Schattenblick Druckausgabe

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MA-Verlag
POLITIK / REPORT
Avantgarde francaise Gespaltene Ziele ...
Christian Mahieux im Gespräch
Vielfältige Streik­ und Protestbewe­
gung in Frankreich
Interview in Hamburg­St. Georg am
20. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Donnerstag, 30. Juni 2016
Gitterrost und Permafrost - bedingt prognosesicher ...
Prof. Antoni Lewkowicz im Gespräch
11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP)
vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam
Prof. Lewkowicz über das heterogene Erscheinungsbild des Permafrosts,
den allgemeinen Bewußtseinswandel für die Problematik des
Klimawandels und die Unzulänglichkeit heutiger Permafrostmodelle
(SB) ­ Christian Mahieux ist im Gewerkschaftsdachverband SUD Solidaires organisiert und gehört der (SB) ­ In den Permafrostregionen
Branchengewerkschaft SUD Rail an, der Erde befinden sich schätzungsdie die Interessen der Eisenbahner weise 1500 Gigatonnen Kohlenvertritt. In Unterstützung der Kämp- stoff. Das ist beinahe doppelt soviel,
fe gegen die geplante Reform des wie gegenwärtig in der AtmosphäArbeitsgesetzes, ... (Seite 5)
re vorliegen. Sollte es geschehen,
daß unter dem Einfluß der globalen
Erwärmung der Permafrost taut,
BUCH / SACHBUCH
könnte zumindest ein Teil des bis
dahin unschädlichen Kohlenstoffs
Feindbild Russland
in Form von Methan oder KohlenGeschichte einer Dämonisierung
dioxid in die Atmosphäre wandern
von Hannes Hofbauer
und damit den Klimawandel noch
(SB) - Kaum war in den frühen Morgenstunden des 24. Juni der überra- beschleunigen.
schende Sieg der EU-Skeptiker bei Angesichts dieser potentiellen Geder Volksabstimmung über den Aus- fahr wundert es nicht, daß die glotritt Großbritanniens aus der Euro- bale Bedeutung des Permafrosts eipäischen Union verkündet, als in Po- nes der zentralen Themen auf der
litik und Medien des Westens auch XI. International Conference On
schon die Suche nach den Schuldi- Permafrost oder kurz ICOP 2016 Prof. Antoni Lewkowicz erläutert die
unterschiedlichen
gen für das Debakel ... (Seite 9)
war. Eingeladen zu dieser alle vier Entstehungszeiten des Permafrosts
Jahre stattfindenden Konferenz, die
Foto: © 2016 by Schattenblick
in
diesem
Jahr
vom
20.
bis
24.
Juni
SPORT / BOXEN
2016 in Potsdam veranstaltet wur- sor Antoni Lewkowicz von der
de, hatte das Alfred-Wegener-Insti- Universität Ottawa, mehrere VorÜberheblichkeit läßt grüßen
tut Helmholtz-Zentrum für Polar- träge gehalten und Sessions geleitet
Chris Eubank hat leichtes Spiel mit
und Meeresforschung (AWI), und hat. Am Rande der Konferenz stellTom Doran
gekommen waren über 800 Teilneh- te er sich dem Schattenblick für ei(SB) ­ Der englische Mittelgewicht- merinnen und Teilnehmer aus aller nige Fragen zur Verfügung.
ler Chris Eubank hatte in der Londo- Welt. Viele von ihnen sind Mitglied
ner O2 Arena leichtes Spiel mit dem der Internationalen Permafrost Ver- Schattenblick (SB): Herr LewkoWaliser Tom Doran, der in der dritten einigung (IPA), deren Vorsitzender, wicz, hat sich das Problem der
Runde erstmals zu Boden .. . (S. 10) der kanadische Geographieprofes- Thermokarstbildung bereits auf
Elektronische Zeitung Schattenblick
dem Radar der Forscher befunden, gramme] oder SWIPA - Snow, Waals die Internationale Permafrost- ter, Ice, Permafrost in the Arctic Vereinigung gegründet wurde?
handelt, Kapitel zum tauenden Permafrost geschrieben. Alle betrachProf. Antoni Lewkowicz (AL): Ja, ten die Auswirkungen zumindest
wir wußten natürlich schon von der auf lokaler Ebene. Die AuswirkunThermokarstbildung. Die For- gen auf globaler Ebene sind einer
schungen dazu begannen schon vie- der Gründe, weswegen das Interesle Jahrzehnte zuvor. Aber 1983, im se auf diesem Gebiet so stark zugeGründungsjahr der Internationalen nommen hat. Denn das ist nicht nur
Permafrost-Vereinigung, haben wir die Sorge der arktischen Anrainergerade erst angefangen, die globale staaten oder der Länder mit HochKlimaerwärmung zu begreifen. Die gebirgen, sondern die jedes Menersten globalen Klimamodelle wa- schen.
ren Ende der siebziger Jahre vorgestellt worden. Ich selbst habe
1981/82 für ein Ingenieurbüro gearbeitet, und schon damals haben wir
den Klimawandel in unseren Modellen für ein Pipeline-Projekt im
Einzugsgebiet des Yukon in Alaska
berücksichtigt.
wenn wir die anthropogenen Treibhausgasemissionen nicht ernst nähmen und nichts zu ihrer Reduzierung unternehmen würden. Dann
würden die Permafrostmodelle sagen, daß die stärksten Veränderungen des Permafrostes tatsächlich
eintreten. Das beste Szenario lautet,
daß sich der Permafrost als sehr beständig erweist und eine Menge
Energie aufnehmen kann, bevor die
Erwärmung allzu große Auswirkungen in vielen Permafrostregionen hat. Wenn wir dann unsere
Das Phänomen des Klimawandels
tauchte also schon am Horizont auf,
doch natürlich wissen wir heute
sehr viel mehr darüber, wie die Erde und das Klima in den Permafrostregionen in Zukunft aussehen könnten - mit all den Folgen des
zukünftigen Permafrostrückgangs.
SB: Haben Sie den Eindruck, daß
die globale Problematik des zunehmenden Auftauens der Dauerfrostböden von den Regierungen unterschätzt wird?
Hudson Bay, Kanada, 28. Juni 2008
­ Typische Thermokarstseenland­
schaft, die durch oberflächlich auf­
tauende Permafrostböden charak­
terisiert ist. Die Wissenschaft rech­
net mit einer Verschiebung der
Thermokarstphänomene nach Nor­
den, wenn sich die Erde weiter er­
wärmt.
Foto: Steve Jurvetson, freigegeben
als CC­BY­2.0 [https://creative­
commons.org/licenses/by/2.0/]
AL: Ich glaube, daß es in den letzten zehn Jahren einen enormen
Wandel gegeben hat. Man kann keinen Bericht über die Veränderungen
in den arktischen Regionen und
nicht einmal in den Hochgebirgen
veröffentlichen, ohne den Begriff
"tauender Permafrost" zu verwenden. Und ich hoffe, es wird immer
"tauender" und nicht etwa "schmel- SB: Wenn Sie das ganze Spektrum
zender" Permafrost heißen! (lacht) an Simulationen und Modellen betrachten, die auf dieser Konferenz
Inzwischen werden in sämtlichen vorgestellt wurden, was würden Sie
Berichten über die Arktis, ob es sich als das Best-case- und was als das
um die Arctic Climate Impact As- Worst-case-scenario bezeichnen?
sessment, die AMAP-Berichte
[Anm. d. SB-Red.: AMAP - Arctic AL: Ich fange mit dem Worst-caseMonitoring and Assessment Pro- scenario an. Das wäre dann der Fall,
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Treibhausgasemissionen reduzieren
und die Erwärmung ausbremsen,
könnte der Permafrost in der Lage
sein, die Energie aufzunehmen, ohne daß die Entwicklung irreversibel
sein wird.
SB: Wie ist das zu verstehen, ist das
Auftauen des Permafrostes nicht
sowieso irreversibel, weil er seit der
letzten Eiszeit besteht?
AL: Einige Permafrostgebiete gibt
es erst seit wenigen Jahrhunderten.
Sie entstanden während der kleinen
Eiszeit, einer kalten Phase im 19.
Jahrhundert. Ich selbst habe in sehr
entlegenen Forschungsgebieten gearbeitet, in denen der Permafrost
nicht älter ist. Bei knapp der Hälfte
des Permafrosts handelt es sich um
eine dauerhafte gefrorene Zone. Die
Do, 30. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
ist. Er ist sehr heterogen, sein Auftauen wird zu räumlichen Mustern
führen. Das heißt, die verschiedenen Gebiete innerhalb der Permafrostwelt werden unterschiedlich
stark betroffen sein.
The number of publications per year
refering to permafrost has grown
from 200 in the 1990s to more than
800 today and the curve shows no
sign of leveling off.
(Prof. Lewkowicz bei der Eröff­
nungsveranstaltung der ICOP 2016)
(Z. Dt.: Die Zahl der Veröffentli­
chungen pro Jahr zum Thema Per­
mafrost ist von 200 in den neunziger
Jahren auf heute mehr als 800 ge­
stiegen, und die Kurve macht keine
Anzeichen abzuflachen.)
Foto: © 2016 by Schattenblick
wird selbst dann nicht verschwinden, wenn es zu der stärksten Erwärmung kommt, die wir uns vorstellen
können. Der Permafrost würde zwar
tiefer auftauen, was alle möglichen
Folgen für die betroffenen Regionen
hätte, aber er würde weiterhin bestehen. Das ist die Zone, in der er zur
Zeit sehr kalt und mächtig ist und in
der er von seinen Rändern her allmählich wärmer wird. Dort wird er
wahrscheinlich am ehesten verschwinden, weshalb das Gebiete
sind, aus denen vermehrt Kohlenstoff freigesetzt werden könnte.
Um Ihre Frage von vorhin zu ergänzen: Wenn noch mehr Treibhausgase in Form von Methan emittiert
werden, wäre das schlecht. Wenn
mehr in Form von Kohlenstoffdioxid emittiert würde, wäre es besser. Auch das wäre sicherlich nicht
gerade großartig, aber es hätte nicht
so starke Folgen, als wenn es zu
größeren Methanemissionen käme.
Was davon eintreten wird, hängt im
Detail davon ab, wie sich die Permafrostlandschaften wandeln. Wird
es mehr Wasser und Teiche geben,
entsteht mehr Methan. Wird es
trockener, wäre mit mehr Kohlenstoffdioxid zu rechnen. Eine Reihe
von Untersuchungen, von denen
hier auf der Konferenz berichtet
wurde, zeigt, daß diese Fragen tatsächlich relevant sind. Meiner Meinung nach haben wir zur Zeit noch
keine besonders guten Modelle,
aber wir arbeiten hart daran, um sie
zu verbessern.
SB: Herr Lewkowicz, vielen Dank
für das Gespräch.
Bisher im Schattenblick unter INF­
OPOOL → UMWELT → REPORT
zur Permafrostkonferenz in Pots­
dam erschienen:
INTERVIEW/227: Gitterrost und
Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ... Prof. Hans-Wolfgang
Hubberten im Gespräch (SB)
POLITIK / FAKTEN
poonal ­
Pressedienst lateinamerikanischer
Nachrichtenagenturen
Chile / Deutschland
Hungerstreik und symbolische
Schließung der Colonia Dignidad:
Angehörige von Verschwundenen
protestieren im Vorfeld des
Gauck-Besuchs
(Parral, 26. Juni 2016, fdcl) - An-
gehörige von Verschwundenen und
Folterüberlebende haben am gestrigen Sonntag erneut an den Toren
der Colonia Dignidad protestiert.
Sie forderten Wahrheit und Gerechtigkeit sowie das Ende von touristischen Aktivitäten in der Deutschensiedlung. Etwa sechzig Personen
befestigten Transparente in spanischer und deutscher Sprache mit der
Aufschrift "Geschlossen wegen
Menschenrechtsverletzungen" am
Eingangstor des Ortes, der sich
heute "Villa Baviera" nennt. Die
Protest-Aktivitäten begannen bereits am vergangenen Freitag mit
einer Demonstration durch die Regionalhauptstadt Talca und einem
zweitägigen Hungerstreik der Angehörigenorganisation. Dieser fand
in den Räumlichkeiten der Lehrergewerkschaft ("Colegio de Profesores") statt und wurde von verschiedenen sozialen und StudierendenOrganisationen unterstützt. Von
Talca aus fuhren die Protestierenden gestern gemeinsam zur etwa 40
km entfernt gelegenen Colonia Dignidad.
Die Vorsitzende der AngehörigenINTERVIEW/228: Gitterrost und organisation der Verschwundenen
Permafrost - Schrittmacher Men- von Talca, Myrna Troncoso, beschenhand ... Prof. Guido Grosse im zeichnete es bei einer Rede am Eingangstor der Colonia es als "beGespräch (SB)
schämend, dass ein Ort, der eine
Folterstätte war und an dem viele
http://www.schattenblick.de/
Menschen ermordet wurden heute
infopool/umwelt/report/
ein Tourismuskomplex ist". Ihr
Es ist wichtig zu verstehen, daß Perumri0229.html
Sohn war 1974 mutmaßlich in der
mafrost kein monolithischer Block
Do, 30. Juni 2016
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Elektronische Zeitung Schattenblick
Sektensiedlung verschwunden. Gabriel Rodríguez, der 1975 in der Colonia Dignidad gefoltert wurde,
fügte hinzu, dass seiner Meinung
nach die heutigen Bewohner der
Colonia Dignidad es "angesichts
der enormen Reichtümer, die durch
Straftaten wie Waffenhandel und
Sklavenarbeit - sogar von Kindern
- erwirtschaftet wurden, es nicht nötig haben, zu ihrer eigenen Finanzierung auf etwas für die Opfer so
verletzendes wie den Tourismus zurückzugreifen."
Zu einem Dialog kam es, als die für
den Tourismus in der Villa Baviera
Verantwortliche, Anna Schnellenkamp, die heute noch auf dem Gelände lebt, auf die Protestierenden
zuging. Sie versprach, dieses Jahr
kein Oktoberfest durchzuführen
und bot den Angehörigen und Überlebenden weitere Gespräche an. Sie
merkte jedoch an, dass sie sich gegenüber den Angestellten des Tourismusbetriebes in der Pflicht fühle.
Zur Vorbereitung der Reise des
Bundespräsidenten dient laut der
chilenischen Zeitung "La Segunda" eine Reise des Lateinamerikareferatsleiters des Auswärtigen
Amtes, Dieter Lamlé. Das chilenische Nachrichtenportal "El Mostrador" berichtete gestern, dass
Lamlé in den kommenden Tagen
die ehemalige Colonia Dignidad
besuchen werde. Im Hinblick auf
die Verteilung von Mitteln im
Rahmen eines einzurichtenden
Hilfsfonds, wolle er sich über den
Zustand in der Siedlung informieren. Zudem werde er sich mit
Adriana Bórquez, einer chilenischen Folterüberlebenden und
Efraín Vedder, einem von der Colonia Dignidad zwangsadoptierten
ehemaligen Siedlungsbewohner
treffen.
URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/hungerstreik-und-symbolische-schliessungder-colonia-dignidad-angehoerigevon-verschwundenen-protestierenim-vorfeld-des-gauck-besuchs/
Quelle:
*
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Herausgeber:
Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Köpenicker Straße 187/188,
10997 Berlin
Telefon: 030/789 913 61
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.npla.de
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/fakten/
pfmen328.html
POLITIK / AUSLAND / LATEINAMERIKA
Die Proteste finden wenige Tage
vor der Ankunft von Bundespräsipoonal ­
dent Joachim Gauck zu einem
Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Staatsbesuch in Chile (12-14. Juli
2016) statt. Nach dem kürzlichen
Eingeständnis von BundesaußenBrasilien
minister Frank-Walter Steinmeier,
Eduardo
Cunha:
dass die bundesdeutsche Diplomatie schwerwiegende Fehler im Fall Staatsanwaltschaft fordert Suspendierung für zehn Jahre
Colonia Dignidad begangen habe
do Cunha, steht kurz vor der Suspenund auf Informationen über Mendierung durch den Obersten Geschenrechtsverletzungen in der
richtshof Brasiliens. Ihm wird vorSiedlung nicht angemessen reagiert
geworfen, im Korruptionsskandal
habe, wird nun erwartet, dass Coloum das brasilianische Unternehmen
nia Dignidad eines der wichtigen
'Petrobras' direkt begünstigt worden
Themen des Gauck-Besuchs wird.
zu sein.
Laut 'Der Spiegel' haben sich in den
letzten Wochen mehrere Bundestagsabgeordnete mit Schreiben an
den Bundespräsidenten gewandt in Eduardo Cunha hat hier noch gut lachen Cunha soll 5,7 Mio. US-Dollar
denen sie Gauck baten, bei seinem Foto: Agencia Brasil Fotografias unterschlagen haben
Besuch in Chile deutsche und chi- (2015), CC BY­NC­SA 2.0
lenische Opfer der Colonia Digni- https://creativecommons.org/licen­ Obwohl der Abgeordnete Immunität
genießt, könnte ihm im südlichen
dad zu empfangen und damit ein ses/by­sa/2.0/
Bundesstaat Paraná wegen VerstöZeichen zu setzen für eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte (Caracas/Brasilia, 13. Juni 2016, te­ ßen in der Verwaltung der Prozess
der Colonia Dignidad (vgl. Der lesur) ­ Der Präsident der brasiliani- gemacht werden. Die Staatsanwälte
schen Abgeordnetenkammer, Eduar- fordern die Aufhebung seiner politiSpiegel Nr. 22/2016, S. 65).
Seite 4
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Do, 30. Juni 2016
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schen Rechte für zehn Jahre und sind Hintergrund
URL des Artikels:
davon überzeugt, dass Cunha ein
https://www.npla.de/poonal/eduarNutznießer der internationalen Kor- Am 26. April 2016 genehmigte der do-cunha-staatsanwaltschaft-fordertOberste Gerichtshof Brasiliens die suspendierung-fuer-zehn-jahre/
ruption sei.
Einleitung von zwei neuen UntersuNach Informationen der Ermitt- chungen wegen Korruptionsvorwür*
ler*innen spielte Korruption beim fen gegen den damaligen Präsiden- Quelle:
Kauf von 50 Prozent der Rechte ten des Abgeordnetenhauses, Eduar- poonal - Pressedienst lateinamerikazur Exploration der Erdöllagerstät- do Cunha. Cunha war die treibende nischer Nachrichtenagenturen
te in Block vier in dem afrikani- Kraft bei der Einleitung des Amts- Herausgeber:
schen Land Benin eine Rolle. Die enthebungsverfahrens von Präsiden- Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Ermittler*innen versichern außer- tin Dilma Rousseff. Der brasiliani- Köpenicker Straße 187/188,
dem, dass Cunha Geldwäsche im sche Politiker muss sich bereits in 10997 Berlin
Ausland unterstütze und sich un- drei laufenden Prozessen vor dem Telefon: 030/789 913 61
rechtmäßig bereichert habe. Kon- höchsten Gericht des Landes verant- E-Mail: [email protected]
kret wird Cunha beschuldigt, 5,7 worten, so brasilianische Quellen.
Internet: http://www.npla.de
Mio. US-Dollar auf nicht angegebenen Konten unterschlagen zu hahttp://www.schattenblick.de/infopool/politik/ausland/pala1585.html
ben.
Geldwäsche: Geheime Konten in
Uruguay
Die Ermittler*innen enthüllten,
dass es Beweise für eine unrechtmäßige parlamentarische Bereicherung gäbe. Auf Konten der Unternehmen SP, SP Triunfo und Netherton hätte es Bewegungen großer
Geldbeträge gegeben, die niemals
den zuständigen Behörden gemeldet worden seien, so die Arbeitsgruppe, die sich mit Geldwäsche
beschäftigt.
Gegen den Abgeordneten Cunha
werden noch weitere Anschuldigungen vorgebracht. So soll er in
Uruguay geheime Konten mit Bestechungsgeldern besitzen. Cunha
wies alle Vorwürfe gegen ihn zurück und versicherte, es handele
sich um ein Komplott mit dem Ziel,
sein Ansehen zu beschädigen.
Die Nachrichtenagentur "Prensa
Latina" informierte darüber, dass
die Kommission des brasilianischen
Senats, die mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin
Dilma Rousseff betraut ist, am 13.
Juni 2016 im Hinblick auf die Anzahl der noch vorzuladenden Zeugen über die Dauer das Prozesses
debattiert hätte.
Do, 30. Juni 2016
POLITIK / REPORT / INTERVIEW
Avantgarde francaise - Gespaltene Ziele ...
Christian Mahieux im Gespräch
Vielfältige Streik­ und Protestbewegung in Frankreich
Interview in Hamburg­St. Georg am 20. Juni 2016
(SB) ­ Christian Mahieux ist im Ge-
werkschaftsdachverband SUD Solidaires organisiert und gehört der
Branchengewerkschaft SUD Rail an,
die die Interessen der Eisenbahner
vertritt. In Unterstützung der Kämpfe gegen die geplante Reform des Arbeitsgesetzes, die die Arbeiterinnen
und Arbeiter Frankreichs mit weiteren Lohnsenkungen und Ausweitungen der Arbeitszeit konfrontiert, hatten der Ortsverein Hamburg im
ver.di-Fachbereich 08 und die Föderation der demokratischen Arbeitervereine (DIDF) Christian Mahieux
zu einer Veranstaltung im Hamburger Gewerkschaftshaus Besenbinderhof eingeladen [1]. Anläßlich
dessen bot sich dem Schattenblick
die Gelegenheit, den SUD-Aktivisten in einem von Lars Stubbe gedolmetschten Interview einige Fragen
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zum Stand der Entwicklung in
Frankreich zu stellen.
Christian Mahieux
Foto: © 2016 by Schattenblick
Schattenblick (SB): Herr Mahieux,
welche Rolle spielt SUD Solidaires
in den Protesten?
Christian Mahieux (CM): SUD Solidaires ist einer von zehn gewerkschaftlichen Dachverbänden in
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Frankreich. Er vertritt insgesamt
110.000 Mitglieder in ganz Frankreich und ist eine der fünf Gewerkschaften, die an den Auseinandersetzungen gegen das Arbeitsgesetz seit
über drei Monaten beteiligt sind.
SB: Woraus ergibt sich die nach
deutschen Verhältnissen relativ
große Zahl von Gewerkschaften und
worin unterscheiden sie sich über die
Zuständigkeit für verschiedene
Branchen hinaus?
CM: In der Tradition der französischen Gewerkschaftsbewegung ist es
historisch betrachtet nicht zu einer
Vereinigung auf nationaler Ebene zu
einer Einheitsgewerkschaft gekommen. Aus den verschiedenen Gründungen, aber auch Abspaltungen,
Neugründungen und Zusammenschlüssen haben sich die verschiedenen Gewerkschaftsdachverbände entwickelt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in ihnen unterschiedliche politische Positionierungen vertreten sind. Diese sind jeweils
in den verschiedenen Gewerkschaftsdachverbänden repräsentiert
und bilden ihrerseits übergreifende
Traditionen aus, in denen sich die
Geschichte der französischen Arbeiterbewegung spiegelt. Die vor circa
20 Jahren erfolgte Neugründung eines Gewerkschaftsdachverbandes
unter dem Namen Solidaires ergab
sich insbesondere aus der Notwendigkeit einer Demokratisierung innerhalb der Kämpfe und auch der
Demokratisierung der internen Organisation der Gewerkschaften.
SB: Der Kampf gegen die sogenannte Arbeitsreform ist unter den Gewerkschaften insofern umstritten, als
die CFDT die geplante Gesetzgebung weitgehend unterstützt. Wie
begründet dieser Gewerkschaftsdachverband sein Eintreten für die
Position der Regierung?
CM: In der CFDT wird seit mehreren Jahrzehnten die Strategie verfolgt, Regierungsinitiativen, von
welcher rechten oder linken AdminiSeite 6
stration sie auch ausgehen, im wesentlichen zu unterstützen. Dabei erweckt die CFDT den Eindruck, sie
wolle lediglich das kleinere Übel
wählen. So stellt sich die CFDT dem
Ansinnen des Staates und auch der
Arbeitgeberverbände im Grunde genommen nicht entgegen. Es gab auch
schon große Streiks, in denen sich
die Position der CFDT kontraproduktiv auf den Verlauf der Auseinandersetzung ausgewirkt hat.
SB: Die Frage der Finanzierung der
Gewerkschaftsarbeit ist für deren
Unabhängigkeit wesentlich. Erhalten
Gewerkschaften in Frankreich auch
Geld vom Staat, und wie wird das bei
SUD geregelt?
CM: Vor zwei Jahren hat sich die Finanzierung der Gewerkschaften verändert. Bis dahin gab es eine starke
indirekte Finanzierung für Aufgaben
wie Fortbildungsprogramme und
viele andere Formen der Gewerkschaftsarbeit, für die staatliche Gelder freigesetzt wurden. Dies ist vor
zwei Jahren dahingehend modifiziert worden, daß die Gewerkschaften jetzt Direktzahlungen erhalten,
deren Umfang im weitesten Sinne
den Ergebnissen bei den Betriebsratswahlen entspricht. Wir bei SUD
waren damals mit erheblichen Geldzahlungen konfrontiert und haben
das dann so diskutiert, daß wir auf
jeden Fall unsere Unabhängigkeit
erhalten wollen. So haben wir entschieden, unsere Finanzierung für
das interne Funktionieren der Gewerkschaft durch die Mitglieder beizubehalten, damit die hauptamtliche
Arbeit weitergehen kann. Das Geld,
das vom Staat zusätzlich kommt,
wird hingegen für besondere
Zwecke beiseite gelegt. Es wird
nicht für unser unmittelbares Funktionieren oder die Mobilisierung der
Mitglieder eingesetzt, um nicht in
die Falle der Korrumpierbarkeit zu
gehen. Über die Alternative, das
Geld gänzlich abzulehnen, wurde
natürlich heftig diskutiert, aber
schließlich haben wir uns für dieses
Vorgehen entschieden.
www.schattenblick.de
SB: Wie ist es um das Verhältnis
zwischen den streikenden Gewerkschaften und den Studierendenprotesten beziehungsweise der Nuit debout-Bewegung bestellt? Zeichnet
sich so etwas wie eine größere zusammenhängende Bewegung, vielleicht auch mit dem Ziel gemeinsamer politischer Interventionen wie
Streiks und Boykotts, ab? Oder sind
die Unterschiede doch zu groß?
CM: Es ist schwierig, Nuit debout
überhaupt als eine Bewegung zu bezeichnen. Man müßte hier zwischen
den verschiedenen Formen von Nuit
debout in den Städten und in ländlichen Regionen unterscheiden. Zum
Beispiel wird die Versammlung in
Paris von sehr vielen Leuten besucht,
die eigens am Abend in die Stadt
kommen, um dort an Nuit debout
teilzunehmen, aber nicht unbedingt
in Paris leben und von daher nicht an
weiterführenden Projekten orientiert
sein müssen. Dies ist jedoch in den
Vorstädten von Paris, aber auch in
kleineren Städten auf dem Land der
Fall, wo die Menschen leben und arbeiten, die sich an Nuit debout beteiligen. Von uns bringen sich auch viele Kolleginnen und Kollegen insbesondere natürlich in den Vorstädten
bei Nuit debout ein, aber gerade in
Paris zeigt sich doch sehr deutlich,
daß die dort Anwesenden nicht unbedingt dazu in der Lage sind, dem
ganzen Kontinuität zu verleihen. Ihre Interessen sind möglicherweise
ganz anders gelagert, oder sie wollen
sich auch nicht an weitergehenden
Formen des organisierten Protestes
beteiligen.
SB: Gibt es bei den Jugendlichen
noch so etwas wie ein grundsätzlich
sozialkämpferisches Interesse, oder
geht es bei den Protesten der Schülerinnen und Studierenden vor allem
darum, ein größeres Stück vom gesellschaftlichen Kuchen zu erhalten?
CM: Das Phänomen Nuit debout unterscheidet sich schon allein durch
seine Größe durchaus von den anderen europäischen, insbesondere den
Do, 30. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
spanischen Bewegungen. Natürlich
kommen dort viele Jugendliche
abends auf den Plätzen zusammen,
aber in bei weitem nicht so großer
Zahl wie beispielsweise bei den
Versammlungen, die in Madrid,
Barcelona und anderen Städten
Spaniens stattgefunden haben. Zudem gibt es ganz unterschiedlich
konfigurierte Stränge bei Nuit debout, so daß man kaum von einer
einheitlichen Auffassung sprechen
kann. Wir haben zum Beispiel mit
einer Gruppe zusammengearbeitet,
die sich Generalstreik nannte. In
unseren intensiven Diskussionen
über die Möglichkeiten, einen Generalstreik durchzuführen, haben
sie uns auch über die Debatten bei
Nuit debout berichtet. Dort waren
die Reaktionen ganz verschieden.
Während die einen an dieser Möglichkeit des Protestes sehr interessiert waren, haben andere zu verstehen gegeben, daß sie davon nichts
wissen und lieber auf Distanz zu
klassischen Arbeitskämpfen gehen
wollen.
Wir bei SUD wollen die Diskussion mit den Leuten von Nuit debout
nicht vermeiden, wie es manche
Gewerkschaften durchaus tun. Zugleich sind wir aber auch nicht der
Ansicht, daß wir nur durch die Zusammenarbeit mit Nuit debout in
der Lage wären, das Projekt der Arbeitsgesetzreform in irgendeiner
Weise zu Fall zu bringen.
SB: Ist die Möglichkeit, einen Generalstreik zu initiieren, in Sicht aufdie
Basis der Menschen, die ihn durchsetzen müßten, überhaupt gegeben,
und was wäre sonst denkbar, um in
diesem Sinne die Machtfrage zu stellen?
CM: Die Frage nach dem Generalstreik ist in der Tat auch unsere Frage, die Frage von Solidaires, aber
auch die Frage von vielen weiteren
Gewerkschaften wie der CGT, der
UNSA und CNT, die sie von Anfang
an mit in die Diskussion gebracht haben. Und sie bleibt meines Erachtens
unsere zentrale Frage. Fakt ist jedoch, daß wir zwar in der Lage sind,
branchenübergreifende und auch
branchenspezifische Streiks wie beispielsweise bei der Bahn oder den
Raffinerien für bestimmte Zeiträume
zu organisieren, wie wir auch zu
großen branchenübergreifenden Demonstrationen aufrufen können. Was
jedoch die Frage des Generalstreiks
angeht, gibt es Mobilisierungsprobleme, die auch damit zu tun haben,
daß es in den letzten Jahren erhebliche Niederlagen gab und die Leute
danach fragen, welche Perspektiven
sich aus solchen Streiks ergeben. Das
ist in etwa die Situation, nichtsdestotrotz denke ich, daß die Frage des
Generalstreiks und ob wir ihn tatsächlich erreichen und umsetzen
können, weiterhin auf der Tagesordnung steht und offen ist. Das wird die
Zukunft zeigen.
SB: Durchaus wirkungsvoll zumindest aus deutscher Sicht waren in
Frankreich Autobahnblockaden etwa
bei Protesten der Bauern oder Fernfahrer. Unter den eng ineinandergreifenden Produktionsbedingungen
heutiger Industrien scheinen Blockaden der Telekommunikation und der
Verkehrswege ein wirksames Mittel
in Arbeitskämpfen zu sein. Werden
solche Möglichkeiten auch diskutiert?
Bericht über die Kämpfe
in Frankreich aus erster Hand
Foto: © 2016 by Schattenblick
Do, 30. Juni 2016
CM: Wir haben auch eng mit der
Gruppierung On bloque tout (Wir
blockieren alles) zusammengearbeiwww.schattenblick.de
tet, von daher ist es durchaus unsere
Haltung zu sagen, daß man die Wirtschaft blockieren muß, um etwas zu
erreichen. Während wir dieses Prinzip grundsätzlich teilen und auch
weiterhin verfolgen, darf es nicht dazu führen, daß man sich, überspitzt
gesagt, zwar bereitwillig dazu hergibt, das Fabriktor zu blockieren und
sich darüber zu freuen, daß nichts
mehr heraus und hereinkommt,
gleichzeitig aber in der Fabrik niemand ist, der den Streik auch tatsächlich durchführt. Das eine darf
das andere nicht ersetzen. Hier sehe
ich die Gefahr, daß das in manchen
Bereichen nicht ausreichend reflektiert wird, aber von der grundsätzlichen Orientierung her stehen wir
dem Ansatz der Blockaden natürlich
nahe.
SB: Mit dem Front National (FN)
gibt es in Frankreich eine sehr starke
rechte Bewegung, die sozialdemagogisch agiert, indem sie behauptet,
die Interessen der kleinen Leute zu
vertreten. Wie verhalten sich die
streikenden Gewerkschaften zu diesem Versuch, die Frustration der
Menschen über die herrschenden
Verhältnisse von rechts zu vereinnahmen?
CM: Auch hier gibt es zwei Dinge
zu bemerken. Zum einen arbeiten
einige Gewerkschaften, so CGT,
FSU und Solidaires, seit einigen
Jahren insbesondere im Bereich
der gewerkschaftlichen Bildung
intensiv zusammen. Wir veranstalten gemeinsam Seminare beispielsweise zur Frage des Umgangs mit rechten Parteien wie
dem FN. Das ist schon vor der aktuellen Protestbewegung entstanden. So kann man Flagge zeigen
und etwas gegen diese Bedrohung
tun. Zum anderen zeigt sich, daß
der FN in Zeiten wie jetzt, wo es
eine starke soziale Bewegung gibt,
zumindest auf medialer Ebene
kaum mehr in Erscheinung tritt.
Der FN ist in den Medien so gut
wie unsichtbar, auch wenn er leider weiterhin existiert.
Seite 7
Elektronische Zeitung Schattenblick
Das hat damit zu tun, daß er zum
einen eine Bewegung ist, die versucht, mit populistischen Elementen
Politik zu machen, zum anderen aber
die Interessen der Arbeitgeber und
der Unternehmerverbände vertritt.
Daraus können wir die Lehre ziehen,
daß eine soziale Bewegung eines der
besten Mittel ist, um gegen die Rechte vorzugehen, was auch in Zeiten einer linken Regierung erforderlich ist.
Wenn diese Bewegung allerdings
von dieser linken Regierung gewaltsam gebrochen wird, dann ist das
dem FN sicherlich sehr zuträglich.
SB: Inwiefern versucht die französische Regierung, mit dem Argument,
Frankreich müsse im Wettbewerb der
Nationalstaaten bestehen und bei der
Senkung der Arbeitskosten so gut wie
oder sogar noch besser als die Bundesrepublik sein, um sich einen
Standortvorteil zu sichern, Akzeptanz
für die Arbeitsreform zu schaffen?
CM: Dieses Argument ist natürlich
zentral nicht nur bei der Regierung,
sondern auch den Unternehmerverbänden. Eine ähnliche Situation besteht zwischen Italien und Frankreich, aber vor allem wird auf
Deutschland Bezug genommen,
wenn die Forderung aufgestellt wird,
daß zugunsten des Erhalts der Wettbewerbsfähigkeit die Kosten gesenkt
werden müssen. Auf diese Entwicklung stößt man überall in Europa, also auch in Frankreich. In der Konsequenz betonen wir die Notwendigkeit, einen sehr viel effizienteren Internationalismus in der Arbeiterbewegung oder unter den Gewerkschaften zu schaffen, um diesem Argument und dieser Vorgehensweise
etwas entgegensetzen zu können.
SB: Wir sind hier im Hamburger Gewerkschaftshaus. Wieviel Unterstützung erfährt die französische Protestbewegung von deutschen wie von
anderen Gewerkschaften?
Insbesondere zum Aktionstag am 14.
Juni wurden viele Demonstrationen
vor französischen Botschaften angemeldet, die auch international Beachtung fanden. Es kamen auch internationale Delegationen zur Demonstration am 14. Juni nach Paris. Grundsätzlich jedoch besteht das Problem,
daß beispielsweise CGT, Force ouvrière, SUD und andere Gewerkschaften, die gegen den Gesetzesentwurf kämpfen, in Organisationen wie
dem Europäischen Gewerkschaftsbund zusammen mit einer Gewerkschaft wie der CFDT, die sich für das
Arbeitsgesetz ausspricht, befinden.
Dies hat eine gewisse Lähmung hinsichtlich des Anspruchs, sich in dieser Angelegenheit solidarisch zu verhalten und öffentlich Stellung zu beziehen, zur Folge. Daher hat Solidarires seit einiger Zeit ein internationales Gewerkschaftsnetzwerk entwickelt. Wir rufen zwar keine neue
Gewerkschaftsinternationale aus,
aber haben eben versucht, über dieses
Netzwerk Informationen zu verbreiten und auch Solidarität zu erzeugen.
Im Moment scheint mir das das
Wichtigste zu sein: die größtmögliche
Menge an Arbeitern und Beschäftigen
mit konkreten Informationen über
den Stand der Auseinandersetzung
und diese Bewegung zu versorgen.
Gewerkschaftshaus
in Hamburg­St. Georg
Foto: © 2016 by Schattenblick
Anmerkung:
[1] BERICHT/238: Avantgarde francaise - Widerstand am Mahlzahn der
Zwänge ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0238.html
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/report/
prin0316.html
Liste der neuesten und
tagesaktuellen Nachrichten ...
Kommentare ...
Interviews ... Reportagen ...
Textbeiträge ... Dokumente ...
Tips und Veranstaltungen ...
http://www.schattenblick.de/
infopool/infopool.html
CM: Was die Solidarität angeht, so
wurde sie von verschiedensten Ge- SB: Herr Mahieux, vielen Dank für
werkschaften in aller Welt gewährt. das Gespräch.
Seite 8
www.schattenblick.de
Do, 30. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
BUCH / SACHBUCH / REZENSION
Hannes Hofbauer
Feindbild Russland
Geschichte einer Dämonisierung
Kaum war in den frühen
Morgenstunden des 24. Juni der
überraschende Sieg der EU-Skeptiker bei der Volksabstimmung über
den Austritt Großbritanniens aus
der Europäischen Union verkündet,
als in Politik und Medien des Westens auch schon die Suche nach
den Schuldigen für das Debakel los ging. Neben den englischen Wutbürgern fand sich in vielen Kommentaren als weiterer vermeintlicher Verursacher des Brexit der russische Präsident Wladimir Putin.
Michael McFaul, von 2012 bis 2014
Botschafter Washingtons in Moskau, schickte noch in derselben
Nacht aus den USA folgende
Tweets: "Schockiert über BrexitVotum! Verlierer: EU, UK, USA,
diejenigen, die an ein starkes, vereintes, demokratisches Europa
glauben. Gewinner: Putin." "Gratuliere Putin zu seinem heutigen Sieg
beim Brexit. Dies ist ein gigantischer Erfolg für Putins außenpolitische Ziele."
(SB) ­
In einem Klagelied über den "Tag
der Verzweiflung" für die britischen
EU-Befürworter zeichnete am 25.
Juni im liberalen Londoner Guardian dessen Chefkommentator Jonathan Freedland die neue Frontlinie
in grellen Farben:
Und wir haben gesehen, wer ap­
plaudierte und wer weinte. Unsere
Freunde in Paris, Berlin und Wa­
shington waren fassungslos und
enttäuscht. Gejubelt haben die An­
führerin des französischen Front
Nationale, Marine Le Pen, der
rechtsextreme niederländische Par­
lamentsabgeordnete Geert Wilders,
Do, 30. Juni 2016
der österreichische Rechtsaußen
Norbert Hofer und natürlich Do­
nald Trump ­ passenderweise der
erste internationale Gast in diesem
neuen Land Ukipanien. Und wer
sich zweifellos, weit entfernt von
den Kameras, ein wölfisches Grin­
sen erlaubte, war ein gewisser Wla­
dimir Putin.
Bereits eine Woche vor der Volksbefragung in Großbritannien und
Nordirland hatte der britische Premierminister und Vorsitzende der
Conservative Party, David Cameron, der eigentliche Hauptverantwortliche für das Brexit-Fiasko, Putin ohne jede Begründung in einem
Atemzug mit Abu Bakr Al Baghdadi, dem selbsternannten Kalifen der
"Terrormiliz" Islamischer Staat, als
Instanz genannt, die über einen
Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und die damit einhergehende Schwächung des europäischen Integrationsprozesses sowie der transatlantischen Partnerschaft mit den USA "glücklich" wäre. Von daher darf man sich über
Freedlands ähnlich beleidigende
Hochstilisierung Putins zu einer Art
Sauron mit Rußland als Mordor
nicht wundern. Sie ist nur ein weiteres Beispiel jener Dämonisierung
des Russischen, die Hannes Hofbauer in seinem hochinformativen
Buch "Feindbild Rußland" analysiert.
Der österreichische Journalist, Verleger und Historiker ist Experte in
Sachen Osteuropa-Politik, über die
er seit 1988 zahlreiche Artikel und
Bücher geschrieben hat. In seinem
neuesten Werk schildert er die Gewww.schattenblick.de
Hannes Hofbauer
Feindbild Russland
Geschichte einer Dämonisierung
Promedia Verlag, Wien, 2016
303 Seiten
ISBN: 978­3­85371­401­0
schichte des Spannungsverhältnisses zwischen den westlichen Mächten und dem orthodoxen bzw. zwischenzeitlich kommunistischen
Rußland seit dem Aufstieg des
Moskauer Großfürstentums zu einer
europäischen Großmacht unter der
Führung von Iwan dem Großen Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts. Als bestimmend für die westliche Wahrnehmung Rußlands
macht Hofbauer das "Überlegenheitsgefühl der Kultur des Römischen Rechts" aus, die bis heute
"Russland und die Russen als rückständig, vormodern und unterentwickelt" identifiziert und "diesem
Befund noch das Pathologische"
andichtet (S. 281).
Aus westlicher Perspektive gilt
Rußland - ob jenes Iwans des
Schrecklichen, Stalins oder Putins stets als Bollwerk der Antimoderne,
das zwingend überwunden werden
muß, damit der westliche Fortschritt
endlich die gesamte Menschheit beglücken kann. Daß sich hinter der
Fassade der "mission civilisatrice"
des Westens handfeste Begehrlichkeiten wie "Lebensraum" für NaziDeutschland oder der Zugriff internationaler Großkonzerne auf die
unermeßlichen Naturresourcen des
flächenmäßig größten Landes der
Erde zwischen Sankt Petersburg
und Sachalin verstecken, versteht
sich von selbst.
Hofbauer legt dem Leser eine fundierte Untersuchung der historischen Wurzeln der Dauerrivalität
Moskaus mit Berlin, Wien, Paris,
London und Washington vor. Dies
ermöglicht es ihm, die geschichtliSeite 9
Elektronische Zeitung Schattenblick
che Kontinuität der heutigen Konfrontation nachzuzeichnen. Der Autor wertet nicht nur Dokumente,
Bücher und Artikel aus, sondern zitiert auch aus den zahlreichen Gesprächen, die er über die Jahre bei
seinen häufigen Besuchen in Osteuropa und Rußland mit Politikern,
Publizisten und Aktivisten geführt
hat. Besonders überzeugend ist seine Erklärung für die Entfremdung,
die zwischen dem Westen und Rußland ab Ende der neunziger Jahre
eingetreten ist. Ähnlich anderen
Kennern der Materie wie George
Kennan, dem Architekten der Containment-Strategie Washingtons im
Kalten Krieg, oder Stephen F. Cohen, dem derzeit führenden Rußland-Experten der USA, führt Hofbauer die steigenden Spannungen
im Raum zwischen Baltikum und
Schwarzem Meer auf das unaufhaltsame Vordringen der NATO
nach Osten, ganz als habe Rußland
keinerlei Sicherheitsinteressen, die ist nicht ersichtlich, wie Washingberücksichtigt werden müssen, zu- ton und Moskau eine Lösung der
rück.
Ukraine-Krise finden könnten, die
es beiden Seiten erlaubte, das GeDie Lektüre Hofbauers empfähle sicht zu wahren. Auf amerikanisich insbesondere jenen, die stets scher Seite scheinen die tonangeden Splitter im Auge Putins, nicht benden Neokonservativen ohnehin
aber den Balken im Auge Barack nicht auf Kompromiß aus zu sein,
Obamas oder Angela Merkels se- sondern weiterhin die Verwirklihen. Doch leider sind solche Leute chung ihres vordringlichsten Ziels
vermutlich ebensowenig bereit, das eines "Regimewechsels" in Moskau
vorliegende Buch zu lesen, wie die anzupeilen, weshalb Hillary Clinzahlreichen Warnungen ehemaliger ton, die aller Wahrscheinlichkeit
Diplomaten und Militärs vor einem nach im Januar 2017 als erste Prädritten Weltkrieg ernst zu nehmen. sidentin der Vereinigten Staaten ins
Durch den mit Hilfe der CIA und Weiße Haus einziehen wird, in eides State Department durchgeführ- ner ersten Reaktion auf den Austen Putsch in Kiew 2015, dessen gang der Brexit-Abstimmung unter
Hintergründe Hofbauer akribisch Verweis auf den "Autokraten im
ausleuchtet, hat die NATO mutwil- Kreml" aufAmerikas "Engagement
lig eine "rote Linie" Rußlands über- in Europa" insistierte.
schritten und damit fast zwingend
die Lunte an einen sehr großen mihttp://www.schattenblick.de/
litärischen Konflikt gelegt. Angeinfopool/buch/sachbuch/
sichts der aktuellen Konstellation
busar658.html
SPORT / BOXEN / MELDUNG
Überheblichkeit läßt grüßen
Chris Eubank hat leichtes Spiel mit Tom Doran
(SB) ­ Der englische Mittelgewicht-
ler Chris Eubank hatte in der Londoner O2 Arena leichtes Spiel mit dem
Waliser Tom Doran, der in der dritten Runde erstmals zu Boden ging
und nach drei weiteren Niederschlägen im vierten Durchgang endgültig
die Segel streichen mußte. Der
Kampf begann indessen recht seltsam, da Eubank zunächst reglos in
seiner Ecke verharrte und vom
Ringrichter angesprochen werden
mußte, was mit ihm los sei. Dann fing
er betont langsam an zu boxen, wie
um hervorzuheben, daß er diesen
Gegner in Zeitlupe besiegen könne.
Doran bestrafte ihn dafür mit einigen
schnellen Schlägen und hielt in dieser Phase noch gut mit. Als traue er
Seite 10
dem Frieden nicht, ging der Außenseiter in der zweiten Runde sehr vorsichtig zu Werke, und da auch Eubank nichts Besonderes unternahm,
schwoll der Unmut des Publikums zu
beträchtlicher Lautstärke an.
Das änderte sich im folgenden
Durchgang, als Eubank den Gegner
mit einem Uppercut überraschte und
ihn an den Seilen sofort mit Schlägen eindeckte, bis er zu Boden ging.
Dieser Ansturm setzte sich in der
vierten Runde fort, worauf Doran erneut niederfiel. Während er mühsam
wieder aufstand, brüstete sich Eubank mit Schlägen aus ständig wechselnden Vektoren und schickte den
Kontrahenten erneut auf die Bretter.
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Dann fror er in dieser Pose ein, was
angesichts seines überforderten
Gegners absolut lächerlich anmutete. Nun hatte Doran sichtlich genug
und erhob sich so lustlos, daß
Ringrichter Marcus McDonnell den
Kampf beendete. [1]
Dank dieses Erfolgs baute der 26jährige Chris Eubank seine Bilanz auf
23 Siege und eine Niederlage aus,
während sich der fünf Jahre ältere
Waliser nach 17 gewonnenen Auftritten erstmals geschlagen geben
mußte. Als habe er nicht wie schon
in seinen beiden vorangegangenen
Kämpfen erneut einen zweitklassigen Gegner besiegt, verkündete der
junge Engländer vollmundig, er sei
Do, 30. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
für jeden Weltmeister bereit. Das
Einverständnis Gennadi Golowkins
ließ in den sozialen Medien nicht
lange auf sich warten, und dessen
Promoter Tom Loeffler kündigte eine Titelverteidigung gegen Eubank
für August oder September an. Da
weder Saul "Canelo" Alvarez noch
WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders Lust hat, sich von dem Kasachen auf die Bretter schicken zu lassen, nimmt dieser erwartungsgemäß
mit Eubank vorlieb.
Die vieldiskutierte Frage bleibt jedoch, ob Chris Eubank und sein
gleichnamiger Vater allen Ernstes
glauben, sie könnten Golowkin besiegen, oder zumindest tatsächlich
bereit sind, das Risiko einzugehen.
Was der Brite gegen Doran abgezogen hat, würde nie und nimmer für
den Kasachen reichen, der nicht von
ungefähr die Titel der Verbände
WBA, WBC, IBF und IBO in seinen
Besitz gebracht hat. Eubank dominierte zwar den Gegner, wurde aber
selber des öfteren von Doran getroffen, der recht schnell und kräftig zuschlug. Solche Lücken wären bei einem Kontrahenten vom Kaliber Golowkins, der seit sieben Jahren jeden
Gegner vorzeitig besiegt hat,
schlichtweg verhängnisvoll. [2]
Was bei dem jungen Chris Eubank
besonders negativ zu Buche schlägt,
ist seine demonstrativ zur Schau gestellte Überheblichkeit, die vor der
Herabwürdigung eines schwächeren
Gegners nicht haltmacht. Waren
schon seine selbstgefälligen Gesten
im Ring mehr als grenzwertig, so
galt das um so mehr für sein Gehabe
nach dem Kampf. Selten hatte man
eine abschließende Pressekonferenz
erlebt, auf der ein siegreicher Boxer
so wenige Worte für seinen unterlegenen Gegner fand. Statt dessen ließ
sich Eubank darüber aus, wie er Golowkin lektionieren werde, der ganz
gewiß nicht bereit für die Anforderung sei, sich mit ihm zu messen.
Frist gesetzt, sich endlich definitiv
für oder gegen einen Kampf zu entscheiden. Demnach wird sich bald
herausstellen, ob Vater und Sohn den
guten Namen des Kasachen nur im
Munde führen, um Aufmerksamkeit
zu erregen, oder tatsächlich Nägel
mit Köpfen machen wollen. Seit der
Niederlage gegen seinen Landsmann
Billy Joe Saunders im Jahr 2014 hat
Chris Eubank zwar alle Auftritte
souverän gewonnen, dabei aber keine hochklassigen Gegner vor den
Fäusten gehabt. Dennoch scheint
ihm die jüngste Siegesserie zu Kopf
gestiegen zu sein, wenn er meint, mit
dem Kasachen gleichermaßen verfahren zu können. [3]
Anmerkungen:
[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/chris-eubankjr-vs-tom-doran-results/#more212550
[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/16515740/george-grovesoutpoints-martin-murray-set-another-world-title-shot
[3] http://www.boxingnews24.com/2016/06/eubank-jr-goDer ehemalige Weltmeister Carl lovkin-youre-not-ready-whats-coFroch steht mit dem Verdacht nicht ming/#more-212657
allein, daß sein junger Landsmann
gar nicht gegen Golowkin antreten [4] http://www.boxingwill. Seines Erachtens käme dieser news24.com/2016/06/froch-eubankKampf ohnehin zu früh für Eubank, jr-doesnt-want-golovkin-fight/#moder sich lieber darauf konzentrieren re-212626
solle, den britischen Titel noch eine
Weile zu verteidigen und dann Eurohttp://www.schattenblick.de/
pameister zu werden. Sobald dies geinfopool/sport/boxen/
schafft sei, könne ein Ausscheisbxm1992.html
dungskampf folgen, dessen Sieger
schließlich auf einen Weltmeister
treffe. Froch weiß, wovon er spricht,
wenn er eine in fundierten Schritten
aufgebaute Karriere empfiehlt.
Das würde für Eubank bedeuten, sich
in absehbarere Zeit mit namhaften
Gegnern wie Daniel Jacobs, Tureano
Johnson, Andy Lee oder David Lemieux zu messen. Ihm steht jedoch
offenbar eher der Sinn danach, von
zweitklassigen Kontrahenten wie
Nick Blackwell und Tom Doran direkt zu Golowkin zu springen und
dabei die Top 15 auszulassen. Selbst
sein Promoter Eddie Hearn schätzt
einen Kampf gegen den Kasachen
als höchst riskant ein, weshalb er ihn
lieber zu einem späteren Zeitpunkt
ins Auge fassen würde. Auch nur
daran zu denken, zeuge allerdings
vom Mut des jungen Eubank, dessen
Vater überzeugt sei, daß man GoUnterdessen haben Golowkin und lowkin bezwingen könne. Er selbst
Loeffler den Eubanks eine kurze sei sich da nicht so sicher, räumt
Do, 30. Juni 2016
Hearn ein, doch ließe sich andererseits mit diesem Kampf natürlich
sehr viel Geld verdienen. [4]
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SCHACH - SPHINX
Maulheld mit
tausend Gesichtern
Mit storchenhaft fahrigen
Schritten scharwenzeln sie um die
Tische herum, die Meister mit den
schnellen Urteilen. Ein Blick genügt
ihnen, und schon haben sie die
Nacht- und Schattenseiten jeder
Stellung erkannt. Mit verzogenen
Lippen schütteln sie den Kopf, murmeln: "Das Kind im Brunnen hätte
es nicht schlechter machen können."
Ein wütend abgeschossener Blick
und der Maulheld zieht von dannen
hin zum nächsten Brett. Wieder
reicht ihm ein zuschnappender Blick,
um die in der Stellung verborgenen
(SB) ­
Seite 11
Elektronische Zeitung Schattenblick
Geheimnisse nackt vor seinen Augen
treten zu lassen: "Ja, ja, so kann es
kommen, wenn der Damenflügel
schläft." Kaum wirft der Angesprochene den Kopf hoch, verschwindet
der selbsternannte Analyseheld auch
schon wieder, jedoch nur, um woanders sein Unwesen zu treiben.
Schließlich hat er fast alle Spieler gegen sich aufgebracht und der
Schiedsrichter greift ein. Mürrisch
kehrt er zu seinem eigenen Spiel zurück, und da tritt offen zutage,
warum er so leutselig und palavernd
Blackburne - Mackenzie
durch die Gänge zog. Seine eigene
London 1882
Stellung - nur eine erbärmliche Ruine. Was hätte wohl unser besagter über das heutige Rätsel der Sphinx
Freund mit den tausend Gesichtern zu schwatzen gehabt, Wanderer?
Weiß steht zum Angriff bereit, doch
Schwarz kommt ihm genial zuvor.
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
Was Meister Adorjan in die Bewußtlosigkeit trieb, war der Zug 1.f4-f5!
und er war grauenerregend, weil weder 1...Te3xd3 2.f5-f6+ Le7xf6
3.Td6xf6 noch 1...g6xf5 2.Sd3-f4 d4d3 3.Sf4-h5+ zur Rettung der schwarzen Stellung beigetragen hätten.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05882.html
SCHACH UND SPIELE / SCHACH / REZENSION
Dr. Karsten Müller/Yakov Konoval
Understanding Rook Endgames
New insights ­ Deep understanding ­ Helpful guidelines
Wer sich heutzutage ans
Schachbrett setzt, unabhängig davon,
ob er ein Turnier bestreitet oder aus
reiner Lust am Spiel eine Partie wagt,
der sollte nicht so sehr Mattbilder im
Kopf haben, als vielmehr sich im
Endspiel auskennen. Besser noch, er
wappnet sich gegen Turmendspiele.
Denn statistisch gesehen fällt die Entscheidung in 50 Prozent aller Partien
in einem Turmendspiel. Mit strategischen Lehrsätzen oder theorieaffinen
Eröffnungskenntnissen kommt man
an dieser Stelle nicht weiter, um Materialvorteil oder positionelles Übergewicht zu verwerten. Gefragt sind
mehr noch als alles andere präzise
Manöver und exakte Berechnung. Nur
muß man dazu wissen, daß jedes Turmendspiel in sich eine Schlüsselposition birgt, deren genaue Kenntnis und
Anwendungssicherheit erst eine ge(SB) ­
Seite 12
Dr. Karsten Müller/Yakov Konoval
Understanding Rook Endgames
New insights ­ Deep understanding ­
Helpful guidelines
Gambit Publications Ltd 2016
287 Seiten, 24,30 Euro
ISBN: 978­1­910093­81­8
winnführende Operation oder die Ret- die Hand. Welchem Autor soll man
sich anvertrauen, welcher Methode
tung ins Remis ermöglicht.
den Vorzug geben?
Die letzte Phase einer Partie ist, trotzdem weniger Figuren auf dem Brett Endspielliteratur hat vor allem das
stehen, höchst kompliziert und erfor- Problem der Nachvollziehbarkeit. Ein
dert über eine jahrelange Erfahrung Meister kann aufseinem Terrain ein
hinaus eine Systematisierung der Virtuose sein und dennoch nichts von
Schritte. Der Teufel steckt bekanntlich Wissensvermittlung verstehen. Seine
im Detail, wie aber den Beelzebub er- Analysen mögen bestechend, grandikennen, wenn die Uhr unbarmherzig os und zweifelsohne richtig sein, doch
die Bedenkzeit verschlingt und die nützt es einem Laien oder erfahrenen
Suche nach dem problematischen Klubspieler, der die Endspiellücke in
richtigen Zug die Gedanken verwirrt? seinem Repertoire schließen möchte,
Ein Buch hat die Eigenschaft, Kennt- herzlich wenig, wenn sich ihm keine
nisse zu vermitteln. Man lernt an Bei- Tür hinein öffnet und er staunend vor
spielen und entlang didaktischer der Fassade resümieren muß, daß er
Strukturen, aber in der heutigen Zeit außer Beifallklatschen nichts Subdes Überangebots an fachspezifischer stantielles mit nach Hause nimmt. An
Literatur ist die Auswahl ebenso groß einem Haar hängt der Lerneffekt. Ist
wie tückisch. Je mehr Bücher im Ver- die Last zu groß, schwer geworden
kaufsregal stehen, desto unsicherer ist durch eine Fülle nebensächlicher, oft
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Do, 30. Juni 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
selbstverliebter Varianten, die von der
eigentlichen Spur wegführen, hinterläßt dies beim Leser eine Wüste der
Resignation. Wird im umgekehrten
Extrem die Motivation nur mit Allgemeinplätzen gefüttert, die weder
Fleisch ansetzen noch die Sehnen
stärken, lernt man nie den Flug durch
den Gewittersturm.
Karsten Müller und Yakov Konoval
haben einen Mittelweg beschritten,
der insofern den Erwerb notwendiger
Kenntnisse auf dem Gebiet der Turmendspiele erleichtert, als die gesamte Bandbreite der Problematiken anhand von Fallbeispielen vor allem aus
der modernen Turnierpraxis in eine
systematische Gliederung geordnet
und aufbereitet ist. Man wird sich allerdings mit dem Umstand anfreunden müssen, daß die begleitenden
Textpassagen alles andere als in einen
Roman ausufern. Das hat den Vorteil,
daß nur erläutert wird, was zum Erfassen der Fragestellung notwendig
ist. Ornamentik gehört insbesondere
auf dem Felde der Eröffnungs- und
Endspielliteratur in der Regel nicht
zum bevorzugten Stilmittel von Gambit Publications Ltd. Der konziliante
Gebrauch von Worten wird im englischen Sprachraum oft als weitschweifig und überflüssig empfunden, man
gibt sich knapper, ist in der Sache
eher pragmatisch orientiert. Aufs
deutsche Gemüt mag dies zuweilen
spartanisch wirken, weil die pädagogische Flankierung durch Lernhinweise und Erklärungshilfen weitgehend entfällt. Die Sparsamkeit der
Worte soll jedoch den Verstand anregen, sich selbst auf den Weg zu machen, die Komplexität exemplarisch
auszuforschen, was durch eine katechistische Vorgabe auf einen allzu engen Nutzwert verkürzt würde.
Vorbildlich am Buch ist, daß die Kapitel Turm und Bauer gegen Turm,
Turm und zwei Bauern gegen Turm,
Turm und Bauer gegen Turm und
Bauer sowie Turm gegen Bauer in
vielen Spielarten und Variationen
durchexerziert und durch Fallbeispiele belegt werden. Den größten
Do, 30. Juni 2016
Raum nimmt allerdings die Rubrik
Turm und zwei Bauern gegen Turm
und Bauer ein, weil dieser Stellungstyp in der Turnierpraxis am häufigsten vorkommt und schon deshalb ein
besonderes Augenmerk verdient.
Karsten Müller gilt als einer der besten Kenner der Endspieltheorie und
hat seinen Ruf mit einer Reihe lobenswerter Fachpublikationen gefestigt. Die Zusammenarbeit mit Yakov
Konoval, der als Programmierer und
Experte im Generieren von Endspieldatenbanken eine federführende Rolle spielt, hat das Buch in hohem Maße bereichert, nicht nur, weil berühmte Großmeister- und historische Partien auf den neuesten Wissensstand
gebracht werden, sondern der Leser
darüber hinaus einen Einblick in die
Geschichte und Verwendung insbesondere der Sieben-Steine-Datenbanken gewinnt.
Bei aller kultivierten Kritik an Endspielautoren, in die sich Rezensenten
gelegentlich fast schon mit exzentrischer Borniertheit verlieren, um auch
noch das kleinste Haar in der Suppe
zum erbeuteten Skalp aufzubauschen, darf nicht vergessen werden,
welchen Sinn und Zweck Endspielliteratur tatsächlich hat. Die Suggestion zu erwecken, im Anschluß an die
Lektüre eines Buches gleichsam mit
hundert Argusaugen ins Wesen eines
jeden Turmendspiels hineinblicken
zu können, wäre angesichts der unverzichtbaren Praxis und Auseinandersetzung mit dem Thema nicht nur
vermessen und hanebüchen. Es würde die Endspiellehre zudem von ihrer eigentlichen Aufgabe, einen
Kompaß zur Orientierung anzubieten
und mit der Grundlegung entwickelbarer Kenntnisse Lust am Weiterforschen zu generieren, um Lichtjahre
entfernen und gewissermaßen an die
Stelle der Lernschritte ein echte Fortschritte im Verständnis neutralisierendes Dogmensystem errichten. Vor
diesem Hintergrund leistet das Buch
eine verdichtete Ein- und Weiterführung in die Materie, die über das reine Erlernen von Prinzipien oder das
verallgemeinerungswütige Plazieren
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von Merksätzen und Faustregeln hinausgeht. Die haben zudem nur beschränkten Wert, da die Folgerichtigkeit der Züge im Endspiel anders als
die Strategeme des Mittelspiels keine Sache der Auslegung und Empfehlung ist. Gerade weil ihre Logik
und innere Stringenz dem Auge oftmals fremd erscheinen, müssen sie
durch Erfahrung und nachfassendes
Analysieren erst einmal erschlossen
werden.
Fehlentscheidungen der Großmeister,
denen sie häufiger als man erwartet
zum Opfer fallen, zum Lernstoff zu
machen, mutet im ersten Moment
zwar wie eine Überforderung an und
strenggenommen stimmt das auch,
aber wer tiefer in die Geheimnisse
eindringen will, muß sich früh mit
den Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung am Brett konfrontieren. Über den konkreten Umweg der
Analyse tatsächlich einen Denkprozeß in Gang zu setzen, ist hierbei
Struktur und probates Mittel zugleich. An diesem Punkt wird der
Wert dieses Theoriewerkes deutlich:
Auch wenn der Leser viele der im
Buch herausgearbeiteten Erkenntnisse in seiner eigenen Praxis vielleicht
nie zur Anwendung bringt, werden
sie seine Auffassung vom Schachspiel und insbesondere der Turmendspiele schärfen und in einer Weise
durchdringen, die es ihm späterhin
erleichtert, im Dickicht des Waldes
die notwendigen Muster zum Aufspüren der Remis- bzw. Gewinnpfade zu erkennen.
Darin drückt sich das Alpha und
Omega im Studium der Turmendspiele aus. Es geht nicht darum, zu
einer x-beliebigen Stellung den einzig korrekten Zug im Kopf zu speichern, um ihn bei Bedarf abzurufen.
Gerade weil Lösungswege mitunter
verquer zur Sehgewohnheit verlaufen
und dem Denken kapriziöse Sprünge
abfordern, ist es um so wichtiger, sie
in die eigene Erfahrung einzubetten.
Zur Abrundung finden sich zu jedem
Kapitel Aufgaben samt Lösungsteil,
um empirisch zu vertiefen, was AuSeite 13
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ge und Verstand gerade zu lernen beginnen. Understandig Rook Endgames versteht sich nicht als ein auf
Konsum und Unterhaltung abgestelltes Kompendium endspieltheoretischer Aha- und Rationalisierungseffekte, sondern - ganz alte Schule - als
fundierte Anleitung zum schachanalytischen Arbeiten: für den Laien und
Lernenden eine wahre Fundgrube.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
srez0004.html
__I n h a l t________Ausgabe 1871 / Donnerstag, den 30. Juni 2016__
1 UMWELT - REPORT: Gitterrost und Permafrost - bedingt prognosesicher ...
Prof. Antoni Lewkowicz im Gespräch
3 POLITIK - FAKTEN: Chile - Proteste an den Toren
der Colonia Dignidad im Vorfeld des Gauck-Besuchs (poonal)
4 POLITIK - AUSLAND: Brasilien Staatsanwaltschaft fordert zehn Jahre Suspendierung für Eduardo Cunha (poonal)
5 POLITIK - REPORT: Avantgarde francaise - Gespaltene Ziele ... Christian Mahieux
9 BUCH - SACHBUCH: Hannes Hofbauer - Feindbild Russland
10 SPORT - BOXEN: Überheblichkeit läßt grüßen
11 SCHACH-SPHINX: Maulheld mit tausend Gesichtern
12 SCHACH: Dr. Karsten Müller/Yakov Konoval - Understanding Rook Endgames
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 30. Juni 2016
+++ Vorhersage für den 30.06.2016 bis zum 01.07.2016 +++
© 2016 by Schattenblick
IMPRESSUM
Überwiegend wolkengrau
und manchmal, da regnet es
schauernd, blitzend, stark wie Sau,
für Jean-Luc gibt 's heut' kein' Streß.
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Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K.
Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Elektronische Postadresse: [email protected]
Telefonnummer: 04837/90 26 98
Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME
Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
ISSN 2190-6963
Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht ein, sich eine private Kopie für persönliche
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