschen zu kümmern, die intensivere Unterstützung brauchen auf dem Weg zurück in
Arbeit.
Carola Reimann
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Katja Mast
Markus Paschke