EvangelischLutherische Gemeinde Rom Gemeindebrief Juli - September 2016 Inhalt Meditation Gemeindeleben Rückblick Mit Luther zum Papst Europäischer Stationenweg Gottesdienste Übersicht Gottesdienst zum Gedenken an das Augsburger Bekenntnis Begrüßungsgottesdienst Veranstaltungen Offenes Pfarrhaus Sommerkino Reformationsjubiläum Einführung in die Reformationsgeschichte Buchvorstellung „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ Ökumene Karlspreisrede von Papst Franziskus Horizonte des Glaubens Zum 100. Todestag des Komponisten Max Reger Kinder und Jugend KiGo-Termine Kinderseite Konfirmandenunterricht Informationen 2 Seite 3-5 Seite 6-16 Seite 53-54 Seite 55-57 Seite 7 Seite 40-41 Seite17-18 Seite 22 Seite 19-20 Seite 21 Seite 11 Seite 24-32 Seite 33-39 Seite 44-52 Seite 63-76 Seite 16 Seite 58-62 Seite 42 Seite 43 Seite 23 Seite 78-79 Seite 63 Meditation “Und Petrus stieg aus dem Boot” (Mt 14,29) Oft liegt der See Genezareth so friedlich, idyllisch im Sonnenlicht da wie auf dem Titelbild. Doch es kann auch passieren, dass am frühen Abend ein ziemlich scharfer Wind von Osten die Hügel herab weht und die Wellen gewaltig auftürmt. Der See ist dann nicht wieder zu erkennen. Kein Idyll mehr, sondern ein lebensgefährliches Gewässer. In einen solchen Sturm geraten die Jünger, die eines Nachts ohne Jesus auf dem See Genezareth unterwegs sind. So heftig toben die Wellen, dass die Jünger das Boot nicht mehr manövrieren können und fürchten müssen, selbst über Bord gespült zu werden. Da geschieht etwas Unerwartetes. Beim Evangelisten Matthäus heißt es: „Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See“ (Mt 14,25). Nach den Geschehnissen des Tages war Jesus an Land geblieben und hatte allein auf einem Berg gebetet. Nun aber geht er im Dunkeln auf dem See, auf dem Wasser, mitten im Sturm. Die Jünger jedoch erkennen ihn nicht. Sie glauben vielmehr, ein Gespenst zu sehen und fürchten sich sehr. Die Situation ändert sich schlagartig, als Jesus die Jünger anspricht und sich zu erkennen gibt. „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“ (Mt 14,27), sagt er im Dunkel der Nacht zu ihnen. Als sie seine Stimme hören, da erkennen ihn seine Jünger. Daraufhin wendet sich Petrus an Jesus und spricht: „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.“ (Mt 14,28) Da stockt einem der Atem. Es ist Nacht. Der Sturmwind heult. Die Wellen 3 Meditation türmen sich hoch auf. Jeder weiß, dass das Vorhaben des Petrus zum Scheitern verurteilt ist. Ein Mensch kann im Wasser nur versinken. Und dennoch: Petrus will zu Jesus. Er ist weder leichtsinnig noch übermütig. Er glaubt einfach, dass mit Jesu Hilfe alles möglich ist, sogar das Unmögliche. Er hat nur ein Ziel: bei Jesus zu sein. Er bittet nicht darum, menschliche Grenzen und Kräfte überschreiten zu dürfen, sondern darum: „lass mich zu dir kommen über das Wasser hin“. Jesus geht darauf ein und ruft ihm zu: „Komm her!“ Und unmittelbar danach heißt es: „Und Petrus stieg aus dem Boot“ (Mt 14,29). 'Mann über Bord!', so werden die Jünger vermutlich sogleich gedacht haben. Doch die ersten Schritte gelingen: „...und Petrus ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu“ (Mt 14,29). Es geht dabei nicht um einen Zaubertrick. Es geht um den Glauben, das Vertrauen auf Jesus. Im Glauben werden Brücken gebaut, die vorher nicht da waren. Aus Unmöglichem wird Mögliches. Aus tosendem Meer ein fester Grund. Glaube an Jesus ist nicht verrückt. Er trägt. Mitten im Sturm. Wichtig ist dabei: Petrus steht nicht über der Wirklichkeit. Bei allem Vertrauen bleiben die Bedrohungen des Lebens bestehen. Nur für einen Augenblick wendet Petrus seinen Blick von 4 Meditation Jesus weg, sieht auf die erregte See, merkt, dass sein eigenes Vermögen viel zu klein ist und verliert den festen Grund unter den Füßen. So eindrücklich ist diese Szene, dass die Geschichte in vielen Bibeln die Überschrift trägt „Der sinkende Petrus“. Doch das setzt den Akzent falsch. Denn viel wichtiger als das Sinken ist, dass Petrus im Vertrauen auf Jesus den Schritt aus dem Boot getan hat. Dass er ausgestiegen und auf dem Wasser gegangen ist und wir begreifen: Solche Glaubensstärke trägt. Dieses felsenfeste Vertrauen auf Jesus hat Petrus auch in der Angst des Versinkens nicht verlassen. Ihn ruft er in seiner Not um Errettung an: „Herr, hilf mir! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn“ (Mt 14,31). Selbst im Zweifel geht Petrus nicht unter. Nicht aus eigener Kraft, sondern weil er von Jesus gehalten wird. Natürlich kann niemand das Erlebnis des Petrus wiederholen. Aber die Geschichte ist trotzdem wahr. Es ist eine Vertrauensgeschichte. Sie zeigt, wo Menschen auf Gott vertrauen, da kann möglich werden, was nach menschlichen Maßstäben unmöglich ist. „Und Petrus stieg aus dem Boot“ - Petrus, nicht nur Felsen der Kirche, sondern zugleich Urbild all derer, die sich auf das Wagnis des Glaubens einlassen, die sich von den Bedrohungen ringsherum nicht erschrecken lassen und im Vertrauen auf Jesus entdecken, dass ihnen ungeahnte Möglichkeiten offen stehen. „Komm her!“ - Der Ruf Jesu gilt auch uns. Auch wir dürfen und sollen wie Petrus den Schritt aus dem Boot wagen, sprich: aus dem, wie wir unser Leben so geordnet haben, heraustreten und im Vertrauen auf Jesus neue Wege gehen. 5 Meditation Im Alltag sind wir oft so mit uns selbst beschäftigt, so darauf konzentriert, alles wenigstens einigermaßen am Laufen zu halten, dass wir den Ruf Jesu leicht überhören. Die Sommerzeit mit ihrem ganz eigenen Tempo, mit Zeit für Muße, Ausspannen und Erholung kann da auch eine Gelegenheit sein, um sich neu dem Ruf Jesu auszusetzen und im Vertrauen darauf, dass er uns in den „Stürmen des Lebens“ nicht untergehen lässt, unser Leben ehrlich anzuschauen, in Gelassenheit manches zu klären und den Aufbruch ins Leben zu wagen. Das kann der Beginn eines neuen beruflichen Projektes sein, das man sich bisher nicht zugetraut hat. Oder das soziale Engagment für Flüchtlinge, mit denen man den Kontakt bisher vermieden hat. Oder Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt an einem anderen Ort bedeuten. Oder das Aushalten einer Durststrecke, im Vertrauen darauf, dass Gott den Weg kennt. All solche Aufbrüche ins Leben sind möglich, weil Gott zu seiner Zusage steht: „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“ Deshalb können wir an sonnenhellen Sommertagen wie in dunklen Sturmnächten wie Petrus aus dem Boot aussteigen und im Vertrauen auf Jesus neue Wegen gehen. Wenn uns dazu in diesem Sommer die ersten Schritte gelingen, ist diese Zeit reich und erfüllt, mit einem Wort: gesegnet. Eben dies wünsche ich Ihnen von Herzen: eine gesegnete und ebenso erholsame wie anregende Sommerzeit! Mit herzlichen Grüßen, Ihr Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse 6 Gemeindeleben Aus dem Gemeindeleben „Gioia del cuore, Gesù Signore, nel tu regno ci condurrai“ - so erklang es vielstimmig, schwungvoll und begeistert von unserem Gemeindechor in der Kantate „Paulus in Rom“ gesungen, die im Gottesdienst am Sonntag, den 29. Mai 2016 zum ersten Mal aufgeführt wurde. Eine wunderbares Projekt – sinnbildlich für den Schwung, die Begeisterung und die Qualität, die für unsere Gemeinde kennzeichnend sind. Es geschieht nicht alle Tage, dass für eine Kirchengemeinde eine Kantate geschrieben wird und wir danken dem Hamburger Kirchenmusiker Igor Zeller sehr herzlich, dass und wie er diese Aufgabe gelöst hat! 7 Gemeindeleben Aufgrund seiner außerordentlichen Musikalität und seiner theologisch sehr reflektierten Glaubensposition ist eine Kantate entstanden, die auf Texten aus dem Römerbrief des Apostels Paulus basiert, die deutsche und die italienische Sprache verwendet und so angelegt ist, dass Kleine und Große, Jüngere und Ältere mitsingen können. Um die 50 Menschen waren am Sonnabend, dem 28. Mai gekommen, um miteinander die Kantate einzustudieren. Dazu mit Lorenzo Macrì ein engagierter Dirigent und mit Birte Düking (Bariton-Saxophon), Dario Germani (Kontrabass), Giampiero Silvestri (Schlagzeug), Martina Seleni (Orgel) und Igor Zeller (Bariton und Klavier) eine bestens aufgelegte Gruppe von Musikern. Schon das gemeinsame Proben hat viel Freude bereitet und der Funke der Begeisterung hat sich dann auch am Sonntag im Gottesdienst schnell ausgebreitet. Die Kantate „Paulus in Rom“ ist wirklich ein kleines Wunderwerk, durch das ein Bibeltext modern und gegenwartsnah ausgelegt wird und lässt Gemeinde sich als Gemeinschaft der Glaubenden erfahren. So fröhlich, schwungvoll und gehaltvoll soll Gemeinde sein! Ein Fortsetzung dieser sehr gelungenen Kooperation ist unter dem Arbeitstitel „Tango luterano“ für das kommende Jahr (27./28. Mai 2017) schon geplant... „Gioia del cuore, Gesù Signore, nel tu regno ci condurrai“ - Das ist nicht nur ein Kantatentext, sondern in diesen Worten kommt eine Freude im Glauben zum Ausdruck, die in unserem Gemeindeleben immer wieder zu finden ist. Sei es beim Chor-Workshop mit Heinz Hermann Grube aus Lübbecke/Westfalen, der am Sonntag, den 28. Februar 2016 wieder 8 Gemeindeleben zu einem musikalisch besonders gestalteten Gottesdienst geführt hat. Sei es der Gottesdienst und die Matinee am 6. März 2016, in dem die beiden Organisten Klaus Schulten und Gianluca Cagnani alle sechs Triosonaten von Johann Sebastian Bach aufgeführt haben. Sei es die Begegnung mit P. Virgilio Fantuzzi SJ, der uns am 17. März 2016 mit vielen Erklärungen und Geschichten einen spannenden Einblick in die Villa Malta gegeben hat. In ganz ähnlicher Weise haben die Stadtspaziergänge mit Dörte Schmidt über den Colle Oppio am 10. Mai 2016 und mit Dr. Heinz Beste vom DAI in der Domus Aurea am 24. Mai 2016 vielfältige und anregende neue Einsichten vermittelt. Eine besondere Freude hat uns Landesbischof Dr. Manzke (Bückeburg) bereitet, der im März in Rom war, um an der Gregoriana einen Monat lang zu studieren. Er hat diese Zeit nicht nur genutzt, um die Situation und die Möglichkeiten der 9 Gemeindeleben Ökumene in Rom besser kennenzulernen, sondern von Anfang auch den Kontakt zu unserer Gemeinde gesucht. Seine Predigten an den Sonntagen Judika (13. März), Karfreitag (25. März) und Quasimodogeniti (3. April) sind vielen ebenso in guter Erinnerung wie die persönlichen Begegnungen mit Landesbischof Manzke in unsere Gemeinde – sei es beim Incontro nach dem Gottesdienst oder beim Osterfrühstück. Am 16. April haben wir den Journalisten und Vatikanisten Iacopo Scaramuzzi zu einer Veranstaltung in unserem Gemeindesaal zu Gast gehabt. Dabei hat Herr Scaramuzzi nicht nur sein Buch „Tango Vaticano“ vorgestellt, in dem eine Reihe seiner sehr lesenswerten Analysen zum Pontifikat von Papst Franziskus versammelt sind, sondern zugleich eine brillante und anregende Deutung des gerade erschienenen postsynodalen Schreibens „Amoris Laetitia“ gegeben. Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die sich beim Incontro noch bis in den späten Abend hinein fortsetzte. 10 Gemeindeleben Eine weiteres kleines Wunder ereignete sich dann beim Kindergottesdienst am 17. April 2016. Unter Anleitung von Frau Karen Thomas malten Kinder aus unserer Gemeinde drei großformatige wunderschöne Schöpfungsbilder. Jedes einzelne Bild ist ein kleines Meisterwerk, zusammen bilden sie ein Triptychon, das vom Gottesdienst zum Thema „Schöpfung“ mit Pastorin Angelika Meder (Ingelheim) am 8. Mai 2016 an für einige Wochen von der linken Emporenseite herabhing und einen neuen Akzent in unserer Kirche gesetzt hat. 11 Gemeindeleben Im großen ökumenischen Festgottesdienst an Christi Himmelfahrt hatten wir in diesem Jahr S.Em. Kardinal Koch zu Gast, der eine sehr beeindruckende Predigt gehalten hat. Wer sie nachlesen möchte, findet sie auf der Homepage unserer Gemeinde. Viele ökumenische Freunde waren gekommen, um mit uns diesen Gottesdienst zu feiern. Eine besondere Freude war es, zum ersten Mal unsere Nachbarn von der Civiltà Cattolica P. Antonio Spadaro SJ und P. Giancarlo Pani SJ sowie P. Benedikt Mertens OFM aus San Isidoro begrüßen zu können. Außerdem haben mit Frau Schwaetzer (Präses der Synode der EKD), Frau Käßmann (Reformationsbotschafterin), OKR Dr. Gundlach (Vizepräsident des Kirchenamtes) und Professor Dr. Dres. Markschies (Vorsitzender der Kammer für Theologie) wichtige EKDVertreter an diesem Gottesdienst teilgenommen und einen kleinen Einblick über die Bedeutung unserer Gemeinde für die Ökumene in Rom bekommen. 12 Gemeindeleben Der Regen, der kurz vor Ende des Gottesdienstes eingesetzt hatte, hörte pünktlich um 20.00 Uhr wieder auf, so dass das Incontro doch im Pfarrgarten stattfinden konnte. Viele Gäste erfreuten sich an einem reichhaltigen Buffet und in fröhlicher Gemeinschaft setzte sich die Gemeinschaft bis tief in die Nacht fort. Ein großes Kompliment gilt dem Team, das unter der Regie von Marion Schulz mit großer Freundlichkeit, Flexibilität und Engagement wesentlich zum Gelingen dieses Festes beigetragen hat. Am 6. Mai erhielt Papst Franziskus den Internationalen Friedenspreis verliehen und er hat diesen Anlass genutzt, um bei der feierlichen Zeremonie in der Sala Regia des Apostolischen Palastes in einer beeindruckenden und nachdenkenswerten Rede seinen Traum von Europa zu entfalten und alle, die sich in dieser schwierigen Zeit für Europa einsetzen, zu ermutigen. Es lohnt sich sehr, diese Rede genau zu studieren. Eine Gelegenheit dazu bietet unser Gemeindebrief. 13 Gemeindeleben Zu den vielen schönen Gemeindeveranstaltungen im Mai gehört traditionell auch unser Gemeindeausflug, an dem in diesem Jahr am 25. Mai 46 Personen teilgenommen haben. In gelöster und fröhlicher Atmosphäre haben wir einen herrlichen Tag miteinander verbracht. Unter der kundigen Leitung von Daniel Becker, der mit Bärbel Aiello und Marion Schulz für die gesamte Organisation des Ausflugs verantwortlich zeichnete, wurde zunächst die Abbazia Valvisciolo besucht, dann gab es ein üppiges und leckeres Mittagessen auf dem Land und schließlich haben wir den Giardino di Ninfa besichtigt und vielfältigen botanische Erklärungen gelauscht. Und wie immer hat sich gezeigt: Wo wir als Gemeinde miteinander unterwegs sind, da gibt es immer interessante Dinge zu entdecken. Da vertieft sich immer die Gemeinschaft untereinander und das kommt dem Gemeindeleben überaus positiv zugute. 14 Gemeindeleben Dies gilt auch von unserer sechsten Gemeindereise ins Heiligen Land, die vom 4. bis 11. Juni stattgefunden hat. Ein dichtes Programm, das sich unter der ebenso kundigen wie bewährten Leitung von Christiane Bremer aus einer Vielzahl von Besichtigungen, Gesprächen, Begegnungen, biblischen Impulsen zusammensetzt, ermöglichte wieder vielfältige spirituelle, politische, kulturelle und kulinarische Einblicke in die Lebenswirklichkeit in Israel und Palästina. Wichtig sind uns in besonderer Weise die Verbindungen zur evangelischen Gemeinde in Jerusalem. Am Sonntag, den 5. Juni 2016, waren wir in der Erlöserkirche zu Gast und einige Tage später haben wir Gemeindemitglieder bei einer Begegnung in der Himmelfahrtskirche getroffen. Ausdruck unserer Verbundenheit mit der Gemeinde in Jerusalem ist auch die Kollekte, die wir im ökumenischen Gottesdienst an Christi Himmelfahrt zugunsten der Sozialarbeit gesammelt haben, die Frau Diet Koster aus dem Jerusalemer Gemeindevorstand in Palästina leistet und die wir direkt vor Ort abgegeben haben. Nach den Tagen in Jerusalem mit vielen ganz unterschiedlichen, sich immer wieder ergänzenden und überlagernden Eindrücken, sind wir dann wieder – nach einem Besuch der Taufstelle im Jordan - nach Tabgha am See Genezareth gefahren und dort den Spuren Jesu gefolgt. Den Abschluss der Reise bildete ein Abendmahlsgottesdienst direkt am Ufer des Sees Genezareth. „Gioia del cuore, Gesù Signore, nel tu regno ci condurrai“ - Diese Freude durchzieht unser Gemeindeleben und es ist schon sehr erstaunlich wieviele kleine Wunder sich in unserer Gemeinde 15 Gemeindeleben ereignen. Darüber darf man wirklich von Herzen dankbar sein und genauso soll es weitergehen. Die Vorbereitungen für das Jubiläumsjahr “1517-1817-2017” laufen auf Hochtouren und es verspricht ein überaus schönes und anregendes Jahr in unserer Gemeinde zu werden. Zur Einstimmung finden sich im Gemeindebrief schon einige Artikel, die in den Gesamtzusammenhang einführen und einzelne Veranstaltungen vorstellen. Gegenwärtig sind über 70 besondere Veranstaltungen für das Jubiläumsjahr in Planung – für Kinder und Familien über Musik, Ökumene und Vorträge bis hin zu Festgottesdiensten. Ein Programm mit allen Veranstaltungen, das im Herbst diesen Jahres fertig sein wird, geht Ihnen rechtzeitig zu, so dass Sie bestens informiert sein werden. Doch zunächst steht jetzt die Sommerzeit an und ich wünsche Ihnen erholsame Ferientage und freue mich auf Begegnungen und Gespräche in diesen ruhigeren Wochen in unserer Gemeinde. In herzlicher Verbundenheit, Ihr Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse 16 Gottesdienste Gottesdienst zum Gedenken an das Augsburger Bekenntnis von 1530 Der Reichstag, den Kaiser Karl V. im Jahr 1530 nach Augsburg einberufen hat, besitzt für die evangelisch-lutherische Kirche epochale Bedeutung, weil auf ihm das „Augsburger Bekenntnis“ (Confessio Augustana) öffentlich verlesen und übergeben wurde. Wie es in der Vorrede heißt, ist das Augsburger Bekenntnis von der Überzeugung getragen, „dass wir alle unter einem Christus sein und streiten und einen Christus bekennen sollen“. Dementsprechend führt der Text den Nachweis, dass die Lehre der Evangelischen mit den Aussagen der Heiligen Schrift übereinstimmt und dass sie nichts anderes lehren als die Alte Kirche. Die Confessio Augustana will also nicht das Bekenntnis einer Partikularkirche sein. Sie betont durchgehend die Übereinstimmung mit den Altgläubigen und erhebt den Anspruch, dass in ihr die „una 17 Gottesdienste sancta, catholica e apostolica ecclesia“ spricht. Obwohl manche Sätze des Augsburger Bekenntnisses sicher den Geist des 16. Jahrhunderts atmen, bilden diese 28 Artikel bis heute die wichtigste Bekenntnisschrift der evangelischlutherischen Kirche – auch weil hier zentrale Aussagen des christlichen Glaubens in einer Weise dargestellt werden, die bleibend überzeugend, anregend und wegweisend ist. Deshalb möchten wir sehr herzlich einladen zu einem Gottesdienst mit Gedenken an das Augsburger Bekenntnis am Sonntag, den 26. Juni 2016 um 10.00 Uhr in der Christuskirche Rom (Via Sicilia 70). Wir freuen uns auf Ihr Kommen! Pfarrer Dr. Kruse 18 Veranstaltungen Das offene Pfarrhaus Das offene Pfarrhaus ist ein besonders schönes Angebot unserer Gemeinde in den Sommermonaten. Jeden zweiten Donnerstag treffen wir uns ab 19.30 Uhr im Pfarrgarten – in entspannter und fröhlicher Atmosphäre, mit Wasser und Wein, Bruschetta, Würstchen und natürliche Ihren kulinarischen Beiträgen – bietet das Offene Pfarrhaus eine wunderbare Gelegenheit der Begegnung, des Kennenlernens und der Gemeinschaft. Immer wieder passiert es beim Offenen Pfarrhaus, dass Menschen überrascht entdecken, wer auch zu unserer Gemeinde gehört. Über die verschiedenen Gemeindegruppen hinweg ist das Offene Pfarrhaus ein wunderbarer Ort, um einander besser kennenzulernen und die Gemeinschaft zu vertiefen. Deshalb möchten wir Sie – Große und Kleine, Jüngere und Ältere, Alteingesessene und Neuzugezogene - besonders herzlich zum Offenen Pfarrhaus einladen. Die nächsten Termine sind: 23. Juni; 7. Juli; 21. Juli; 4. August; 18. August (mit Sommerkino); 1. September 2016. 19 19 Veranstaltungen Offenes Pfarrhaus mit Live-Musik: Münchner RED LEMON CATS in Rom Wenn soulige Töne auf einen Hauch von Jazz treffen, französischer Charme sich mit spanischen Feuer und italienischem Feeling vereint, dann entsteht die Musik der RED LEMON CATS. Am Donnerstag, den 21. Juli spielt die Münchner Band im Rahmen des Offenen Pfarrhauses ab 19.30 Uhr einen Mix aus Jazz, Soul, Blues und Eigenkreationen. Die sechs Bandmitglieder haben sich im Herbst 2015 in einem Hinterhausatelier in München kennengelernt. Aus den spontanen Jamsessions entstand schon bald eine feste multikulturelle Musiktruppe, die mit Gitarren, Schlagzeug, Piano, Kontrabass und Gesang ihren ganz eigenen Musikstil erklingen lässt. Was: Musik mit den RED LEMON CATS Wann: Donnerstag 21. Juli 2016 ab 19.30 Uhr Wo: Offenes Pfarrhaus, im Pfarrgarten in der Via Toscana 7 20 Veranstaltungen Sommerkino – „Belli di Papà“ Ein besonderes „Offenes Pfarrhaus“... am Donnerstag, den 18. August 2016 wollen wir ab 21.30 Uhr auf dem Dach des Gemeindehauses den Film „Belli di Papà“ (2015) von Guido Chiesa in italienischer Sprache zeigen. Im Mittelpunkt des Films steht Vincenzo Liuzzi, ein erfolgreicher Unternehmer aus Mailand. Plötzlich Witwer geworden muss er sich um die drei erwachsenen Kinder Matteo, Chiara und Andrea kümmern, die aufgrund seines Reichtums ein völlig sorgenfreies Leben führen – aber, wie Vincenzo jetzt entdeckt, auch ein Leben ohne Verantwortung, Sinn und Arbeit. Dies ändert sich als Vincenzo eine überstürtzte Flucht vor den Steuerbehörden inszeniert und mit seinen Kindern in ein altes, verfallenes Haus der Familie in Taranto zieht. Um zu überleben, müssen Matteo, Chiara und Andrea lernen etwas zu tun, was ihnen bis dahin fremd war: zu arbeiten und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Ein Film für die ganze Familie – amüsant und nachdenklich zugleich, mit vielen Momenten, die einen Schmunzeln und Lachen lassen. Pfarrer Dr. Kruse 21 Gottesdienste Begrüßungsgottesdienst am 11. September 2016 "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne..." Sind Sie gerade nach Rom umgezogen und neu in dieser wunderbaren Stadt angekommen? Oder wollten Sie eigentlich schon immer mal unsere Gemeinde kennenlernen? Oder freuen Sie sich einfach, nach der Ferienzeit all die vertrauten und lieben Menschen unserer Gemeinde endlich wiederzusehen? Dann sind Sie genau richtig beim Gottesdienst am Sonntag, den 11. September 2016, um 10.00 Uhr in der Christuskirche. Wir möchten Sie in diesem Gottesdienst in unserer Gemeinde herzlich begrüßen, Ihnen unsere Angebote und Aktivitäten vorstellen und Ihnen Kirche und Gemeindehaus zeigen. Sind Sie dabei? Wir freuen uns auf Sie! Pfarrer Dr. Kruse 22 Kinder und Jugend Konfirmandenunterricht Unter der Überschrift „Evangelisch in Rom“ soll ab Ende September wieder ein Konfirmandenkurs stattfinden. Wer etwa 13 Jahre alt ist, und Freude daran hat, in Gemeinschaft Kirche, Gottesdienst und Glaube zu entdecken, ist herzlich eingeladen, sich zum neuen Konfirmandenkurs im Gemeindebüro (Tel.: 06.4817519) anzumelden. Der Konfirmandenkurs dauert ein knappes Jahr. Der Unterricht findet ca. alle drei Wochen, nachmittags, in der Regel im Gemeindesaal in der Via Toscana 7 statt. Feierlicher Abschluss wird die Konfirmation an Pfingsten (4. Juni 2017) sein. Ein erstes Vorbereitungstreffen für die Konfirmanden und ihre Eltern findet am Freitag, den 23 September 2016, um 17.00 Uhr im Gemeindesaal, Via Toscana 7, statt. Pfarrer Dr. Kruse 23 Reformationsjubiläum Einführung in die Reformationsgeschichte – Teil 1: Luthers Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516) Im Jahr 2017 werden wir uns an den Anfang der Reformation vor 500 Jahren erinnern, deren Beginn in symbolhafter Weise in Luthers 95 Thesen über den Ablass gesehen wird. Doch weder fielen diese Thesen vom Himmel noch fing mit ihnen wie in einem Urknall die Reformation an. Erst im Rückblick, in der Erinnerung der Beteiligten und in der Deutung der Nachgeborenen verdichteten sich viele einzelnen Handlungen und Sichtweisen zu dem Ereignis „Reformation“. Als Luther im Herbst 1517 seine 95 Thesen über den Ablass verfasste, war er ein unbekannter Augustinermönch, der an der erst 1502 gegründeten Universität zu Wittenberg als Theologieprofessor wirkte. Dass ihn die für eine akademische Disputation gedachten Ablassthesen nicht nur in kürzester Zeit berühmt machen, sondern auch sein ganzes Leben nachhaltig verändern sollten, das war Luther weder bewusst noch von ihm intendiert. 24 Reformationsjubiläum Wer aber war Luther am Vorabend der Reformation? Wodurch war sein Leben bisher bestimmt gewesen? Was war sein Beruf? Was prägte ihn? Was war für seinen Glauben und seine Theologie wichtig? Was machte er vor 500 Jahren im Jahr 1516? Martin Luther war im Jahr 1505 in Erfurt in das Kloster der Augustinereremiten eingetreten, hatte Theologie studiert, war im Oktober 1512 in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert worden und versah seitdem in der Nachfolge seines Ordensoberen Johann von Staupitz die Professur an der theologischen Fakultät des Universität Wittenberg. Als Inhaber des theologischen Lehrstuhls, der von den Augustinern zu besetzen war, hatte Luther drei Aufgaben: In Vorlesungen musste er einzelne biblische Bücher gründlich kommentieren. Bei Disputationen hatte er den Vorsitz zu führen, Thesen zu formulieren und Ergebnisse festzuhalten. Schließlich gehörte zu seinen Pflichten, in Predigten im Augustinerkloster und in der Wittenberger Stadtkirche biblische Texte auszulegen. 25 Reformationsjubiläum Obwohl manche Theologieprofessuren in dieser Zeit auch über andere Werke Vorlesungen hielten, zumal über die Schriften des Kirchenvaters Augustin, hielt Luther von Anfang an bis zu seinem Tod im Jahre 1546 nur biblische Vorlesungen. Ihrem Anteil an der Bibel entsprechend überwogen dabei die alttestamentlichen Texte. Die erhaltenen Vorlesungen bieten das unmittelbarste Zeugnis von Luthers auf die ganze Bibel konzentrierten theologischen Arbeit. An den Vorlesungen bis 1521 kann man noch deutlich seine theologische Entwicklung im Ringen um das rechte Verständnis der Heiligen Schrift ablesen. Luther begann seine Vorlesungstätigkeit in Wittenberg mit einer Auslegung des Psalmenbuches (1513-1515). Es folgten Vorlesungen über den Römerbrief (1515-1516), über den Galaterbrief (1516-1517) und über den Hebräerbrief (1517-1518). Seit der 1518 begonnenen zweiten Psalmenvorlesung gab Luther seine durchweg in Latein gehaltenen biblischen Auslegungen immer wieder in den Druck oder ließ sie später von anderen veröffentlichen. Die frühesten Vorlesungen blieben dagegen ungedruckt. Sie wurden erst seit dem späten 19. Jahrhundert wieder entdeckt und bilden eine besonders wichtige Quelle, weil sie uns Einblick in den theologischen Denkprozess Luthers vor dem Beginn des Streites um den Ablass geben. Wenn Luther im Anschluss an die erste Psalmenvorlesung über Paulusbriefe las, dann zeigt schon die Wahl dieser Schriften, dass er sich besonders mit den zentralen Themen der paulinischen Theologie wie der Frage der Gerechtigkeit Gottes und der Rechtfertigung des Menschen auseinandersetzen wollte. 26 jj Reformationsjubiläum Der Vorlesung über den Römerbrief, die Luther von April 1515 bis September 1516 hielt, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Zum einen erschloss sich Luther aus der Beschäftigung mit dem Römerbrief das Verständnis der gesamten Bibel. Zum anderen lässt sich in dieser Vorlesung verfolgen, wie Luther zu den religiösen und theologischen Einsichten gelangte, die dann in den folgenden Jahren zur Grundlage der reformatorischen Theologie wurden. An den Beginn seiner Vorlesung über den Römerbrief stellt Luther eine Zusammenfassung, in der er sein theologisches Verständnis des Briefes auf den Punkt bringt: „Summe und Absicht des Apostels in diesem Brief ist: alle eigene Gerechtigkeit und Weisheit zu zerstören und umgekehrt Sünden und Torheit, die nicht vorhanden waren (d.h. die um solcher Gerechtigkeit willen von uns geachtet wurden, als wären sie nicht da), festzustellen, 27 Reformationsjubiläum zu mehren und groß zu machen (d.h. zu bewirken, dass man erkenne, dass sie immer noch bestehen und viel und groß sind) und so vollends zu zeigen, dass zu ihrer wahren Zerstörung Christus und seine Gerechtigkeit uns nötig sind. Dies führt er bis zum 12. Kapitel durch. Von da ab bis zum Schluss lehrt er, was und wie wir handeln müssen kraft eben dieser Gerechtigkeit Christi, die wir empfangen haben. Denn vor Gott verhält es sich nicht so, dass einer dadurch gerecht wird, dass er recht handelt..., sondern erst muss einer gerecht sein, dann handelt er auch recht“ (Mü, S. 9). Für Luthers neues Verständnis der Gerechtigkeit Gottes besitzen die Verse 16 und 17 des ersten Kapitels des Römerbriefes eine grundlegende Bedeutung, in denen Paulus davon spricht, dass das Evangelium eine Kraft Gottes ist. Die entscheidende, Luther intensiv beschäftigende Frage lautet, wie die „Kraft Gottes“ zu verstehen sei? In seinem Kommentar erklärt Luther es mit folgenden Worten: „Unter 'Kraft Gottes' ist nicht die zu verstehen, durch die er seinem Wesen nach in sich selbst mächtig ist, sondern die, vermöge derer er mächtig und stark macht. … Zum anderen ist zu beachten: dass es 'Kraft Gottes' heißt im Unterschied zu der Kraft der Menschen. Letztere ist das Vermögen, durch das der Mensch Macht und Heil gewinnt dem Fleisch nach und wodurch einer fähig wird, das zu tun, was des Fleisches ist. Dies Vermögen aber hat Gott durch das Kreuz Christi gänzlich zunichte gemacht, dass er nun seine Kraft gebe, durch die der Geist stark und selig wird und durch die einer kräftig ist, das zu tun, was des Geistes ist. … 28 Reformationsjubiläum So ergibt sich also zuletzt der Schluss: Wer dem Evangelium glaubt, muss schwach und töricht werden vor den Menschen, dass er stark und weise sei in der Kraft und Weisheit Gottes.“ (Mü S. 25ff) Und in diesen beiden Versen des Römerbriefes spricht Paulus auch davon, dass im Evangelium die „Gerechtigkeit offenbart wird, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben“ (v. 17). Luther deutet diese Stelle folgendermaßen: „In menschlichen Lehren wird die Gerechtigkeit der Menschen geoffenbart und gelehrt, d.h. wer und auf welche Weise einer gerecht ist und wird vor sich selbst und vor den Menschen. Einzig im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart (d.h. wer und auf welche Weise einer gerecht ist und gerecht wird vor Gott), nämlich allein durch den Glauben, mit dem man dem Worte Gottes glaubt. ... Denn die Gerechtigkeit Gottes ist die Ursache des Heils. Wiederum darf man hier unter der Gerechtigkeit Gottes nicht die verstehen, durch die er selbst gerecht ist in sich selbst, sondern die, durch die wir von ihm her gerecht gemacht werden. Das geschieht durch den Glauben an das Evangelium.“ (Mü S. 27f) 29 Reformationsjubiläum Viele Jahre nach der Vorlesung über den Römerbrief äußert sich Luther kurz vor seinem Tod in einem autobiographischen Rückblick noch einmal zu dieser Entdeckung eines ihn befreienden Verständnisses der Gerechtigkeit Gottes. In diesem sogenannten Selbstzeugnis von 1545 schreibt Luther: „Es war gewiss wunderbar, wie ich von einem hitzigen Eifer ergriffen war, Paulus im Briefe an die Römer kennenzulernen; aber im Wege war mir bis dahin nicht die Kälte meines Herzens gestanden, sondern ein allereinziges Wort im ersten Kapitel: 'Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbart'. Ich hasste dieses Wort 'Gerechtigkeit Gottes'; denn durch den Brauch und die Übung aller Doktoren war ich gelehrt worden, es philosophisch zu verstehen, von der sogenannten 'formalen' oder 'aktiven' Gerechtigkeit, durch die Gott gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft. Ich aber konnte den gerechten, den Sünder strafenden Gott nicht lieben, hasste ihn vielmehr; denn obwohl ich als untadeliger Mönch lebte, fühlte ich mich vor Gott als Sünder und gar unruhig in meinem Gewissen und getraute mich nicht zu hoffen, dass ich durch meine Genugtuung versöhnt sei. … So raste ich vor Wut in meinem verwirrten Gewissen, pochte aber dennoch ungestüm an dieser Stelle bei Paulus an, voll glühenden Durstes zu erfahren, was St. Paulus wolle. Da erbarmte sich Gott meiner. Unablässig sann ich Tag und Nacht, bis ich auf den Zusammenhang der Worte merkte, nämlich: 'Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbar, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt seines Glaubens'. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche Gerechtigkeit zu begreifen, durch die 'der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt', d.h. also 'aus Glauben', und merkte, dass dies so zu verstehen sei: 'durch das Evangelium wird 30 Reformationsjubiläum die Gerechtigkeit Gottes offenbar', nämlich die sogenannte 'passive', d.h. die, durch die uns Gott aus Gnaden und Barmherzigkeit rechtfertigt durch den Glauben, wie geschrieben steht: 'Der Gerechte lebt seines Glaubens'. Nun fühlte ich mich ganz und gar neugeboren: die Tore hatten sich mir aufgetan; ich war in das Paradies selbst eingegangen. Da zeigte mir sogleich auch die ganze Heilige Schrift ein anderes Gesicht. … Wie ich zuvor das Wort 'Gerechtigkeit Gottes' mit allem Hass hasste, so erhob ich nun mit heißer Liebe das gleiche Worte als süß und lieblich über andere. So wurde mir diese Stelle bei Paulus eine rechte Pforte zum Paradies.“ (Mü S. 26f) Von allen Texten Luthers vor dem Ablassstreit ist die Vorlesung über den Römerbrief in den Jahren 1515-1516 das gewichtigste Dokumente. Sie stellt in Luthers theologischer und religiöser Entwicklung einen Meilenstein dar. Vor und unabhängig vom Konflikt mit Rom hat Luther in der Auseinandersetzung mit den zentralen Themen der paulinischen Theologie einen Klärungsprozess durchlaufen, der zur Ausbildung seiner eigenen theologischen Position führt und der sich zugleich befreiend auf seine Frömmigkeit auswirkt. Was Luther in der Römerbriefvorlesung theologisch entdeckt, das wird ihm dann ein Jahr später helfen, die Auseinandersetzung um das Verständnis des Ablasses mit theologisch gut begründeten Argumenten zu führen. Die Lektüre von Luthers Römerbriefvorlesung ist auch für Menschen im 21. Jahrhundert von Bedeutung, weil in ihre Grundthemen des Glaubens durchdacht und verhandelt werden. Mit seinem Selbstzeugnis von 1545 hat Luther schließlich auch einen Hinweis 31 Reformationsjubiläum zum Studium der Heiligen Schrift gegeben. Denn er beschreibt sich in diesem Text als exemplarischer Bibelleser, dem sich im intensiven, nicht nachlassenden Lesen der Bibel der Sinn der Heiligen Schrift neu erschließt und für den dadurch wahr wird, was das Evangelium ihm zusagt. Die befreiende und den Glauben begründende Kraft dieser Bibellektüre ist in den Worten noch deutlich zu spüren, die Luther für diese Erfahrung gefunden hat und die er auch uns ermöglichen möchte: „Da fühlte ich mich geradezu von neuem geboren und durch geöffnete Tore ins Paradies selbst eingetreten.“ Pfarrer Dr. Kruse 32 Reformationsjubiläum Bücher zum Reformationsjubiläum Das Jahr 2017 mit dem Gedenken an den Beginn der Reformation rückt näher und deutlich wahrnehmbar steigt die Anzahl der Publikationen zu Luther und der Reformation. Wahrscheinlich gilt für dieses Reformationsjubiläum: Nie zuvor war die öffentliche Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung mit Luther und der Reformation so groß wie in diesen Jahren. Aus der unübersehbar gewordenen Fülle an neuen Biographien, Gesamtdarstellungen, Textausgaben, Feuilletonbeiträgen und kirchlichen Verlautbarungen sollen im folgenden drei neue, sehr empfehlenswerte Bücher zu Martin Luther vorgestellt werden, die sich mit den Stichworten Biographie, Theologie und Ökumene kennzeichnen lassen. Eine umfassende Biographie Martin Luthers hat Heinz Schilling unter dem Titel „Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ vorgelegt. Die Darstellung des Lebens Luthers entspricht dem Stand der heutigen Wissenschaft. Sie ist brillant geschrieben, mit kritischer Sympathie und sehr gut lesbar. Schilling gliedert seine Biographie Luthers in drei große Abschnitte: (1) Kindheit, Studium und erstes Klosterjahr – 1483-1511; (2) Wittenberg und die Anfänge der Reformation – 1511 - 1525; 33 Reformationsjubiläum (3) Zwischen Prophetengewissheit und zeitlichem Scheitern – 15251546. Zu den Besonderheiten dieses Buches gehört es, dass Schilling, der über viele Jahre Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin gelehrt hat, das Leben Luthers in einen weiten kirchlichen, politischen, sozialund wirtschaftsgeschichtlichen Kontext des 16. Jahrhunderts einbettet. Von daher kommen ebenso die zeitlich parallelen Reformanstrengungen im Bereich der katholischen Kirche wie auch die Religiosität von Kaiser Karl V. in den Blick und es entsteht das sehr differenzierte Panorama einer Zeit des Umbruchs. Schillings Auseinandersetzung mit Luthers Leben führt zu dem Urteil: „Aus der europageschichtlichen Perspektive betrachtet, wird man den französischen Historikern zustimmen, denen wie auch den Spaniern oder Italienern die Reformation stets ein deutsches und damit begrenztes Ereignis war und die nicht von der Reformation sprechen, sondern von einer „temps des Réformes“, einer sich vom 14. bis Mitte des 17. Jahrhunderts erstreckenden Epoche kirchlicher und religiöser Reformationen. Luther stand mitten in diesem Wandel. Er war sein Produkt, und er hat ihn wie kein zweiter vorangetrieben und gestaltet.“ (S. 614) Die theologische Entwicklung Martin Luthers und deren geistliche Herkunft schildert der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin in seinem Buch „Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln“. Häufig wird die Reformation als eine Zäsur verstanden, mit der das Mittelalter beendet sei. In dieser Sichtweise wird Luther dann als Begründer der Neuzeit verstanden. Leppin zeigt demgegenüber, dass 34 Reformationsjubiläum Luther nicht ohne die geistlichen Traditionen zu verstehen ist, die ihn beeinflussten und prägten: „Sie entstammen der religiösen Bewegung der Mystik im späten Mittelalter – und es waren genau diese Grundlagen des späten Mittelalters, die Luther zu einer religiösen Botschaft formte, aus der Impulse zur Änderung von Kirche und Gesellschaft entstanden. Das Mittelalter ist mehr als eine Negativfolie für die reformatorische Botschaft, auch mehr als ein bloßer Rahmen von Voraussetzungen, derer Luther bedurfte, um als Held der Geschichte die Bühne zu betreten. Die kulturelle Welt des späten Mittelalters formte Martin Luther wie seine Anhänger.“ (S. 10) Diese Welt ist vielen Menschen heute genauso fremd wie Luthers Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders, die hier ihre Wurzeln hat. Leppins Buch gleicht einer frömmigkeitsgeschichtlichen Entdeckungsreise in diese Welt des späten Mittelalters, die sehr viel stärker als oftmals angenommen wird das Entstehen von Luthers Theologie geprägt hat. 35 Reformationsjubiläum Detailliert und differenziert zeigt Leppin wie die theologischen Anfänge Luthers durch die Lektüre und das Gespräch mit mystischen Theologen – u.a. Johannes Tauler, Bernhard von Clairvaux und Luthers Beichtvater Johann von Staupitz – geprägt sind. Das Buch ermöglicht nicht nur die Entdeckung einer eher fremden Seite der Reformation, sondern ist zugleich eine glänzend geschriebene Geschichte der theologischen Anfänge Martin Luthers. Das dritte im Kontext des Reformationsjubiläums erschienene Buch stammt von Walter Kardinal Kasper. Es trägt den Titel „Martin Luther. Eine ökumenische Perspektive“ und geht zurück auf einen Vortrag, den der Autor im Januar 2016 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten hat. Es ist ein kleines, aber sehr gehaltvolles und für die Ökumene entscheidend wichtiges Buch. Das hängt in derselben Weise mit dem Autor wie mit dem Inhalt des Buches zusammen. Kardinal Kasper ist seit über 50 Jahren an maßgeblicher Stelle und mit h e r a u s g e h o b e n e r Verantwortung im Dialog zwischen der evangelischlutherischen Kirche und der römisch-katholischen Kirche tätig. Wenn er sich zu Fragen der Ökumene äußert, dann hat das Gewicht und so ist es für das 36 Reformationsjubiläum gemeinsame Gedenken an die Anfänge der Reformation im Jahr 2017 von nicht zu überschätzender Bedeutung, dass sich Kardinal Kasper in diesem Buch in einer positiven und wohlwollenden Grundstimmung und mit sehr viel Verständnis mit Martin Luther auseinandersetzt und aufzeigt, worin seine ökumenische Aktualität liegt. Es sind zwei Einsichten, die dem Buch Kardinal Kaspers und seiner Argumentation ihre Richtung geben. Zum einen weist er – ganz ähnlich wie Heinz Schilling und Volker Leppin – auf „die Fremdheit der Welt, in der Luther lebte, wie die Fremdheit seiner Botschaft“ (S. 11) hin. „Heute sind vielen, auch vielen praktizierenden Christen beider Kirchen, die von Luther aufgeworfenen Fragen gar nicht mehr verständlich.“ (S. 10) Zum anderen erinnert Kardinal Kasper die Kirchen an ihre Verantwortung für ein ökumenisch ertragreiches Gedenkjahr 2017: „Viele Christen erwarten zu Recht, dass das Gedenken von 500 Jahren Reformation im Jahr 2017 uns ökumenisch einen Schritt dem Ziel der Einheit näher bringen werde. Wir dürfen diese Erwartung nicht enttäuschen.“ (S. 9) Diese beiden Einsichten bilden den Hintergrund für die These, die Kardinal Kasper in den sieben Kapiteln seines Essays entfaltet: „Gerade die Fremdheit Luthers und seiner Botschaft ist seine ökumenische Aktualität heute.“ (S. 11) Das mag paradox klingen. Wenn uns etwas als „fremd“ erscheint, dann wollen wir damit üblicherweise nichts zu tun haben. Und für eine solche Haltung Luther gegenüber ließen sich sowohl aus 37 Reformationsjubiläum evangelischer wie aus katholischer Sicht eine Reihe von Argumenten anführen. Das Erstaunliche an der Sichtweise Kardinal Kaspers besteht nun darin, dass er sich von der „Fremdheit“ nicht irritieren lässt, sondern tiefer schaut und in dem, was uns fremd erscheint, die Mitte von Luthers Theologie entdeckt, die bleibend aktuell sei und auf die sich deshalb evangelische wie römisch-katholische Christen heute gemeinsam besinnen sollten. „Luthers Anliegen war“, so stellt Kardinal Kasper fest, „das Evangelium der Herrlichkeit der Gnade Gottes, quod est maximum. Das Evangelium war für Luther kein Buch, nicht einfach die Bibel, auch kein Kodex von Lehren, sondern eine lebendige Botschaft, die zur persönlichen Anrede wird, ein Zuspruch und eine Verheißung (promissio) pro me und pro nobis. … Damit war Luther ein Reformer, kein Reformator. Er dachte nicht daran, Gründer einer seperaten Reform-Kirche zu werden. Sein Ziel war die Erneuerung der katholischen Kirche, das heißt der gesamten Christenheit, vom Evangelium her.“ (S. 24) Luther ging es – was besonders deutlich an der Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam über die Frage des menschlichen Willens wurde – um die Erkenntnis Christi und um das „solus Christus“. Im Urteil von Kardinal Kasper ist Luther mit dieser „Unterscheidung des Christlichen“ (Romano Guardini)... ein Fremder in der Neuzeit und gerade in dieser seiner christologischen Konzentration besteht seine ökumenische Aktualität.“ (S. 47) Von daher sieht Kardinal Kasper die beste ökumenische Idee für das Jahr 2017 in dem Vorhaben, ein gemeinsames Christusfest zu feiern (Heinrich Bedford-Strohm) und dem Anliegen Luthers gemäß den Menschen heute Zeugnis vom Evangelium zu geben. „Die Botschaft 38 Reformationsjubiläum von der Barmherzigkeit Gottes war die Antwort auf seine (scil. Luthers) persönliche Frage und Not wie auf die Fragen seiner Zeit; sie ist auch heute die Antwort auf die Zeichen der Zeit und die drängenden Fragen vieler Menschen. Allein Gottes Barmherzigkeit kann die tiefen Wunden heilen, welche die Trennung am Leib Christi, der die Kirche ist, geschlagen hat. Sie kann unsere Herzen verändern und erneuern, damit wir zur Umkehr bereit sind, uns barmherzig einander zuwenden, einander vergangenes Unrecht verzeihen, uns versöhnen und uns auf den Weg machen, um geduldig Schritt für Schritt auf dem Weg zur Einheit in versöhnter Verschiedenheit zusammenfinden.“ (S. 68) Mit seiner positiven und wertschätzenden Luther-Lektüre gelingt es Kardinal Kasper in diesem kleinen Buch, eine ökumenisch tragfähige Perspektive für ein gemeinsames Reformationsgedenken 2017 zu entwickeln und er macht zugleich Mut, diesen Weg zu gehen, weil er um die Verheißung dieses Weges weiß: „Die Einheit ist heute näher als vor 500 Jahren. Sie hat bereits begonnen. Wir sind 2017 nicht mehr wie 1517 auf dem Weg zur Trennung, sondern auf dem Weg zur Einheit. Wenn wir Mut und Geduld haben, werden wir am Ende nicht enttäuscht werden. Wir werden uns die Augen reiben und dankbar staunen, was Gottes Geist, vielleicht ganz anders als wir es uns ausgedacht haben, zuwege gebracht hat. In dieser ökumenischen Perspektive könnte 2017 für evangelische wie für katholische Christen eine Chance sein. Wir sollten sie nützen. Es täte beiden Kirchen gut, vielen Menschen, die darauf warten, und der Welt, die zumal heute unser gemeinsames Zeugnis braucht.“ (S. 71) So bleibt nur noch eins: Nimm und lies! Pfarrer Dr. Kruse 39 Gottesdienste Gottesdienste und Musik in der Christuskirche Abkürzungen: P = Pfarrer, PK = Prädikant (KiGo = Kindergottesdienst, I = Gottesdienst in italienischer Sprache) 19. Juni 10.00 Uhr Familiengottesdienst im 4. Son. n. Trinitatis Grünen P. Dr. Kruse 26. Juni P. Dr. Kruse 10.00 Uhr Gottesdienst mit 5. Son. n. Trinitatis Gedenken an das Augsburger Bekenntnis von 1530 3. Juli 10.00 Uhr Predigtgottesdienst P. Stephan Rost 6. Son. n. Trinitatis 10. Juli 10.00 Uhr Abendmahlsgottesdienst 7. Son. n. Trinitatis 17. Juli 10.00 Uhr Predigtgottesdienst P. Cyprian Matefy PK Anna Belli 8. Son. n. Trinitatis 24. Juli 10.00 Uhr Abendmahlsgottesdienst P. Dr. Kruse 9. Son. n. Trinitatis 31. Juli 10.00 Uhr Predigtgottesdienst P. Andreas Latz 10. Son. n. Trinitatis 7. August 10.00 Uhr Abendmahlsgottesdienst 11. Son. n. Trinitatis 14. August 10.00 Uhr Predigtgottesdienst 12. Son. n. Trinitatis 40 P. Dr. Kruse P. Patrizia Müller Gottesdienste 21. August 10.00 Uhr Abendmahlsgottesdienst 13. Son. n. Trinitatis 28. August 10.00 Uhr Predigtgottesdienst PK Stefan Schneck PK Anna Belli 14. Son. n. Trinitatis 4. September 10.00 Uhr Abendmahlsgottesdienst P. Dr. Kruse 10.00 Uhr Begrüßungsgottesdienst 16. Son. n. Trinitatis (KiGo) P. Dr. Kruse 18. September 10.00 Uhr Abendmahlsgottesdienst P. Dr. Kruse 10.00 Uhr Predigtgottesdienst P. Dr. Kruse 10.00 Uhr Familiengottesdienst zum Erntedankfest Liturgie: 15. Son. n. Trinitatis 11. September 17. Son. n. Trinitatis 25. September 18. Son. n. Trinitatis 2. Oktober Erntedankfest P. Dr. Kruse Predigt: Prof. Dr. Dres. h.c. Christoph Markschies (Berlin) 9. Oktober 10.00 Uhr Predigtgottesdienst P. Dr. Kruse 20. Son. n. Trinitatis 41 Kinder und Jugend Wir treffen uns in der Regel einmal im Monat, sonntags um 10.00 Uhr in der Kirche. Nach dem ersten Lied ziehen die Kinder zum Kindergottesdienst in den Gemeindesaal. Alle Kinder sind herzlich eingeladen! Wir singen, beten und spielen zusammen. Das KiGo-Team bereitet ein Thema oder eine Geschichte vor, um die es geht. Lasst Euch überraschen! Al in K le der Sind Herzl ich Eingeladen! Am 19. Juni 2016 feiert wir gemeinsam einen fröhlichen und festlichen Familiengottesdienst im Pfarrgarten. Nach der Sommerpause beginnt der Kindergottesdienst wieder am Sonntag, den 11. September 2016. Wir freuen uns auf Euch! Das Kindergottesdienstteam 42 Kinderseite 43 Reformationsjubiläum „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ - Eine ökumenische Perspektive für das Jahr 2017 Bei diesem Vortrag handelt es sich um die Ansprache, die Professor Dr. Theodor Dieter, der Direktor des Instituts für Ökumenische Forschung in Straßburg, beim Festakt für Weihbischof Dr. Jaschke anlässlich seines 25-jährigen Bischofsjubiläums in der Katholischen Akademie Hamburg am 3. September 2015 gehalten hat und den wir freundlicherweise in unserem Gemeindebrief abdrucken dürfen. Wie können im Jahr 2017 evangelische und katholische Christinnen und Christen gemeinsam an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren erinnern? Mit dieser Frage hat sich die Internationale katholisch/lutherische Kommission für die Einheit beschäftigt und in mehreren Jahren mit einiger Mühe ein Dokument erarbeitet, das den Titel trägt: „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Die Hauptschwierigkeit bei der Arbeit war, dass die Assoziationen und Konnotationen, die sich für evangelische und katholische Christen mit dem Wort „Reformation“ verbinden, unterschiedlich, ja gegensätzlich sind. Evangelische Christen assoziieren mit dem Wort die Wiederentdeckung des Evangeliums, Freiheit, Gewissheit des Glaubens, während Katholiken an die Spaltung der Kirche denken. Wie soll angesichts solch unterschiedlicher Assoziationen eine gemeinsame Erinnerung möglich sein? Die Schwierigkeiten haben sich noch einmal verstärkt unter der Frage, ob es nur eine gemeinsame Reformationserinnerung oder auch eine gemeinsame Reformationsfeier geben könne. Common commemoration oder common celebration – das war die Frage. 44 Reformationsjubiläum Franzosen und Deutsche konnten im Jahr 2014 gemeinsam an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnern, aber sie konnten dieses Ereignis natürlich nicht feiern. Feiern kann man nur, wenn einem etwas Gutes widerfahren ist, aber ein Kriegsausbruch gehört sicher nicht zu den guten Ereignissen, ebenso wenig wie eine Kirchenspaltung. Freude und Dank, so wurde von katholischer Seite argumentiert, können nur der ökumenischen Bewegung gelten, die den Versuch macht, jene mit der Reformation eingetretene Kirchenspaltung zu überwinden, nicht jedoch der Reformation. 2017 könnte demnach nicht die Reformation, sondern nur die Ökumene gefeiert werden. So aber kann mit evangelischen Christinnen und Christen eine g e m e i n s a m e Reformationserinnerung nicht gelingen, denn für sie ist das erste Gefühl, das sie mit dem Wort „Reformation“ verbinden, das der Dankbarkeit und Freude, und das müssen sie auch ausdrücken können, so sehr sie bedauern, dass es im 16. Jahrhundert zur Spaltung der westlichen Christenheit gekommen ist. Man wird noch einen Schritt weiter gehen müssen: Gewiss, feiern kann man nur etwas Gutes. Das heißt aber umgekehrt: Wenn man im Blick auf etwas, das sich in der Vergangenheit ereignet hat, gar nichts zu feiern hat, dann gibt es darin auch nichts Gutes. Im Blick auf die Reformation heißt das: Wenn es hier nichts zu feiern gibt, dann ist in ihr auch nichts Gutes zu finden. 45 45 Reformationsjubiläum Es wäre dann besser, wenn sie nicht stattgefunden hätte; und das würde auch bedeuten: Es wäre besser, wenn es keine evangelischen Kirchen gäbe. Man darf sich dieser Konsequenz nicht verschließen. Wenn das aber so wäre, dann hätte es keinen Sinn, ökumenische Gespräche zu führen; es hätte keinen Sinn, im Dialog zu versuchen, zu einer tieferen Gemeinschaft zu finden. In der Herausforderung, wie im Jahr 2017 und in der Vorbereitung darauf an den Beginn der Reformation erinnert wird, steht also die Ökumene auf dem Spiel. Wenn Theologen mit solchen Gegensätzen zu tun haben, pflegen sie seit alters die Kunst der Unterscheidung. Tatsächlich wird das Wort „Reformation“ mit vielen Bedeutungen gebraucht. Für unsere Fragestellung kann man zwei unterschiedliche Bedeutungen unterscheiden. Das Wort „Reformation“ kann erstens auf eine Folge von Ereignissen im 16. Jahrhundert verweisen, die von der Publikation der 95 Thesen Luthers zum Ablass bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555 oder bis zum Konzil von Trient (1545-1563) reicht. Hier meint „Reformation“ eine Kette von Ereignissen. „Reformation“ kann aber auch zweitens das Ganze der theologischen Einsichten der Reformatoren in das Evangelium wie auch die Gemeinden und schließlich Kirchen, in denen diese Einsichten zum Tragen gekommen sind, bezeichnen. In der zuerst genannten Bedeutung des Wortes gehört die Reformation nicht allein den Evangelischen; die Reformatoren und ihre Anhänger sind keineswegs die alleinigen Subjekte dieser Geschichte. Zu ihren Akteuren gehören neben Luther und seinen theologischen Kollegen wie Philipp Melanchthon auch der Papst, Kardinäle wie Cajetan oder Albrecht von Mainz, Luthers sächsische Kurfürsten, der Kaiser, der französische König, ja die Türken und viele andere Akteure. Es ist wichtig, sich das deutlich zu machen, denn es 46 Reformationsjubiläum ist diese Geschichte, in der die westliche Kirche gespalten wurde. Wenn es aber so viele Akteure in jener Geschichte gab, dann kann ihr Ergebnis nicht einseitig Luther und den anderen Reformatoren zugeschrieben werden. Dieser Eindruck wird freilich immer wieder erweckt, wenn man folgenden Schluss vornimmt: ‚Luther ist Urheber der Reformation’ (Satz 1 mit „Reformation“ in der Bedeutung „Ensemble theologischer Erkenntnisse“). Satz 2: ‚Die Reformation hat zur Kirchenspaltung geführt’ („Reformation“ als Ereigniskette). Dann lautet die conclusio – der Schluss – so: ‚Luther hat die Kirchenspaltung hervorgebracht’. Das aber ist ein klassischer Fehlschluss auf Grund von Äquivokation. Ob ein gemeinsames Reformationsgedenken gelingt, hängt daran, dass und wie verschiedene Bedeutungen des Wortes „Reformation“ unterschieden werden. Genauer: Es wird nach dem zuvor Gesagten darauf ankommen, ob sich in den theologischen Einsichten, die Martin 47 Reformationsjubiläum Luther gewonnen hat und die zu einer öffentlichen Bewegung geworden sind, etwas finden lässt, das auch in den Augen von Katholiken etwas Gutes darstellt. Dass es hier zu einer positiven Antwort kommen kann, dazu haben sowohl das Zweite Vatikanische Konzil wie auch die ökumenischen Studien und Dialoge beigetragen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dafür den Weg bereitet, indem es „Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ auch außerhalb der Grenzen der (römisch)katholischen Kirche wahrgenommen hat. Diesen Impuls des Konzils nimmt das Dokument auf und stellt in seinen Mittelpunkt eine Darstellung von vier Hauptaspekten der Theologie Luthers, und zwar von solchen, die im 16. Jahrhundert und seither als kontrovers verstanden worden sind (Rechtfertigung – Herrenmahl – Amt – Schrift und Tradition). 48 Reformationsjubiläum Von ihnen haben nun aber die ökumenischen Dialoge in den vergangenen 50 Jahren gezeigt, dass sich in ihnen vieles grundlegend Gemeinsame findet, vieles, das auch Katholiken teilen können. Für die Vorstellung der ökumenischen Dialoge spielt die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre eine besondere Rolle, weil sie offiziell von der Katholischen Kirche wie vom Lutherischen Weltbund angenommen worden ist und darum besondere Autorität hat. In diesem Teil des Dokuments wird das Wort „Reformation“ als Bezeichnung für ein Ensemble theologischer Einsichten Martin Luthers und seiner Mitreformatoren gebraucht. Soweit darin etwas Gemeinsames erkannt werden kann – etwas, das darum auch gemeinsam von Evangelischen und Katholiken als etwas Gutes verstanden wird –, gibt es für beide auch Grund zum Feiern. Das Konzil hat ja ausdrücklich festgestellt, es sei „notwendig, dass die Katholiken die wahrhaft christlichen Güter aus dem gemeinsamen Erbe mit Freude anerkennen und hochschätzen, die sich bei den von uns getrennten Brüdern finden. Es ist billig und heilsam [man beachte die Sprache aus dem Hochgebet], die Reichtümer Christi und das Wirken der Geisteskräfte im Leben der anderen anzuerkennen“. Wenn also das Konzil zur „Anerkennung mit Freude“ auffordert, was sollte dann Katholiken daran hindern, dasjenige an den reformatorischen Einsichten, das im ökumenischen Dialog als gemeinsam erkannt worden ist, auch gemeinsam zu feiern? Es wird klar, wie wichtig für eine ökumenische Erinnerung 2017 der in den ökumenischen Dialogen geführte Nachweis ist, dass es sich um Güter aus dem gemeinsamen Erbe handelt. So kann das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ auch verstanden werden als die theologisch wohl begründete Bitte an die Katholiken, sich an wichtigen theologischen Einsichten der 49 Reformationsjubiläum Reformation mit zu freuen. Das Dokument betont, dass das gemeinsame Gedenken seinen Grund in der Taufe hat, die Lutheraner wie Katholiken in den einen Leib Christi einführt. Vom Leib Christi aber ist nach Paulus zu sagen: „Wenn ... ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm“ (1 Kor 12,26). Wenn die evangelischen Christen des Beginns der Reformation gedenken, betrifft das also auch die katholischen Glieder des Leibes Christi. „Indem sie miteinander des Reformationsbeginns gedenken, nehmen sie ihre Taufe ernst.“ (Nr. 221) „Reformation“ in der anderen vorher genannten Bedeutung als Bezeichnung der Ereignisse im 16. Jahrhundert, die zur Kirchenspaltung geführt haben, wird im Dokument ebenfalls ernst genommen, wenn im dritten Kapitel eine kurze Skizze jener Ereignisse gegeben wird. Diese Skizze beschreibt einige wichtige Stationen und macht deutlich, dass die Bildung einer neuen Kirche nicht in der Absicht der Reformatoren lag und dass die Spaltung der westlichen Christenheit das Ergebnis von komplexen Interaktionen zahlreicher Akteure war, zu denen nicht nur die Reformatoren, sondern ebenso die Verantwortlichen der Römischen Kirche gehörten, so dass die Reformation in diesem Sinn ebenso Werk Luthers wie der römischen Verantwortlichen und zahlreicher politischer Akteure ist. Der Reformation in dieser Bedeutung als Ereigniskette, die zur Spaltung der Kirche geführt hat, gilt nun in der Tat Bedauern, Trauern und Bekenntnis der Schuld. Dass Kirchen nicht zum ersten Mal öffentlich Schuld bekennen, wird an Beispielen aus der Katholischen Kirche und aus dem Lutherischen Weltbund deutlich gemacht. Klar ist freilich, dass ein mögliches Schuldbekenntnis 2017 nicht als einseitiges gemeint sein kann, so als ob die evangelische Seite allein 50 43 Reformationsjubiläum für die Kirchenspaltung verantwortlich wäre und die evangelischen Christinnen und Christen deshalb dies zu bekennen hätten. Schuld hat es auf allen Seiten gegeben, so dass ein Schuldbekenntnis nur ein beiderseitiges Bekenntnis sein kann. Die Schuld wird in dem Dokument im Übrigen nicht darin gesehen, dass Theologen beider Seiten an ihren unterschiedlichen Auffassungen festgehalten haben. Hätten sie, ohne eine bessere Einsicht gewonnen zu haben, ihre Überzeugung aufgegeben, hätten sie gegen ihr Gewissen gehandelt und sich dadurch schuldig gemacht. Ein evangelischer Theologe kann nicht die Rechtfertigungslehre, wie sie Luther verstanden hat, für wahr halten, und Luthers Schuld darin sehen, dass er zu dieser Lehre gestanden ist. Die Schuld der Reformatoren wie ihrer Gegner wird vielmehr darin gesehen, wie sie ihre Auffassungen durchgesetzt haben: indem sie oft genug ihre Gegner missverstanden und in pessimam partem interpretiert haben, so dass sie vielfältig gegen das achte Gebot, kein falsches Zeugnis zu reden, verstoßen haben; indem sie ihre Gegner karikiert, der Lächerlichkeit preisgegeben und diabolisiert haben; indem sie die Durchsetzung der eigenen Position weit vor die Bewahrung der Einheit gesetzt haben; indem sie Weltliches und Geistliches wechselseitig instrumentalisiert haben. Ein beiderseitiges Schuldbekenntnis, gründlich vorbereitet und ernst gemeint, würde die Beziehungen der Kirchen zueinander nachhaltig verbessern und in der Gesellschaft Zeugnis davon geben, dass die Kirchen bereit und in der Lage sind, im Verhältnis zueinander das zu tun, was sie immer wieder von den Menschen fordern: Bereitschaft zur Versöhnung. Für das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ gehören beim Erinnern im Jahr 2017 gemeinsame Freude und gemeinsamer Schmerz zusammen. 51 51 Reformationsjubiläum Der Text schließt mit fünf Imperativen, die katholische und evangelische Christinnen und Christen wie ihre Kirchen bitten, die Option für die Einheit zu wählen und zu bekräftigen, das heißt: aus der Perspektive der Einheit und nicht aus der Perspektive der Spaltung zu denken und zu handeln. Von der Perspektive der Einheit aus denken, die Option für die Einheit realisieren, soll heißen, dass die andere Kirche nicht zuerst als andere wahrgenommen wird, sondern als Teil des einen Leibes Christi. Es geht also darum, die Katholizität der Kirche, wie sie im Credo bekannt wird, ernst zu nehmen, nicht eine römische, sondern die umfassende Katholizität. Die Beziehungen zu anderen Kirchen sind dann nicht Außenbeziehungen, sondern Innenbeziehungen innerhalb des einen Leibes Christi. Die Katholizität der einen Kirche so zu glauben, dass sie im Leben der einzelnen Kirchen Ausdruck findet, erfordert eine immer neue conversio, eine Umkehr des Herzens und des Verstandes. Die erste von Luthers 95 Thesen lautet bekanntlich: „Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus spricht ‚Tut Buße’, dann will er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei“. Wäre das Jahr 2017, das an die Veröffentlichung dieser Thesen erinnert, nicht eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Kirchen, miteinander diese erste These in einer solchen Umkehr des Herzens und Verstandes zur Einheit ernst zu nehmen? Professor Dr. Theodor Dieter 52 Gemeindeleben Mit Luther zum Papst – Ökumenische Romreise Wir erwarten viele Gäste, genauer gesagt um die 1000 Jugendliche und Junggebliebene, die vom 10.-14. Oktober 2016 im Zeichen der Ökumene nach Rom kommen werden. Es ist ein besonders schönes und wichtiges Projekt, das unter dem Motto „Mit Luther zum Papst“ steht und von den großen christlichen Kirchen der Luther-Region Sachsen-Anhalt – des Bistums Magdeburg, der Evangelischen Landeskirche Anhalts und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland - getragen wird. Sie laden bundesweit und konfessionsübergreifend dazu ein, eine gemeinsame Reisegruppe zu bilden und aus dem Land der Reformation an den zentralen Ort des römisch-katholischen Glaubens zu reisen. Im Logo des Projektes, das stilisiert Wittenberg, die Alpen und Rom zeigt, kommt dies anschaulich zum Ausdruck: Unter den gut 1000 Pilgern werden auch die leitenden Geistlichen der Region sein: Bischof Dr. Gerhard Feige, Landesbischöfin Ilse Junkermann und Kirchenpräsident Joachim Liebig. 53 Gemeindeleben Die Ewige Stadt sollen die Teilnehmer dabei aus ungewohnten Blickwinkeln kennenlernen und sich auf die Suche nach gemeinsamen Wurzeln begeben. Ein wichtiger Begegnungsort wird dabei unsere Christuskirche sein. Am 11. Oktober wird unsere Kirche Station auf einem sogenannten „7-Pforten Weg sein“. Gedacht ist auch an eine Beteiligung kleinerer Gruppen an unseren Sozialprojekten und eine Begegnung mit Gemeindemitgliedern am 13. Oktober und an einen evangelischen Gottesdienst. Wie die Teilnehmer der Pilgerfahrt sind auch wir als eine der gastgebenden Gemeinden eingeladen, uns an der Vorbereitung dieses Projektes zu beteiligen. Dazu sind wir gebeten, Thesen und Wünsche für die Ökumene zu formulieren, die im Oktober 2016 Papst Franziskus übergeben werden und dann 2017 zum Reformationsjubiläum mit auf den Kirchentag nach Wittenberg gebracht werden. Möglich ist dies unter folgender Internetadresse: http://www.mit-luther-zumpapst.de/de/sehen-verstehen/95-thesen-zur-oekumene Junge Menschen, die gemeinsam unterwegs sind, die voneinander erfahren, was den anderen Mitreisenden in ihrem Christsein wichtig ist und die in Rom die gemeinsamen Wurzeln ihres Glaubens entdecken und vertiefen – genauso macht das Reformationsgedenken Sinn und hat Ökumene eine gute Zukunft! Pfarrer Dr. Kruse 54 Gemeindeleben „Roma – Porta dell'ecumenismo“ Europäischer Stationenweg Reformatorische Gedanken kamen in der Frühen Neuzeit an manchen Orten auf, wie etwa in Prag, Wittenberg, Zürich und Rom. Die daraus entstandenen Bewegungen haben Europa und darüber hinaus die Welt verändert und geprägt. Den Spuren, die die Reformation in Glaube, Kultur, Geschichte und Politik hinterlassen hat, will im Jahr des Reformationsgedenkens der Europäische Stationenweg nachspüren. Von Italien und England über Schweden und Finnland bis nach Lettland und Rumänien werden sich insgesamt 67 Städte in 18 Ländern an diesem Projekt beteiligen und über alle nationalen Grenzen und kulturellen, sprachlichen und politischen Unterschiede hinweg miteinander verbinden. Damit hat dieses Projekt des Reformationsgedenkens auch eine wichtige europäische Bedeutung, worauf auch der EKDRatsvorsitzende Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hingewiesen hat: „Der Europäische Stationenweg ist genau die Idee, die wir jetzt in Europa brauchen. Wir müssen über Grenzen hinwegkommen!“ Der Europäische Stationenweg beginnt am 3. November 2016 in Genf und wird am 20. Mai 2017 in Wittenberg enden, wo die unterwegs gesammelten Geschichten Eingang in eine Weltausstellung finden. Am Mittwoch, den 18. Januar 2017 - dem ersten Tag der Gebetswoche für die Einheit der Christen – wird der Europäische Stationenweg auch in Rom zu Gast sein. 55 Gemeindeleben Der Stationenweg steht unter dem Motto „Geschichten auf Reisen“. An jeder Station laden Kirchengemeinden dazu ein, regionale Zeugnisse, Akteure und Traditionen der Reformation neu zu entdecken und zu fragen, worin ihre Bedeutung für den christlichen Glauben heute besteht. Dabei sollen persönliche Geschichten mit der Reformation im Mittelpunkt stehen. 56 Gemeindeleben Deshalb wenden wir uns mit der herzlichen Einladung und Bitte an Sie: Ø Überlegen Sie einmal, wo es in Ihrem Leben Berührungspunkte mit der Reformation gegeben hat, was Ihnen Ihr evangelischer Glaube bedeutet und worin das Schöne oder auch Schwierige für Sie besteht, in Rom evangelisch zu sein? Ø Und bitte schreiben Sie Ihre Gedanken auf! Wir wollen die Geschichten sammeln und einige von Ihnen am Stationentag bei einer Veranstaltung in der Christuskirche verlesen. Unsere Station steht übrigens unter dem Motto „Rom – Tor der Ökumene“. Uns – das ist eine kleine Arbeitsgruppe, die an der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl angesiedelt ist und die das Programm an diesem Tag vorbereitet - scheint das Thema der Ökumene ein wichtiger Impuls zu sein, der heute von Rom ausgeht und das Reformationsgedenken in unserer Stadt bestimmt. Zum weiteren Programm werden eine Präsentation von Schriften aus der Anfangszeit der Reformation, erläuternde Vorträge und ein geistlicher Abschluss gehören. Weitere Informationen über den Europäischen Stationenweg und auch eine Liste mit allen beteiligten Orten finden sich unter folgender Adresse im Internet: www.r2017.org/europaeischer-stationenweg. Pfarrer Dr. Kruse 57 Horizonte des Glaubens Zum 100. Todestag des Komponisten Max Reger Max Reger starb am 11. Mai 1916 im Alter von nur 43 Jahren in einem Hotelzimmer in Leipzig. Neben seinem Bett fand man den Korrekturabzug seiner „Geistlichen Gesänge“ op. 138; aufgeschlagen war das erste Stück „Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit, und alle Welt vergehet mit ihrer Herrlichkeit, es ist nur einer ewig und an allen Enden und wir in seinen Händen.“ Seine Musik vereint monumentale Größe mit mystischer Zartheit, äußerst komplexe Polyphonie mit extremen harmonischen Verläufen; scheinbar chaotische Klangstrukturen in größtmöglicher Lautstärke stehen betörenden melodiösen Abschnitten gegenüber - fern, trauernd, schön, schwebend, und leise…. Reger wurde 1873 in Weiden (Oberpfalz) geboren. 1890 erhielt er die Chance, bei Hugo Riemann zu studieren, zunächst am Konservatorium in Sonderhausen und dann in Wiesbaden. Es war ein langer und alles andere als geradliniger Weg, den Reger ging, um einer der berühmtesten Komponisten der Jahrhundertwende zu werden. 1895 war er Klavierlehrer in Wiesbaden, danach lebte er wieder zu Hause in Weiden, schuf große Kompositionen und zog später nach München, wo er dachte, sich besser entfalten zu können, sowohl im Hinblick auf seine Kompositionen als auch als konzertierender Pianist. 1907 wurde er zum Universitätsmusikdirektor und Professor am Königlichen Konservatorium in Leipzig berufen und 1911 krönte er 58 Horizonte des Glaubens seine künstlerische Laufbahn, als er Hofkapellmeister und damit Dirigent in Meiningen wurde. Die traditionsreiche Meininger Hofkapelle des kunstsinnigen Herzogs Georgs II. gehörte damals zu den besten Orchestern Deutschlands. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde das Orchester aufgelöst. Bereits kurz davor legte Reger aus gesundheitlichen Gründen sein Amt nieder, er zog nach Jena und führte von dort aus seine auf einen Tag in der Woche beschränkte Unterrichtstätigkeit in Leipzig fort. Er war glücklich über die gewonnene neue Zeit, denn er wollte komponieren und sprach bereits von einem neuen „Jenaer“ Stil. Durch seinen frühen Tod wissen wir nicht, wie er sich weiter entwickelt hätte. Um seine geschichtliche Einordnung zu ermessen, möge man sich vor Augen halten, dass Arnold Schönberg, der große Wegbereiter der neuen Musik, nur ein Jahr später geboren wurde (1874 in Wien). Schönberg lebte bis 1951, Reger starb mitten im Ersten Weltkrieg. Beide gehen vollkommen andere Wege. Schönberg, der als Wegbereiter der neuen Musik gilt, verlässt ab 1908 in seinen 59 Horizonte des Glaubens en „Beginn“ eines neuen Weges in der Musik, ihrer Theorie und Klanglichkeit, beschreibt - mit manchen skandalumtosten Aufführungen -, bezieht sich Regers Schaffen auf das „Ende“ eines Weges und damit auf eine Musikkultur, die Anfang des 20. Jahrhunderts unterging. Reger vereint Tradition und Moderne, doch er verlässt die klassische Tonalität nie. Ohne „die drei B“ (Bach, Beethoven und Brahms sind gemeint) wäre seine Musik nicht denkbar. Dabei führt er sie an ihre Grenzen: harmonisch, melodisch und inhaltlich - was letztlich bisweilen zu dem gleichen Eindruck führt wie eine Musik ohne tonale Bezüge, und bisweilen war er ebenso umstritten wie seine „moderneren“ Kollegen. Er war einer der letzten Großen der Spätromantischen Musik, ein „Riese“ wie Paul Hindemith es formulierte. Seine Musik spiegelt sowohl das „fin de siècle“ als auch die sich anbahnenden Umbrüche des beginnenden 20. Jahrhunderts. Im Grunde genommen spiegelt Regers Musik nicht nur seine Zeit, sondern auch seine Person, unstet, arbeitswütig, rastlos, sensibel – mit Hang zu seinem sprichwörtlichen, manchmal derben, Humor. (Als er einmal ein Orchester während einer Probe hörte, oder hören musste, und sich nebenbei eine Zigarre anzündete, wurde er darauf hingewiesen, dass das Rauchen nicht gestattet sei. "Ganz recht“ antwortete Reger, „man musiziert hier ohne Feuer“.) Regers Arbeitspensum war enorm. Die Gesamtausgabe seiner Werke umfasst 38 Bände. Mit der Meininger Hofkapelle leitete er beispielsweise 1912 an 21 Tagen 21 Konzerte, fast täglich in einer anderen Stadt (und dies in einer Zeit, in der man nicht so bequem 60 Horizonte des Glaubens reiste wie heutzutage). Und quasi nebenher führte er einen ausgedehnten Briefwechsel. Er aß und trank Unmengen, er soll auch unter Alkoholeinfluss wunderbar Klavier gespielt haben (das ist überliefert), und er schrieb meist sofort „ins Reine“, wenn er komponierte, also ohne Skizzen oder Vorentwürfe seiner Musik. Dabei war er ein Komponist mit großer spiritueller Kraft. Reger bezeichnete sich als „katholisch bis in die Fingerspitzen“ und sagte gleichzeitig „die Protestanten wissen gar nicht, was sie an ihrem Gesangbuch haben“. Er meinte den Schatz evangelischer Choräle, deren Melodien und Texte. Reger schuf einen neuen Stilbereich innerhalb der Orgelmusik: einige große Choralphantasien für Orgel, die nach einer einführenden Introduktion die einzelnen Strophen in Musik umsetzen, d.h. beleuchten, kommentieren und interpretieren. Der Text der jeweiligen Strophen steht dabei in der Orgelpartitur immer über den dazu gehörenden Noten. 61 Horizonte des Glaubens Die meisten seiner zahlreichen Orgelwerke sind sehr schwer zu spielen, sie galten sogar als unspielbar, bis der spätere Leipziger Thomasorganist Karl Straube die meisten der Regerschen Orgelwerke erstmals spielte und damit allen das Gegenteil bewies. Oft werden Regers Werke schlicht zu schnell gespielt, die (originalen) Metronomangaben sind nicht immer allumfassend, und ein sehr wichtiger Ausspruch Regers sollte heute wieder mehr Beachtung finden: „Junger Mann, spielen’s meine Sachen net so schnell, auch wenn‘s anders dasteht“ sagte Reger zu einem Organisten in Dortmund, als der eines seiner Werke für ein Konzert probte. Reger schuf bedeutende Kammermusik, Musik für Streicher, Lieder, große Werke für Orchester, große Werke für Chor und Orchester. Und er schuf, ganz im Sinne evangelischer Kirchenusik, bedeutende a cappella Chorwerke: seine Motetten op. 110 etwa gehören zu den bedeutendsten Werken, die es für Chor a capella gibt. Und sie führen auch heute noch jeden Chor an seine Grenzen, und dabei „sprechen“ sie wie bei Schütz und Bach, nur eben in der Sprache der ausgehenden Romantik. Klaus Schulten Zum Jubiläumsjahr der Reformation 2017 wird Herr Schulten unsere Orgel, die bekanntlich ein Reger-Schüler mit disponiert hat, in einer weiteren CD vorstellen. Diesmal wird es Musik unterschiedlicher Komponisten geben, doch im Zentrum der CD soll Max Regers letztes großes Orgelwerk stehen; Fantasie und Fuge in d-moll, op. 135b, begonnen 1914 und vollendet 1916. Es eignet sich besonders für unsere Orgel, die ja nicht besonders groß ist, aber wunderbare romantische Farben hat und sich dabei der Orgelmusik nach dem Ersten Weltkrieg öffnet – genau wie Regers letzte Stücke. 62 Ökumene Ansprache von Papst Franziskus anlässlich der Verleihung des Karlspreises am 6. Mai 2016 Sehr verehrte Gäste, Herzlich heiße ich Sie willkommen und danke Ihnen, dass Sie da sind. Ein besonderer Dank gilt den Herren Marcel Philipp, Jürgen Linden, Martin Schulz, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk für ihre freundlichen Worte. Ich möchte noch einmal meine Absicht bekräftigen, den ehrenvollen Preis, mit dem ich ausgezeichnet werde, Europa zu widmen: Wir wollen die Gelegenheit ergreifen, über dieses festliche Ereignis hinaus gemeinsam einen neuen kräftigen Schwung für diesen geliebten Kontinent herbeizuwünschen. Die Kreativität, der Geist, die Fähigkeit, sich wieder aufzurichten und aus den eigenen Grenzen hinauszugehen, gehören zur Seele Europas. 63 Ökumene Im vergangenen Jahrhundert hat es der Menschheit bewiesen, dass ein neuer Anfang möglich war: Nach Jahren tragischer Auseinandersetzungen, die im furchtbarsten Krieg, an den man sich erinnert, gipfelten, entstand mit der Gnade Gottes etwas in der Geschichte noch nie dagewesenes Neues. Schutt und Asche konnten die Hoffnung und die Suche nach dem Anderen, die im Herzen der Gründerväter des europäischen Projekts brannten, nicht auslöschen. Sie legten das Fundament für ein Bollwerk des Friedens, ein Gebäude, das von Staaten aufgebaut ist, die sich nicht aus Zwang, sondern aus freier Entscheidung für dasGemeinwohl zusammenschlossen und dabei für immer darauf verzichtet haben, sich gegeneinander zu wenden. Nach vielen Teilungen fand Europa endlich sich selbst und begann sein Haus zu bauen. Diese »Familie von Völkern«[1], die in der Zwischenzeit lobenswerterweise größer geworden ist, scheint in jüngster Zeit die Mauern dieses gemeinsamen Hauses, die mitunter in Abweichung von dem glänzenden Projektentwurf der Väter errichtet wurden, weniger als sein Eigen zu empfinden. Jenes Klima des Neuen, jener brennende Wunsch, die Einheit aufzubauen, scheinen immer mehr erloschen. Wir Kinder dieses Traumes sind versucht, unseren Egoismen nachzugeben, indem wir auf den eigenen Nutzen schauen und daran denken, bestimmte Zäune zu errichten. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Resignation und die Müdigkeit nicht zur Seele Europas gehören und dass auch die »Schwierigkeiten zu machtvollen Förderern der Einheit werden können«[2]. Im Europäischen Parlament habe ich mir erlaubt, von Europa als Großmutter zu sprechen. Zu den Europaabgeordneten sagte ich, dass von verschiedenen Seiten der Gesamteindruck eines müden und gealterten Europa, das nicht fruchtbar und lebendig ist, zugenommen hat, wo die großen Ideale, welche Europa inspiriert haben, 64 Ökumene ihre Anziehungskraft verloren zu haben scheinen; ein heruntergekommenes Europa, das seine Fähigkeit, etwas hervorzubringen und zu schaffen, verloren zu haben scheint. Ein Europa, das versucht ist, eher Räume zu sichern und zu beherrschen, als Inklusions- und Transformationsprozesse hervorzubringen; ein Europa, das sich „verschanzt“, anstatt Taten den Vorrang zu geben, welche neue Dynamiken in der Gesellschaft fördern – Dynamiken, die in der Lage sind, alle sozialen Handlungsträger (Gruppen und Personen) bei der Suche nach neuen Lösungen der gegenwärtigen Probleme einzubeziehen und dazu zu bewegen, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringen. Ein Europa, dem es fern liegt, Räume zu schützen, sondern das zu einer Mutter wird, die Prozesse hervorbringt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 223). Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten? Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten? Der Schriftsteller Elie Wiesel, Überlebender der NaziVernichtungslager, sagte, dass heute eine „Transfusion des 65 Ökumene Gedächtnisses“ grundlegend ist. Es ist notwendig, „Gedächtnis zu halten“, ein wenig von der Gegenwart Abstand zu nehmen, um der Stimme unserer Vorfahren zu lauschen. Das Gedächtnis wird uns nicht nur erlauben, nicht dieselben Fehler der Vergangenheit zu begehen (vgl. Evangelii gaudium, 108), sondern gibt uns auch Zutritt zu den Errungenschaften, die unseren Völkern geholfen haben, die historischen Kreuzungswege, denen sie begegneten, positiv zu beschreiten. Die Transfusion des Gedächtnisses befreit uns von der oft attraktiveren gegenwärtigen Tendenz, hastig auf dem Treibsand unmittelbarer Ergebnisse zu bauen, die »einen leichten politischen Ertrag schnell und kurzlebig erbringen [könnten], aber nicht die menschliche Fülle aufbauen« (ebd., 224). Zu diesem Zweck wird es uns gut tun, die Gründerväter Europas in Erinnerung zu rufen. Sie verstanden es, in einem von den Wunden des Krieges gezeichneten Umfeld nach alternativen, innovativen Wegen zu suchen. Sie hatten die Kühnheit, nicht nur von der Idee 66 Ökumene Europa zu träumen, sondern wagten, die Modelle, die bloß Gewalt und Zerstörung hervorbrachten, radikal zu verändern. Sie wagten, nach vielseitigen Lösungen für die Probleme zu suchen, die nach und nach von allen anerkannt wurden. Robert Schuman sagte bei dem Akt, den viele als die Geburtsstunde der ersten europäischen Gemeinschaft ansehen: »Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.«[3] Gerade jetzt, in dieser unserer zerrissenen und verwundeten Welt, ist es notwendig, zu dieser Solidarität der Tat zurückzukehren, zur selben konkreten Großzügigkeit, die auf den Zweiten Weltkrieg folgte, denn – wie Schuman weiter ausführte – »Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.«[4] Die Pläne der Gründerväter, jener Herolde des Friedens und Propheten der Zukunft, sind nicht überholt: Heute mehr denn je regen sie an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen. Sie scheinen einen eindringlichen Aufruf auszusprechen, sich nicht mit kosmetischen Überarbeitungen oder gewundenen Kompromissen zur Verbesserung mancher Verträge zufrieden zu geben, sondern mutig neue, tief verwurzelte Fundamente zu legen. Wie Alcide De Gasperi sagte: »Von der Sorge um das Gemeinwohl unserer europäischen Vaterländer, unseres Vaterlandes Europa gleichermaßen beseelt, müssen alle ohne Furcht eine konstruktive Arbeit wieder neu beginnen, die alle unsere Anstrengungen einer geduldigen und dauerhaften Zusammenarbeit erfordert.«[5] Diese Transfusion des Gedächtnisses macht es uns möglich, uns von der Vergangenheit inspirieren zu lassen, um mutig dem 67 Ökumene vielschichtigen mehrpoligen Kontext unserer Tage zu begegnen und dabei entschlossen die Herausforderung anzunehmen, die Idee Europa zu „aktualisieren“ – eines Europa, das imstande ist, einen neuen, auf drei Fähigkeiten gegründeten Humanismus zur Welt zu bringen: Fähigkeit zur Integration, Fähigkeit zum Dialog und Fähigkeit, etwas hervorzubringen. Fähigkeit zur Integration Erich Przywara fordert uns mit seinem großartigen Werk Idee Europa heraus, sich die Stadt als eine Stätte des Zusammenlebens verschiedener Einrichtungen auf unterschiedlichen Ebenen vorzustellen. Er kannte jene reduktionistische Tendenz, die jedem Versuch, das gesellschaftliche Gefüge zu denken und davon zu träumen, anhaftet. Die vielen unserer Städte innewohnende Schönheit verdankt sich der Tatsache, dass es ihnen gelungen ist, die Unterschiede der Epochen, Nationen, Stile, Visionen in der Zeit zu bewahren. Es genügt, auf das unschätzbare kulturelle Erbe Roms zu schauen, um noch einmal zu bekräftigen, dass der Reichtum und der Wert eines Volkes eben darin wurzelt, alle diese Ebenen in einem gesunden Miteinander auszudrücken zu wissen. Die Reduktionismen und alle Bestrebungen zur Vereinheitlichung – weit entfernt davon, Wert hervorzubringen – verurteilen unsere Völker zu einer grausamen Armut: jene der Exklusion. Und weit entfernt davon, Größe, Reichtum und Schönheit mit sich zu bringen, ruft die Exklusion Feigheit, Enge und Brutalität hervor. Weit entfernt davon, dem Geist Adel zu verleihen, bringt sie ihm Kleinlichkeit. Die Wurzeln unserer Völker, die Wurzeln Europas festigten sich im Laufe seiner Geschichte. Dabei lernte es, die verschiedensten Kulturen, ohne sichtliche Verbindung untereinander, in immer neuen Synthesen zu integrieren. Die europäische Identität ist und war immer eine dynamische und multikulturelle Identität. 68 Ökumene Die Politik weiß, dass sie vor dieser grundlegenden und nicht verschiebbaren Arbeit der Integration steht. Wir wissen: »Das Ganze ist mehr als der Teil, und es ist auch mehr als ihre einfache Summe.« Dafür muss man immer arbeiten und »den Blick ausweiten, um ein größeres Gut zu erkennen, das uns allen Nutzen bringt« (Evangelii gaudium, 235). Wir sind aufgefordert, eine Integration zu fördern, die in der Solidarität die Art und Weise findet, wie die Dinge zu tun sind, wie Geschichte gestaltet werden soll. Es geht um eine Solidarität, die nie mit Almosen verwechselt werden darf, sondern als Schaffung von Möglichkeiten zu sehen ist, damit alle Bewohner unserer – und vieler anderer – Städte ihr Leben in Würde entfalten können. Die Zeit lehrt uns gerade, dass die bloße geographische Eingliederung der Menschen nicht ausreicht, sondern dass die Herausforderung in einer starken kulturellen Integration besteht. Auf diese Weise wird die Gemeinschaft der europäischen Völker die Versuchung überwinden können, sich auf einseitige Paradigmen zurückzuziehen und sich auf „ideologische Kolonialisierungen“ einzulassen. So wird sie vielmehr die Größe der europäischen Seele wiederentdecken, die aus der Begegnung von Zivilisationen und Völkern entstanden ist, die viel weiter als die gegenwärtigen Grenzen der Europäischen Union geht und berufen ist, zum Vorbild für neue 69 Ökumene Synthesen und des Dialogs zu werden. Das Gesicht Europas unterscheidet sich nämlich nicht dadurch, dass es sich anderen widersetzt, sondern dass es die Züge verschiedener Kulturen eingeprägt trägt und die Schönheit, die aus der Überwindung der Beziehungslosigkeit kommt. Ohne diese Fähigkeit zur Integration werden die einst von Konrad Adenauer gesprochenen Worte heute als Prophezeiung der Zukunft erklingen: »Die Zukunft der abendländischen Menschheit [ist] durch nichts, aber auch durch gar nichts, durch keine politische Spannung so sehr gefährdet wie durch die Gefahr der Vermassung, der Uniformierung des Denkens und Fühlens, kurz, der gesamten Lebensauffassung und durch die Flucht aus der Verantwortung, aus der Sorge für sich selbst.«[6] Die Fähigkeit zum Dialog Wenn es ein Wort gibt, das wir bis zur Erschöpfung wiederholen müssen, dann lautet es Dialog. Wir sind aufgefordert, eine Kultur des Dialogs zu fördern, indem wir mit allen Mitteln Instanzen zu eröffnen suchen, damit dieser Dialog möglich wird und uns gestattet, das soziale Gefüge neu aufzubauen. Die Kultur des Dialogs impliziert einen echten Lernprozess sowie eine Askese, die uns hilft, den Anderen als ebenbürtigen Gesprächspartner anzuerkennen, und die uns erlaubt, den Fremden, den Migranten, den Angehörigen einer anderen Kultur als Subjekt zu betrachten, dem man als anerkanntem und geschätztem Gegenüber zuhört. Es ist für uns heute dringlich, alle sozialen Handlungsträger einzubeziehen, um »eine Kultur, die den Dialog als Form der Begegnung bevorzugt,« zu fördern, indem wir »die Suche nach Einvernehmen und Übereinkünften [vorantreiben], ohne sie jedoch von der Sorge um eine gerechte Gesellschaft zu trennen, die erinnerungsfähig ist und niemanden ausschließt« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 239). Der 70 Ökumene Frieden wird in dem Maß dauerhaft sein, wie wir unsere Kinder mit den Werkzeugen des Dialogs ausrüsten und sie den „guten Kampf“ der Begegnung und der Verhandlung lehren. Auf diese Weise werden wir ihnen eine Kultur als Erbe überlassen können, die Strategien zu umreißen weiß, die nicht zum Tod, sondern zum Leben, nicht zur Ausschließung, sondern zur Integration führen. Diese Kultur des Dialogs, die in alle schulischen Lehrpläne als übergreifende Achse der Fächer aufgenommen werden müsste, wird dazu verhelfen, der jungen Generation eine andere Art der Konfliktlösung einzuprägen als jene, an die wir sie jetzt gewöhnen. Heute ist es dringend nötig, „Koalitionen“ schaffen zu können, die nicht mehr nur militärisch oder wirtschaftlich, sondern kulturell, erzieherisch, philosophisch und religiös sind. Koalitionen, die herausstellen, dass es bei vielen Auseinandersetzungen oft um die Macht wirtschaftlicher Gruppen geht. Es braucht Koalitionen, die fähig sind, das Volk vor der Benutzung durch unlautere Ziele zu verteidigen. Rüsten wir unsere Leute mit der Kultur des Dialogs und der Begegnung aus. Die Fähigkeit, etwas hervorzubringen Der Dialog und alles, was er mit sich bringt, erinnern uns daran, dass keiner sich darauf beschränken kann, Zuschauer oder bloßer Beobachter zu sein. Alle, vom Kleinsten bis zum Größten, bilden einen aktiven Part beim Aufbau einer integrierten und versöhnten Gesellschaft. Diese Kultur ist möglich, wenn alle an ihrer Ausgestaltung und ihrem Aufbau teilhaben. Die gegenwärtige Situation lässt keine bloßen Zaungäste der Kämpfe anderer zu. Sie ist im Gegenteil ein deutlicher Appell an die persönliche und soziale Verantwortung. 71 Ökumene In diesem Sinne spielen unsere jungen Menschen eine dominierende Rolle. Sie sind nicht die Zukunft unserer Völker, sie sind ihre Gegenwart. Schon heute schmieden sie mit ihren Träumen und mit ihrem Leben den europäischen Geist. Wir können nicht an ein Morgen denken, ohne dass wir ihnen eine wirkliche Teilhabe als Träger der Veränderung und des Wandels anbieten. Wir können uns Europa nicht vorstellen, ohne dass wir sie einbeziehen und zu Protagonisten dieses Traums machen. Kürzlich habe ich über diesen Aspekt nachgedacht, und ich habe mich gefragt: Wie können wir unsere jungen Menschen an diesem Aufbau teilhaben lassen, wenn wir ihnen die Arbeit vorenthalten? Wenn wir ihnen keine würdige Arbeiten geben, die ihnen erlauben, sich mit Hilfe ihrer Hände, ihrer Intelligenz und ihrer Energien zu entwickeln? Wie können wir behaupten, ihnen die Bedeutung von Protagonisten zuzugestehen, wenn die Quoten der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung von Millionen von jungen Europäern ansteigen? 72 Ökumene Es ist nötig, von einer Wirtschaft, die auf den Verdienst und den Profit auf der Basis von Spekulation und Darlehen auf Zinsen zielt, zu einer sozialen Wirtschaft überzugehen, die in die Menschen investiert, indem sie Arbeitsplätze und Qualifikation schafft. Von einer „verflüssigten“ Wirtschaft, die dazu neigt, Korruption als Mittel zur Erzielung von Gewinnen zu begünstigen, müssen wir zu einer sozialen Wirtschaft gelangen, die den Zugang zum Land und zum Dach über dem Kopf garantiert. Und dies mittels der Arbeit als dem Umfeld, in dem die Menschen und die Gemeinschaften »viele Dimensionen des Lebens ins Spiel [bringen können]: die Kreativität, die Planung der Zukunft, die Entwicklung der Fähigkeiten, die Ausübung der Werte, die Kommunikation mit den anderen, eine Haltung der Anbetung. In der weltweiten sozialen Wirklichkeit von heute ist es daher über die begrenzten Interessen der Unternehmen und einer fragwürdigen wirtschaftlichen Rationalität hinaus notwendig, ‚dass als Priorität weiterhin das Ziel verfolgt wird, allen Zugang zur Arbeit zu verschaffen‘[8]« (Enzyklika Laudato si‘, 127). Wenn wir eine menschenwürdige Zukunft anstreben wollen, wenn wir eine friedliche Zukunft für unsere Gesellschaft wünschen, können wir sie nur erreichen, indem wir auf die wahre Inklusion setzen: »die, welche die würdige, freie, kreative, beteiligte und solidarische Arbeit gibt«[9]. Dieser Übergang (von einer „verflüssigten“ zu einer sozialen Wirtschaft) vermittelt nicht nur neue Perspektiven und konkrete Gelegenheiten zur Integration und Inklusion, sondern eröffnet uns von neuem die Fähigkeit von jenem Humanismus zu träumen, dessen Wiege und Quelle Europa einst war. 73 Ökumene Am Wiederaufblühen eines zwar müden, aber immer noch an Energien und Kapazitäten reichen Europas kann und soll die Kirche mitwirken. Ihre Aufgabe fällt mit ihrer Mission zusammen, der Verkündigung des Evangeliums. Diese zeigt sich heute mehr denn je vor allem dahin, dass wir dem Menschen mit seinen Verletzungen entgegenkommen, indem wir ihm die starke und zugleich schlichte Gegenwart Christi bringen, seine tröstende und ermutigende Barmherzigkeit. Gott möchte unter den Menschen wohnen, aber das kann er nur mit Männern und Frauen erreichen, die – wie einst die großen Glaubensboten des Kontinents – von ihm angerührt sind und das Evangelium leben, ohne nach etwas anderem zu suchen. Nur eine Kirche, die reich an Zeugen ist, vermag von neuem das reine Wasser des Evangeliums auf die Wurzeln Europas zu geben. Dabei ist der Weg der Christen auf die volle Gemeinschaft hin ein großes Zeichen der Zeit, aber auch ein dringendes Erfordernis, um dem Ruf des Herrn zu entsprechen, dass alle eins sein sollen (vgl. Joh 17,21). 74 Ökumene Mit dem Verstand und mit dem Herz, mit Hoffnung und ohne leere Nostalgien, als Sohn, der in der Mutter Europa seine Lebens- und Glaubenswurzeln hat, träume ich von einem neuen europäischen Humanismus: »Es bedarf eines ständigen Weges der Humanisierung«, und dazu braucht es »Gedächtnis, Mut und eine gesunde menschliche Zukunftsvision«[10]. Ich träume von einem jungen Europa, das fähig ist, noch Mutter zu sein: eine Mutter, die Leben hat, weil sie das Leben achtet und Hoffnung für das Leben bietet. Ich träume von einem Europa, das sich um das Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der Aufnahme suchend kommt, weil er nichts mehr hat und um Hilfe bittet. Ich träume von einem Europa, das die Kranken und die alten Menschen anhört und ihnen Wertschätzung entgegenbringt, auf dass sie nicht zu unproduktiven Abfallsgegenständen herabgesetzt werden. Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist, sondern vielmehr eine Einladung zu einem größeren Einsatz mit der Würde der ganzen menschlichen Person. Ich träume von einem Europa, wo die jungen Menschen die reine Luft der Ehrlichkeit atmen, wo sie die Schönheit der Kultur und eines einfachen Lebens lieben, die nicht von den endlosen Bedürfnissen des Konsumismus beschmutzt ist; wo das Heiraten und der Kinderwunsch eine Verantwortung wie eine große Freude sind und kein Problem darstellen, weil es an einer hinreichend stabilen Arbeit fehlt. Ich träume von einem Europa der Familien mit einer echt wirksamen Politik, die mehr in die Gesichter als auf die Zahlen blickt und mehr auf die Geburt von Kindern als auf die Vermehrung der Güter achtet. 75 Ökumene Ich träume von einem Europa, das die Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen. Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand. Danke. [1]Ansprache an das Europäische Parlament, Straßburg, 25. November 2015. [2]Ebd. [3]Erklärung am 9. Mai 1950 im Salon de l’Horloge, Quai d’Orsay, Paris. [4]Ebd. [5]Vgl. Rede auf der Europäischen Parlamentarischen Konferenz, Paris, 21. April 1954. [6]Ansprache auf dem Deutschen Handwerkertag, Düsseldorf, 27. April 1952. [7]Ansprache beim Welttreffen der Volksbewegungen, Santa Cruz de la Sierra, 9. Juli 2015. [8]Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 32: AAS 101 (2009), 666. [9]Ansprache beim Welttreffen der Volksbewegungen, Santa Cruz de la Sierra, 9. Juli 2015. [10]Ansprache an den Europarat, Straßburg, 25. November 2014. © Copyright – Libreria Editrice Vaticana 76 Gemeindeleben Frauenverein Wir treffen uns mittwochs um 16.30 Uhr – jetzt im Sommer im Garten, bei unsicherem Wetter im Gemeindesaal. Gespräche und persönlicher Erfahrungsaustausch bei Kaffee und Kuchen, der von den Teilnehmern mitgebracht wird, haben einen wichtigen Stellenwert. So entstehen Freundschaften und gegenseitige Solidarität. Alle sind herzlich willkommen und wir freuen uns über eine rege Teilnahme. In der Sommerzeit werden wir uns mit folgenden Themen beschäftigen: 22. Juni Luther. Wichtige Stationen seines Lebens (Pfarrer Dr. Kruse) 6. Juli Von Sachsen ins Lauenburgische. Einblicke in ein verändertes Pfarrerleben (Pfarrer Stephan Rost) 20. Juli Kleines Sommerkonzert (Klaus Schulten) 7. Sept. Lucas Cranach – Maler der Reformation (Pfarrer Dr. Kruse) 21. Sept. Einladung zum Geburtstagskaffee in der Pfarrwohnung 77 Informationen Nachbarschaften Casal Palocco Rom-Süd Die Nachbarschaft trifft sich jeden ersten Montag im Monat. Die Nachbarschaft trifft sich jeden zweiten Montag im Monat. Kontakt über Maria Alberti (Tel.: 06.5041443) Rom-Nord-West Die Nachbarschaft trifft sich jeden zweiten Donnerstag im Monat. Kontakt über das Gemeindebüro (Tel.: 06.4817519) Gruppo Italiano Die Italienische Gruppe trifft sich einmal im Monat. Ansprechpartnerin: Anna Belli (Tel.: 06.7915596) Gesprächskreis junger Erwachsener Ansprechpartner: Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse (Tel.: 06.4817519) Amtshandlungen Taufen Trauungen Josefine Herzig, 03.04.2016 Alexander Herzig, 03.04.2016 Matteo di Cicco, 10.04.2016 Urs Wolfgang Victor Graf von Westarp, 28.04.2016 Udo Gümpel und Caterina Pesce, 30.04.2016 Trauerfeier Erna Ilossi, 18.03.2016 Wolfgang Künzli, 02.05.2016 Ingrid Pipping, 06.05. 2016 Neu in unserer Gemeinde Rotraut Witschnig,Hinrich Thoelken, Franziska Zanker, Matteo di Cicco, Suse Tomassi 78 Informationen Bankverbindungen Deutsche Bank Pforzheim Banca Popolare di Novara DE18 666 700 060 090059700 BIC: DEUT DE SM 666 IT55 X 05034 03255 0000 0000 2750 BIC: BAPPIT 21AI9 Impressum Herausgeber Gemeindevorstand der EvangelischLutherischen Gemeinde Rom Redaktion und Layout Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse Freiwillige Hanna Mielke Mitarbeiter M. Schulz, K. Schulten, T. Dieter Erscheinungsweise viermal im Jahr Auflage 400 Exemplare Druckerei www.gemeindebrief-in-farbe.de 79 Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Rom Unser Gemeindevorstand Pfarramt Via Toscana 7, 00187 Roma Telefon: 06.4817519 Fax: 06.42010417 E-Mail: [email protected] Web: www.ev-luth-gemeinde-rom.org Twitter: @RomaLuterani Öffnungszeiten Büro Montag bis Freitag 9:00 bis 13:00 Uhr Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse Sekretärin Marion Schulz Freiwillige Hanna Mielke Anna Belli Via Gorizia 22, 00043 Ciampino [email protected] / 06.7915596 Anke de Bernardinis Via Monti Parioli 49, 00197 Roma [email protected] / 06.3218885 Nina Bewerunge Via Aventina 32 int. 4, 00153 Roma [email protected] / 06.5743939 Christiane Bremer, stellv. 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