Sendesperrfrist: Beginn der Rede John Cryan Vorsitzender des Vorstands Deutsche Bank AG Rede anlässlich des Wirtschaftstags 2016 Berlin, 21. Juni 2016 – Es gilt das gesprochene Wort – 2 Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrter Herr Dijsselbloem, cher Monsieur Sarkozy, lieber Herr Bahlsen, sehr geehrte Abgeordnete, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine große Ehre und Freude, hier beim Wirtschaftstag meine erste öffentliche Rede in Berlin halten zu dürfen. Und ich freue mich, dass wir uns heute hier versammeln und nicht erst in ein paar Tagen. Denn das stellt sicher, dass ich beim Thema „Europa in der Zeitenwende“ auf jeden Fall noch mitreden darf – auch als Brite. Wobei ich persönlich hoffe, dass unsere Sorgen hier unbegründet sind. Die Tage rund um das Referendum werden für die Kapitalmärkte ein Härtetest. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass wir uns bei der Deutschen Bank gut darauf vorbereitet haben.Und ich habe großes Vertrauen, dass auch die Notenbanken die Stabilität der Märkte genau im Blick haben. Meine Damen und Herren, in kaum einem Land drängt es sich so sehr auf wie in Deutschland, dass die CDU als Volkspartei zu einem „Wirtschaftstag“ einlädt. Die deutsche Unternehmerlandschaft beeindruckt mich, seit ich Anfang der 90er-Jahre erstmals in Deutschland gearbeitet habe. Selbst im Englischen spricht man häufig vom German Mittelstand, da es einfach keine passende Übersetzung dafür gibt. Es ist eine einzigartige Wirtschaftsstruktur mit all ihren Familienunternehmen und Konzernen, geprägt von vielen beeindruckenden Persönlichkeiten. Und selten versammeln sich so viele von ihnen in einem Saal wie hier. Umso mehr ehrt es mich, dass Sie mich als Banker zu Ihrem Wirtschaftstag eingeladen haben. Wir sind ja nicht gerade die Lieblinge der Politik. Verhältnis der Banken zur Gesellschaft Das hat natürlich viel mit uns selbst, mit der Finanzkrise von 2008 und ihren Folgen zu tun. Es ist nun einmal eine traurige Tatsache: Wären die Staaten nicht dem Finanzsystem zu Hilfe geeilt, hätte wohl keines der großen Häuser – ob an der Wall Street, in der Londoner City oder eben in Frankfurt – diese Krise auch nur 3 einigermaßen glimpflich überstehen können. Zu tief waren die Verflechtungen der Banken untereinander. Das Vertrauen, das damals verloren gegangen ist, mussten und müssen wir erst mühsam wieder aufbauen. Es liegt mir persönlich sehr am Herzen, dass wir unser Verhältnis zur Gesellschaft insgesamt und natürlich auch zur Politik wieder verbessern. Ich wünsche mir vor allem zweierlei: gegenseitiges Verständnis – und – Vertrauen. Dabei sind wir Banken in der Pflicht. Wir müssen noch stabiler werden, damit die Branche mögliche Krisen verlässlich aus eigener Kraft übersteht, ohne den Staat zu belasten. Für die Deutsche Bank kann ich sagen: Im Zentrum unseres Handelns müssen unsere Kunden stehen. Und unsere Gewinne sind nur dann nachhaltig, wenn wir die Gesellschaft insgesamt im Blick haben. Ich glaube sagen zu können, meine Damen und Herren, dass wir dies in unserem recht neuen Vorstand verinnerlicht haben. Gleichwohl haben wir noch einen guten Teil der Wegstrecke vor uns. Wir haben weitere juristische Altlasten abzutragen, wir müssen mehr Eigenkapital aufbauen und unsere internen Kontrollsysteme weiter verbessern. Ich verstehe, dass die Gesellschaft und besonders die Politik in Deutschland erst sehen wollen, ob wir uns insgesamt tatsächlich gebessert haben. Mitunter werden Banken heute nur noch als notwendiges Übel gesehen. Das betrübt mich persönlich, weil ich selbst gerne Banker bin. Es betrübt mich aber auch, weil ich überzeugt bin, dass es der Wirtschaft insgesamt schadet, wenn man die Finanzbranche nur noch als Last betrachtet – und entsprechend wenig Rücksicht auf sie nimmt. Wir sind ein wesentlicher Teil des Herz-Kreislauf-Systems der Volkswirtschaft und werden es trotz Digitalisierung, Fintechs und Bitcoins auch bleiben. Das weiß jeder Unternehmer hier im Saal. Und Sie wissen auch, was passieren kann, wenn das Herz-Kreislauf-System nicht gut funktioniert. Wirtschaftslage in Europa Meine Damen und Herren, „Europa in der Zeitenwende“, lautet die Überschrift Ihres Wirtschaftstages. In der Tat sehe ich uns an einem Wendepunkt. Es geht darum, ob sich die Phase eines Beinahe-Stillstands in vielen Volkswirtschaften fortsetzt – oder ob Europa endlich wieder schneller wachsen kann. Das wird aber nur unter einer Voraussetzung gelingen: Für stärkeres Wachstum braucht Europa auch stärkere Banken. Es ist offensichtlich, dass mit Europas Wirtschaft etwas nicht stimmt. Das zeigt ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten. Dort ist die Wirtschaft seit der Finanzkrise von 2008 um elf Prozent gewachsen. Dagegen kommt die Konjunktur bei uns nicht in Schwung. Deutschland schneidet mit einem Plus von sechs Prozent noch vergleichsweise gut ab. In einer Reihe europäischer Länder verharrt die Wirtschaftsleistung dagegen weiterhin unter dem Niveau von 2008. 4 Das hat eine Reihe von Ursachen, die Ihnen größtenteils nur zu vertraut sind. Die wichtigste ist sicherlich die Staatsschuldenkrise in Europa. Sie führte vielerorts zu einer zweiten Rezession nach der Finanzkrise, von der sich diese Länder bis heute nur sehr langsam erholen. Zeitweise stand sogar die gesamte Währungsunion infrage – es ist klar, dass viele Unternehmen in dieser unsicheren Phase nicht mehr zu investieren wagten. Ein anderer Faktor wird dagegen oft übersehen: der Einfluss der Banken. Schwächeln sie, schwächelt auch die Wirtschaft. Wenn sie kaum Kredite vergeben können, fehlt es den Unternehmen an Mitteln für ihre Investitionen, so dass die Konjunktur nicht an Fahrt gewinnen kann. Hier in Deutschland merken wir derzeit wenig davon, meine Damen und Herren. Es gibt nur selten Probleme, eine neue Produktionsanlage oder Geschäftsidee zu finanzieren. Ganz anders ist die Situation in Südeuropa. Vielerorts sind Kredite knapp, insbesondere für kleine und mittelgroße Unternehmen. Die Niedrigzinsen, mit denen die Europäische Zentralbank eigentlich die Konjunktur stützen will, kommen bei vielen Handwerksbetrieben, Industrieunternehmen oder Start-ups gar nicht an. Drei Jahre in Folge wurden in Europa weniger Kredite an Unternehmen vergeben. Erst vergangenes Jahr hat sich das Volumen wieder stabilisiert. Und das lag nicht nur an einer geringeren Kreditnachfrage, sondern auch daran, dass die Banken selbst ihr Kreditangebot stark reduzieren mussten. Dieser Engpass schadet der Wirtschaft gerade deshalb, weil sich Firmen in Europa nach wie vor stärker über Banken finanzieren als etwa in den Vereinigten Staaten. Unternehmensanleihen summieren sich im Euro-Raum nur auf 13 Prozent der Wirtschaftsleistung, Darlehen an Firmen dagegen auf 35 Prozent der Wirtschaftsleistung. In den USA ist das Verhältnis genau umgekehrt. Vergleich mit US-Banken und Folgen für Europas Wirtschaft Es ist ein Paradoxon, meine Damen und Herren. Die europäische Wirtschaft ist weitaus stärker auf leistungsfähige Kreditinstitute angewiesen als die amerikanische – wesentlich besser stehen aber die US-Institute da. Zwar erhielten auch sie nach der Finanzkrise zunächst staatliche Hilfe. Doch sie konnten das Geld relativ schnell zurückzahlen, ohne dass der Staat dabei einen Verlust gemacht hätte. Die USBanken haben zudem notleidende Kredite schneller abgeschrieben und neue Eigenkapitalpolster aufgebaut. Die amerikanischen Häuser haben natürlich einen gewaltigen Vorteil: ihren großen, homogenen und margenträchtigen Heimatmarkt. Ein prominentes Beispiel verdeutlicht das: Die Bank mit dem höchsten Börsenwert der Welt – das ist Wells Fargo – macht 97 Prozent ihres Geschäfts in einem einzigen Land: den Vereinigten Staaten. Wir Banken hier in Deutschland können von den Margen auf dem US-Markt nur träumen. Das gilt nicht nur für Privat-, sondern auch für Unternehmenskunden. Auch sie zahlen in den USA deutlich höhere Preise, etwa für die Beratung bei Fusionen oder Börsengängen. Diese Preise lassen sich in Europa nicht durchsetzen, zu groß ist die Konkurrenz unter den Banken. 5 Nun möchte ich nicht Preiserhöhungen das Wort reden. Der scharfe Wettbewerb unter den europäischen Banken, der stark fragmentierte Markt, hat zunächst einmal positive Folgen für die hiesigen Privat- und Unternehmenskunden: die Preise für Bankdienstleistungen sind niedrig. Die Kehrseite ist allerdings, dass die Banken vergleichsweise wenig verdienen – wobei wir teilweise auch selbst dazu beitragen, weil unsere Kosten zu hoch sind. Wenn dann auf eine Finanzkrise mit Milliardenabschreibungen nahezu unmittelbar eine Staatsschuldenkrise folgt, dann wird die Luft merklich dünner. In den hoch verschuldeten Ländern Europas entfällt mehr als zehn Prozent des Volumens auf notleidende Kredite – in den USA beträgt diese Quote nur noch 1,5 Prozent. Das ist auch die Folge einer zum Teil unentschlossenen Geschäftspolitik: Manch eine europäische Bank hat hier zu zögerlich aufgeräumt. Niedrige Zinsen machen die Situation noch schwieriger. Wenn wir mit den Einlagen unserer Kunden kaum mehr etwas erwirtschaften, weil wir sie nicht mehr rentabel anlegen können, dann fehlt eine wichtige Ertragsquelle. Und auch an Krediten verdient die Branche immer weniger: So beträgt etwa bei italienischen Banken die Marge für Neukredite nur noch ein Viertel dessen, was sie mit den noch laufenden Darlehen durchschnittlich verdienen. Nun könnten Ihnen, meine Damen und Herren, die Gewinnmargen von Banken an sich herzlich egal sein. Aber – ich möchte auf ein gravierendes gesamtwirtschaftliches Problem hinweisen, das aus der Ertragsschwäche folgt: Es fällt den Banken schwer, aus eigener Kraft das Eigenkapital aufzubauen, mit dem sie die steigenden Anforderungen der Aufsichtsbehörden erfüllen können. Stattdessen müssen wir unsere Bilanzen verkürzen und können entsprechend weniger Kredite vergeben. Das hinterlässt Spuren: Wenn Sie einmal alle Bankbilanzen in der EuroZone zusammenrechnen, dann sind sie seit 2011 um sieben Prozent geschrumpft. Trotzdem verlangen die Regulierer immer höhere Risikopuffer. Das ist nach den Erfahrungen der Finanzkrise verständlich – führt aber dazu, dass die Banken den immer strengeren Anforderungen fast pausenlos hinterherlaufen. Es droht ein Teufelskreis: Schwache Banken stehen einer Erholung der Wirtschaft im Weg. Und weil wiederum die Konjunktur nicht in Schwung kommt, fällt es den Banken umso schwerer, wieder Tritt zu fassen. Mich treibt deshalb die Sorge um, dass sich Teile Europas nach und nach in eine Dauerstagnation manövrieren könnten, wie sie etwa Japan leidvoll erfahren musste. Was tun für stärkere Banken in Europa? Die Frage ist nun, wie wir verhindern, dass es uns ähnlich ergeht. Meine Damen und Herren, ich habe ja bereits ausgeführt, dass wir Banken zu allererst selbst gefordert sind. Aber auch Politiker und Aufseher haben großen Einfluss darauf, wie es mit Europas Banken weitergeht. In den vergangenen Jahren stand im Mittelpunkt der Reformen, das Finanzsystem sicherer zu machen, Risiken einzudämmen und größere Eigenkapitalpolster einzufordern. 6 Das war richtig und wichtig und geschah deshalb auch praktisch weltweit gleichermaßen. Seit einiger Zeit aber belastet die internationale Regulierung die europäische Finanzbranche überproportional. Das möchte ich Ihnen an zwei Beispielen veranschaulichen. Das erste ist die Verschuldungsquote, auch Leverage Ratio genannt, die das Verhältnis zwischen dem Eigenkapital und der gesamten Bilanz einer Bank misst. In den USA war diese Größe den Aufsehern seit jeher wichtig, während man in Europa vor allem auf das Verhältnis des Eigenkapitals zu den risikogewichteten Aktiva setzte. In der Debatte um ein sicheres Bankensystem weltweit wurde die Verschuldungsquote dann auch bei uns immer wichtiger. Doch seither stehen die europäischen Banken in der Kritik, genau bei dieser Quote deutlich schlechter da zu stehen als die amerikanischen. Dabei wird aber oft übersehen, dass die Voraussetzungen dies- und jenseits des Atlantiks ganz andere sind. Nicht nur die schon erwähnten Firmenkredite liegen in unseren Bilanzen, sondern auch Millionen von Baufinanzierungen – während unsere amerikanischen Wettbewerber Hypothekenkredite an die staatlichen Institute Fannie Mae und Freddie Mac verkaufen können. Dort müssen sie nicht erst wie wir in Europa private Investoren für eine Verbriefung finden. Das zeigt: Wenn wir übliche US-Standards und -Kennziffern einfach eins zu eins auf die europäischen Banken übertragen, schaden wir uns selbst. Wir in Europa sollten selbstbewusst genug sein, Regeln aufzustellen, die zu uns passen. Zumal es den europäischen Banken – und das ist mein zweites Beispiel – auch generell schwerer fällt, ihre Bilanzen zu entlasten. Der Markt für verbriefte Kredite in Europa ist dramatisch geschrumpft – bei Hypotheken-Darlehen beinahe um die Hälfte im Vergleich zum Höchststand 2009. Denn die Regeln wurden deutlich verschärft, nachdem Verbriefungen als Auslöser der Finanzkrise galten. Hier sehen wir ein weiteres Paradoxon: Fielen in der Krise ab 2008 vor allem amerikanische Kreditpapiere aus, treffen die verschärften Regeln heute den europäischen Markt weitaus härter. Die Folge: Die Bankbilanzen in Europa drohen quasi zu verstopfen, so dass es keinen Spielraum für neue Kredite gibt, wenn die Nachfrage wieder anzieht. So erschweren es die verschiedenen Auflagen den Banken immer mehr, europäische Unternehmen zu finanzieren – das kann auf Dauer nicht im Sinne der Wirtschaft und der Politik sein. Was in der öffentlichen Debatte als notwendige Strenge gegen die Banken beklatscht wird, trifft am Ende oft auch die Firmenkunden – und damit die Quelle für Wachstum und Beschäftigung. Ich möchte noch einmal betonen: Natürlich fordere ich nicht, das Rad der Regulierung wieder zurückzudrehen. Es ist elementar, dass die Banken in künftigen Krisen nicht mehr auf die Hilfe von Staaten angewiesen sind. Aber was wir nun brauchen, ist Sicherheit in der Planung: Es sollte nicht im Tempo der vergangenen Jahre weitergehen. Es erscheint mir sinnvoll, zunächst die vorliegenden Regelungen wirken zu lassen, statt diese bereits wieder zu 7 verschärfen, noch ehe sie umgesetzt sind. Das gilt auch für die nächste Stufe der Basel-Regeln, also Basel IV. Neben diesen wichtigen Details geht es aber natürlich auch um das große Ganze in der Europäischen Union: Wir brauchen einen großen, einheitlichen Finanzmarkt. Dieses Thema sollte Priorität haben, denn das ist der beste Beitrag zu mehr Stabilität. Und wenn Banken die Finanzmittel dort anbieten können, wo sie am dringendsten gebraucht werden, profitieren sowohl Kreditnehmer als auch Sparer davon. Die gemeinsame Bankenaufsicht war ein erster wichtiger Schritt. Diesen Weg muss Europa geschlossen und zügig weitergehen, etwa mit der nun geplanten Kapitalmarktunion. Leider wird heute das Bankensystem noch allzu oft als eine nationale Angelegenheit verstanden. Doch nur in einem europäischen Finanzmarkt ohne Schranken können sich die Banken entwickeln, die Europa braucht. Das sind Banken, die dem Steuerzahler nicht zur Last fallen – und Banken, die in der Lage sind, das Wachstum europäischer Unternehmen zu finanzieren und diese weltweit zu begleiten. Schlussworte Das ist kein hochtrabendes Ziel, meine Damen und Herren, sondern eine notwendige Bedingung, um Europas Wohlstand zu sichern. Europa braucht innovative und produktive Unternehmen, es braucht neue Geschäftsideen, ob bei Startups, im Mittelstand oder in Konzernen. Aber es braucht – bei aller Bescheidenheit – auch jemanden, der all das finanziert. Wenn ich also dafür werbe, auch die Belange der Finanzbranche im Blick zu behalten, dann geht es nicht darum, Banken zu schonen. Vielmehr wünsche ich mir, dass Europa die strategische Bedeutung des Bankensystems für Wachstum und Wohlstand erkennt. Und das nicht allein auf nationaler Ebene, sondern als Gemeinschaft. So, meine Damen und Herren, das war jetzt die zweitlängste Rede, die ich je auf Deutsch gehalten habe. Nur unsere Aktionäre hatten kürzlich auf unserer Hauptversammlung noch mehr Geduld mit mir. Ich danke Ihnen ganz besonders für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Wirtschaftstag mit spannenden Vorträgen und vielen anregenden Gesprächen.
© Copyright 2024 ExpyDoc