Manuskript Beitrag: Mit falschen Papieren nach Europa – Einfallstor für Terroristen Sendung vom 28. Juni 2016 von Eleni Klotsikas und Ulrich Stoll Anmoderation: Passkontrolle. Dabei filtern die Grenzbeamten verdächtige Personen heraus. Personen, die zur Fahndung oder Beobachtung ausgeschrieben sind. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis konnten spätere Selbstmordattentäter unbehelligt nach und durch Europa reisen. Frontal 21 testete in Griechenland, wie einfach es ist, an Ausweise heranzukommen. Und es war erschreckend einfach. Ein echter Pass aus Syrien für 850 Euro. Ein gefälschter tschechischer Ausweis für 250 Euro. Papiere, auf die nicht nur griechische Grenzer, sondern auch deutsche Behörden reinfallen. Eleni Klotsikas und Ulrich Stoll über europaweite Sicherheitslücken. Text: Januar 2015. Razzia in einem Berliner Gebetsraum. Mitglieder des Moscheevereins Fussilet 33 sollen Männer für den Dschihad rekrutiert und eine Terrororganisation unterstützt haben. Mehrere Vereinsmitglieder werden verhaftet, Beweismittel beschlagnahmt. Vergangene Woche, Kammergericht Berlin. Ismet D. und Emin F., die Anführer des Moabiter Moscheevereins sind angeklagt. Auf Nachfrage äußern sie sich nicht zu den Vorwürfen. Inzwischen wissen die Ermittler mehr: Einer der Helfer soll ein Türke sein, der sich jahrelang illegal in Berlin aufhielt, mit einer gefälschten Identität. Er nennt sich Mehmed Aliosman. Das ist der gefälschte Ausweis, mit dem sich der Türke in Berlin als Bulgare ausgab. O-Ton Guido Lehmann, Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Berlin: Dieser Mann hat, um sich ein Aufenthaltsrecht in der EU, sprich in Berlin zu ergaunern, sich mehrfach mit Falschpersonalien versehen. Herr Aliosman hat tatsächlich Kontakt zu Personen des islamistischen Spektrums in Berlin unterhalten. Er wurde beispielsweise bei einer polizeilichen Durchsuchung in der Wohnung eines sehr gefährlichen Salafisten, der inzwischen verstorben ist im Dschihad, angetroffen. Aliosman nutzte seinen gefälschten Ausweis intensiv. Er eröffnete damit bei einer Berliner Bank ein Konto. Die Ermittler sind sich sicher, er habe so Terroristen unterstützen wollen. O-Ton Guido Lehmann, Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Berlin: Er hat sehr umfangreiche Straftaten unter Nutzung dieser Falschpersonalien begangen. Er hat ein Gewerbe angemeldet, er hatte natürlich einen Sozialversicherungsausweis, eine Steuernummer. Er war eigentlich perfekt vorbereitet, um mit dieser Falschidentität auf kleinem beziehungsweise mittlerem Niveau den islamistischen Terrorismus zu finanzieren. Die Staatsschützer konnten Aliosman verhaften, bevor die Gelder tatsächlich flossen. Inzwischen ermitteln sie in zahlreichen weiteren Fällen, in denen Islamisten Konten mit gefälschten Ausweispapieren eröffnet haben. O-Ton Guido Lehmann, Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Berlin: Wenn das Konto einmal eröffnet ist, kann der Kontoinhaber damit sehr gut im Internet einkaufen, online, aber meinetwegen auch in einem Warenhaus. Er kann Ausrüstungsgegenstände für den Dschihad erwerben, das können Campingartikel sein, Wanderausrüstung, Computer, Handys, SIM-Karten, all das wird benötigt, und er kann es dann selbst oder über einen Kurier in das Zielgebiet des Dschihad bringen lassen. Paris, 13. November 2015. Terroranschlag auf das Stade de France. Einer der Selbstmordattentäter war, als Flüchtling getarnt, mit einem syrischen Pass unter falscher Identität nach Europa gereist. Das ist der Pass, den der Terrorist benutzte. Ursprünglich gehörte er einem getöteten syrischen Soldaten. Ein weiterer Paris-Attentäter nutzte einen vom IS erbeuteten Blankopass. O-Ton Michael O’ Connor, Direktor Interpol: Dieses Dokument war in unserer Datenbank erfasst. Das Dokument und der Verdächtige hätten bei einer Grenzkontrolle auffallen müssen. Interpol fahndet derzeit nach 57 Millionen gestohlenen oder verloren gegangenen Ausweisdokumenten, Pässen, darunter auch Blankopässe und gestohlene Visa. Inzwischen wissen die Ermittler: Mit der Flüchtlingswelle im Sommer 2015 kamen auch IS-Terroristen nach Europa, oft mit Hilfe falscher Papiere, die den Behörden nicht aufgefallen waren. Griechenland, ein Jahr später. Athen. Hier soll man sehr leicht an gefälschte Dokumente kommen. Wir drehen mit versteckter Kamera, in einer Shisha-Bar werden wir fündig: Wir treffen einen Passfälscher und kommen sofort ins Gespräch. O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: Meine Verwandte möchte einen syrischen Ausweis kaufen. Können wir ein Original bekommen? O-Ton, Wortprotokoll: Selbstverständlich ein Original, keine Kopie. Ein echter Pass. Die erste Seite wird herausgenommen und wir fügen eine neue ein. O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: Und woher stammt der Pass? O-Ton, Wortprotokoll: Aus Syrien. O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: Direkt aus Syrien? Und wie viel wird er uns kosten? O-Ton, Wortprotokoll: 850 Euro. Wir bitten den Fälscher um Bedenkzeit, wollen herausfinden, ob er auch europäische Ausweise beschaffen kann. Vom Hotelzimmer aus rufen wir den Fälscher an. O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: Ich bin der syrische Mann, der heute Nachmittag bei euch im Café war. O-Ton, Wortprotokoll: Was willst du, Bruder? O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: Ich möchte einen europäischen Ausweis für meine Verwandte kaufen, damit sie damit nach Deutschland reist. Was habt ihr denn im Angebot - italienische, tschechische, französische, belgische? O-Ton, Wortprotokoll: Wir machen dir, was du willst. O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: In Ordnung, wann soll ich vorbeikommen und Dir die Fotos bringen? O-Ton, Wortprotokoll: So Allah will, am Nachmittag. O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: Am Nachmittag, okay, in Ordnung. Ich komme wieder zu dir in die Shisha-Bar. Wir bestellen einen tschechischen Ausweis. Für den Kauftest haben wir extra Fotos einer erfunden Person hergestellt. Wenige Stunden später übergibt der Fälscher den frisch hergestellten EUAusweis. O-Ton, Wortprotokoll: Hier ist der Ausweis. Nimm ihn unter dem Tisch. Wallah, auf wie viel Geld haben wir uns geeinigt? O-Ton Frontal 21, Wortprotokoll: 250 Euro. O-Ton, Wortprotokoll: Okay, das ist das neueste Exemplar, die neueste Version eines tschechischen Ausweises. Erstaunlich, innerhalb weniger Stunden sind Fälscher in der Lage einen EU-Ausweis zu produzieren, der echt aussieht. Zurück in Berlin. Wolfgang Volland leitet beim Landeskriminalamt die Abteilung Kontoeröffnungsbetrug durch falsche Papiere. Wir zeigen ihm das gefälschte Dokument. O-Ton Wolfgang Volland, Erster Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Berlin: Wenn ich mir diesen Ausweis hier ansehe, den Sie da bekommen haben, Vorder- und auch Rückseite, dann kann ich Ihnen sagen, dass das eine Totalfälschung ist, die für den geschulten Mitarbeiter sofort mit dem bloßen Auge sogar zu erkennen ist. Aber ich denke nicht, dass Mitarbeiter einer Meldestelle oder auch Mitarbeiter an einem Bankschalter oder einem Postschalter im Identifizierungsverfahren, selbst sogar Polizeibeamte nachts auf der Straße, dieses erkennen könnten, ohne Hilfsmittel oder ohne entsprechende Fachschulung. Berlin, Einwohnermeldeamt Wedding. Wir machen mit dem gefälschten Ausweis den Test und fragen nach: O-Ton Frontal 21: Wenn sich jemand beispielsweise mit so einem tschechischen Ausweis bei Ihnen eine Meldeadresse holen würde, was würden Sie da sagen? O-Ton Nicole Jainz, Bürgeramt Berlin Wedding: Also der ist neu. Den kenne ich noch nicht. O-Ton Frontal 21: Was bräuchte die Person jetzt, um sich anzumelden? O-Ton Nicole Jainz, Bürgeramt Berlin Wedding: Eine Wohnungsgeberbescheinigung und das ausgefüllte Meldeformular, mehr nicht - und der Ausweis halt. O-Ton Frontal 21: Aber die Echtheit dieses Dokuments? Das könnte doch auch gefälscht sein? O-Ton Nicole Jainz, Bürgeramt Berlin Wedding: Wie gesagt, man sieht sich das an – und dann eben könnte oder könnte nicht. Aber jetzt richtig nachprüfen kann ich das natürlich nur eben, wenn ich bestimmte Geräte dazu hätte. O-Ton Frontal 21: Das heißt, diese Person könnte sich jetzt ohne Weiteres bei Ihnen anmelden? O-Ton Nicole Jainz, Bürgeramt Berlin Wedding: Ja, auf jeden Fall. Mehr Sicherheit könnte dieses Gerät bringen. Es erkennt Fälschungen sofort. Doch Bürgerämtern und Banken schaffen es selten an. In Berlin beispielsweise hat gerade einer von zwölf Bezirken so ein Gerät, obwohl das Geld dafür da ist. Erklärungsversuche: O-Ton Stephan von Dassel, B‘90/GRÜNE, Bezirksstadtrat Berlin-Mitte: Es ist eine Zeitfrage und ist auch eine technische Frage, weil die Arbeitsplätze sind schon mit ganz viel Technik vollgestellt, da können sie also nicht nochmal ein zusätzliches Gerät installieren. Das heißt, sie müssen mit dem Ausweis dann immer in einen separaten Raum, das müssen sie auch erstmal begründen, ich kann ja nicht sagen, ich muss mal aufs Klo und nehme mal ihren Ausweis mit, dann wird das überprüft und dann müssen sie die Zeit überbrücken, wenn der gefälscht ist, bis die Polizei kommt. Eine merkwürdige Ansicht, bei der Vielzahl gefälschter Dokumente, die im Umlauf sind. Die Polizei beklagt, mit solchen gefälschten Ausweisen könnten Kriminelle und Terroristen schwere Straftaten verüben. Das sei der Politik seit Jahren bekannt. O-Ton Michael Böhl, Bund Deutscher Kriminalbeamter: Nach unserer Auffassung ist die Ausstattung in den Bürgerämtern, aber auch bei der Polizei so gut wie gar nicht vorhanden. Das ist das, was wir seit Jahren bemängeln, weil die Täter hier sozusagen offene Türen vorfinden, mit verfälschten und gefälschten Dokumente eine Meldeanschrift zu bekommen, sich amtlich legitimieren lassen, um dann ihre Straftaten wie Kontoeröffnungsbetrug und andere Betrügereien begehen zu können. Dass wir uns diese Sicherheitslücke in der heutigen Zeit erlauben - ich halte das für einen Skandal. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. 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