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SÜDWESTRUNDFUNK
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Feleknas Uca, türkische Parlamentsabgeordnete (HDP), gab heute, 30.06.16,
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„Türkisch-europäisches Verhältnis.“
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marion Theis.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
30.06.2016
Kurdenpolitikerin Uca: EU muss mehr Druck auf Türkei ausüben
Baden-Baden: Die kurdische Abgeordnete im türkischen Parlament Feleknas Uca, HDP, hat
ihre Regierung aufgefordert, mehr auf die EU zuzugehen. Die Türkei wolle zwar Mitglied in der
EU werden, erfülle aber immer noch nicht die rechtsstaatlichen Kriterien, bemängelte Uca im
SWR (Südwestrundfunk). Europa müsse deshalb auf mehr Demokratie drängen.
Es könne nicht angehen, dass die Türkei von der EU Solidarität fordere, sich aber nicht für ein
besseres Zusammenleben mit Europa einsetze, kritisierte Uca. Zusammenarbeit und
Kooperation zwischen Türkei und EU seien wichtig, doch die EU solle mehr Druck auf Erdogan
ausüben, verlangte die Politikerin. Erdogan müsse auf den „richtigen Weg“ gebracht werden,
nämlich in Richtung Europa, für eine demokratische Türkei, für den Friedensprozess und für die
Lösung der kurdischen Frage, meinte Uca.
Die HDP-Politikerin warnte davor, den türkischen Bürgern Visafreiheit zu gewähren, bevor ein
neuer Friedensprozess mit den Kurden beginne. Ansonsten würden möglicherweise viele
kurdische Flüchtlinge nach Europa kommen. Damit solle die EU sich auseinandersetzen,
forderte Uca.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Theis: Sie sind gerade in Berlin und fliegen heute zurück in die Türkei. Nach einer
Anschlagserie, wahrscheinlich des IS. Mit welchem Gefühl?
Uca: Ein sehr mulmiges Gefühl, vor allem die Ungewissheit, was gerade wieder passiert. Das
ist nicht der erste Anschlag. Ich möchte heute Morgen auch gedenken an alle Opfer des
Terroranschlages vom Flughafen. Innerhalb eines Jahres sind durch verschiedene Anschläge
279 Menschen ums Leben gekommen, und das ist schon ein sehr mulmiges Gefühl.
Theis: Der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Sofuoglu, hat die EU
zu mehr Solidarität mit der Türkei aufgefordert. Wünschen Sie sich das auch?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Uca: Solidarität bedeutet meiner Meinung nach auch enge Zusammenarbeit, aber es kann nicht
sein, dass die Türkei immer nur von Solidarität spricht und sich nicht für Kriterien oder besseres
Zusammenleben einsetzt, und da denke ich ist diese Solidarität ein bisschen zu weit auf der
Tagesordnung geschrieben.
Theis: Was meinen Sie, die Türkei setzt sich nicht für ein besseres Zusammenleben ein?
Sagen Sie ein einmal ein Beispiel, bitte?
Uca: Ich zitiere ein Bespiel: Wenn man nur von Europa verlangt, dass man Solidarität zeigen
sollte, aber selber der EU nicht nachkommt und sich nicht dafür einsetzt, dass die
Kopenhagener Kriterien umgesetzt werden, dann kann man nicht nur von der EU etwas
verlangen. Die Türkei muss auch selber etwas für sich tun. Die Türkei will ja in die EU, aber die
Kopenhagener Kriterien sind bis heute noch nicht umgesetzt. Die Verhandlungen und die
Gespräche finden statt, aber es ist noch nicht soweit, dass die Türkei sich dementsprechend in
der Frage aufgebaut hat. Schauen wir uns mal die Flüchtlingspolitik an. Alle sagen immer nur:
Die Türkei sagt ja, ich bin ein sicheres Herkunftsland, aber es gibt auch bei der Visa-Freiheit die
Diskussion innerhalb der EU, wo gesagt wird, da müssten aber noch die 75 Forderungen
umgesetzt werden, und bis jetzt sind nicht alle Forderungen umgesetzt.
Theis: Die Türkei hat aber immerhin der EU einen großen Gefallen getan. Sie hat nämlich
mit ihrer Politik, mit der Art und Weise, wie sie die Flüchtlinge behandelt, dazu
beigetragen, dass nur noch wenige nach Europa kommen. Ist das nicht das, was im
Moment am wichtigsten ist?
Uca: Es ist wichtig, dass man engere Zusammenarbeit und Kooperation hat, aber schauen wir
uns mal an: Sie sagen, es kommen weniger Flüchtlinge. Es kommen weniger Flüchtlinge, weil
die ganzen Grenzen zu sind. Nicht, weil die Türkei alle Flüchtlinge stoppt und die Türkei alle
Flüchtlinge betreut. Die Frage ist, es geht hier um Millionen von Flüchtlingen, aber wie viele
Tausende von Flüchtlingen werden in den Camps denn noch betreut? Was ist mit den ganzen
anderen Flüchtlingen in diesem Lande? Wie werden sie denn in den Flüchtlingscamps
behandelt und aufgenommen, und wie sieht die Zukunft dort aus? Die Türkei gilt als ein
sicheres Herkunftsland, aber in diesem Land geht die Türkei und vor allem das Militär massiv
auch gegen die eigene kurdischen Bevölkerung vor, und für mich kann die Türkei da nicht als
sicheres Herkunftsland gelten, A. B geht es jetzt auch darum, wenn man die Frage stellt,
kommen weniger Flüchtlinge? Aber es sind immer mehr Flüchtlinge, die ertrinken auf dem Weg
raus aus der Türkei und auch innerhalb des Landes. Und da ist natürlich eine Frage die man
hier stellen muss: Wie sicher ist das Land noch?
Theis: Immerhin trägt ja dieses Abkommen dazu bei, dass es wieder ein Gespräch gibt,
dass man in Verhandlungen ist mit der EU. Sind diese Gespräche nicht eine gute
Gelegenheit, um zumindest in Kontakt zu bleiben mit der EU, auch mit Deutschland?
Uca: Nein, das auf jeden Fall. Das sollte man auch machen. Ich bin nicht dagegen, dass man
jetzt komplett alle Kontakte abbrechen sollte. Ich bin dafür, dass man mehr Druck ausüben
sollte. Dass die Gespräche weiter fortgeführt werden und mit dem Druck, dass Erdogan wieder
auf den richtigen Weg gleitet wird und zwar Richtung Europa, für eine demokratische Türkei, für
den Friedensprozess, für die Lösung der kurdischen Frage.
Theis: Die EU nutzt ja diese angedachte Visa-Freiheit für türkische Bürger als
Druckmittel. Ist das nicht eine gute Methode?
Uca: Wir müssen uns die Frage stellen, wenn es um die Visa-Freiheit geht. Aber im Hintergrund
sollten wir nicht vergessen, was passiert überhaupt, wenn die Visa-Freiheit gegeben ist und
dieser Krieg in der Türkei weiterhin fortgeführt wird? Dann bedeutet das, dass immer mehr
Menschen nach Europa kommen werden und auch viele Terroristen des IS sich einschleichen
könnten, und das wäre vielleicht auch noch mal ein Problem, mit dem man sich genauer
auseinandersetzen sollte.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
- Ende Wortlaut -
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